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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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ARCHIV 


FÜR    DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND  UITE  RA  TÜREN. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

LUDWIG      HERRIG, 

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XV.   JAHRGANG,   28.   BAND. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  GEORGE  WESTERMANN. 

18  60. 


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Inhalts  -Verzeichniss  des  XXVIII.  Bandes. 


Abhandlungen.  Seite 

Proben  baskischer  Dichtkunst.  Von  K.  L.  Kannegiesser  .  .  .  1 
Ueber   Amadis   von    Gallien    und   die   bedeutendsten   Ritterromane   der 

Spanier.     Von  Dr.  Herrni an n -Twiste 21 

Ueber  Was  und  Welches.     Yon  Haupt 53 

Epitre   de   saint   Paul   aux    Ephesiens   et   Histoire   de    sainte   Susanne. 

Par  J.   W 75 

Deutsche  Sprichwörter  auf  biblischem  Grunde.  Von  C.  Schulze.  .  129 
Etymologische  Untersuchung  der  geographischen  Namen.     Von  Dr.  C. 

A.    F.   Mahn.     .  •  .     .   ' 149 

Die  Entwicklung  der  Lyrik  in   der  klassischen  Literaturperiode.     Von 

Dr.  Schede r 165 

Erklärung  Uhlandischer   Gedichte.     Von  Dr.  R.  Foss 1»7 

Ueber  die  Gedichte  Ludwig's    des  ersten    Königs  von  Baiern.     Von  K. 

L.  Kannegiesser 209 

Die   Tieksche   Uebersetzung  des   Coriolan  und   ihre  Bearbeitung  durch 

T.    Mommsen.     Von   F.   A.   Leo 233 

Racine's  Athalia.     Von  Dr.    Schröder 24  5 

Sur  1c  soi-disant  idiome   bourguignon.     Von  J.  Wollen  berg.     .     .     .  259 

Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  285 
Schillcr's  historisches  Taschenbuch  für  Damen  für  das  Jahr  1792.     Von 

Dr.   Kuhlmey 361 

Zur  angelsächsischen  Literatur.     Von  E.  Müller 377 

Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.     Von  Dr.  A.  Hoppe.      .     .     .  385 

Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  tür  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  417 

ßeurth eilungen   und    kurze  Anzeigen. 

Wörterbuch  der  deutschen    Sprache.     Von  C.  F.    L.    Wurm     ....  89 

Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit 93 

Germania.  Herausgegeben  von  F.  Pfeiffer.  (Dr.  Sachse.)  .  .  .  .  95 
Erklärung   schwieriger  Ausdrücke    in   Jeremias   Gotthelfs   gesammelten 

Schriften.     Von  A.  von  Rütte 97 

Aufsatzschule.     Von  J.  H.  Möwing 97 

Deutsche  Aufsätze.     Von  J.  Venn.     (Dr.  Sachse.) 98 

Die  biblischen  Sprichwörter  der  deutschen  Sprache.  Von  C.  Schulze  (H.)  99 
Elementarbuch    der   französischen    Sprache.     Von  Dr.    C.    A.    Witten- 

haus.     (B.) 99 

Lehrbuch  der  französischen  Sprache.    Von  Dr.   C.  Plötz.    (O.  Weiss.)  101 

Vorschule  der  Dichtkunst.     Von   IL  ViehofF.     (Dr.  E.  Laas.)      .     .     .  296 

Lehrbuch  der  französischen  Sprache.    Von  Dr.  C.  Plötz.  (Dr.  O.  Weiss.)  305 

Germania.  Herausgegeben  von  Fr.  Pfeiffer.  (Dr.  Sachse.)  .  .  .  .  305 
Leitfaden     zur    Geschichte    der    deutschen    Literatur.      Von    IL    Kurz. 

(Dr.   Laas.) 308 

Friedrich  der  Grosse.     Von   K.   Biedermann.     (Dr.  Büchsen  schütz.)  313 

Abriss  der  deutschen  Metrik.     Von  Dr.   E.   Niemeyer 313 

Fragments  du  Faust  de  Goethe.    Traduits  par  G.  Braunhard.  (Weigand.)  314 


Praktisches    Handbuch   Air   den    Unterricht    in    deutschen   Stilübungen. 

Von  Ludwig  Rudolph.     (Hülsen.) 425 

Die  Schweiz.     Illustrirte  Monatsschrift,   herausgegeben  von  L.  Eckardt 

und  P.  Volmar 426 

Deutsche   Weibnachtslieder.      Von  K.   Simrock 430 

Milton'a  Comus,  übersetzt  von  Dr.  I.   Schmidt.     (H.) 43  l 

Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.     (Dr.  Sachse.)  ....  437, 

Zeitschrift    für    Stenographic  und    Orthographie  von  Michaelis.     .     .     .  440 

Jahrbuch  für  romanische  und  englische  Literatur 440 

Les  anciens  poetes  de  la  France.     (G.    Buch  mann. ) 441 

Italienische  Sprachlehre,  von  A.  Mussafia.  (Prof.  Dr.  St  aedler.)  .  .  445 
Lehr-   und   Uebungsbuch  der   Italienischen  Sprache,    von  Prof.  Dr.   G. 

L.  Staedlcr.     (Prof.  A.  Boltz.) 453 

Pro»;  r  a  ramensc  h  a  u. 

Le  Phormion  de  Terence  et  les  fourberies  de  Scapin  de  Moliere.    Par 

C.  Et.  Ilumbert 103 

Essai   sur  les   principales   analogies   des   langues   francaise   et  anglaise. 

Von  Dr.  Maass 104 

Remarques   grammatieales    et    litteraires    sur    deux    traduetions   de    la 

cloche  de.  Schiller.     Von  Dr.  Maass.     (Crouze.) 105 

Ueber  deutsche  Orthographie.     Von  Dr.  Pfefferkorn 3is 

Kern:  Etymologische    Versuche 319 

Das  Epitheton  ornans.     Von  Dr.   H.  Storch.       .     .  ■ 320 

Das  Fest  der  Sonnenwende.     Von  Dr.  Witzschel 3-21 

Ernst:  Grundlinien  zu  einer  Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur.  321 
Madiera:  Vergleichende  Charakteristik  des  Achilles  aus  der  Iliade  und 

des  Siegfried  aus  den  Nibelungen -     .     .     .     .  322 

Ueber   den    Charakter    Kriemhildens    in  dem   Nibelungenliede  und    der 

Nibelungennoth.      Von    Ed.  Dressel 322 

Ueber  die  dramatischen  Aufführungen  im  Gymnasium  zu  Weimar.    Von 

Dr.    Heiland 323 

Ueber    Gebrauch   und  Auffassung   der  griechischen   Götter  in  Schillers 

Gedichten.     Von  Dr.  W.  Grosser.  ...          324 

Shakspeare  und  unsere   Schulen.     Von  Dr.  L.    Bernhard 325 

Frau  von  Guion,  die  Freundin  Fenelons 32 6 

M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Seite   107 —126.     327  —  358.     455  —  478. 

Bibliographischer   Anzeiger. 

Seite   127 —  128.     359--360.     479—480. 


Proben  baskischer  Dichtkunst.*) 


Um  die  Untersuchung  der  Geschichte  der  Basken,  des  im 
Nordosten  Spaniens  und  in  dem  daran  grenzenden  Westen  Frank- 
reichs zwischen  dem  Ebro  und  Adour  noch  vorhandenen,  jetzt 
auf  7  bis  800,000  Bewohner  zusammengeschmolzenen,  uralten, 
von  den  weitverbreiteten  Iberern  abstammenden  Volkes,  und 
zumal  der  in  Wort-  und  Satzbildung  höchst  eigenthümlichen,  von 
den  Basken  selbst  Euscara,  Eskuara  oder  Esquera  genannten 
Sprache,  sowie  der  schriftlichen  Denkmäler  derselben,  haben 
sich  besonders  Franzosen  und  Deutsche  verdient  gemacht, 
namentlich  Wilhelm  von  Humboldt  in  zwei  Schriften,  in  den  „Be- 
richtigungen und  Zusätze  zu  Adelung's  Mithridates  über  die 
cantabrische  oder  baskische  Sprache,  Berlin  1817"  und  in  der 
„Prüfung  der  Untersuchungen  über  die  Urbewohner  Hispaniens 
vermittelst  der  baskischen  Sprache,  Berlin  1821,"  sodann  Fran- 
cisque  Michel  in  „le  pays  basque  etc.  Paris  1857,"  und  E.  A.  F. 
Mahn  in  seiner  kürzlich  erschienenen,  auch  durch  eine  einlei- 
tende umfassende  Sprachenvergleichung  sich  auszeichnenden 
Schrift,  „Denkmäler  der  baskischen  Sprache,  Berlin  1857." 

Aus  beiden  letzteren,  besonders  aus  Michel's  reichhaltiger, 
Urschrift  und  Uebersetzung  in  das  Französische  enthaltenden 
Blumenlese  sind  die  Lieder  entnommen,  welche  ich  hier  in  einer 
zumal  der  Form  nach  freien  Uebersetzung  mittheile.  Es  findet 
in  der  baskischen  Dichtkunst  keine  Sylbenmessung ,  sondern 
nur  Sylbenzählung   statt,   wie  in     den  sämmtlichen  westeuropä- 


*)  Vorgelesen  in  der  Gesellschaft  für  das  Studium  der  neuern  Sprachen 
etc.  in  Berlin  den  5.  April  1859. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  1 


2  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

ischen  Sprachen,  der  Reichthum  an  Reimen   ist  gross,  aber  es 
wird  häufig  unrein  und  willkürlich  abwechselnd  gereimt. 

Der  Gesang  der  Cantabrer. 

Das  älteste  auf  uns  gekommene  dichterische  Erzeugniss 
der  Basken  ist  ein  Lied,  oder  richtiger  der  Anfang  eines  Liedes, 
ein  Rest  der  Kriegsgesänge  der  Cantabrer  ,  eines  vorzugsweise 
kriegerischen  Stammes  der  Basken,  aus  der  Zeit  ihrer  Kämpfe 
mit  den  Römern,  von  welchen  sie  unter  Kaiser  Augustus  zwar 
besiegt,  aber  nicht  völlig  unterjocht  wurden.  Wilhelm  von 
Humboldt  sagt,  dass  es  ihm  im  Lande  selbst  aus  einer  in  mehr 
als  vierzehn  Foliobänden  bestehenden  Manuskriptensammlung 
mitgetheilt  sei,  welche  ein  gewisser  Juan  Ibannez  de  Ibarguen 
machte,  als  er  1590  den  Auftrag  erhielt,  die  Archive  von  Simanca 
und  Vizcaya  zu  durchsuchen.  Ibarguen  fand  dies  Lied  auf 
einem  alten,  schon  halb  von  Würmern  zerfressenen  Pergament, 
es  war  sehr  lang,  er  begnügte  sich  desshalb,  sechszehn  Sätze 
oder  Strophen  abzuschreiben.  Der  Ueberrest  ging  unstreitig 
nachher  verloren.  Die  biscayschen  Gelehrten  schreiben  diesem 
Liede  ein  hohes  Alter  zu,  und  setzen  es  in  die  ersten  Jahre 
nach  dem  cantabrischen  Kriege.  Wie  es  jetzt  vorliegt,  mag  es, 
wegen  des  erst  später  vorkommenden  Namens  Biscaya,  überar- 
beitet sein.  Humboldt  fügt  hinzu,  dass  der  Ausdruck  etwas 
Eigenthümliches  und  das  Gepräge  der  Rauheit  eines  ungebildeten 
Volkes  habe,  und  macht  auf  die  Einfachheit  der  beiden  in  dem 
Liede  vorkommenden  Gleichnisse  aufmerksam.  Auch  in  der 
Form  unterscheidet  es  sich.  Alle  späteren  baskischen  Gedichte 
haben  Reime  und  bestehen  aus  2-,  4-,  8-  und  lOzeiligen  Ge- 
binden, dieses  hat  keine  Reime,  nur  einige,  wie  es  scheint,  zu- 
fällige Halbreime  oder  Assonanzen  mit  Ausnahme  des  je  vierten 
auf  denselben  Reim  ausgehenden  Verses ,  der  nur  drei  oder 
vier  Sylben  enthält,  während  die  je  ersten  drei  Verse  mehrsylbig, 
meistens  fünfsylbig  sind.  Als  Probe  schreibe  ich  die  vier  ersten 
Gebinde  ab. 

Lelo,  il  Lelo;  Romaco  aronac 

Lelo!  il  Lelo;  Aleguin,  eta 

Leloa!  Zarac  Vizcayac  daroa 
II  Leloa.  Cansoa. 


Proben  baskischer  Dichtkunst.  3 

Octaviano  Ichasotatic 

Munduco  Jauna  Eta  leorrez 

Leocobidy  Ymini  deuscu 
Vizcaycoa.  Molsoa. 

Zum  Verständniss  der  im  Einzelnen  nicht  ganz  aufzuhel- 
lenden Dunkelheiten  sagt  Humboldt:  „Als  August  die  Canta- 
brer  besiegte,  zogen  sie  sich  auf  einen  hohen  Berg  zurück ,  auf 
dem  die  Kömer  sie  durch  Abschneidung  aller  Lebensmittel  zur 
Uebergabe  zu  zwingen  suchten."  Auf  diesen  Umstand  spielt 
die  siebente  Strophe  an.  Das  in  der  vierzehnten  verstümmelten 
Strophe  vorkommende  Wort  Uchin  ist  nach  Ibarguen  der  Name 
des  cantabrischen  Feldherrn,  der  nach  dem  Frieden  sich  in  Ita- 
lien niederliess  und  Stammvater  des  Geschlechts  der  Urbino's 
wurde.  Unmittelbar  nach  dem  Frieden  scheinen  die  Cantabrer 
einen  Anführer  Lecobidi  gehabt  zu  haben,  der  in  dem  dritten 
Absätze  genannt  wird.  „Die  erste  Strophe  bezieht  sich  auf  eine 
Sage,  welche  gleichfalls  Ibarguen,  und,  wie  er  versichert,  nach 
dem  Zeugniss  einer  alten  Schrift  erzählt.  Lelo  war  ein  ange- 
sehener Mann  in  Vizcaya.  Während  eines  Feldzuges,  den  er 
ausserhalb  seines  Vaterlandes  zu  machen  genöthigt  war,  trieb 
seine  Frau  Bulschaft  mit  einem  gewissen  Zara.  Lelo  kehrte 
zurück  und  beide  vereinigten  sich,  ihm  das  Leben  zu  rauben. 
Der  Mord  gelang  ihnen,  aber  die  That  wurde  ruchtbar,  und  man 
beschloss  in  einer  Volksversammlung,  in  der  die  beiden  Ehe- 
brecher aus  dem  Lande  verwiesen  wurden,  dass  bei  dem  An- 
fange jedes  Gesanges  immer  zuerst  des  unglücklichen  Lelo 
erwähnt  werden  sollte.  Das  Sprichwort  betico  Leloa,  d.  h.  das 
ewige  Lelo,  womit  man  die  zu  häufige  Wiederholung  derselben 
Sache  bezeichnen  will,  scheint  sich  auf  diese  Erzählung  zu  be- 
ziehen. Bemerkenswerth  ist  noch  die  Aehnlichkeit  dieser  Sage 
mit  der  Geschichte  Agamemnons.  Allein  auch  in  andern  bis- 
cayischen  Volksmärchen  kommen  griechische  Geschichten  und 
Mythen  unter  einheimischen,  und  selbst  oft  unter  Heiligennamen 
vor."  —  Ich  habe  dies  meistens  mit  Humboldts  Worten  erzählt, 
der  auch  eine,  wie  er  selbst  sagt,  dem  Sinne  möglichst  entspre- 
chende Uebersetzung  hinzufügt.  In  der  meinigen  bin  ich  der 
Form  ziemlich  treu  geblieben.  Sie  lautet  mit  Weglassung  der 
13.,  14.,  und  15.  verstümmelten  und  unlesbaren  Strophe: 


Proben  baskischer  Dichtkunst. 


Lelo,  todt  Lelo ! 
Lelo,  todt  Lelo ! 
Lelo!  durch  Zara 
Erdolcht  ward  er. 


Wir  beben  mit  nichten 
Bei  Waffen  gleich  heit; 
Trog  des  Brots,  du  bist 
Erkrankt  und  leer. 


Die  Fremden,  die  Römer 
Entboten  Kraft,  und 
Das  Siegslied  anstimmte 
Biscaya's  Heer. 

3. 
Octavianus 
Und  Lecobidi, 
Weltherr  ist  Jener, 
Biscaya's  der. 

4. 
Octavianus 

Umschloss  uns,  hernieder 

Stieg  er  von  den  Bergen, 

Er  kam  vom  Meer. 


Die  Ufer  der  Flüsse, 
Die  Wälder  und  Haine, 
Die  Höhlen  der  Berge 
Bedrängt'  er  sohwer. 

6. 
Wir  treten  ihm  muthig 
An  günstigen  Pässen, 
Wir  setzen  entgegen 
Ihm  tapfere  Wehr. 


Schwer  sind  die  Kürasse, 
Die  Jene  tragen, 
Wir  tanzen  in  leichtern 
Behend  daher. 


Wir  haben  nicht  Ruhe 
Bei  Nacht  noch  bei  Tage. 
Der  Krieg,  fünf  Jahre 
Schon  dauert  er. 

10. 
Wenn  Einen  der  Unsern 
Die  Feinde  tödten, 
Erschlagen  wir  ihnen 
Fünf  Zehnd'  und  mehr. 

11. 
Doch  sind  sie  zahllos, 
Und  wir  nur  wenige, 
Wir  machten  Vertrag  drum, 
Nun  ruht  der  Speer. 

12. 
Dem  Land  der  Feinde, 
Wie  unsern  Marken  — 
Ohn'  Band  wird  dem  Saumthier 
Die  Last  zu  schwer. 


16. 
Die  starken  Eichen 
Erkranken  an  Kraft, 
Verlässt  sie  das  Bohren 
Des  Spechts  nicht  mehr. 

Der  Gesang  Altabiscars,  wahrscheinlich  des  Namens 
einer  Landschaft  in  den  Pyrenäen,  der  nächstälteste  uns  erhal- 
tene, betrifft  die  Zeiten  der  Kriegszüge  Karls  des  Grossen  gegen 
die  Cantabrer,  zumal  den  Untergang  seines  Heeres  bei   Ronce- 


Proben  baski  scher  Dichtkunst.  5 

valles ,  und  soll  auch  aus  jenen  Zeiten  herrühren.  Auffallend  ist 
der  in  dem  Gesänge  vorkommende  Name  Carlomano,  scheinbar 
Karlmann,  aber  wahrscheinlich  mit  Charlemagne  zu  vergleichen, 
wesshalb  ich  ihn  durch  Karl  übersetzt  habe.  Die  Urschrift  be- 
steht aus  willkürlich  längeren  und  kürzeren,  und,  mit  einer  Aus- 
nahme vor  dem  Schluss,  reimlosen,  meine  Uebersetzung  aus  ge- 
gereimten Zeilen: 

Es  erscholl  ein  Schrei 
In  der  baskischen  Alpen  Reih. 
Des  Hauses  Eigner  tritt  hervor, 
Und  spricht  mit  lauschendem  Ohr: 
„Was  ist's?  Es  war,  als  ob  es  rief/' 
Und  der  Hund,  der  zu  den  Füssen  des  Herren  schlief, 
Springt  auf,  Altabiscars  Gauen  erfüllend  mit  Bellen. 
Ebanneta's  Schluchten  aufs  neue  gellen 
Von  der  Rechten  nieder, 
Von  der  Linken  wieder. 
Nun  dumpfes  Gemurmel,  es  naht  ein  Heer, 
Nun  Antwort  herab  von  des  Berges  Steile  — 
Es  ist  der  Hörner  Klang, 
Es  ist  der  Unsern  Kriegsgesang.  — 
Der  Hausherr  schärft  die  Pfeile. 

„Sie  kommen,  sie  kommen!  Wie  ragen  die  Partisanen! 
Welch  ein  Wald  von  Lanzen,  wie  flattern  die  Fahnen ! 
Wie  blitzen  die  Waffen!  Mein  Bursch,  schau,  schau! 
Wie  viel  sind's  Banner?  Zähle  genau!" 

—  Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben,  acht,  neun,  zehn, 
Bis  fünfzehn,  bis  zwanzig  kann  ich  sehn.  — 
„Und  mehr  noch  erscheinen,  wir  wollen's  nicht  hehlen; 
Doch  lass  uns  die  Zeit  nicht  verbringen  mit  Zählen. 
Fort,  fort,  wir  sind  ja  stark  und  gewandt, 
Zu  schleudern  Steine  vom  Klippenrand, 
Felsstücke  zu  wälzen  herab 
Von  den  Almen, 

Sie  zu  zerfleischen,  zu  zermalmen. 
Sie  sollen  im  Engpass  finden  ihr  Grab. 

Was  wagten  sie  sich  auf  solchen  Pfad? 
Was  wollen  sie  hier  auf  unsrem  Grat  ? 
Die  Berge,  zu  Grenzen  ja  sind  sie  gesetzt, 
Weh  Jedem,  der  sie  mit  Frevel  verletzt! 
Ha,  sieh,  sieh  jetzt ! 
Die  Blöcke,  die  Schollen,  die  Schrollen, 


C  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

Sie  springen,  sie  stürzen,  sie  rollen. 

Die  Feinde,  zerbrochen 

Sind  ihnen  die  Knochen, 

Wir  haben  uns  an  den  Frechen  gerochen. 

Flieht,  flieht,  was  noch  übrig,  in  wildem  Lauf, 

Mit  dem  rothen  Helm  und  den  schwarzen  Federn  darauf, 

Flieh,  Karl!  Flieh  du,  sein  Genosse, 

Du,  Roland,  auf  eiligem  Rosse  ! 

Mut  ward  euch  zum  Verderben  verliehn. 

Sie  fliehn,  sie  fliehn! 
Wo  sind  nun  die  Partisanen? 

Wo  der  Wald  von  Lanzen?  Wo  flattern  die  Fahnen? 
Wo  blitzen  noch  Waffen  ?  0  Bursch,  schau,  schau ! 
Wie  viel  sind  der  Banner?  Zähle  genau! 

Sind  es  zwanzig,  sind  es  fünfzehn,  sind  es  zehn,  sind  es  sieben? 
Nicht  vier,  drei,  zwei  sind  übrig  geblieben. 
Ich  sehe  nicht  eins.  — 

Nein,  keins ! 
Vorbei  ist's.     Geh  heim,  Hausherr,  mit  dem  Hunde  nun, 
Mit  Frau  und  Kindern  in  Frieden  zu  ruhn ! 
Nach  Schlachtengebraus 
Stelle  fort  die  Waffen,  und  dann  schlaf  aus! 
Indessen  verzehren  die  Adler  die  Leichen, 
Und  der  Feinde  Gebeine  werden  bleichen. 

Nach  diesen  beiden  ältesten  Gedichten,  zwischen  deren 
Veranlassung  und  wahrscheinlich  auch  Entstehung  ein  Zeitraum 
von  achthundert  Jahren  liegt,  finden  sich  in  der  Sammlung  von 
Michel  noch  einige  ähnliche,  hauptsächlich  aus  der  neueren  Zeit, 
eines  aber  auch  aus  dem  Mittelalter,  das  freilich  nur  noch  in 
Bruchstücken  vorhanden  ist,  und  sich  auf  die  Schlacht  von 
Beotibar  am  19.  September  1321  bezieht,  in  welcher  die  Gui- 
puzcoaner  über  die  Biscayaner  in  einem  Bürgerkriege  den  Sieg 
davontrugen. 

Der  Vicomte  von  Belsunor,  Bruchstück  eines  Volks- 
gesanges, preist  das  ganze  adliche  Geschlecht  der  Belsunor 
aus  dem  spanischen  Navarra,  besonders  aber  den  Abkömmling, 
welcher  bei  Hastenbeck  den  20.  Junius  1757  sich  auszeichnete, 
und  1764,  von  seinen  "Wunden  geheilt,  nach  seiner  Heimath 
zurückkehrte. 

Das   Lied  zu    Ehren   des    Grafen    von   Estaing, 


Proben  baskischer  Dichtkunst.  7 

eines  französischen  Seehelden,  der,  geboren  1729,  zuerst  in 
Ostindien,  dann  nach  einer  längeren  Gefangenschaft  in  Nord- 
amerika sich  als  Krieger  bewährte,  1783  die  vereinigte  Flotte 
von  Frankreich  und  Spanien  befehligte,  trotz  seiner  Freiheits- 
liebe aber  am  28.  April  sein  Leben  unter  der  Guillotine  verlor, 
ist    dem  vorigen,  aber  mit  wenigem  Glücke,  nachgebildet. 

Das  Volksfest  ist  ein  komisches  Spottgedicht  auf  die 
französische  Revolution,  welche  die  freiheitsliebenden  Basken 
dennoch  nicht  begünstigten. 

Nationalfest. 

Der  Pfarr  zu  Sankt-Pe,  zum  preislichen  Feste 
Lud  alle  Welt  er  zusammen  als  Gäste, 
Ein  Nationalfest  feierte  man,  — 
Ich  schildr'  es,  so  gut  ich  nur  immer  kann. 

Frühmorgens  ein  Trupp  von  alten  Weibern 
Zog  mit  herausstaffirten  Leibern 
Zum  Marktplatz;  da  sie  sich  sahen  allein, 
In  ein  Wirthshaus  gingen  sie  flugs  hinein. 

Sie  sprachen  zum  Wirthe,  die  Weiber,  die  alten: 
„Wir  wollen  ein  wenig  uns  hier  aufhalten, 
Wir  kamen  zu  früh,  wir  essen  derweil, 
Bring,  Wirth,  was  Du  hast,  wir  haben  Eil.." 

Sie  essen,  sie  trinken,  ein  Liedchen,  man  singt  es. 
„Auf  Deine  Gesundheit.  Frau  Schwester!"  so  klingt  es. 
„Es  lebe  —  so  ruft  man  mit  hohem  Ton  — 
Es  lebe,  ja  lebe  die  ganze  Nation!" 

Die  Augen  der  Alten,  —  sie  sprühen  vom  Glänze, 
Sie  heben  die  Beine  zum  baskischen  Tanze, 
Sie  hüpfen,  sie  springen,  mit  keuchender  Brust. 
Heut  gilt  es  zu  feiern  mit  Freud'  und  mit  Lust. 

Drauf  gingen  sie  wieder  hinaus  aus  dem  Hause, 
Mit  tobendem  Lärm  und  mit  wirrem  Gebrause, 
Und  als  man  auf  dem  Platze  sie  schaut, 
Da  lacht  man  über  ihr  Wesen  laut. 

Der  Pfarr  blickt  aus  dem  Fenster  hinunter, 

Und  spricht:  „Ei,  Kinder,  so  recht,  ihr  seid  munter. 

Ihr  tanzet,  so  tanzet  nur  fort,  ich  bitt',  v 

Ich  komme  hinunter,  ich  tanze  mit." 


8  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

Die  Weiber,  sie  sprechen  mit  lallendem  Schalle: 
„So  kommt  denn,  wir  kennen  als  Tänzer  euch  alle, 
Führt  auf  den  Tanz,  ihr  lustiger  Gauch, 
Trotz  eurem  gemästeten,  kuglichten  Bauch!" 

Und  es  kommt  und  dreht  sich  der  Pfarr,  der  runde; 
Da  lachen  die  Weiber  aus  offenem  Schlünde, 
Die  runzlichen  Arm'  in  die  Seite  gesetzt; 
Und  der  Volkshauf  jubelt,  weidlich  ergetzt. 

Die  Alten,  sie  stehen  nicht  lang',  sie  umringen 
Den  Pfarr,  und  fassen  beim  Arm  ihn,  und  springen. 
Zu  Haus'  indess  die  Männer,  traun, 
Sind  hungrig:  „Wo  bleiben  denn  unsre  Fraun?"   ' 

Sie  machen  sich  auf,  sie  kommen,  sie  grollen, 
Sie  sehn  ihre  Frauen  springen  und  tollen. 
Als  der  Pfarr  sie  erblickt,  tanzt  weiter  er  nicht, 
Steht  still,  geht  freundlich  zu  ihnen  und  spricht: 

„Dominique  und  Johann,  hier  gibt  es  Getöse, 
Trinkt,  thut  mir  Bescheid  und  seid  nicht  böse ! 
Es  lebe  die  Nation,  stimmt  ein ! 
Heut  gilt  es  zu  tollen,  und  wacker  zu  schrein. 

Ihr  Männer,  ihr  Frauen,  wer  will  es  uns  wehren? 
Ein  Jeder  muss  heute  sein  Gläschen  leeren; 
Dann  gehn  wir  alle  friedlich  nach  Haus'!" 
Also  geschah's  und  das  Fest  war  aus. 

Es  folgen  Gesänge  auf  den  Abenteurer  Muilagorri,  der 
Anhänger  bald  der  Karlisten,  bald  der  Christinos  war. 

Der  Baum  von  Guernica,  ein  geschichtliches  Lied, 
dessen  Verfasser  unbekannt  ist,  besingt  den  Baum,  unter  welchem 
die  Junta  von  Alava  mehrere  Jahrhunderte  ihre  Versammlungen 
hielt.     Die  Uebersetzung  lautet: 

Der  Baum  von  Guernica, 

Er  sei  gebenedeit! 
Geliebt  wird  er  vom  Volk 

Der  Basken  weit  und  breit.   — 
Verbreite  deine  Frucht 

Nach  jedem  Ort  und  Raum ! 
Wir  ehren  höchlich  dich, 

Du  lieber,  heiiger  Baum! 


Probenba  skischer  Dichtkunst.  9 

Wohl  tausend  Jahre  sind 

Vergangen  bis  an  jetzt, 
Seit  hier  in  Guernica 

Gott  diesen  Baum  gesetzt. 
Steh  aufrecht  immerdar ! 

Denn  in  dem  Augenblick, 
"Wo  du  fielst,  traf  auch  uns 

Ein  gleiches  Missgeschick. 

Nein,  nein,  geliebter  Baum, 

Dein  Stamm  ist  fest  und  steht, 

Wenn's  in  Biscaya  nur 
.-  Der  Junta  wohlergeht. 

Wir  lehnen  uns  an  dich, 
Denn  uns  gehörst  du  zu, 

Damit  der  Basken  Volk 
In  Frieden  leb'  und  Ruh. 

Ja,  wachs'  und  grüne  fort, 

Und  werd'  uns  untreu  nie! 
Wir  bitten  Gott  darum, 

Und  werfen  uns  aufs  Knie. 
Wenn  wir  ihn  angefleht, 

Wie  in  vergangner  Zeit, 
Dann  bleibst  Du  uns,  o  Baum, 

Jetzt  und  in  Ewigkeit. 

An  die  bisherigen  Lieder  sind  noch  zwei  aus  der  Zeit  der 
neueren  Kriege  der  Spanier  untereinander  und  gegen  die  Fran- 
zosen anzuschliessen.  Der  Anfang  des  ersten  Liedes  ist  fol- 
gender : 

Viel  Leute  wollen  Donna  Isabelle 

Als  unsre  Königin  nicht  anerkennen : 
Don  Carlos  müsse  man  an  ihrer  Stelle 
Den  Erben  Spaniens  und  König  nennen. 

Indessen  Einge  diess,'  das  Andre  meinen, 

Wünsch'  ich,  dass  weder  Sie  noch  Er  regire. 

Die  besten  Könige,  so  will's  mir  scheinen, 

Sind  Brot  und  Wein  nebst  Bündlein  Geldpapiere. 

Das  andre  mag  ganz  hier  stehen,  es  ist  betitelt 

Napoleon  und  Harispe. 

Napoleon,  Herr  der  Franzosen  du, 
Und  grosser  Held  in  Kriegeszügen! 


10  Proben  baskiä  eher  Dichtkunst. 

General  Harispe,  du  dazu, 

Krieg,  edler  Baske,  war  dein  Vergnügen. 

Von  Saragossa  warst  du  einmal 

Und  aus  Valencia  gekommen. 
Verwundet  ward  unser  General 

Der  für  Napoleon  hell  entglommen. 

Wild  ging's  in  Saragossa  her, 

Man  schall  des  Weichbilds  Unterfangen. 

Harispe  setzte  sich  zur  Wehr ; 

Wie  sollt'  ihm  doch  vor  Räubern  bangen ! 

Gross  ist  dein  Ruhm,  o  General, 

Und  auch  geheilt  sind  deine  Wunden. 

Zu  zählen  deiner  Thaten  Zahl, 
Dazu  gehörten  viele  Stunden. 

Die  Wunden  sind  —  sie  kennt  die  Welt  — 
Vernarbt,  lasst  Gott  uns  Dank  abstatten! 

Werd'  hundert  Jahr'  alt,  theurer  Held, 
Und  deine  Gattin  mit  dem  Gatten ! 

Die  Sammlung  besteht  ferner  aus  einer  verhältnissmässig 
bedeutenden  Anzahl  von  Liebesliedern  in  verschiedener  Form, 
mehrere  sind  erzählend,  einige  auch  gesprächlich,  und  noch 
mannichfacheren  Inhalts,  freudvoll  und  leidvoll,  hoffend  und  ver- 
zweifelnd, bittend  und  klagend ,  warnend  und  spottend,  und 
nicht  wenige  den  besten  Troubadours-  und  Minneliedern  an 
Unbefangenheit,  Innigkeit  und  Glut  gleichzustellen,  viele  zu- 
gleich bildlich  oder  allegorisch.  Aus  älterer  Zeit  scheinen  die 
beiden  ersten  elegischen  zu  sein:  die  Braut  von  Tardets 
und  die  Geliebte  im  Kloster.  Das  erstere  fängt  bildlich  an: 
Zu  Tardets  gilben  Citronen  zwei, 

Ongriagarath,  der  Spanier  wirbt  um  die  eine. 
Man  spricht,  wann  gereift  das  Pärchen  sei, 
Soll  eine  von  beiden  werden  die  seine. 
Der    Cretine    ist   ein    Gespräch  zwischen    einem  Hirten, 
einem  vermeintlichen  Cretinen  und  einer  Hirtin,  seiner  Geliebten, 
welche  er  aber  überzeugt,  dass  er  es  nicht  ist.     Er  sagt: 
Ob  Jemand  als  Cretin  geboren, 
Das  sieht  man  leicht  an  seinen  Ohren. 
Gross  ist  das  ein',  und  ihm  gepaart 
Ein  rundes,  und  das  ganz  behaart. 


Proben  baskischer   Dichtkunst.  11 

Sie  wird  dadurch  zufriedengestellt,  indem  sie  antwortet: 

Dann  bist  du  keiner,  deine  beiden 

Sind,  mein'  ich,  nicht  zu  unterscheiden. 

Ich  sag'  es  gleich  dem  Vater  an, 

Und  andern  Sinnes  wird  er  dann. 
Hier  noch  einige  Liebeslieder. 

Die   Geliebte. 

Ich  seh'  die  Theure  Die  Eiche,  die  man 
Wol  nimmermehr.  Gefällt  allhier, 

Ist  sie  ein  Sternlein  Die  arme  wähl'  ich 
Im  Himmelsheer?  Zum  Bilde  mir. 

Dann  wünscht'  ich,  dass  ich  Bald  bin  ich  völlig 
Ein  Stern  auch  war.  Vergleichbar  ihr. 

Doch  ihr,  der  Theuern 

Geliebten  mein, 
Ihr  soll,  es  hegt  sie 

Mein  Herzensschrein, 
Mein  letzter  Seufzer 

Gewidmet  sein. 

Klage   und  Weigerung. 

Kein  Stern  am  trüben  Himmel  lacht, 
Es  regnet,  dunkel  ist  die  Nacht ; 
Doch  regn'  es,  dunkl'  es  noch  so  sehr, 
Mit  froher  Hoffnung  komm'  ich  her. 

Du  bist  mein  Stern,  bist  Du  zu  Haus'? 
O  schau  zum  Fensterlein  hinaus! 
Ich  steh  schon  lang'  und  warte  hier, 
Wie  gerne  plaudert'  ich  mit  Dir! 

„Hinausschaun?  Nein  das,  geht  nicht  an, 
Nachrede,  schlimme,  gab'  es  dann. 
Du  bist  wie  Alle,  dünkt'  es  mich, 
Und  kein  Vertraun  setz'  ich  in  Dich." 

Vertrau  mir,  holde  Schöne  Du, 

Ich  füge  Dir  nichts  Uebles  zu. 

Lass  rühren  Dich!  Wüsst'  ich  nur  wie! 

Ich  falle  vor  Dir  auf  die  Knie. 

„Nein  nicht  um  Alles  in  der  Welt! 
Fall  draussen  hin,   wenn's  Dir  gefällt. 


12  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

Du  wirst  nicht  beugen  meinen  Sinn, 
Drum  geh  zu  einer  Andern  hin. 


Abendbesuch. 

Die  Wachtel  schlug  im  Weizenfeld  im  Julius  und  August; 
Als  ich  von  Dir  zurückgekehrt,  vernahm  den  Schlag  ich  just. 
Nun  fenstr'  ich  hier,  die  Liebe  will's,  und  so  hab'  ich  gemusst. 

Der  Liebe,  die  es  redlich  meint,  fehlt  Gegenliebe  nicht, 
Und  nie,  ich  liebe  Dich  so  sehr,  thu'  ich  auf  Dich  Verzicht ; 
Nein,  nimmermehr,  ich  schwör   es  Dir,  bis  mir  das  Auge  bricht. 

Sieh,  wie  der  Vogel  seine  Brut  im  Loche  speist  am  Ast. 

All  junge  Bursche  haben  Fraun,  was  mir  auch,  dünkt  mich,  passt. 

Das  Alter,  liebe  Mutter,  hab'  ich  ja  zum  Freien  fast. 

Wie  lieblich  ist  das  Veilchen  doch  in  süsser  Frühlingszeit ! 
Dass  ich  zuletzt  mein  Liebchen  sah,  ist  eine  Ewigkeit. 
Her  musst'  ich,  sonst  fiel  ich  bei  ihr  ganz  in  Vergessenheit. 

„0  nicht  doch,  ich  vergass  Dich  nicht,  ich  denke  täglich  dran, 
Um  Dich  erlitt  ich  schon  so  viel  ein  Mädchen  leiden  kann, 
Und  feuchte  desshalb  immerfort  mein  Brot  mit  Thränen  an." 

Die  Nacht  ist  dunkel,  weit  der  Weg  und  stürmisch  weht  der  Wind, 
So  lass  mich  Dein  Gesicht  denn  sehn,  Du  liebes,  holdes  Kind, 
Und  lass  mich  ein  und  öffne  mir  das  Pförtchen  ganz  geschwind! 

Und  mag  die  Nacht  auch  dunkel  sein,  es  fehlt  an  Lichte  nicht, 
Gleich  einem  hellen  Sterne  glänzt,  mein  Liebchen,  Dein  Gesicht; 
Und  bin  ich  in  dem  Kämmerlein,  find'  ich  Dich  ohne  Licht. 

Der  Rosen  strauss. 

Im  Februar  schickt'  einen  Rosenstrauss 

Ich  einem  jungen  Herren  zum  Geschenke. 

Gepflanzt  hau'  er  den  Strauch  bei  mir  zu  Haus'; 
Ich  bat  ihn,  dass  er  mein  dabei  gedenke. 

Ich  glaubt'  ihm  zu  bereiten  Freud'  und  Glück, 
Der  Strauss  war  meiner  ja  nicht  mehr  als  seiner; 

Jedoch  er  wies  und  sandt'  ihn  mir  zurück, 

Und  schwur,  das  er  nicht  denken  wolle  meiner. 

Wolan,  Du  lieber  Strauss,  willkommen  sei! 
Ich  achte  Dich  als  Theil  von  meinem  Leben. 


Proben  baskische'r  Dichtkunst.  13 

Ich  schwöre  Dir,  dass  ich  mich  ganz  Dir  weih, 
Ich  will  den  Namen  jenes  Herrn  Dir  geben. 

Singt,  Schwestern,  immerhin  ein  frohes  Lied! 

Ich  aber  bin  betrübt,  betrübt  zum  Sterben. 
Und  jener  jungen  Herren  Freundschaft  flicht! 

Ich  that  es  nicht,  und  das  ist  mein  Verderben. 

Liebesabschied. 

Kraft  frischer  Jugend  schwing'  ich 
Mich  wie  die  Schwalbe  hin  und  her, 

Und  manche  Nacht  verbring'  ich 
Als  ob  ein  Tag  es  war', 

°' 

Bei  meinem  holden  Schatz. 

„Solch  wunderlich  Geplauder 

Muss  mir  fürwahr  gehässig  sein, 
Und  flösst  mir  minder  Schauder 

Als  Mitleid  mit  Dir  ein. 

°» 

Hinweg,  hinweg  mit  Dir!" 

Wie  kannst  Du  doch  ergrimmen! 

Denn  nur  aus  Lieb'  ereifr'  ich  mich. 
Weltmeere  zu  durchschwimmen 

Bin  ich  bereit  für  Dich. 
0, 

Denn  Du  bist  schön,  sehr  schön. 

„Und  wenn  ich  schön  auch  wäre, 
Doch  war'  ichs  nicht  für  Dich,  es  gibt 

Ja  Andre,  die  beehre, 

Und  werd'  in  sie  verliebt! 

Geh  hin  zu  ihnen,  geh!"  — 

Der  dieses  Lied  gesungen, 

Den  schmerzte  solch  ein  Abschied  nicht, 

Und  auf  sein  Pferd  geschwungen 
That  diesmal  er  Verzicht. 

o, 

Es  gibt  der  Mädchen  viel. 


Die  Liebeslieder  beschliesse  ein  Lied  auf  den  Ehestand. 


14  Probdn  baskischer  Dichtkunst. 

Eheleute,  wie  gefällt  euch  euer  Leben  ? 

Soll  auch  ich  dem  Ehestande  mich  ergeben, 

Oder  bleib  ich  lieber,  wie  ich  jetzo  bin  ? 
Wollt'  ich  eine  Schöne  nehmen, 
Müsst'  ich,  weil  sie  faul,  mich  schämen. 
Wählt'  ich  die  mit  rother  Nase, 
Eänd'  ich  sie  wol  stets  beim  Glase. 
Einer  Bleichen  sich  vermählen 
Heisst  sich  selbst  die  Bleichsucht  wählen. 

Eheleut',  ihr  habt  kein  neidenswerthes  Leben, 

Mich  bewahrt  vor  eurem  Loos  mein  frischer  Sinn. 

Den  Liebesliedern  gesellen  sich  die  Trinklieder.  Mit  dem 
Trank  ist  zwar  hauptsächlich  der  Wein  gemeint;  dennoch  haben 
die  Basken  ein  ziemlich  langes  von  zwölf  zehnzeiligen  Gebinden, 
in  welchem  Wein  und  Wasser  um  den  Vorrang  streiten.  Das 
Wasser  sagt  zum  Beispiel: 

Durch  mich  erfrischt  wird  Wies' und  Feld, 
Wenn  Dürre  sie  gefesselt  hält, 
Sei  es  durch  Thau  nach  Sonnenglut, 
Sei  es  durch  Regens  milde  Flut. 
Damit  nicht  bloss  Landkrämer  handeln, 
Lass  auf  dem  Meer  ich  Schiffe  wandeln. 
Und  o,  der  Täufling  harret  mein, 
Zum  Christenthum  führ'  ich  ihn  ein. 

Darauf  antwortet  der  Wein: 

Auch  hierin  steh'  ich  Dir  nicht  nach ; 
Denn  als  das  Brot  der  Heiland  brach, 
Da  fügt'  er  auch  den  Wein  hinzu. 
Der  heiige  Trank  bin  ich,  nicht  Du. 
Nicht  feiern  könnte  man  das  Mahl, 
Glänzt'  ich  nicht  itzt  noch  im  Pokal ; 
Und  noch  zuletzt,  wenn  nah  das  Ende, 
Sehnt  sich  der  Mensch  nach  meiner  Spende, 
Dass  fromm,  von  mir  die  Lippe  feucht, 
Zu  Gott  empor  die  Seele  fleucht. 

Gegen  den  Schluss  vergleicht  sich  das  Wasser  in  folgenden 
Worten  mit  dem  Wein: 

Du  bist  oft  nützlich,  oft  auch  schädlich, 
Ich  immer  nützlich,  immer  redlich, 


Proben  baskischer  Dichtkunst.  15 

loh  reize  nicht,  verführe  nicht, 

Der  Wahrheit  gleich'  ich  und  dem  Licht. 

Das  Lob  des  Weines  wird  in  folgendem  Liedchen  gesungen : 

Ein  Mann,  der  Wein  nicht  hat, 
Den  acht'  ich  lebenssatt. 
Nach  Wein  im  Todesleide 
Schrein  seine  Eingeweide. 
Doch  stärkt'  ihn  Weingenuss, 
Und  zwar  im  Ueberfluss, 
Wer  er  auch  immer  sei, 
Er  gilt  mir  dann  für  zwei. 

Die  Liebe  zum  Weine  und  die  Trunkenheit  scheint  übrigens 
bei  den  Basken  zu  Hause  zu  sein,  und  nicht  blos  bei  dem 
männlichen,  sondern  auch  bei  dem  weiblichen  Geschlechte,  und 
fast  in  noch  höherem  Grade ,  denn  die  Sammlung  bietet  nur 
ein  Lied  betitelt:  der  Trunkenbold,  aber  zwei  auf  Trinkerinnen, 
und  schon  in  dem  früher  mitgetheilten  Liede  „Nationalfest" 
erschienen  die  Frauen  zwar  als  Tänzerinnen,  aber  zugleich  als 
Schlemmeiinnen.  Hier  ist  das  kleinere,  obgleich  das  grössere 
noch  komischer,  und  freilich  auch  derber  ist. 

Im  Dorfe  gibt  es  der  Mädchen  vier, 

Die  gehen  gern  in's  Wirthshaus  hier, 

Wo  jüngst  ich  des  Abends  sie  sämmtlich  fand, 

Ein  Glas  mit  Wein  gefüllt  in  der  Hand. 

„O  lieber,  köstlicher  Trank!"  so  rief 
Die  Erste  — „schon  sitzt  mir  die  Mütze  schief." 
Die  Zweite  sprach:  „Was  kümmert  Dich  das? 
Ich  wollt'  ich  ertränk'  in  dem  Glas,  in  dem  Fass!" 

Die  Dritte  sprach:  „Gebt  auf  euch  Acht, 
Sonst  werden  wir  von  den  Menschen  verlacht." 
Die  Vierte  sprach  zur  Wirthin:  „Schenk'  ein! 
Wer  denkt  an  Andres  jetzt  als  an  Wein?" 

Ich  gebe  aus  meinen  Uebersetzungen  nun  noch  eine  Reihe 
von  Gedichten  sehr  verschiedenen  Inhalts.  Die  beiden  ersten 
zeigen  uns  die  Basken  von  zwei  entgegengesetzten  Seiten,  als 
ruhige  und  zufriedene  Ackersleute  und  Dorfbewohner,  die  sich 
mit  den  Städtern  fast  im  Tone  des  Matthias  Claudius  vergleichen, 
und  als  verwegene  Schmuggler,  in  deren   Liede  die  erste    Zeile 


IG  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

an  den  Gesang  von  Altabiscar  erinnert.  Ein  drittes  Gedicht 
bezeugt  den  Widerstand  der  Basken  wegen  der  ihnen  einge- 
räumten Vorrechte,  der  sogenannten  Fueros,  gegen  die  Spanier 
als  ein  mit  ihnen  nicht  zu  vermischendes  Volk,  und  ihren  An- 
schluss  an  die  Franzosen,  und  ist  daher  mit  dem  „Napoleon  und 
Harispe"  betitelten  zu  vergleichen.  Dann  folgen  drei  kleine 
Gedichte.  Den  Schluss  machen  drei  ernste,  ein  Klagelied  um 
den  Tod  einer  Mutter,  einige  Zeilen  auf  den  Sonntag  und  auf 
Christi  Leiden  und  Sterben. 

Der  Ackersmann. 

Glück  und  Heil  dem  Ackersmann! 

Jhm  verdanken  wir  das  Leben; 
Denn  er  strengt  sich  täglich  an, 

Dass  die  Felder  Korn  uns  geben. 

Seiner  Amme  pfleget  sich 

Gern  der  Säugling  zuzuneigen. 
Ackersmann  ernähret  Dich, 

Dankbar  musst  Du  ihm  Dich  zeigen. 

Aber  ihm,  der  stets  sich  müht, 

Und  der  Allen  dient  zum  Heile, 
Ob  es  kalt,  ist,  ob  es  glüht, 

Ihm  wird  Undank  oft  zu  Theile. 

Städter  deckt  sich  Abends  zu, 

Und  verschläft  sogar  den  Morgen ; 

Ackersmann  hat  wenig  Ruh, 

Früh  und  spät  hat  er  zu  sorgen. 

Kümmert  Zeitenwechsel  ihn? 

Nein,  denn  wachsen  die  Geschäfte, 
Sind  ihm  Kräfte  doch  verliehn, 

Und  er  schont  nicht  seine  Kräfte. 

Deinethalb  gibt  er  sich  Preis, 

Städter,  lässt  vom  Sturm  sich  beizen; 

Er  begnüget  sich  mit  Mais, 

Und  Dir  bringet  er  den  Weizen. 

"Was  ein  König  einst  versprach, 
Wird's  ihn  Sonntags  nie  erlaben  ? 

Ja,  er  muss  dann  —  sprecht  es  nach  !  — 
Auch  sein  Huhn  im  Topfe  haben. 


Proben  baskischer  Dichtkunst.  17 

Der   Schmuggler. 

In  Uhart,  Arneguy,  Altabiscar 
Nehm'  ich  die  Nacht  heut  meine  Zeit  wohl  wahr, 
Trotz  Mauthnern  hoff  ich  mich  schon  durchzufechten, 
Wenn  sie  zur  Linken  gehn,  geh'  ich  zur  Rechten. 

Die  Mutter  spricht:  „Du  bist  dem  Frosche  gleich, 
Den  sein  Gequak  verräth  im  Wasserreich. 
Dem  Gemsbock  ist  das  stille  Springen  eigen, 
Der  Bär  pflegt  stumm  den  Schafen  sich  zu  zeigen." 

Wenn  ein  Geweih  am  Kopf  dem  Gemsbock  ward, 
So  dunkelt  auf  dem  Kinne  mir  der  Bart ; 
Der  Bär  ist  stumm,  die  Hirten  nicht  zu  Avecken, 
Mich  soll  ein  Ruf  den  Zöllnern  nicht  entdecken. 

Das  Wild  verführt  man  oft  durch  List  und  Trug; 
So  thun  wir  Mauthnern  auch  mit  Recht  und  Fug. 
Wir  machen  schwer  es  ihnen,  uns   zu  treffen, 
Und  kennen  alle  Pfad',  um  sie  zu  äffen. 

Die  Gems  liebt  Höhn,  der  Maulwurf  liebt  die  Kluft, 
Der  Fisch  das  Wasser,  und  der  Aar  die  Luft. 
Als  Fisch,  Aar,  Maulwurf,  Gems  soll  man  mich  kennen, 
Man  soll  mich  Rockelaure  bald,  bald  Mina  nennen. 

Es  dunkelt.     Horch,  die  Eul'  im  Walde  klagt! 
Ich  geh,  und  Du  sei,  Mutter,  unverzagt! 
Hätt'  Acker  mir  und  Wiese  Gott  gegeben, 
Dem  Landbau  weiht'  ich  gerne  dann  mein  Leben. 

Die  in  der  Ebne  haben  gute  Zeit, 
Wir  oben  mit  den  Zöllnern  ewgen  Streit. 
Der  Berg  trägt  wenig  oder  keine  Aehren, 
Schleichhandel  muss  uns  Bergbewohner  nähren. 

Ade  und  gute  Nacht,  lieb  Mutter  Du, 
Und  auch  dem  Vater  wünsch'  ich  sanfte  Ruh. 
Ich  habe  Mut.  Thät  Noth  es,  zeigen  würd'  ich, 
Dass  ich  ein  Spross  bin,  edler  Abkunft  würdig. 

Spottlied. 

Lebour  und  Soul  und  Kleinnavarra,  alle 
Zusammen  lasst  uns  gehn  mit  Kriegesschalle 
Zum  Marktplatz  in  Madrid  in  Rang  und  Reih, 
Und  singt:  „Franzosen  stehn  die  Wege  frei. 

Archiv  f.  n.   Sprachen.     XXVIII.  2 


Proben   baskischer  Dichtkunst. 

Ihr  Feinde,  tanzt,  wir  singen  euch  ein  Liedel, 
Der  Franzmann  spielt  den  Tanz  auf  seiner  Fiedel, 
Die  Bomb'  ist  Pauk',  Karthaun  die  Flöte  wohl, 
Die  Spanier  führen  auf  die  Carmagnole. 

Die  Spanier  werden  wie  in  alten  Tngen 
Mit  den  Franzosen  schwerlich  sich  vertragen. 
Das  dauert  wol  im  Himmel  selbst  noch  fort, 
Franzos'  und  Spanier  schlagen  sich  auch  dort." 

Ein  Priester  Sanct  Johann's  liess  diess  erklingen, 
Und  durch  ganz  Baskenland  mag  man  es  singen 
Dem  Frankenherrscher  und  uns  selbst  zum  Glimpf, 
Jedoch  den  Spaniern  zu  .Spott  und  Schimpf! 

Die  Mitgift. 

Mein  Vater  gab  mir  eine  schöne  Mitgift, 

Ja  Mitgift,  Mitgift,  Mitgift! 
Die  bunte  Kuh,  bubu, 

Gluckhenn'  und  Küchlein,  glugluglu, 
Und  einen  grossen  Sack  und  Zwiebeln  drin. 

Ach,  wo,  wo  ist  sie  nun,  die  schöne  Mitgift? 

Ja  Mitgift,  Mitgift,  Mitgift! 

Ein  Wolf  zerriss  die  Kuh, 

Der  Fuchs  die  Hühner  glugluglu, 
Die  Zwiebeln  faulten,  Alles  ist  dahin. 

Unglück   und  Glück. 

Ein  Unglück  war  es  zwar,  es  sei! 

Doch  mein  ich,  war  ein  Glück  dabei. 

Ein  Bär  biss  eine  reiche  Maid, 

Die  reichste  Erbin  weit  und  breit. 

Er  biss  und  zauste  sie,  indessen 

Aus  Achtung  hat  er  sie  nicht  aufgefressen. 

Die   armen  Reisenden. 

Geld,  wenn  wir  das  hätten, 

Ja,  Geld! 
Gern  ward'  uns  da  betten 

Die  Welt. 
Der  Beutel  zur  Stunde 

Ist  leer, 
Kein  Bissen  im  Munde, 


Proben  baskischer   Dichtkunst.  19 

Kein  Tröpfchen  im  Schlünde. 
Woher  ? 

Wirthsmadchen,  Du  liebes, 

Versteh 
Mitleidigen  Triebes 

Solch  Weh! 
0  fülle  den  Becher 

Mit  Wein, 
Lass  gütig  die  Zecher, 
Uns  müdeste  Schacher, 

Hinein ! 

Klase  um  den  Tod  der  Mutter. 

Die  Glocke  von  A-ussurucq 

Wehklagt,  als  ob  sie  weine. 
Ach,  unsre  theure  Mutter  starb 

Beim  ersten  Morgenscheine. 

Augustsachtzehnter  Tag  ist  heut, 

Tag  voll  von  Kümmernissen: 
Da  ward  die  liebe  Mutter  uns 

Um  drei  Uhr  früh  entrissen. 

Im  heissen  Sommermond  August 

Vertrocknen  oft  die  Quellen; 
Doch  unsrer  Augen  Quelle  wird 

Von  ewgen  Thränen  schwellen. 

August,  Du  böser,  schlimmer  Mond, 

Dein  Strahl  ist  pestentglommen. 
Du  hast  die  Herzensmutter  uns 

Durch  Deine  Glut  genommen. 

Ein  früher  Tod,  ein  traurger  Tod ! 

Du  bist,  o  helle  Sonne, 
Nicht  minder  oftmals  Mörderin 

Als  unsre  Freud'  und  Wonne. 

Wenn  Gute  reisen,  regnet  es, 

Hier  regnet  es  schon  lange. 
Fleht  Gott  an,  dass  das  Mütterlein 

Er  mild  und  hold  empfange. 

Jetzt  thut  der  Himmel  hell  sich  auf, 
Ich  seh  die  Engel  schweben. 

2* 


20  Proben  baskischer  Dichtkunst. 

Jetzt  steigt  ein  Engel  himmelwäts, 
Indess  wir  jammernd  leben. 

Michel  vergleicht  den  Schluss  mit  einigen  Versen  in  der  2. 

Canzone  der  vita  nuova: 

Ich  hob  die  Augen,  die  in  Thränen  schwammen, 
Und  sah,  dem  Regen  gleich  von  süssem  Manna, 
Die  Engel  schweben  zu  des  Himmels  Auen. 

Der  Sonntag. 

Am  Sonntag  ist  zu  prüfen  unsre  Pflicht, 
Wie  oft  wir  in  der  Woche  überschritten 
Den  Willen  Gottes,  und,  wenn  rein  wir  nicht 
Uns  fühlen,  um  Vergebung  ihn  zu  bitten, 
Die  Seele  reinigend  gleichwie  den  Leib. 

Christi  Leiden   und  Sterben. 

Betrachten  wir  die  heiige  Passion ! 
Blutrünstig  sehn  am  Holz  wir  aufgehangen, 
Durchlöchert  Hand'  und  Füsse,  Gottes   Sohn. 
Wer  könnt'  ihn  anschaun  ohne  schmerzlich  Bangen. 

Man  kreuzigt',  einem  Missethäter  gleich, 
Inmitten  zweier  Schacher  ihn  zum  Hohne. 
Wie  starrt  sein  Blick,  wie  ist  die  Wange  bleich, 
Die  Stirn  umrankt  von  einer  Dornenkrone ! 

Und  als  den  theuren  Sohn  die  Mutter  sah, 
Sein  brechend  Auge,  seine  Schmerzgeberde, 
O  welch  ein  Schwert  durchfuhr  die  Brust  ihr  da, 
Um  ihn,  den  guten  Hirten   seiner  Heerde. 

K.  L.  Kannegiesser. 


Ueber  Amadis  von  Gallien 

und 
die   bedeutendsten   Ritterromane   der   Spanier. 


Die  hervorragendsten  Gelehrten  aller  Nationen  haben  die 
unerreichbaren  Schönheiten  des  Meisterwerkes  zu  würdigen  ge- 
wusst,  welches  Don  Miguel  de  Cervantes  Saavedra  in  seinem 
Don  Quijote  der  Welt  gegeben  hat.  Sie  nennen  den  edlen 
Spanier  einen  der  ausgezeichnetsten  Schriftsteller  seines  Jahr- 
hunderts, und  sein  Buch  eins  der  kostbarsten  und  reichsten  in 
Bezug  auf  Reinheit  der  Sprache,  Philosophie  und  Wissen. 
Ihrem  Urtheile  zufolge  wäre  es  das  Werk  eines  tiefen  Denkers, 
eines  unvergleichlichen  Redners,  eines  scharfsinnigen  Geschicht- 
schreibers und  erfahrenen  Politikers;  geschrieben  von  einem 
Kenner  und  Beobachter  des  menschlichen  Herzens  und  semer 
Zeit;  von  einem  Gelehrten,  bewandert  in  einheimischen  und 
fremden  Literaturen:  überhaupt  von  einem  Manne,  der  die  um- 
fassendsten Kenntnisse  aller  Wissenschaften  in  sich  vereinigte 
und   mit    diesen   den    grössten   Zauber  der  Darstellung  verband. 

So  wurde  denn  der  Name  Cervantes  in  beiden  Hemisphären 
ein  gepriesenes  Gemeingut  der  Nationen,  und  sein  Werk,  die 
grossartigste  Erscheinung  der  modernen  Literaturen,  mannigfach 
schon  seit  Jahren  in  alle  gebildeten  Sprachen  übersetzt,  be- 
geisterte Dichter  und  Dichterlinge  zu  zahlreichen  Nachahmungen, 
Fortsetzungen  und  misslungenen  Versuchen,  die  Geschichte  des 
Ritters  Don  Quijote  dramatisch  zu  behandeln.  Diese  Unsterb- 
lichkeit errang  sich  der  geniale  Cervantes  —  fast  möchten  wir 
sagen  —  indem  er  durch  den  Mund  eines  Narren  und  eines 
Tölpels  redete.  — 


22  Ueber  Amadis  von  Gallien 

Mcht  wenige  Kritiker  haben  die  „Thaten  des  sinnreichen 
Junkers  Don  Quijote"  ein  episches  Gedicht  genannt.  Und  in 
der  That,  sie  sind  der  getreue  Spiegel  einer  Epoche  mit  allen 
ihren  Ansichten,  Meinungen  und  Sitten,  mit  allen  ihren  Be- 
strebungen und  Gefühlen,  und  geben  uns  gleichzeitig  ein  un- 
erreichtes Bild  von  dem  ewigen  Kampfe  zwischen  der  Idee  und 
der  Materie,  zwischen  dem  geistigen  und  dem  physischen  Leben, 
zwischen  dem  Idealen  und  Positiven.  Don  Quijote  also  ver- 
anschaulicht uns  das  Ringen  der  menschlichen  Phantasie  mit 
der  unbesiegbaren  Trägheit  der  Dinge.  Sancho  Pansa  erscheint 
als  das  Symbol  des  Realen ;  für  ihn  sind  die  sonderbaren  Unter- 
nehmungen und  glänzenden  Tugenden  seines  Gebieters  uner- 
forschliche,  unbegreifliche  Mysterien.  Hieraus  entsteht  natürlich 
der  beständige  Gegensatz  zwischen  dem  Ernst  und  der  Würde 
des  Ritters  und  der  bäurischen  Rohheit  und  Possenhaftigkeit 
des  Knappen.  Daher  stammt  der  bewunderungswürdige  Con- 
trast  zwischen  der  Heiterkeit,  welche  das  Gewebe  der  Erlebnisse 
und  Abenteuer  hervorruft,  und  der  Strenge  in  der  Haltung  der 
Charaktere.  In  der  Person  des  Ritters  sehen  wir  die  fort- 
währende Thätigkeit  des  Heldenmuthes  und  die  unaufhörlichen 
Täuschungen  der  Tugend:  erhabene  Eigenschaften,  die  uns  in 
der  Geschichte  des  Menschengeschlechts  entgegen  treten,  Lieb- 
lingsobjecte  der  Dichtkunst,  welche  den  Cultus  der  edelsten 
Gefühle  zum  Ziele  hat.  Gegenüber  gestellt  dem  materiellen 
Leben,  dem  vergänglichen  Staube,  aus  dem  wir  bestehen,  muss 
dieser  Heroismus,  dieser  erhabene  Ideengang,  diese  wahrhaft 
adelige  Denkungsweise  im  Gegensatze  zu  der  prosaischen  Wirk- 
lichkeit, welche  erstickend  und  vernichtend  auf  jene  einwirkt, 
nothwendig  einen  unermesslichen  Schatz  von  Lächerlichem  dar- 
bieten, weil  der,  welcher  allenthalben  edle  Gesinnungen  und 
wahrhaft  ritterlichen  Heldenmuth  zu  finden  glaubt,  sich  bei 
jedem  Schritte  auf  das  Beklagenswertheste  getäuscht  sieht. 

So  geschieht  dem  sinnreichen  Junker  Don  Quijote.  Alle 
die  Jämmerlichkeiten  des  Lebens,  alle  die  Täuschungen  der 
Welt,  alle  Unfälle  seiner  Ritterlauf  bahn ,  die  er  ohne  den  ge- 
hofFten  Erfolg  betreten  hat,  jeden  Augenblick  misshandelt  und 
verhöhnt,  sind  ebenso  viele  Quellen  grotesker  Situationen  — 
welche  aber  bei   uns   neben  dem  Lachen  die  Thräne  der  Weh- 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  23 

muth  hervorlocken  —  in  dem  Gewände  der  Jovialität,  in  welches 
sich  Cenvantes  hüllt,  um  die  Bitterkeit  seines  Herzens  mit  der 
unnachsichtigen  Hartnäckigkeit  des  Heldenmuthes  zu  bedecken, 
welcher  vergebens  der  Verwirklichung  jener  Ideen  nacheilt,  die 
ihn  begeistern  und  zu  dem  höchsten  Fluge  hinreissen.  —  Dieses 
ist  die  Grundidee  des  Buches,  eine  zermalmende  Idee,  obgleich 
sie  uns  im  Gewände  des  Demokrit  und  unter  der  Maske  des 
Momus  vorgeführt  wird. 


Der  Ritter  Don  Quijote  nahm  sich  vor,  in  seinen  ritterlichen 
Fahrten  und  Abenteuern  besonders  dem  Amadis  von  Gallien 
nachzueifern.*)  So  äussert  er  sich  gegen  seinen  getreuen 
Schildknappen:  „Wenn  ein  Maler  in  seiner  Kunst  berühmt 
werden  will,  so  nimmt  er  sich  die  Originale  der  besten  Meister 
zu  Mustern  seiner  Nachahmung.  Amadis  war  der  erste,  vor- 
nehmste und  einzige  Ritter,  ja  die  Krone  von  Allen,  welche  zu 
seiner  Zeit  die  Welt  durchzogen.  Er  war  der  Nordstern,  Leucht- 
thurm  und  die  Sonne  aller  tapfern  und  verliebten  Ritter,  dem 
wir  Alle,  die  wir  unter  dem  Panier  der  Liebe  und  Ritterschaft 
streiten,  billig  nachahmen.  Da  dieses  nun  ausgemacht  ist,  so 
muss  auch  derjenige  fahrende  Ritter,  der  ihm  am  meisten  nach- 
ahmt, der  Vollkommenheit  in  seinem  Stande  am  nächsten 
kommen,  u.  s.  w."  (Siehe  Don  Quijote  I,  25).  Der  edle  Man- 
chaner  wählte  sich  dieses  Vorbild  also,  weil  er  in  ihm  alles 
vereinigt  fand ,  was  einem  vollendeten  Ritter  Noth  that ;  denn 
vor  allen  Andern  bewahrte  Amadis  der  Dame  seines  Herzens 
die  treuste,  unwandelbarste  Liebe;  er  war  ferner  edlen  und  leicht 
bewegten  Gemüthes,  von  lebhaftem  Ehrgefühle,  und  allgemein 
als  der  tapferste  und  berühmteste  Ritter  angesehen.  Dieser  dem 
Amadis  von  Gallien  eingeräumte  Vorzug  vor  der  übrigen  Menge 
der  fahrenden  Ritter  veranlasst  uns ,  den  Verehrern  des  Don 
Quijote  einen  kurzen  Abriss  der  Geschichte  dieses  Helden  und 
seines  Buches  zu  bieten.  Zugleich  werden  wir  der  vorzüglichsten 
Ritterromane  gedenken,  welche  nach  dem  Erscheinen  des  Amadis 


*)  Der  gelehrte  Spanier  Pellicer  nennt  den  Don  Quijote  einen  wahren 
Amadis  von  Gallien  im  burlesken  Style. 


24  Ueber  Amadis  von  Gallien 

in  Spanien  dem  eifrigen  Publikum  in  so  grosser  Anzahl  geboten 
wurden.  — 

Unter  sämmtlichen  Ritterromanen  macht  keiner  dem  Amadis 
von  Gallien  den  ersten  Rang  streitig.  Cervantes  selbst  sagt 
bei  Gelegenheit  des  Gerichtes,  welches  der  Priester  und  der 
Barbier  über  die  Bibliothek  des  Don  Quijote  halten,  dass  die 
vier  Bücher  des  Amadis  von  Gallien  der  erste  Ritterroman  ge- 
wesen, der  in  Spanien  gedruckt  sei,  und  dass  alle  übrigen  nur 
Nachahmungen  wären.  Daher  entschlossen  sich  die  beiden 
Richter  trotz  ihrer  Strenge,  ihm  das  Leben  zu  lassen;  hüteten 
ihn  daher  vor  den  Händen  der  eifrigen  Haushälterin,  welche  ihn 
sehr  bereitwillig  durchs  Fenster  in  den  Hof  auf  den  Scheiter- 
haufen befördern  wollten;  denn  „er  sei  das  beste  aller  Bücher 
dieser  Gattung  und  einzig  in  seiner  Art." 

Dieser  berühmte  Roman  ist  —  ein  Beweis  seines  Werthes 
—  vielfach  bestrittenen  Herkommens,  und  sowohl  über  die  Zeit 
seines  Entstehens  herrschen  Zweifel  als  wie  über  die  Nation, 
welche  ihn  den  Ihrigen  zu  nennen  berechtigt  ist.  Blühender 
Styl  machte  dieses  Buch  nicht  weniger  anziehend,  als  der  ehren- 
werthe  tapfere  Degen,  der  Rächer  verfolgter  Unschuld,  welcher 
ihm  den  Namen  gab,  und  die  unmöglichen,  durch  die  An- 
schauungsweise des  Zeitalters  bedingten,  abenteuerlichen  Situa- 
tionen, aus  denen  er  sich  durch  die  wunderbarsten  Mittel  zu 
befreien  verstand:  obgleich  Amadis  in  diesem  Punkte  doch  nur 
sehr  wenig  im -Vergleich  zu  andern  Ritterromanen  bieten  kann.*) 
Dieser  Hauptketzer,  wie  Cervantes  das  Buch  nennt,  soll  im  14. 
Jahrhundert  das  Licht  der  Welt  erblickt  haben.  Die  Nieder- 
länder betrachten  ihn  als  ihr  Eigenthum ,  und  behaupten,  dass 
ihn  ein  gewisser  Acuerdo  de  Oliva,  und  zwar  möglichst  will- 
kürlich, in  das  Spanische  übersetzt  habe.  Nach  dieser  Ueber- 
setzung  soll  die  erste  französische  entworfen  sein,  welche  bald 
in  alle  Schichten  der  Bevölkerung  drang,  und  in  der  Bücher- 
sammlung des  Königs  Heinrich  III.  zwischen  Aristoteles  und 
Plato  aufbewahrt  wurde.  Lope  de  Vega  nennt  eine  portugiesische 
Dame  als  Verfasserin,  und  andere  Autoritäten  stimmen  für  den 

*)  Ein  unerschöpflicher  Strom  der  Einbildungskraft  zeigt  sich  auch  in 
den  Ritterromanen  der  Araber,  unter  denen  sich  „Antar"  durch  Kunst  und 
Interesse  auszeichnet. 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  25 

Bischof  Alonso  de  Cartagena,  und  für  den  Historiographen 
Lopez  de  Ayala  (f  1407).  Doch  dürfte  seine  Entstehung*) 
nicht  in  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  fallen,  weil  weder 
Dante  noch  Petrarka  ihn  zu  kennen  scheinen,  wenigstens  seiner 
bei  ihrem  Verdainmungsurtheile  über  die  Kitterbühne  nicht 
gedenken. 

Die  Franzosen  reclamiren  den  Amadis  als  Werk  ihres 
Genies  und  stützen  sich  hauptsächlich  auf  die  Auctorität  des 
Grafen  Tressan,  welcher  einen  Troubadour  aus  der  Zeit  des 
Königs  Philipp- August  als  Verfasser  annimmt.  Der  Spanier 
Montalban  zwar  führt  dieses  Buch  als  den  ersten  Ritterroman 
in  Spanien  ein,  erklärt  jedoch  in  der  ältesten  Ausgabe,  die  sich 
erhalten  hat  —  und  zwar  vorn  Jahre  1521**)  —  ausdrücklich, 
dass  er  ihn  nur  reformirt  habe.  Wenn  die  Spanier  in  diesem 
berühmten  Werke  eine  getreue  Schilderung  spanischer  Sitten 
und  Gebräuche  zu  erkennen  glauben,  so  dient  ihnen  dieser 
Umstand  als  Beweis,  dass  nicht  ein  Franzose  oder  Niederländer 
der  Verfasser  sein  konnte,  hebt  aber  die  nachgerade  unbestritten 
anerkannten  Rechte  der  stammverwandten  Portugiesen  durchaus 
nicht  auf.  In  der  That  betrachtet  man  den  Portugiesen  Vasco 
de  Lobeyra  als  den  Vater  dieses  berühmten  Buches,  dessen 
schnelle  Verbreitung,  schaale  Nachahmungen  und  Fortsetzungen 
von  zum  Theil  unbekannten  Händen  bald  eine  Reihe  der  ab- 
geschmacktesten Ritterromane  hervorriefen,  deren  gänzliche  Aus- 
artung sie  im  Laufe  der  Zeit  um  allen  Credit  brachte,  sodass 
von  der  Kanzel  und  von  dem  Katheder  herab  gegen  sie  —  frei- 
lich erfolglos  —  geeifert  wurde,***)  bis  endlich  Cervantes  durch 
seinen  Don  Quijote  der  ganzen  Sippschaft  den  Gnadenstoss  gab. 
Sie  verschwanden  von  dem  Schauplatze,  den  sie  so  lange  wider- 
rechtlich occupirt  hatten,  und  sind  jetzt  in  den  Büchersammlungen 


*)  Auffallend  genug  wird  auch  die  heil.  Therese  von  Jesus  für  die  Ver- 
fasserin des  Amadis  gehalten ;  freilich  nur,  weil  sich  diese  Heilige  —  zufolge 
der  bestimmtesten  Erklärung  ihres  Beichtvaters  —  von  dem  Zeitgeiste  hin- 
gerissen fühlte  und  einen  unheiligen  Ritterroman  geschrieben   hat. 

**)  Andere  Ausgaben  sind:  Mit  Bildern,  Sevilla  1526,  1552;  Salamanka 
1575. 

***)  Gegner  der  Ritterromane :  Juan  Luis  Vives,  Mejia,  Caro,  Alejo 
Venegas  u.  A. 


26  Ueber  Amadis  von  Gallien 

eine  Augenweide  der  Bibliomanen.  Jedoch  hat  sich  unter  diesem 
Haufen  der  berühmte  Stammvater  Amadis  von  Gallien  bis  auf 
den  heutigen  Tag  in  der  Gunst  des  Publikums  erhalten,  wie  er 
es  nicht  minder  als  das  Product  einer  schöpferischen  Phantasie, 
denn  als  die  würdigste  Reminiszenz  an  die  vergangene  Herr- 
lichkeit des  Ritterthumes  verdiente,  nach  dessen  Verfall  er  ohne 
Zweifel  erst  geschrieben  wurde.  Der  Held  tritt  uns ,  zumal  in 
den  sittlichen  Beziehungen,  als  eine  edle  Erscheinung  entgegen, 
weit  erhaben  über  die  Masse  seiner  Nachkommen  und  Nach- 
ahmer, welche  sich  z.  B.  durchaus  nicht  wie  platonische  Lieb- 
haber geberden ,  und  dem  keuschen  Don  Quijote  sicher  nicht 
als  Vorbild  bei  seinem  uneigennützigen  Seufzen  nach  Dulcineas 
Reizen  dienen  konnten. 

Vasco  de  Lobeyra  starb  1403  in  Oporto,  und  die  Original- 
handschrift seines  Amadis  soll  der  herrschenden  Ansicht  zufolge 
bei  dem  Erdbeben  in  Lissabon  1755  verloren  gegangen  sein; 
zuletzt  war  sie  im  Besitze  des  Herzogs  von  Aveiro.  Unter  den 
Amadisromanen,  deren  bis  zu  vierzehn,  nach  anderer  Berechnung 
vierundzwanzig  Bücher  aufgezählt  werden,  umfassen  die  vier 
ersten  das  Leben  des  Amadis  von  Gallien.*)  Sie  sind  uns  in 
der  spanischen  Uebersetzung  oder  Bearbeitung  von  dem  schon 
angeführten  Garci  Ordonez  de  Montalban  erhalten  und  bis  zum 
Jahre  1505  im  Drucke  erschienen.  Dieser  fügte  zugleich  ein 
fünftes  Buch  „Thaten  des  Esplandian,  des  Sohnes  des  Amadis 
von  Gallien"  hinzu,  und  zwar  um  das  Jahr  1492.  Der  zahl- 
reichen Fortsetzungen  und  Nachahmungen  der  Spanier,  welche 
die  grosse  Begeisterung  für  diese  Art  Leetüre  beweisen,  ge- 
denken wir  später  und  erwähnen  jetzt  erst  die  Bemühungen 
anderer  Nationen,  unter  denen  sich  die  Franzosen  durch  eine 
Fortsetzung  bis  zu  24  .Büchern  hervorthaten,  welche  neun  Auf- 
lagen erlebten.  Nicolas  d'Herberay  gab  1540  —  48  die  erste 
Sammlung  von  acht  Büchern  heraus.  Wie  sehr  man  dieses 
Phantasiegebilde  schätzte ,  lehrt  der  Umstand,  dass  man  es  für 
die  passendste  Leetüre  zur  Ausbildung  junger  Edelleute  erklärte 
und  zu  diesem  Zwecke  einen  sehr  selten  gewordenen  compen- 
diösen  Auszug   entwarf,    welcher   die  Quintessenz    aller    Schön- 

*)  Nur   diese  werden   gerettet;   alle   andern  Amadisromane  werden  dem 
Scheiterhaufen  überantwortet. 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  27 

heiten  des  Romans  enthielt  und  im  Jahre  1582  in  Lyon  ver- 
öffentlicht wurde.  Gilbert  Saunier  schrieb  einen  „Roman  des 
romans"  aller  im  ganzen  Sagenkreise  vollbrachter:  Abenteuer, 
und  zwar  in  sieben  starken  Bänden.  Die  Dame  de  Lubert  gab 
im  18.  Jahrhundert  eine  zeitgemässe  Auswahl  aus  sämm trieben 
Amadisen,  und  zur  Zeit  Ludwig  XVI.  verfasste  der  Graf  Tressan 
einen  geistreich  modernisirten  Auszug  in  zwei  Bänden  1779; 
neu  aufo-elest  1787.  Wie  einst  Bernardo  Tasso  in  seinem 
„Amadigi"  die  Abenteuer  des  Amadis  dichterisch  behandelte 
oder  nachahmte  (von  1545  —  1559),  so  lieferte  Creuze  de  Lesser 
im  Jahre  1813  das  epische  Gedicht  „Amadis'  de  Gaule,  poeme 
faisant  suite  aux  Chevaliers  de  la  table  ronde."  Früher  schon, 
und  zwar  im  Jahre  1803,  schrieb  der  Engländer  William  Stewart 
Rose  ein  Epos  „Amadis  de  Gaul,  a  poem   in    three  books."   — 

Ohne  der  englischen,  italienischen,  holländischen  Ueber- 
setzungen  und  wiederholten  Auflagen  des  Ganzen  oder  der  ein- 
zelnen Theile  zu  gedenken ,  führen  wir  an ,  dass  Amadis  kurz 
vor  1569  nach  Deutschland  gebracht  und  bis  zum  Jahre  1570 
von  dem  Buchhändler  Feierabend  in  deutscher  Sprache  heraus- 
gegeben wurde.  Eine  andere  Ausgabe  einer  deutschen  Ueber- 
setzung  ist  vom  Jahre  1583,  und  eine  spätere  umfasst  24  Octav- 
bände.  Im  Laufe  der  Zeit  hat  sich  diese  Sammlung  bis  auf 
30  Theile  erweitert.  Die  letzte  Ehre  bei  uns  —  es  wäre  denn, 
dass  er  sich  durch  den  spätem  Wielandschen  Namensvetter 
„der  neue  Amadis"  geehrt  fühlte  —  widerfuhr  dem  ritterlichen 
Amadis  durch  die  Händeische  Oper  gleiches  Namens,  1715. 

Die  grosse  Schwärmerei  der  Spanier  für  die  Ritterromane 
im  Allgemeinen  und  für  Amadis  von  Gallien  im  Besondern 
veranlasste  zwei  Versuche,  den  gepriesenen  Ritter  auf  die  Bühne 
zu  bringen.  So  schrieb  1532  der  Portugiese  Gil  Vicente  (f  1557) 
in  spanischer  Sprache  ein  Auto  über  das  Liebesverhältniss  des 
Amadis  und  der  unvergleichlichen  Oriana.*)  Ferner  dichtete 
Micer  Andres   Rey   de   Artieda   (f   1613)   im    Jahre    1581   eine 


*)  Dieses  Werk  wurde  indessen  1559  von  der  Inquisition  auf  den  Index 
der  verbotenen  Bücher  gesetzt,  und  ist  uns  nur  noch  in  einer  Gesammt- 
ausgabe  der  Werke  des  Dichters  vom  Jahre  15C2  erhalten,  welche  in  Lissabon 
veranstaltet  wurde. 


28  Ueber  Amadis  von  Gallien 

Komödie  „Amadis  von  Gallien,"  die  uns  aber  gleich  den  übrigen 
dramatischen  Werken  dieses  Dichters  nicht  aufbewahrt  ist. 

Also  ein  halbes  Jahrtausend  hindurch  hat  dieser  Ritterroman 
eine  Beachtung  gefunden,  welche  das  sprechendste  Zeugniss  für 
seinen  "VVerth  ablegt.  Er  ist,  wie  schon  erwähnt,  nicht  das 
erste  Buch  seiner  Art  gewesen,  welches  Rittergeschichten  be- 
handelt und  veröffentlicht  hat;  er  war  das  erste  und  zugleich 
beste  dieser  Gattung  in  Spanien,  und  ist  durch  den  Don  Quijote 
für  ewige  Zeiten  einem  unverdienten  Vergessenwerden  entrissen, 
welchem  so  häufig  das  Beste  anheim  fällt.  —  Wir  beginnen 
jetzt  den  kurzen  Abriss  seines  Inhalts. 

Liswarte,  ein  Bruder  des  grossbritannischen  Königs  Falangris, 
befand  sich  am  Hofe  des  Königs  von  Dänemark,  mit  dessen 
Tochter  Brisena  er  vermählt  war,  als  sein  Bruder,  der  König 
von  Grossbritannien,  plötzlich  das  Zeitliche  segnete.  Zu  dessen 
Nachfolger  ausersehen,  schiffte  er  sich  mit  seiner  Gattin  und 
seinen  Töchtern  Leonoreta  und  Oriana  zur  Heimkehr  ein ;  stattete 
jedoch,  bevor  er  in  seine  neuen  Staaten  zog,  dem  Könige  von 
Schottland,  Languines,  einen  Besuch  ab.  Ein  Aufruhr  in  Gross- 
britannien erheischte  indessen  unbedingt  seine  Gegenwart  daselbst, 
weshalb  er  sich  eilig  zur  Abreise  entschloss ,  nachdem  er  der 
Sorgfalt  der  Königin  von  Schottland  seine  Tochter  Oriana,  eine 
Prinzessin  in  der  Blüthe  der  Jugend  und  Schönheit,  empfohlen 
hatte.  Die  Königin  glaubte  diesem  Wunsche  auf  das  Beste  zu 
entsprechen,  wenn  sie  den  Junker  del  Mar,  einen  an  ihrem  Hofe 
in  allen  ritterlichen  Künsten  erzogenen  Jüngling,  zum  Beschützer 
der  jungen  Dame  ernannte.  Der  Junker  war  beinahe  gleichen 
Alters  mit  der  seinem  Schutze  Anvertrauten,  und  das  Herz  der 
Prinzessin  entbrannte  alsbald  in  leidenschaftlicher  Liebe  für  den 
Jüngling;  dieser  nicht  weniger  war  bald  sterblich  in  die  unver- 
gleichliche Oriana  verliebt  und  fühlte  sich  durch  diese  Gluth 
zu  den  grössten  Heldenthaten  angefeuert.  Unter  andern  warf 
er  sich  einst  bei  Gelegenheit  einer  Waldpartie  unerschrocken 
auf  einen  Löwen,  der  im  Begriffe  war,  die  Prinzessin  zu  ver- 
schlingen ,  und  erschlug  die  Bestie.  Diese  ausgezeichnete 
Dienstleistung,  das  Ergebniss  der  heissen  Liebe,  fachte  dieselbe 
nur  noch  mehr  an,  während  gerechte  Dankbarkeit  das  Feuer  in 
Oriana's    Busen    mehr    und    mehr    schürte.      Ein    anderes    Mal 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  29 

wurde  die  Königin,  Oriana  und  deren  Gefolge  von  einem  der 
ungeschlachtesten  Riesen  nebst  vier  anderen  Unholden  ver- 
rätherisch  überfallen.  Der  Junker  ergriff  mit  Freuden  diese 
Gelegenheit,  neue  Beweise  seiner  Tapferkeit  zu  geben,  be- 
kämpfte alle  jene  Unholde,  und  tödtete  den  Riesen  und  dessen 
Gesellen.  Zum  zweiten  Male  verdankte  ihm  Oriana  das  Leben, 
ja  noch  mehr  als  das  Leben;  denn  jenes  Ungeheuer  war  ein 
wilder  Korsar  von  einer  zwischen  Grossbritannien  und  Irland 
gelegenen  Insel,  welche  ihm  gehörte.  Dahin  wollte  er  die  Prin- 
zessin Oriana  mit  ihren  Gefährtinnen  bringen,  um  sie  mit  noch 
andern  hundert  Jungfrauen  in  einem  Harem  zu  vereinigen,  den 
er  sich  zur  Erholung  hielt. 

Oriana  und  die  Uebrigen  kehrten  nach  diesem  schrecklichen 
Abenteuer  dann  erst  und  zwar  in  Begleitung  des  tapferen  Be- 
freiers nach  der  Stadt  zurück,  als  sich  der  Tag  schon  zu  Ende 
neigte.  Plötzlich  sehen  sie  in  einiger  Entfernung  hunderte  von 
brennenden  Fackeln  (Don  Quijote  I,  19),  die  ihnen  entgegen 
kommen,  und  eine  anmuthige,  höfliche  Jungfrau,  welche  sich 
naht,  um  die  Königin  nebst  Fräulein  Oriana  einzuladen:  „sie 
möchte  es  sich  bis  zum  folgenden  Tage  in  dem  nicht  weit  ent- 
fernten Schlosse  gefallen  lassen,  woselbst  ihrer  auch  die  Zauberin 
Urganda*)  harre. "  Um  die  Zögernden  zur  Annahme  der  Ein- 
ladung zu  bewegen,  setzte  die  Jungfrau  hinzu,  dass  sie  nichts 
zu  befürchten  hätten,  indem  einer  der  berühmtesten  und  tapfersten 
Könige  über  ihre  Sicherheit  wachen  würde.  Kaum  hatte  sie 
dieses  gesagt,  als  der  König  selbst,  nämlich  Perion,  Beherrscher 
der  Gallier  und  zugleich  Verwandter  der  Königin  von  Schott- 
land, herankommt  und  die  Damen  nach  der  Behausung  der 
Zauberin  geleitet. 

Während  die  hohe  Gesellschaft  die  von  unzähligen  Kerzen 
erleuchteten  Prachtgemächer  des  Schlosses  bewunderte,  standen 
Oriana  und  der  Junker  del  Mar  einander  gegenüber,  ohne  dass 
die  Ueberschwenglichkeit  ihrer  Gefühle  eine  Unterredung,  ja 
kaum  einen  verstohlenen  Blick  zuliess.  Schliesslich  brach  der 
Junker  das  Schweigen;   aber  nur  um  die  Prinzessin  zu  bitten, 


*)  Urganda  die  Versteckte  oder  Heimliche  fungirt  in   dem  Romane  als 
der  unverdrossene  gute  Genius  oder  Schutzengel  der  ganzen  Familie. 


30  Ueber  Amadis  von  Gallien 

dass  sie  seine  Fürsprecherin  beim  Könige  sein  möge,  damit 
dieser  ihm  den  Ritterschlag  ertheile ;  weil  es  ihm  dann  erst  er- 
laubt wäre,  die  Welt  zu  durchziehen  und  die  schwierigsten  und 
gewagtesten  Abenteuer  zu  bestehen.     (I,  3,  20.) 

Unterdessen  naht  Urganda,  um  ihre  Gäste  zu  bewillkommnen ; 
ebenso  der  anderweitig  benachrichtigte  König  von  Schottland. 
Die  beiden  Könige  sowohl  als  Urganda  vernahmen  die  Helden- 
thaten  des  Junkers  mit  Theilnahme  und  spendeten  seiner  Tapfer- 
keit die  verdienten  Lobsprüche.  Diesen  günstigen  Augenblick 
benutzte  Oriana,  um  von  dem  König  Perion  die  Ertheilung  des 
Ritterschlages  zu  erbitten.  Der  König  gewährt  diese  Bitte  und 
erfüllt  sie  sogleich.  Nach  Beendigung  der  üblichen  Ceremonie 
bereitete  sich  Perion  zur  Abreise  vor.  Denn  er  war  nur  in  der 
Absicht  nach  Schottland  gekommen,  den  König,  seinen  Schwager, 
um  Beistand  gegen  den  Avilden  Abies,  König  Irlands  und  der 
Orkaden,  zu  bitten,  welcher  mit  einer  Horde  Barbaren  seine 
Staaten  überschwemmt  hatte.  Dieser  Beistand  wurde  ihm  zu- 
gesichert, und  der  neue  Ritter,  angestachelt  durch  Liebe  und 
Ehrsucht,  wünschte  dem  Könige  zu  folgen.  Zuvor  nahm  er 
das  kostbare  Schwerdt,  welches  ihm  der  schottische  Edelmann 
Gandales,  sein  Erzieher  seit  der  frühsten  Jugend,  gegeben  hatte, 
und  andere  werthvolle  Sachen  in  einem  Kästchen  zu  sich. 
Unter  diesen  war  ein  äusserst  kostbarer  Ring  und  eine  Kugel 
von  Wachs.  Fräulein  Oriana  empfing  diese  Kugel  als  Andenken 
von  ihrem  Ritter,  und  der  Junker  del  Mar  trat  in  Begleitung 
seines  Knappen  Gandalin  die  Reise  an.  Gandalin  war  der  Sohn 
des  edlen  Gandales,  mit  ihm  erzogen,  ja  sogar  sein  Milchbruder 
und  nicht  weniger  begierig,  die  Welt  nach  Abenteuern  zu  durch- 
streifen, als  der  Junker  selbst. 

Dem  König  Perion  nachfolgend  begegnete  der  junge  Ritter 
auf  seinem  Wege  bald  einer  ehrbaren  Dame  und  einer  Jungfrau. 
Die  erstere,  Avelche  ihm  eine  Lanze  reichte  mit  der  Bemerkung, 
dass  er  mit  dieser  Waffe  das  Königshaus,  von  dem  er  abstamme, 
von  einem  sichern  Untergange  retten  würde,  war  die  Zauberin 
Urganda:  sie  entschwand  sogleich  wieder  seinen  Blicken.  Die 
Jungfrau  dagegen  war  aus  Dänemark  und  in  Diensten  der 
Königin  von  Grossbritannien,  an  deren  Hof  sie  im  Begriff  war 
zurückzukehren.    Jedoch  erklärte  sie  dem  Ritter,  dass  sie  vorher 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  31 

einige  Tage  bei  ihm  verweilen  werde,  um  zu  sehen,  wie  er  sich 
der  magischen  Lanze  zu  bedienen  wisse.  Den  ersten  Gebrauch 
davon  machte  er,  um  den  König  Perion  zu  befreien,  welcher 
durch  Nachstellungen  einiger  Unholde  in  der  allergrössten 
Lebensgefahr  schwebte.  Die  Uebelthäter  wurden  alle  mit  der 
Lanze  durchbohrt  oder  mit  dem  Schwerdte  in  Stücke  gehauen. 
Der  König  voller  Dankbarkeit  umarmte  seinen  jugendlichen  Be- 
freier und  konnte  nun  ungehindert  die  Reise  in  seine  Staaten 
fortsetzen,  während  der  Junker,  begierig  nach  neuen  Abenteuern, 
einen  andern  Weg  als  König  Perion  wählte.  Die  dänische 
Jungfrau,  Augenzeuge  des  Vorgefallenen  und  zufrieden  mit  des 
Helden  Tapferkeit,  nahm  Abschied  von  ihm  und  begab  sich  an 
den  schottischen  Königshof,  wo  sie  die  gewaltigen  Abenteuer 
des  Junkers  erzählte  und  dadurch  das  Herz  der  unvergleichlichen 
Oriana  nicht  wenig  erfreute.  Weil  diese  Prinzessin  bald  zu 
ihrem  Vater  reisen  musste  und  es  dann  nicht  leicht  war,  Nach- 
richten von  ihrem  Ritter  zu  bekommen,  entschloss  sie  sich,  die 
dänische  Jungfrau  zu  ihrer  Vertrauten  zu  machen.  Als  solcher 
theilte  sie  ihr  desshalb  ein  wichtiges  Geheimniss  mit,  nämlich, 
dass  sie  in  der  Wachskugel,  welche  ihr  der  Junker  hinterlassen, 
ein  Papier  gefunden  habe,  auf  dem  sein  eigentlicher  Name  ge- 
schrieben stände,  mit  dem  Zusätze,  dass  er  der  Sohn  eines 
Königs  sei.  Zugleich  bat  sie  die  Jungfrau,  sich  in  ihrem  Namen 
mit  diesen  Kennzeichen  zum  Junker  zu  begeben,  um  über  die 
Beständigkeit  seiner  Zuneigung  Gewissheit  zu  erhalten. 

Als  für  Oriana  die  Zeit  der  Abreise  nach  Grossbritannien 
gekommen  war,  holte  sie  die  Zauberin  Urganda  in  einem  pracht- 
vollen Schiffe  ab  und  setzte  die  liebende  Prinzessin  während 
der  Ueberfahrt  von  den  näheren  Umständen  der  Geburt  des 
Junkers  in  Kenntniss.  Er  verdankte  sein  Dasein  demselben 
Könige  Perion,  welcher  ihm  den  Ritterschlag  ertheilte  ohne  ihn 
zu  kennen,  und  dem  er  das  Leben  gerettet  hatte.  Urganda 
setzte  hinzu,  dass  sich  Perion  in  seiner  Jugend,  da  er  aus- 
gezogen, um  Ruhm  und  Ehre  zu  suchen,  einst  in  Folge  gewisser 
Ereignisse  im  Schlosse  des  Grafen  von  Salandria  aufgehalten 
und  mit  dessen  Tochter  im  Geheimen  einen  Sohn  erzeugt  habe, 
welcher  den  Namen  Florestan  erhielt.  Nachher  habe  sich  Perion 
nach  Kleinbritannien  begeben  und  daselbst  Guirlanda  undElisenda, 


30  Ueber  Amadis  von  Gallien 

die  Töchter  des  Königs  Garinter,  gesehen.  Sterblich  verliebt 
in  Elisenda  vermählte  er  sich  mit  ihr,  während  einzig  die  Zofe 
der  Prinzessin  um  das  Geheimniss  wusste.  Aus  dieser  Ver- 
einigung entspross  ein  Sohn,  der  heimlich  geboren  wurde,  und 
Elisenda,  um  ihre  Ehre  vor  der  Welt  zu  retten,  übergab  das 
Knäblein  in  einer  Wiege  von  Cedernholz  dem  Meere.  Neben 
das  Kind  legte  sie  Perion's  Ring  und  Schwerdt,  welche  er  bei 
seiner  Abreise  hinterlassen  hatte,  so  wie  eine  Wachskugel,  in 
welcher  sich  der  Name  des  Kindes  und  der  Stand  des  Vaters 
auf  einem  Zettel  geschrieben  befand.  Später  verheirathete  sich 
Elisenda  öffentlich  mit  Perion  und  herrschte  mit  ihm  über  die 
Gallier.  Beide  aber,  setzte  die  Zauberin  hinzu,  beweinen  noch 
immer  den  Verlust  des  ersten  Pfandes  ihrer  Liebe.  Zufällig 
an  dem  Tage,  wo  das  Kind  ausgesetzt  wurde,  fuhr  Urganda 
fort,  erging  sich  ein  schottischer  Ritter  Namens  Gandales  an 
dem  Ufer  des  Meeres  und  erblickte  die  Wiege.  Sogleich  liess 
er  sie  auffischen  und  in  sein  Haus  bringen,  und  nannte  den 
Knaben  —  durch  den  Namen  auf  den  Ort  anspielend,  wo  die 
Wiege  gefunden  war  —  Junker  del  Mar  (vom  Meere).  Der 
Rest  der  Geschichte,  welche  beim  Einlaufen  des  Schiffes  in  den 
Hafen  von  Windilisora  beendet  wurde ,  war  der  Prinzessin 
Oriana  schon  bekannt. 

Unterdessen  bestand  der  Junker  noch  mancherlei  Abenteuer, 
deren  Aufzählung  zu  weit  führen  würde,  und  schiffte  sich  endlich 
mit  dem  schottischen  Prinzen  Agrages  ein,  welcher  die  von 
Languines  dem  König  Perion  zu  Hülfe  gesandten  Truppen  be- 
fehligte und  mit  dem  Junker  einen  Freundschaftsbund  geschlossen 
hatte.  Sie  landeten  wohlbehalten  in  der  Normandie  und  gelangten 
bald  zu  der  Stadt  Baldam,  in  welcher  sich  Perion  nach  dem 
Verluste  verschiedener  Schlachten  vom  Feinde  eingeschlossen 
sah  und  deshalb  die  Ankunft  der  beiden  Ritter  mit  der  grössten 
Freude  begrüsste.  Der  wilde  Abies  vereinigte  seine  Irländer 
und  zog  vor  die  Stadt,  um  sie  zu  erstürmen.  Perion,  der  Prinz 
von  Schottland  und  der  Junker  del  Mar  bereiteten  sich  zu  einem 
Ausfalle  vor,  um  den  Feind  zurück  zu  drängen;  fielen  jedoch 
in  einen  Hinterhalt.  Der  Junker  traf  bei  dieser  Gelegenheit 
auf  den  wilden  Abies  und  forderte  ihn  zu  einem  Zweikampfe 
auf,    der  auch  angenommen  wurde  und   die  Niederlage  und  den 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  33 

Tod  des  Irenkönigs  nach  einem  langen,  wüthenden  und  niemals 
gesehnen  Kampfe  zur  Folge  hatte. 

Indem   nun    der   Sieger    im    Triumphe    zur    Stadt    geführt 
wurde  und  der  König  von  Gallien  unumwunden  nur  ihm    seine 
und  seines    Reiches  Erhaltung    zuschrieb,    langte    die   Jungfrau 
von    Dänemark   an,    die  Vertraute   der   Prinzessin  Oriana,    um 
den   ihr   gegebenen  Auftrag  zu   erfüllen.     Hierdurch  erfuhr  der 
Junker  seinen  Namen  und    seine  königliche  Abstammung;    aber 
noch    wusste  er  nicht,    welchen  König  er  Väter  nennen    durfte. 
An  demselben  Tage  fügte  es  der  Zufall,  dass  das  Herrscherpaar 
von  Gallien  den  Ring  bemerkte,  welchen  der  Junker  am  Finger 
trug.     Da  die   Gatten   den  Zusammenhang  zu   ahnen   begannen, 
verfügten  sie  sich  Nachts  in  das  Schlafgemach  des  jungen  Helden, 
den    sie   in   tiefem    Schlummer   fanden.     Der  König   nahm   das 
Schwerdt,  welches  zu  Häupten  des  Schlafenden  lag,  und  erkannte 
es  als  dasselbe,  welches  er  einst  bei  der  erzwungenen  Entfernung 
von    Elisenda    dieser    hinterlassen   hatte;    und    dieses    Schwerdt 
nebst  dem  Ringe  waren  Zeichen,  welche  kaum  noch  einen  Zweifel 
aufkommen   Hessen.     Die    Ausbrüche   des   Entzückens    weckten 
den  Junker,    aus    dessen  Munde  sie  nun  erfuhren,    wie  er  erst 
heute  Kunde  erhalten  habe,    dass    er  nicht   der  Sohn  des  edlen 
Gandales,  seines  Erziehers,  6ei,  wie  er  bisjetzt  geglaubt,  sondern, 
obgleich  ein  Königssohn,    doch   nur  ein  unglücklicher  Jüngling, 
den  jener  schottische  Ritter  gefunden  habe,  in  einer  Wiege  von 
Cedernholz    der    Willkür   des    Meeres    überliefert.      Nun    waren 
alle   Zweifel  beseitigt.      Elisenda    und    Perion    erkannten    ihren 
Sohn,  und  dieser  führte  von  dem  Tage  an  den  Namen  „Amadis 
von  Gallien."     Ebenso  wurde    er   auch  „Ritter  mit  dem  grünen 
Schwerdte"  ganannt  (I,  19),    und   zumal   in  Deutschland   kennt 
man  ihn  nur  unter  diesem  Namen.    Die  Schwerdtscheide,  welche 
diesen  Beinamen  veranlasste,  bestand  aus  dem  grünen  Knochen 
eines  sehr  seltenen  Fisches,  und  war  so  dünn  und  durchsichtig, 
dass     die    Klinge    durchschien.     (I,    18.)    Der    Zauber    dieses 
Schwerdtes  bestand  darin,   dass    es   nicht  aus   der   Scheide  ge- 
zogen   werden   konnte.      Amadis    indessen   vermochte    dieses   in 
einem  Waffenspiele,    das   zu  Ehren  der  Prinzessin  Oriana,   der 
Gebieterin  seines  Herzens,  veranstaltet  wurde.     Er  führte  noch 
andere  Namen,  z.  B.  „Ritter  vom  Löwen,"  „Ritter  vom  Zwerge" 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  3 


34  Ueber  Amadis  von  Gallien 

u.  s.   w.,    die   er   nach   Brauch   der   fahrenden   Ritter   von    ver- 
schiedenen Abenteuern  angenommen  hatte.     (I,  19;  II,  17.) 

Wenige  Tage  waren  verflossen  seit  dem  Ritter  diese  Ent- 
hüllungen über  das  Geheimniss  seiner  Geburt  gemacht  wurden, 
als  er  zu  der  unvergleichlichen  Oriana  zurückzukehren  beschloss. 
Dem  Könige,  seinem  Vater,  gegenüber  versteckte  er  indessen 
diese  Sehnsucht  hinter  dem  Vorwande,  dass  er  die  Welt  durch- 
ziehen wolle,  um  Ruhm  und  Ehre  in  neuen  Wagstücken  zu 
suchen.  Trotz  seiner  väterlichen  Zärtlichkeit  konnte  Perion  solch 
edlen  Vorsätzen  nicht  hindernd  entgegentreten,  und  Amadis, 
wie  wir  in  seiner  Geschichte  lesen,  „schickte  sich  an,  nach 
Abenteuern  auszuziehen,  damit  er  die  verlorene  Zeit  wieder 
einholen  könnte,  welche  er  schon  zur  grössten  Schmälerung 
seiner  Ehre  müssig  verlebt  hatte."  (II,  53,  57.)  Sobald  Amadis 
wieder  in  Grossbritannien  angekommen  ist,  besteht  er  Abenteuer 
über  Abenteuer,  ohne  Unterbrechung. 

Der  König  Perion  und  die  Königin  Elisenda  hatten  nach 
ihrer  Thronbesteigung  noch  einen  andern  Sohn  gezeugt,  den  sie 
Galaor  nannten;  aber  er  wurde  von  einem  Riesen  geraubt,  wenn 
auch  diesmal  in  einer  löblichen  Absicht,  um  ihn  nämlich  der 
Zauberin  Urganda  (I,  43)  der  Versteckten  zu  überliefern,  welche 
über  das  Geschick  der  beiden  Brüder  wachte  und  dem  jüngsten 
eine  ihren  Absichten  entsprechende  Erziehung  geben  wollte. 
Sie  war  es  denn  auch,  die  ihn  zum  Amadis  führte,  damit  er 
von  diesem  zum  Ritter  geschlagen  würde. 

Die  innige  Liebe  des  Ritters  und  der  Prinzessin  Oriana 
wurde  auf  lange  und  harte  Proben  gestellt  und  hatte  die  ver- 
schiedenartigsten Hindernisse  zu  überwinden.  Nicht  minder 
setzte  sich  Amadis  durch  das  Interesse,  welches  er  an  seinem 
Bruder  nahm,  grossen  Gefahren  aus;  denn  die  Charaktere  der 
Brüder  waren  durchaus  verschieden.  Gleich  an  Schönheit  und, 
wenn  man  will,  an  Tapferkeit,  waren  ihre  Herzen  auch  gleich- 
massig  für  Liebe  empfänglich.  Aber  Amadis  hatte  ein  Herz 
nur  für  Eine:  die  unvergleichliche  Oriana  war  ihm  alles.  (I, 
16,  30,  43;  II,  44,  58,  59,  70,  72.)  Galaor  hingegen  räumte 
der  ganzen  weiblichen  Welt  Rechte  über  sein  Herz  ein,  und 
man  konnte  von  ihm  sagen,  dass  er  zu  jedem  Frauenzimmer, 
welches  er  nur  sah,   auch   in  Liebe  erglühte.     Alle  Thaten  des 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  35 

Ritter  Amadis  waren  im  vollsten  Sinne  des  Wortes  ritterlich. 
Er  weihte  den  Frauen  seine  Dienste,  indem  er  sie  der  Ge- 
fangenschaft bei  Kiesen,  die  sie  geraubt  hatten,  entriss,  und  aus 
den  Händen  unritterlicher  Ritter,  welche  sie  bedrückten,  befreite. 
(I,  8,  9,  14,  35,  52.)  Er  stand  den  Waisen  bei,  nahm  sich 
der  Wittwen  an  und  suchte  nach  Kräften  jedem  Unrecht  zu 
steuern,  keinen  andern -Zweck  im  Auge  habend,  als  nur  den 
Pflichten  des  strengen  Ritterordens  zu  genügen.  (I,  4,  18,  22, 
31,  52;  II,  12,  22,  44,  56.)  Galaor  hingegen  unterliess  nicht, 
inmitten  seiner  tapfern  Thaten  den  Lohn  für  das,  was  er  ge- 
than,  gleich  hinzunehmen  und  in  allen  möglichen  Genüssen, 
welche  die  Gelegenheit  bot,  zu  schwelgen.  Da  er  weniger  vor- 
sichtig  und  wachsam  war  als  sein  Bruder,  fiel  er  in  alle  ihm 
gelegte  Schlingen,  aus  denen  ihn  immer  Amadis  befreien  musste. 
Amadis  war  zu  gleicher  Zeit  das  Muster  einer  stets  bewährten 
Liebe,  der  reinsten  Freundschaft  und  brüderlichen  Zuneigung. 
(I,  25.) 

Die  Zauberin  Urganda  wachte  über  Beiden  und  leitete 
mittelst  tausend  Zwischenhandlungen  und  höchst  gefährlichen 
Abenteuern  die  so  ersehnte  Vereinigung  des  Ritters  mit  der 
Prinzessin  Oriana  ein.  Die  Liebenden  waren  schon  durch  die 
Ueberzeugung  und  Gewissheit  gegenseitiger  Zuneigung  glücklich, 
und  in  ihren  geheimsten  Gesprächen  stand  der  gegenseitigen 
Liebe  eine  gleiche  Enthaltsamkeit  nicht  nach.  Eines  Tages 
aber  entsandte  der  Zauberer  Archelor,  ein  Feind  der  Prinzessin 
Oriana  und  ihres  Vaters  Liswarte,  einige  Unholde,  welche  Oriana 
raubten.  Amadis  setzte  ihnen  nach,  holte  sie  in  einem  Walde 
ein,  stürzte  sich  wie  ein  Blitz  auf  sie  und  rettete  abermals  die 
Herrin  und  Gebieterin  seines  Herzens.  Dankbarkeit,  Liebe  und 
Wonne,  sich  nach  solchen  Gefahren  glücklich  wieder  vereint  zu 
sehen;  die  Nacht,  die  Einsamkeit,  der  Wald:  alles  vereinigte 
sich,  um  das  Herz  Oriana's  zu  bewegen  und  die  Schüchternheit 
des  Ritter  Amadis  zum  ersten  Male  zu  überwinden.  .  .  Doch 
breiten  wir  einen  Schleier  über  dieses  Bild  und  eilen  an  den 
Hof  in  Windilisora,  wohin  Amadis  bald  nachher  seine  Gebieterin 
geleitete,  in  der  Hoffnung,  sein  Glück  durch  Vermählung  mit 
der   angebeteten    Oriana   für   immer    sichern   zu  können.     Aber 

3* 


36  Ueber  Amadis  von  Gallien 

tausendfach  traten  Hindernisse,  besonders  verzehrende  Eifersucht, 
diesem  Plane  entgegen. 

Die  schöne  und  jugendliche  Briolanja  nämlich  erflehte  die 
Hülfe  des  tapfern  Amadis,  um  den  Tod  ihres  königlichen  Vaters 
zu  rächen,  der  von  einem  elenden  Usurpator  ermordet  war.  (I, 
29,  37.)  Die  strengen  Bestimmungen  des  liitterordens  und  die 
eigene  Hochherzigkeit  befahlen  dem  Ritter  Amadis,  jener  er- 
lauchten Prinzessin  Beistand  zu  leisten  und  dieses  Abenteuer 
zu  unternehmen.  (I,  29.)  Hierdurch  und  durch  andere  Um- 
stände glaubte  Oriana  überzeugt  sein  zu  müssen,  dass  Briolanja 
das  Herz  ihres  Ritters  gefesselt  habe.  Sich  deshalb  den  grössten 
Ausbrüchen  der  Eifersucht  überlassend,  schrieb  sie  ihm  einen 
Brief  voll  der  heftigsten  Klagen  über  seine  vermeintliche  Treu- 
losigkeit und  befahl  ihm,  nie  wieder  vor  ihr  zu  erscheinen. 
Der  Anfang  des  Briefes,  den  sie  durch  den  Junker  Burin  ab- 
sandte, lautete:  „Ich  bin  die  Jungfrau  mit  der  Spitze  des 
Schwerdtes  im  Herzen  getroffen,  und  Ihr  seid  es,  der  mich  traf." 
Diese  Epistel  langte  bei  dem  Ritter  Amadis  an,  als  er  gerade 
die  Eroberung  der  festen  Insel  beendet  hatte  und  die  Einwohner 
von  Sobradisa  sich  anschickten,  den  tapfersten  und  edelsten 
Ritter  zu  krönen,  dessen  Heldenanstrengungen  es  gelungen  war, 
die  Prinzessin  Briolanja  wieder  auf  den  bestrittenen  Thron  zu 
setzen.  Amadis  empfing  den  Brief,  las  ihn  und  gab  sich  der 
wildesten  Verzweiflung  hin,  indem  er  ein  starkes  Geschrei  er- 
hob und  reichlich  Thränen  vergoss.  (I,  25.)  Da  er  hinfort 
auf  Abenteuer  verzichtete,  nahm  er  beim  Einbruch  der  Nacht 
Abschied  von  seinem  Schildknappen  Gandalin,  den  er  zu  seinem 
Bedauern  mit  nur  geringen  Gnadenbezeugungen  belohnen  konnte: 
er  Hess  ihn  als  Statthalter  der  festen  Insel  zurück.  (I,  10,  50; 
II,  3,  4,  32,  44,  45,  49.)  Amadis  selbst,  ohne  Begleitung  und 
unbewaffnet,  verliess  die  feste  Insel  und  zog  sich  in  ein  Gebirge 
zurück,  um  daselbst  Busse  zu  thun  unter  Anleitung  eines  Ein- 
siedlers Andalod,  dessen  Klause  sieben  Meilen  von  der  Küste 
mitten  im  Meere  in  einem  steilen  und  schmalen  Felsen  an- 
gebracht war.  (I,  25,26.)  Diese  Klippe  hiess  der  Armuthsfelsen. 
Der  desperate  Amadis  ersuchte  den  Klausner,  ihm  einen  andern 
Namen  zu  geben,  weil  er  nicht  erkannt  sein  wollte;  und  in  Er- 
wägung  seines   schönen   Aeussern  und   seiner   Seelenschmerzen 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  37 

nannte  ihn  der  Einsiedler  Dunkelschön,  welches  die  Schönheit 
des  Körpers  und  die  traurige,  melancholische  und  trübe  Stim- 
mung des  Gernüthes  andeuten  sollte.  Die  Bussübungen  des 
Ritters  bestanden  darin,  dass  er  bei  der  Vesper  zugegen  war, 
dem  Eremiten  beichtete,  die  Messe  hörte,  Bussgebete  hersagte 
und  andere  fromme  Uebüngen  machte.  (I,  26.)  Vor  allem  aber 
kasteite  er  sich  mit  Seufzen,  Schluchzen  und  heissen  Thränen- 
strömen  (I,  29) ,  hoffend  durch  solche  Bussen  bei  seiner  Ge- 
bieterin Oriana  wieder  zu  Gnaden  aufgenommen  zu  werden. 
Ausserdem  verfasste  der  büssende  Ritter  unter  seinen  Thränen- 
güssen  noch  verschiedene  Gesänge,  die  er  selbst  anstimmte  und 
klagend  sang.    (I,  26;  II,  46,  68.) 

Nachdem  sich  Fräulein  Oriana  von  der  Grundlosigkeit  ihrer 
Eifersucht  überzeugt  hatte,  sandte  sie  durch  die  Jungfrau  von 
Dänemark  einen  zweiten  Brief,  welcher  den  Ritter  bewog,  die 
Klause  zu  verlassen  und  sich  auf  das  Schloss  Miraflores  bei 
London  zu  begeben.  (I,  27,  31.)  Hier  angelangt  hatte  er  Ge- 
legenheit, den  König  des  Landes  wieder  auf  seinen  Thron  zu 
setzen.  Amadis  befand  sich  dabei  in  der  allerschwierigsten 
Lage,  in  welcher  jemals  ein  fahrender  Ritter  gewesen  ist;  denn 
er  unternahm  den  ungleichen  Kampf  mit  Cildadano,  dem  Könige 
von  Irland,  und  mit  einer  Schaar  von  Riesenraufbolden,  Avelche 
er  alle  besiegte  und  über  die  Klinge  springen  liess. 

Glorreich  waren  ebenso  die  andern  Abenteuer,  die  er  wäh- 
rend seines  Aufenthaltes  am  Hofe  des  Königs  Liswarte  glücklich 
bestand,  bis  dieser  hintergangen  von  neidischen  Höflingen  den 
Ritter  veranlasste,  die  reizende  Wohnung,  das  Schloss  Miraflores, 
zu  verlassen.  Amadis  zog  nun  nach  dem  Oriente,  um  neue 
Abenteuer  zu  suchen.  Wollten  wir  uns  auf  die  Erzählung  aller 
seiner  Thaten,  die  er  in  jenen  Ländern  ruhmvoll  ausführte,  ein- 
lassen, so  würden  wir  niemals  fertig  werden.  Wir  erwähnen 
deshalb  nur  seiner  Ankunft  in  Constantinopel,  wo  er  seinen  Ruf 
als  tapferster  und  höflichster  Ritter  von  neuem  bewährte.  In 
Micenas  wurde  er  von  Seiten  der  wunderschönen  Prinzessin 
Grasinda  mit  der  grössten  Auszeichnung  empfangen.  Dieser 
Königstochter  hatte  sich  übrigens  eine  höchst  sonderbare  Idee 
bemächtigt.  Da  sie  nämlich  die  Schönheit  der  Damen  am 
englischen  Hofe  vielfach  rühmen  gehört,  ersuchte  sie  den  Ritter 


38  Ueber  Amadis  von  Gallien 

Amadis,  sie  mit  sich  nach  London  zu  nehmen  und  dem  ganzen 
Hofe  gegenüber  zu  erklären,  dass  es  dort  keine  schönere  Jung- 
frau o-äbe,  als  die  Prinzessin  Grasinda.  Natürlich  sollte  er  in 
Folge  dieser  Behauptung  Alle  zum  Zweikampf  fordern,  welche 
anderer  Ansicht  wären  oder  sich  unterfingen,  die  Sache  in  Ab- 
rede zu  stellen.  (I,  4;  II,  64.)  Amadis  in  grosser  Verlegenheit 
wusste  kaum  was  er  ervviedern  sollte;  doch  alsbald  fiel  ihm  bei, 
dass  er  nur  behaupten  sollte,  Grasinda  sei  die  schönste  aller 
Jungfrauen,  und  nun  war  kein  Grund  vorhanden,  diese  Bitte 
abzuschlagen;  denn  er  wusste  zu  gut,  dass  seine  Oriana  nicht 
mehr  zu  diesen  gerechnet  werden  konnte.  Beide  begeben  sich 
also  auf  die  Reise  und  kamen  glücklich  vom  Oriente  her  in 
London  an,  woselbst  Amadis  seinem  Versprechen  gemäss  bei 
einem  grossen  Turniere  erschien,  und  zwar  unter  dem  Namen 
„der  griechische  Ritter."  In  diesem  Waffenspiele  überwand  er 
in  Gegenwart  des  ganzen  Hofes  alle  Ritter,  welche  zu  behaupten 
wagten,  dass  es  eine  schönere  Jungfrau  als  Grasinda  gäbe. 
Diese  empfing  denn  auch  schliesslich  in  Gegenwart  aller  Zu- 
schauer aus  den  Händen  des  griechischen  Ritters  die  der 
Schönsten  bestimmte  Krone. 

Die  Dame  Oriana  wurde  durch  diese  Niederlage  der  bri- 
tannischen Jungfrauen  wenig  compromittirt,  denn  sie  war  heim- 
lich eines  Knäbleins  genesen,  welches  im  Laufe  der  Zeit  unter 
dem  Namen  Esplandian  eine  grosse  Berühmtheit  erlangte. 

Mittlerweile  begehrte  der  Kaiser  von  Rom,  unbekannt  mit 
dem  Liebes verhältniss  des  Ritters  Amadis  und  der  Dame  Oriana, 
diese  zur  Gattin.  Liswarte,  der  ebenso  wenig  von  diesem  Ver- 
hältniss wusste,  bewilligte  ihm  die  Hand  der  Tochter,  und  es 
kam  eine  grosse  römische  Flotte,  um  die  Braut  nach  Rom  zu 
geleiten.  Amadis,  der  sich  auf  seine  feste  Insel  zurückgezogen 
hatte,  liess  auf  die  erste  Nachricht  von  dem,  was  vorging,  in 
grösster  Eile  ebenfalls  eine  Flotte  herrichten,  schiffte  sich  ein 
und  erwartete  wohlversehen  mit  Soldaten  und  Matrosen  das 
feindliche  Geschwader,  welches  bald  im  Angesichte  der  Insel 
erschien.  Er  stürzt  sich  auf  die  römische  Flotte,  bemächtigt 
sich  der  Dame  Oriana  und  bringt  sie  auf  der  festen  Insel  in 
Sicherheit.  Nun  entbrannte  offen  ein  Krieg  zwischen  Amadis 
und  dem  König  Liswarte.    Eines  Tages,  wo  eine  grosse  Schlacht 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  39 

geschlagen  wurde,  war  es  Amadis,  der  abermals  dem  Könige, 
in  welchem  er  stets  den  Vater  seiner  geliebten  Oriana  verehrte, 
das  Leben  rettete.  Die  Feindseligkeiten  wurden  einstweilen 
unterbrochen,  und  während  des  Waffenstillstandes  gelang  es  dem 
braven  Einsiedler,  welcher  das  Knäblein  Esplandian  erzog,  den 
Zorn  beider  Parteien  etwas  zu  besänftigen.  Er  redete  dem 
Könige  zu,  in  die  Vereinigung  der  beiden  Liebenden  zu  willigen, 
indem  er  ihm  zuvörderst  das  Familiengeheimniss  des  mannhaften 
Amadis  mittheilte,  welches  dem  Monarchen  durchaus  unbekannt 
war.  Andere  Ereignisse,  welche  den  stets  noch  widerstrebenden 
König  in  neue  Gefahren  verwickelten,  aus  denen  ihn  stets 
Amadis  befreite,  bahnten  den  Frieden  an,  welcher  denn  auch 
endlich  geschlossen  wurde.  Liswarte,  der  keinen  legitimen  Sohn 
besass,  trat  das  Königreich  London  dem  Ritter  Amadis  ab, 
dessen  Vermählung  mit  Oriana  auf  der  festen  Insel  gefeiert 
wurde,  welche,  entzaubert  durch  den  Schutzengel  Urganda,  von 
nun  an  der  glückliche  Aufenthaltsort  des  glorreichen  Amadis 
und  seiner  unvergleichlichen  Oriana  war. 

So  weit  der  Inhalt  des  berühmten  Ritterromanes,  welcher 
Leben  und  Thaten  des  Amadis  von  Gallien  erzählt.  Der  Tod 
dieses  mannhaften  Helden  wird  uns  in  dem  später  zu  erwähnenden 
Buche  „Liswarte  II.  von  Griechenland"  (dem  achten  der  Amadis- 
romane)  mitgetheilt. 

Tirante  der  Weisse  oder  Glänzende. 
Einer  ähnlichen,  wenn  auch  weniger  allgemeinen  Berühmt- 
heit als  Amadis  von  Gallien  erfreute  sich  Tirante  der  Weisse 
oder  Glänzende.  Die  Thaten  und  Abenteuer  dieses  Ritters 
sind  einfacher,  nicht  so  unnatürlich  wie  die  Erlebnisse  jenes, 
weshalb  dieses  Buch  die  Phantasie  weniger  in  Anspruch  nahm 
und  weniger  gelesen  wurde.  Bei  Gelegenheit  des  Gerichts  über 
die  Bibliothek  des  sinnreichen  Don  Quijote  wird  es  auf  ehren- 
volle Weise  von  dem  Scheiterhaufen  losgesprochen.  „Glaubt 
mir,  Herr  Gevatter,  äussert  der  Pastor  zum  Barbier,  es  ist, 
was  seinen  Styl  betrifft,  das  beste  Buch  von  der  Welt.  Hier 
essen  und  schlafen  doch  die  Ritter,  sterben  auf  ihrem  Bette, 
machen  fein  ordentlich  vor  dem  Tode  noch  ihr  Testament  und 
thun  tausend  andere  Dinge,  davon  andere  der  Art  nichts  wissen." 


40  Ueber  Amadis  von  Gallien 

—  Dieser  berühmte  und  seltene  Roman  „Tirante  der  Weisse 
von  Roka  Salada"  (Salzfelsen)  besteht  aus  vier  Büchern  und 
erzählt  die  ritterlichen  Thaten,  vermöge  deren  Tirante  die  Prin- 
zessin Carmesina,  Tochter  des  Kaisers  von  Konstantinopel, 
heirathete,  viele  Abenteuer  bestand,  welche  der  Nachwelt  ewig 
aufbewahrt  zu  werden  verdienen  und  schliesslich  Herr  und 
Kaiser  des  griechischen  Reiches  wurde.  Ueber  die  Herkunft 
des  Ritters  lautet  die  Geschichte  folgendermassen.  Es  waren 
zwei  Brüder,  von  denen  der  eine  Uther  Pandragon  hiess  und 
Vater  des  Königs  Arthur  von  England  war;  der  Name  des 
andern  Bruders  ist  unbekannt.  Diese  beiden  Brüder  bemäch- 
tigten sich  eines  festen  Schlosses,  welches  auf  dem  Gipfel  eines 
Salzfelsens  gebaut  war  und  daher  den  Namen  erhielt.  Uther 
Pandragon  war  zum  Schwiegersohne  des  Königs  von  Frank- 
reich  ausersehen;  aber  der  jüngere  Bruder  weiss  sich  durch 
List  und  Täuschung  die  Verlobte  anzueignen  und  auf  den  Salz- 
felsen zu  entführen,  woselbst  alsbald  Tirante  geboren  wird; 
indessen  sich  Uther  Pandragon  mit  einer  natürlichen  Tochter 
des  Königs  von  Frankreich  begnügen  muss.  Der  Held  des 
Ritterromanes  nannte  sich  Tirante,  weil  sein*  Vater  Herr  der 
Markgrafschaft  Tirania  war,  die,  so  belehrt  uns  das  Buch,  ver- 
mittelst des  Meeres  an  England  grenzt;  und  der  Weisse  oder 
Glänzende  oder  Strahlende  oder  Hochachtbare  ward  er  zube- 
nannt, weil  seine  Mutter  Blanka  hiess. 

Ob  dieses  Buch  ursprünglich  in  spanischer,  portugiesischer, 
englischer  oder  limosinischer  Sprache  geschrieben  ist,  kann  nicht 
erwiesen  werden;  denn  jede  dieser  Sprachen  hat  in  dem  Streite 
darüber  ihre  Vertreter.  Sicher  ist,  dass  es  im  zuletztgenannten 
Idiom  1490  in  Valencia  gedruckt  wurde.  Die  Bibliotheken  in 
Paris  und  Madrid  haben  kein  Exemplar  dieses  seltenen  Buches 
aufzuweisen;  und  die  Büchersammlung  der  Sapienza  in  Rom 
bewahrt  eins  —  wahrscheinlich  das  Einzige  der  Welt  —  welches, 
wie  der  Titel  besagt,  „zur  Ehre  Jesu  Christi  und  der  alier- 
heiligsten  Jungfrau  Maria,  seiner  Mutter"  von  Joanot  Martorell, 
einem  Cavalier  Ferdinand's  von  Portugal,  geschrieben  ist.  Den 
Titel  ziert  rings  ein  gestochener  Saum;  das  "Werk  besteht  aus 
einem  Bande  in  Folio,    ohne  Seitenzahl,    und    enthält  487  Ka- 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  41 

pitel.  *)  In  spanischer  Sprache  wurde  Tirante  1511  in  Valla- 
dolid  veröffentlicht.  Wahrscheinlich  schrieb  Martorell  uni's  Jahr 
1460  die  drei  ersten  Theile ;  den  Rest  ein  gewisser  Juan  de 
Gualba.  Italienisch  übersetzt  von  dem  Doctor  Lelio  Manfredi 
erschien  dieser  Roman  1538  in  Venedig;  zweite  Auflage  1566. 
Ans  dem  Spanischen  in's  Französische  übertrug  ihn  1740  der 
Graf  Caylus.  — 

Wie  wir  schon  andeuteten  besitzen  die  Spanier  eine  Reihen- 
folge von  Amadis-  und  andern  Ritterromanen,**)  wie  keine 
Nation  eine  ähnliche  aufzuweisen  hat,  und  alle  vereinigt  würden 
eine  stattliche  Bibliothek  bilden.  Sie  liefern  den  Beweis,  wie 
das  klassische  Zeitalter  einer  Literatur  mit  gleicher  Ueppigkeit 
Meisterwerke  und  Jammererscheinungen  hervorbringen  kann, 
was  das  16.  Jahrhundert  in  Bezug  auf  die  Heroen  des  spani- 
schen Parnasses  und  in  Bezug  auf  die  vielen  Ritterromane  ge- 
tnan  hat. 

In  diesem  Jahrhundert  der  Ritterromane  wurde  auch  die 
Chronik  des  Pseudo-Turpin  in  die  spanische  Sprache  über- 
setzt: jene  Chronik,  welche  von  den  Thaten  Karl's  des  Grossen 
und  seiner  Helden  handelt,  die  schon  seit  Jahrhunderten  in 
Liedern  besungen  Avaren.  So  erschien  in  Sevilla  1525  das  Buch 
von  Roland,  Rinaldo  von  Montalban  und  den  übrigen  Paladinen, 
und  1528  in  derselben  Stadt  die  Geschichte  Karls  und  der  zwölf 
Pairs.  Zu  allen  Zeiten  ein  Lieblingsbuch  der  Spanier  erfreut 
es  sich  noch  jetzt  der  allgemeinsten  Theilnahme  von  Seiten  der 
niedern  Klassen. 

[Die  Geschichte  des  heldenmüthigen  Kaiser  Karl  entflammte 
die  Phantasie  verschiedener  Dichter,  sowohl  Spanier  als  Ita- 
liener. Unter  den  Erstem  erschien  zuerst  das  „illustrirte 
Spanien,"  ein  Gedicht  von  40  Gesängen,  welches  die  letzte 
Expedition  Karl's  des  Grossen  und  seiner  Pairs  bis  zur  Schlacht 
bei  Roncesvalles  besingt.  Im  Jahre  1585  schrieb  Agustin  Alonso 
ein  episches  Gedicht,  welches  die  Thaten  des  unbesiegbaren 
Ritters    Bernardo    del  Carpio   feierte,    und    nachdem    die  Blüthe 

*)  Eine  neue  Ausgabe  des  Originals  ist  zufolge  einer  von  P.  Mendez 
aufgestellten  Behauptung  1497  in  Barcelona  erschienen. 

**)  In  der  Bibliothek  des  Ritters  Don  Quijote  befanden  sich  über  300 
Ritterromane.  (D.  Q.  I,  21.) 


42  Ueber  Amadis  von  Gallien 

der  Rittergeschichten  schon  gewelkt,  d.  i.  nach  dem  Tode  des 
grossen  Cervantes,  schrieb  1624  Bernardo  de  Valbuena  ein 
Heldengedicht,  welches  den  eben  erwähnten  Bernardo  del  Carpio 
verherrlicht.  Die  Niederlage  der  Franzosen  in  dieser  Schlacht 
hatte  schon  früher  dem  Valencianer  Nicolas  de  Espinosa  zu 
einem  Gedichte  in  35  Gesängen  den  Stoff  geliefert.  Dieses 
Epos,  eine  Fortsetzung  des  Orlando  von  Ariost,  besingt  die 
Schlacht  und  den  Tod  der  zwölf  Pairs  von  Frankreich.  (Zara- 
goza 1555;  Antwerpen  1557;  Alcala  1579.)  Ueber  dasselbe 
Ereigniss  verfasste  ebenfalls  Francisco  Garrido  de  Villena  ein 
Epos,  welches  1583  in  Toledo  erschien.] 

Nicht  minder  französischen  Ursprungs,  als  die  Karlssage, 
und  ebenfalls  durch  Uebersetzung  in  Spanien  eingebürgert,  ist 
die  Geschichte  der  „Neun  Helden  des  Ruhmes."  Die  Thaten 
und  der  Lebenslauf  dieser  neun  Helden  war  seiner  Zeit  ein  seljr 
beliebtes  Volksbuch,  welches  im  Jahre  1530  von  Antonio  Ro- 
driguez  Portugal  aus  dem  Französischen  übersetzt  und  in  Lissabon 
gedruckt  wurde.  Das  Original  dieser  spanischen  Uebertragung 
war  1507  in  Paris  erschienen.  Eine  neue  Auflage  erlebte  die 
Uebersetzung  1585  in  Alcala. 

Die  wichtigsten  Ritterromane,  welche  als  Fort- 
setzungen und  Nachahmungen  des  Amadis  von 
Gallien  zu  betrachten  sind. 

Amadis  von  Gallien,  der  Stammvater,  wird  —  wie  wir 
schon  angegeben  —  in  vier  Büchern  abgehandelt. 

Esplandian.  Die  Thaten  dieses  würdigen  Sohnes  des 
Amadis  von  Gallien  lieferten  den  Stoff  zu  dem  fünften  Buche 
der  Amadisromane.  Garci  Ordoiiez  de  Montalban  verfasste 
dieses  Buch  und  gab  es  1526  in  Sevilla  heraus.  Gleich  vielen 
andern  Erzeugnissen,  zumal  Ritterromanen,  jener  Zeit,  wird 
auch  bei  diesem  angegeben ,  dass  es  ursprünglich  in  einer 
fremden  Sprache  geschrieben  sei;  denn  Ordoiiez  erklärt,  das 
Buch  wäre  von  dem  Meister  Heiisabad  in  griechischer  Sprache 
verfasst.  Der  Sohn  des  grossen  Amadis  theilte  bald,  wie  die 
vielen  Ausgaben  und  Uebersetzungen  beweisen,  den  Ruhm  des 
Vaters.  Mambrino  Roseo  übertrug  das  Buch  italienisch,  und 
in  dieser  Sprache   erlebte   es   bald   vier  Auflagen.     1543  wurde 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  43 

in  Paris    eine   französische   Uebersetzung   gedruckt.      Spanische 
Ausgaben  erfolgten  ferner  in  Zaragoza  1587  und  in  Alcala  1588. 

Florisandus  oder  Flores  von  Griechenland,  Sohn 
Florestan's  und  Neffe  des  Stammvaters.  Dieses  sechste  Buch 
der  Amadisromane  schrieb  Pelayo  de  Ribera. 

Liswarte  II.  von  Griechenland.  Dieser  Sohn  Es- 
plandian's  und  Enkel  des  Amadis  von  Gallien;  ferner  Perion 
von  Gallien,  Bruder  des  Amadis;  dann  die  Geburt  des  Amadis 
von  Griechenland,  Sohn  des  genannten  Liswarte  —  also  Ur- 
enkel des  Stammvaters  —  und  der  Tod  des  gemeinschaftlichen 
Ahnherrn  werden  in  diesem  siebten  und  achten  Buche  der  Ama- 
disromane abgehandelt.  Der  Verfasser  ist  Juan  Diaz ,  Bacca- 
laureus  des  kanonischen  Rechts. 

Amadis  von  Griechenland  liefert  den  Stoff  des  neunten 
Amadisbuches.  Er  wrar  ein  Sohn  des  Liswarte  von  Griechen- 
land und  der  Prinzessin  Onolaria,  folglich  —  wie  schon  gesagt 
—  ein  Urenkel  des  Stammvaters,  und  Ritter  vom  feurigen 
Schwerdte  zubenannt.  Durch  seine  Thaten  gelang  es  diesem 
Helden,  Kaiser  von  Konstantinopel,  König  von  Rhodus  u.  s.  w. 
zu  werden.  Das  Werk  besteht  aus  zwei  Theilen,  und  war  der 
Sitte  gemäss  aus  der  griechischen  Sprache  in  die  lateinische 
und  aus  dieser  in  die  spanische  übertragen.  Der  grosse  und 
weise  Zauberer  Alquifa  schrieb  das  Buch  und  widmete  es  dem 
Altvater  Amadis,  König  von  Grossbritannien.  Ausgaben  er- 
schienen in  Burgos  1535;  Sevilla  1542;  Lissabon  1596. 

Florisel  von  Nicea  bildet  das  zehnte  Buch  der  Amadis- 
romane, und  enthält  den  ersten  und  zweiten  Theil  von  Flo- 
risel's  Thaten  und  die  Abenteuer  seines  Bruders  Anaxartes, 
beides  Söhne  des  Amadis  von  Griechenland,  folglich  Ururenkel 
des  Amadis  von  Gallien.  Wie  der  Verfasser  Feliciano  de  Silva 
erklärt,  verbesserte  er  den  Originaltext,  welchen  die  Königin 
Zirfea  von  Argines  geschrieben  hatte.  (Im  zweiten  Theile  wird 
erzählt,  wie  Florisel  sich  entschloss,  hinfort  ein  Schäferleben  zu 
führen  und  idyllisch  auf  einem  Dorfe  zu  wohnen.  Zu  dem 
Zwecke  verschaffte  er  sich  einige  Schafe  und  auch  Hirtenkleider. 
Diese  Episode  nachahmend  lässt  Cervantes  den  Ritter  Don 
Quijote  (II,  67)  dasselbe  beschliessen.)    Ausgaben  dieses  Ritter- 


44  Ueber  Amadis  von  Gallien 

romanes  erschienen  in  Burgos  1535;  Zaragoza  1584;   Lissabon 
1596.   , 

Die  Fortsetzung  von  demselben  Verfasser  bildet  das 
eilfte  Buch  der  Araadise  und  enthält  im  dritten  Theile  die 
Abenteuer  der  Söhne  des  Florisel  von  Nicea  und  der  Prinzessin 
Helena,  Tochter  des  Königs  von  Apolonien,  also  der  Ururur- 
enkel  des  gemeinschaftlichen  Ahnherrn.  Sie  heissen  Rogel  von 
Griechenland  und  Agesilaos  von  Kolkos.  Zugleich  werden  die 
Thaten  der  Söhne  des  Falanges  von  Astra  abgehandelt.  Das 
vierte  Buch  erschien  schon  1551  in  Salamanka,  und  zerfällt 
in  zwei  Theile,  welche  zufolge  der  Erklärung  des  Verfassers 
Silva  ursprünglich  von  Galerris  griechisch  verfasst  und  von 
Filastres  Campaneo  lateinisch  übersetzt  waren.  Im  ersten  Theile 
lesen  wir  die  Unternehmungen  Rogel's,  und  im  zweiten  seine 
LiebesafFairen  mit  der  wunderschönen  Archisidea,  der  Kaiserin 
des  Morgenlandes,  einer  Tochter  des  Grosskhan  Aquilidon.  Er 
heirathete  diese  Dame  und  zeugte  mit  ihr  einen  Sohn  Fara- 
mund,  den  letzten  Sprössling  aus  dem  gallischen  oder  Amadis- 
Heldenstamme,  welcher  mit  ihm  erlosch. 

Der  Ritter  vom  Kreuze  oder  Leopolem,  Sohn  des 
Kaisers  von  Deutschland.  Dieser  Roman  bildet  das  zwölfte 
Buch  der  Amadise  und  wird  —  wie  Cervantes  dieselbe  Quelle 
für  seinen  Don  Quijote  angiebt  —  für  eine  Uebersetzung  aus 
dem  Arabischen  ausgegeben,  welche  ein  Sclave  in  Tunis  von 
dem  Originale  lieferte,  das  ein  Maure  Namens  Xarton  auf  Be- 
fehl  des  Sultans  Zuleraa  verfasst  hatte.  Der  eigentliche  Ver- 
fasser dieses  Romanes  ist  jedoch  Pedro  de  Lujan,  wie  er  selbst 
in  einem  andern  Werke  erklärt.  Eine  Ausgabe  des  Kreuzritters 
erschien  1542  in  Toledo;  eine  andere  in  Sevilla,  jedoch  ohne 
Jahreszahl,  vielleicht  schon  1534. 

Leander  der  Schöne  bildet  das  dreizehnte  Glied  in  der 
Amadiskette  und  ist  von  dem  Verfasser  des  vorhergehenden 
Romans  geschrieben,  nämlich  von  Pedro  de  Lujan ,  der  jedoch 
—  wie  es  der  Brauch  zu  heischen  schien  —  ein  griechisches 
Original  aus  der  Feder  des  weisen  Königs  Artidor  nur  über- 
setzt. Es  erschien  in  Toledo  1543  und  hatte  gleich  dem  Kreuz- 
ritter die  Ehre,  in  die  französische  und  italienische  Sprache, 
letzteres  in  Venedig  1580,  übertragen  zu  werden. 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  45 

Belianis  von  Griechenland,  Nachkomme  des  Amadis 
von  Gallien,  war  ein  Sohn  des  Kaisers  Belanius  und  der  Kaiserin 
Clarinda.  Seine  Geschichte  bildet  das  vierzehnte  Buch  der 
Amadisromane ,  und  besteht  aus  vier  Theilen ,  als  deren  Ver- 
fasser sich  am  Ende  des  vierten  der  Licenciat  und  Advokat 
Geronimo  Fernandez  in  Madrid  nennt.  Der  Roman  enthält  die 
höchst  gefahrvollen  Thaten  des  Belianis,  seine  Liebesabenteuer 
mit  der  Prinzessin  Florisbella,  einer  Tochter  des  Sultans  von 
Babylon,  und  erzählt  ferner,  wie  die  Prinzessin  Polyxena,  die 
Tochter  des  Königs  Priamus  von  Troja,  aufgefunden  wurde. 
Dieses  Buch  ist  ebenfalls  nach  einem  griechischen  Originale 
bearbeitet,  dessen  Verfasser  der  weise  Freston  sein  soll.  Aus- 
gaben erschienen  in  Estella  1564;  in  Antwerpen  1564:  in  Bur- 
gos  1579;  in  Zaragoza  1580.  In  italienischer  Sprache  von 
Mambrino  Roseo  1586;  in  französischer  von  Gabriel  Chapuys, 
zugleich  mit  sämmtlichen  Amadisromanen,  in  Lyon,  Paris  und 
Antwerpen  1575  und  1577. 

Der  Ritterspiegel.  Dieses  Werk  umfasst  fünf  Bücher. 
Das  erste  Buch,  aus  zwei  Theilen  bestehend,  ist  von  Diego 
Ordonez  de  Calahorra  geschrieben  und  dem  Sohne  des  be- 
rühmten Cortez  gewidmet.  Es  enthält  die  Geschichte  von  den 
Thaten  des  Grafen  Roland  und  Rinaldo's  von  Montalban.  Se- 
villa 1533  —  36,  1550,  1562.  In  Zaragoza  erschien  1580  ein 
Fürsten-  und  Ritterspiegel,  in  welchem  der  Ritter  vom  Phöbus 
und  sein  Bruder  Rosicler  (Söhne  des  grossen  Trebaz,  des 
Kaisers  von  Konstantinopel)  und  die  Liebesabenteuer  des  Ritter 
Rosicler  mit  der  wunderschönen  Prinzessin  Claridiana  u.  s.  w. 
verherrlicht  werden.  Das  zweite  Buch  dieser  Sammlung,  eben- 
falls zwei  Theile  umfassend,  wurde  von  Pedro  de  la  Sierra  ge- 
schrieben und  1580  in  Zaragoza  gedruckt.  Der  Licenciat 
Marcos  Martinez  ist  der  Verfasser  des  dritten  und  vierten 
Buches,  jedes  aus  zwei  Theilen  bestehend  (Alcala  1589)  und 
erzählt  nebst  andern  Geschichten  noch  Thaten  der  Vorigen  und 
dann  die  Unternehmungen  deren  Söhne  Cloridiano  und  Rosabel, 
Enkel  des  Kaisers  Trebaz.  Ob  die  beiden  Theile  des  fünften 
Buches  je  gedruckt  sind,  ist  ungewiss;  sie  existiren  als  Manu- 
script  in   der  königl.  Bibliothek   zu  Madrid,    und   Feliciano  de 


46  Ueber  Amadis  von  Gallien 

Silva  wird  als  Verfasser  des  ersten  Theiles  dieses  letzten  Buches 
genannt. 

Palmerin  vom  Oelbaum.  Was  die  Geburt  dieses  be- 
rühmten Ritters  anbetrifft,  so  werden  wir  durch  den  Roman, 
welcher  seinen  Namen  trägt,  belehrt,  das3  ein  macedonischer 
König,  Florendos  geheissen,  die  Infantin  Griana,  eine  Tochter 
des  Kaisers  von  Konstantinopel,  wider  den  Willen  ihres  kaiser- 
lichen Vaters  liebte.  Sie  trug  die  Frucht  dieser  verbotenen 
Liebe  in  einen  Olivenwald  und  hing  den  Säugling;  vermittelst 
eines  Korbes  an  einen  Palm  bäum ,  wo  ihn  der  Bauer  Geraldo, 
herbeigelockt  durch  das  Weinen  des  Ausgesetzten,  fand  und  in 
Erwägung  des  Baumes  und  Waldes  Palmerin  vom  Oelbaum 
nannte.  Eine  mitleidige  Frau  Namens  Marcella,  deren  eigenes 
Kind  gerade  gestorben  war,  nahm  sich  des  Findlings  an.  In- 
dessen wurde  Griana  gewaltsam  mit  Tarisius,  der  die  Krone 
Ungarns  usurpirt  hatte,  vermählt;  aber  Florendos  erschlug  diesen 
und  setzte  sich  wiederum   in   den  Besitz  der  geliebten  Griana. 

Palmerin  zeigte  schon  in  zarter  Jugend  einen  ungewöhn- 
lichen Muth  und  erfuhr  bald,  dass  er  nicht  der  Sohn  des  gut- 
herzigen Landmanns  sei.  Daher  sehnte  er  sich,  die  Welt  nach 
Abenteuern  zu  durchstreifen  und  seine  Eltern  aufzusuchen.  So 
wollte  es  der  Zufall,  dass  er  von  seinem  Vater,  dem  Könige 
von  Macedonien  —  ohne  jedoch  die  gegenseitigen  Beziehungen 
zu  ahnen  —  zum  Ritter  geschlagen  wurde,  als  welcher  er  die 
gefährlichsten  Unternehmungen  in  den  fernsten  Gegenden  glück- 
lich ausführte.  Weil  er  einst  eine  Schlange  oder  einen  Lind- 
wurm tödtete,  der  einen  heilkräftigen  Quell  bewachte,  so  nannte 
er  sich  auch  Ritter  von  der  Schlange.  (D.  Q.  I,  21.)  Da  nun 
ein  Ritter  nicht  ohne  Herzensdame  sein  durfte,  versäumte  er 
nicht,  sich  eine  Gebieterin  seiner  Gedanken  in  der  Tochter  des 
deutschen  Kaisers  zu  wählen,  der  wunderschönen  Polinarda, 
der  zu  Ehren  er  gewaltige  Thaten  vollbrachte  und  verschiedene 
Kriege  führte.  Bei  einem  solchen  Abenteuer  hatte  er  Gelegen- 
heit, Griana  und  Florendos  aus  dem  Gefängnisse  zu  befreien 
und  den  Thronräuber,  der  sie  eingekerkert  hielt,  vom  Throne 
zu  stossen.  Dieses  glückliche  Ereigniss  führte  ihn  übrigens  in 
die  Arme  seiner  hocherfreuten  Eltern,  welche  ihn  als  den  lange 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane  der  Spanier.  47 

beklagten  und  zurückgewünschten  Sohn  erkannten.  Der  Kaiser 
von  Konstantinopel  hatte  endlich  nichts  mehr  gegen  eine  Ver- 
bindung seiner  Tochter  Griana  mit  dem  Könige  Florendos  ein- 
zuwenden, und  der  deutsche  Kaiser  gab  ebenfalls  »seine  Ein- 
willigung zu  der  Verbindung  seiner  Prinzessin  Polinarda  mit 
dem  ritterlichen  Palmerin,  welcher  nach  mancherlei  Schicksalen 
und  höchst  rühmlichen  Thaten  seinem  Vater  und  Grossvater  in 
der  .Regierung  Macedoniens  und  Konstantinopels  folgte,  und  — 
wie  uns  der  Roman  belehrt  —  einer  der  berühmtesten  Kaiser 
wurde. 

Palmerin  hatte  zwei  Söhne,  einen  von  seiner  Gattin  Poli- 
narda, Primaleon  geheissen,  und  einen  andern  von  der  Königin 
von  Tarsis,  den  er  Polendos  nannte.  Primaleon,  dessen  Herzens- 
dame Gridonia  hiess,  ward  berühmt  wie  sein  Vater,  und  be- 
stand die  unerhörtesten  Abenteuer,  um  sich  die  Liebe  der 
schönen  Gridonia  zu  erwerben.  Vermählt  mit  ihr  regierte  er 
auf  Befehl  seines  Vaters  als  Statthalter  in  Griechenland  und 
führte  siegreich  die  schrecklichsten  Kriege.  Schliesslich  erbte 
er  den  Thron  und  mit  ihm  den  Ruhm  seines  unbesiegten  Vaters. 

Der  Ritterroman  Palmerin  vom  Oelbaum  umfasst  zwei 
Theile,  deren  erster  die  gewaltigen  Thaten  des  vaterlosen  Find- 
lings  enthält  und  1526  in  Venedig,  sodann  in  verschiedenen 
Städten  Spaniens  und  zuletzt  1580  in  Toledo  herausgegeben 
wurde.  Im  zweiten  Theile  (Medina  del  Campo  1563)  werden 
die  Fahrten  der  Söhne  Palmerin's,  nämlich  Primaleon  und  Po- 
lendos u.  s.  w.  erzählt.  Ausserdem  erschien  schon  1516  und 
1518  eine  Ausgabe,  und  1598  eine  solche  in  Lissabon,  welche 
dem  Titel  zufolge  die  Thaten  Primaleon's,  dessen  Bruders  Po- 
lendos, des  englischen  Prinzen  Duard  und  anderer  trefflicher 
Ritter  vom  Hofe  des  Kaisers  Palmerin  erzählt.  Dieses  be- 
rühmte Buch  wurde  von  einer  spanischen  Dame  geschrieben, 
deren  Namen  unbekannt  geblieben  ist.  Der  Italiener  Ludwig 
Dolce  schrieb  zwei  epische  Gedichte,  Palmerin  und  Primaleon, 
welchen  er  diesen  Ritterroman  zu  Grunde  legte. 

Palmerin  von  England.  Dieser  Roman,  der  ehrenvoll 
vom  Scheiterhaufen  losgesprochen  wird,  besteht  aus  sechs  Theilen, 


48  Ueber  Amadis  von  Gallien 

wurde  wahrscheinlich  in  portugiesischer  Sprache  geschrieben  und 
1553  in  die  spanische  übertragen.  Eine  Ausgabe,  welche  1786 
in  Lissabon  erschien,  belehrt  uns,  dass  der  Portugiese  Francisco 
de  Moraes  «diesen  Roman  verfasst  und  1567  in  Evora  veröffent- 
licht habe.  Cervantes  dagegen  nennt  „einen  weisen  König  von 
Portugal"  als  Verfasser:  welcher?  ist  nicht  ermittelt.  Im  Jahre 
1568  erschien  in  Toledo  der  erste  und  zweite  Theil  dieses 
Romanes,  wo  sich  ein  Spanier  Luis  Hurtado  als  Verfasser 
nennt.  Sie  enthalten  die  Erlebnisse  und  Thaten  des  Ritter 
Palmerin  von  England,  Sohn  des  Königs  Duard,  und  seine 
Liebesabenteuer  mit  einer  Infantin  Polinarda.  Die  übrigen 
Theile  erzählen  die  Geschichte  von  einem  Bruder  des  Palmerin 
von  England,  Florian,  zubenannt  „der  Wüstenritter,"  und  die 
Abenteuer  des  Prinzen  Florendos,  eines  Sohnes  des  schon  ge- 
nannten Primaleon.  Der  dritte  und  vierte  Theil  wurde  von 
Diego  Fernandez  de  Lisboa,  und  der  fünfte  und  sechste  von 
Baltasar  Gonzalez  de  Labato,  beides  Portugiesen,  geschrieben. 

Der  Ritter  Platir,  Sohn  des  Kaisers  Primaleon,  und 
der  Ritter  Flotir,  Sohn  des  Ritter  Platir.  Dieser  Roman, 
wahrscheinlich  spanischen  Ursprungs,  wurde  im  Jahre  1533  in 
Valladolid  gedruckt.  Gabriel  Chapuys  übersetzte  ihn  fran- 
zösisch, und  es  erfolgten  zwei  Ausgaben  in  Lyon  1580  und 
1618.  Mambrino  Roseo  gab  eine  italienische  Uebersetzung  her- 
aus, Venedig  1559. 

Celidon  von  Iberien  ist  der  Titel  eines  elenden  Ritter- 
gedichts in  40  Gesängen  in  gereimten  Octaven,  welches  Gomez 
de  Luque  zum  Verfasser  hat. 

Cirongil  von  Thracien.  Dieser  Roman  erzählt  in  vier 
Theilen  die  Thaten  des  gewaltigen  Cirongil,  eines  Sohnes  des 
edlen  Königs  von  Macedonien  Elesfron.  Selbstverständlich  war 
er  ursprünglich  griechisch  geschrieben,  und  zwar  von  Navarco, 
dann  lateinisch  von  Promusis  und  wurde  schliesslich  im  Jahre 
1545  von  Bernardo  de  Vargas  in  Sevilla  in  spanischer  Sprache 
veröffentlicht. 

Clarian  von  Landanis  und  dessen  Sohn  Floramant 
von  Köln,  verfasst  von  Gerönimo  Lopez. 


und  die  bedeutendsten  Ritterromane   der  Spanier.  49 

Cristalian  von  Spanien,  Fürst  von  Trapezunt,  und  die 
ruhmvollen  Werke  seines  Bruders  Lucescan,  geschrieben  von 
der  Dame  Beatriz  Bemal. 

Claribalt  oder  der  Ritter  vom  Glücke,  verfasst  von 
Gonzalo  Fernandez  de  Oviedo. 

Florismarte  von  Hirkanien.  Diesen  Roman  schrieb 
Melchor  de  Ortega  unter  dem  Titel  „Geschichte  des  Prinzen 
Felixmarte  von  H.;"  Valladolid  1556.  Ueber  die  Geburt  des 
Prinzen  theilt  uns  der  Roman  mit,  dass  die  Prinzessin  Marte- 
dina,  Gattin  des  Prinzen  Floraran  von  Mysien,  unter  dein  Bei- 
stande einer  milden  Frau  Namens  Belsagina  im  Walde  eines 
Knäbleins  genesen  sei  und  dasselbe  Florismarte  benannt  habe, 
um  die  Namen  der  Eltern  im  Namen  des  Sohnes  zu  vereinigen. 
Indessen  sei  ihr  später  der  Name  Felixmarte  wohlklingender 
vorgekommen,  weshalb  der  Ritter  bald  so,  bald  Florismarte  ge- 
nannt wird. 

Florand  von  Kastilien  ist  der  Titel  eines  traurigen 
Ritter<redichtes   von  Geronimo  de  Huerta. 

Florambel  von  Lucea,  Sohn  des  Königs  Florisius\  2 
von  Sehotttland.  1^5* 

Felix- Magnus,    Sohn    des   Königs    Filangris    von] 
England. 

Florand  von  England  und  seine  Liebesabenteuer! 
mit  der  Prinzessin  Rosalinda,  Tochter  des  Kaisers  von  Rom. 

Liebetraut  von  Schottland,  verfasst  von  Juan  de 
Cordoba. 

Olivante  von  Laura.  Dieser  berühmte  Roman,  welcher 
bei  dem  Gerichte  über  die  Bibliothek  des  sinnreichen  Junkers 
als  abgeschmackter  Bengel  zum  Scheiterhaufen  verdammt  wird, 
lehrt  uns,  dass  besagter  Olivante  von  Laura  ein  Prinz  von 
Macedonien  war  und  durch  seine  wunderbaren  Heldenthaten  es 
dahin  brachte,  Kaiser  von  Konstantinopel  zu  werden.  Dieses 
dem  König  Philipp  II.  gewidmete  Buch  besteht  aus  drei  Theilen 
und  wurde  nach  dem  Jahre  1520  von  Antonio  de  Torquemada 
verfasst,  der  es  1564  in  Barcelona  drucken  Hess.  Wie  auch 
der  Pfarrer  bei  der  Verdammung  des  Buches  erklärt,  war  Tor- 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  4 


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50  Uebcr  Amadis  von  Gallien 

quemada  ausserdem  noch  Verfasser  des  „Blumengartens,"  ein 
Werk  ebenfalls  in  dem  wunderliehen  und  verdrehten  Geschmacke 
der  Kitterbücher  geschrieben. 

Polisman  Florisius  oder  der  Wüstenritter,  geschrieben 
von  Fernando  Bemal. 

Der  Kitter  Clamades,  Sohn  des  Königs  von  Kastilien, 
und  seine  Liebesgeschichten  mit  der  schönen  Claramonda,  Tochter 
des  Königs  von  Toskana.     Autor  unbekannt. 

Die  schöne  Magelona,  Tochter  des  Königs  von  Neapel, 
ihr  Leben  und  ihre  Liebesabenteuer  mit  Peter  von  der  Provence. 
Verfasser  unbekannt.  Das  französische  Original  dieser  Ge- 
schichte  wurde  bald  nach  1524  in  die  spanische  Sprache  über- 
setzt. 

Die  edlen  Ritter  Oliver  von  Kastilien  und  Arthur 
von  Algarbien.     Autor  unbekannt. 

Der  tapfere  Graf  Parti nuples  und  seine  Helden- 
thaten,  welche  ihm  den  Kaiserthron  von  Konstantinopel  ver- 
schaffen.    Der  Verfasser  ist  unbekannt. 

Der  Prinz  Chrysokalus,  geschrieben  von  Bernardo  de 
Vargas,  Verfasser  des  schon  genannten  Romanes  Cirongil. 

Tablante  von  Reichenberg.  Dieser  wüste  und  weit- 
schweifige Roman  wurde  von  einem  gewissen  Garray  geschrieben. 
Eine  nach  des  Cervantes  Tode  erschienene  Ausgabe,  Sevilla 
1629,  giebt  sich  für  die  Uebersetzung  eines  französischen  Ori- 
ginalromanes  oder  einer  Chronik  aus. 

Der  weise  Merlin.  Noch  gedenken  wir  eines  Buches, 
welches  allerdings  kein  Ritterroman  ist,  dessen  angeblicher  Ver- 
fasser aber  in  den  Ritterromanen  eine  bedeutend  wichtige  Rolle 
spielt,  und  auch  mehrfach  im  Don  Quijote  -(II,  22,  35  ff.  ff.) 
in  seiner  ursprünglichen  Wichtigkeit  erscheint.  Merlin,  der 
grosse  Zauberer  und  Genosse  der  Könige  Uther  und  Arthur 
von  Grossbritannien,  wurde  in  Wales  geboren;  seine  Eltern  waren 
eine  keusche  Jungfrau  und  der  —  Teufel ,  welcher  sich  jener 
ohne  ihr  Wissen  während  des  Schlafes  bemächtigt  hatte.*)    Von 


*)  Der  Pater  Martin  del  Rio,   ein   sehr  gelehrter   Jesuit,    citirt   die  ge- 
wichtigsten Auctoritäten  zur  Begründung  der  Ansicht,  dass  sein  Namensvetter 


und  die  bedeutendsten   R  itterromane   der   Spanier.  51 

seinem  Vater  mit  den  mannigfachsten  übernatürlichen  Gaben 
ausgerüstet,  erlangte  Merlin  durch  seine  Zaubereien,  durch  seine 
Abenteuer  mit  den  britannischen  Königen  u.  s.  w.  eine  Berühmt- 
heit, welche  durch  das  angeblich  von  ihm  selbst  verfasste  Buch 
Jahrhunderte  hindurch  genährt  wurde.  Dieses  Werk  enthält 
neben  der  Erzählung  von  Merlin's  Geburt  und  andern  schmutzigen 
Geschichten  und  Thaten  auch  eine  Reihe  von  Prophezeiungen, 
welche  nicht  nur  auf  die  englischen  Verhältnisse  Anwendung 
fanden,  sondern  denen  durch  Uebersetzungen  eine  Ausdehnung 
über  die  verschiedensten  Länder  eingeräumt  wurde.  Nach  einem 
langen  und  abenteuerlichen  Leben  ereilte  den  Zauberer  ein 
wunderbarer  Tod.  Gleich  Simson  enthüllte  er  in  schwachen 
Augenblicken  auf  vieles  Drängen  seiner  Geliebten,  der  Hexe 
Viviane,  den  Zauber,  welcher  alle  seine  eignen  Künste  und  Mittel 
an  Stärke  übertraf.  Neugierde  und  Zweifel  an  der  Wahrheit 
dieser  Enthüllungen  trieben  Viviane  zu  einem  Versuche  an; 
aber  der  Zauber  wirkte  so  stark,  dass  nichts  ihn  wieder  zu 
lösen  vermochte:  Merlin  verschwand  und  wurde,  selbst  unsicht- 
bar, in  einen  unsichtbaren  Kerker  gebannt,  sodass  nur  seine 
weissagende  Stimme  aus  einer  Grotte  im  Walde  Breceliande  in 
England  vernommen  wurde.  In  Burgos  erschien  1498  in  spani- 
scher Sprache  dieses  Buch,  welches  von  dem  weisen  Merlin 
handelt  und  dessen  Weissagungen  enthält.  Ein  höchst  seltenes 
Werk,  wird  das  Exemplar  auf  der  königl.  Bibliothek  in  Madrid 
für  das  Einzige  der  Welt  gehalten. 

Hier  schliessen  wir  das  Verzeichniss  der  Ritterbücher,  ohne 
es  jedoch  erschöpft  zu  haben.  Noch  viele  Hessen  sich  auf- 
zählen; aber  die  Angegebnen  genügen  unserm  Zwecke,  den  wir 
in  Bezug  auf  den  sinnreichen  Junker  Don  Quijote  im  Auge 
hatten.  Die  vielfachen  Aurlagen  und  Ausgaben  dieser  Ritter- 
romane  beweisen  hinlänglich  die  Leidenschaft  der  Spanier  für 
solche  Bücher.  Nicht  nur  erstreckte  sich  diese  Manie  auf  die 
Schichten  einer  zweifelhaften  Bildung  —  denn  deren  Geschmack 


Martin  Luther  der  Sohn  eines  Ziegenbocks  und  eines  Weibes  sei,  und  ver- 
sichert zugleich,  dass  im  Jahre  1598  ein  Geschöpf  geboren  wurde,  dessen 
Vater  ebenfalls  der  Satan  unter  der  Maske  eines  Ziegenbocks  gewesen,  der 
mit  einem  irdischen  Frauenzimmer  verkehrte. 

4* 


52  UeberAmadis  von  Gallien  etc. 

hat  sich  wenig  geändert  —  sondern  sie  umfasste  die  ganze 
Nation:  alle  Classen  des  Volkes,  und  zwar,  wie  wir  sahen,  in 
dem  Zeitalter  der  grössten  Blüthe  der  Literatur,  wetteiferten  im 
Schreiben  und  Lesen  dieser  Ausgeburten  einer  kranken,  irre- 
geleiteten Phantasie.  — 

Dr.  Herrmann-Twiste. 


Ueber 
Was    und   Welches. 


Viele  scheinen  es  sich  zur  Regel  zu  machen,  statt  des  be- 
züglichen Fürworts  „welches,"  stets  „was"  anzuwenden, 
wenn  eine  Beziehung  nicht  auf  ein  einzelnes  Nennwort  oder 
Fürwort  Statt  findet,  sondern  auf  einen  ganzen  Satz  oder 
ein  zusammengesetztes  Satzglied.     Sie  sagen  z.  B. 

„Sein  ältester  Sohn  brach  sein  rechtes  Bein,  was  (nicht 
„welches")  mich  mit  innigem  Bedauern  erfüllt." 

Sie  gebrauchen  hier  „was"  und  nicht  „welches,"  weil 
das  Fürwort  sich  nicht  auf  das  rechte  Bein  bezieht,  sondern 
auf  das  Brechen  des  Beins.  Ob  diese  Regel  die  richtige  ist 
oder  nicht,  mag  sich  aus  Folgendem  herausstellen. 

Lassen  wir  uns  zuvörderst  die  englische  Sprache  zum 
Massstabe  dienen  in  Absicht  auf  den  Unterschied,  welchen  diese 
zwischen  „welches"  und  „was"  macht;  ich  meine  nämlich  zwi- 
schen which  und  what.  Denn  dass  Letzteres  (als  dem  platt- 
deutschen „wat"  so  ähnlich  lautend)  dem  deutschen  „was"  ent- 
spricht, erscheint  ausgemacht.  Und  prüfen  wir  hernach,  ob  der 
von  dem  Engländer  gemachte  Unterschied  der  richtige  ist.  Der 
Engländer  wendet  in  dem  angeführten  Satze  „welches"  (which) 
und  nicht  „was"  (what)  an.     Er  sagt  also: 

1.  His    eldest    son    broke  his  right   leg,    which   (nicht 
what)  fills  me  with  sincere  compassion. 

Der  Engländer  sagt  ferner: 

2.  „Ich  verstehe  Alles,  welches  (oder  „Alles,    das," 
nicht  „Alles,  was")  Sie  sagen." 

I  understand  all  which  (oder  all  that,  nicht  all  what) 
you  say. 


54  Ueber  Was  und  Welches. 

3.  „Ich  verstehe  was  (oder  „das,  welches,"  nicht 
„das,  was  ")  Sie  sagen. " 

I  understand  what  (oder  that  which,  nicht  that 
what)  you  say. 

4.  „Er  achtete  nicht  auf  was  ich  sagte"  (oder  Er 
achtete  nicht  auf  das,  welches  ich  sagte,"  nicht  „Er 
achtete  nicht  auf  das,  was  ich  sagte"). 

He  did  not  attend  to  what  I  said  (He  did  not  attend 
to  that  which  I  said,  nicht  He  did  not  attend  to  that 
what  I  said). 

5.  „Er  war  nicht  zufrieden  mit  was  ich  ihm  gab."  („Er 
war  nicht  zufrieden  mit  dem,  welches  ich  ihm  gab," 
nicht  „Er  war  nicht  zufrieden  mit  dem,  was  ich  ihm 

,     gab.") 

He  was  not  content  with  what  I  gave  him  (He  was 
not  content  with  that  which  I  gave  him,  nicht  He 
was  not  content  with  that  what  I  gave  him). 

6.  „Was  Gott  uns  auferlegt,  müssen  wir  tragen"  (nicht 
„Was  Gott  uns  auferlegt,  das  müssen  wir  tragen"). 
What  God  inflicts  upon  us  we  must  endure  (nicht 
What  God  inflicts  upon  us,  that  we  must  endure). 

Ferner    wendet   der    Engländer    „was"    noch    in    folgender 
eigenthümlichen  Weise  an.     Sätze  wie: 

„Ich  hatte  das  Geld,  welches  ich  bei  mir  hatte,  aus- 
gegeben." 

I  had  given  out  the  money  which  I  had  about  me. 
„Die  wenigen  Möbel,    welche   er   hinterliess,  wurden 
von  seinen  Gläubigern  in  Beschlag  genommen." 
The    few    articles    of   furniture    which    he    left    were 
seized  upon  by  his  creditors. 

kann  er  auch  in  folgender  Weise  geben: 

„Ich  hatte  was  Geld  ich  bei  mir  hatte  ausgegeben." 

I  had  given  out  what  money  I  had  about  me. 

„  TV  a  s  Avenige  Möbel  er  hinterliess,  wurden  von  seinen 

Gläubigern  in  Beschlag  genommen." 

What    few    articles    of   furniture    he  left    were    seized 

upon  by  his   creditors. 


Ueb er  Was  und  Welches.  55 

Aus  den  Beispielen  1  bis  5  ergibt  sich,  dass  der  Eng- 
länder nie  „was"  (what)  anwendet,  wenn  ein  Wort,  ein  Satz 
oder  ein  Satzglied  vorhergeht,  worauf  es  sich  beziehen  könnte. 
Aus  Beispiel  6  ergibt  sich,  dass  er  „was"  auch  nicht  anwendet, 
wenn  ein  Wort  folgt,  worauf  es  sich  beziehen  könnte.  Letz- 
tere Regel  ist  indessen  insofern  zu  beschränken,  als  in  der 
Englischen  Bibelübersetzung  mitunter  solche  Sätze  vorkommen, 
wie  z.  B. 

And  what  he  hath  seen  and  heard,  that  he  testifieth. 

„Und  was  er  gesehen  und  gehört  hat,  das  bezeugteer." 

Einen  Satz  oder  ein    Satzglied,    worauf  „was"    (what) 

sich  bezieht,  lässt  der  Engländer  jedoch  zuweilen  folgen;  z.  B. 

His    house    was    burned    down,    and    —    what    (oder 

which)   fills  me  with  sincere  compassion  —  his  eklest 

son  broke  his  right  lej?  on  that  occasion. 

Er  gebraucht  in  solchen  Sätzen  also  beliebig  „was"  oder 
„welches,"  während  er,  wie  oben  gezeigt,  wenn  der  Satz  nicht 
als  Parenthese  eingeschoben  wird,  nur  „welches"  und  nicht 
„was"  anwenden  darf.  Im  Deutschen  wendet  man  in  der- 
gleichen Parenthesen  bekanntlich  nur  „  was"  und  nicht  „welches" 
an,  obgleich  in  Luther's  Bibelübersetzung  sich  auch  Beispiele 
mit  „welches"  finden: 

„Denn  ich  habe  Euch  zuvörderst  gegeben  —  welches 
ich  auch  empfangen  habe  —  dass  Christus  gestorben 
sei  für  unsere  Sünden  nach  der  Schrift. 

(1.  Korinther  15  V.  3.) 

Wenn  ich  nun  der  Meinung  bin ,  dass  auch  der  Deutsche 
in  der  Wahl  zwischen  „welches"  und  „was"  nach  derselben 
Regel  verfahren  sollte  wie  der  Engländer,  so  möchte  ich  dies 
durch  Folgendes  begründen: 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  „was"  das  Neutrum  von  „wer" 
(Genitiv  „wessen,"  Dativ  „wem,"  Akkusativ  „wen")  ist,  dass 
also  „was"  sich  zu  „welches"  verhält  wie  „wer"  („wessen," 
„wem,"  „wen")  zu  „welcher"  (Gen.  „welches"  oder  „dessen," 
Dat.  „welchem,"  Akkus,  „welchen").  Insofern  wie  nun  der 
Engländer  ein  „was"  (what)  anwendet,  wenn  eine  Beziehung 
zu  einem  vorhergehenden  Worte  Statt  findet,  verfährt  der  Deutsche 


56  Uebcr  Was  und  Welches. 

genau    nach    derselben    Regel    in    der    Wahl    zwischen    „wer" 
u.  s.  av.  und  „welcher"  u.  s.  w.     Wir  sagen: 

„Wer  das  gesagt  hat,  hat  gelogen," 
als  gleichlautend  mit 

„Der,  welcher  das  gesagt  hat,  hat  gelogen," 
aber  nicht 

„Der,  wer  das  gesagt  hat,  hat  gelogen," 
so  wie  der  Engländer  sagt 

„Was  ich  Dir  sage,  ist  Wahrheit," 
als  gleichbedeutend  mit 

„Das,  welches  ich  Dir  sage,  ist  Wahrheit," 
aber  nicht 

„Das,  was  ich  Dir  sage,  ist  Wahrheit." 
Wir  würden  sagen  können: 

„Wessen    Gott   sich  erbarmen  will,  erbarmt  er  sich," 
als  gleichbedeutend  mit 

„Dessen,  welches    Gott  sich  erbarmen  will,  erbarmt 

er  sich," 
aber  nicht 

„Dessen,    wessen    Gott  sich  erbarmen  will,  erbarmt 

er  sich." 
Ferner : 

„Wem  Gott  gnädig  ist,  ist  er  gnädig," 
für 

„Dem,  welchem  Gott  gnädig  ist,  ist  er  gnädig," 
aber  nicht 

„Dem,  wem  Gott  gnädig  ist,  ist  er  gnädig," 
ferner 

„Wen  Gott  annehmen  will,  nimmt  er  an," 
für 

„Den,  welchen  Gott  annehmen  will,  nimmt  etc." 
aber  nicht 

„Den,  wen  Gott  annehmen  will  etc.," 
so  wie  der  Engländer  sagt 

„Ich  verstehe,  was  Du  sagst," 
als  gleichbedeutend  mit 

„Ich  verstehe  das,  welches  Du  sagst," 
aber  nicht 


Ueber  Was  und  Welches.  57 

„Ich  verstehe  das,  was  Du  sagst." 
Beim  Analysiren  dieser  Sätze  ist  Folgendes  zu  bemerken: 
In  dem  Satze  „Wer  das  gesagt  hat,  hat  gelogen,"  ist  nicht  „Wer," 
sondern  das  ganze  mit  „Wer"  anhebende  Satzglied  („Wer  das 
gesagt  hat")  das  Subjekt  des  ganzen  Satzes.  In  dem  Satze 
„Wen  Gott  annehmen  will,  nimmt  er  an,"  ist  „Wen"  zwar  das 
rectum  des  Infinitiv  „annehmen."  Aber  das  Objekt  des 
ganzen  Satzes  ist  das  ganze  mit  „Wen"  anhebende  Satzglied 
(„Wen  Gott  annehmen  will"). 

In  dem  Bau  der  angeführten  Sätze  mit  what  („was")  ver- 
fährt der  Engländer  augenscheinlich  nach  folgender  Regel: 

Man  vertauscht  das  bezügliche  Fürwort  „welches"  (whieh) 
mit  dem  Fragefürwort  „was"  (what),  welches  dann  den  Begriff 
des  Correlativums  von  which  (nämlich  that)  i  n  v  o  1  v  i  r  t ,  so 
dass  dieses  Correlativum  weggelassen  werden  muss. 

I  understand  that  which  you  say. 

I  understand  what  you  say. 

He  was  not  content  with  that  which  I  gave  him. 

He  was  not  content  with  what  I  gave  him. 
Mit  Sätzen  dieser  Art  hat  es  jedoch  eine  andere  Bewandt- 
niss  als  mit  folgenden  Sätzen: 

I  know  what  you  hold  in  your  hand. 

„Ich  weiss,  was  Du  in  Deiner  Hand  hast." 

„Ich  weiss,  wer  das  gesagt  hat." 

„Ich  weiss,  wen  Du  meinst." 
Denn  Sätze  letzterer  Art  haben  wirklich  eine  Beziehung 
zu  einer  Frage,  und  what,  „was"  „wer"  und  „wen" 
behalten  ganz  die  Natur  eines  Fragefürworts.  Auch  darf  hier 
nicht  what  mit  that  which,  „was"  mit  „das,  welches,"  „wer" 
mit  „denjenigen,  welcher,"  „wen"  mit  „denjenigen,  welchen" 
vertauscht  werden.  In  der  Mitte  zwischen  Sätzen  ersterer  Art 
und  letzterer  Art  steht  etwa  folgender  Satz : 

Show  me  what  you  hold  in  your  hand. 

„Zeige  mir,  was  Du  in  Deiner  Hand  hast," 
indem    derselbe    einerseits    den  Sinn    zulässt:    „Lass    mich  das 
Ding,    welches    Du    in    Deiner   Hand    hast,    näher  betrachten!" 
andererseits  aber  auch   folgenden    Sinn:    „Ich  weiss  nicht,    was 
Du  in  Deiner  (geschlossenen)  Hand  hast.     Thu  es  mir  dadurch 


58  Ueber  Was  und  Welches. 

kund,    dass   Du   es    mir   zeigst."     Im    ersteren,    nicht  aber   im 
letzteren  Sinne,  lässt  what  sich  mit  that  which  vertauschen. 

Insofern  wie  der  Engländer  „was"  (what)  auch  nie  an- 
wendet, wenn  eine  Beziehung  zu  einem  im  Satze  nachfolgen- 
den Worte  Statt  findet  und  z.  B.  nicht  sag-en  darf 

What  God  inflicts  upon  us  that  we  must  endure, 
sondern  nur 

What  God  inflicts  upon  us  we  must  endure, 
verfährt  der  Deutsche  in  der  Wahl  zwischen  „wer"  etc.  und 
„welcher"  etc.  freilich  nicht  nach  derselben  Regel,  nach  welcher 
der  Engländer  in  der  Wahl  zwischen  what  und  which  verfährt, 
indem  der  Deutsche  sehr  oft  zum  Ueberflusse  ein  determinatives 
Fürwort  folgen  lässt,  z.  B. 

„Wer  das  gesagt  hat,  der  hat  gelogen." 
„Wer    an  ihn  glaubt,    der    wird  nicht  gerichtet;    wer 
aber    nicht    glaubt,    der   ist    schon   gerichtet."    (Joh.  3 
V.  18.) 

„Wer  von  der  Erde  ist,  der  ist  von  der  Erde."  (Joh.  3. 
V.  31.) 

„Wem    ich    gnädig    bin,    dem    bin   ich   gnädig;    und 
wess     ich    mich    erbarme,     dess     erbarme    ich    mich 
(2.  Mos-  33  V.  19)  (statt    „Wem   ich  gnädig  bin,  bin 
ich  gnädig;    und  wess  ich  mich  erbarme,  erbarme  ich 
mich"  oder  „Welchem  ich  gnädig  bin,    dem   bin  ich 
gnädig;    und    welches   ich   mich    erbarme ,    dess   er- 
barme ich  mich,"    wie   es  auch  Römer  9  V.   15    steht), 
„Wen  Gott  annehmen  will,  den  nimmt  er  an." 
Nicht  überflüssig  erscheint  es,  ein  determinatives  Fürwort 
folgen  zu  lassen   in    folgenden   Sätzen,    wo    die   zu   quasi -rela- 
tiven  Fürworter    gemachten   Fragefürwörter   in    einem    anderen 
Kasus  stehen,  als  die  Determinativa. 

„Wer    zu    mir  kommt,    den    werde   ich   nicht   hinaus- 

stossen." 

„Wer  an  mich  glaubet,  von  dess  Leibe  werden  Ströme 

lebendigen  Wassers  füessen." 

„Wer  anklopft,  dem  wird  aufgethan." 

„Wessen  Gott  sich  erbarmet,  der  ist  wohl  berathen." 

„Wem  Gott  gnädig  ist,  der  ist  wohl  berathen." 


Ueber  Was  und  Welches.  50 

„Wen  Gott  verschonen  will,  d  e  r  ist  und  bleibt  verschont. 
„Den,"  „dess,"  „dem"  und  „der"  dürfen  hier  nicht  fehlen; 
wohl  aber  könnte  man  die  Fragefürwörter  mit  bezüglichen  Für- 
wörtern vertauschen  und  sagen: 

„Welcher  zu  mir  kommt,  den   werde  ich  nicht  etc." 
„  W e  1  c h  e r  an  mich  glaubt,  von  dess  Leibe  werden  etc." 
„Welcher  anklopft,  dem  wird  aufgethan." 
„Welches  Gott  sich  erbarmt,  der  ist  wohl  berathen." 
„Welchem  Gott  gnädig  ist,    der  ist  wohl  berathen." 
„Welchen  Gott  verschonen  will,  der  ist  etc.," 
wie  man  ja,  wenn  man  den  Satz  mit  dem    determinativen  Für- 
worte anheben  würde,  noth wendig  die  bezüglichen  Fürwörter 
anwenden  müsste;  z.  B. 

„Den,  welcher    (nicht  „Den,  wer")  zu  mir  kommt, 
werde  ich  nicht  hinausstossen." 

„Vom    Leibe    dessen,    welcher     (nicht    „dessen, 
wer")    an    mich    glaubet ,    werden    Ströme    lebendigen 
Wassers  fliessen"  u.  s.  w. 
Die    Anhebung    eines    Satzes   mit    einem    bezüglichen  Für- 
worte   ist    dem   modernen    Ohr   auffallend.      In    Luther's    Bibel- 
übersetzung  finden   sich   aber    manche    Beispiele    derselben,    so 
auch  in  dem  angeführten  Satze  Römer  9  V.  15. 

„Welchem  ich  gnädig  bin,  dem  bin  ich  gnädig;  und 
welches  ich  mich  erbarme,  dess  erbarme  ich  mich." 
Wie  man  nun  viele  Sätze  findet,  wie  die  oben  angeführten, 
wo  nach  einem  Fragefürworte  das  determinative  Fürwort  zum 
Ueberflusse  angewandt  ist ,  findet  man  in  Luthers  Bibelüber- 
setzung andererseits  auch  Sätze,  in  welchen  in  einer  vielleicht 
nicht  zu  rechtfertigenden  Weise  das  determinative  Fürwort 
weggelassen  ist,  obgleich  kein  Fragefürwort,  sondern  ein 
bezügliches  Fürwort  angewandt  ist;  z.  B. 

„So  erbarmt   er  sich  nun,    welches  er   will,  und  ver- 
stocket, welchen  er  will"  (Römer  9  V.  18), 
wo  es  wohl  richtiger  heissen  müsste: 

„So  erbarmt  er  sich  nun,  wessen  er  will,  und  verstockt, 
wen  er  will." 

„Der  von  oben  her  kommt,  ist  über  Alle"  (Joh.  3  V.  31), 
wo  es  wohl  heissen  müsste: 


60  Uebcr  Was  und  Welches. 

„Der  (Relativum)  von  oben  herkommt,  der  (Deter- 
minativ) ist  über  Alle."  („Wer  von  oben  her  kommt, 
ist  über  Alle"  kann  es  freilich  nicht  heissen,  da  Jo- 
hannes von  Jesu  spricht,  also  nicht  von  einer  frag- 
lichen, sondern  von  einer  bestimmten  Person. 
Anders  verhält  es  sich  in  dem  Satze  „Wer  das  ge- 
sagt hat,  hat  selo^en."  Statt  des  relativen  Fürworts 
mit  dessen  Korrelativ  kann  man  ein  Fragefürwort  an- 
wenden, wenn  es  sich  nicht  von  bestimmten,  sondern 
von  noch  fraglichen  Personen  handelt.  Diese  Be- 
merkung kann  einen  Fingerzeig  abgeben  auf  den  Ur- 
sprung dieser  Redeweise.) 

Niemand  fährt  gen  Himmel,    als  der  (richtiger    „der, 
welcher")    vom    Himmel    hernieder    gekommen    ist." 
(Joh.  3  V.  12.) 
Anders  ist  der  Fall,  wenn  auf  schon  in  Rede  stehende 
Personen    oder    auf   eine    abgeschlossene    Anzahl   Personen 
Bezug  genommen  wird.     Obgleich  z.  B.  auf  A.'s  Frage: 
„Wen  soll  ich  senden?"  (Whom  shall  I  send?) 
B.'s  Antwort  lauten  würde: 

„Sende,  wen  Du  willst"  (als  gleichbedeutend  mit  „Sende 
Jeglichen,  welchen  Du  willst"), 
Send  whom  you  choose  (oder  Send  whomsoever  you 
choose)  (als  gleichbedeutend  mit  Send  any  one  whom 
you  choose  oder  altenglisch  Send  any  one  which  you 
choose), 
80  würde  doch  auf  A.'s  Frage: 

„Welchen  soll  ich  senden?  Ludwig?  Wilhelm?  oder 
Franz?" 
B.'s  Antwort  nur  dann  „Sende,  wen  Du  willst,"  lauten,  wenn 
es  ihm  gleichgültig  ist,  ob  A.  einen  der  genannten  drei 
oder  jeglichen  Anderen  sende.  Wenn  er  aber  will,  dass  A. 
jedenfalls  Einen  der  genannten  drei  sende,  so  wird  er  sagen 
müssen: 

„Sende,  welchen  Du  willst"  (als  gleichbedeutend  mit 
„Sende  Jeglichen  derselben,  welchen  Du  willst"). 
Send  which  you  choose  (oder  Send  Avhichsoever  you 
choose)  (als   gleichbedeutend  mit  Send   of  the    three 


Ueber  Was  und  Welches.  61 

any  one  whom  you  choose  oder  altenglisch  Send 
of  the  three  any  one  which  you  choose). 

In  dem  Satze  „Sende,  welchen  Du  willst"  ist  welchen  nur 
ein  quasi- bezügliches  Fürwort,  d.  h.  ein  Fragefürwort  so  an- 
gewandt, dass  es  ein  bezügliches  Fürwort  nebst  dessen 
Correlativ  (welche  Verbindung:  „Sende  Jeglichen  derselben, 
welchen  Du  willst"  sich  übel  und  schleppend  ausnehmen  würde) 
ersetzt. 

Vergleichen  wTir  parallele  Sätze  mit  sächlichen  Fürwörtern; 
z.  B. 

A.  „Was  soll  ich  nehmen?" 
What  shall  I  take? 

B.  „Nimm,  was  Du  willst." 

Take  what  (whatsoever)  you  choose. 

A.  „Hier  ist  Salat,  Spinat  und  Apfelmuss.  Von  welchem 
soll  ich  nehmen?" 

Here  is  salad,  spinage,  and  apple-sauce.  Of  which 
shall  I  take." 

B.  „Nimm,  von  welchem  Du  willst." 
Take  of  which  (of  whichever)  you  choose. 

Ich  komme  nun  darauf  zurück,  dass  „was"  augenscheinlich 
das  Neutrum  von  „wer"  ist. 

Da  wir  nun  „wer"  nicht  eigentlich  als  bezügliches 
Fürwort  anwenden,  so  ist  es  nicht  der  Analogie  gemäss  zu 
sagen : 

„Sein  ältster  Sohn  hat  sein  Bein  gebrochen,  was  mich 
mit  innigem  Mitleid  erfüllt." 

Gegen  meinen  Vorschlag,  hier  „welches"  anzuwenden, 
möchte  man  einwenden: 

„Welches"  darf  sich  nur  auf  ein  Nomen  oder  Prono- 
men beziehen,  nicht  aber  auf  ein  zusammengesetztes  Satz- 
glied. Wenn  „welches"  hier  angewandt  würde,  so  könnte 
man  verstehen,  dass  des  ältesten  Sohnes  rechtes  Bein,  und 
nicht  der  Verlust  desselben,  den  Redenden  mit  Mitleid  er- 
füllte. 

Ob  dieser  Einwand  genügt,  die  Anwendung  eines  fragen- 
den, statt  eines  bezüglichen  Fürwortes  zu  berechtigen,  lasse 
ich  dahingestellt  sein. 


62  Ueber  Was  und  Welches. 

Da  wir  nicht  sagen: 

,, Jeder,   wer  sich  mir  naht  etc.," 
sondern: 

„Jeder,  welcher  („Jeder,  der")  sich  mir  naht  etc.," 
so  ist  es  nicht  der  Analogie  gemäss  zu  sagen: 

„Alles,  was  Sie  sagen  etc." 
Gegen   meinen    Vorschlag,    hier    „welches"   oder    „das" 
anzuwenden,  Hesse  sich  einwenden : 

„Alles,  welches  Sie  sagen"  oder  „Alles,  das  Sie 
sagen"  klingt  etwas  auffallend  und  ist  gegen  den  Gebrauch. 

Auch  die  Haltbarkeit  dieses  Einwandes  lasse  ich  dahinge- 
stellt sein.  Uebrigens  kommt  in  Luther's  Bibelübersetzung 
„Alles,  das"  mitunter  vor;  z.  B. 

„Ich   faste    zwier  in  der  Woche  und  gebe  den  Zehnten 

von  Allem,  das  ich  habe"  (Lukas  18  V.   12), 
obgleich  dort  auch  in  vielen  Fällen  „Alles,  was"    angewandt 
ist;  z.  B. 

„Alles,  was  Odem  hat,  lobe  den  Herrn." 
Da  wir  nicht  sagen 

„Der,  wer  das  gesagt  hat,  hat  gelogen," 
so  ist  es  nicht  der  Analogie  gemäss  zu  sagen 

„Das,  was  ich  sage,  ist  Wahrheit." 

„Ich  bestreite  das,  Avas  Du  behauptest." 
Gegen   meine   Behauptung,   dass    „das"   hier    vollkommen 
überflüssig  ist,    wird  Avohl  Nichts  eingewandt  werden,   da  es  ja 
schon  geschmackvoller  ist  zu  sagen 

„Was  ich  sage,  ist  Wahrheit." 

„Ich  bestreite,  was  Du  behauptest." 
Selbst  wo  das  Versmass  das  überflüssige  „das"  nöthig  zu 
machen  scheint,  kann  der  Dichter  sich  in  manchen  Fällen  anders 
helfen.  So  z.  B.  würde  der  erste  Vers  der  4.  Strophe  des 
Schefflerschen  Kirchenliedes  „Mir  nach,  spricht  Christus,  unser 
Held," 

„Ich  zeig'  euch  das,  was  schädlich  ist, 

zu  fliehen  und  zu  meiden," 
richtiger  lauten 

„Ich  zeige  euch,    was  schädlich  ist, 

zu  fliehen  und  zu  meiden." 


Ueber  Was  und  Welches.  63 

In   ähnlichen  Fällen   das    bezügliche  Fürwort   „welches" 
oder  „das"  anzuwenden  und  z.  B.  zu  sagen: 

„Das,  welches  (oder  „Das,  das")  ich  sage,  ist 
Wahrheit" 
würde  freilich  gegen  den  Geschmack  Verstössen ,  ausser  in 
solchen  Sätzen,  in  welchen  das  relative  Fürwort  nicht  unmittel- 
bar auf  das  determinative  Fürwort  folgt.  Ganz  richtig  heisst 
es  also  2.  Korinther  3  V.  11: 

„Denn  so    das  Klarheit  hatte,    das  (nicht  „was")  da 
aufhört,    vielmehr  wird    das  Klarheit   haben,    das    da 
bleibet." 
Sollte  hier  „was  "  angewandt  werden,  so  würde  die  Stelle 
lauten  müssen: 

„Denn  so,    was    da  aufhört,    Klarheit   hatte,    vielmehr 
wird,  was  da  bleibet,  Klarheit  haben." 
In  folgenden  Lutherschen  Sätzen  scheint  ein  dem  heutigen 
Gebrauche  oder  Missbrauche  entgegengesetzter  Fehler  ob- 
zuwalten, nämlich  „das"  angewandt  zu  sein,  wo  „was"  rich- 
tiger gewesen  wäre: 

„Von    Gottes  Gnade  bin  ich,    das    (richtiger    „was") 
ich  bin"  (Rom.  15  V.  10). 

„Wir    reden,     das     (richtiger     „was")     wir    gesehen 
haben"  (Joh.  3  V.  11). 

„Selig  sind  die  Augen,  die  da  sehen,  das  ihr  sehet. 
Denn  ich  sage  euch:  Viele  Propheten  und  Könige 
wollten  sehen,  das  ihr  sehet,  und  haben  es  nicht  ge- 
sehen, und  hören,  das  ihr  höret,  und  haben  es  nicht  ge- 
höret" (Lukas  10  V.  23  und  24). 
Da  wir  nicht  sagen: 

„Ich  bin  nicht  einverstanden  mit   dem,    wer    (sondern 
„mit  dem,  welcher")  dies    behauptet." 
„Ich  werde  schiessen  auf  den,  wer  (sondern  „auf  den, 
welcher    oder    „auf  den,    der")   mir    entgegentreten 
sollte," 
60  ist  es  nicht  konsequent  zu  sagen 

„Er  war  nicht  zufrieden  mit  dem,  was  ich  ihm  gab." 
„Er  achtete  nicht  auf  das,  was  ich  sagte." 
Gegen  den  Vorschlag  zu  sagen: 


64  lieber  Was  und  Welches. 

„Er  achtete  nicht  auf  das,  welches  ich  sagte." 
„Er  war  nicht  zufrieden  mit  dem,  welches  ich  ihm  gab," 
Hesse  sich  einwenden: 

„Welches"    darf  nur   dann   in    Beziehung   auf    „dem" 

oder    „das"    gebracht    werden,    wenn    „dem"    oder    „das"  auf 

ein  schon  in  Kede    stehendes  Nomen    zurückweiset;  z.  ß. 

„Ich  gab  ihm  auf  sein  Verlangen    ein  Messer,   aber  er 

war  nicht  zufrieden  mit  dem  (seil.  Messer),    welches 

ich  ihm  gab," 

nicht  aber  wenn  „dem"  oder  „das,"  wie  in  den  fraglichen  Sätzen, 

einen  substantivischen  Charakter  hat. 

Gegen    den    Vorschlag,    in    Nachahmung    der    englischen 
Sprache,  zu  sagen : 

„Er  war  nicht  zufrieden  mit  was  ich  ihm  gab" 
„Er  achtete  nicht  auf  was  ich  sagte" 
Hesse  sich  einwenden : 

Ein  zusammengesetztes  Satzglied  zum  rectum  einer  Prä- 
position  zu  machen,  ist  ein  Verstoss  gegen  den  Gebrauch. 

Auch  die  Haltbarkeit  dieser  Einwendungen  lasse  ich  dahin- 
gestellt sein. 

Höchst   fehlerhaft   erscheint    mir  aber    die  Anwendung 
des  „was"  nach  dem  Superlativ  in  folgender  Weise: 

„Dies  ist  das  Merkwürdigste,  was  (statt  „das")  mir  je 
vorgekommen  ist," 
zumal  nach  einem  Gattungsworte,  z.  B. 

„Dies  war  das  erste  englische  Buch,  was  (statt  „das") 
ich  las." 
Die   Fehlerhaftigkeit    dieser    Sätze    springt   in    die   Augen, 
wenn  wir  ihnen  folgende  Parallel -Sätze  gegenüberstellen: 

„N.  N.  ist  der  seltsamste  Mensch,    wer  (statt   „der") 
mir  je  vorgekommen  ist." 

„N.  N.  war  der  erste  Mensch,  wen  (statt  „den")  ich 
dort  traf." 
Fehlerhaft  erscheinen  mir  auch  Sätze  wie  folgender: 

„Dies  ist's,  was  Zwingli  verkannt  hat." 
Dieses    Satzes  Hauptglied    („Dies  ist's")   ist   zweier   Ana- 
lysen fähig.     Entweder   „Dies"   ist  Subjekt,   und   „'s"  ist 
der   prädikativische   Nominativ ,    oder  umgekehrt    „'s"  ist 


Ueber  Was  und  Welches.  65 

Subjekt  und  „dies"  der  prädikativische  Nominativ.    In 
ersterem  Falle  ist  der  Sinn: 

„Dies  ist  dasjenige,  welches  Z.  verkannt  hat." 
Will  man   nun    „welches"   mit    „was"   vertauschen,    so 
sollte    man    kein    bestimmendes    Fürwort    (weder     „das- 
jenige," noch  „das"  noch  „'s")  voraufgehen  lassen,  sondern 
sagen : 

„Dies  ist,  was  Z.  verkannt  hat," 
so  wie  der  Engländer  sagen  würde: 

This  is  what  (This  is  that  which)  Z.  has  not  duly 

appreciated. 
In  letzterem  Falle  (und  in  diesem  Sinne  wird  der  Satz 
wahrscheinlich  gemeint  sein)  ist  der  Sinn: 

„Dies  (Dies  eben)  hat  Zwingli  verkannt," 
mit  welchem  Satze  man,  zur  nachdrucksvollen  Hervorhebung  des 
„Dies"    eine  Umschreibung   vorgenommen  hat,  derjenigen 
ähnlich,  mit  welcher  man  etwa  den  Satz 

„Mit  einem  Messer  verübte  Tomlinson  den  Mord." 
durch 

„Mit  einem  Messer  war's,  dass  Tomlinson  den  Mord 

verübte." 
umschreiben  könnte  —  eine  Umschreibung,  welche  in  der  eng- 
lischen   Sprache    sehr   viel,    in    der   deutschen    aber    viel  seltner 
vorkommt.     Diese  Umschreibung  sollte  aber  nicht  lauten: 

„Dies  ist's,  was  Zwingli  verkannt  hat," 
sondern 

„Dies  ist's,  das  Z.  verkannt  hat." 

This   it   is    (oder   It  is   this)   which  Z.   has   not   duly 

appreciated, 
wenn  man  nicht  sagen  will: 

„Dies  ist's,  dass  Z.  verkannt  hat." 

This  it  is  (It  is  this)  that  Z.  has  not  duly  appreciated. 
Die  Richtigkeit  der  Sätze: 

„Was  er  sagt,  das  ist  Wahrheit." 

„Was  Du  behauptest,  das  bestreite  ich." 

„Was  vom  Fleische  geboren  ist,    das  ist  Fleisch  und 

was  vom  Geiste  geboren  ist,  das  ist  Geist," 
Hesse  sich  zwar    anfechten   auf  Grund   des   in  der    verwandten 

Archiv  f.  11.  Sprachen.     XXVIII.  5 


66  Ueber  Was  und  Welches. 

englischen  Sprache  üblichen  Verfahrens,  nach  welchem  man 
nicht  sagen  darf  What  he  says  that  is  truth  (statt  What  he 
says  is  truth)  und  auf  Grund  der  augenscheinlichen  Ueber- 
flüssigkeit  des  „das"  in  diesen  Sätzen;  aber  nicht  auf 
Grund  des  Umstandes,  dass  „was"  das  Neutrum  von  „wer" 
ist.  Denn  mit  „wer"  bildet  man,  wie  oben  gezeigt,  ähnliche 
Sätze,  wie  z.  B. 

„Wer  dies  gesagt  hat,  der  hat  gelogen." 
Auch  hier  ist  freilich  „der"  augenscheinlich  überflüssig. 

Auf  Grund  des  Gesagten  wage  ich  die  Vermuthung,  ob 
nicht  vielleicht  ursprünglich  —  d.  h.  vor  der  Zeit,  um  welche 
Luther  die  Bibel  übersetzte  (da  in  der  Bibel  allerdings  „was" 
—  wenngleich  seltner  als  jetzt  —  als  bezügliches  Fürwort 
vorkommt)  —  „was"  ein  bezügliches  Fürwort  war.  Es  gab 
(so  vermuthe  ich)  Sätze  wie 

„Ich  verstehe,  was  (statt  „das,  welches")  Du  sagst," 
oder  wie 

„Nimm  Dir,  von  was  Du  willst," 
auf  die  Frage  „Von  was  soll  ich  nehmen?",  in  welchen  Sätzen 
„was"  als  ein  quasi -relatives  Fürwort  erscheint.  Diese  An- 
wendung des  „was"  als  qua  si-relatives  Fürwort  veranlasste 
dann  eine  Begriffsverwirrung,  wrelche  Viele  bewog,  „was"  durch 
Bildung  solcher  Sätze  wie  die  vorhin  erwähnten  (deren  Rich- 
tigkeit ich  in  Frage  stellte)  als  wirklich  relatives  Fürwort 
anzuwenden.  Dieses  ungrammatische  Verfahren  fiel  Niemanden 
auf,  und  so  hat  das  Wort  sich  allmählich  als  relatives  Für- 
wort eingeschlichen.  Ich  wiederhole  indessen,  dass  dies  nur 
eine  Vermuthuno-  von  mir  ist,  deren  Richtigkeit  oder  Un- 
richtigkeit  ich  dahinstelle. 

Eine  andere  Vermuthung  drängt  sich  mir  auf  in  Bezug 
auf  die  englische  Sprache,  die  Vermuthung  nämlich,  dass  es 
dem  Engländer  mit  who  ähnlich  ergangen  ist  wie  dem  Deut- 
schen mit  „  w  a  s ".  In  älterem  Englisch ,  auch  noch  in  der 
englischen  Bibelübersetzung,  im  Common  Prayer-book  und  im 
Shakspeare,  kommt  who  (Akkusativ  whom,  Genitiv  whose) 
nur  als  allgemein  fragendes  Fürwort  vor.  also  als  dem  deUt- 
sehen  „wer"  („wen")  („wessen"),  niemals  als  bezügliches 
Fürwort,    als    dem   deutschen    „welcher"    entsprechend.     Als 


Ueber  Was  und  Welches.  67 

bezügliches   Fürwort  wurde  stets  which    angewandt,    auch 
in  Bezug  auf  Personen:  z.  B. 

Ihe  man  which  brought  me  the  books. 
(„Der  Mann,  welcher  mir  die  Bücher  brachte.") 
The  men  which  brought  me  the  books. 
(„Die  Männer,  welche  mir  d.  B.  brachten.") 
Dieses   which   ersetzte  man,   wenn  man  sich  etwas  nach- 
lässig   ausdrückte,    oft   durch    das   Bindewort    that    („dass"), 
welches  dadurch  quasi  zu  einem  bezüglichen  Fürworte  geworden 
ist,  und  sagte: 

The  man  that  brought  me  the  books. 
(„Der  Mann,  dass  mir  die  Bücher  brachte.") 
The  men  that  brought  me  the  books. 
(„Die  Männer,  dass  mir  die  Bücher  brachten.") 
Dieses  Bindewort   that   ist  nicht    zu   verwechseln    mit  dem 
hinweisenden  und  determinativen   Fürworte    that    („jener," 
„jene,"     „jenes,"     „derjenige,"     „diejenige,"     „das- 
jenige"), welches  im  Plural  sich  in  those  verwandelt. 
Im  neueren  Englisch  hingegen  gilt  folgende  Regel: 
Auch  als    bezügliches    Fürwort,    dafern  dasselbe  einen 
substantivischen  Charakter  hat,  werde  in  Bezug  auf  Personen 
stets  who  angewandt;  und  which    werde,   als    bezügliches 
Fürwort,  nur  in  Bezug  auf  leblose  Gegenstände  angewandt. 
Demgemäss  sagt  man  heutzutage: 

The  man  who  (oder  that)  brought  me  the  books. 
The  men  who  (oder  that)  brought  me  the  books. 
Auch  in  Bezug  auf  leblose  Gegenstände   wendet    man  das 
Bindewort  that  an;  z.  B. 

The  books  that  (which)  he  brought  me. 
„Die  Bücher  dass  (welche)  er  mir  brachte." 
Es   leuchtet   ein,    dass   dieses    Bindewort    that   nie   eine 
Präposition  vor  sich  leidet,  dass  man  also  nicht  sagen  darf 
The  books  with  that  he  provided  me, 
(„Die  Bücher,  mit  dass  er  mich  versorgte.") 
sondern  sagen  muss: 

The  books  with  which  he  provided  me. 
„Die  Bücher,  mit  welchen  er  mich  versorgte." 
Wohl  aber  darf  man  sagen: 


68  Ueber  Was  und  Welches. 

The  books  that  he  provided  me  with. 

(„Die  Bücher  dass  er  mich  versorgte  mit.") 
Ferner  darf  man  das  relative  Fürwort  nur  dann  durch 
das  Bindewort  that  ersetzen,  wenn  das  mit  demselben  anhebende 
Satzglied  zur  näheren  Bestimmung  eines  im  Hauptgliede 
enthaltenen  Nomens  dient.  Wenn  aber  die  mit  dem  relativen 
Fürworte  anhebende  Wortverbindung  nicht  ein  Satzglied, 
sondern  ein  ganzer  Satz  ist,  darf  that  nicht  angewandt  werden. 
Nehmen  wir  z.  B.  folgendes: 

„Er  versorgt  mich  mit  Wein,    welcher   schlechter  ist 

als  Halbbier." 
Der  Sinn  kann  1.  sein: 

„Der  Wein,  mit  Avelchem  er  mich   (wie  Sie  wissen) 

versorgt,  ist  schlechter  als  Halbbier." 
So  aufgefasst,  ist  das  Ganze   ein  Satz,  aus  zwei  Gliedern 
bestehend,  und  der  Engländer  darf  that   („dass")  anwenden: 

He    provides   me  with    wine    that    („dass")    is  worse 

than  small  beer. 
Der  Sinn  kann  aber  2.  sein: 

„Er    versorgt    mich   mit    Wein;    dieser  Wein    aber    ist 

schlechter  als   Halbbier." 
So    aufgefasst,    bildet    die  mit   dem    bezüglichen    Fürworte 
anhebende  Wortverbindung  nicht  ein  Satzglied,  sondern  einen 
zweiten  Satz,  und  der  Engländer  sagt 

He    provides    me   with  wine,    which    (nicht  that)   is 

worse  than  small  beer. 
In  ersterem  Falle  macht  der  Redende  dem  Angeredeten 
nur  eine  Mittheilung,  nämlich  dass  der  ihm  von  N.  N.  ge- 
lieferte Wein  (dass  N.  N.  ihn  liefert,  weiss  der  Angeredete) 
von  sehr  schlechter  Qualität  ist.  In  letzterem  Falle  macht  er 
ihm  zwei  Mittheilungen,  nämlich  1.  dass  N.  N.  ihn,  den 
Redenden,  mit  Wein  versehe;  2.  dass  dieser  Wein  von  sehr 
schlechter  Qualität  ist.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  der  Eng- 
länder nur  in  letzterem,  nicht  aber  in  ersterem  Falle  ein 
Komma  hinter  wine  setzt. 

Bei  einigen  englischen  Schriftstellern  findet  man  zwar  mit- 
unter that  angewandt  in  Sätzen,  welche  dem  so  eben  ange- 
führten Beispiel,  in    letzterem  Sinne  genommen,  entsprechen, 


Ueber  Was  und  Welches.  69 

namentlich  im  Vicar  of  Wakefield,  welchem  überhaupt  von 
Manchen  der  Vorwurf  gemacht  wird,  dass  er  nicht  durchweg 
Muster -Englisch  enthalte.  Diese  Verstösse  scheinen  darin  be- 
gründet, dass  es  dem  Bewusstsein  selbst  der  Engländer  ent- 
schwunden ist,  dass  dieses  that  eigentlich  das  Bindewort 
that  („  dass")  ist. 

Diese  Abschweifung  erlaubte  ich  mir,  um  meine  Ver- 
muthung  zu  begründen,  dass  that,  welches  das  relative  Fürwort  er- 
setz, eigentlich  das  Bindewort  that  ist.  Ich  komme  jetzt  dar- 
auf zurück,  dass  die  Engländer  heutzutage,  als  bezügliches 
Fürwort,  wenn  es  sich  auf  Personen  bezieht,  who  (und  nicht 
which),  anwenden,  während  in  älterem  Englisch,  als  rela- 
tives Fürwort,  auch  in  Beziehung  auf  Personen,  which  an- 
gewandt wurde.  Das  Vaterunser  beginnt  demnach  in  der  Bibel 
und  im  Common  Prayer-book: 

Our  father,  which  art  in  Heaven, 
wie  es  denn  auch  noch  jetzt    sonntäglich  in   der    Liturgie    ver- 
lesen wird.     Einige  wenige  Prediger  sagen  auf  der  Kanzel,  wo 
sie  ohne  Buch  beten,  who  art  in  Heaven. 

Das  adjektivisch  angewandte  relative  Fürwort  wird 
freilich  auch  jetzt  noch  stets  durch  which  gegeben;  z.  B. 

He  had  two    sons,    Charles  and    William,    who    lived 
(aber  which  two  brothers  lived)  in  perfect  harmony. 
Ueber   den  Ursprung   dieser   im  Verlaufe    der  Zeit    einge- 
tretenen Veränderung   in  der  Anwendung   von  who  und    which 
hege  ich  folgende  Vermuthung. 

Obgleich  who  in  älterem  Englisch  nur  als  Fragefürwort 
vorkam ,  kamen  doch  jederzeit  Sätze  vor  wie  die  oben  ange- 
führten : 

Send   whom  (whomsoever)  you  choose.    „Sende   wen 
Du   willst."    (Aber    nicht  Send    any   one    whom  you 
choose,  sondern  Send  any  one  which  you  choose.) 
Let  who  (whosoever)  choose  oppose  me.     Es  trete  mir 
entgegen,  wer   da  will."    (Für  Let    any   one    which 
choose  oppose  me.) 
In  diesen  Sätzen  erscheinen  whom  und  who  als  quasi- 
relative Fürwörter.     Dass   sie   keine    wirkliche   relative  Für- 
wörter sind,  ergibt  sich  schon  daraus,  dass  wir  sie  mit  „wer" 


70  Ueber  Was  und  Welches. 

und  „wen"  (nicht  mit  „welcher"  und  „welchen")  ins 
Deutsche  übersetzen  würden.  Diese  Anwendung  des  who  und 
whom  als  quasi- relative  Fürwörter  veranlasste  dann  eine  Be- 
griffsverwirrung, welche  Viele  bewog,  who  und  whom  überhaupt 
auch  als  relative  Fürwörter  anzuwenden,  bis  es  allmählich 
zur  Regel  wurde,  in  Bezug  auf  Personen  stets  who  und 
whom  anzuwenden.  Es  scheint  also  dem  Engländer  mit  who 
ero-angen  zu  sein  wie  dem  Deutschen  mit  „was,"  indem  Ersterer 
who,  Letzterer  „was"  aus  einem  fragenden  Fürwort  auch  zu 
einem   bezüglichen  gemacht  hat. 

In  der  Anwendung  von  what  hingegen  ist  der  Engländer 
ßich,  wie  ich  oben  zeigte,  konsequent  geblieben;  er  hat  es  nie 
zu  einem  relativen  Fürworte  gemacht.  Nur  gänzlich  ungebildete 
Engländer  wenden  what  als  bezügliches  Fürwort  an  und  zwar 
auch  in  Bezug  auf  Personen.  So  z.  B.  gibt  ein  ungram- 
matisch sprechender  Küster  in  Bulwer's  Eugene  Aram  folgende 
Definition  des  Wortes  vagrant  („Vagabund"): 

A  vagrant  is  a  man    what   (statt  who)    wanders,   and 
what  has  no  money.     „Ein  Vagabund  ist  ein  Mensch, 
der  umher  irrt,  und  der  kein  Geld  hat." 
Ich  lasse   nun   noch   die  Erklärung   von  Sätzen   folgen,    in 
welchen  what  scheinbar  als  bezügliches  Fürwort  angewandt  ist. 
1.  There   was    scarce   a   farmer's    daughter    but    what 
(„welche  nicht")  had  found  him  successful  and  faithless. 
Um  zu  erkennen,    dass    what   hier   kein    relatives   Fürwort 
ist,  müssen  wir  zuerst  in's  Auge  fassen,    dass    but    „ausser 
(„ausgenommen")  heisst.     Nun  nehmen  wir  den  Satz: 

What  money  I  have  (für  The  money  which  I  have) 

is  fairly  earned.     „Das  Geld,    welches  ich  habe,    ist 

redlich  erworben." 

I  have  no  money  but    what    (für   but    such   as    oder 

but  t hat  which)  is  fairly  earned.  „Ich  habe  kein  Geld, 

ausser   solchem,    welches    redlich   erworben  ist"    (mit 

andern  Worten:  „Ich  habe  kein  Geld,  welches  nicht 

redlich  erworben  wäre"). 

What   friends   (für  The  friends   whom;    I  have  had 

have  forsaken   me.     „Die  Freunde,    welche  ich  gehabt 

habe,  haben  mich  verlassen." 


Ueber  Was  und  Welches.  7J 

I  have  had  no  friends  but  Avhat  (für  but  such  as 
oder  but  those  wlio)  have  forsaken  me.  „Ich  habe 
keine  Freunde  gehabt  ausser  solchen,  welche  mich 
verlassen  haben."  („Ich  habe  keine  Freunde  gehabt,  die 
mich  nicht  verlassen  hätten.") 

In  dieser  Weise  hat  but  what  die  Bedeutung  von  „welche 
nicht"  erlangt.  Dieses  scheint  dem  Bewusstsein  der  Eno-- 
länder  zum  Theil  entschwunden  zu  sein,  da  Einige  es  für  pro- 
vinziell' halten,  in  dergleichen  Sätzen  nach  but  (zum  Ueber- 
flusse,  wie  sie  meinen,)  noch  what  folgen  zu  lassen.  Deshalb 
haben  einige  Ausgaben  des  Vicar  of  Wakefield: 

There  was  scarce  any  farmer's  daughter  but  (ohne 
what)  had  found  him  successful  and  faithless; 

und  allerdings  kommt  in  heutigem  Englisch  das  einfache  but 
sehr  oft  im  Sinne  von  „welcher  nicht"  vor. 

2.  Is  that  what  you  call  Ins  generosity?  „Ist  das  seine 

von  Dir  gerühmte  Grossmuth?" 

Um  diesen  Satz  richtig  aufzufassen,  müssen  wir  zuvörderst 
Folgendes  ins  Auge  fassen. 
Sätze  wie  folgender: 

„Wir  nahten  uns  dem  sogenannten  Putziger  Wyk."' 
sind  in  folgender  Weise  ins  Englische  zu  übersetzen: 

We  approached  what  (statt  tbat  which)  is  called 
Putziger  Wyk." 

Demgemäss  heisst  what  is  called  generosity  „seine  so  ge- 
nannte Grossmuth"  und  what  you  call  his  generosity  „seine 
von  Dir  gerühmte  Grossmuth."  In  dem  vorliegenden  Satze  Is 
that  what  you  call  his  generosity  dient  what  you  call  his  gene- 
rosity also  keineswegs  zur  näheren  Definirung  des  Sub- 
jekts (that),  sondern  es  entspricht  dem  sogenannten  prädi- 
kati vischen  Nominativ,  der  hier  aus  einem  zusammenge- 
setzten Satzgliede  besteht;  und  dieses  Satzglied  zerfällt  wiederum 
in  Subjekt  (you)  und  Prädikat  (what  —  call  his  generosity). 
Wollte  man  in  diesem  Satze  which  anwenden,  so  würde  man 
ein  zweites  that  anwenden  müssen  und  sagen: 

Is  that  that  which  you  call  his  generosity?, 
welches  freilich  übel  klingen  würde.     Eben  so  ist  Is  this  what 


72  Ueber  Was  und  Welches. 

you  call  his  generosity?  gleichbedeutend  mit  Is  this  that  which 
you  call  his  generosity? 

3.  Reinember  that  there  is  a  local  propriety  to  be  ob- 
served  in  all  companies,  and  that  what  is  extremely 
proper  in  one  Company  may  be,  and  often  is,  highly 
improper  in  another. 

Das  dem  what  vorhergehende  that  ist  aber  das  Binde- 
wort („dass")  und  nicht  das  Fürwort  („das").  Hätte 
Chesterfield,  statt  des  Fragefürwortes  what,  das  relatire  Für- 
wort which  anwenden  wollen,  so  hätte  er  zweimal  that  ange- 
wandt (and  that  that  which  is  extremely  proper  etc. 

4.  I  told  them  all  what  I  knew. 

Dass  in  diesem  Satze  what  nicht,  wie  es  scheinen  möchte, 
bezügliches  Fürwort  ist,  ergibt  sich  daraus,  dass  der  Sinn 
nicht  sein  soll: 

„Ich  erzählte  ihnen  Alles,  was  ich  wusste" 
(in   welchem  Sinne  jeder  Engländer   sagen    würde   I   told  them 
all  which  oder  all  that  —  I  knew),  sondern 

„Ich  erzählte  ihnen  Allen,  was  ich   wusste." 
Die  verschiedenen  Arten   der  Anwendung  des   what  lassen 
sich  in  5  Rubriken  bringen. 

1.  What  entspricht  dem  deutschen  „was"  im  Sinne  von 
„Etwas";  z.  B. 

I  '11  teil  you  what.     „Ich  will  Dir  was  sagen." 
Das  Kompositum  somew^hat  entspricht  dem  deutschen  Ad- 
verbium „etwas";  z.  B. 

Iam  somewhat  better  to-day.  „Ich  bin  heute  et- 
was besser." 

2.  What  ist  ein  Fragefürwort  und  zwar 

a)  substantivisch  gebraucht;  z.  B. 

What  is  this?  „Was  ist  dies?" 
Unter  diese  Rubrik   gehören    auch   die    meisten  der  vorhin 
angeführten   Beispiele,    in    welchen    what   als    quasi -relatives 
Fürwort  erscheint;  z.  B. 

He  did  not  attend   to   what  I  said.    „Er   achtete  nicht 

auf  was  ich  sagte." 

b)  adjektivisch  gebraucht;  z.  B. 

What  book  is  this?   „Was  für  ein  Buch  ist  dies?" 


Ueber  Was  und  Welches.  73 

Unter  diese  Rubrik  gehören  unter  den  Beispielen,  in  welchen 
what  als  quasi- relatives  Fürwort  erscheint,  alle  die,  welche 
dem  folgenden  entsprechen: 

1  had  given  out  what  money  I  had  about  me.  „Ich 
hatte  das  Geld ,  welches  ich  bei  mir  hatte ,  ausge- 
geben." 

3.  What  ist  ausrufendes  Fürwort.  Dieses  what  hat, 
wenn  ein  Gattungswort  im  Singular  folgt,  den  Artikel  a 
nach  sich;  z.  B. 

What  a  book  is  this!  „Was  für  ein  Buch  ist  dies!" 
What  books  are  these!  „Was  für  Bücher  sind  dies!" 
Wenn  aber  ein  dornen  folgt,   welches   kein  Gattungswort 
ist,  d.  h.  keines  Plurals  fähig  ist,    so  ist  es   richtiger,  den  Ar- 
tikel wegzulassen;  z.  B. 

What  impertinence !  „Welche  Impertinenz!" 

4.  What,  mehrmals  wiederholt  (oder  auch,  nicht  wieder- 
holt, in  Verbindung  mit  and),  ist  zuweilen  mit  dem  sich  in 
einem  Satze  wiederholenden  „theils"  zu  übersetzen.  In  diesem 
Sinne  ist  es  als  Adverb  aufzufassen;  z.  B. 

What  with  attending  dinner-parties,  what  with  visit- 
ing  exhibitions,  what  with  calling  on  my  friends,  what 
with  making  excursions  to  the  places  of  public  resort 
(oder  What  with  attending  dinner-parties,  visiting  ex- 
hibitions, calling  on  my  friends,  and  making  excur- 
sions to  the  places  of  public  resort),  I  contrived  to  make 
a  tight  week  of  it.  „Theils  durch  Theilnahme  an 
Mittagsgesellschaften,  theils  durch  Besuch  der  Aus- 
stellungen, theils  durch  Einsprechen  bei  meinen 
Freunden,  theils  durch  Ausflüge  nach  den  Vergnügungs- 
plätzen, wusste  ich  die  Woche  recht  auszufüllen." 

5.  Not  but  what  steht  zuweilen  statt  des  richtigeren  not 
but  that  („freilich");  z.  B. 

At  this  hour  I  am  seldom  at  leisure;  not  but  what  I 
am  always  at  the  Service  of  a  voter.  „Um  diese  Stunde 
bin  ich  selten  bei  Müsse.  Freilich  stehe  ich  einem 
Wähler  stets  zu  Diensten." 
In  folgender  Stelle  im  Vicar  of  Wakefield  ist  (wie  es  auch 
richtiger  ist)  not  but  that  angewandt: 


74  Ueber  Was  und  Welches. 

Thns  we  lived  several  years  in  a  state  of  much  happi- 
ness,  not  but  that  we  sometimes  had  those  little  rubs 
whieh  etc.  etc.  „So  lebten  wir  mehrere  Jahre  in  einem 
Zustande  grosser  Glückseligkeit.  Freilich  hatten 
wir  mitunter  solche  kleine  Unannehmlichkeiten,  welche 
etc.  etc." 
Der  Ursprung  dieser  Weise,  „freilich"  („zwar")  durch 
not  but  that  auszudrücken,  erklärt  sich  aus  Folgendem. 

Wenn  but  einem  eine  Verneinung  enthaltenden  Satze  ein- 
geschoben wird,  so  erlangt  dieser  Satz  dadurch  den  entgegen- 
gesetzten Sinn;  z.  B. 

I  could  not  smile.    „Ich  konnte  nicht  lächeln." 
I  could  not  but  smile.  „Ich   musste  lächeln"  (konnte 
mich  des  Lächelns  nicht  enthalten"). 
Frage:     Have  you  seen  the  execution?    „Hast  Du  die  Hinrich- 
tung mit  angesehen?" 
Antwort  1 :    No,  and  I  would  not  have  seen  it  for  100  Thalers. 
„Nein;    und   ich    hätte    sie   auch   nicht    ansehen  wollen, 
wenn  man  mir  gleich  100  Thlr.    dafür   geboten  hätte." 
Antwort  2 :  Yes ,   and  I  would   not  but   have   seen  it   for  100 
Thlr.    „Ja,  und  die  Erinnerung  (sie  angesehen  zu  haben) 
ist  mir  100  Thlr.   werth." 

I  have  a  notion  she  will  find  many  lovers.  Not  that 
she  is  very  handsome  (für  I  do  not  mean  to  say  that 
she  is  very  handsome) ;  still  however  etc.  etc. 
„Ich  glaube,  sie  wird  viele  Liebhaber  finden.  Ich  will 
nicht  sagen,  dass  sie  sehr  schön  ist;  aber  doch  etc.  etc." 
I  fear  she  will  find  no  lover.  Not  but  that  she  is 
very  handsome;  still  however  etc.  etc. 
„Ich  fürchte  sie  wird  keinen  Liebhaber  finden.  Freilich 
(Zwar)  ist  sie  sehr  schön,   aber  doch  etc.  etc." 

Stettin.  Haupt. 


Epitre  de  saint  Paul  aux  Eph  Asiens, 

et  Histoire  de  sainte  Susanne, 
en  proven9al. 


En  fait  de  prose  provencale,  un  des  manuscrits  les  plus 
curieux  est  celui  qui  est  inscrit  sous  le  n°  8086  au  catalogue 
de  la  bibliotheque  imperiale  de  Paris.  C'est  un  petit  in  -8°  de 
211  feuillets  ä  deux  colonnes  en  parchemin,  qui  contient  une 
traduction  du  Nouveau  Testament,  faite  sur  la  vulgata,  mais 
dont,  par  malheur,  les  premiers  31  feuillets,  comprenant  l'Evan- 
gile  selon  saint  Matthieu  et  les  premiers  17  vers  de  l'Evangile 
selon  saint  Marc,  ont  disparu.  L'ecriture  est  du  XHIIe  siecle, 
mais  la  langue  etant  d'une  grande  correction  et  la  regle  difficile 
de  l's  final  se  trouvant  presque  partout  bien  appliquee,  on  pour- 
rait  merae  croire  cette  traduction  anterieure  au  XHIIe  siecle. 
En  general  le  traducteur  a  suivi,  avec  une  grande  fidelite,  le 
texte  de  la  vulgata:  mais  quelquefois  il  a  omis,  soit  des  vers, 
soit  des  passages  entiers ,  dont ,  ä  ce  qu'il  parait ,  il  croyait 
pouvoir  se  passer,  et  ce  n'est  que  bien  rarement  que  la 
traduction  porte  plus  que  son  original.  Sur  les  pages  suivantes, 
pour  donner  quelque  chose  de  complet,  je  communique  de  cette 
traduction  dont  j'ai  pris  une  copie,  l'epitre  de  saint  Paul  aux 
Ephesiens.  Mais  pour  faire  voir,  combien  la  langue  de  cette 
traduction  est  superieure  h  celle  d'une  autre  qui  se  trouve  dans 
le  manuscrit  n°  8086.  3.  de  la  meme  bibliotheque,  j'ajoute  l'hi- 
stoire  de  sainte  Susanne  que  j'en  ai  tiree.  Ce  deuxieme  manu- 
scrit est  un  grand  in -8°  de  366  feuillets,  velin ,  d'une  ecriture 
du  XV e  siecle,  qui,  d'apres  le  catalogue,  devrait  comprendre  la 
traduction   complete   de  la  Sainte  ßible,    mais    dont   cette   table 


76  fipitre  de  saint  Paul  aux  fiphesiens, 

de  matieres,   inscrite  sur  le  premier  feuillet,  decrit  plus  exacte- 
ment  le  contenu: 

Ayso  es  lo  prologue  del  comensaraent  del[s].  v.  libre[s] 
de   moyses  con  dieu  fes  tot  quant   es  ...  I.  —  Ayso 
es  lo    comensament  del    premier    libre    de    moyses    que 
ha  nom  genesis  e   es  lo    premier   dels.  v.    libres  que  el 
fes  .  ♦  .  III.  —  Aysi   comensa   lo    libre  que  a  nom  ex- 
hod(i)us  .  .  .  lvi.  —  Ayso  es  lo  fers  libre  que   s'apella 
leuit[ic]us  .  .  .    lxxv.  —  Aysi  comensa   lo   libre    de  las 
generacions  quant  foron  comtats  al  desert  de  sinay  per 
moyses  e  per  aaron  per  que  es  apellat  (libre)  libre  dels 
nombres  .  .  .  Cvi.  —  Apres  la  mort  de  moyses   regnet 
profeta  en  israel  josue  filh  de  nuni  e  comenset  son  libre 
per  aital  via  .  .  .  Cxxxn.   —  Aysi  comensa  lo  libre  dels 
juges  .  .  .   [?].  —  Aysi  comensa  lo  libre  dels   reys  .  .  . 
CCxxi.  —  Ayso  es  lo  libre  de  l'estoria  e  de  la  vida  de 
tobias,   bon   home   e  just  .  .  .  CCxlm.  —  Ayso   es    lo 
libre  de  las  profecias  de  daniel  tot  complit  .  .  .  CClvm. 
—  Ayso  es  lo  libre  de   l'estoria  de  la  sancta   suzanna. 
E  es  lo  xvm.  capitol  .  .  .  CClxxxvn.  —  Aysi    comensa 
lo  libre  de  judich  e  de  olofern  primpce  e  maistre  de  las 
osts    de   nabuchodonozor  rey,  al   quäl   la   sancta   donna 
judich   talhet   la   testa  .  .  .  CCxCnn.   —    Aysi    comensa 
lo  libre  de  ester  la   reyna  con   desliura(r)  de   mort  los 
juzieus  .  .  .  CCCix.  —  Aysi  comensa  lo  libre  dels  ma- 
quabieus  .  .  .  CCCxvru.  —  Aysi  fenis  lo  premier  libre 
dels   maquabieus  .  .  .  CCClvra.  —  Ayso    es   la  somma 
de  la  trinitat  e  de  la  fe  catholica  e  de  los  drechs  que  foron 
fachs    apres  la   mort    de  Jhesu  Christ .  . .  CCClxm.   — 
Pour  ce  qui  regarde  la  regle  de  l's,  eile  a  ä  peu  pres  dis- 
paru  dans  ce  deuxieme  manuscrit,    la  langue,    en  discernant  le 
singulier  et  le  pluriel,  suivant  l'usage  moderne:    c'est  pourquoi, 
ä  mon   avis,    quand   meme  il  y  en  aurait  encore    des  traces,   il 
faudrait    les    effacer,    pour    donner    au    texte   le   meme    coloris. 
Quant  ä  cette  regle  penible,    sur  l'emploi    de   laquelle  M.  Ray- 
nouard   est   en    quelque    desaccord    avec    les    deux    grammaires 
provencales   de    Hugues    Faidit   et   de   Raymond    Vidal    de  Be- 
saudun, publikes  pour  la  seconde  fois  par  M.  Guessard  en  1858, 


et  Histoire  de   sainte  Susanne.  77 

meme  l'autre  inanuscrit,  comrne  l'on  verra  apres,  a  son  caractere 
propre:  j'ai  donc  quelquefois  ecarte"  les  s  finaux  qui  n'y  ^taient 
entres  que  par  une  erreur  de  copiste,  ä  en  juger  par  des  cas 
analogues  dans  le  meme  texte,  comme,  de  l'autre  cote,  il  m'en 
a  tres -souvent  fallu  ajouter.  Pour  mentionner  encore  deux 
choses  caractöristiques  du  ms.  n°  8086,  l's  final  est  tres -souvent 
supprime  devant  un  mot  comruencant  par  s,  tandisque,  quand 
le  mot  suivant  commence  par  1  ou  n,  on  a  encore  ajoute  ces 
memes  consonnes  au  mot  precedent.  V.  p.  ex.  l'^pitre  aux 
Ephes.  eh.  I,  18  .  .  cal  sia  la  esperansa  del-1'apella- 
ment  de  lui,  e  cals  sian  las  manencias  de  la  heretat 
d'el  el  santz;  eh.  vi,  12  car  lucha  non  es  a-n  nos  en- 
contra  la  carn  el  sanc. 

Mais  voiei  les  deux  textes  en  question. 

Ad  Ephesios.*) 
I. 
Pauls  apostols  de  Jhesu  Christ  per  la  uoluntat  de  dieu  a 
totz  los  santz,  li  cal  son  ad  Ephesi,  et  als  fizels  en  Jhesu 
Christ:  (2)  gracia  sia  a  uos  e  pas  de  dieu  lo  paire  et  del  senhor 
Jhesu  Christ.  3.  sia  beneses,  lo  cals  benezic  nos  en  tota  bene- 
dictio  esperital,  en  las  celestials  cauzas  en  Christ,  (4)  si  com 
elegi  nos  e  lui  meteis  denant  l'establiment  del  mon,  per  ayso 
que  nos  fossem  sang  e  non  laysat  en  l'esgardament  d'el  en  ca- 
ritat.  5.  lo  cals  denant  destinet  nos  en  l'afilhament  del  filh 
per  Jhesu  Christ  en  el  meteis  segon  lo  prepauzament  del-la 
sieua  uoluntat,  (6)  e  lauzor  de  gloria  de  la  sieua  gracia,  e  la 
cal  fes  nos  agradables  el  sieu  amat  filh,  (7)  el  cal  auem  re- 
dempeio  per  lo  sanc  d'el  e  redempeio  de  peccat  segon  las  ma- 
nencias de  la  sieua  gracia,  (8)  la  cal  sobre  aondet  en  nos  en 
tbta  sauieza  et  en  prouensa  de  dieu:  (9)  per  ayso  que  el  fes 
conoyser  a  nos  lo  sagrament  de  la  sieua  uoluntat  segon  lo  be 
plazer  de  lui,  lo  cal  prepauzet  a  el.  10.  e  l'aordenament  del-la 
planetat  del  temps  restauret  en  Christ  totas  aycellas  causas,  las 
cals  son  el  cel  e  las  cals  son  en  terra  en  el  meteis :  (11)  el 
cal  neis  nos  em  apellat  per  sort,   auant   destinat    segon  lo   pre- 


*)  Ms.  n°  8086,  fol.  164  v.  —  168  v.  —  ms.:  I  3  esperitals.    8  pre- 
zencia  de  dieu;   vg.:  in  omni  sapientia  et  prudentia. 


78  fipitre  de  Saint  Paul  aux  fiphe'siens, 

pauzament  d'aycel,  lo  cals  obra  totas  cauzas  segon  16  concelh 
de  Ia  sieua  uoluntat:  (12)  per  so  que  nos,  li  cal  denant  esperem 
en  Christ,  siam  en  lauzor  de  Ja  gloria  de  lui:  (13)  el  cal  uos 
ancar,  carisme,  con  aguesses  auzida  la  paraula  de  ueritat  de 
l'auangeli  del  uostre  salut,  el  cal  uos  neis  crezent  [es]  ensenhat 
el  iorn  de  la  promissio  del  sant  esperit,  (14)  lo  cals  es  heretiers 
de  la  nostra  heretat,  en  redempcio  de  conquerement,  e  la  lauzor 
de  la  gloria  d'el. 

15.  Per  aisso  neis  ieu  auzent  la  uostra  fe,  la  cal  es  el  sen- 
hor  Jhesu,  e  l'amor  en  totz  los  santz,  (16)  non  cessi  fazent 
gracias  per  uos,  fazent  renembransa  de  uos  e  las  mieuas  ora- 
cions,  (17)  per  aiso  que  dieus  de  gloria,  paire  de  nostre  senhor 
Jhesu  Christ,  done  a  uos  esperit  de  sauieza  e  de  reuelacio 
en  la  conoycensa  d'el;  (18)  enlumenat  los  huuels  de  uostre  cor, 
per  so  que  uos  sapias,  cal  sia  la  esperansa  del-1'apellament  de 
lui,  e  cals  sian  las  manencias  de  la  gloria  de  la  heretat  d'el  el 
santz.  —  21.  [Lo  cals]  sobre  tot  principat  e  poestat  es  eissau- 
satz  en  senhoria  e  sobre  tot  nom,  lo  cals  es  nomnat  non  sola- 
ment  en  aquest  segle,  mas  neis  en  l'auenidor.  22.  e  sotzmes 
totas  cauzas  sotz  los  -sieu9  pes,  e  donet  el  meteis  cap  sobre 
tota  la  gleyza,  (23)  la  cals  es  cors  d'el  [e]  plenetat  d'el,  lo  cals 
adumpli  totas  cauzas  en  totz. 

II. 
•   E  uos    con   fosses    mort    als    forfatz  et  als    uostres  peccats, 
(2)  eis  cals  uos  anes  a  la  uegada  segon  lo  segle  d'aquest  mont, 
segon  lo  prince  de  la  poestat  d'aquest  aire,  de  l'esperit,  lo  cals 


11  lo  cal,  mais,  dans  ce  ms.,  le  masculin  du  nom.  sing,  est  a  l'ordinaire 
(V.  v.  5)  lo  cals,  du  nom.  plur.  (v.  1)  li  cal;  le  feminin  du  nom.  sing.  (v.  8)  la 
cal,  (pourtantla  cals  se  trouve  v.  23;  III,  2,  7  et  20;  IUI,  18;  V,  4),  du  nom. 
plur.  (v.  10)  las  cals.  13  nos...  aguessem,  mais  la  vulg.  (v.  9):  et  vos 
cum  audissetis  el  cal  nos  neis  crezent  ensenhant;  vg. :  in  quo  et 
credentes  signati  estis.  les  vers  de  la  vg.  19,  20:  „et  quae  sit  su- 
pereminens  magnitudo  virtutis  eius  in  nos,  qui  credimus  se- 
cundum  operationem  potentiae  virtutis  eius,  quam  operatus 
est  in  Christo,  suscitans  illum  a  mortuis,  et  constituens  ad 
dexteram  suam  in  caelestibus"  ont  ete"  omis  dans  la  traduction.  Pour 
^Carter  l'incohdrence,  j'ai  intercale  v.  21  lo  cals.  23  ce  qui  se  lisait  entre 
poestat  et  en  senhoria,  est  efface\  23  cors  d'el,  plenetat;  vg.  cor- 
pus eius  et  plenitudo. 

II.  1  morts  (V.  v.  5  con  fossem  mort). 


et  Histoire  de  sainte  Susanne.  70 

obra  ara  eis  filhs  de  mescrezensa:  (3)  eis  cals  neis  nos  tug 
conuersem  a  la  uegada  eis  dezires  de  la  nostra  carn,  fazent  la 
uoluntat  de  la  carn  e  de  las  cogitacions ,  et  eram  fim  d'ira  per 
natura  si  co  neis  li  autre:  (4)  mas  dieus,  lo  cals  es  manentz 
en  misericordia  per  la  sieua  mot  granda  caritat,  per  la  cal  nos 
amet,  (5)  e  con  fossem  mort  eis  peccats,  ensemps  uiuifiquet 
nos  en  Christ,  per  la  gracia  del  cal  uos  es  saluat,  (6)  et  en- 
semps nos  resuscitet  e  fes  nos  ensemps  setis  en  las  celestials 
causas  en  Jhesu  Christ:  (7)  per  so  que  demostres  sobre  nos 
las  auondans  riquezas  de  la  sieua  gracia  el  sobre  uenent  segles, 
en  bontatz  en  Jhesu   Christ. 

8.  Car  uos  [es]  saluat  per  gracias  e  per  la  fe;  et  ayso  non 
es  de  uos,  car  dons  es  de  dieu;  (9)  e  non  de  las  obras,  per 
que  alcus  non  se  glorieie.  10.  car  nos  em  fazedura  d'el  meteis, 
creat  en  bonas  obras,  las  cals  dieus  auant  apareihet,  per  ayso 
que  nos  annem  en  ellas.  11.  per  la  cal  cauza  siatz  renembra- 
dor,  car  uos  li  cal  sias  a  la  uegada  en  la  carn  paga,  li  cal  sias 
dig  prepucis,  d'aycella,  la  cals  es  dicha  circumcisios ,  en  carn 
facha  de  ma:  (12)  li  cal  sias  en  aycel  temps  ses  Christ,  estren- 
hat  de  la  conuersacio  d'I[s]rael  et  oste  del  testament  d'el,  non 
auent  l'esperansa  de  la  remissio,  e  sias  ses  dieu  en  aquest  mont. 
23.  mas  uosv  es  ara  en  Jhesu  Christ,  uos,  li  cal  sias  a  la  ue- 
gada lueng  et  es  ara  fag  prop  el  sanc  de  Christ.  14.  car  el 
meteis  es  li  nostra  pas,  lo  cals  fes  las  unas  e  las  autras  cauzas 
l'una  cauza,  e  la  meiaciera  paret  de  la  mazeria  destrucnt,  la 
enemistat  e  la  sieua  carn:  (15)  enuanezent  la  ley  des  manda- 
mens  per  los  decretz,  per  so  que  el  bastisca  dos  e  si  meteis, 
fazent  pas,  en  u  nouel  home,  (16)  [e]  per  zo  que  los  reconsilie 
ambedos  a  dieu  per  la  cros  en  u  cors,  aucizent  la  enemistat  e  si 
meteis.  17.  e  uenc  e  preziquet  pas  a  uos,  li  cal  fos  lueng,  e 
pas  ad  aycel3,  li  cal  eran  prop.  18.  Car  amb  el  auem  apro- 
bencament  per  el  meteis  en  u  esperit  al  paire. 

19.  Doncas  ia  non  es  oste  et  es  estrang,  mas  es  cioutadan 
dels    santz   e   domesgue    de   dieu:    (20)  sobre    hedificat   sobre  lo 


5  peccat.  G  l'ecriture  du  ms.  est  a  peu  pres  eßace'e.  7  riqueas 
8  uos  saluat;  j'ai  supplee  es,  car  la  vg.  porte:  estis  salvati.  12  dirael. 
14  lo    cal  car.     16  a  cause  de  la  lecon   de  la  vg. :  et    reconciliet 

j'ai  suppige  e.    19  cioutadan?. 


80  fipitre  de  saint  Paul  aux  fiphe'siens, 

fundament  dels  apostols  e  dels  prophetas,  e  meteis  Jhesu'  Christ 
la  sobeyrana  peira  anglar:  (21)  el  cal  tota  edifications  garnida 
cris  el  sant  temple  el  senhor:  (22)  el  cal  uos  neis  es  ensemps 
edificant  en  l'abitacle  de  dieu  el  sant  esperit. 

III. 

Per  la  gracia  d'aquesta  cauza,  ieu  Pauls,  liatz  de  Jhesu 
Christ  per  uos  gens,  (2)  si  enpero  uos  auzist  l'aordenament  de 
la  gracia  de  dieu,  la  cals  es  donada  a  mi  e  uos:  (3)  car  lo  sa- 
gramens  es  fachs  connogut  a  mi  segon  reuelacio,  si  com  eu  de 
sobre  en  breu  escriossi:  (4)  aissi  con  uos  legent  podes  entendre 
la  mia  sauieza  el  menestier  de  Christ:  (5)  lo  cals  non  fo  cono- 
gut  a  las  autras  generacions,  als  filhs  dels  homes,  aici  con  es 
ara  reuelat  als  santz  apostols  de  lui  et  als  prophetas,  (6)  las 
gens  esser  ensemps  eretieras  en  esperit,  et  esser  ensemps  par- 
coniers  de  la  promissio  en  Jhesu  Christ  per  l'auangeli:  (7)  del 
cal  ieu  suy  fait  ministres,  segon  lo  do  de  la  gracia  de  dieu,  la 
cals  es  dada  a  mi  segon  la  obra  de  la  uertut  d'el.  8.  mas  aquesta 
gracia  es  donada  a  mi  menre  de  totz  los  santz,  prezicar  en  las 
gens  las  non  encercablas  riquezas  de  Christ,  (9)  et  enluminar 
tots,  cals  sia  l'aordenament  del  sagrament  rescost  dels  segles  en 
dieu,  lo  cals  crezet  totas  cauzas;  (10)  per  so  que  sia  connogut 
als  princes  et  als  poestatz  e  las  celestials  cauzas,  per  la  gleiza 
de  la  mot  formabla  sauieza  de  dieu,  (11)  segon  l'auant  -  adorde- 
nament  dels  segles,  lo  cal  fes  el  nostre  senhor  Jhesu  Christ: 
(12)  el  cal  nos  auem  fizansa  et  aproismament  en  confizansa  per 
la  fe  de  lui.  13.  per  la  cal  cauza  queri  que  non  defalhas  en  las 
mias  tribulacions  per  uos :  la  cals  es  uostra  gloria. 

14.  Per  la  gracia  d'aquesta  cauza  ieu  flegezic  los  mieus 
ginols  al  paire  de  nostre  senhor  Jhesu  Christ,  (15)  del  cal  tota 
Paternität  es  nomnada  el  cel  et  en  la  terra,  (16)  per  aisso  que 
uos  done  uertut  segon  las  riquezas  del-la  sieua  gloria,  esser 
efforsat  lo  dedinzan  home  per  l'esperit  d'el,  (17)  habitar  Christ 
per  la  fe  eis  uostres  cors:  enraigat  e  fundat  en  caritat,  (18)  per 
so  que  uos  puscas  conpenre  am  totz  los  santz,  cals  sian  la  lar- 
gueza,  la  longeza,  l'auteza  e  la  pregondeza,  (19)  saber  neis  la 
sobre -apareysent  caritat  de  la  sciencia  de  Christ,  per  so  que  uos 

III.  3  faghz.    9  tot  lo  cal.  11  lo  cals.    13  nostra  gloria;  vg.; 

gloria  vestra.    16  dedinza  (V.  IUI,  9). 


et  Histoire  de  sainte  Susanne.  81 

sias  aumplit  en  tota  la  pleneza  de  dieu.  20.  mas  aycel,  lo  cals 
es  poderos  de  far  totas  cauzas  sobre- aondozarnent  que  nos  que- 
rem o  entendem  segon  la  uertut,  la  cals  obra  en  nos:  (21)  a  el 
nieteis  sia  gloria  en  la  gleyza,  et  en  Jhesu  Christ,  en  totas  las 
geyeracions  del  segle  des  segles  uerament. 

IUI. 

Doncas,  fraire,  ieu  liatz  el  senhor  pregui  uos  el  senhoi', 
que  annetz  dignament  en  l'apellament ,  el  cal  es  appellat,  (2) 
am  tota  humilitat  et  am  soaueza,  am  paciencia,  sotzportant  l'uns 
l'autre  en  caritat,  (3)  eurios  gardar  la  humilitat  de  l'esperit  e 
liam  de  pas.  4.  uns  cors  et  us  esperitz,  si  con  es  apellat  en 
una  esperansa  del  nostre  apellament.  5.  uns  senher  es,  una  fes 
es,  us  babtisme  es.  6.  us  dieus  es  el  paire  de  totz,  lo  cals  es 
sobre  totz  e  per  totas  cauzas  et  en  totz  nos. 

7.  Mas  gracia  es  donada  ad  u  cascu  de  nos  segon  la  men- 
sura  de  la  donacio  de  Christ  en  una  esperansa  de  nostre  apella- 
ment. 8.  per  la  cal  cauza  dis  Christ:  poiant  en  aut  menet  la 
preizo  preza:  donet  dos  als  homes:  (9)  mas  so  que  el  puget, 
cal  cauza  es,  si  no  que  el  deycendet  premierament  en  las  de- 
dinzanas  partidas  del-la  terra?  10.  aycel  lo  cals  puiet,  es  neis 
si  el  meteis,  lo  quals  puget  sobre  totz  los  cels,  per  so  que  el 
adumplis  totas  cauzas.  11.  et  el  meteis  certas  donet  alcuns 
apostols,  mais  alcuns  prophetas,  mais  los  autres  pastors  e  doc- 
tors,  (12)  al-1'acabament  dels  santz  en  la  obra  de  menestier, 
en  la  hedificacion  del  cors  de  Christ:  (13)  entro  que  tug  con- 
tracorram  en  la  humilitat  de  la  fe  e  de  la  conoysensa  del  filh 
de  dieu,  —  (16)  del  cal  totz  lo  cors  es  aiustatz  et  enlassat  per 
tota  mesura  d'aministrament ,  segon  la  obra  e  la  mezura  d'u 
cascu  menbre,  fa  acreysement  d'el  en  caritat. 

17.  Doncas  ieu  die  ayso  e  testimoni  el  senhor,  que  ia  non 


20  lo   cal  que  nos   non   querem;  vg.:  quam  petimus. 

IUI.  1  appellatz.  5  senher s.  6localel  sobre.  8menetlapreza 
preio.  9  dedins  sauas  partidas  (V.  III,  IG).  10  aycels  local  loqual. 
13 — 15  le  tradueteur  a  omis  ces  motslatins:  „in  virum  perfectum,  inmen- 
suram  aetatis  plenitudinis  Christi:  ut  iam  non  simus  parvuli 
fluetuantes,  et  ci  rcum  feramur  omni  vento  doctrinae  in  nequi- 
tia  hominum,  in  astutiaad  circum ventionem  erroris,  veritatem 
autem  facientes  in  charitate,  ereseamus  in  illo  per  omnia,  qui 
est  caput  Christus". 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  6 


82  fipitre  de  saint  Paul  aux  fiph^siens, 

annetz  si  co  las  gens  uan  en  la  uanetat  de  lor  sen,  (18)  auent 
escurzit  l'entendement  de  tenebras,  estrangnat  de  la  uia  de  dieu, 
per  la  desconoysensa,  la  cals  es  en  eis  per  la  ceguetat  del  cor 
de  lor;  (19)  li  cal  des  es  per  an  lur  meteyses,  lioureron  se  tug 
a-n  no-castitat,  en  obrament  d'oreza,  en  auaricia.  20.  mas  uos 
non  aprezes  enayci  Christ,  (21)  si  empero  uos  auzis  el,  et  es 
esseignat  en  el,  aisi  con  es  ueritat  en  Jhesu,  (22)  depauzar 
uos  lo  uelh  home  segon  la  anciana  conuersacio,  lo  cals  es  cor- 
rumput  segon  I03  desiriers  d'error. 

23.  Mas  sias  renouellat  per  l'esperit  de  la  uostra  pessa, 
(24)  e  uistets  lo  nouel  home,  lo  cals  es  criatz  segon  dieu  en 
drechura  et  en  santitat  de  ueritat.  25.  per  la  cal  cauza  depau- 
zant  mesonega,  parlas  us  cascus  ueritat  am  son  prueme,  car 
nos  em  menbre  Tuns  de  l'autre.  26.  irayces  uos  e  non  uulhas 
peccar:  lo  soley  non  morra  sobre  la  uostra  ira.  27.  non  uulhas 
luoc  donar  al  diable.  28.  cel  que  panna,  ia  non  panne;  mas 
maiorment  laore  obrant  am  las  sieuas  mans  so  que  es  be,  per 
so  que  aia  don  que  done  als  sufrent  la  bezonha. 

29.  Nenguna  mala  paraula  non  iesca  del-la  uostra  boca: 
mas  si  alcuna  cauza  es  bona  a  la  hedificatio  de  la  fe,  per  so 
que  done  gracia  als  auzens.  30.  e  non  uulhas  contristar  lo  sant 
esperit  de  dieu,  el  cal  crezent  es  senhat  el  iorn  de  redempcio. 
31.  tota  amareza  [et  ira]  et  endignacions  e  cridors  e  maldigz 
sia  tout  de  uos  am  tota  maleza.  32.  mas  sias  entre  uos  benigne, 
misericordios,  perdonant  l'uns  a  l'autre,  si  con  neis  dieus  per- 
donet  a  uos  en  Christ. 

V. 

Doncas  sias  resemblador  de  dieu  aysi  coma  filh  car.  2.  annas 
en  caritat,  aysi  con  Christ  amet  nos  e  liouret  si  meteis  per  nos 
ufrenda  e  sacrifici  a  dieu  en  odor  de  suauetat.  3.  mas  forni- 
cations  e  tota  oreza  o  auaricia  non  sia  nomnada  en  uos,  si  co 
coue  los  sants;  (4)  o  lageza  o  folla  paraula  o  cortezia,  la  cals 
non  aperte  a  cauza;  mas  maiorment  fazement  de  gracias.  5.  mas 
uos    entendes  e    sapias    ayso,   que   tot    fornicaire   o   non -netz  o 


19  li    cal    desprezan;   vg.:   desperantes.    22  los    uelhs    home 
desiriers    de    lor;    vg.:   desideria    erroris.    31  j'ai  suppige*   et 
ira  a  cause  de  la  lecon  de  la  vg. 
Y.   I  filhs  cars.    2  sacrif... 


et  Histoire  de  sainte  Susanne.  83 

auars,  la  cal  cauza  es  seruiment  de  las  ydolas,  non  a  heretat 
el  regne  de  dieu. 

6.  Nenguns  non  uos  enganne  am  uanas  paraulas,  car  la  ira 
de  dieu  uenc  per  ayso  es  filhs  de  mescrezensa.  7.  doncas  non 
unlhas  esser  lurs  parsoniers.  8.  Car  uos  sias  adonc  en  tenebras, 
mas  ara  es  lus  el  senhor:  annas  coma  filh  de  lus:  (9)  car  lo 
fruc  de  lus  es  en  tota  bontat  et  en  drechura  et  en  ueritat:  (10) 
esplorant  cal  cauza  sia  ben  plazers  a  dieu:  (11)  e  non  uos  uul- 
has  acompanhar  a  las  non  fruchosas  obras  de  las  tenebras,  mas 
maiorment  las  reprennes.  12.  car  laia  cauza  es  dire  aquo  que 
es  fach  en  rescost.  13.  car  totas  aycellas  cauzas  son  manifesta- 
das,  las  cals  son  reprezas,  de  lum:  car  tot  so  que  es  mani- 
festat,  es  lums.  14.  per  la  cal  cauza  dis :  leua  tu,  lo  cals  dormes, 
e  leua  dels  mortz  e  Christ  alumenara  tu. 

15.  Doncas,  fraire,  ueias,  en  cal  maniera  annetz  sauiament, 
no  coma  non- saui,  (16)  mas  coma  saui:  rezement  lo  temps,  car 
los  iorns  son  mal.  17.  per  ayso  non  uulhas  esser  non- saui, 
mas  entendent,  cals  sia  la  uoluntat  de  dieu.  18.  e  non  uulhas 
esser  enebriat  del[ui],  el  cal  es  la  luxuria:  ma3  sias  adumplit 
de  sant  esperit,  (19)  parlant  a  uos  meteyces  en  salmes  et  en 
hymnis  et  en  cantz  esperitals,  cantant  e  salmeiant  en  uostres 
cors  al  senhor,  (20)  fazent  gracias  tota  ora  per  totz  uos  e  nom 
de  nostre  senhor  Jhesu  Christ  a  dieu  et  al  paire,  (21)  sotzmea 
l'uns  a  l'autre  en  la  temor  de  Christ. 

22.  Las  femnas  sian  sosmessas  als  homes  si  con  al  senhor; 
(23)  car  l'ome  es  caps  de  la  femna,  si  con  Christ  es  caps  de 
la  gleyza:  el  meteis  es  saluaire  del  cors  de  ley.  24.  mas  aysi 
con  la  gleyza  es  sotzmessa  a  Christ,  enayci  neis  las  femnas  a 
lur  maritz  en  totas  cauzas.  25.  baron,  amats  uostras  molhers, 
aisi  con  neis  Christ  amet  la  gleyza,  e  liouret  si  meteis  per  lei, 
(26)  ayso  que  sanctifiques  lei,  mundant  lei  am  lo  lauament  de 
l'aygua  e  la  paraula  de  uida,  (27)  per  so  que  el  meteis  dones 
glorioza  gleiza,  non  auent  laysadura  o  alcuna  cauza  d'aquesta 
maniera,  mas   per   ayso   que   sia   sancta  e  non-laysada.    28.  en 


13  als  cals.  14  en  Christ.  18  ui  ne  se  lisait  pas  dans  le  ms.;  vg.: 
inebriari  vino,  in  quo  est  luxuria.  21  sotzmesi.  22  son  sos- 
messas.   24  barons  amat.    2G  sanctifiques  el.    27  gleia. 

6* 


84  Epitre  ile  saint  Paul  aux  Ephesiens, 

ayci  neis  li  baro  deuon  amar  Iure  molhers  coma  lurs  cors ,  car 
el,  lo  cals  ama  sa  molher,  araa  si  raeteis.  29.  car  anc  nengus 
non  ac  en  odi  la  [sieua]  carn,  mas  la  noiris  e  la  pais,  aysi  con 
Christ  la  gleyza:  (30)  car  nos  em  menbre  del  cors  de  lui  e  de 
la  sieua  carn  e  de  sos  osses.  31.  per  aisso  laissara  om  son 
paire  e  sa  maire,  et  aiostaran  duy  en  una  carn.  32.  aquest  sa- 
cramens  es  grans,  mas  ieu  die  el  Christ  et  en  la  gleyza.  33.  mas 
uos  us  cascus  arae  sa  molher  coma  si  meteis,  mas  la  molher 
temia  son  marit. 

VI. 

E  uos,  filhet,  obeze»  a  uostres  paires  el  senhor,  car  ayso 
es  iusta  cauza.  2.  onra  ton  paire  e  ta  maire,  lo  cals  es  pre- 
miers  mandamens  en  la  repromissio:  (3)  per  aisso  que  sia  bens 
a  tu,  e  sias  de  longa  uida  sobre  terra.  4.  e  uos,  paire,  non 
uulhas  escomoure  uostres  filhs  ad  ira,  mas  noires  los  en  la  dis- 
ciplina  et  el  castiament  del  senhor.  5.  [sers],  sias  obezent  als 
uostres  senhors  carnals  am  tota  temor  et  am  paor  en  la  simpli- 
citat  de  uostre  cor,  aysi  com  a  Christ,  —  (8)  sabent  que,  cal 
que  be  us  cascus  fara,  aquest  recebra  del  senhor,  o  sers,  o 
franx.  9.  e  uos,  senhor,  fatz  aquellas  meteissas  [cauzas]  a  eis, 
perdonant  las  menassas;  sabent  que  neis  lo  senhor  d'els  e  lo 
uostre  es  el  cel  e  que  recebmens  de  personas  non  es  endreg 
dieu. 

10.  D'ayci  endreg,  fraire,  confortas  uos  el  senhor  et  en  lo 
sieu  poder.  11.  uistes  uos  l'armadura  de  dieu,  per  ayso  que 
puscas  istar  contra  los  agaitz  del  diable.  12.  car  lucha  non  es 
a-n  nos  encontra  la  carn  el  sanc,  mas  encontra  los  princes  del- 
la  poestat,  contra  los  gouernadors  del  mont  d'aquestas  tenebras, 
contra  las  esperitals  cauzas  de  fellonia  en  las  celestials.  13.  per 
ayso  recebes  l'armadura  de  dieu,  per  so  que  puscas  contrastar 
al  mal  iorn  et  istar  perfiech  en  totas  cauzas.  14.  doncas  istas 
sotzeeng  los  uostres  lumbes  en  ueritat,  uestit  l'aubert  de  dre- 
chura,  (15)  e  causat  los  pes  el  dauant  -  aparelhament  de  l'auangeli 
de  pas,   (16)   prenent  en  totas    cauzas    l'escut    de   la  fe,    el    cal 


28  lo  cal.    29  j'ai  supplee  sieua;  vg.  carnem  suam.    33  u  cascu. 
VI.   1    filhets.     4    paires.     5  j'ai   supplee    sers.     9   fatz    aquellas 
meteissas  a  el;  vg.  eadem  facite  111  i s.    10  fraires. 


et  Histoire  de  sainte  Susanne.  85 

puscas  estenher  totz  los  dartz  forgitat  del  fello:  (17)  e  prenes 
l'elme  de  salut  el  glazi  d'esperit,  lo  cals  es  la  paraula  de  dieu. 

18.  Per  tota  oracio  e  preguiera  [preguant]  totz  los  temps 
en  esperit,  e  uelhant  en  el  en  tot  fazement  de  gracias  [e]  pre- 
guiera per  totz  los  santz;  (19)  e  per  mi,  per  so  que  paraula 
sia  donada  a  mi  en  Pubrement  de  la  mia  boca,  far  conoyser  lo 
menester  de  Tauaugeli  am  fizansa:  (20)  per  lo  cal  ieu  usi  del- 
la  messaiaria  en  aquesta  cadena ,  en  ayci  que  ieu  auze  parlar 
en  el  aysi  co  me  coue.  mas  la  paraula  de  dieu  non  pot  esser 
liada.  21.  mas  per  so  que  uos  sapias  aquellas  cauzas  que  son 
uiro  mi,  cal  cauza  ieu  fassa:  Tychic,  mon  fraire  cars  e  fizels 
menistres  el  senhor  fara  conoiser  totas  eauzas  a  uos:  (22)  lo 
cal  ieu  tramesi  a  uos  en  ayso  meteis,  que  uos  conoscas  aycellas 
cauzas  que  son  enuiro  nos  e  lo  uostre  cor  sia  consolat.  23.  pas 
sia  als  fraires  e  caritat  am  fe  de  dieu  lo  nostre  paire  e  del 
senhor  Jhesu  Christ.  24.  gracia  sia  a  totz  cels,  li  cal  aman 
nostre  senhor  Jhesu  Christ  en  non  -  corrupcio  uerament. 
Ayso  es  lo  libre  de  l'estoria  de    la    sancta  Suzanna.*) 

Un  baron  era  habitant  en  Babilonia,  e  lo  nom  d'el  era  Joa- 
quin:  e  pres  molher  per  nom  Suzanna,  la  filha  d'En  Alquias, 
bella  fortment  e  tement  lo  senhor,  car  los  parents  d'elleis  com 
eis  fossan  just,  ensenheron  la  lur  filha  segon  la  ley  de  Moyses. 
mas  Joaquin,  lo  marit  de  luy,  era  ric  fortment,  e  vergier  era  a  ' 
luv  prop  de  la  sieua  mayson:  e  los  Juzieus  si  ajustauan  a  luy 
meteys  per  ayso,  car  el  era  plus  honrat  de  tots.  mas  dos  vielhs 
juges  foron  adordenat  en  aquel  an,  dels  quals  lo  senher  parlet:  „car 
la  fellonia  iysit  de  Babilonia  dels  plus  vielhs  juges,  los  quals  eran  vist 
gouernar  lo  pobol".  aquestos  souenian  en  la  mayson  de  Joaquin,  10 
e  totz  aquels,  los  quals  auian  los  juiaments,  ajustauan  si  ad  eis.  mas 

IG  forgitant.   17  salutz.    18  j'ai  supplee  preguant;  vg,:  per  omneni 
orationem  et  o  bs  ecrationem  orantes  en  totz  fazement 

gracias  preguiera;  vg.:  instantia  et  obsecratione.  20  la  plirase 
rmas  la  paraula  de  dieu  non  pot  esser  liada"  est  due  au  traducteur, 
car  ilans  lüriginal  il  ne  se  trouve  rien  de  pareil.  21  tic  mon  fraire  car 
e  fizel   menistre.  23  en  caritat. 

')  Ms.  n°  8086.  3.  fol.  286  vers.  —  289  vers. 
ms.:  v.  vg. :   2  filiam  Heicia e.   3  los  parents   d'ellos;   d'ellos,    forme 
du  genitif  pluriel  qui,    au   lieu   d'elleis,   s'est   encore   glissde  dans  le   texte 
p.   12,  w.  3  et  6. 


86  Iilpitre  de  saint  Paul  aux  ßphesiens, 

com  los  pobols  s'en  fossan  retornats  a  prop  lo  miech  dia,  Suzanna 
intraua  e  anaua  al  vergier  del  sieu  baron.  e  los  vielhs  vezent  luy 
per  cascun  jorn  intrar  e  iysir,  arderon  en  cobezissia  d' eileis, 
e  trastorneron  lurs  sens  e  enclineron  lurs  huelhs,  que  non  vissan 

5  lo  cel  ni  se  recordessan  del  drechurier  juiament.  adoneas  amdos 
eran  naflrats  en  1'amor  d'elleis,  e  non  demostrauan  la  lur  dolor 
lo  vn  a  l'autre,  car  eis  auian  vergonha  fortment  de  demostrar 
la  lur  nequicia,  volent  jasser  am  luy.  e  l'un  dis  a  l'autre:  „an- 
nem  a  mayson,  car  hora  es  de  maniar".    e  eis  si  departiron  Tun 

10  de  l'autre,  e  com  fossan  retornat,  vengron  en  semps,  e  enser- 
quant  entre  ellos,  demostreron  Tun  a  l'autre  la  causa  de  la  lur 
cobezissia.  adoneas  adordeneron  temps  couenhable,  que  la  po- 
guessan  trobar  sola,  mas  fon  fach,  e  com  eis  agardessan  lo  jorn 
couenhable,  Suzanna  intret  am  sas  doas  donzellas  al  vergier  del 

15  sieu  baron,  enaysi  comaj  zo  [yjer  e  a  la  vegada  traspasset 
tresdia,  e  uolc  esser  lauada,  certas  calor  fazia.  e  hom  non  era 
aqui  si  non  los  dos  vielhs,  los  quals  eran  esconduts,  regardant 
la.  ella  dis  a  las  donzellas:  „aportas  mi  l'oli  e  los  onhements, 
que  yeu  sia  lauada,  e  clauses  la  porta  del  vergier".    e  feron  en- 

20  aysi  com  ella  auia  comandat  ad  ellas ,  e  clauseron  la  porta  del 
vergier,  e  iyseron  per  la  posterla,  que  aportessan  aquellas  cau- 
sas ,  las  quals  auia  comandadas ,  e  non  sabia[n]  los  dos  vielhs 
que  fossan  esconduts  de  dints.  mas  quant  las  donzellas  foron 
iysidas,  los  dos  vielhs  si  leueron  e  vengron  ad  ella  e  diyseron: 

23  „ve  ti  que  la  porta  del  vergier  es  claus[a]  e  dengun  non  nos 
vey  e  nos  auem  enueia  de  tu,  per  la  quäl  causa  tu  concent  a 
nos  e  sias  mesclada  am  nos.  mas  si  tu  non  voles,  nos  darem 
testimoni  encontra  tu,  que  .i.  jouencel  fon  am  tu,  e  per  aquesta 
causa  tramezist  las  donzellas  foras  de  tu".    Suzanna  si  esbait  e 

30  dis:  „engoysa  es  a  mi  de  sa  e  del-la,  car  si  yeu  fauc  ayso, 
mort  es  a  mi,  e  si  non  o  fauc,  non  escaparay  de  las  vostras 
mans:  au  ut  mielhs  es  a  mi  cazer  en  las  vostras  mans  sea 
l'obra,  que  peccar  al  regardament  del  senhor".  mas  Suzanna 
cridet  am  grant  vouts  e  los  vielhs  escrideron    encontra  la  vouts 

33  d'ella,   e.    i.    d'els    correc  e  hubri  la  porta  del  vergier.  mas  com 


3  arteron.      15  zoer.     22  sabia;     vg.:    nesciebantque.     2S   claus. 
engoysa  a  es  a  mi. 


et  Histoire  de  sainte  Susanne.  87 

los  seruents,  los  quals  eran  en  la  mayson,  aguessan  auzit  lo  crit 
del  vergier,  embriueron  si  per  la  posterla,  que  vissan  qualque 
causa,  mas  pueys  que  los  vilhars  parleron,  los  seruents  agron 
uergonha  fortment,  car  hanc  mays  paraula  d'aquesta  maniera 
non  era  stat  dicha  de  Suzanna.  mas  fon  fach  en  l'endeman:  com  5 
los  pobols  foron  venguts  al  marit  d'ella  Joaquin,  los  dos  pre- 
ueyres  vengron  plens  de  las  fellonias  e  cogitacions  encontra  Su- 
zanna, que  1'aucizessan.  e  diyseron  dauant  lo  pobol:  „trametes 
a  Suzanna,  la  filha  d'Alquias ,  la  molher  de  Joaquin".  e  hom 
trames  viuassament  ad  ella.  e  venc  am  sos  parents  e  am  sos  10 
filhs,  e  certas  Suzanna  era  amorosa  trop  e  bella  per  semblansa. 
mas  los  fellons  comanderon,  que  fos  descuberta  la  cara  d'ella, 
car  cuberta  era,  que  los  [lurs]  huelhs  fossan  sadollats  de  la 
beutat  d'ella.  adoncas  los  sieus  plorauan  e  tots  aquels,  los  quals 
l'auian  conoguda.  mas  los  dos  preueyres,  leuant  en  miey  del  15 
pobol,  empauseron  las  lurs  mans  sobre-lcap  d'ella,  la  quäl  plo- 
rant  regardet  al  cel,  car  lo  sieu  cor  auia  fiansa  al  senhor.  e 
los  dos  preueyres  d[i]yseron:  „com  nos  anauam  sol  yer  al  ver- 
gier, aquesta  intret  am  sas  donzellas  e  claus  la  porta  del  ver- 
gier e  gitet  las  donzellas  de  si.  e  .i.  jouencel,  lo  quäl  era  es-  20 
condut,  venc  e  jac  amb  ella.  mas  com  nos  fossem  al  canton 
del  vergier,  vezent  la  fellonia,  correguem  ad  eis  e  vim  los  en 
semps  mesclats  egalment.  e  certas  non  lo  poguem  penre,  car 
el  era  plus  fort  que  nos,  e  hubrit  las  porta s  del  vergier  e  iysit 
s'en.  mas  com  nos  aguessem  aquesta  presa,  demandem  li,  quäl  25 
fon  aquel  jouencel  e  non  o  volc  dire  a  nos:  nos  em  testimoni 
d'aquesta  causa",  mas  la  mouteza  del  pobol  crezet  en  eis,  enaysi 
com  a  vielhs  del  pobol  e  a  juges,  e  condampneron  la  a  mort. 
e  Suzanna  cridet  am  grant  vos:  „o  dieu  durable,  lo  quäl  yest 
conoysent  de  las  causas  escondudas,  lo  quäl  conoguist  totas  las  30 
causas  enants  que  sian  fachas,  tu  sabes  que  fals  testimoni  par- 
leron encontra  mi.  e  ve  ti,  que  yeu  mori,  com  yeu  non  ay  fach 
alcuna  d'aquestas  causas,  las  quals  aquestos  maliciozes  com- 
pauseron   encontra   mi".    mas  lo  senhor  eysausit  la   sieua   vouts. 


2  vergier  e  embriueron.  6  foron  venguts  lo  marit  d'ella 
joaquin  vic,  los  dos.  10  e  hom  li  trames.  13  que  los  huelhs  non 
fossan  sadollats;  vg.:  ut  vel  sie  satiarentur  decore  eius.  17cors. 
34  la  mieua  vouts;  vg.:  vocem  eius. 


88  Epitre  ile  suint   Paul   aux  Ephesiens  etc. 

e  com  ella  fos  menada  a  mort,  lo  senhor  suscitet  lo  sieu  sant 
sperit  a  [un]  tozet  joue ,  lo  nom  del  quäl  era  Daniel,  e  cridet 
am  grant  vos:  „yeu  fuy  d'aquest  sanc  just!"  e  tot  lo  pobol 
retornant  ad  el,  dis:  „quäl  es  aquesta  paraula,  la  quäl  tu  par- 
5  liest?"  e  el  dis  ad  eis:  „o  filhs  de  Israel,  est  enaysi  fols,  non 
juiant  ni  conoysent  que  convers  condampnest  la  filha  de  Israel? 
retornas  al  juiament,  car  fals  testimoni  parleron  encontra  ella". 
e  tot  lo  pobol  retornet  am  cocha,  e  los  vielhs  diyseroD  a  luy: 
„ven  e  sey  en  miech  de  nos  e  ensenha  a  nos,  car  dieu  donet  a 

10  tu  honor  de  vilheza".  e  Daniel  lur  dis:  „departes  los  luenh  Fun 
de  l'autre,  e  yeu  juiaray  los",  e  com  ibssan  departits,  apellet 
Tun  d'ellos  e  dis  li:  „o  envelheirfe]  en  mals  jors ,  aras  son  ven- 
guts  los  tieus  peccats ,  los  quals  tu  as  hobrats  premierament, 
nofl  juiant    drechurier    juiament ,    oppriment    lo    non    nozent    e 

13  laysant  lo  nozent,  lo  senhor  disent:  non  ausiras  lo  non  nozent 
el  just!  doncas  si  vist  eis,  digas  aras,  sots  quäl  albre  vist  eis 
parlar  en  semps?"  lo  quäl  dis:  „sotz  .i.  cerier".  mas  Daniel 
dis  drechurierament :  „as  mentit  en  lo  tieu  cap;  ve  ti  l'angel  del 
senhor,    e  receupuda    sentencia  de  luy,    talhara    tu   per  miech". 

20  e  luy  mogut,  comandet  [venir  l'autre  e  li  dis:  „semensa 
de  Ghana  an]  e  non  de  Juda,  belleza  ti  deceup  e  la  cobeesa 
transtornet  lo  tieu  cor.  vos  fazias  enaysi  a  las  filhas  de  Israel, 
e  ellas  tement  parlauan  a  vos ;  mas  la  filha  de  Juda  non  sos- 
tenc  ra  vost'ra  fellonia.    donc    digas  a  mi:    aras    sots  quäl    albre 

25  vist  eis?"  e  el  d\s:  „sots  .i.  prunier".  e  Daniel  dis  ad  el:  „tu 
as  mentit  drechurierament  al  tieu  cap,  car  ve  ti  Tangel  del  sen- 
hor per  man  auent  glazi ,  que  partira  tu  per  miech  e  aussira 
vos".  e  tot  lo  pobol  cridet  am  grant  vos,  e  beneziron  dieu,  lo 
quäl  fas  salus    los    sperants  a  si.      quant   Daniel    agues    vencut 

30  eis  de  la  lur  bocca  auer  dich  fals  testimoni,  leueron  si 
encontra  los  dos-  preueyres,  que  fezessan  ad  eis  enaysi  com  eis 
auian  fach  malament  encontra  lo  pruesme.  e  aussiron  los,  e  lo 
sanc  non  nozent  fon  saluat  en  aquel  jorn.  e  Daniel  fon  lach 
grant   dauant   lo    pobol   en   aquel  jorn  e    daqui  auant.    mas  Al- 

35  quias  e  la  molher  de  luy  lauzai*an  dieu  per  Suzanna,  la  lur 
filha,  am  Joaquim,  lo  marit  d'ella,  car  neguna  causa  de  lageza 
non  fon  trobada  en  ella.  dieu  de  pas  e  d'amor  permania  tos- 
temps  en  nostres  corages  etc. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Wörterbuch  der  deutschen  Sprache  von  der  Druck- 
erfindung bis  zum  heutigen  Tage  von  Christian  Friedrich 
Ludwig  Wurm.  1.  Band  1  —  6. -Lieferung.  Freiburg  im 
Breisgau.  Herdersche  Verlagshandlung,  1858  —  1859. 

Kurz  nach  dem  Erscheinen  der  ersten  Lieferungen  der  Wörterbücher 
von  Grimm  und  Sanders  sind  auch  die  ersten  Hefte  des  Wörterbuches  von 
Wurm  erschienen.  Es  ist,  wie  der  Verfasser  in  der  Vorrede  sagt,  „aus  dem 
gefühlten  Bedürfnisse  der  Selbstunterrichtung  in  Deutscher  Sprache  und 
Literatur"  entstanden.  Es  soll  aber,  das  ward  zuletzt  die  eigentliche  Auf- 
gabe desselben,  von  der  Gegenwart  ausgehend,  daher  auch  die  lebendigen 
Mundarten  mitumfassend,  „das  der  Anwendung  vorzüglich  förderliche  Wörter- 
buch Adelungs  durch  Ergänzung  und  Erweiterung  mit  dem  heutigen  Stand- 
punkte der  Sprachwissenschaft  möglichst  in  Einklang  setzen."  Dennoch  ajs 
Grimms  Wörterbuch  erschien,  schwankte  der  Verfasser  nicht  lange  über  die 
dem  Grimmschen  Wörterbuch  gegenüber  „zu  ergreifende  Partie;  er  bot  mit 
Unterdrückung  seiner  Abneigung  oder,  wenn  man  will,  Grille  gegen  das 
äusserliche  Gewand  desselben  seine  Vorarbeiten  Herrn  Jacob  Grimm,"  bereit 
„sich  als  dienendes  Glied  einem  Ganzen  zu  unterordnen."  Warum  indess 
dieses  Anerbieten  von  Jacob  Grimm  nicht  angenommen  worden,  warum  der 
Verfasser  selbst  sich  heftigst  gegen  die  Gebrüder  Grimm,  wie  er  selbst  saut, 
in  scharfer,  selbst  schroffer  Manier  ausgelassen  habe,  darüber  liisst  er  uns 
im  Dunkeln.  Docli  versichert  er,  dass  ohne  die  Arbeit  der  Gebrüder  Grimm 
seinem  Werke  ein  gut  Theil  gediegenen  Materials,  Kenntnisse  und  Anregung 
aller  Art  abgegangen  sein  würde. 

Nächstdem  verbreitet  er  sich  über  den  geschichtlichen  Ausgangspunkt 
des  Wörtörbuehs.  Er  findet,  dass  er  etwas  früher,  als  mit  Luther  und  dessen 
Zeit  beginnen  müsse,  indem  Hochdeutsch  älteren  Datums ,  als  die  Refor- 
mation und  die  Lutherische  Bibel  sei  Gewiss,  denn  Luther  hat  die  Sprache 
nicht  erfunden  und.  gemacht,  sie.  ist  auch  nicht  plötzlich  und  zugleich  über- 
all in  die  Erscheinung  getreten,  aber  der  eine  Guss,  das  eine  Gepräge,  in 
welches  er  die  Bibel  gebracht,  hat  doch  durch  das  rasche  und  tiefe  Ein- 
dringen in  die  damalige  Welt  fast  eine  neue  Sprachperiode  hervorgerufen, 
die  freilieh  erst  nach  Jahrhunderten  den  Gipfel  der  Classicitat  erreichte.  Dass 
aber  Luther  altfränkische,  ja  gothische  Wort  formen  absichtlich  zurückführte, 
wie  der  Verfasser  behauptet,  entbehrt  jedes  Beweises.  Wenn  nun  der  Ver- 
lader nach  seiner  Ansicht  von  der  Zweckmässigkeit  der  Sache  in  das  15. 
Jahrhundert,  ja  zuweilen  in  frühere  Jahrhunderte  zurückgegriffen,  so  bat  er 
mehr  dem  wissenschaftlichen  Standpunkte  ein  Genüge  gethan ,  als  dem  Be- 
dürihiss  der  Gebildeten.  Denn  diesen  muss  das  Alles  mehr  störend  als  for- 
dernd  entgegentreten.     Dasselbe   gilt   durchaus    auch  von    der    massenhaften 


90  Beurth  eilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Aufnahme  alles  Mundartlichen.  Es  mag  vollkommen  so  sein,  wie  er  p.  X 
sagt:  „Die  Mundarten  verheizen  der  gebildeten  Sprache  nicht  allein  einen 
Zuwachs  an  bezeichnenden,  körnigen  und  naturwüchsigen  Ausdrücken,  sie 
geben  häufig  den  Schlüssel  der  concreten  Bedeutung,  der  geschichtlichen 
Entwicklung  und  der  ersten  Abstammung."  Für  den  Sprachforscher  und 
Philologen  ist  dies  Alles  sehr  wahr  und  richtig  bemerkt,  aber  für  die  Zwecke 
eines  allgemein  gehaltenen  Wörterbuchs ,  welches  dem  gebildeten  Publicum 
Aufschlüsse  geben  soll  über  die  jetzige  Sprache,  ist  es  vom  Uebel.  Sollte 
aber  der  Verfasser  glauben,  dass  nach  Mittheilung  älterer,  nach  seiner  An- 
sicht besserer  Wörter  sich  das  Volk  dergleichen  aus  dem  Wörterbuch  her- 
aushole und  zu  alltäglichem.  Gebrauch  aneigne,  so  hat  er  sich ,  wie  ich 
glaube,  nur  einer  trügerischen  Vorspiegelung  hingegeben.  Gewiss  kommt  oft 
ein  älteres  Wort  wieder  unversehens  zum  Vorschein  und  gewinnt  wieder 
neues  Leben,  bald  in  derselben,  oftmals  in  veränderter  Bedeutung,  aber  das 
geht  mehr  aus  zufälliger  Notwendigkeit,  als  aus  Absicht  und  Willkür  her- 
vor. Wie  manches  ältere  Wort  haben  Göthe  und  Schiller  wieder  aufgenommen 
und  dem  Volke  wieder  näher  gebracht.  Noch  mehr  hat  dies  Rückert  ge- 
than,  wenn  gleich  nicht  mit  besondrem  Erfolg.  Der  Verfasser  hätte  also 
nach  meinem  Dafürhalten  einen  grossen  Theil  des  Materials,  viele  ganze 
Artikel  fortlassen  können,  unbeschadet  der  Vortrefflichkeit  oder  Nützlichkeit 
seines  Buches.  — 

Sodann  bespricht  er  sein  Verhalten  hinsichtlich  der  Etymologie  und 
Grammatik,  die  er  streng  in  ihre  Schranken  zurückweist,  um  so  mehr,  da 
das  grosse  Gebiet  des  Realismus  dem  Wörterbuch  anheimfalle.  Er  führt 
eine  grosse  Menge  von  Werken  der  realen  Wissenschaften  an  und  verspricht 
sich  von  der  Benutzung  derselben  für  die  Sprache  selbst  etwas  Erkleckliches. 
„Das  Sprachbewusstsein  scheint  von  dem  real -praktischen  Gebiete  jenen 
kräftigenden  Einfluss  erholen  zu  müssen,  welchen  der  ringende  Antäus  aus 
der  Berührung  mit  dem  Boden  einsaugte;  von  dem  festen  Grunde  der  Rea- 
lität losgehoben  erstickt  es  in  der  Umarmung  des  buchstabischen  Formalismus. 
Nur  durch  ein  enges  Anklammern  mit  allen  Organen  an  das  Wirkliche,  an 
das  Palpable  wird  die  Sprachwissenschaft  auf  sicherem  Pfade  zur  Abstraction 
vorschreiten  und  dem  Ziele  ihrer  Aufgabe  sich  annähern,  welches  darin  be- 
steht, die  herkömmlichen  Ausdrücke,  welche,  nach  Göthes  Ausspruch,  einen 
schädlichen  Einfluss  verüben,  Ansichten  verdüstern,  den  Begriff  entstellen 
und  ganzen  Fächern  eine  falsche  Richtung  geben,  auf  ihren  wahren  Inhalt 
zurückzuführen  und  den  allenthalben  auftauchenden  Wortdifferenzen  ent- 
gegenzuarbeiten." Wie  dem  auch  sei,  schon  diese  ungeheure,  ja  unerschöpf- 
liche Masse  dieses  Materials  konnte  den  Verfasser  belehren ,  dass  das  An- 
streben der  Vollständigkeit  immer  nur  relativ  zu  fassen  sein  könne.  Die 
eigentliche  Aufgabe  des  Wörterbuchs  fasst  der  Verfasser  sowohl  in  der 
ersten  Ankündigung  als  auch  in  der  Vorrede  S.  XXII  so,  dass  er  behauptet, 
„das  Wörterbuch  habe  nicht  genug  geleistet  durch  Rath  und  Anweisung  zur 
stilistischen  Darstellungsbildung,  es  habe  zu  gleicher  Zeit  das  Geschäft  eines 
fortlaufenden  Commentars  der  gesammten  neuhochdeutschen  Literatur  zu 
vertreten."  Diese  Behauptung  ist  nun  wohl  nicht  in  gewöhnlichem  Sinne 
buchstäblich  zu  fassen,  selbst  wenn  es  sich  bewähren  sollte,  dass  jedem  Ar- 
tikel, wie  der  Verfasser  S.  XXVII.  sagt,  „diejenige  Bearbeitung  und  Ab- 
rundung  gegeben,  dass  er  von  formaler  und  materialer  Seite  betrachtet  ein 
ganzes  Bild  in  seinem  Rahmen  darstellen  und  als  solches  sich  am  füglichsten 
betrachten  lassen  sollte." 

Er  nennt  dennoch  sein  Wörterbuch  kein  kritisches  (S.  XXVI)  wie 
Adelung,  weil  ihn  „ein  Freund  durch  den  Franklin'schen  Hutmacherschild 
davon  abwendig  gemacht"  habe.  Schliesslich  (S.  XXVII)  erwähnt  er  noch, 
dass  er  handschriftliche  Sammlungen  Schmellers  habe  benutzen  dürfen,  und 
dass  somit  „das  Wörterbuch  den  überaus  glücklichen  Beruf  habe,  die  Er- 
gebnisse einer  Zusammenstellung  des  reichen  und  gerade  an  den  geheimsten 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  91 

Bildungen  früherer  Zeiten  reichen  Schmellerschen  Schatzes,  des  Grimmschen 
Füllhornsund  des  eigenen  vieljährigen  Ernte  -Ertrages  den  Freunden  unserer 
Sprache  darzubieten." 

So  weit  aus  der  Vorrede,  an  der  mir  ausser  einer  gewissen  zu  grossen 
Zuversichtlichkeit  des  Geleisteten  und  Ueberschwänglichkeit  in  der  Forderung 
des  zu  Leistenden  neben  einer  gewissen  Phrasenmacherei  ganz  besonders 
eine  von  der  allgemeinen  hochdeutschen  oder  muss  ich  sagen  norddeutschen 
Darstellungsweise  in  Wörtern  und  Redensarten  vielfach  abweichende  Sprache 
aufgefallen  ist.  Sollte  dies  Absicht  sein,  würde  ich  es  nicht  schön  finden; 
sollte  es  die  wirkliche  Sprach-  und  Schreibweise  des  Verfassers  sein ,  würde 
ich  darin  ein  für  die  Abfassung  eines  allgemeinen  Deutschen  Wörterbuches 
der  modernen  hochdeutschen  Sprache  nicht  günstiges  Moment  erblicken. 
Nur  einige  der  auffallendsten  Wörter  und  Wendungen  mögen  hier  Platz 
finden:  Missannahme ;  der  unbezirkte  Rittergeist;  ein  bereites  Werkzeug; 
auf  platter  Hand ;  dass  Luther  die  vor  ihm  bearbeiteten  Verdeutschungen 
zu  seinem  Nutzen  gezogen;  als  Luthers  seine;  Beispielhaftigkeit ;  feinere  und 
abgezogenere  Ausdrucksform;  bei  so  gestalten  Sachen;  unwidertreiblich; 
Vorerstigkeit;  Reform  (st.  Reformation);  von  dieser  Seite  findet  das  Wörter- 
buch seine  Stelle  genugsam  ausgezeigt  durch  eine  Bemerkung  Wielands ^  in 
meinen  Nutzen  zu  verwenden;  die  jüngst  abgeflossene  Sprachperiode;  die 
Stellenbeischaffüng;  Arbeitseligkeit;  die  allgemein  gangen  Compositionen;  sti- 
listische Darstellungsbildung ;  mancherlei  Unzukömmlichkeiten;  ob  ich  wohl 
fühle,  dass  brüsker  Laconismus  kein  urbaner  Atticismus  sei;  ich  finde  die 
Gebrechen  die  lässlichsten;  ein  Publicum,  welches  mit  den  weltläufigen  Sprach- 
kenntnissen ausgestattet. 

Eine  solche  Abweichung  vom  allgemein  hochdeutschen  Sprachgebrauch 
schadet  nicht  bloss  der  Darstellung  des  Verfassers,  sondern  muss  nothwendig 
sein  Urtheil  in  mancherlei  Weise  beschränken  und  beirren.  Und  so  finden 
wir  in  der  That  Bemerkungen,  die  dem  hochdeutschen  Sprackbewusstsein  und 
Sprachgebrauch,  so  wie  dem  bisher  in  grammatischen  und  lexicographischen 
Werken  als  mustergültig  Empfohlenen  völlig  widerstreiten.  So,  um  nur 
Einiges  anzuführen,  gleich  im  ersten  Artikel,  der  weitschweifig  Vieles  dem 
Wörterbuch  gar  nicht  Angehörendes  enthält,  die  Angabe  von  nie  allgemein 
vorhanden  gewesenen,  oder  ganz  unbekannten,  oder  nur  der  gewöhnlichen 
Unterhaltungssprache  angehörigen  Pluralformen  Mägen,  Wägen,  Schwane, 
u.  a.,  denen  er  ebenso  gut  Schafe,  Rahme,  Kästen,  Gänse,  Hahne  und  dgl. 
hätte  beifügen  können.  Mitten  unter  den  Beispielen  die  nun  folgen ,  die 
aber  jedenfalls  für  das  Wörterbuch  an  dieser  Stelle  noch  zu  zahlreich  sind, 
findet  dann  folgende  Regel  ihren  Platz:  „Mit  dem  Umlaute  verliert  der  Be- 
griff an  seiner  Ganzheit,  Grösse  und  Würde  und  der  Wagen  erscheint 
in  Wägen  (sie)  vereinzelt  und  verringert,  wie  er  in  Wägelchen  und  Wäg- 
lein verkleinert  erscheint."  Ein  anderes  Beispiel,  wo  der  Verfasser  weniger 
einem  einseitigen  Sprachgebrauch  als  einem  ihm  zur  fixen  Idee  gewordenen 
Theorema  folgt,  ist  alles  das,  was  er  über  den  vermeintlichen  Unterschied 
von  adelig  und  adelich  sagt.  Wie  viel  einfacher,  kürzer  und  richtiger 
hat  dies  Sanders  in  seinem  vortrefflichen  Wörterbuche  dargestellt.  Der 
Lexicograph  muss  noch  viel  weniger  Sprachmeister  und  Sprachschöpfer  sein 
wollen,  als  der  Grammatiker.  Auch  andere  speciell  grammatische  Ansichten 
des  Verfassers  müssen  Anstoss  erregen.  So  z.  B.  findet  sich  unter  acht 
die  Bemerkung:  „der  Plural  acht  von  acht  ist  oberdeutsch."  Den  Luther- 
schen  Ausdruck  „auf  adelsch"  erklärt  er  durch:  „auf  Adels  (Weise);  isch 
ist  das  blosse  Genitiv -s." 

Selbst  diese  Fehlerhaftigkeit  des  Grammatischen  und  überhaupt  Sprach- 
lichen abgerechnet  hat  der  Verfasser  die  Aufgabe,  ein  allgemeines  Wörter- 
buch zu  schreiben,  nach  meinem  Dafürhalten  schlecht  begriffen.  Er  giebt 
bei  jeder  Gelegenheit  eine  Fülle  von  Notizen  der  speciellsten,  aber  für  den 
Gebildeten  überflüssigsten  und  lästigsten  Gelehrsamkeit.    Oft  füllt  er  Seiten 


92  Bf  ii  r  theilun  ?cn    i»nd  kurze  Anzeigen. 

mit,  Notizen,  die  für  ein  etymologisches  Wörterbuch  zu  ausführlich  wären ; 
oft  behandelt  er  der  Grammatik  Angehöriges  mit  grosser  Sorgfalt  und  ver- 
nachlässigt darüber  das  Lexicalisehe ;  z.  H.  gleich  der  erste  Artikel,  wie  un- 
glaublich dürftig  ist  derselbe  und  gänzlich  verfehlt !  Denn  die  ersten  drei 
Columncn  sind  für  das  Lexicon  überflüssig,  das  Lexicalisehe  aber  ist  in  zwei 
allbekannten  Notizen  enthalten.  Viele  Artikel  sind  mit  zu  vielen  oft  über- 
flüssigen Citaten  versehen,  bei  anderen  fehlt  jedes  Citat  Mehrere  Beleg- 
stellen sind  angegeben,  bei  vielen  oft  wichtigen  fehlt  die  Angabe  der  Stelle 
oder  des  Schriftstellers.  Eine  zu  grosse  Menge  von  Citaten  sind  den  Zei- 
tungen oder  Zeitschriften  entnommen ,  und  nicht  näher  als  mit  Z.  unter- 
zeichnet. Während  der  Verf.  den  Schriftstellern  des  15.  Jahrhunderts,  den 
Volksdialekten,  älteren  und  neueren,  besonders  den  Süddeutschen  grosse  Be- 
achtung geschenkt  hat,  hat  er  die  Schriftsteller  der  Gegenwart,  selbst  die 
bedeutenderen  fast  gar  nicht  berücksichtigt.  Endlich  fehlen  trotz  des  Prin- 
zips, nach  Möglichkeit  alle  Wörter  zu  geben,  eine  unglaubliche  Menge  von 
Wörtern,  sowohl  echt  deutsche  als  auch  nicht  deutsche,  sogenannte  Fremd- 
wörter, die  jedoch,  ich  darf  wohl  sagen,  jedem  Deutschen  mundgerecht  sind. 
Es  darf  dies  um  so  mehr  befremden ,  da  der  Verf.  in  der  Vorrede  sowohl, 
als  auch  sonst  im  Wörterbuche  häufig  Fremdwörter  gebraucht,  wie  dies  in 
den  oben  gegebenen  Sätzen  und  Sprachproben  leicht  zu  ersehen  ist.  —  Zu 
diesen  gerügten  Mängeln  kommt  endlich  noch  einer  hinzu,  der  sich  bei 
grösseren  Artikeln  besonders  fühlbar  macht.  Das  ist  die  geringe  Sorgfalt, 
für  gehörige,  nach  irgend  einem  Prinzip  vorgenommene  Anordnung  der  Be- 
deutungen eines  Artikels.  Bei  manchen  zumal  grösseren  Artikeln  scheint  der 
Verf.  ganz  willkürlich  seine  Collectaneen  nach  zeitlicher  oder  räumlicher 
Aufeinanderfolge  des  Sammeins  ohne  alles  Prinzip  dem  Wörterbuche  ein- 
verleibt zu  haben.  Als  Beispiel  mögen  die  ersten  Nummern  des  Artikels 
Auge,  der  in  74.  einzelne  Theile  zerfällt,  hier  Platz  finden,  l)  Das  Glied, 
womit  (!)  gesehen  wird;  2)  die  Raben  hacken  nach  den  Augen;  3)  Künstliche 
Augen;  gläserne,  porcellanene  Augen;  4)  Bei  den  Augen  verbieten;  5)  Einein 
die  Augen  braun  und  blau  schlagen;  (!)  Daher  scherzhaft:  Das  schickt  sich, 
reimt  sich,  wie  eine  Faust  aufs  Auge  7)  als  zartes,  besonders  empfindliches 
Glied.  8)  Daher,  Das  ist  ihm  ein  Dorn  im  Auge.  9)  Wie  Augapfel,  der 
Gegenstand  der  Sorgfalt  und  Liebe,  lü)  Die  Augen,  worin  (!)  der  Blick 
ruht,  als  Ausdruck  des  Gesichts  und  der  Gebärde;  11)  in  anderen  physischen 
Erscheinungen:  schwarze,  blaue,  blonde,  helle,  frische  Augen,  ein  krankes, 
blödes,  schwaches,  mattes  Auge;  12)  Natürlicher  Weise  tritt  bei  Auge,  wie 
bei  allen  paarigen  (!)  Gliedern  die  Bezeichnung  der  Dualität  häufig  hinzu; 
13)  Die  Augen  zuthun,  zumachen,  zudrücken,  schliessen  u.  s.  w. ;  14)  Einem 
Sterbenden  die  Augen  zudrücken,  schliessen.  15)  Die  Augen  verdrehen, 
verkehren.  Starrende,  stiere  Augen.  lfi)  Weinende  Augen,  thränende 
Augen;  17)  Auge  als  Gesichtssinn,  als  wirkendes  Organ;  18)  Gesicht  in 
weiteren  Verbindungen;  19)  Das  hängt  mir  über  den  Augen  u.  s.  f.  Genug 
der  Probe.  Wo  bleibt  da  die  versprochene  Abrundung,  das  Bild  des  Ganzen 
in  einen  Rahmen  gefasst?  wo  Uebersicht,  Ueberschaulichkeit  und  leichtes 
Auffinden  des  Einzelnen?  Wie  überhaupt  das  Wörterbuch  dem  gebildeten 
Publicum  die  Erzeugnisse  der  deutschen  Literatur  und  eine  Anleitung  zur 
Bildung  der  Darstellungskunst,  bieten  soll,  ist  nach  solcher  Leistung  erst 
recht  unverständlich  und  unbegreiflich.  Ebenso  wenig  begreife  ich,  um  end- 
lich die  letzte  Ausstellung  zu  machen,  wie  das  Wörterbuch  bei  dem  un- 
geheuren Umfange,  den  es  dem  Anschein  nach  bekommen  muss,  —  die 
ersten  60  Rogen  reichen  bis  zum  Artikel  aushauen,  während  Sanders  für 
das  gleiche.  Gebiet  nicht  ganz  8  Bogen  hat,  —  Käufer  finden  soll,  die  den 
Kostenbetrag  auch  nur  einiger  Massen  zu  decken  im  Stande  wären,  noch 
weniger,  wie  der  Verf.  Zeit  und  Müsse  finden  wird,  eine  so  weitschichtige 
Arbeit  zu  vollenden.  —  Nach  allen  diesen  Ausstellungen  kann  ich  nur  der 
Ansicht  sein,    dass,   da   das  Sanders  sehe  Wörterbuch   in    so  vorzüglichem 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  93 

Grade  den  Bedürfnissen  der  Gebildeten  und  Gelehrten  entspricht,  das 
Gr  im  in  sehe  und  Weigand'sche  dem  gelehrten  Interesse  mehr  oder 
weniger  vollkommen  genügt,  der  Verf.  Mühe  und  Fleiss  lieher  einzelnen 
Partien  der  Sprachwissenschaft,  etwa  der  süddeutschen  Lexicographie ,  oder 
der  Lexicographie  des  14  —  16  Jahrhunderts  hätte  widmen  sollen,  als  ein 
Werk  liefern,  welches  mit  den  anderen  Werken  gleicher  Art  einen  Vergleich 
auszuhalten  so  wenig  im  Stande  ist,  dass  es  höchstens  ein  mit  Vorsieht  zu 
benutzendes  Material  für   spätere  lexicographische  Arbeiten  abgeben  dürfte. 


Anzeiger  für  Kunde   der   deutschen  Vorzeit.      Organ  des  Ger- 
manischen Museums  zu  Nürnberg.   1860.    Nro.  1  —  4. 

Erläuterungen  zu  dem  Nienburger  Bruchstück  zur  Geschichte 
der  Lausitz.  Von  Freiherrn  von  Ledebur  in  Berlin.  —  Anknüpfend  an 
eine  Urkunde  des  Kaisers  Otto  III.  vom  Jahre  1000  giebt  der  gelehrte 
Kenner  märkischer  Geschichte  einige  wichtige  Notizen  zur  Geschichte  der 
Markgrafschaft  Lausitz  im   11.  und  12.  Jahrhundert. 

Gengenbach.  Von  Jos.  Maria  Wagner  in  Wien.  Herr  Wagner 
vermuthet  ein  von  Goedeke  als  noch  nicht  aufgefunden  bezeichnetes  Werk 
Gengenbachs  in  einem  Werke,  welches  Butsch  in  seinem  1857  in  Augsburg 
herausgegebenen  Kataloge  verzeichnet,  und  das  um  1520  gedruckt  sein  soll. 

Die  Sammlung  m  u  sikali scher  Instrumente  im  Germ.  Museum. 
Nach  kurzer  Uebersicht  über  ältere  musikalische  Instrumente  überhaupt  folgt 
ein  Verzeichniss  von  66  im  Germ.  Museum  sich  befindenden  Instrumenten, 
die  dem  IG.  —  19.  Jahrhundert  angehören.  Von  einigen  derselben  ist  eine 
Abbildung  beigefügt. 

Alte  historische  Prophezeiungen.  Von  E.  Weller  in  Zürich. 
Mittheilung  einiger  Practica  und  Prognostica  aus  dem  16.  Jahrhundert. 

Ueber  Dorfeinfriedigungen  und  Grenzwehren  von  Marken, 
Gauen  und  Ländern.  Von  Fr.  Thudichum,  Privatdocent  in  Giessen. 
Aus  Caesar,  Tacitus  und  Ammianus  Marcellinus,  so  wie  aus  mittelalterlichen 
Schriftstellern  wird  nachgewiesen ,  dass  es  uralter  Gebrauch  der  deutschen 
Völkergemeinden  war,  ihre  gegenseitigen  Gränzen  durch  grosse  Erdaufwürfe 
und  Gräben,  durch  lebendige  Hecken,  zuweilen  auch  durch  gesetzte  Steine 
zu  bezeichnen  und  einzufriedigen.  Derartige  Einfriedigung  wird  meistens 
Landwehr,  Landgewehr,  Langwehr ,  Langwohr  auch  Laudfriede  genannt.  In 
anderen  Gegenden  ist  auch  der  Name  Snaat,  Ileimschnat,  Gebück,  Heege 
u.  a.  m.  gebräuchlich. 

Mittelalterliche  Siegel  mit  Jahreszahlen.  Von  Mauch  in 
Gaildorf.  Veranlasst  durch  den  in  Nro.  7.  des  Anzeigers  von  1859  S.  251 
ausgesprochenen  Wunsch  theilt  der  Verf.  aus  seiner  Siegelsammlung  mehrere 
Siegel  mit  Jahreszahlen  mit. 

Die  Ausstattung  der  Hoffräulein  im  Mittelalter.  Vom  Archiv- 
rath  Dr.  Märcker  in  Berlin.  Beispiele  von  einzelnen  Ausstattungen  und 
testamentarischen  Bestimmungen  und  Legaten  für  unverheirathet  gebliebene 
Jungfrauen  (Hofdamen)  und  Dirnen  (Kammerfrauen.) 

Zur  Geschichte  des  deutschen  Gildenwesens  im  Mittelalter. 
Von  Dr.  K aus ler  in  Stuttgart.  Mittheilung  einer  im  Besitz  des  Germ. 
Museums  befindlichen  Urkunde,  aus  Petrikau  vom  27.  Jan.  1487,  die  zwar 
nicht  eigentlich  deutsche  Verhältnisse  betrifit,  aber  ein  offenbar  deutsches 
Gepräge  hat  und  für  das  Gildenwesen  des  Mittelalters  von  einigem  Werth  ist. 


94  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Ueber  alte  Gewichte.  Von  Dr.  J.  Müller.  Nach  einer  allgemeinen 
Bemerkung  über  die  verhältnissmässig  geringen  Hülfsmittel  für  das  Studium 
der  alten  deutschen  Münz-  und  Gewichtkunde  theilt  der  Verf.  eine  Abbildung 
eines  Gewichts  aus  dem  Jahre  1249  mit  und  sucht  dasselbe  nach  seiner 
Entstellung  und  Währung  näher  zu  bestimmen. 

Zur  Geschichte  der  Gründung  des  Bisthums  Bamberg.  Von 
Prof.  Hefele  in  Tübingen.  Da  von  Ussermann  und  Anderen  ein  Irrthum 
über  die  Entstehungsgeschichte  des  Bisthums  Bamberg  in  Umlauf  gesetzt 
worden  ist,  beweist  der  Verf.  nach  Darstellung  des  ga/izen  Hergangs  der 
Gründung  durch  Heinrich  IL,  dass  nur  eine  grosse  Synode  zu  Frankfurt 
und  zwar  am  1.  November  1007  abgehalten  worden.  Kaiser  Heinrich  hatte 
die  Freude,  schon  im  Mai  1012  der  Einweihnung  des  Domes  von  Bamberg 
beiwohnen  zu  können. 

Ein  Brief  Melanchthons  an  den  Magistrat  der  Stadt  Krem- 
nitz  in  Ungarn.  Von  Prof.  Schröer  in  Pressburg.  Empfehlungsschreiben 
eines  in  Wittenberg  ordinirten  Geistlichen,  Paulus  Niccus  von  Namslau: 
„er  hat  uleissig  studirt  und  ist  zuchtig,  das  ich  hoffe  ehr  werde  sich  gebur- 
lich  halden." 

Venusberg.  Von  Prof.  Reuss  in  Nürnberg.  Beispiel  einer  Dämono- 
manie aus  dem  17.  Jahrhundert  und  Darstellung  der  Venus  vor  einem  grünen 
Berge  aus  einem  Wappenbriefe  des   17.  Jahrhunderts. 

Tympanon  an  der  Altstädter  Kirche  zu  Pforzheim.  Von  Dr. 
Uli  mann,  Prälat  zu  Karlsruhe.  Bildliche  Darstellungen  vielleicht  schon 
aus  dem  12.  Jahrhundert,  die  bis  jetzt  noch  nicht  enträthselt  sind,  wie  es 
an  anderen  Kirchenportalen  vielfach  deren  ähnliche  giebt. 

Ein  Weisthum  aus  dem  .13.  Jahrhundert.  Das  Germ.  Museum 
besitzt  ein  Bruchstück  eines  AVeisthums,  das  nach  dem  Elsass  hinweist. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Bauernkrieges.  Von  Prof. 
Voigt  in  Königsberg.  Mittheilung  eines  Briefes  des  Grafen  Wilhelm  von 
Henneberg  an  dei\  Herzog  Albrecht  von  Preussen  vom  '_'.  Februar  1525,  der 
nicht  bloss  über  die  Theilnahme  des  Grafen  an  den  damaligen  Ereignissen, 
sondern  auch  von  anderen  Verhältnissen  manches  für  die  Zeitgeschichte 
Interessante  darbietet. 

Bruchstück  des  Wilhelm  von  Orange  von  Wolfram  von  Eschen- 
bach. Mitgetheilt  von  Jos.  Maria  Wagner  in  Wien.  Ein  Pergamentdoppel- 
blatt in  kl.  4.  anscheinend  aus  der  1.  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  enthält 
etwa  300  Verse  aus  dem  Anfange  des  W7illehalm,  die  wenige  Abweichungen 
vom  Lachmannschen  Texte  bieten.  Die  Mundart  des  Schreibers  ist  die  bai 
risch-  österreichische. 

Die  ältesten  Buchdrucker  Nürnbergs.  Von  J.  Baader,  Con- 
servator  am  Königlichen  Archiv  in  Nürnberg.  —  Nach  der  Einnahme  von 
Mainz  durch  den  Erzbischof  Adolf  im  Jahre  14  62  zogen  viele  Druckergesellen 
Schöffer's  und  Fust's  aus  der  Stadt.  Dass  manche  derselben  nach  Nürnberg 
gezogen,  lässt  sich  vermuthen.  Erst  10  Jahre  später  erhält  der  ehemalige 
Diener  und  Geselle  Guttenbergs  Heinrich  Keffer  das  dortige  Bürgerrecht; 
es  ist  aber  wahrscheinlich,  dass  derselbe  schon  längere  Zeit  vor  diesen  Jahren 
sich  in  Nürnberg  aufgehalten  habe. 

Einschreiben  desRathszuSchlaggenwald  anMelanchthon. 
Mitgetheilt  von  Anton  Kohl,  Gymnasiallehrer,  in  Prag.  Der  Rath  in 
Schlaggenwald  in  Böhmen  bittet  um  einen  Lehrer  und  Cantor.  „So  langt 
an  E.  u.  W.  unser  freundtliches  undt  dinstliches  hoehuleissiges  bitten,  die- 
selben wollen  uns  einen  gelertten  gesellen,  der  ein  gut  christlich  Schul- 
regiment anzurichten,  zu  regieren  und  zu  erhalten  weste,  do  einer  in  Witten- 
berg als  uns  nit  zweiffeldt  zu  bekommen  umb  der  ehre  Gottes  willen,  gun- 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  95 

stig  zuweysen  undt  beferdern.  Dergleichen  auch  einen  guten  Cantoren  der 
ein  chor  versorgen  konntte." 

Fränkische  Gemeindeordnungen.  Von  Dr.  Jul.  Haudinger 
in  Nürnberg.  Verzeichniss  mehrerer  Gemeindeordnungen,  die  abschriftlich 
dem  Germ.  Museum  einverleibt  sind,  nebst  einigen  allgemeinen  Bemerkungen 
über  Entstehung  und  Inhalt  derselben. 

Notiz  zur  Erklärung  der  heidnischen  Bronceringe.  Abbildung 
einer  Reliefverzierung  einer  äusserst  merkwürdigen  bei  Colchester  in  Eng- 
land gefundenen  römisch -britischen  Graburne,  welche  ausser  einigen  Jagd- 
thieren  die  Gruppe  zweier  Kämpfer  enthält.  Die  vielen  an  der  Rüstung  an- 
gebrachten Ringe  dürften  die  Annahme  rechtfertigen,  dass  die  gedachten 
Bronceringe  nur  Rüstungsstückchen  sind,  nichts  Anderes. 

Die  Beilagen  bringen  in  gewohnter  Weise  die  Chronik  des  Germ.  Mu- 
seums, den  Zuwachs  zum  Museum,  Kritiken,  Nachrichten,  Auszüge  aus  hist.- 
antiquarischen  Zeitschriften  und  vermischte  Anzeigen  und  Notizen  der  mannig- 
fachsten Art. 


Germania.  Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Alterthumskunde. 
Herausgegeben  von  Franz  Pfeiffer.  Vierter  Jahrgang, 
4.  Heft.     Wien  1859. 

Die  Insel  der  Nerthus,  ein  historisch -antiquarischer  Versuch  von 
Karl  Maak.  Der  Verf.  fand  bei  seinen  Studien  über  die  Urgeschichte  der 
Schlesswig-Holsteinschen  Lande  ein   von  den  bisherigen  Ansichten  und  Hy- 

fothesen  ganz  verschiedenes  Resultat.  Nachdem  er  zuerst  die  Localität  der 
nsel  und  die  Wohnsitze  der  von  Tacitus  genannten  bei  der  Verehrung  der 
Nerthus  gemeinsam  betheiligten  sieben  Völker  im  Allgemeinen  bestimmt  hat, 
verbreitet  er  sich  ausführlicher  über  die  Ursitze  der  Angli,  Varini,  Eudoses, 
Suiirdones,  Nuithones,  Reudigni,  Aviones,  gothische  Völkerschaften  in  Süd- 
skandinavien, bestimmt  die  Nerthusinsel  näher  und  kommt  schliesslich  zu 
folgendem  Resultat:  1)  Die  Nerthusvölker  waren  Seeküsten  und  Seeinsel- 
bewohner. 2)  Die  Nerthus -Insel  lag  in  der  Ostsee.  3)  Die  sieben  Nerthus- 
völker bewohnten  die  Küsten  der  südwestlichen  Ecke  der  Ostsee  und  die 
Dänischen  Inseln.  4)  Die  Nerthusinsel,  ungefähr  im  Mittelpunkte  dieses 
Völkerkreises  liegend,  war  die  einst  von  dem  Festlande  vollkommen  ab- 
gerissene Ostecke  Holsteins,  die  damals  mit  der  Insel  Fehmarn  zusammen- 
hing. 5)  Der  lacus  secretus  des  Tacitus  war  der  See  von  Siggen.  6)  Der 
von  Tacitus  erwähnte  Tempel  der  Göttin  stand  im  vormaligen  Dorfe  Siggen, 
dessen  Name  einem  christlichen  Pfaffendorfe  entspricht.  7)  Von  dem  Ein- 
schiffungsorte des  göttlichen  Wagens,  hleithra  genannt,  zeugt  noch  heutigen 
Tages  der  Name  der  Stadt  Heihgenhaven,  wo  einst  ein  Tulendorf  bestand 
d.  h.  das  Dorf  am  dunklen,  geheimnissvollen,  heiligen  Wasser.  Talendorf  ist 
gleich  Ueiligenhafen.  8)  Der  Cultus  der  7  Nerthusvölker  war  wesentlich 
verschieden  von  dem  Frö-blöt  der  Dänen  auf  Seeland. 

Der  deutsche  Parcival,  der  Conte  del  Graal  und  Chrestiens 
Fortsetzer  von  Alfred  Rochat.  Nachdem  Rochat  den  Inhalt  des  un- 
geheuren Gedichtes  Chrestiens  von  Troyes  und  seiner  drei  Fortsetzer  in  Paris 
näher  kennen  gelernt  und  aufgezeichnet  hat,  theilt  er  das  Ergebniss  dieser 
zweiten  Untersuchung  (vergl.  Germania  III,  81,  ff.)  im  Gegensatze  zu  San 
Martes  Ansicht  hier  mit.  Zugleich  sucht  er  klarer,  als  bisher  geschehen, 
die  Art  darzustellen,  wie  der  Conte  del  Graal  in  seiner  abschreckenden  Länge 
und  Weitschweifigkeit  gedichtet  wurde. 


96  Beur theilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Zum  Nibelungenliede.  Von  Friedrich  Zarncke.  Gegen  Müllen- 
hofls  Aufsatz  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  II,  262  fg.,  in 
welchem  jener  Zarncke  angegriffen  und  sich  wegen  ^vorgeworfener  Schnitzer 
und  Flüchtigkeiten  vertheidigt  hat,  polemisirend  verbeitet  sich  der  Verfasser 
ausführlich  über  Gebrauch  und  Bedeutung  des  AVortes  ruore  und  über  die 
Vertauschung  des  k  mit  ch  in  einer  Handschrift  des  Nibelungenliedes.  So- 
dann giebt  er  Varianten  zur  Klage,  die  geeignet  sein  sollen,  „das  Vertrauen 
zu  Lachmanns  Genauigkeit  und  Zuverlässigkeit  wesentlich  zu  erschüttern" 
und  folgert  aus  dem  Umstände,  dass  ein  Halbvers  in  der  Strophe  1896, 
1.  in  den  Handschriften  fehlt,  in  Lachmanns  Ausgabe  oder  Variantensamm- 
lung aber  steht,  dass  „Lachmanns  Varianten  apparat  mit  dieser 
Enthüllung  alles  Recht  auf  Vertrauen  verloren"  habe.  Es  ist 
nur  zu  sehr  zu  beklagen,  dass  derjenige,  über  den  hier  so  thatkräftig  ah- 
geurtheilt  wird,  nicht  darauf  antworten  kann.  Es  wäre  dann  vielleicht  die 
„Enthüllung"  erspart  worden.  Diesem  heftigen  Erguss  lässt  Zarncke  noch 
„Weiteres"  zu  seinen  Beiträgen  folgen,  in  denen  er  schliesslich  nachzuweisen 
sucht,  wie  „schülerhaft  Herrn  Müllenhofs  Kenntnisse  in  den 
Realien  sind"  und  wie  die  Schilderung  des  Saalbrandes  in  der  Handschrift 
A  „eine  einzige  grosse  Schwierigkeit,  richtiger  eine  einzige  grosse  Albern- 
heit" ist. 

Sante  Margareten  marter.  Herausgegeben  von  Karl  Bartsch. 
Dieses  aus  680  Versen  bestehende,  in  einer  Handschrift  des  15.  Jahrhunderts 
in  der  Universitätsbibliothek  zu  Prag  vorhandene  Gedicht  vindicirt  He:  r 
Bartsch  dem  12.  Jahrhunderte.  Ausser  den  Beweisen,  die  er  dafür  angiebt, 
lässt   er   eine  Anzahl  erklärender   und  rechtfertigender  Anmerkungen  folgen. 

Zu  der  Thüringer  Chronik  des  Joh.  Rothe  von  Reinhold 
Bechstein.  Der  Verfasser  verbreitet  sich  besonders  über  den  Vocalismus 
Rothes  in  dessen  Thüringischer  Chronik  und  in  dem  Leben  der  heiligen 
Elisabeth  mit  Beziehung  auf  die  neuesten  Ausgaben  Rückerts  und  von  Lilien- 
krons.  Seine  Arbeit  ist  so  ein  Beitrag  zur  Geschiebte  der  Thüringischen 
Mundart  und  zur  Vorgeschichte  des  Neuhochdeutschen. 

Ueber  Rosenblüts  Disputaz  einesFreiheits  mit  einem  Juden. 
Von  Reinhold  Köhler.  Der  Verfasser  stellt  nicht  bloss  aus  den  abend- 
ländischen, sondern  auch  aus  orientalischen  Schriften  diesen  Schwank  einer 
Darstellung  durch  Zeichensprache  zusammen.  Ich  glaube  nicht  zu  irren, 
wenn  ich  vermuthe,  dass  die  S.  488,  Anm.  angedeutete  Erzählung  aus  der 
neuesten  Zeit  von  Prof.  v.  Schubert  herrühre.  Ich  erinnere  mich  wenigstens 
eine  solche  in  einem  Kalender  oder  in  den  gesammelten  Erzählungen  Schu- 
berts gelesen  zu  haben. 

Zur  Gudrun.  Von  Holland.  Vergleichung  einer  Stelle  der  Gudrun 
Str.  92S  mit  einer  Stelle  der  altfranzösischen  Chanson  des  Loherains. 

Recensionen.  Joh.  Kelle's  Speculum  ecclesiae.  Altdeutsch.  Recens. 
von  Fedor  Bech.  —  La  vie  de  la  vierge  Marie,  de  Maitre  W.ace 
publiee  d'apres  un  manuscrit  inconnu  aux  premiers  ^diteurs  suivie  de  la  vie 
de  Sainte  George  poeme  inedit  du  nieme  trouvere.  Tours  1859.  rec.  von 
K.  Bartsch. 

Berlin.  Dr.  Sachse. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  97 

Erklärung  der  schwierigen  dialektischen  Ausdrücke  in  Jeremias 
Gotthelfs  (Albert  Bitzius)  gesammelten  Schriften.  Zu- 
sammengestellt von  Albert  von  Kutte,  Pfarrer.  Berlin, 
Springer. 

Ein  für  das  genauere  Verständniss  der  Gotthelfschen  Schriften  un- 
entbehrliches Büchlein.  Zwar  hat  Jer.  Gotthelf  in  seinen  späteren  "Werken, 
so  wie  in  der  zweiten  Ausgabe  derselben  sich  bestrebt,  die  specielle  Färbung 
des  Schweizerdialectes  im  Emmerthale  zu  mildern  und  sich  in  Ausdrücken, 
Redensarten  und  Satzbildung  mehr  dem  allgemeinen  Hochdeutschen  an- 
geschlossen ;  allein  es  bleibt  doch  noch  eine  so  grosse  Menge  von  sprach- 
lichen Eigenthümlichkeiten  in  Wort  und  Phrasen  zurück,  dass  eine  Sammlung, 
wie  die  vorliegende,  für  Alle,  die  ein  vollständiges  Verständniss  der  Lectüre 
erzielen,  ein  wahres  Bedürfniss  ist.  Der  Verfasser  hat  sich  überall  der  mög- 
lichsten Kürze  befleissigt.  Manche  kleinere  Abweichungen  wie  Abe  für  Abend, 
Aff'licat  für  Advocat,  oder  Verdrehungen  der  "Wörter,  die  dem  Einzelnen 
in  den  Mund  gelegt  werden,  nicht  aber  der  Mundart  angehören,  hat  er  der 
Raumersparniss  wegen  fortgelassen.  Aus  demselben  Prinzip  hat  er  zusammen- 
gesetzte Wörter  da  und  dort  unter  die  Stammwörter  gebracht.  Ueber  Ein- 
zelnes in  Betreff  der  Anordnung  der  Wörter  und  der  Orthographie,  über 
nicht  bernische  und  doch  schweizer  Wörter  und  Wortformen  udgl.  giebt  die 
Vorrede  kurz  aber  ausreichend  Auskunft.  Und  so  wird  das  kleine  Buch  ge- 
wiss dazu  beitragen,  die  zum  Theil  so  lesenswerthen  Schriften  von  Bitzius, 
dem  liebenswürdigen  Pastor  zu  Lützelfiüh,  noch  lange  recht  fruchtbar  werden 
zu  lassen. 


Aufsatzschule.    Sammlung  von  Stoff  zu  Aufsatzübungen  für 
geübtere  Schüler.    Von  J.  H.  Möwing.   Langensalza  1858. 

In  dem  ziemlich  umfangreichen  Material  behandelt  der  Verf.  19  ver- 
schiedene Arten  von  Aufsätzen,  die  sich  etwa  zu  Aufsätzen  für  Quarta  und 
Tertia  unserer  gelehrten  Schulen  eignen  möchten,  in  recht  verständiger 
Weise.  In  der  Vorrede  bespricht  er  kurz  den  Plan  seines  Buches  und  be- 
gleitet die  einzelnen  Uebungen  mit  einigen  erläuternden  Worten.  Es  folgen 
dann  die  Uebungen  nicht  in  einer  in  der  Praxis  bestimmt  zu  befolgenden 
Anordnung,  sondern  nur  nach  einem  allgemeinen  Plane  vom  Leichtern  zum 
Schwereren  fortschreitend.  Er  überlässt  ganz  richtig  das  Herausgreifen  der 
einzelnen  Aufgaben  dem  Ermessen  des  Lehrers.  In  den  einzelnen  Kapiteln 
selbst  gehen  leichtere  Uebungen  den  schwereren  voran ,  so  dass  hier  jeder 
Zeit  der  Lehrer  nach  Massgabe  des  Standpunkts  der  Klasse  oder  des  Schü- 
lers wählen  kann.  Sehr  zweckmässig  hat  der  Verf.,  bevor  er  das  Thema 
stellt,  mehrere  Bearbeitungen  desselben,  entweder  prosaische  oder  poetische, 
voraufgeschickt.  Das  ganze  Buch  zeichnet  sich  durch  Mannigfaltigkeit  und 
Fülle  des  Stoffes,  so  wie  durch  umsichtige  und  geschickte  Behandlung  im 
Einzelnen  aus.  Es  verdient  daher  jede  Empfehlung  und  wird  sich  auch  ohne 
Zweifel  längst  in  vielen  Kreisen  eines  segensreichen  Gebrauchs  erfreuen. 


Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII. 


98  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Deutsche  Aufsätze  verbunden  mit  einer  Anleitung  zur  An- 
fertigung von  Aufsätzen  und  Dispositionen  vorzugsweise 
für  die  oberen  Klassen  der  Gymnasien  und  höheren  Lehr- 
anstalten von  Joseph  Venn.  2.  Auflage.  Düsseldorf  1859. 

Der  Verfasser  dieses  kleinen  151  Seiten  umfassenden  Buches  „ging  von 
dem  Gedanken  aus,  dass,  wenn  gleich  dem  studirenden  Jünglinge  die.  vielen 
ausgezeichneten  Aufsätze  unserer  klassischen  Schriftsteller  ein  vorzügliches 
Mittel  zur  Bildung  darbieten,  es  doch  verhältnissmässig  wenig  Aufsätze  gebe, 
die  den  Schülern  der  Gymnasien  unbedingt  zur  Richtschnur  dienen  könnten. 
Bei  vielen  ist  der  Stoff",  bei  anderen  die  Darstellung  dazu  nicht  geeignet." 
Daher  versucht  er,  diesem  Mangel  abzuhelfen  und  den  Schülern  eine  Richt- 
schnur und  zugleich  ein  Hülfsmittel  für  die  Anfertigung  ihrer  Aufsätze  an 
die  Hand  zu  geben.  Mit  Rücksicht  auf  die  fortschreitende  Bildung  der 
Schüler  werden  im  Anfange  leichtere  Themata  behandelt,  gegen  Ende 
schwerere.  Ausserdem  werden  neben  geschichtlichen  Aufsätzen  auch  phi- 
losophische gegeben  in  verschiedenen  Formen;  die  allgemein  abhandelnde 
wechselt  mit  der  Chrie,  Characterschilderung  und  Rede.  Bei  den  Aufsätzen 
philosophischen  Inhalts  ist  die  Idee  zu  Grunde  gelegt,  dass  das  Glück  des 
Menschen  in  einem  erfolgreichen  Streben  nach  sittlicher  Veredlung  auf 
Grundlage  der  Religion  beruhe.  Daher  haben  die  Aufsätze  dieser  Art  durch- 
gehends  eine  religiöse  Färbung,  was  auch  theilweise  darin  begründet  sein 
mag,  dass  der  Verfasser  zur  Zeit,  als  er  einzelne  dieser  Aufsätze  schrieb, 
als  Zögling  eines  geistlichen  Instituts  —  alumnus  seminarii  puerorum  Nove- 
siensis  —  Alles  mit  der  Religion  in  Verbindung  bringen  zu  müssen  glaubte. 
Um  den  Nutzen  der  Aufsätze  zu  sichern,  hat  er  die  wesentlichsten  Regeln 
zur  Anfertigung  derselben  in  einer  Anleitung  zusammengefasst  und  den  Auf- 
sätzen vorangestellt.  Am  Schlüsse  folgt  eine  Anzahl  von  Dispositionen. 
Mit  dem  Wunsche,  dass  das  Buch  in  den  Händen  der  Schüler  Nutzen 
stilten  möge,  schliesst  das  Vorwort. 

Mit  diesem  Wunsche  kann  ich  mich  am  Wenigsten  einverstanden  erklären. 
Ich  will  zugeben,  dass  für  junge  Leute  Manches  aus  dem  Buche  zu  lernen, 
dass  es  allenfalls  nützlich  sei,  wenn  diese  Aufsätze  von  jungen  Leuten  ge- 
hört werden,  aber  nichts  weiter.  Denn  einmal  behandeln  die  gegebenen 
Aufsätze  die  in  Schulen  mehr  oder  weniger  regelmässig  gestellten  Themata. 
Es  würde  also^  für  träge  Naturen  die  dauernde  Benutzung  des  Buches  nur 
auf  ein  förmliches  Abschreiben  hinauslaufen.  Sodann  wird  der  Verfasser 
zugeben  müssen,  dass  seine  Aufsätze  eine  gewisse  Einseitigkeit  und  Ein- 
förmigkeit verrathen,  die  keineswegs  der  Bildung  junger,  strebsamer  Leute 
förderlich  sind.  Es  würde  also  dadurch,  dass  das  Buch  in  den  Händen  der 
Schüler,  ein  grosser  Theil  des  Nutzens,  den  die  Ausarbeitungen  von  Auf- 
sätzen haben  und  haben  sollen ,  ganz  verloren  gehen ;  oder  es  dürften  nur 
Themata,  die  den  gelesenen  Aufsätzen  ähnlich  wären,  gegeben  werden.  Das 
ist  aber  nicht  leicht  thunlich,  denn  die  bearbeiteten  gehören  gerade  zu  den 
Aufgaben,  die  in  der  Schule,  ich  möchte  sagen,  unvermeidlich  und  stereotyp 
sind,  und  die  daher  auch  in  jeder  Aufgabensammlung  zu  finden  sind. 

Sollte  das  Erscheinen  der  2.  Auflage  durch  einen  solchen  Gebrauch  von 
Schülern  veranlasst  sein,  wäre  das  sehr  zu  bedauern,  und  das  Buch  würde 
in  den  Händen  der  Schüler  sicher  mehr  Schaden  als  Nutzen  gestiftet  haben. 

Es  kann  dasselbe  Lehrern  wohl  von  Nutzen  sein,  sicherlich  aber  Schü- 
lern nicht  anders,  als  wenn  der  Gebrauch  desselben  von  einem  Lehrer  ver- 
mittelt worden  ist.  Die  übrigen  Zuthaten,  die  Anleitung  zur  Abfassung  von 
Aufsätzen,  so  wie  50  Dispositionen  sind  kurz  gehalten  und  geben,  wie  dies 
nicht  anders  möglich  ist,  vielfach  schon  Bekanntes  und  praktisch  Bewährtes. 

Berlin.  Dr.  Sachse. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  99 

Die  biblischen  Sprichwörter  der  deutschen  Sprache,  herausgegeben 
von  Carl  Schulze.  Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht's 
Verlag.  1860. 

Der  Verfassser  liefert  hiermit  einen  dankenswerthen,  mit  grossem  Fleisse 
zusammengestellten  Beitrag  für  das  Quellenstudium  unserer  deutschen  Sprich- 
wörter, die  noch  immer  eines  gründlichen  Sammlers  harren;  denn  die  vor- 
handenen Sammlungen  erweisen  sich  leider  nicht  als  ausreichend,  und  gar 
manches  Goldkörnchen  von  Sprichwort  liegt  noch  heute  ungesehen  und  un- 
beachtet in  den  Schätzen  unserer  älteren  Literatur  verborgen.  Unter  den 
Quellen,  aus  denen  unsere  Volksweisheit  schöpfte,  nimmt  die  Bibel  unstreitig 
eine  der  ersten  Stellen  ein.  Nachdem  der  Verfasser  in  der  Einleitung  ein 
kleines  Verzeichniss  der  hier  einschlagenden  Schriften  vorangeschickt  hat, 
dem  wir  noch  „Mylius  biblische  Gleichnissreden  und  Sprüchwörter  1621.  8°. 
(751  S.)"  und  „Sprichwörter  und  Redensarten  deutsch -jüdischer  Vorzeit, 
von  Tendlau,  Frankfurt  am  Main,  Keller  1860.  (XII  u.  425  S.)"  hinzufügen 
möchten,  deutet  er  kurz  die  kritischen  Gesichtspunkte  an,  die  ihn  bei  Auf- 
nahme von  Sprichwörtern  in  die  vorliegende  Sammlung  leiteten,  giebt  einen 
Zusatz  zu  der  bereits  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  von  Haupt, 
B.  VIII.  mitgetheilten  Aufstellung  von  „Ausdrücken  für  Sprichwort"  und 
zuletzt  Einiges  über  Verbreitung  der  biblischen  Sprichwörter,  über  ihr  Ver- 
hältniss  zu  einander  und  über  ihren  Inhalt.  Die  Gesammtzahl  der  im  vor- 
liegenden Werke  behandelten  Sprichwörter  beträgt  296,  von  denen  179  auf 
das  alte,  117  auf  das  neue  Testament  kommen.  Wir  möchten  indessen  die 
Nummern  21.  47.  205.  256.  58.  59.  262.  274.  77.  292.  gestrichen  wissen,  denn 
die  beigebrachten  Beweisstellen  gewähren  durchaus  keine  Sicherheit.  Ebenso 
ist  es  fraglich,  ob  z.  B.  Nr.  172  und  179  Quellen  für  deutsche  Sprichwörter 
sind.  Um  die  Sprichwörtlichkeit  der  verzeichneten  Bibelworte  zu  beweisen, 
stellt  nämlich  der  Verfasser  in  chronologischer  Reihefolge  aus  allen  Schriften 
unserer  älteren  deutschen  Literatur  die  betreffenden  Stellen  unter  dem  Texte 
der  Vulgata  und  der  Luther'schen  Uebersetzung  zusammen  und  giebt  dadurch 
ein  treues  Bild,  in  welcher  Fassung  sich  ein  Sprichwort  durch  Jahrhunderte 
hindurch  bewegt  hat.  Zugleich  sind  Nachweise  gegeben,  wo  das  auf  diese 
Weise  erhärtete  Sprichwort  in  den  bekannten  Sammlungen  erscheint.  Zwei 
Register  erleichtern  das  Aufsuchen  der  behandelten  Sprichwörter.  Ref.  ver- 
misst  übrigens  einen  Anhang  aller  derjenigen  Sprichwörter,  die  dem  biblischen 
Grund  und  Boden  entwachsen  sind,  z.  B.  die  Sprichwörter  über  Adam,  Eva, 
Moses,  David,  Hiob,  Christus,  Herodes,  Judas,  Petrus,  oder  Sprichwörter 
wie:  der  Glaube  macht  selig  (Marc.  16,  16),  Gott  ist  mit  im  Schiffe  (Matth. 
8,  23),  der  Verräther  schläft  nicht  (Matth.  2  6),  u.  s.  w. 

Wir  empfehlen  schliesslich  das  Buch  allen  Freunden  deutscher  Sprache 
und  Literatur  angelegentlich,  da  es  an  vielen  Stellen  interessante  Proben 
des  sprachlichen  Ausdrucks  und  der  Dialectverschiedenheit  aus  allen  Jahr- 
hunderten der  vorlutherischen  Zeit  bringt. 

H. 


Elementarbuch  der   französischen  Sprache   für   die   ersten   zwei 

Stufen  des    Unterrichts.     3.  Die    Syntax  der   französischen 

-Sprache.     Von  Dr.  C.  A.  Wittenhaus,  Rektor  der  höheren 

Bürgerschule  in  Rheydt.     Erfurt,  Verlag  von  C.  Villaret. 

Die  beiden  ersten  Theile  des  oben  genannten  Lehrbuches  sind  bereits 
in  früheren  Jahrgängen  dieser  Zeitschrift  besprochen  und  der  Beachtung 
ihrer  Leser  empfohlen  worden.  Wir  äusserten  damals  den  Wunsch,  dass 
der  Verfasser  auch  die  Syntax  in  zusammenhängender  Darstellung  bearbeiten, 


100  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

und  damit  seinem  Werke  den  nötliigen  Abschluss  geben  möcbte.  Das  ist 
nun  geschehen;  Herr  W.  hat  vor  Kurzem  eine  Satzlehre  erscheinen  lassen, 
die,  ohne  darum  den  Character  eines  selbständigen  Werkes  zu  verlieren,  zu 
den  beiden  Abtheilungen  seines  Elementarbuches  den  dritten  ergänzenden 
Theil  bildet.  „Auch  sie  zerfällt  in  zwei  Abtheilungen,  von  welchen  die  erste 
den  einfachen  Satz,  die  zweite  das  Satzgefüge  behandelt,  Jede  dieser  Ab- 
theilungen wird  für  einen  einjährigen  Cursus  hinreichenden  Stoff  enthalten, 
sodass  in  den  jetzt  erschienenen  drei  Theilen  das  Material  für  den  fran- 
zösischen Unterricht  in  fünf  aufsteigenden  Classen  einer  Realschule  oder 
eines  Gymnasiums  vorliegt.  Für  die  drei  unteren  Classen  enthalten  die  beiden 
ersten  Theile  dieses  Material  vollständig,  für  die  beiden  oberen  Classen 
jedoch  enthält  der  dritte  Theil  nur  das  grammatische  Pensum,  nebst  den 
dazu  gehörenden  Uebungsbeispielen  zum  Uebersetzen.  Den  letzteren  sind 
möglichst  viele  hinzugefügt  worden,  sodass  nicht  in  jedem  Jahre  dieselben 
schriftlichen  Ausarbeitungen  gemacht  zu  werden  brauchen.  —  Was  die  Me- 
thode betrifft,  so  ging  der  Verf.  von  dem  theoretisch  längst  anerkannten, 
aber  praktisch  noch  immer  nicht  zur  allgemeinen  Geltung  gekommenen 
Grundsatze  aus,  dass  in  einer  Lehranstalt,  die  nicht  als  Fachschule  bloss 
materielle  Zwecke  verfolgt,  also  wie  im  Gymnasium,  so  auch  in  der  Real- 
schule jeder  Unterrichtsgegenstand ,  zunächst  und  vorzugsweise  geistiges 
Bildungsmittel  sein  solle.  Hierdurch  und  besonders  auch  dadurch,  dass  die 
Resultate  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  der  Schule  zu- 
geführt werden,  ist  der  praktischen  Brauchbarkeit  des  Buches  hoffentlich 
kein  Eintrag  geschehen."     (Vorrede). 

Der  Verfasser  hat  sich  unseres  Erachtens  in  dieser  Hoffnung  nicht  ge- 
täuscht. Es  ist  ihm  gelungen,  die  allerdings  schwierige  Aufgabe,  den  An- 
forderungen der  Wissenschaft  wie  des  Unterrichts  gleichmässig  gerecht  zu 
werden,  in  recht  befriedigender  Weise  zu  lösen.  Die  systematische  Anordnung 
und  Vertheilung  des  syntaktischen  Lehrstoffes  tritt  in  ihrer  consequenten 
Durchführung  überall  klar  und  übersichtlich  heraus.  Sie  hindert  indess  nicht, 
wie  das  gar  oft  der  Fall  ist,  dass  diejenigen  sprachlichen  Erscheinungen, 
welche  für  das  fremde  Idiom  vorzugsweise  characteristisch,  dem  der  Heimat 
aber  mehr  oder  weniger  fremd  sind,  und  eben  darum  beim  Unterricht  eine 
ganz  besondere  Berücksichtigung  verdienen,  mit  dem  erforderlichen  Nach- 
drucke hervorgehoben  werden.  Die  allgemeinen  Bestimmungen,  Definitionen, 
Erklärungen  etc.  hat  der  Verfasser  sehr  mit  Recht  auf  ein  angemessenes 
Mass  beschränkt,  und  zugleich  durch  einen  einfachen,  leicht  verständlichen 
Ausdruck  der  Fassungskraft  der  in  Frage  kommenden  Altersstufe  augepasst. 
Auch  ist  er  mit  Erfolg  bestrebt  gewesen,  die  einzelnen  Regeln  in  eine  prä- 
cise  und  bündige  Form  zu  fassen,  sodass  sie  unschwer  verstanden,  und  mit 
Hülfe  der  zahlreichen  und  meist  passend  ausgewählten  Uebungsbeispiele 
mit  Sicherheit  eingeübt  werden  können.  Uebrigens  ist  die  Gliederung,  welche 
Herr  W.  dem  Stoffe  mit  steter  Rücksicht  auf  seinen  doppelten  Zweck  ge- 
geben hat,  in  ihren  Grundzügen  diese: 

Erste  Abtheilung.  A.  Der  einfache  Satz.  —  Erstes  Kapitel:  Das 
Subject.  —  I.  als  Substantiv,  IL  als  substant.  Adjectiv,  III.  als  substant. 
Verb,  IV.  als  subst.  Partikel,  V.  als  Pronomen  (l.,als  persönl.  Pronomen: 
pron.  pers.  conjoint  u.  absolu,  il  in  unpersönl.  Sätzen,  il  als  grammat.  Sub- 
jekt mit  nachfolgendem  logischen  Subj.,  das  Pron.  als  pleonast.  Subjekt,  die 
Frageform,  Wiederholung  des  Pron.  als  Subjekt  —  2.  als  demonstrat.  Pro- 
nomen: ce  substant.  gebraucht,  Unterschied  von  ce  und  il,  ce  als  pleonast. 
Subjekt.  —  3.  als  relat.  Pron.,  4.  als  interrogat.  Pron.,  6.  unbestimmtes  Pron. 
als  Subjekt.  —  Zweites  Capitel.  Das  Prädikat  (S.  15.  —  33).  I.  als  ein- 
faches Verb,  IL  als  abstractes  Verb  mit  einer  prädikativen  Ergänzung  (als 
solche  treten  auf:  Adjectiv,  Substant.,  Infinitiv,  Pronomen,  Numerale,  Adverb), 
III.  Die  Formen  des  Zeitworts  als  Prädikat  (1.  die  Zeit-,  2.  die  Modal- 
formen). —  Drittes  Kapitel:   Die  adverbialen  Satzbestimmungen  ( —  S.  77). 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  101 

1.  Die  Kasus  (der  Genitiv  wird  z.  B.  a.  als  Orts-  und  Zeitbestimmung,  b.  in 
seinem  Gebrauche  für  die  Präposit.  von  und  aus,  als  instrumentaler  Genit.,  als 
Bezeichnung  von  Grund  und  Ursache,  c.  als  partitiver  Genitiv  betrachtet; 
Die  Casus  der  persönlichen  Pronomina  werden  für  sich  behandelt).  —  IL 
Die  Präpositionen.  —  III.  Die  Participialien  (1.  Der  Infinitiv  ohne  und  mit 
Präpos.  —  2.  das  Particip  in  einfacher  (aetiver  und  passiver)  und  zusammen- 
gesetzter Form.  —  IV.  Das  Adverb  (Orts-, Zeit-, Modaladverb),  Stellung  der 
Adv.,  Adv.  mit  adject.  Form,  Praepos.  als  Adverb,  Adverb.  Ausdrücke),  Satz- 
adv, (die  Negation).  —  Viertes  Capitel:  die  attributiven  Satzbestimmungen 
(—  S.  93).  I.  Der  Artikel,  II.  die  attribut.  Zahlwörter,  III.  die  attribut. 
Fürwörter,  IV.  das  attrib  Adjectiv,  (Congruenz,  Comparation,  Stellung  der 
Aiij.),  V.  das  attrib.  Substantiv,  (Genitiv,  Dativ,  Substant.  mit  Präposit), 
VI.  und  VII.  das  attrib.  Adverb,  u.  der  attr.  Infinitiv,  VIII.  die  Apposition. 

—  B.  der  zusammengezogene  Satz,  C.  der  zusammengesetzte  Satz  ( — •  S.  98). 

—  Angehängt  sind   grössere,  zusammenhängende  Uebungsstücke  S.   11G.  — 

Zweite  Abtheilung:  Das  Satzgefüge.  A.  das  einfache  Satzg.  (S.  117 

—  90)  —  Allgemeine  Vorbemerkungen  (Arten  der  Nebensätze,  Verbindung 
von  Haupt-  und  Nebensatz,  Gebrauch  der  Modal-  und  Zeitformen).  —  Erstes 
Kapitel:  der  Nebensatz  als  Subjekt  —  S.  124,  (der  concrete  und  der  ab- 
stracte  Nebens.  als  Subj.,  der  Modus  im  subj.  Nebens.,  die  Verneinung,  der 
abgekürzte  Nebens.  als  Subj.)  —  2.  Kap.:  der  Nebens.  als  prädicative  Er- 
gänzung —  S.   12  5.  —  3.  Kap.:  der  Nebens.  als  adverbiale  Satzbestimmung 

—  S.  177.  I.  Der  Kasussatz  (als  Accus.-.  Genitiv-,  Dativsatz,  Modus  und  Ne- 
gation in  diesen  Sätzen,  ihre  verkürzte  Form),  IL  der  präposition.  Nebens. 
(in  seiner  ausgebildeten  und  verkürzten  Form);  III.  Der  Participial- Neben- 
satz (Infinitiv  und  Particip  als  verkürzter  Nebensatz);  IV.  der  adverbiale 
Nebens.  (als  Orts-,  Zeitbestimmung,  als  eausale  Satzbest.)  —  der  Grundsatz 
(eigentlicher  Causal-,Conditional-,  Concessivsatz)  und  der  Folges.  (Consecutiv-, 
Finalsatz),  als  Bestimmung  der  Art  und  Weise  (qualitativ  und  quantitativ 
vergleichender  Modalsatz).  —  4.  Kap.  Der  Nebensatz   als  attribut.  Satzbest. 

—  S.  187.  I.  der  adjectivische  Attributivsatz  (auf  ein  Subst.  des  Hauptsatzes, 
auf  den  ganzen  Hauptsatz  bezogen,  Verhältniss  zum  Haupts.),  IL  der  sub- 
stantivische Attributivsatz.  —  B.  das  mehrfach  zusammengesetzte  Satzgefüge 
( —  S.  203).  Ein  oder  mehrere  Nebens.  auf  einen  Hauptsatz  bezogen,  Nebens. 
einander  untergeordnet.  —  Es  folgen  üebungen  über  den  Gebrauch  der 
Modi  und  der  Adverbien  der  Verneinung,  und  von  S.  203-301  allgemeine 
Hebungen  (historische  und  Naturschilderungen,  Briefe).  g 


Die  13.  Auflage  des 
Lehrbuch    der   Französischen    Sprache.     Zweiter    Cursus ,    oder 
Schulgrammatik  von  Dr.  Carl  Plötz, 

ist  erschienen  mit  einigen  Aenderungen,  welche  ohne  Zweifel  Verbes- 
serungen zu  nennen  sind  und  welche  daher  die  Brauchbarkeit  dieses  weitver- 
breiteten Schulbuchs  noch  erhöhen  werden.  Zunächst  ist  die  systematische 
Grammatik,  welche  früher  mehr  als  Anhang  figurirte,  diesmal  an  die  Spitze 
des  Buches  und  vor  den  methodischen  Theil  getreten,  eine  an  sich  un- 
wesentliche Aenderung,  die  aber  Manchem  lieb  sein  dürfte,  welcher  die 
erstere  zur  Grundlage  seines  Unterrichts  macht.  Die  Vortheile  dieser  Neben- 
einanderstellung beider  Methoden  sind  augenfällig.  Der  nach  dem  methodischen 
Theil  unterrichtete  Schüler  hat  zugleich  die  systematische  Uebersicht  der 
grammatischen  Elemente,  die  er  allmälig  in  sich  aufgenommen,  und  so  wird 
diese  Einrichtung  z.  B.  bei  Repetitionen  gute  Dienste  thun.  Wer  andererseits 
nach  dem  systematischen  Schema  lernt,  hat  gleich  daneben  eine  vortreffliche 


102  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Sammlung  von  Uebungsbeispielen,  welche  der  Lehrer  in  allen  Fällen,  wo  es 
ihm  gut  scheint,  benutzen  kann.  Es  macht  keinen  Einwurf,  dass  jene  Uebungs- 
stücke  für  eine  andere  Methode  bestimmt  sind  und  dass  daraus  Schwierig- 
keiten,  besonders  wegen  des  dort  vorausgesetzten  Wortschatzes  für  einen 
Schüler  erwachsen,  welcher  jene  Vokabeln  nicht  gelernt.  Theils  verschlägt 
es  nichts,  wenn  der  Lehrer  ihm  diejenigen  sagt,  welche  er  anderweitig  nicht 
finden  kann,  theils  sind  vom  Verfasser,  aus  wohlerwogenen  Gründen,  schon 
dagewesene  Vokabeln  und  Redensarten  wiederholt  in  das  vocabulaire  auf- 
genommen worden. 

Der  methodische  Theil,  welcher  offenbar  das  eigenthümliche  Verdienst 
dieses  Buches  ausmacht,  hat  vielfache  Zusätze  bekommen.  Man  vermisste 
früher  z.  B.  in  Lektion  50,  welche  sämmtliehe  Regeln  über  que  mit  dem 
Subjonctif  enthielt,  die  nöthige  Fülle  von  Uebungsbeispielen.  Diesem  Mangel 
ist  in  der  genügendsten  Weise  abgeholfen:  der  Verfasser  hat  hier  nicht 
weniger  als  vier  französische  und  acht  deutsche  Stücke  hinzugefügt,  nämlich 
hinter  jedem  der  vier  Verbklassen,  welche  den  Subjonctif  regieren,  stehn 
immer  gleich  die  entsprechenden  Aufgaben,  und  am  Schluss  rinden  wir  als 
zusammenfassende  Uebung  die  bereits  vorhandenen  Exercitien.  Es  ist  ferner 
eine  ganz  neue  Lektion  (Lektion  76.  a.)  von  der  Konkordanz  des  Verb's  mit 
dem  Subjekt  hinzugekommen,  während  in  den  früheren  Aufgaben  die  be- 
züglichen Regeln  sich  hier  und  da  zerstreut  fanden.  Natürlich  ist  dieser 
besondere  §.  auch  dem  systematischen  Theil  einverleibt  worden.  Auch  im 
Einzelnen  sind  noch  manche  Abänderungen  theils  des  Ausdrucks  theils  der 
ganzen  Fassung  der  Regel,  welche  dadurch  mehr  Klarheit  und  Präeision  er- 
hält. Dabei  hat  der  Verfasser  darauf  Bedacht  genommen,  den  Gebrauch  der 
älteren  Ausgaben  neben  dieser  leicht  und  bequem  zu  machen.  Inhalt  und 
Zahl  der  Lektionen  sind  durchaus  dieselben,  natürlich  mit  Ausnahme  des 
oben  erwähnten  neu  Hinzugefügten,  dergestalt  dass  die  Orientirung  durch- 
aus keine  Schwierigkeiten  macht.  Es  ist  zu  erwarten  und  zum  Gedeihen 
des  französischen  Unterrichts  auf  unseren  Schulen  zu  wünschen,  dass  dieses 
Lehrbuch  in  seiner  jetzigen  Gestalt  immer  mehr  Freunde  und  eine  immer 
weitere  Ausbreitung  finden  möge. 

Dessau.  O.   Weiss. 


Programmenschau. 


Le  Phorrnion  de  Terence  et  les  fourberies  de  Scapin  de  Moliere 
par  C.  H.  Humbert,  Dr.  Programm  der  Realschule  zu 
Elberfeld.    1859. 

Der  Verfasser,  der  schon  im  XXHI.  Bande  des  Archivs  in  zwei  Ab- 
handlungen: I.  „Das  Urtheil  des  Herrn  von  Schack  über  Moliere's  femmes 
savantes,"  und  II.  „Moliere  und  der  conventioneile  Standpunkt  seiner  Zeit," 
als  Vertheidiger  des  französischen  Dichters  gegen  die  geringschätzenden  Ur- 
theile  Schlegels  und  Anderer  aufgetreten  ist,  macht  es  sich  in  diesem  Auf- 
satze zur  Aufgabe,  durch  Vergleich  der  französischen  Posse  mit  der  latei- 
nischen Komödie,  aus  der  sie,  ihrer  Handlung  und  ihren  Hauptcharakteren 
nach,  entsprungen  ist,  zu  zeigen,  dass  Moliere  nicht  nur  nicht  in  verschlech- 
ternder, verflachender  Weise  sein  Vorbild  französirt,  sondern  es  sogar  durch 
Beseitigung  des  unnützen  und  unsittlichen  Beigefüges  (Davus,  Nausistrata), 
dann  durch  Einführung  edlerer  Motive  dem  sittlichen  Standpunkte  seiner 
Zeit  angemessen  umgearbeitet  habe.  Dem  Vorwurf,  dass  diese  Posse  kaum 
noch  den  Standpunkt  der  Posse  behaupte,  begegnet  er  durch  den  Hinweis 
auf  das  Theaterpublikum  damaliger  Zeit,  das  bis  dahin  nur  die  Posse  rohester 
und  gemeinster  Art  gekannt  hatte,  und  das  Moliere,  der  Schöpfer  der  fran- 
zösischen Komödie,  deshalb  erst  heranbilden  musste. 

Nach  kurzer  Anführung  der  Urtheile  Boileau's,  Voltaire's  und  Laharpe's, 
von  denen  der  erstere  in  seinem  absprechenden  Urtheile  über  diese  Posse 
noch  von  Schlegel  übertroffen  wird,  giebt  der  Verfasser  eine  gedrängte 
Inhaltsangabe  des  lateinischen  und  des  französischen  Stückes.  In  dem  dar- 
auf folgenden  Hauptabschnitte  der  Arbeit  knüpft  der  Verfasser  an  die  ein- 
zelnen Theile  der  Schlegelschen  Kritik  an,  indem  er  die  entsprechenden 
Charaktere  mit  einander  vergleicht.  Bei  diesem  Vergleiche  bemüht  sich  der 
Verfasser,  wie  er  sagt,  zu  zeigen,  dass  Moliere  bei  seiner  Nachbildung  des 
Phormio  nicht  ungeschickt,  sinnlos  und  wenig  gewissenhaft  copirt,  sondern 
frei  nachgeahmt  hat,  und  dass  die  Charaktere  seiner  Posse  weit  aehtungs- 
werther,  weil  sittlicher,  sind  als  die  der  Terenzischen  Komödie;  dass  die 
ganz  sinnliche  Liebe  der  Alten  in  eine  makellose,  gegenseitige,  christliche 
umgewandelt  ist;  dass  Phormio,  der  die  beiden  jungen  Leute  in  ihrer  Lieder- 
lichkeit aus  reinem  Eigennutz  unterstützt,  weit  weniger  zu  rechtfertigen  ist 
als  Scapin,  der  Alles,  was  er  thut,  ohne  persönliches  Interesse  allein  aus 
Theilnahme  für  das  Geschick  der  beiden  Liebespaare  thut;  dass  der  Charakter 
des  Vaters  Chremes  -  Gehonte  bei  Moliere  weit  weniger  verächtlich  als  bei 
Terenz  dargestellt  ist;  dass  die  Rolle  der  Nausistrata  als  einer  schaamlosen 
Mutter  und  unwürdigen  Frau,  wie  es  sich  geziemte,  von  Moliöre  ganz  be- 
seitigt worden  ist,  ebenso  wie  die  überflüssige,  nichts  komisches  bietende 
Rolle  des  Davus. 


104  Programmenschau. 

Es  scheint  dann  (nach  p.  5)  noch  ferner  in   der  Absicht  des  Verfassers 

felegen  zu  haben,  ebenfalls  im  Anschluss  an  die  Schlegelsche  Kritik,  über 
ie  Anbige  des  Stückes  im  Allgemeinen  bei  beiden  Dichtern  zu  sprechen, 
um  besonders  auf  den  Vorwurf  Schlegels  zu  antworten,  dass  Moliere  die  In- 
tripue  des  lateinischen  Stückes  nachlässig  behandelt  und  zu  ihrem  Nacht  heil 
anders  gestaltet  habe.     Aus  Mangel  an  Raum  ist   dies  nicht  geschehen. 


Essai  sur  les  principales  analogies  des  langues  fraixjaise  et  an- 
glaise.  II.  Partie,  vom  Dr.  Maass.  Programm  des  Gym- 
nasiums zu  Neu -Brandenburg.     Michaelis  1859. 

Der  erste  Theil  dieser  Abhandlung  erschien  in  dem  Programme  derselben 
Schule  vom  Jahre  1858.  Es  war  darin  die  vergleichende  Syntax  der  beiden 
Sprachen  in  vier  Kapiteln  bis  zum  Fürwort  geführt  worden.  Der  vorliegende 
'Abschnitt  beginnt  mit  dem  wichtigsten  Kapitel,  dem  über  das  Verb,  und 
daran  reiht  sich  endlich  noch  ein  Kapitel  über  die  Präpositionen.  Der  ur- 
sprünglich angedeutete  Plan  des  Verfassers,  auch  die  Etymologie  und  die  Phra- 
seologie in  seine  vergleichende  Betrachtung  mit  hereinzuziehen,  kommt  wegen 
Mangel  an  Zeit  noch  nicht  zur  Ausführung.  Dafür  wird  der  Leser  am 
Schlüsse  durch  einige  comparative  Bemerkungen  über  zwei  französische  Ueber- 
setzungen  der  Schillerschen  Glocke  entschädigt. 

Was  zunächst  (Jen  Haupttheil  des  Programms,  und  darin  wiederum  das 
Kapitel  über  das  Verb  betrifft,  so  ist  die  Reichhaltigkeit  und  Gediegenheit 
der  Bemerkungen  eine  sehr  schätzenswerthe ;  aber  man  vermisst  eine  gewisse 
Vollständigkeit  oder  vielmehr  ein  bestimmtes  System,  nach  welchem  zu 
Werke  gegangen  wäre.  So  wird  z.  B.  im  Eingange  gesagt,  dass  es  in  der 
Syntax  des  Verbs  besonders  auf  den  Gebrauch  der  tempora  und  modi  an- 
kommt; da  aber  erstere  sehr  verschiedenartig  in  beiden  Sprachen  gebraucht 
würden,  so  hätte  man  (der  Verfasser)  nur  von  den  modis,  und  zwar  vom 
Indicativ  und  Conjunctiv  zu  sprechen.  Ja,  ist  denn  aber  der  Vergleich  nur 
dazu  da,  die  Aehnlichkeiten  aufzusuchen?  oder  kommt  es  nicht  auch  in 
gleichem  Masse  darauf  an,  die  Verschiedenheiten  hervortreten  zu  lassen? 
Und  nun  besonders  auf  sprachlichem  Gebiete  und  in  Bezug  auf  Lernende 
kommt  es  doch,  so  will  mir  scheinen,  am  meisten  darauf  an,  zu  zeigen,  wo 
die  verschiedenen  Sprachen  nicht  denselben  Weg  gehen  in  der  Darstellung 
des  Gedankens. 

Beim  Indikativ  wird  nur  eine  Bemerkung  gemacht  und  zwar  eine  sehr 
wichtige,  die  ich  bisher  in  Lehrbüchern  gar  nicht,  oder  nur  sehr  wenig  be- 
tont gefunden  habe,  nämlich  über  die  Verschiedenheit,  die  zwischen  der 
deutschen  (lateinischen)  Sprache  einerseits,  der  englischen  und  französischen 
andrerseits  in  Bezug  auf  die  indirekte  Rede  besteht. 

In  dem  Paragraphen,   der   den  Infinitiv  behandelt,   findet   sich   folgende 

Bemerkung:    Un   ordre   est   exprime   d'une   maniere   plus   obligeante   par   un 

infinitif  pre"cede  du  verbe  avoir.     Gegen  die  Richtigkeit  des  Satzes  lässt  sich 

nichts  sagen,  doch  passt  das  aus  Regnard  angeführte  Beispiel  schwerlich  dazu: 

Et  tu  crois  qu'en  effet 

Je  n'ai,  pour  en  avoir,  qu'ä  donner  mon  billet? 

Dass  die  englische  und  französische  Sprache  durch  den  häufigeren  Ge- 
brauch der  Participien  oft  eine  grössere  Kürze  vor  der  deutschen  voraus- 
haben, ist  sehr  richtig ;  sehr  oft  aber  auch  erreichen  wir  dieselbe  Kürze,  nur 
auf  anderem  Wege,  indem  wir  nämlich  Substantiva  da  anwenden,  wo  jene 
die  Participia  gebrauchen,  und  nur  diese  gebrauchen  können,  wenn  sie  nicht 
ebenfalls  im  Ausdruck  breit  werden  wollen.  In  dem  von  dem  Verfasser  an- 
geführten Satze:    „Die  Jonier  verursachten  jene   denkwürdige  Nebenbuhler- 


Programniens  chau.  105 

schaft,  welche,  nachdem  sie  zwei  Jahrhunderte  gedauert  hatte, 
mit  der  Zerstörung  des  persischen  Reiches  endete."  könnte  man  doch  gewiss 
ebenso  gut  sagen:  „nach  einer  Dauer  von  200  Jahren,"  oder  „nach  zwei- 
hundertjähriger Dauer,"  wodurch  die  Kürze  des  französischen  und  englischen 
Participialsatzes  doch  gewiss  aufgewogen  wird. 

Unter  den  Bemerkungen  über  das  Particip  findet  sich  auch  gelegentlich 
eine  Hinweisung  auf  den  absoluten  Nominativ,  wie  er  z.  B.  in  folgendem 
Beispiele  erscheint:  L'homme  taciturne  et  muet  e*leve  une  fois  la  voix: 
l'explosion  faite,  il  retombe  dans  son  etat  naturel,  le  silence.  In  einer 
Anmerkung  zu  einem  andern  ähnlichen  Beispiel  wird  dann  hinzugefügt,  dass 
etant  in  dem  participe  passif,  welches  damit  gebildet  wird,  häufig  wegfällt, 
wie  in  folgendem  Beispiel:  Les  langues,  nees  avec  les  societes,  n'ont  sans 
doute  d'abord  ete  qu'une  collection  assez  bizarre  de  signes  de  toute  espece, 
wo  es  also  nach  der  Meinung  des  Verfassers  eigentlich  heissen  müsste:  les 
langues,  etant  jiees  avec  les  societes  etc.  Meiner  Meinung  nach  ist  aber 
etant  ndes  nur  in  folgender  Construktion  möglich:  les  langues  etant  nees 
avec  les  societes,  il  faut  les  considerer  etc.  d.  h.  nur  wenn  les  langues 
grammatisches  Subjekt  des  Participialsatzes  wird,  und  der  Hauptsatz  sein 
eigenes  Subjikt  hat,  kann  und  muss  diese  zusammengesetzte  Form  des  par- 
ticipe passif  angewendet  werden :  Ausnahme  von  dieser  Kegel  macht  eben  nur 
der  absolute  Nominativ,  in  welchem  allerdings  Subjekt  und  Prädikat  ohne 
Kopula  nebeneinander  gestellt  werden.  Die  Bedeutung  des  Particips  an  und 
für  sich  bleibt  allerdings  dieselbe,  ne  heisst  nichts  anders  als  etant  ne;  um 
so  mehr  fällt  es  aber  auf,  dass  bei  Angabe  der  Formen  des  Particips  zwei 
aktive:  donnant,  ayant  donne,  und  zwei  passive:  etant  donne,  ayant  ete 
donne  aufgeführt  werden,  und  dass  von  der  ursprünglich  allein  passiven: 
donne  gar  nicht  die  Rede  ist. 

Ausser  dem  Gerundium  wird  dann  noch  die  Stellung,  die  verschiedenen 
Klassen  und  das  Regime  der  Verben  in  Betracht  gezogen.  In  dem  letzten 
Kapitel  „über  die  Präpositionen"  werden  nur  die  vorzüglichsten  nach  alpha- 
betischer Reihenfolge  angeführt,  und  ihre  verschiedenen  Bedeutungen  in 
beiden  Sprachen  mit  zahlreichen  Beispielen  belegt. 

Mit  besonderem  Danke  ist  bei  dieser  Arbeit  überhaupt  anzuerkennen, 
dass  zu  allen  Bemerkungen  eine  grosse  Anzahl  von  Belegen,  und  zwar  nur 
aus  anerkannt  guten  Autoren  gegeben  wird.  Zum  Schluss  seieD  daher  nur 
noch  einige  fehlerhafte.  Ausdrücke  hervorgehoben,  die  sich  in  Beispielen  be- 
finden, die  der  Verfasser  selbst  bilden  musste.  Abuser  quelqu'un  heisst  nicht, 
wie  auf  p.  17  gesagt  wird,  schmähen,  sondern  täuschen  (durch  Missbrauch). 
Ferner  würde  man  nicht  sagen:  Pendant  que  nous  etions  a  la  table,  ma 
tante  arrivait,  sondern:  pendant  que  nous  e"tions  a  table  ma  tante  arriva. 
Endlich  heisst  es  auch  nicht:  Ma  tante  croit  en  spectres  et  en  mauvais 
pr^sages,  sondern :  ma  tante  croit  aux  spectres  et  aux  mauvais  presages. 


An  diese  Arbeit  reiben  sich  ferner,  wie  schon  oben  angedeutet  worden 
ist,  noch  an: 

Remarques  grammaticales  et  litteraires  sur   deux   traduetions  de 
la  cloche  de  Schiller,  von  demselben  Verfasser. 

Sie  beziehen  sich  auf  die  Uebersetzungen  besagten  Gedichtes  von  E. 
Deschamps  und  Poyrelle.  Emile  Deschamps  gehört  mit  seinem  Bruder  An- 
toni  der  romantischen  Schule  an,  und  war  einer  der  Begründer  der  „Muse 
francaise,"  des  literarischen  Organs  jener  Schule.  Beide  haben  spanische 
und  italienische  Dichter  bearbeitet,  und  dabei  viel  Ruhm  geerndtet,  wenigstens 
bei  ihren  Anhängern.    Povrclle's  Name  ist  meines  Wissens  in  der  französischen 


106  Programinenschau. 

Literatur  ganz  unbekannt;  er  war  docteur  en  droit  und  Advokat  am  Pariser 
Apcllhofe,  und  lebt  jetzt  in  Rostock  als  professeur  de  langue. 

Von  beiden  Arbeiten  werden  nur  einzelne  Proben,  Uebersetzungen  der- 
selben Stelle,  gegeben.  Deschamps,  dessen  Gedieht  wohl  allgemeiner  bekannt 
ist,  hat  sich  durchweg  des  Alexandriners  bedient,  und  dass  mit  diesem  mo- 
notonen Verse  der  Schwung  des  Schillerschen  Gedichtes  kaum  angedeutet 
werden  kann,  versteht  sich  wohl  von  selbst ;  obgleich  nicht  zu  verkennen  ist, 
dass  der  poetische  Ausdruck  im  Einzelnen  den  deutschen  oft  erreicht.  Poy- 
relle  hat  sich  bemüht,  die  Abwechselung  in  der  Bewegung  durch  das  Metrum 
wiederzugeben,  d.  h.  er  hat  Alexandriner  mit  anderen,  kürzeren  Versen  ab- 
wechseln lassen,  er  bedient  sich  sogar  einmal  eines  dreizehnsylbigen,  hyper- 
katalektischen  Alexandriners;  hier  ist  er: 

De  celle  qui  l'a  charme;  heureux  si  sa  demarche. 
Aber  es  wird  doch  wenig  dadurch  erreicht,   und  wir  können  dem  Verfasser 
des   Aufsatzes   durchaus    nicht  beistimmen,    wenn   er  sagt:   Poyrelle   est   en 
ge'neral  plus  fi  Icle  a  l'allemand,   et  par  consequent  plus   poetique.     Sehr  oft 
sogar  wird  er  gerade   durch  zu  grosse  fidelite   recht   abgeschmackt  und  höl- 
zern.    So  z.  ß.  übersetzt  er:  „Vom  Mädchen  reisst   sich   stolz  der  Knabe." 
L'adolescent  plein  d'arrogance 
de  la  fillette  fuit  le  regard. 
und  „durchmisst  die  Welt  am  Wanderstabe" 

et  de  sa  canne  legere 

D'un  pas  de"termine  il  mesure  la  terre. 
Wieweit   diese  Treue  gegenüber  dem  Originale  führen  kann,    mögen  noch 
folgende  Verse  zeigen: 

Er  zählt  die  Häupter  seiner  Lieben, 

Du  fruit  de  son  amour  les  tetes  innocentes 

Sont  lä  pour  le  guider  et  sont  toutes  presentes. 
Dass  auch  in  dieser  Uebersetzung  einzelne  Stellen  gut   wiedergegeben   sind, 
ist  allerdings  nicht  zu  verkennen,  das  hindert  aber  doch  nicht,  dass  die  ganze 
Uebersetzung   nur  ein   sehr    schwacher   Versuch   ist,    selbst   vom   rein-fran- 
zösischen Standpunkte  aus  angesehen. 

Für  die  Leser  dieser  Zeitschrift  möge  schliesslich  noch  gesagt  sein,  dass 
der  Verfasser  der  Bemerkungen,  die  in  dem  vorliegenden  Programm  nur  bis 
zu  der  zuletzt  oben  angeführten  Stelle  gehen,  dieselben  im  Archiv  fort- 
setzen wird.  Crouze. 


Miscellen. 


Fragments  d'un  Traite  de  vcrsification  francaise. 

Chap.  I.  Introduction. 

§.  1.  Poesie. 
Ce  qui  approche  de  son  ideal,  ce  qui,  par  sa  forme,  represente  une 
idee  et  ainsi,  en  quelque  sorte,  l'idee  absolue,  est  beau.  La  beaute"  existe: 
1.  dans  la  nature,  2.  dans  l'imagination  de  l'homme,  3.  dans  les  productions 
des  artistes.  Une  partie  des  artistes  travaillent  en  un  materiel  sensible  a 
l'oeil :  les  arehitectes ,  les  sculpteurs ,  les  peintres.  Un  autre  art  travaille 
pour  l'oreille:  c'est  la  musique.  La  poesie  est  l'art  le  plus  parfait,  Le  poete 
s'adresse  immddiatement  ä  l'imagination  de  l'auditeur;  il  commande  toutes 
les  formes  que  Tarchitecte ,  le  sculpteur,  le  peintre  se  partagent:  voilä  le 
caractere  plastique  de  la  poesie.  En  donnant  une  forme  rhythmique  ä  son 
langage,  il  se  sert  aussi  des  moyens  ä  l'aide  desquels  la  musique  saisit 
l'homme:  voilä  le  caractere  musical  de  la  poesie.  Tout  mouvement  continu, 
soit  celui  des  pieds  en  marchant,  soit  celui  de  la  voix  en  parlant  ou  en  chan- 
tant,  tend  a  la  periodicite.  Les  elements  du  mouvement  oral  sont  les  in- 
stants,  les  coups  detachds  de  la  voix.  Si,  dans  des  intervalles  egaux,  un  coup 
est  toujours  donne  plus  fort  qu'un  autre,  dans  la  succession  continue  des  in- 
stants  (syllabes)  on  etablit  des  moments,  des  groupes  (pieds).  Les  coups 
forts  sont  les  syllabes  longues  dans  les  langues  anciennes,  les  syllabes  ac- 
centuees  dans  les  langues  modernes. 

§.  2.  Rhythme  des  vers  francais. 
En  posant  pour  principe  que  les  vers  francais,  de  meme  que  ceux  des 
autres  peuples,  ont  un  rhythme,  c-ä-d.  qu'ils  sontcomposes  d'une  suite  reglee 
d'instants  marques  par  la  voix,  nous  nous  inscrivons  en  faux  contre  la  plu- 
part  des  theoriciens  qui  pretendent  que  les  vers  francais  ne  se  distinguent 
de  la  prose  que  par  un  nombre  limite"  et  regulier  de  syllabes,  par  1'eVitation 
de  l'hiatus  et  de  l'enjambement,  par  l'observation  de  la  cdsure  et  de  la  rime. 
Mais  il  y  a  une  infinite  de  vers  francais  qui,  tout  en  satisfaisant  ä  ces  exi- 
gences-lä,  ne  sont  rien  moins  que  beaux.  Les  critiques  en  ont  releve"  la  dis- 
cordance,  sans  rendre  raison  de  ce  qui  leur  manque.  II  y  a  d'autres  vers 
qui  charment  l'oreille ;  la  critique  en  a  exalte  la  beaute.  II  faut  donc  que  le 
plaisir  qu'on  prend  ä  les  lire,  soit  produit  par  autre  chose  que  par  l'observation 
des  regles  eitles  pre"c£demment.  Disons  la  chose  succinetement:  la,  le  dd- 
plaisir  est  cause  par  l'accumulation  des  temps  forts  ou  des  temps  faibles; 
lei,  le  charme  provient  de  la  relation  proportionneue ,  de  la  succession  har- 
monieuse  des  syllabes  accentuöes  et  des  syllabes  inaccentuees.  Toutefois,  le 
rhythme  n'etant  pas  aussi  fortement  marqud  que  dans  les  langues  anciennes 
ou  dans  la  langue  allemande  ou  il  se  rend  sensible  par  une  suite  determinee 
d'eldvations  et  d'abaissements  de  la  voix,  le  dix-huitieme  siecle  s'dcoula  avant 
qu'on  decouvrit  le  principe  du  rhythme  des  vers  francais. 


108  Mi  so  eilen. 

Litauen  Scoppa')  fut  le  premier  qui  demonträt  que  la  langue  francaise 
n'est  pas  depourvue  de  rhythme  poetique;  qu'il  est  iinpossiblc  d'adnnttie  au- 
cune  harmonie  sans  rhythme,  ni  aucim  rhythme  sans  accent;  que  la  sixieme 
et  la  douzieme  syllabe  de  l'alexandrin  sont  necessairement  des  syllahes  ac 
centuees. 

Sans  connaitre  le  livre  de  Scoppa,  Quicherat,  qui,  par  la  remarque  cent 
fois  faite  qu'un  Couplet  d'un  certain  metre  convenait  tres-bien  a  un  air,  et 
qu'nn  autre  couplet,  ayant  pre'cisement  le  merae  nombre  de  syllabes,  ne  s'y 
adaptait  plus,  avait  reconnu  que  la  mobilite  de  eertains  accents  exiges  dans 
les  vers  francais  deplacait  les  temps  forts,  ecrivit,  en  IS-jC,  son  Traite  de 
Versii'ication  latine,  dans  lequel  il  soutient  que  le  vers  alexandrin  doit 
avoir  un  nombre  fixe  d'accents,  que  tous  les  poetes  pratiquent  eette  regle  a 
leur  insu,  que  toutes  les  fois  que  la  eritique  releve  quelque  durete  dans  la 
cadenee,  le  poete  a  viole  cette  regle.  Dans  son  Traite  de  Versification 
francaise  (Paris,  1850),  il  applique  cette  theorie  a  tous  les  vers,  et  nous 
dit  combien  d'accents  chaque  espece  de  vers  doit  avoir;  mais  il  a  oublie  de 
fixer  la  theorie  de  l'accent. 

Teile  est  la  täche  dont  s'est  charge  Faul  Ackermann.2)  Ce  savant  re- 
monte  a  l'origine  de  l'accent  francais:  il  distingue  l'accent  tonique  et  l'ac- 
cent d'appui:  il  donne  des  regles  generales  sur  les  mots  qu'il  faut  accentuer: 
il  decouvre  non  seulement  des  accents,  mais  encore  des  pieds  dans  les  vers 
francais. 

H.  Barbieux,3)  apres  avoir  resume  les  idees  confuses  des  grammairiens 
les  plus  accreMites  sur  la  prosodie  et  l'accent,  dit  „qu'ä  en  croire  tous  ces 
jugements  bien  dignes  de  foi,  force  est  de  conclure  que  la  langue  francaise, 
envisagee  du  point  de  vue  de  la  prosodie,  n'est  encore  aujord'hui  qu'un  idi- 
öme  denue  de  tout  principe  musical,  et  que  les  vers  francais  ne  se  compo- 
sent  que  de  mots  cousus  les  uns  aux  autres  sans  ordre  metrique  ni  egard  ä 
aucun  rhythme  organise  decoulant  d'un  princi{)e  fondamental."  L'auteur  essaye 
d'expliquer  ce  phenomene.  Dans  les  plus  anciens  monuments  de  la  langue 
du  Nord,  les  terminaisons  latines  ne  sont  plus  guere  reconnaissables  et  rem- 
placees,  pour  la  plupart,  par  l'e  muet.  Les  auxiliaires,  les  prepositions  de 
et  ä,  l'article  y  paraissent  deja.  Cet  amas  de  mots  tronques  dut  rendre  im- 
praticable  tout  arrangement  harmonique  des  mots.  De  meine  que  la  quan- 
tite  dans  les  dialectes  du  midi,  l'accent  qui  predomine  dans  les  langues 
germaniques,  se  perdit  ou  s'affaiblit  dans  le  Francais  du  Nord,  les  Francais 
se  bornerent  ä  la  -culture  du  principe  logique  qui  i*epresentait  bien  mieux 
que  tout  autre  le  caractere  national  dont  il  etait  le  reflet.  Pendant  les  cinq 
siecles  qui  precedent  le  regne  de  Louis  XI,  la  langue  n'avait  encore  rien  de 
fixe.  Sous  Francois  I  paraissent  les  premieres  grammaires  francaises.  Les 
Grammairiens  en  adoptant  les  trois  accents  des  Grecs  prirent  le  signe  pour 
reffet.  Apres  avoir  dit  quelques  mots  sur  Scoppa  et  Quicherat,  l'auteur 
passe  au  Traite  de  M.  Ackermann  dont  il  transcrit  les  passages  les  plus  re- 
marquables  en  resumant  tellement:  „De  nos  jours,  faire  revenir  la  nation  au 
Systeme  quantitaire,  serait  peine  inutile:  il  est  trop  tard;  pour  celui  de 
l'accent,  il  est  encore  trop  tot;  mais  quand  les  grammairiens  s'eman- 
ciperont,  quand,  au  lieu  de  vouloir  marcher  sur  les  traces  d'Horace,  ils  sai- 
siront  le  fil  conducteur  du  genie  national,  le  Systeme  trace  par  M.  Ackermannj 

J)  Traite  de  la  Poesie  italienne  rapportee  a  la  poesie  francaise,  etc., 
par  Antonio  Scoppa.  (Paris,  1803).  Beautes  poetiques  de  toutes  les  langues, 
par  le  meme.    (Paris,  1815.) 

2)  Traite  de  l'Accent  appliqu^  ä  la  theorie  de  la  versification.  (Paris  et 
Berlin,   1843.) 

3)  Du  Principe  rhythmique  de  la  Langue  francaise.  Programme  du  Col- 
lege de  Hadamar,  1853. 


Miscellen.  109 

j)eut-etre  modifie"  par  ses  successeurs ,  sera,  de  notre  avis,  le  seul  qu'on 
puisse  espeYer  faire  adopter  par  un  peuple  qui  a  la  conscience  de  sa  natio- 
nale. 

§.  3.  Division. 

Comme,  selon  nous,  les  vers  francais  ne  sont  point  depourvus  de  rhythme, 
la  division  de  notre  traite  ne  pourra  pas  etre  la  division  ordinaire  des  traite's 
de  versilication,  Ce  qui  tient  la  le  premier  rang,  comme  la  rime,  la  cesure, 
devra  descendre  au  second.  Nous  allons  donc  traiter  dans  le  premier  Livre 
du  principe  du  langage  poetique  Du  rhythme  des  vers  francais.  A. 
Des  Syllabes.  Chap.  II.  De  la  Mesure  des  Syllabes.  Chap.  III.  De  leur  Va- 
leur.  rhythmique.  ß.  Chap.  IV.  Des  Pieds.  C.  Des  Vers.  Chap.  V.  Partie 
generale,  a)  Chap.  VI.  De  la  Rime.  (Un  appendice  va  traiter  des  anciennes 
Rimes,  c'est-ä-dire  genres  de  vers  Chap.  VII.)  b)  Des  differentes  espeees 
de  vers.  1.  des  Alexandrins.  Chap.  VIII.  Accents  fixes:  Accent  de  la  Ce- 
sure. Chap.  IX.  Accent  de  la  rime.  Enjambement.  Chap.  X.  Accents  mo- 
biles. Pieds.  Chap.  XI.  Emploi.  2.  Chap.  XII.  Des  Vers  de  onze  syllabes. 
3.  Chap.  XIII.  Des  Vers  de  dix  syllabes.  Accents  fixes.  Cesure.  Enjambe- 
ment. Accents  mobiles.  Emploi.  4.  Chap.  XIV.  Des  Vers  de  neuf  syllabes  — 
9.  Chap.  XIX.  Des  Vers  de  quatre  syllabes.  10.  Chap.  XX.  Des  Vers  de 
trois  syllabes,  de  deux  syllabes,  d'une  syllabe.  (Un  appendice  va  traiter  des 
Vers  mesures,  c'est-a-dire,  adaptes  au  Systeme  quantitaire  des  Grecs  et  des 
Romains  ou  au  Systeme  de  l'accent  des  Allemands  et  des  Anglais.  Chap.  XXI.) 
D.  Des  Srances.  Chap.  XXII.  Partie,  generale.  Chap.  XXIII.  Des  Tercets. 
Chap.  XXIV.  Des  Q.uatrains.  Chap.  XXV.  Des  Quintiis.  Chap.  XXVI. 
Des  Sixains.  Chap.  XXVII.  Des  Septains.  Chap.  XXVIII.  Des  Huitains. 
Chap.  XXIX.  Des  Nonains.  Chap.  XXX.  Des  Dizains.  Chap.  XXXI.  Des 
Onzains.  Chap.  XXXII.  Des  Douzains.  Chap.  XXXIII.  Du  Melange  des 
stances.    Chap.  XXXIV.  De  l'Emploi  des  differentes  stances. 

Le  second  Livre  va  traiter  de  l'Harmonie.  La  loi  de  la  beaute  de- 
mande  que  tout  ce  qui  off'ense  l'oreille  soit  banni  du  vers.  Donc,  apres  le 
rhythme,  dont  l'observation  constitue,  pour  ainsi  dire,  la  partie  positive  du 
vers,  il  sera  necessaire  de  traiter  les  cacophonies,  dont  l'evitation  en  con- 
stitue la  partie  negative.  Les  Francais  taxent  de  cacophonie  surtout  l'Hia- 
tus  Chap.  XXXV.  Le  XXXVIe  chap.  va  discuter  l'Elision,  reniede  contre 
l'hiatus,  le  XXXVIIe  chap.  sera  destine  aux  autres  cacophonies. 

Le  troisieme  Livre  va  traiter  l'Harmonie  imitative  ou  les  cas  dans 
lesquels,  pour  produire  un  effet  determine,  le  poete  est  autorise  ä  violer 
les  lois  du  rhythme  et  de  l'harmonie. 

La  gene  qu'il  faut  que  les  poetes  se  donnent  pour  observer  toutes  ces 
regles,  leur  a  fait  demander  et  obtenir  certaines  libertes,  anomalies  du  lan- 
gage ordinaire  qu'on  appelle  Licences  poetique s.  Chap.  XXXIX.  Des 
Licences  en  general.  Chap.  XL.  Des  Licences  d'orthographe.  Chap.  XLI. 
Des  Licences  de  phraseologie.  Chap.  XLII.  Des  Licences  de  grammaire. 
Chap.  XLIII.  Des  Licences  de  construction.  Chap.  XLIV.  Des  Licences  du 
style  marotique. 

Appendice:  Chap.  XLV.  De  la  Lecture  des  vers. 

§.  4.  Diflerence  des  vers  grecs  et  latins,  allemands,  francais. 
Le  vers  des  anciens  Grecs  et  Romains  montre  une  suite  determinee  de 
syllabes  longues  et  de  syllabes  breves.  L'accent  grammatical  n'y  est  point 
respecte,  pour  la  plupart  l'accent  metrique  et  l'accent  grammatical  ne  coin- 
cident  pas.  Dans  les  vers  allemands,  les  syllabes  longues  et  les  syllabes 
breves  sont  remplacees  par  les  syllabes  accentuees  et  les  syllabes  inaccen- 
tuees:  il  faut  que  l'accent  du  vers  coincide  avec  l'accent  tonique.  En  fran- 
cais, la  quantite  des  syllabes  est  bien  faible  et  indifferente  pour  la  formation 
du  vers  (excepte  larime).    Mime  l'accent  tonique  y  est  beaucoup  moins  sen- 


110  Miscellen. 

sible  qu'en  allemand  ou  en  anglais.  Les  vers  n'exigent  pas  un  ordre  fixe, 
mais  seulement  une  relation  proportionnelle  et  une  succession  harmonieuse 
de  syllabes  accentuees  et  de  syllabes  inaccentuees. 5)  II  y  a  quelque  chose 
de  commun  &  la  versification  des  Francais  et  ä  celle  des  anciens:  c'est  l'eli- 
sion  pour  eviter  l'hiatus  dont  l'oreille  allemande  ne  se  soucie  guere.  La  rime, 
au  contraire,  presque  un  defaut  dans  la  metrique  des  Grecs  et  des  Romains, 
est  une  partie  indispensable  des  vers  allemands  et  francais.  Les  Allemands, 
il  est  vrai,  peuvent  s'en  passer  quelquefois:  cela  se  voit  principalement  dans 
l'imitation  des  metres  anciens  et  dans  le  vers  iambique  de  la  tragedie.  Mais, 
ä  l'dxception  de  quelques  tentatives  malbeureuses  de  poetes  du  XVIe  siecle 
pres,  les  Francais  riment  toujours.  La  cdsure  est  commune  aux  podsies  an- 
ciennes  et  ä  la  poesie  allemande:  ce  qu'on  appelle  cdsure  en  francais,  ce 
n'est  pas  une  to(irh  caesura  proprement  dite,  mais  une  öiaigeots. 

§.  5.  Apercu  de  l'histoire. 

Quoique  dans  cliaque  chapitre,  nous  allions  exposer  non  seulement  le 
Systeme  d'aujourd'hui,  mais  toutes  les  formes  antdrieures  dont  la  connaissance 
est  necessaire  pour  expliquer  le  Systeme  moderne:  il  ne  sera  pas  inutile  de 
jeter  prealablement  un  coup  d'oeil  rapide  sur  les  differentes  phases  de  la 
versification  francaise.  La  quantite"  des  syllabes  se  pertlit  vite  dans  les  lan- 
gues  romanes.  Au  lieu  de  peser  les  syllabes  on  ne  fit  plus  que  les  compter, 
et  la  qnantite  perdue  fut  remplacee  par  la  rime,  dont  nous  trouvons  deja 
quelques  exemples  chez  les  Grecs  et  les  Romains,  l'emploi  prdinedite  dans 
la  poesie  arabe  et  dans  la  poesie  latine  du  quatrieme  siecle  (hymne  rimde 
de  St.  Ambroise),  et  qui  a  toujours  regne  dans  les  vers  francais.  Mais ,  en 
y  rencontrant  des  le  commencement  le  principe  de  compter  les  syllabes,  la 
rime,  la  formation  des  stances,  nous  n'y  rencontrons  pas  tout  d'abord  l'evi- 
tation  de  l'hiatus,  l'observation  de  la  regle  sur  la  succession  des  rimes. 
Comme  la  langue  n'avait  encore  rien  de  fixe,  les  anciens  poetes  disposaient 
assez  arbitrairement  des  mots  et  se  permettaient  de  leur  donner  les  formes 
les  plus  bizarres  pour  les  faire  rimer  ensemble.  Tel  est  le  caractere  de  la 
versification  dans  les  restes  de  la  langue  romane,  formee  du  latin,  du  franc, 
du  gaulois  et  qu'on  parlait  dans  le  premier  millenaire  de  l'ere  chretienne; 
tel  en  est  le  caractere  dans  les  premiers  siecles  de  la  literature  francaise. 
Tout  le  monde  sait  qu'en  France  deux  dialectes  tout-a-fait  differents  se 
sont  forme's:  le  roman  provencal  ou  langue  d'oc,  le  roman  wallon  ou  langue 
d'oil.  Cette  langue,  souche  du  francais  moderne,  l'emporta  peu-k-peu  sur 
la  langue  du  midi.  Ce  ne  fut  qu'au  seizieme  siecle,  epoque  oü  la  langue 
est  fixde,  que  la  versification  ancienne  se  changea  en  versification  moderne. 
Tandisque  l'ecole  de  Marot  s'attache  encore  aux  traditions  anciennes;  que 
la  muse  de  Ronsard,  travaillant  sur  le  modele  de  l'antiquite  grecque  et  ro- 
maine,  insensible  ä  Tenjambement,  s'efforce  de  donner  de  l'energie  et  de 
l'elevation  au  langage  poetique;  que  quelques  poetes,  etablissant  un  Systeme 
de  quantite  assez  arbitraire,  fönt  de  soi-disant  hexametres  et  pentametres: 
Malherbe  parait,  le  pere  du  Systeme  moderne.  La  mesure  des  syllabes  qui, 
avec  le  temps,  a  subi  de  grands  changements,  est  fixee;  l'hiatus  et  l'en- 
jambement  sont  bannis;  la  rime,  traitde  avec  une  trop  grande  sdveritd  qui 
n'atteint  pas  son  but,  ne  doit  pas  seulement  satisfaire  l'oreille,  mais  encore 
l'oeil;  il  se  forme  une  espece  de  langage  poetique,  usant  de  quelques  li- 
cences  qui  sont  interdites  au  prosateur.    Ce  Systeme  fut  suivi  par  les  grands 


5)  Les  Knittelverse  (Schiller,  Sermon  du  Capucin  dans  le  Camp  de 
Walstein)  et  l'ancien  Nibelungenvers  en  allemand  offrent  une  certaine  ana- 
logie  avec  les  vers  francais:  nombre  fixe  d'elevations,  nombre  incertain  d'abais- 
sements  de  la  voix.  En  francais,  la  somme  des  arses  et  des  theses  est 
deterniine'e,  ainsi  que  le  nombre  des  arses,  mais  la  place  en  est  variable. 


Miscellen.  111 

poetes  du  siecle  de  Louis  XIV,  mais  on  elargit  un  peu  les  regles  me"ticu- 
leuses  sur  la  rime  etablies  par  le  fondateur.  Le  dix-huitieme  siecle  marcha 
sur  les  traces  du  dix-septieme,  en  traitant  la  rime  merae  un  peu  noncha- 
lamment.  Le  dix-neuvieme  siecle  engendra  une  nouvelle  e"cole  poetique, 
l'ecole  romantique.  Elle  affecte  de  se  rapprocher  de  la  nature,  que  les  regles 
de  Boileau,  strictement  observees  par  les  poetes  classiques,  avaient  expulsäe 
de  la  poesie.  Les  poetes  romantiques  ne  fönt  pas  conscience  d'employer  des 
expressions  censees  triviales  et  vulgaires;  ils  traitent  la  cesure  plus  l£gere- 
ment:  mais  il  faut  avouer  que  la  rime  est  plus  soign^e  chez  eux  qu'elle  ne 
l'avait  e"te  au  siecle  de  Voltaire.*) 

Chap.  III.  De  la  valeur  rhythmique  des   syllabes. 

§.  29.  Accent  tonique. 
Pour  le  rhythme  du  vers,  les  syllabes  se  divisent  en  syllabes  accentu^es 
et  en  syllabes  inaccentuees  ou  atoniques. ')  II  va  sans  dire  que  le  mot  ac- 
cent ne  signifie  pas  ici  l'accent  ecrit,  c'est-adire  une  petite  marque  qui  se 
met  sur  une  voyelle,  soit  pour  faire  connaitre  la  prononciation  de  cette 
syllabe  (sante,  proces),  soit  pour  distinguer  le  sens  d'un  mot  d'avec  celui 
d:un  autre  qui  s'ecrit  de  meme  (a,  a),  soit  pour  indiquer  la  suppression 
d'une  lettre  et  la  longueur  de  la  voyelle  (aage,  äge;  prierai,  prirai; 
teste,  tete):  mais  la  syllabe  d'un  mot  sur  laquelle  on  appuie-. 

§.  30.  Origine  et  place  de  l'accent  tonique. 
La  quantite  et  l'accent,  dans  les  langues  de  premiere  formation,  telles 
que  le  Latin,  l'Allemand,  tendent  au  meme  but,  c'est-a-dire  ä  designer  par 
une  marque  distinctive  les  syllabes  qui  semblent  avoir  une  plus  grande  im- 
portance  que  les  autres,  ou  qui  contiennent  la  notion  importante  des  mots, 
en  un  mot  de  distinguer  les  syllabes  radicales  d'avec  les  syllabes  de  flexion 
et  de  derivation.2)  Mais  dans  les  langues  neolatines  telles  que  l'Italien, 
l'Espagnol,  le  Francais,  toute  evidence  etymologique  du  mot  fut  effacee. 
Chaque  mot  latin  derive  ou  compose  cessa  d'etre  une  forme  renfermant  a 
la  fbis  une  notion  generale  et  une  notion  subordonnde.  Cbaque  mot,  en 
bloc,  fut  en  soi  et  isolement  le  representant  d'une  idee.  La  premiere  pbase 
de  la  langue  accomplie,  eile  conimenca  ä  se  faire  une  etymologie  interne 
par  l'apposition  et  l'affixion.  On  put  alors  distinguer  la  racine  et  la  parti- 
cule  francaises.  Quant  a  la  place  de  l'accent  tonique,  la  langue  francaise  a 
ordinairement  garde  l'accent  des  mots  latins ,  en  les  raccourcissant  de  ma- 
niere  que  les  paroxytona  perdirent  une  syllabe,  les  proparoxy tona 
en  perdirent  deux  (quinque-cinq;  homines-hommes). 3)  La  plupart 
des  mots  francais  appuyant  sur  la  derniere  syllabe,  la  regle  s'est  etablie 
que  les  mots  francais  appuient  toujours  sur  la  derniere  syllabe,  et  sur  l'a- 
vant  -  derniere,  quand  la  derniere  est  muette.4) 


*)  J'omets:  §.  6.  Ouvrages  sur  la  versification  francaise;  §.  7.  Catalogue 
des  poetes  et  ouvrages  poetiques  cite's  dans  mon  Traite;  Livre  I.  Du  Rhythme 
des  vers  francais.  A  Des  Syllabes.  Chap.  IL  De  la  Mesure  des  syllabes. 
§.8  —  §.  28.  Ce  chapitre  precede  le  Programme  du  colle"ge  moderne 
(Realschule)  de  Bromberg,  1857.         ' 

1)  C'est  ainsi  que  P.  Ackermann,  p.  30  et  p.  39  nomme  les  syllabes  qui  ne 
sont  pas  affectees  de  l'accent  tonique.  Le  premier  de  ces  mots  ne  se  trouve 
pas  dans  le  Dictionnaire  de  l'Academie;   le  second  y  a  une  autre  acception. 

2)  Bergmann,  poemes  tire"s  de  l'Edda.    Paris,  1838,  p.  109  —  110. 

3)  Mätzner,  Grammaire,  p.  49. 

4)  Regnier  Desmarets ,  secretaire  perpe"tuel  de  l'Academie,  charge"  par 
eile  de  composer  une  grammaire,  Grammaire  francoise,   1706:  „Notre  Langue 


112  Miscellen. 

Teile  est  la  seule  theorie  de  l'accent  tonique  qui  puisse  etre  appuye"e 
sur  l'histoire  de  la  langue:  eile  est  adoptde  par  la  plupart  des  granimairiens 
dont  quelques-uns  sont  nientionnes  ci-dessous.  Dans  la  flexion  et  dans  la 
deVivation,  l'influence  de  l'accent  tonique  reposant  sur  la  derniere  syllabe 
se  montre  par  l'affaiblissement  de  la  syllabe  radicale:  meurs-mourons; 
sais-savons;  acquiers,  acquerons:  s  eul-solitude;  bien-benir; 
ch  aud-  chaleur  (Mätzner,  französische  Grammatik,  p.  43  —  44).  Cette 
theorie  est  encore  soutenue  par  la  place  de  l'accent  de  la  phrase,  duquel 
nous  allons  parier  au  §.  suivant;  eile  est  aussi  confirmee  par  la  place  des  ac- 
cents  fixes  de  l'alexandrin  et  du  decasyllabe. 

II  y  a  deux  accents  toniques:  l'accent  tonique  des  finales  masculines 
(per du)  est  plus  net,  plus  ramasse;  celui  des  finales  feminines  (perdue)  a 
plus  de  Prolongation  et  de  mollesse. 

§.31.  Accent  de  la  phrase,  accent  oratoire,  accent  des  dialectes. 

L'accent  tonique,  il  est  vrai,  est  moins  sensible  en  francais  qu'en  alle- 
mand  ou  en  anglais,  consequence  necessaire  de  l'affaiblissement  de  la  quan- 
tite.  Les  Fran9ais  ont  abaisse  l'accent  des  mots  detaches  pour  relever  l'ac- 
cent de  la  phrase,  lequel  se  place  toujours  sur  la  derniere  syllabe  sonore 
du  dernier  mot.  Tout  ce  qui  est  etroitement  lie  par  le  sens,  tout  ce  qui 
se  trouve,  pour  ainsi  dire,  entre  deux  virgules  ou  autres  signes  de  ponctüa- 
tion,  se  prononce  comme  un  seul  mot,  tout  d'une  haieine,  et  l'accent  tonique 
du  dernier  mot  est  sensiblement  eleve  aux  depens  des  autres  accents  toniques 
de  la  phrase. 

II  faut  encore  distinguer  l'accent  tonique  d'avec  l'accent  oratoire  qui 
sert  a  marquer  les  affections  de  l'äme.  L'orateur  peut  relever,  non  seule- 
ment  tout  un  mot  ou  plusieurs  mots  mais  une  syllabe  quelconque  qui  lui 
semble  contenir  l'idee  printipale:  Oignez  vilain,  il  vous  poindra;  poignez 
vilain,  il  vous  oindra.  L'accent  oratoire  peut  co'incider  avec  l'accent  tonique 
et  le  renforcer;  il  peut  frapper  des  mots  ordinairement  inaccentues;  il  peut 
paraitre  a  cöte  de  l'accent  tonique. 

L'accent  tonique  des  dialectes  francais  se  distingue,  selon  Mätzner,  ou 
par  une  elevation  de  l'accent  ou  par  une  inclination  a  appuyer  sur  la  syl- 
labe radicale,5)  ou  par  une  Prolongation  ou  un  raccourcissement  des  syl- 
labes. G) 

n'a  proprement  d'accent  que  sur  la  derniere  syllabe,  dans  les  mots  dont  la 
terminaison  est  masculine;  et  sur  la  penultieme,  dans  ceux  dont  la  termi- 
naison  est  feminine."  Mablin:  „On  sait  que  tous  les  mots  francais  ont  l'ac- 
cent sur  la  derniere,  ä  l'exception  des  mots  termines  par  un  e  muet  qui 
Tont  sur  la  penultieme."  Voltaire:  „Nous  appuyons  toujours  sur  la  derniere 
syllabe."  Quicherat,  p.  12:  „L'accent  tonique  existe  dans  toutes  les  lan- 
gues:  en  francais,  il  se  trouve  toujours  sur  la  derniere  syllabe,  etc."  Acker- 
mann, p.  14:  „II  (l'accent  tonique)  est  toujours  place  sur  la  derniere  syllabe 
sonore."    Borel,  gramm.  franc.  §.  13. 

5)  Ackermann  attribue  l'accentuation  de  la  syllabe  radicale  qu'il  nomme 
accent  d'appui  non  seulement  ä  quelques  dialectes,  mais  ä  toute  la  lan- 
gue ,  et  la  regarde  comme  un  reste  de  l'element  germanique  a  laquelle  la 
prddominance  de  l'element  latin  n'a  pas  permis  de  se  developper  en  toute 
liberte. 

6)  L'accent  tonique  etant  si  peu  sensible  en  francais ,  il  ne  faut  pas 
s'^tonner  qu'il  y  ait  des  grammairiens  qui  ont  invente  d'autres  regles,  comme 
De  Castres,  Phonologie,  p.  57  —  59.  D'autres  encore  pretendent  que  la 
prononciation  francaise  n'est  point  susceptible  d'une  accentuation  reguliere 
et  que  la  valeur  des  sons  n'y  est  pas  sulfisamment  caracterisee.  D'Arnauld, 
sur  les   Accents  de  la  langue  grecque,  cite   par  Barbieux,  dit:   „II  n'est 


Miscellen.  113 

§.  32.  Mots  naturellernent  ou  accentue's  ou  inaccentue"s. 
Regles  generales.  1°  Tous  les  mots  qui  renferment  une  ide"e  de  sub- 
stance,  de  qualite  ou  d'action,  savoir  le  substantif,  l'adjectif,  le  verbe,  l'inter- 
jection  ont  par  eux-memes  l'accent  tonique  et  ne  le  perdent  que  par  position. 
2°  Les  petits  mots  de  rapport  et  de  determination,  savoir  larticle,  le  noni 
numeral,  le  verbe  auxiliaire,  la  preposition,  la  conjonction  sont  naturellement 
prives  de  l'accent  tonique  et  ne  le  recoivent  que  par  position.  3°  Les  pro- 
noms  disjoints  (personnels,  possessifs,  demonstratifs,  interrogatifs,  indefinis) 
et  le  pronom  relatif  lequel  ont  l'accent  tonique;  les  autres  pronoms  ne 
l'ont  pas.  4°  Les  adverbes  ont,  pour  la  plupart,  l'accent,  de  meme  que  les 
particules  negatives  (pas,  point,  rien,  etc.)  et  les  particules  demonstra- 
tives (9a,  ci,  lk).  Quelques  adverbes  monosyllabes  (si,  plus,  trop)  qui 
s'appuient    sur  le   mot  suivant  et  la  particule  negative  ne  ne  l'ont  pas. 


point  de  langue  qui  n'ait  ses  accents  plus  ou  moins  ressentis ;  il  serait  aussi 
impossible  de  parier  sur  un  ton  de  voix  continuement  le  meme  que  de  n'at- 
tacher  k  toutes  ces  expressions  que  le  meme  sentiment  ou  la  meme  idee. 
Mais,  dans  les  langues  modernes  (?),  et  particulierement  dans  la  nötre,  ces 
changements  de  voix  ne  different  que  par  des  nuances  k  peine  sensibles ; 
d'ailleurs  ils  ne  sont  affectes  k  aucune  syllabe  en  particulier;  rien  enfin  n'y 
prescrit,  dans  les  mots  qui  la  composent,  l'abaissement  ou  l'elevation  d'une 
syllabe  plutöt  que  d'une  autre."  Lamennais,  L'art  d'ecrire  (Herrig  et  Bur- 
guy, la  France  litt.,  p.  C57)  ne  semble  reconnaitre  que  l'accent  oratoire: 
„De  son  inferiorite  [il  s'agit  de  la  langue  francaise]  sous  ce  rapport  [eile 
n'a  qu'une  prosodie  imparfaite  et  vague]  resulte,  il  est  vrai,  une  superiorite" 
d'un  autre  genre,  et  dabord  une  clarte  admirable  (?),  puis  la  facilite  d'ex- 
primer  mille  nuances  fugitives  et  delicates,  l'esprit  placant  a  son  gre  l'ac- 
cent sur  les  diff'erentes  syllabes  du  meme  mot,  suivant  ies  modifications  di- 
verses de  la  pensee  et  du  sentiment,  que  la  voyelle  muette  aide  encore  k 
rendre  par  l'effet  harmonique  qui  lui  est  propre."  Hamann  (Leitfaden  zur 
Erlernung  der  französischen  Aussprache.  Zweites  Heft.  Potsdam,  1854) 
donne  deux  regles  sur  la  prononciation  de  la  phrase  francaise:  „1.  Man 
spricht  alle  Wörter,  welche  in  ihrer  Folge  einen  ununterbrochenen  Sinn  bilden 
sollen,  wie  ein  Wort  aus,  sodass  die  letzte  vokallaute  Silbe  den  rhythmi- 
schen Nachdruck  und  eine  Tonsteigung  erhält.  2.  Man  giebt  dem  Worte, 
welches,  ohne  am  Cäsurpunkte  zu  stehen ,  durch  seine  Bedeutung,  nament- 
lich durch  den  Gegensatz,  einer  Hervorhebung  bedarf,  die  Hebung  durch 
Tonverstärkung  und  Tonerhöhung  auf  seiner  letzten  vokallauten  Silbe  ohne 
Verweilung  oder  Pause.  Indessen  beim  Ungestüm  des  Affekts  wirft  sich  die 
Hebung,  gleichsam  ungeduldig  die  letzte  Silbe  zu  erwarten,  auf  eine  frühere." 
II  n'y  a  donc,  selon  Hamann,  que  l'accent  de  la  phrase  et  l'accent  oratoire. 
La  place  du  dernier  est  ordinairement  la  derniere  syllabe  du  mot. 

Le  fait  meme  que,  pour  beaucoup  de  the"oriciens,  l'accent  tonique,  non 
de  quelques  mots  en  particulier,  mais  de  la  langue  en  general,  est  le  sujet 
d'une  contestation,  doit  nous  avertir  que,  s'il  y  en  a  un,  il  doit  etre  faible. 
En  admettant  donc  bien  volontiers  que  l'accent  de  la  phrase  a  gagne"  en 
francais  ce  que  l'accent  tonique  a  perdu,  nous  repondons  a  ceux  qui  en  nient 
tout-k-fait  l'existence,  avec  Ackermann  p.  12:  „L'accent  est  lie  d'une  ma- 
niere  si  intime  et  si  rationelle  k  l'organisme  d'une  langue  que  Tun  ne  peut 
pas  se  concevoir  sans  l'autre,"  et  avec  Barbieux,  p.  1:  que  ce  serait  un 
phenomene  inoüi  dans  les  annales  de  la  parole  humaine  que  la  langue  eüt 
perdu  ce  principe  d'harmonie  (la  prosodie)  inherent  k  tout  idiörne  cultive. 
Le  meme  savant  dit,  p.  12,  que  ceux  qui  disent  que  toutes  les  syl- 
labes sont  dgales  confondent  la  prolation  vulgaire  des  enfants  de  Paris 
avec  la  diction  oratoire  et  poetique,  fondde  sur  le  principe  vital  commun  k 
toutes  les  langues  romaines. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  8 


114  Miscellen. 

Exemples:  Verbe,  substantif,  adjectif. 

Abusant  contre  lui  de  ce  profond  silence.    Rac.  Ath.  I,  2.  (abusant, 
profond,  silence.) 

Interjection. 

Helas!   de   quel  pe"ril  je  l'avais  su  tirer.    Ibid.   I,   2.   (hdlas.) 

L'interjection  ö  suivie  d'un  substantif  peut  perdre  l'accent. 
A  leur  reveil,  (6  reveil  plein  d'horreur!)  Ibid.  II,  9. 

Article,  noms  nume"raux. 

(Quel  spectacle  d'horreur!)  quatre - vingts   fils   de  rois.    Ibid.  II,  7. 

(quatre  -  vingts.) 

Les  inorts,  apres  huit  ans,  sortent-ils  du  tombeau?    Ibid.  I,  1.  (le 

huit,   du.) 

Ose   des  premiers  temps  nous  retracer  quelque   o rubre.    Ibid.   I,    1. 

(premiers.) 

Conjonctions. 

Voici,    comme    ce    Dieu   vous  repond    par  ma  bouche.    Ibid.  I,    1. 

(comrae.) 

II  sait,  quand  il  lui  plait,  faire  eclater  sa  gloire.    Ibid.  I,  1.  (quand.) 

Prepositions. 

Abusant,  contre  lui,  de  ce  profond  silence.    Ibid.  I,  2.  (contre.) 

Verbes  auxiliaires. 

Que  les  temps  sont  change's!  Sitot  que  de  ce  jour.    Ibid.  I,  1.  (sont.) 
Pensez-vous  etre  saint  et  juste  impunement.    Ibid.  I,   1.  (etre.) 
En  des  jours  tendbreux  a  change   ces  beaux  jours.    Ibid.  I,  1.   (a.) 
Qui  sur  tous  mes  perils  vous  fait    ouvrir  les   yeux.    Ibid.  I,  1.  (fait.) 
Les  feux  vont  s'allumer,  et  le  fer  est  tout  pret.    Ibid.  III,  3.  (vont.) 

Pronoms  disjoints  et  lequel,  pronom  relatif. 

Que  sur  vous  son  courroux  ne  soit  pres  d'e"clater.  Ibid.  I,  1.  (vous.) 
Elle  que  l'innocence  a  mes  yeux  sanctifie  V.  Hug.  Marion  I,  3.  (eile.) 
Son  pere  de  vieux  temps  est  grand  ami  du  mien.  Corn.,  le  Ment. 
II,  3.  (mien.) 

Celui  qui  met  un  frein  a  la  fureur  des  flots.  Rac.  Ath.  I,  1. 
(celui.) 

Mais  ä  qui  de  Joas  confiez-vous  la  garde?  Ibid.  I,  2.  (qui.) 
Envoyer  un  präsent,  mais  je  ne  sais    lequel.   Dum.    Christ.   III,  5. 
(lequel,  pron.  int.) 

Oui,  c'etait  un  enfant  comme  un  autre;  son  äme.  Dum.  Calig. 
prol.  5.  (autre.} 

O  roi  heureux  sous  lequel  sont  entres.    (Marot,  l'Enfer  p.  42.  Oeu- 
vres, La  Haye  1700)  (lequel,  pron.  rel.) 
Pronoms  conjoints  et  relatifs. 

Oui,  je  viens  dans  son  temple  adorer  1'Eternel.  Rac.  Ath.  I,  1.  (je,  son.) 
Du  merite  delatant  cette  reine  jalouse.    Ibid.  1,  1.  (cette.) 
Helas!  de  quel  pdril  je  l'avais  su  tirer!  Ibid.  I,  2.  (quel.) 
Celui  qui  met  un  frein  ä  la  fureur  des  flots.    Ibid.  I,   I.  (qui.) 
Hdlas!  Tetat  horrible  oü  le  ciel  me  l'offrit.  Ibid  I,  2.  (oü.) 
Je  crains  Dieu,  eher  Abner,   et  n'ai  point  d'autre  crainte.   Ibid. 
I,   1.   (autre.) 
Adverbes;  particules  negatives,  demonstratives. 

Ou  meme,  s'empressant  aux  autels  de  Baal.    Ibid.  I,  1.  (meme.) 
Enfin,  depuis  deux  jours  la  süperbe  Athalie.    Ibid.  I,   l.   (enfin.) 
Pres  de  leurs  passions  rien  ne  me  fut  sacre.     Ibid.  III,  3.  (rien.) 
Et,  par  la  de  son  fiel  colorant  la  noirceur.    Ibid.  I,   1.  (la.) 
D'un  oubli  trop  ingrat  a  paye  ses  bienfaits.    Ibid.  III,  6.  (trop.) 
Les  noms  numeraux  employes  substantivement  prennent  l'accent: 

Ciel!  —  Dans  un  des  parvis,  aux  hommes  rdserve.   Ibid.  II,  2.  (un.) 
Et  tous,  devant  Taute  1  avec  ordre  introduits.    Ibid.  I,  l.  (tous.) 


Miscellen.  115 

§.  33.  L'accent  tonique  passe  d'un  mot  accentue"  ä  un  mot  inaccentue. 

L'accent  tonique  est  sujet  ä  des  mouvements.  1°  II  passe  d'un  mot  ac- 
centue ä  un  mot  inaccentue: 

a.  Dans  les  propositions  imperatives,  le  verbe,  suivi  d'un  regime,  perd 
son  accent  tonique  qui  se  reporte  alors  sur  le  pronom :  car  le  verbe  et  le 
regime  ne  semblent  former  qu'un  mot. 

Croyez-moi,  plus  j'y  pense,  et  moins  je  puis  douter.   Rac.  Ath.  I,  1. 

Songez-y,  vos  refus  pourraient  me  confirmer.    Ibid.  III,  4. 

Gardez -en  pour  ailleurs  l'incertaine  monnaie.  Aug.,  la  Cigue.  I,  3. 
Quand  il  y  a  deux  pronoms,  c'est  le  second  qui  prend  l'accent. 

Je  ferai  deguerpir,  tenez-vous-le  pour  dit.    Pons.  Agn.  II,  1. 

Qu'as-tu  dit? —  Est-il  vrai?  redis-le-moi,    prolonge.    Lamart. 

Touss.  IV,  5. 
Les    opinions  de    Quicherat    et  d'Ackermann    difierent  sur    le.    Le    premier 
pense  que  l'accent  tonique  se  place  sur  ce  mot,  aussi  bien  que  sur  les  autres 
pronoms. 

Laissez-le  s'expliquer  sur  tout  ce  qui  le  touche.    Rac.  Ath.  II,  7. 
Ackermann  accentue:  Laissez-le.    Les  grammairiens  ne  veulent  pas  que  le 
soit  precede  d'une  autre  syllabe  muette,  comme  dans 

Si  tu  peux  en  douter,  juge-le  par  la  crainte.    Com.  Poly.  I,  3. 

Laisse-le  sans  remords  m'approcher  des  couronnes.  Id.  Don  S.  II,  3. 

Ramene-le  fidele;  et  permets,  en  ce  jour.    Rac.  Theb.  I,  6. 

b.  Dans  les  propositions  interrogatives,  on  fait  ressortir  le  sujet  en  le 
placant  apres  le  verbe,  et  Timportance  qu'il  acquiert  par  lä  appelle  l'accent 
tonique. 

Abner,  le  brave  Abner,  viendra-t-il  nous  defendre?  Rac.  Ath.  I,  2. 
La  meine  chose  arrive,  quand  on  rapporte  les  propres  paroles  de  quelqu'un. 

Je  crains  Dieu,  dites-vous,  sa  verite  me  touche!    Ibid  I,  1. 
Les  pronoms  je,    ce,    dont  l'e  est  muet,  ne  peuvent  pas    prendre  l'accent; 
il  reste  alors  sur  le  verbe. 

Ai-je  besoin  du  sang  des  boucs  et  des  genisses?  Ibid.  I,  1. 

Dieu  tout  puissant  sont-ce  lä  les  premices.   Ibid.  III,  8. 

c.  L'accent  tonique,  au  Heu  d'avancer,  fait  quelquefois  un  pas  en  arriere. 
„Ma  soeur  que  j'ai  vu  peindre"  signifie  qu'elle  etait  peinte;  dans  ce  cas  la 
liaison  est  intime  entre  vu  et  peindre.  Au  contraire,  „ma  soeur  que  j'ai 
vue  peindre"  signifie  qu'elle  peignait,  et  il  s'opere  une  legere  Suspension 
entre  vue  et  peindre.  i 

§.  34.  L'accent  tonique  disparait. 
2°  L'accent  tonique  disparait  d'un  mot  accentu6: 

a.  Dans  les  phrases  negatives,  le  verbe  perd  son  accent. 

Je  crains   Dieu,   eher  Abner,   et  n'ai  point  d'autre  crainte.    Rac. 

Ath.  I,  1. 
Premiere  remarque.    L'accent  tonique   de  la    penultieme    semble    etre 
conserve  en  poesie. 

Ne  lui  donne  point  lieu  d'attaquer  ma  vertu.  Com.  le  Cid.  III,  4. 
Deuxieme  remarque.  Quand  les  particules  negatives  se  placent  avant 
l'infinitif,  l'accent  du  verbe  ne  se  perd  pas. 

Respecter  une  reine,  et  ne  pas  outrag  er.    Rac.  Ath.  III,  5. 
Troisieme  remarque.    Dans  la  forme  mixte,  le  pronom  perd  l'accent,  et 
le  verbe  le  reprend. 

Ne  descendez-vous  pas  de  ces  fameux  l^vites.   Tbld  IV,  3. 

b.  Le  verbe  suivi  des  particules  suffixes  ca,  ci,  lä  perd  son  accent. 
Reine,  Dieu  m'est  temoin Laisse  lä  ton   Dieu,  traitre.   Ibid. 

r        V'.  5-     . 

La  conjonetion  donc  semble  quelquefois  exercer  la  meme  influence  sur  le  verbe. 


116  Miscellen. 

Jurez  donc  avant  tout  sur  cet  auguste  livre.  Ibid.  IV,  3. 
Remarques:   Dans  les  propositions   interrogatives,  le   pronom  perd  son  ac- 
cent,  et  le  verbe  le  reprend. 

Et  que  faisais-tu  la?  —  Monseigneur,  j'ecrivais.  Musset.  Louis.  I,  2. 
Le  substantif  suivi  de  ci  ou  de  la  subit  la  meme  influence  que  le  verbe. 

Que  ces  amities-la!    C'est  du  Segrais  tout  pur.    Hug.  Mar.  I,   1. 

c.  Tout  monosyllabe  qui  en  suit  immediatement  un  autre  auquel  il  est 
intimement  lie  par  le  sens,  tend  ä  absorber  son  accent  tonique;  sans  cela, 
le  francais  ayant  tant  de  monosvllabes  accentues,  il  se  trouverait  a  tout  in- 
stant que  deux  syllabes  accentuees  se  suivraient  immediatement,  sans  l'inter- 
valle  meme  d'une  pause ,  ce  qui  serait  contraire  au  principe  general  du 
rhythme.  (Le  premier  mot,  dit  Ackermann,  prend  en  revanche  l'accent  d'ap- 
pui,  le  ton  grave,  tandisque  l'accent  tonique  a  le  ton  aigu.) 

En  des  jours   tenebreux  a  change  ces  beaux   jours    Rac.  Ath.  I,   1. 

Cependant  je  rends  gräce  au  zele  officieux.   Ibid.  I,   1. 

Et,  n' ayant  de  son  vol  que  moi  seul  pour  complice.    Ibid.  IV,  3. 
d.   La    derniere    syllabe    sonore  de  la    phrase    tend  ä    absorber    l'accent  de 
toute  syllabe  tonique  qui  la  precederait. 

Ne  vous  l'ai-je  pas  dit?    nos  pretres,  nos  levites.    Rac.  Ath.  I,  2. 

A  quoi  s'occupe-t-il?  —  11  loue,  il  be"nit  Dieu.    Ibid.  II,  7. 

§.  35.  Des  mots  inaccentues  prennent  l'accent. 
L'accent  parait  sur  un  mot  inaccentue". 

a.  L'inversion  l'appelle  p.  e.  sur  le  pronom  relatif  se'pare'  de    son  verbe. 
Qui,  lorsqu'au  Dieu  du  Nil  le  volage  Israel 

Rendit  dans  le  desert  un  culte  criminel, 

De  leurs  plus  chers  parents  saintement  homicides, 

Consacrerent  leurs  mains  dans  le  sang  des  perfides.  Rac.  Ath.  IV,  3. 
sur  si. 

Comme  si,  dans  le  fond  de  ce  vaste  ddifice, 

Dieu  cachait  un  vengeur  arme  pour  son  supplice.    Ibid.  I,  1. 
sur  le  verbe  auxiliaire. 

Qu'il  soit  comme  le  fruit  en  naissant  arrache.    Ibid.  I,  2. 

b.  L'accent  peut  se  placer  sur  une  conjonction  qui  ne  lie  pas  deux 
mots,  mais  deux  phrases. 

Oii  sur  le  mont  Sina  la  loi  nous  fut  donn^e.  Ibid.  I,  1. 
Avant  que  son  destin  s'explique  par  ma  voix.    Ibid.  I,  2. 
Mais  a  qui  de  Joas  confiez-vous  la  garde?   Ibid.  I,  2. 

c.  Les  prepositions  dissyllabes  peuvent  le  prendre,  quand  il  y  a  trop 
peu  d'accents  dans  un  vers. 

Parmi  vos  ennemis  que  venez-vous  chercher?    Ibid  II,  5. 

d.  Les  verbes  auxiliaires,  surtout  les  formes  dissyllabes,  peuvent  prendre 
l'accent,  pour  la  meme  raison. 

Oü  sont-ils?  —  Sur-le-champ  tu  seras  satisfaite.    Ibid.  V,  5. 

e.  Aussi  les  noms  numeraux  polysyllabes. 

Lorsque  s'accomplira  la  deux i eine  semaine.    Pons.  Agn.  I,  4. • 

f.  L'accent  oratoire  peut  affecter  un  mot  inaccentue,  comme  dans :  Cela 
ne  se  trouve  pas  sous,  mais  sur  la  table. 

§.  36.  L'accent  tonique  est  renforce. 
L'accent  tonique  peut  etre  renforce  par  l'inversion : 

Maitre  corbeau,  sur  un  arbre  perche.    Lafont.  Fabl.  I,  2. 
par  Pellipse; 

L'issue  en  est  douteuse  et  le  pe"ril  certain.    Com.  Hör.  I,   1. 

Quels  voeux  puis-je   former,;  et  quel  bonheur  —  attendre.     Ibid.  II,  1. 

II  est  encore  renforce,  quand  il  coincide  avec  l'accent  oratoire  ou  avec 
l'accent  de  la  phrase. 


Miscellen.  117 

Comme  l'accent  tonique  ne  peut  pas  affecter  des  mots  t$ls  que  te,    le, 
Ackermann  declare  vicieux  ces  vers  d'Athalie: 
Je  devrais,  sur  l'autel  oü  ta  main  sacrifie, 
Te....  Mais  du  prix  qu'on  m'offre  il  faut  me  contenter.  V,  5. 

Chap.  IV.  B.  Des  Pieds. 

§.  37.  Pied. 

Le  vers  est  compose  d'une  progression  reglee  de  syllabes  accentue"es  et 
de  syllabes  inaccentuees.  Les  accents  toniques  constituent  des  temps  forts 
qui  semblent  porter  les  autres  syllabes.  11  se  forme  ainsi  un  penchement 
des  syllabes  faibles  sur  les  syllabes  fortes,  et,  par  consequent,  divers  groupes 
de  syllabes,  qui  recoivent  le  nom  de  pieds.1)  Chaque  pied  doit  contenir 
au  moins  un  temps  fort.  Trop  d'accents  ou  des  accents  qui  se  suivent  ren- 
dent  le  vers  saccade;  trop  peu  d'accents  le  rendent  languissant  et  le  fönt 
retomber  dans  la  prose.  La  fin  du  pied  francais  coincide  toujours  avec  la 
fin  d'un  mot.    II  y  a  des  pieds  masculins  et  des  pieds  feminins. 

Un  temps  fort  supposant  un  temps  faible,  on  ne  peut  imaginer  un  pied, 
ni,  a  plus  forte  raison,  un  vers  de  moins  de  deux  syllabes.  Dans  les  soi- 
disant  vers  d'une  syllabe  suspendus  entre  des  metres  a  plusieurs  accents,  la 
pause  qui  suit  la  fin  des  vers  remplace  la  syllabe  atonique  qui  manque  ä 
ces  vers. 

§.  38.  Pieds  de  deux,  de  trois  syllabes. 
Les  meilleurs  pieds  dissyllabes  sont:-~2)  peine,  etes,  est-ce  et^-  | 
avoir,  est-il.  Les  pieds  formes  de  deux  syllabes  accentue"es  sont  durs: 
crains  Dieu.  Les  pieds  formes  de  deux  syllabes  inaccentuees  sont  impos- 
sibles.  Les  meilleures  formes  des  pieds  de  trois  syllabes  sont:  -^-  |  adorer, 
viendra-t-il;  ~-~  |  paraitre,  de  vivre;  ---  |  peuple  ingrat.    Formes 

dures:  « —  |   je   crains   Dieu;  — «  I    tous   doivent; |    vous   peur 

d'eux.  Forme  tres-rare  et  peu  harmonieuse:  -~w,  laisse-le  selon  Acker- 
mann (Quicherat  accentue:  «~-).     Forme  impossible:  ~~~. 

§.  39.  Pieds  de  quatre  syllabes. 
Plusieurs  pieds  de  quatre  syllabes  n'existent  que  dans  une  forme  qui  permet 
de  les  consideVer  aussi  comme  deux  pieds  de  deux  syllabes.  Les  meilleures 
formes  en  sont:  "— «-  cejeune  roi;  -~-~  daigne,  daigne  C— «  |  -«);-««- 
fils  de  David;  «--«  le  roi  l'aime  (w- | -°).  Les  pieds  suivants  ap- 
prochent  de  la  prose,  parce  qu'ils  ont  trop  de  syllabes  inaccentuees:  w„^_ 
calamite;  ~~-~  archipretre.  Formes  dures,  parce  qu'elles  ont  trop  d'accents: 

« bdlas  Dieu  voit  («'-  |  — );  -->--  toi,  soldat,  toi;  — --   doit, 

mais  sortons; v  vous  peur  d'elles oui!  bon!  paix!  quoi! 

( —  |  — )  Ces  deux  pieds  souffrent  d'une  distribution  peu  agrlable  des  ac- 
cents: ~~ — je  me  sens  pret,  — ~^  mais  laisse-le.  Formes  impos- 
ßibles :  w  «  «  «, 

§.  40.  Pieds  de  cinq,  de  six  syllabes. 
Les  pieds  de  cinq  syllabes  sont  rares   et  peu  recommandables.     On  les 
trouve  surtout  dans  le  vers  de  huit  syllabes: 
Quoi!  ce  que  le  temps  |  nous  amene 
Laborieuse  |  liberte 
Et  que  le  lion  |  populaire.  Hugo,  A  la  jeune  France. 

!)  La  plupart  des  grammairiens  francais  appellent  pied  la  reunion  de 
deux  syllabes;  quelques  critiques  se  servent  aussi  du  mot  metre,  et  nom- 
ment  hexametre  le  vers  de  douze  syllabes,  pentametre  celui  de  dix;  t£- 
trametre  celui  de  huit. 

2)  -  Marque  des  syllabes  accentue"es;  -  signe  des  syllabes  inaccentuees. 


118  M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Si  le  pied  de  5  syllabes  doit  etre   generalement  rejete,    d'autant    plus   celui 
de  six,  qu'on  trouve  assez  souvent  dans  les  alexandrins. 

Et  j'hdrite  de  tout  j  universellement  Muss.  Louis.  I,  4. 

Et  de  mes  droits  sentant  |  l'inferiorite.  Aug.  les  Aristocr.  II,  4. 

O  Philippe,  sois-lui  |  misericordieux.    Pons.  Agn.  I,  4. 

L'impossibilite  |  disparait  h  son  ame.    Lafont.  Fabl.  VIII,  25. 3) 
Dans  Mol.  Psyche  II,  3  nous  lisons  un  pied  de  huit  syllabes: 

De  cetfce  insensibilite\ 

C.  Des  Vers. 
Chap.  V.  Des  Vers  en  general. 
§.  41.  Vers  de  12,  de  10,  de  8,  de  7,  de  G,  de  5,  de  4,  de  3,  de  2,  de  1  syllabes. 
Le  vers  se  compose  d'un  ou  de  plusieurs  pieds  dont  la  fin  rime  avec 
une  autre  serie  rhythtnique.  Les  vers  les  plus  usites  sont  de  12,  de  10, 
de  8,  de  7,  de  6,  de  5,  de  4,  de  3,  de  2,  de  1  syllabes.  Voici  un  exemple 
qui  renferme  toutes  ces  mesures: 

A  ce  calme  il  pref'ere  un  des  jours  de  detresse, 

Oü,  sous  le  fouet  de  l'onde  qui  le  presse, 

Le  vaisseau,  lance  dans  les  airs 

Monte  au  rayon  des  eclairs. 

Sur  le  haut  d'une  lame, 

Et  du  ciel  en  flamme, 

Tombant  le  front 

Sur  le  mont 

Qui  coule, 

Rode.         (Edouard  Alletz). 

§.  43.  Vers  de  9,  de  11  syllabes. 
Les  vers  de  neuf  syllabes  et  les  vers  de   onze    syllabes  sont  rares,  sur- 
tout  ceux  de  onze.    En  voici  des  exemples: 
Cher  amant,  je  cede  a  tes  desirs; 

De  Champagne  enivre  Julie. 
Inventons,  s'il  se  peut,  des  plaisirs, 

Des  amours  epuisons  la  folie.     Berang,  la  Bacch.  p.  7  (Paris,   1843). 
N'etouflbns,  n'etouffons  que  de  rire.    Id.  Les  Gourm.  p.  64. 
Je  veux  bien,  dit-il,  que  le  diable  m'emporte.    Id.,  Le  bon  Dieu  p.  259. 
Gardez  bien,  gardez  bien  votre  liberte.   Id.  Le  Sacre  p.  403. 

§.  43.  Vers  de  13,  de  14,  de  16  syllabes. 
Quelques  vers  de  treize   syllabes  se   trouvent  dans   les  pieces   lyriques 
destinees  ä  etre  chantees.1) 


3)  Ces  pieds  proviennent  principalement  de  l'emploi  des  mots  de  cinq 
et  de  six  syllabes.  Ronsard  avertit  dejä,  les  poetes  de  s'abstenir  de  ces  mots: 
„Tu  te  donneras  de  garde,  si  ce  n'est  par  contrainte,  de  te  servir  des  mots 
termines  en  ion  qui  passent  plus  de  trois  ou  quatre  syllabes,  comme  abo- 
mination,  testification;  car  tels  mots  sont  languissans  et  ont  une  trai- 
nante  voix,  et,  qui  plus  est,  occupent  languidement  la  moitie   d'un  vers." 

l)  Parmi  les  alexandrins,  il  se  trouve  dans  Agnes  de  Meranie  par  Pon- 
sard,  V,   1  un  vers  de  13  syllabes: 

Gauthier  de  Chätillon,  Mathieu  de  Montmorency. 
Dans  Dum.,  Calig.  prol.  sc.  8,  nous  lisons: 

%  Le  tonnerre  a  brille  venant  de  droite  et  de  gauche. 
Ou  il  y  a  ndgligence   de   l'auteur,   ou  le  second  de  n'est  pas  sorti  de  sa- 
plume. 


Miscellen.  119 

Sobres,  loin  d'ici,  loin  a'ici,  buveurs  d'eau  bouillie.  Scarron,  Chans,  bacb. 

Le  peuple  s'ecrie :   Oiseaux ,  plus  que  nous   soyez   sages.    Berang.   Le 

Sacre  p.  403. 
J'ai  lu  deux  vers  de   14   syllabes  dans   une   traduction  prosaique   des   livres 
des  Rois  entremelee  de  vers  (Idel.  Einleitungsband  I,  p.  79). 

Si  hom  peche  vers  altre,  a  Deu  se  purrad  acorder, 

Et  s'il  peche  vers  Deu,  ki  purrad  pur  lui  preier? 
et  deux  autres  dans  une  ehanson  baehique  de  Scarron : 

II  fait  meilleur  k  Paris,  oü  l'on  boit,  avec  la  glace 

Que  d'aller  au  Pays-bas  a  cheval  comme  un  Saint -George. 
Fournel,  dans  la  traduction  du  Löwenritt  par  Freiligrath,  a  fait  des  vers 
de  16  syllabes: 

Quand  le  Hon,  roi  des  deserts,  veut  parcourir  son  vaste  empire, 

II  s'avance  vers  la  lagune  et  dans  les  roseaux  se  retire; 

Pres  de  l'onde  oü  boit  la  girafe  et  dans  les  Jones  il  s'aecroupit: 

Au  dessus  de  son  front  terrible,  avec  bruit  le  palmier  fremit. 

Agamemnon,  tragedie  de  Ch.  Fontaine,  poete  du  XVIe  siecle,  offre  aussi 
des  ver§.  de  seize  syllabes.  Les  vers  soi-disant  mesures,  dont  nous  allons 
parier  plus  tard,   offrent  beaueoup  d'exemples  de    vers    de    plus    de    douze 

ßyllabes*  Gustave  Weigand. 


Ueber  die  Fügung   von  lehren  mit   dem   Dativ  oder  Accusativ 

der  Person. 

Die  Fügung  von  lehren  mit  persönlichem  Dativ  bei  sachl.  Obj.,  —  nament- 
lich, wenn  dies  nicht  durch  einen  Infinitiv  ausgedrückt  ist,  —  ist  in  der 
neuern  Sprache  nicht  selten.  Die  nachstehenden  Belege  sind  alphabetisch 
nach  dem  Namen  der  Schriftsteller  geordnet. 

Wir  hätten  ihnen  wollen  Mores  lehren  Alexis  Hos.  1,2,  190.  —  Frommen 
Kindern  lehrt  sie  Lieder.  Arndt  Ged.  105;  Lehren  will  ich  die  Liebe  dem 
Sohn.  162;  Da  hat  er  den  Franzosen  das  Schwimmen  gelehrt.  284;  Der  mir 
AYahrheit  gelehrt  hat.  Bericht  36.  —  Ich  lerne  Dir's  ganz  allein.  Auer- 
bach Dorf.  1,  13;  Ein  Lied,  das  ihm  der  Nazi  gelehrt.  186;  Wer  hat  dir 
denn  das  so  schön  gelehrt?  Barf.  77;  68.  ff.  —  Sie  wollte  mir  Philosophie 
lehren.  Bettine  1,  79.  —  Jungen  Mädchen  .  .  alles  das  zu  lehren.  Börne 
3,  88;  Kindern  Moral  in  Beispielen  zu  lehren.  393  ff.  —  Wie  Versuche  ihm 
lehrten.*;  Burmeister  Gesch.  127.  —  Die  Mutter  lehre  ihm  den  Kate- 
chismus. Chamisso  5,  55.  —  Meine  Mutter  lehrte  mir's.  Dingelstedt 
Hept.  2,  77.  —  Was  du  vordem  denn  der  Jugend  gelehrt.  Droysen  Ar. 
3,88;  Die  Kriegsführung,  die  Napoleon  der  Welt  gelehrt.  York  1,303.  — 
Den  Bergen  lehrend  und  der  Flur  den  lieben  |  Namen.  Fichte  8,  473.  — 
Schüler,  denen  er  Französisch  lehrte.  Forster  Br.  1,  13;  Nichts,  das  der 
Bonsens  einem  Jeden.,  nicht  längst  gelehrt  hätte.  2,  23  (Heyne).  —  Ich 
wollte  Jedem  sein  eigen  Kunstück  lehren.  Goethe  7,  202;  Nur  |  das  Leben 
lehrt  Jedem,  was  er  sei.  13,  141;  Was  einem  Jeden  lehrt,  dass  ein  Gott  ist. 
17,  140;  Ihnen  die  Kunst  zu  lehren.  30,  183.  —  Niemand  kann  mir's  lehren. 
Grimm  Märchen  18.  ■ —  Sie  lehrten  mir  kleine  Hexereien...   Sie  lehrten 


L'edition  de  Racine  par  Augier,  Par.  1842  offre  ce  vers: 

Faut-il  qu'ä  feindre  votre  amour  me  convie,  Bajaz.    IV,  1. 

II  faut: 

Faut-il  qu'ä  feindre  encor  votre  amour  me  convie. 

*)  Wo  das  „wie"  das  sachl.  Obj.  ersetzt,  vgl:  Wie  ihm  Versuche  zeigten. 


120  Miscellen. 

mich  Sterne  und  Zeichen  deuten...  Sie  haben  mich  auch  den  Pfiff  gelehrt .. . 
Die  Worte.,  lehrten  sie.  mich.  Heine  Rom.  124;  Ich  wollte,  |  ich  hätte 
ihr  nie  das  böse  Lied  gelehrt.  NGd.  317.  —  Wenn  sie  ihnen  lehrten,  Drei 
sei  Eins.  Heisse  Körte  1,  17;  Das  hatte  mir  längst  mein  Herz  gelehrt. 
145.  —  Das  lehr'  ich  keinem  Mädchen  noch  Weibe.  Herder  8,  441.  — 
Dass  die  Deutschen  den  Engländern  den  Kriegsschiff  bau  lehrten.  Jahn 
Volksl.  248.  —  Sonst  wollte  ich  Dir  Mores  lehren.  Iffland  5,  2,  15.  — 
Zwar  lehren  die  Singvögel  ihren  Jungen  gewisse  Gesänge.  Kant  Anthr. 
314;  Wie  kann  mir  die  Erfahrung  etwas  Allgemeines  lehren?  phil.  Rel. 
15.  —  Lehrte  ihm  dieKenntnis.  J.  Kerner  529.  — Ich  hatte  ihrem  Könige 
Weisheit  und  Gesetz  gelehrt.  Kinkel  Erz.  18.  —  Ihm  das  Striegeln  zu 
lehren.  Hr.  Kleist  Erz.  1,  52;  Da  haben  sie  die  Künste  gelehrt.  Hinterl. 
281.  —   In   anderer  Gestalt  als   Ihr   mir.,  gelehrt  habt.     Klencke  Parn. 

2,  205.  —  Wenn  man  ihnen  das  Wassertrinken  lehren  könnte.  Kohl  Alp. 
1,  137;  Lehrt  ihm,  wie  man  ihn  zubereite.  143;  2,  20;  189;  Irl.  1,  125;  129; 
259;  319;  2,  434;  Engl.  3,  280  ff*.  —  Diesen  Popanz,  der  meinen  besten 
Helden  (Mehrz.)  Furcht  gelehrt.  Körner  125a;  Vor  zwei  Minuten  hast 
du  mir's  ja  selbst  gelehrt.  237  b.  —  Das  lehren  dir  schon  die  griechischen 
Weisen.  Kühne  Freim.  294.  —  Die  Ursache  hat  mir  Menage  gelehrt. 
Lessing  3,  83;  Was  Ihnen  in  Laublingen  freilich  Niemand  lehren  kann. 
407.  —  Auch  diesen  (Leuten)  lehren  wir  ihr  Exercitium.  Lichtenberg 
5,  250.  —  Diese  Kunst  will  ich  dir  lehren.  Lichtwer  64;  Die  Vernunft .  . 
lehrte  das  Gesetz  der  Menchen  freiem  Stande.  180.  —  Sonst  lehrte  ihm  eine 
andere  Erfahrung,  suam  etc.  Moser  Osn.  1,  7.  —  Lehre  mir  den  leichten 
Sinn.  Wh.  Müller  G  d.  1,  250.  —  Dir  den  Gebrauch  desselben  zu  lehren. 
Musäus  M.  1,  58:  Lehrte  ihr  den  gleichen  Spruch.  2,  22;  Darauf  lehrte  sie 
dem  Fräulein  einige  magische  Eigenschaften  des  Apfels.  128-,  4,  78;  85  ff.  — 
Was  sollen  mir  Berg  und  Thale  lehren?  Olearius  Reis.  2  a.  —  Der 
Professor  lehrte  ihm  . .  güldne  Brokardika.  J.Paul  1,  161;  Ich  wollte  meinem 
Gustav  kaum  Etwas  mehr  lehren.  183  ff".  —  Die  einst  der  Welt  so  viel 
gelehrt.  Platen  1,337;  Denen  Nichts  das  Leben  lehrte.  4,10;  Mein  Stock 
auf  seinem  Rücken  lehr'  ihm  dann  das  Mein  und  Dein.  8  ff.  —  Ihm  die 
reinsten  Töne.,  zu  lehren.  Prutz  D.  Mus.  1,  2,  170  (Steub);  Die  Mutter 
lehre  ihren  Kindern  Beobachtung  der  Wrahrheit.  193  (Gumprech t).  — 
Ihr  wollt  den  Schülern  die  ihnen  noch  fremde  Sprache  durch  die  ihnen 
fremd  gemachte .  .  lehren.  Raumer  Päd.  3,1,82;  141  ff.  —  Mein  Stolz..,  | 
dem  du  nun  die  Demuth  lehrst.  Rückert  1,  366;  der  dem  Adam  gelehrt 
der  Dinge  Namen.  Mak.  2,49;  Den  Ursprung  will  ich  dir  aus  der  Geschichte 
lehren.  BrE.  614;  Die  Lust  am  Schaffleisch  wollt'  er  lehren  seinem  Sohn. 
Weish.  1,  115;  —  Lehre  mir  |  ein  Spiel.  Schlegel  Sh.  1,  3;  93;  Ihm 
lehrte  Muth  und   Hoffnung   dieses   Mittel.    2,   160;  Ihr   lehrtet   Sprache   mir. 

3,  32;  Lehrte  jede  Stunde  dir  |  Dies  oder  Jenes,  ebd.;  Das  lehret  ihm  sein 
Oheim.  6,  11;  Lehret  diesem  treu  ergebnen  Lande  |  verwegene  Grausam- 
keit. 136;  Ein  Narr,  der  sie  mir  gelehrt  hat.  232;  Der  erste  menschliche 
Grundsatz,  den  ich  ihnen  lehren  wollte.  3^4;  Ein  mächt'ger  Geist  mag  Krähe 
und  Geiern  lehren,  |  dass  sie  dir  Amme  sind.  Winterm.  2,  3  ff.  —  Wo.. 
Nachtigallen  ihr  Liedlein  piependen  Nestlingen  lehrten.  Sonnenberg  Don. 
1,  315.  —  Wie  es  ihm  sein  Vater  gelehrt  hat.  Spate  2,  49;  Einem  die 
Gottesfurcht  lehren.  1,  1147:  Einen  Mores  lehren,  ebd.  —  Dass  es  dem  Herrn 
den  Weg  zum  Fräulein  lehrte  (wiese).  Streckfuss  Rol.  2,  20.  —  Dietrich 
hat  mir  nur  das  Lied  gelehrt.  Tieck  2,  12;  Wer  hat  dir  denn  das  ge- 
lehrt? 10,  42;  Die  Wahrheit  dir  zu  lehren.  75;  Wie  er  ihm  immer  gelehrt 
habe.  16,  42;  Der  Nachtigall  er  die  Lieder  lehrt.  134;  Ich  habe,  dir  das 
Restaurieren  lehren  wollen.  Nov.  1,  20:  Künste,  die  der  Maler  ihm  gelehrt. 
N.  Kr.  2,  221;  Lehre  ihnen  die  Verbeugungen.  444;  Wo  eure  keusche 
Tochter  |  den  grossen  Unterschied  von  Lieb'  und  Unzucht  |  mir  lehrte. 
Cymb.  5,  5;  Weil  ja  die  Muse  |  ihnen  gelehrt  den  Gesang.  . . .  Dich  hat  die 


Miscellen.  121 

Muse  gelehrt  (ohne  sachl.  Ohj.)  Voss  Od.  8,  481  und  48S;  Denen  wir 
jegliche  Kunst  gepriesene  Werke  zu  wirken  |  lehreten.  22,  423 ;  Welchem 
Hephästos  gelehrt  und  Pallas  Athene  |  allerlei  Werke  der  Kunst.  23,  160; 
Er  lehrte  die  Kunst  mir.  Ov.  1,  189;  2,  65;  Wie  ein  assyrischer  Fremd- 
ling., mir  es  gelehret.  Theokr.  2,  162;  Alles  auch  lehret'  er  ihm,  wie 
dem  Sohn  ein  liebender  Vater  13,  8;  21,  33;  Welcher  den  künstlichen  Fang 
ihm  lehrete.  Bion  2,  8;  3,  6  ff.;  Lehren  was  heilsam  ist,  das  werd'  ich 
denen  die  zuschaun.  Arist.  3,  248;  Hör.  1,  254;  Ihm  lehrten  sie  Gebärd' 
und  rechten  Ton.  Shak.  2,  504;  Ich  will  dir  das  Sprüchlein  lehren.  I,  17G; 
177;  6.r>8;  664  ff.  —  Du  nur  kannst  mir  andre  Wünsche  lehren.  Waldau 
Nat.  1,  277  ff.  —  Was  so  oft  ich  dir  gelehret.  Werner  Kr.  d.  Osts. 
1,  239.  —  Sie  mag  mir  Alles  kühnlich  lehren.  Weise  Absurd.  363.  — 
Ihm  das  Wahre  zu  lehren.     Zelter  5,  459  ff. 

Diese  Fügung  findet  sich  auch  hin  und  wieder,  wenn  das  Obj.  durch  einen 
Infin.  (mit  od.  ohne  „zu")  ausgedrückt  ist,  z.  B.: 

Wie  die  das  Sträusschen  mir  wickeln  lehrte.     Bettine  Frühlingskr. 

1,  60.  —  Die  ihr  Grosses   ahnen  meinem  Geist   gelehrt.     Hölderlin   Hyp. 

2,  111  ;  — Zuerst  habe  ihm  sein  älterer  Bruder  das  Blut  gegen  den  Schwindel 
zu  trinken  gelehrt.  Kohl  Alp.  3,  405.  —  Dass  man  den  Kindern  nur 
Karten  kennen  lehre.  Raum  er  Päd.  3,  1,  124.  —  Leb  wohl!  Vergessen 
lehrtest  du  mir  nie.  Schlegel  Sh.  1,  18;  So  lehre  mir  das  Denken  zu 
vergessen,  ebd.  —  Einem  reden  lehren.  Spate  1127.  —  Hexensalbe,  die 
ihnen  natürlich  der  Teufel  bereiten  lehrt.  Tieck  Nov.  Kr.  2,  358.  —  Lehren 
Sie  nur  den  Leuten  Bedürfnisse  haben.     Waldau  N.  2,  222. 

Dass  der  persönl.  Accus,  neben  dem  sachl.  Obj.  das  Gewöhnlichere  ist*) 
und  sich  so  namentlich  auch  im  Goth.,  Ahd.  u.  Mhd.  findet,  ist  zu  bekannt, 
als  dass  es  dafür  ausführlicher  Belege  bedürfte.  Wir  geben  daher  nur 
wenige  zumeist  aus  denselben  Schriftstellern,  bei  denen  wir  oben  die  Fü- 
gung mit  dem  Dativ  gesehn.  Für  das  Schwanken  (s.  o.  Heine  u.  Voss) 
sprechen  namentlich  Zusammenstellungen,  wie  die  folgenden  aus  den  Ueber- 
setzungen  des  „Kaufmann  von  Venedig"  von  Schlegel  und  Voss: 

Dank,  Jude,  dass  du  mich  das  Wort  gelehrt.    Schlegel  (4,  l) 

Nerissa  lehrt  mir,  was  ich  glauben  soll.    (5,  1), 
dagegen : 

Dank,  Jude,  dass  du  mir  gelehrt  das  Wort.     Voss. 

Nerissa  lehrt   mich,    wie   ich    denken   soll.     Ders. 
Der  pers.  Accus,  findet  sich  z.  B. :  Es  haben  ihn  auch  nicht  Viele  gelehrt,  was 
recht  ist.  Alexis  Hof.  2,  2,  37.  —  Alxinger  D.  345.  —  Indem  er  ihn  Ach- 
tung der  Menschenrechte  lehrte.  Börne  2,  428,  Kinderlesen  zu  lehren.  402; 
375  ff'.  —  Brockes  9,  440  ff.  —  Lehr  mich  Scherenschleiferbrauch.  Chamisso 

3,  20fi;  369;  Dich  lehrt  das  Ross,  das  Du  verlangst,  |  die  Zunge  zu  bewegen. 
208  ff.  —  Engel  7,  203  ff.  —  Fischart  Bern.  240a  ff'.  —  Lehrte  ihn, 
was  merkwürdig  war.  Forster  Reis.  1,  61;  Wir  lehrten  unsere  Freunde, 
auf  welche  Art  etc.  151;  217;  Uns,  die  er  gelehrt  hat,  um  ganz  'was  Andres 
vertraulich  ihn  anzugehen.  Br.  1,  341;  403;  Der  vertraute  Umgang  mit 
Ihnen.,  lehrt  mich  gewiss  so  leben,  wie  man  leben  soll  474;  476;  500;  265 
(Jacobi).  —  Freiligrath  Gd.  1,  176  ff.  —  Geliert  1,  23  ff  —  Die  Liebe. . 
lehret  den  Verschwender  sparen.  Göckingk  Lieb.  127;  Was  das  Täubchen 
girren  lehret  ebd.  —  Reineke  .  .  wollt'  ihn  allerlei  Weisen  I  kürzlich  lehren. 
Goethe  5,  125;  Wer  hat  dich  i  so  nach  Hofart  theilen  gelehrt?**)  264;  276; 
282;  285;  Lehr  mich  ihrer  würdig  sein.  6,  63;  Man  lehrte  mich,  Liebkosungen 


*)  Vgl.:  Der  Kaiser  weist  sie  manchen  Pfad.  Simrock  (Echter- 
meyer 83)  ff. 

**)  Vgl.  in  Bezug  auf  die  Form  des  Partie:  Wer  hat  dich  so  lehren 
theilen?    Luther  5,  271  b. 


122  Miscellen. 

seien  wie  Ketteu  etc.  9,  35;  10,  104;  11,  100;  12,  40;  O  lehre  mich  das  Mög- 
liche zu  thun.  13,  134;  „Will  etwa  mich  dein  liebenswürdiger  Mund  |  die 
Eitelkeit  der  Welt  verachten  lehren?"  |  Ein  jedes  Gut  nach  seinem  Werth 
zu  schätzen  brauch  ich  dich  nicht  zu  lehren.  172;  Den  die  Erfahrung  ge- 
lehrt hatte,  dass  etc.  15,  27;  16,  27;  44;  140;  19,  188;  273;  Das  wird  dich 
lehren,  das  zu  bleiben,  wozu  Gott  dich  gemacht  hat.  29,  233;  30,  155: 
35,  11;  39,  69;   206  ff.  —  Gotter  1,  93.  —  Gutzkow  Ritt.  3,  274;  6,  152; 

7,  5G;  393;  8,  129;  181;  9,  240;  245;  383;  526  ff.  —  Lehrt  mich  bess're 
Sachen,  |  als  statt  des  Singens  Geld  bewachen.  Hagedorn  2,  121.  — 
Haller  205  ff.  —  Heine  Reis.  2,  147;  Verm.  1,  116  ff".  -  Heinse 
Ard.  2,  166.  —  Weil  er  es.,  keinen  Andern  lehren  kann.  Kant  Kr.  d. 
Urth.  1S2;  Sie  lehrt  mich.,  em  Wesen  fürchten.  Rel.  201.  —  Kinkel 
Erz.  317.  —  Ich  lehre  dich,  was  ich  lernte.  Klopstock  Mess.  13,378  — 
Haben  sie  gelehrt,  das  Auge  auf  England  zu  wenden.  Kohl  Irl.  1,  G.  — 
Die  Freundschaft...  die  mich  den  Text  gelehrt.  Körner  238b.  —  Die 
Ameisen  haben  mich  diese  Vorsicht  gelehrt.    Lessing  1,  139;  3,289;  335;  430; 

8,  15;  518;  11,  76;  347;  Die  Möglichkeit,  dass  Engel.  Nath.  1,  2  ff'.  —  Lehrt 
sie  den  Zauberreiz  der  wilden  Lüste  fliehn!  Lichtwer  194;  Die  dich  sein 
Dasein  lehren.  224;  239;  254  ff'.  —  Luther  8,  18  b;  26  a  ff',  (s.  viele  Stellen 
in  der  Bibel  in  den  Konkordanzen).  —  Mörike  Nolt.  158;  431  ff'.  —  Ich 
wollte  |  lehren  dich  des  Lebens  beste  Güter.  Platen  4,  384;  324;  6,  24; 
27.  —  H.  L.  Nicolai  1,  61.  —  Ramler  Fab.  1,  61;  2,466;  528;  3,  33  ff.  — 
Rollenhagen  Froschm.  249.  —  Die  haben  wohl  ein  Stück  von  Schwarz- 
kunst dich  gelehrt.  Rückert  Rost.  73a;  Erb.  2,  5  —  Buge  Revol- 
1,  23;  2,  143  ff.  —  Wer  wird  künftig  deinen  Kleinen  (Sohn)  lehren  | 
Speere  werfen?  Schiller  1  a;  Er  lehrt  die  schwebenden  Planeten  j 
ew'gen  Ringgangs  um  die  Sonne  fliehn.  2  a.  90  a  und  b;  91  b;  118  b;  437  b; 
459  b;  480  b;  501b;  Ich  schwöre,  dass,  wenn  er  mir  jemals  in  die  Hände 
fällt,  ich  ihn  lehren  will  solche  Treulosigkeiten  zu  begehen.  1091  a  ff.  — 
Das  Lied,  das  ihr  mich  erst  gelehrt.  Schle"gel  Shak.  3,  88.  —  F.  Schlegel 
Gr.  R.  1,  253;  263.  —  Spate  2,  232;  29;  43.  —  Die  Lieder,  die  er  dich 
lehrte.  Tieck  10,  43.  —  Lehr  du  mich..,  |  wie  man  die  guten  Schwerter 
macht.  Uhland  383;  W'er  hat  dich  solche  Streich  gelehrt?  379  ff.  —  Uz  2, 
170.  —  Dich  das  Alles  zu  lehren.  Voss  II.  9,  442.  —  Waldis  Ps.  51,  6; 
145,  2  ff  —  Weidner  36.  —  Werner  Kr.  d.  Ost.  1,  I.  213  ff  —  Seinen 
Brudersohn  Moral  und  Politik  zu  lehren.  Wieland  7,  131;  12,  78;  102; 
185;  323;  13,  103;  15,  39  ff.  —  Zinkgräf  Ap.  1,  167;  2,  15  ff.  —  Zschokke 

1,  13  ff.  — 

Im  Passiv  findet  sich  der  ersten  Fügung  (Einem  Etwas  lehren)  gemäss 
oft:  Einem  wird  Etwas  gelehrt,  z.  B.:  Was  wird  noch  heute  der  Jugend  in 
der  Schule  frei  gelehrt?  Börne  3,  34.  —  Uns  Andern  ist  das  nun  schon 
nicht  gelehrt  worden.  Goethe  30,  333.  —  Alles  vergessen,  was  uns  gelehrt 
wurde.  J.  G.  Jacobi  Ir.  1,  1,  22.  —  Den  Kindern  würde  jetzt  kein  Irisch 
mehr  gelehrt.  Kohl  Irl.  1,  50.  —  Wem  ward  wohl  gelebret,  |  was  dort  ge- 
schah? J.  Mosen  Ahasv.  88.  —  Der  Spruch,  der  ihm  gelehrt  war.  Musäus 
Märch.  2,  23;  W'enn  den  Kindern  Alles  spielend  gelehrt  wird.  Phys.  1,65. 
—  Besonders  wird  ihnen  das  Ueberspringen  .  .  .  gelehrt.    Raumer  Päd.  3, 

2,  168.  —  Der  Jugend  wurde  Nichts  gelehrt,  was  sie  ohne  Schaden  wieder 
vergessen  konnte.  Wieland  8,  216  ff.  — 

Seltner  findet  sich  heute  der  Fügung  mit  dem  doppelten  Accus,  gemäss 
das  Pass. :  Ich  werde  eine  Sache  gelehrt,  z.  B.:  Haltet  an  den  Satzungen, 
die  ihr  gelehret  seid.  2.  Thessal.  2,  15.  —  Dann  wird  der  Schüler  einige 
handgreifliche  Inventiones  gelehrt.  Gervinus  Lit.  3,  330.  — ■  Das  Schlimmste, 
was  uns  widerfährt,  |  das  werden  wir  vom  Tag  gelehrt.  Goethe  3,  94. 
Wohlthun  ward  er  nie  gelehret.  Gryph.  470.  Sie  werden  jetzt  gelehret,  | 
was  nie  zuvormals  noch  kein  Weiser  je  gehört.  Opitz  1.  17.  —  Was  Kunst 
bist   du   gelehret  worden.  H.  Sachs  G.  1,   -229.  —  Wenn  sie  nicht  bereits 


Miscellen.  123 

eine  Art  von  Sprache  durch  ihre  Erziehung  gelehrt  worden  wären.  Wieland 
21,  298;  Diesen  [den  Tanz]  wurde  sie  von  der  Natur  selbst  gelehrt.  301. 

Diese  Weise  darf,  wenn  das  sachl.  Übj.  durch  ein  Hauptwort  ausgedrückt 
ist,  im  Allgemeinen  wohl  als  veraltet  bezeichnet  werden,  vgl.:  Die  Ursach 
gefragt,  antwortet  er.  Weidner  329.  (s.  in  meinem  Wörterbuch  fragen  1  d). 
Weniger  widerstrebt  diese  Fügung  dem  heutigen  Gebrauch,  wenn  das  sachl. 
Obj.  ein  allgemeines  ist:  Die  Schüler  wissen,  was  sie  gelehrt  (gefragt)  werden; 
Unsre  Jugend  wird  in  der  Schule  Vieles  gelehrt,  was  sie  im  Leben  nicht 
braucht.  Doch  ist  auch  hier  der  Dativ  gewöhnlicher.  Was  ihnen  gelehrt 
wird ;  Unsrer  Jugend  wird  Vieles  gelehrt  etc. 

Dagegen  ist  die  Wendung  geläufig,  wenn  das  sachl.  Obj.  durch  einen  Satz 
oder  einen  Infin.  (mit  „zu")  ausgedrückt  ist:  Er-  oder:  Ihm-  wurde  früh- 
zeitig gelehrt,  wie  er  in  solchen  Fällen  sich  zu  verhalten  habe;  Die  Kinder 
werden  —  oder:  Den  Kindern  wird  —  dadurch  gelehrt,  Bescheidenheit  zu 
heucheln;  Ich  bin  früh  angeleitet  und  gelehrt  worden,  dass  man  Wesen  wie 
Tante  Helene  hassen  soll.  Gutzkow  Ritt.  8,  253;  Born.  28;  Ihm  wurde, 
sobald  er  denken  konnte,  gelehrt,  mich  zu  hassen.  Hackländer  Stillfr.  2, 
220.  Der  Blick  .  . .  wird  nur  nach  und  nach  emporzuschaun  gelehrt.  Rückert 
Weish.  4.   107. 

Beide  Fügungen  sind  übrigens  durch  eine  leichte  Nuance  verschieden : 
Was  mir  gelehrt  worden,  Das  ist  mir  als  ein  zu  Lernendes  mitgetbeilt; 
mein  Verhalten  dazu,  ob  und  wie  ich  es  in  mich  aufgenommen,  bleibt  ausser 
Frage.  In  der  Fügung  aber:  „Ich  bin  Etwas  gelehrt  worden,"  —  bin  ich 
die  Person,  die  lernend  eine  Einwirkung  erfahren.  Dort  tritt  also  die  Thätig- 
keit  des  Lehrenden,  hier  mehr  die  des  Lernenden  hervor,  und  demgemäss 
bezeichnet  „gelehrt"  nicht  eine  Person,  der  Etwas  gelehrt  ist,  sondern  die 
Etwas  gelernt,  sich  eine  Fülle  des  Wissens  selbstthätig  angeeignet  hat,  z.  B. 
unter  Andern  auch  einen  Autodidakten.  Ganz  ungewöhnlich  aber:  Der  Staat, 
an  dessen  Allmacht  zu  glauben  ihn  freilich  niemals  gelehrt  worden  ist. 
G.  Liebert  (Jahrhundert  2,  383). 

Nach  dem  Vorstehenden  glaube  ich  als  heutigen  Sprachgebrauch  für  die 
Fügung  von  lehren  mit  persönl.  Dat.  oder  Accus.  Folgendes  hinstellen  zu 
können: 

1 )  Steht  bei  lehren  nur  das,  was  man  lernt  oder  erfährt,  so  ist  dies  das 
sachliche  Objekt,  das  —  wenn  es  durch  ein  Hauptwort  ausgedrückt  ist  — 
natürlich  im  Accusativ  steht;  doch  kann  es  auch  durch  einen  Satz  (mit  „dass 
wie,  wann,  wo  etc.")  oder  durch  einen  Infin.  (mit  oder  ohne  „zu")*)  aus- 
gedrückt werden. 

2)  Steht  bei  lehren  nur  die  Person,  die  Etwas  lehrt  oder  erfährt,  so 
steht  sie  als  persönliches  Object  ebenfalls  im  Accusativ. 

3)  Wird  aber  die  Person  neben  dem  sachl.  Obj.  ausgedrückt,  so  steht 
sie  im  Aktiv  zumeist  ebenfalls  im  Accusativ,  welche  Fügung  sich  auch  im 
Gothischen,  Ahd.  und  Mhd.  findet  (s.  die  Wörterbücher).  Doch  findet  sich 
auch  häufig  genug  der  Dativ  der  Person  (schon  bei  Spate),  zumal  wenn  das 
sachl.  Obj.  ein  Hauptwort  ist,  vgl.  Campe's  deutsches  Wörterbuch  3,  77  und 
C,  49. 

4)  Im  Passiv  aber  gelten  die  Fügungen: 

a)  (s.   1):  Etwas  wird  gelehrt. 

b)  (s.  2):  Ich  werde  gelehrt. 

c)  (s.  3):  Mir  wird  eine  Sache  gelehrt;  seltner  und  veraltend: 
Ich  werde  eine  Sache  gelehrt,  — ■  wenn  die  Sache  nämlich  durch  ein  Haupt- 
wort ausgedrückt  ist;  ist  sie  aber  durch  einen  Satz  oder  einen  Infinitiv  mit 
„zu"  ausgedrückt,  so  findet  sich  mit  einer  leichten,  nicht  immer  scharf  be- 
achteten Nuance:  Ich  werde  — .und:  Mir  wird  gelehrt,  Etwas  zu  thun  etc. 


*)  Siehe  darüber  mein  deutsches  Wörterbuch. 


124  x  Miscellen 

Danach  wird  man  auch  das  absprechende  Urtheil  würdigen  können ,  das 
Weigand  (kurzes  deutsches  Wörterbuch  2,  29)  fällt: 

„Manche,  z.  B.  J.  H.  Voss  (Theokr.  13,  8),  A.  W.  Schlegel  fügen  lehren 
falsch  mit  dem  Dativ  [er  lehrte  ihm  etc.]  statt  mit  dem  Accusativ  [er 
lehrte  ihn  etc.]." 

Wohlgemerkt!  Herr  Weigand  sagt  nicht  etwa,  die  Fügung  von  lehren 
mit  dem  persönlichen  Dativ  sei  in  der  altern  Sprache  nicht  begründet,  sondern 
ohne  irgend  einen  Grund  anzugeben  (If  reasons  were  as  plenty  as  black- 
berries,  I  would  give  no  man  a  reason  upon  compulsion,  I)  nennt  er  eine 
Fügung,  die  sich  u.  A.  bei  Goethe,  Grimm,  Heine.  Herder,  Lessing, 
J.  Paul,  Platen,  Rückert,  Schlegel,  Tieck,  Voss  und  Wieland 
findet,  „falsch,"  gleich  als  hätte  er  Arbeiten  von  Schulbuben  zur  Korrektur 
vor.  Wie  tief  unter  sich  stehend  mag  Herr  Weigand  wohl  die  Genannten 
wähnen  ? 

Dan.   Sanders. 


Die  Vorsilbe  sa  im  Französischen. 

Im  XXV.  Bande  des  Archivs  habe  ich  auf  Seite  41 1  eine  Vermuthung 
über  sabot,  das  schon  seit  langer  Zeit  die  scliarfen  Blicke  der  Etymologen 
anstrengt,  gegeben,  und  das  Wort  auf  scapha  zurückgeführt. 

Diese  Vermuthung  dürfte  sich  aber  nicht  haltbar  erweisen,  nachdem  mir 
folgende  Zusammenstellung  von  Wörtern,  die  mit  sab  —  anfangen,  einen 
Weg  gezeigt  hat,  der  ein  sichereres  Resultat  liefert,  da  auf  ihm  auch  Anderes, 
Analoges,  seine  befriedigende  Deutung  erhalten  möchte. 

Ks  ist  durchaus  auffallend,  dass  man  auf  eine  so  einfache  Sache  noch 
nicht  von  anderer  Seite,  und  zwar  langst,  gekommen  ist.  Der  Grund  aber 
wird  kein  anderer  sein,  als  die  bisherige  Vernachlässigung  der  Analogien  in 
der  Sprache,  neben  fast  ausschliesslicher  Berücksichtigung  der  Analogien 
der  Sprachen. 

Es  gibt  etwa  7  bis  8  Wörter,  die  ich  zusammenstellend  behandeln  zu 
können  glaube: 

Sabatte  Ankersohle, 

sabech  Geierart,  Habichtsart  (?), 

sabon  grosse  Druckschrift  (zu  Placaten), 

sabord  Stückpforte, 

sabot  Holzschuh,  Pferdehuf,  Kreisel, 

sabouler  herumzausen, 

sabrenas  Sudler,  Pfuscher. 
Nehmen  wir  von  diesen  Wörtern  die  Vorsilbe  sa  weg,   so  bleiben  folgende 
Ausdrücke : 

B  a  1 1  e  Schlagbrett, 

bec  Schnabel, 

bon  fürstliche  Bescheinigung, 

bord  SchilTsbord, 

bot  Klumpfuss  (Person),  Boot, 

bouler  auf  kugeln  (den  Kropf), 

breneux  zu  bran  Mist  (Kleie). 
Es  ist  wohl  annehmbar,  dass  bei  dieser  Bewandtniss  eine  Zusammensetzung 
aus  einem  gewissen  sa-  und  anderen  Wörtern  weit  mehr  als  wahrscheinlich  ist. 
Ich  habe  den  Versuch  machen  wollen,  dieses  sa —  aus  irgend  einer  oder 
mehreren  Partikeln  zu  erklären,  bin  aber  zu  keinen  entsprechenden  Resultaten 
gelangt. 

Zuletzt  legte  ich  einfach  sac  zu  Grunde  und  erkläre  nun  die  Composita 


Miscellen.  125 

wie  folgt.  Das  c  von  sac  ist  zwar  nicht  stumm,  musste  aber  vor  b  dem 
Wohllaut  weichen.  Die  Zusammensetzung  ist  wie  in  chef-lieu,  oripeau  u.  s.  w. 

Sabatte  wäre,  wörtlich,  ein  Sackbrett,  eine  Sacksohle,  in  welcher  der 
Anker  wie  in  einem  Sacke  steckt  (Ankerschuh,  hölzerner  Ueberzug  über  die 
Ankerschaufeln).  Ob  savate  aus  sabatte  entstanden  oder  doch  scaphata 
sein  sollte,  welches  Letztere  ich  am  angeführten  Orte  behauptete,  liesse  sich 
nun  noch  fragen:  doch  scheint  mir  jetzt  die  nahe  Verwandschaft  der  Laute 
und  die  Composition  von  sabot,  wovon  unten,  das  Erstere  bevorzugen  zu 
heissen,  wofern  nicht  it.  ciabatta,  sp.  zapata,  widersprechen. 

Sabech,  eig.  sac-bec,  wäre  ein  Sackschnabel.  Vielleicht  ist  es  einer 
der  Vulturini,  deren  grosse  Schnäbel  sich  an  ihrem  kleinen  Köpfchen  fast 
wie  Haken  krümmen  und  also  einen  Sack  zu  bilden  scheinen  oder  das  Opfer 
wie  in  einem  Sack  fangen.  (Aehnlich  beeard,  beeard  e).  "Wegen  ch  ver- 
gleiche man  beche,  das  etymologisch  zu  bec  gehört.  —  Die  Lexica  geben, 
wie  meist  bei  naturhistorischen  Dingen,  auch  über  sabech  zu  rathen  auf; 
jedoch  wird  das  Wort  ächtfranzösisch  sein.  In  Buffon's  und  Daubenton's 
Oiseaux  (Bruxelles   1S28)  linde  ich  sabech  auch  nicht. 

Sabon,  sac-bon,  wäre  ein  Sackschein,  eine  Sackschrift.  Die  Kanzlei- 
buchstaben, les  gros  caracteres,  haben  etwas  Ausschweifendes,  gleichsam 
sackförmige  Verzierungen,  die  den  eigentlichen  Buchstaben  wie  in  einem 
Sacke  verbergen.  Dass  hier  unter  bon  zunächst  ein  Erlass  höheren  Ortes 
und  dann  die  dabei  üblichen  Schriftstücke  in  Kanzleischrifc  zu  verstehen, 
ist  wohl  denkbar;  dass  man  diese  Schrift  nun  ausserdem  sa-bon,  recht 
eigentlich  ausschweifende,  nannte,  wenn  sie  recht  gross  war,  lässt  aich  auch 
annehmen.  Jedoch  bin  ich  bereit  zu  lernen,  wenn  Jemand  etwas  Anderes 
probabler  machen  könnte. 

Sabord,  sac-bord,  Sackbord,  Oeffhung  oben  am  Borde  des  Schiffes. 
Die  Oeffhung  wird  durch  das  Geschütz  verschlossen;  daher  die  Vergleichung 
mit  dem  Sacke,  der  oben  offen,  unten  geschlossen  ist.  Es  ist  ein  Bord,  der 
gleichsam  wie  ein  Sack  das  Geschütz  in  sich  enthält,  auch  vorn  geschlossen 
wird,  wenn  das  Geschütz  ruht.  Die  Ausdrücke:  sabord  de  retraite  Hinter- 
pforte, die  schliessende,  und  cul-de-sac  Sackgasse,  die  zulaufende,  ge- 
schlossene, widersprechen  sich  also  nicht. 

Sabot,  sac -bot,  Sackboot,  ist  der  glänzendste  Beleg  für  unsere  An- 
nahme. Die  bootf  örmige  Gestalt  des  Holzschuhes ,  der  aber  nur  an  einer 
Seite  offen,  am  anderen  bedeckt  und  geschlossen  ist,  hat  ebenso  wie  der 
bootf  örmige,  nicht  gespaltene,  sondern  geschlossene  Pferdehuf  und  der  nur 
an  einer  Seite  offene,  hohle  Brummtopf  (Kreisel)  zur  Vergleichung  mit  einem 
Boote  und  Sacke  aufgefordert.  Bot  heisst  auch  ein  Mensch  mit  einem 
Klumpfusse  (pied-bot  Klumpfuss):  zu  erklären  von  der  Aehnlichkeit  mit 
einem  Boote,  wenn  wir  nicht  auf  bözen  (stossen,  vgl.  Klump,  dialectisch: 
Blotsch  =  Holzschuh)  zurückgehen  und  bot  entweder  als  etwas  Abgestossenes 
(Stumpf)  oder  als  etwas  Aufstossendes  (Plumpendes,  Klumpendes,  Platschendes) 
erklären  wollen. 

Sabouler  ist  ein  Ausdruck  des  gemeinen  Volkes,  sowie  auch  sabrenas 
sabrenauder,  sabre nasser. 

Sabouler,  sac-bouler,  hiesse  „sackkugeln,"  wie  in  einem  Sack  herum- 
schleudern, so  dass  Alles  durcheinandergerät h  und  der  Gezauste,  besonders 
was  die  Frisur  anlangt,  wie  aus  einem  Sack  wieder  zum  Vorschein  zu  kommen 
scheint.     Das  Bild  ist   etwas  dei-b,  aber  nicht  unpassend  oder  unrichtig. 

Mit  sabrenas  ist  nicht  so  leicht  fertig  zu  werden,  wiewohl  mir  auch 
hier  die  Zusammensetzung  mit  sac  unzweifelhaft  erscheint.  Ist  brenauld 
brenaldus ,  welches  Wort  für  sabrenauder  vorauszusetzen  wäre,  und 
bren asser  brenaceare,  wovon  dann  sabre  nasser  und  sabrenas  (brenaceus), 
und  heissen  die  Simplicia  »Schmierer"  und  „schmieren,"  so  hiessen  die  Com- 
posita  „Saekschmierer"  und  „sackschmieren."  Die  ursprüngliche  Bedeutung 
von    brau   ist  wohl    nicht    die   höchst   untläthige,    welche   es  heutzutage  hat 


]26  Miscellen. 

sondern  überhaupt  „Abfall,  Auswurf,  Kleie  u.  s.  w."  Nehmen  wir  nun  ein 
sac-bran,  das  zu  Grunde  läge,  an,  so  würden  sich  die  Ausdrücke  durch 
das  schmutzige  Sackgerülle,  welches  sich  auf  dem  Boden  des  Sackes  zu 
bilden  pflegt,  erklären  lassen,  und  ein  sabrenas  etwa  Einer  sein,  der,  wie 
sich  der  Sackdreck  durch  längeres  Liegen  und  Nichtgebrauchen  oder  Nicht- 
reinigen  des  Sackes  bildet,  so  auf  .Reinlichkeit  Nichts  gibt  und  Alles  mit 
„bis  dirty  fingers"  anfasst  und  besudelt,  etwa  ein  „Sackdreckfink."  Auch 
dieser  Ausdruck  ist  derb  und  stark,  wie  Volksausdrücke  zu  sein  pflegen; 
der  einfache  „Dreckfink"  wollte  es  noch  nicht  thun.  Die  Bedeutung  „Pfu- 
scher" wäre  dann  die  abgeleitete,  da  Schmierer  und  Sudler  das  Schöne  an 
den  Sachen  verderben  und  diese  somit  selbst  auch,  so  dass  sie  nicht  gern 
gebraucht  werden.  Ueberhaupt  werden  Säcke  hin  und  her  auf  dem  Boden 
geschoben  und  geworfen  und  dabei  leicht  schmutzig;  der  sabrenas  kann 
also  auch  überhaupt  Einer  sein,  der  mit  Allem,  wie  mit  Säcken,  umzugehen 
pflegt  oder  so  schmutzig  wie  ein  Sack  ist  (kohlen- sackschmutzig).  Jedoch 
ist  die  Zurückführung  auf  ein  sabran  (sac-bran) bei  sabrenas  wohl  mehr 
zu  empfehlen;  ein  sabreneux  kommt  nicht  vor. 

Siegen.  Dr.  Langensiepen. 


Zu  Herder.  Im  Neuen  Rhein.  Mus.  f.  Phil.  N.  F.  1860.  XV,  158  fgg. 
hat  Prof.  Bernäys  einen  kleinen  Aufsatz:  „Herder  und  Hyginus"  veröffentlicht. 
Es  enthält  derselbe  die  Entdeckung,  dass  das  schöne  Gedicht  Herders: 
„Das  Kind  der  Sorge,"  welches  beginnt:  „Einst  sass  am  murmelnden  Strome 
die  Sorge  nieder  und  sann,"  ohne  die  geringste  sachliche  Zuthat  aus  der 
220.  Fabel  des  Hyginus  entlehnt  ist.  Wie  die  Vergleichung  lehrt,  sind  die 
geringen  Abweichungen  von  den  lateinischen  Worten  als  poetische  Ver- 
besserungen anzuerkennen.  Hygin  bat  eine  griechische  Urquelle  nicht  be- 
nutzt, aber  die  Allegorie  ist  von  einem  griechisch  Redenden  erdacht,  denn 
in  dem  Begriffe  der  lateinischen  Cura  liegt  nicht  das,  was  die  Hauptpointe 
der  Fabel  ausmacht,  die  Hinweisung  auf  das  träumerische  Sinnen,  sondern  in 
der  griechischen  <pQovxis,  der  Tochter  der  Kalliope.  — 


Bibliographischer  Anzeiger. 

Allgemeines. 

Ueber  die  Sprache  und  ihr  Verhältniss  zur  Psychologie.  (Freiburg  i.  Br., 
Herder.)  9  Sgr. 

Lexicographie. 

D.    Sanders,    Wörterbuch    der    deutschen    Sprache.    12.    Lfrg.     (Leipzig, 

0.  Wigand.)  20  Sgr. 
P.  F.  L.  Hoffmann,   Neuestes   Wörterbuch   nach    dem   Standpunkte   ihrer 

heutigen  Ausbildung.     (Leipzig,  Brandstetter.)  lx/6  Thlr. 

W.  Hoffmann,  Vollst.  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.    58  —  60  Lfrg. 

1.  Lfrg.     (Leipzig,  Dürr.)  7y2  Sgr. 
Thibaut,    Dictionnaire,    francais-allemand    et  allemand-francais.  —  Voll- 
ständiges  deutsch -französisches   und   französisch- deutsches  Wörterbuch. 
3G.  gänzl.  umgearb.  u.  verm.  Aufl.    (Braunschweig,  Westermann.)    2  Thlr. 

Mole,    A.,  Dictionnaire    nouveau    Franc. -Allemand   et   Alleniand- Francais. 

Neues  Wörterbuch  der  französischen  und  deutschen  Sprache.     2  Bände. 

18.  Stereotyp -Ausgabe.    (Braunschweig,  Westermann.)  2  Thlr. 

—     —  Nouveau    dictionnaire    de    poche  Francais- Allem,   et  Allem. -Franc. 

a  l'usage  des  ecoles.  —  Neues  Taschenwörterbuch  der  französischen  und 

deutschen  Sprache  zum  Schulgebrauch.    2  Bde.  18.  Stereotyp -Ausgabe. 

(Braunschweig,  Westermann.)  1  Thlr. 

Grammatik. 

F.  Diez,  Grammatik  der  romanischen  Sprache.  3  '  Tbl.  2.  Ausgabe. 
(Bonn,  Weber.)  2%  Thlr. 

Hilfsbücher. 

A.  Treu,  Die  deutsche  Sprachlehre  als  Grundlage  zur  Stylistik.  (Coesfeld, 
Wittneven  Sohn.)  15  Sgr. 

C.  Voss,  Dictirstoffmagazin  für  d.  orthograph.  Unterricht.  (Leipzig, 
Gräbner.)  71/.,  Sgr. 

G.A.Winter,  Stylistisches  Aufgabenmagazin  (flu  Mittelklassen).  (Leipzig, 
Wöller.)  5  Sgr. 

H.  Reiser,  Die  Stylschule.  1.  Bdchn.     (Stuttgart,  Hallberger.)  16  Sgr. 

W.  Käst  ein,  Deutscher  Dichtergarten.     (Stade,  Steudel.)  10  Sgr. 

J.  A.  F.  Schier  hörn,  Deutsches  Lesebuch.  Obere  Stufe.  (Brandenburg, 
Müller.)  15  Sgr. 

H.  Viehoff,  Deutsches  Lesebuch  für  die  unteren  Classen  höherer  Lehr- 
anstalten. (Braunschweig,  Westermann.)  l^Va  Sgr. 
-  für  die  mittleren  Classen  höherer  Lehranstalten.  (Braunschweig, 
Westermann.)                                                                                     221/a  Sgr. 


128  Bibliographischer  Anzeiger. 

P.    Frank,    Handbüchlein    der    deutschen   Literaturgeschichte.      (Leipzig, 

Merseburger.)  10  Sgr. 

Brentano,    Deutsche    Grammatik    und    Stilübungen.     2.  Curs.     (Nürnberg, 

Schmid.)  10  Sgr. 

J.  A.  C.  Burkhardt,     Systematische    Darstellung    der   Eigeuthümlichkeiten 

der  franz.  Sprache.    1.  Thl.     (Teschen,  Prochaska.)  20  Sgr. 

P.  Senechante,  Tabellarische  Uebersicht  der  Zeitwörter  der  franz.  Sprache. 

(Düren,  Gislason.)  11/.i  Sgr. 

A.  Nicard,  Französische  Sprachlehre.  (Prag,  Credner.)  1  Thlr.  18  Sgr. 
M.    Selig,    Wanderungen    durch    Paris.     Deutsch  -  franz.  -  engl.    Gespräche. 

(Berlin.)  10  Sgr. 

Heinsius,  Deutsch -engl.- franz.  Conversationsbuch.   2.  Aufl.  Herausgegeben 

v.  A.  Albrecht.     (Leipzig,  Gräbner.)  15  Sgr. 

Methode  pour  apprendre  sans  maitre  la  langue  allemande.   p.  Hertl-Gau- 

chuz.     (Paris,  Leipzig,  E.  H.  Mayer.)  1  Thlr.   7l/2  Sgr. 

Roller  und  Assfahl,  Uebungsstücke  zum  Uebersetzen  aus  dem  Deutschen 

ins  Französische.     (Heilbronn,  Scheurlen.)  1xI<l  Sgr. 

C.  A.  Pajeken,  Grammatik  der  spanischen  Sprache.    1.  theoretischer  Theil. 

(Bremen,  Kühtmann  &  Comp.)  24  Sgr. 

I.  Wiggers',    Grammatik  der    spanischen    Sprache.      (Leipzig,    Brockhaus.) 

iy2  Thlr. 
Goldsmith,  Oliver,   the  Vicar  of  Wakeneid,  a  tale.     Nach  Walter  Scotts 

verbessertem    Texte    durchgängig     accentuirt.      Nebst    sacherklärenden 

Noten  und   einem   vollständigen  Wörterbuche  mit   der  Aussprache  nach 

J.  Walker,  St.  Jones  u.  Will.  Perry.     Bearbeitet   von  Ch.  H.  Plessner. 

10.  Aufl.  Stereotyp -Ausgabe,  geh.   (Braunschweig,  Westermann.)    10  Sgr. 

Literatur. 

J.  Haupt,  Beiträge  zur  Kunde  deutscher  Sprachdenkmäler  in  Handschriften. 

1.  Die  Legende  von  der  heil.  Maria  Magdalena.  (Wien,  Gerold.)  4  Sgr. 
H.  Haas,  Die  Nibelungen  in  ihren  Beziehungen  zur  Geschichte  des  Mittel- 
alters. (Erlangen,  Bläsing.)  20  Sgr. 
J.  Saupe,    Die  Macht    des    deutschen    Kirchengesangs    in    der    Geschichte 

evangel.  Kernlieder  dargelegt.  (Zwickau,  Volksschriften -Verein.)  6  Sgr. 
J.  Kehr  ein,    Katholische   Kirchenlieder,  ;  Hymnen,    Psalmen.     (Würzburg, 

Stahel.)  22/3  Thlr. 

G.  Schwab,  Die  deutsche  Prosa  von  Mosheim  bis  auf  unsere  Tage.    2.  Aufl. 

3  Bände.     (Stuttgart,  Liesching.)  3  Thlr. 

J.  Scherr,  Schiller  und  seine  Zeit.  2.  Aufl.  (Leipzig,  O.  Wigand.)  1  Thlr. 
P.  J.  Geyer,  Studien  über   die  tragische  Kunst.     1.  die   aristotel.  Katharsis 

erklärt  und  auf  Shakspeare  und  Sophokles  angewandt.    (Leipzig,  Weigel.) 

9  Sgr. 
Les  anciens  poetes  de  la  France  publ.  p.  M.  F.  Guessard.    T.  V.  Huon  de 

Bordeaux.     (Paris,  Franck.)  1  Thlr.  20  Sgr. 

Merlin,   L'enchanteur ,   par   Edgar  Quinet.    2  vols.     (Paris,  Leipzig,  Dürr.) 

3  Thlr.  22i/2  Sgr. 
Theodore   Aubanel,    La    Miougrano    entreduberto.      (Avignon,    Leipzig, 

Brockhaus.)  1  Thlr.  5  Sgr. 

Lis  Oubreto  de  Roumanille.  (Avignon,  Leipzig,  Brockhaus.)  1  Thlr.  5  Sgr. 
F.  Eberty,  W'alter  Scott.     Ein  Lebensbild.     (Breslau,  Trewendt.)  2  Bände. 

3  Thlr. 
A.  C.  Cassani,  Saggio  di  proverbi  Triestini.     (Triest,  Coen.)  12  Sgr. 

Antologia  Espanola,  Coleccion  de  piezas  sacadas  del  teatro  antiguo  por 

Don  Carlos  de  Ochoa.     (Paris,  Leipzig,  A.  Dürr.)  1  Thlr.  7x/2  Sgr. 


Deutsche    Sprichwörter 

auf  biblischem  gründe. 


Als  anhang  zu  den  von  mir  im  anfange  dieses  Jahres  heraus- 
gegebenen „biblischen  Sprichwörtern  der  deutschen  spräche 
(Göttingen,  Vandenhoeck  und  Ruprecht)"  gebe  ich  hier  eine 
kleine  Sammlung  von  deutschen  Sprichwörtern,  sprichwörtlichen 
redensarten  und  ausdrücken ,  die  nicht  unmittelbar  der  heiligen 
schrift  entnommen ,  deren  Ursprung  jedoch  auf  dieselbe  zurück- 
zuführen ist.  Bemerkenswerth  ist  bei  mehreren  derselben  eine 
gewisse  hinneigung  zum  scherz  und  zum  witz,  ganz  wie  es  des 
deutschen  Sprichwortes  art  und  weise  ist. 


1)  Adam  iss.  (genes.  3,  6)  Agric.  746:  „daher  es  noch  hewtigs 
tages  kompt,  dass  die  menner  thun  müssen,  was  die  weiber  wollen." 
Eiselein  8. 

2)  der  alte  Adam  lebt  noch.  Geiler.  Eiselein  8.  Luther 
im  kleinen  katechismus  erklärt  im  hauptstück  von  der  taufe:  „es  be- 
deutet, dass  der  alte  adam  in  uns  durch  tägliche  reue  und  busse  soll 
ersäufet  werden." 

3)  es  ist  Adam's  rhetorik  die  schuld  auf  andere 
schieben,  (genes.  3,  12).  —  Lehm.  flor.  Eiselein  8.  in  einem  frag- 
ment  des  Waltharius,  Grimm  VI,  36  heisst  es:  „O  nimis  infide,  cur  sie 
mentire  super  me?  exemplaris  Adam,  qui  culpam  vertit  in  Evam." 

4)  Adam's  kinder  sind  Adam  gleich.    Körte  37. 

5)  Adam  sündigt  im  paradies,  Lucifer  im  himmel. 
Körte  36.   (vgl.  unten  nr.  65.) 

6)  wir  sind  alle  Adam's  kinder.  Parciv.  82,  17:  „wan  si 
sint  mir  alle   sippe   von  dem  Adämes  rippe."     liedeis.    187,   89:    „wir 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIU.  (J 


130  Deutsche  Sprichwörter 

komen  von  adame."  sassenkron.  (Scheller)  5,  1:  „we  sind  alle'Adames 
kind,  nä  des  fleisches  ärd  gesind."  Eschenl.  bresl.  stadtg.  II,  294: 
„gedenke,  dass  alle  menschen  einen  ersten  anhebenden  vater  gehabt 
haben."  Wittenw.  ring  44,  16:  „war  aus  sein  die  fürsten  gmacht? 
von  wannen  chümpt  die  herschaft  ?  sein  seu  nicht  alz  wol  sam  wir 
Adams  kinder?  daz  sag  mir!  trauwen ,  sprach  do  Riffian,  ez  ist  wol 
war,  daz  yederman  chomen  ist  von  Adams  leib  und  von  Evan,  seinem 
weib." 

7)  von  Adam  und  Eva  beginnen,  volksmund.  Eisel.  9.  ab 
ovo  incipere.  ano  yQafifirig  ciqisg&ui.  Erasm. 

8a)  Adam  muss  eine  Eva  han,  die  er  zeiht  was  er  ge- 
than.    (genes.  3,  12.)    Franck  121  b.  Lehm.  II,  32.    Simr.  75. 

8b)  das  seind  die  feigenbletterAde,  dass  ers  die  Eva 
zeihet  (vnnd  sich  mit  ihremvnflat  vnnd  dreck  wil  waschen 
vnnd  rein  machen)  Franck  8a.  Eisel.  8. 

9)  so  lange  als  Adam  und  Eva  im  paradiese.  (genes.  2, 
8.)  d.  i.  sie  haben  das  glück  nicht  lange  genossen.  Zehner  703. 

10)  keiner  der  nicht  nach  Adam  schmecke  und  der 
Eva  Unterröcke.  Lehm.  flor.  Eisel.  8.  Simrock  77. 

11)  Adam  und  Eva  den  apfel  äz: 

so  entgulte  ich  des  ich  nie  genäz.  (genes.  3,  6.) 
Wernher.  Martina  119  c.  67  heisst  es:  „von  eines  mensch  in  ger  kam  die 
sünde  alher  uon  erst  in  aldie  weit.  —  ach  we  vnd  frovde  selten,  daz 
wir  nv  muozen  gelten,  des  wir  doch  nie  enbizzen."  dazu  stellt  sich  ein 
Sprichwort  bei  Simrock  2077:  „mancher  muss  entgelten,  was  er  nie 
genossen  hat,"  welches  auch  Agric.  592,  Frank  18  a.  und  Lehm.  I, 
179  kennen,  derselbe  gedanke  liegt  in  den  Worten:  „ob  textoris  erratum 
sartor  vapulavit." 

12)  als  Adam  hackt'  und  Eva  spann, 

wer  war  da  der  edelmann?  (genes.  3,  17  —  19.) 
ebenso  niederländisch  aus  dem  16.  j.  (bei  Mone,  niederl.  litterat.  310): 
„doe  Adam  groef  ende  Eva  span,  waer  was  do  der  edelman."  bei 
Haussier  II.  Martin.  I,  466:  „liue  Jacob,  so  berecht  mi:  of  dat  volk 
al  comen  si  van  den  ersten  Adame,  twi  es  deen  edel,  dan  der  vri,  die 
derde  eyghin  man  daer  bi?  wannen  quam  desen  name?"  und  in  einem 
niederdeutschen  Schauspiele  (Schönemann  1855)  räth  Adam  der  Eva: 
„wy  wilt  ein  hantgebär  beginnen,  ek  wil  hacken,  du  scalt  spinnen." 
Fugger  erzählt  in  seinem  ehrenspiegel,  dass  kaiser  Maximilian  I.  unter 


auf  biblischem  grün  de.  131 

diese  worte,  die  jemand  zur  Verspottung  der  forschungen  über  das  alter 
des  kaiserlichen  Stammbaumes  auf  eine  wand  der  bürg  zu  Nürnberg 
geschrieben  hatte,  die  schönen  worte  setzte:  „ich  bin  ein  mann  wie 
ander  mann,  wan  dass  mir  gott  der  eren  gann."  Agric.  I,  264.  II,  384. 
Lehm.  II,  4.  bair.  sprich w.  I,  14.    Körte  38.  Eisel.  8.  Simr.  74. 

13)  goldene  äpfel  in  Silbernen  körben,  volksmund  nach 
proverb.  25,  11.  Eisel.  33. 

14)  ärzte  seind  unseres  herrgotts  menschenflicker. 
Lehm.  I,  48  nach  ecclstcus.  10,  10:  „und  wenn  der  arzt  schon  lange 
daran  flicket."  Eisel.  42.  Simr.  596. 

15)  baalspfaffen.  II  reg.  10.  vor  geld  fallen  Baalsbrüder 
wie  vor  dem  goldnen  kalbe  nieder.  Eisel.  50.  und  nach  ihm 
Simr.  674. 

16)  wer  für  den  andern  bitt',  erlöst  sich  damit,  das 
sprichw.  wird  in  den  alten  quellen  vielfach  als  biblisch  bezeichnet,  ich 
weiss  es  aber  nur  auf  I  Timoth.  2,  1.  und  Jacob.  5,  16.  zu  beziehen, 
so  heisst  es  in  einer  predigt  des  13.  j.  (fundgr.  I,  114,  4):  want  div 
heiige  scrift  div  sprichet:  qui  pro  alio  orat,  se  ipsum  liberat,  der  umbe 
den  andern  pittet,  der  wert  sich  selben.  Hartmann  im  arm.  Heinrich  26 
gibt  es  als  Sprichwort:  „man  seit,  er  si  sin  selbes  böte  unde  erloese 
sich  da  mite,  swer  über  des  andern  schulde  bite,"  ebenso  im  Gregorius 
3400 :  „wir  haben  daz  von  sime  geböte,  swer  umbe  den  sündaere  bite, 
da  loes  er  sich  selben  mite,  auch  Fridank  kennt  das  Sprichwort  39,  18. 
„merket,  swer  vür  den  andern  bite,  sich  selben  loeset  er  da  mite/4 
Wigalois  212,  18:  „im  selben  er  saelde  koufet,  swer  umbe  den  andern 
vrumt  gebet."'  in  breiterer  fassung  im  Titurel  1071:  „swer  so  den 
andern  meinet,  daz  er  vür  in  bitet  got  mit  riuwe,  da  mit  so  wirt  sin 
selbes  phant  gevriet  unt  ouch  sins  ebenkristen.'"  im  grossen  passional 
III,  591  liegt  ebenfalls  dieser  spruch  zu  gründe:  „ob  mir  ist  die  ge- 
wonheit  bi,  daz  ich  vur  iemanne  bite,  den  mit  leidem  ubertrite  ver- 
stricket hat  der  herte  knote,  oder  vur  den,  der  die  stat  bi  gote  im  zu 
gemach  entpfangen  hat,  daz  gibet  vil  ebene  gat  uf  min  gelucke  z'aller 
vrist."  und  noch  einmal  im  renner  24:  „wanne  geschriben  stat,  swer 
für  des  andern  schulde  bite,  sein  selbes  sele  lose  er  da  mite  und  tilge 
ouch  sein  missethat.'1'  Eiselein  556.  Simrock  1115:  „wer  für  den  andern 
bittet,  erlöst  sich  selbst. " 

17)  das  buch  der  vier  könige  aufschlagen,  volksmund, 
s.  v.  a.  das  kartenspiel  zur  hand  nehmen.  Eiselein  100. 

9* 


132  Deutsche  Sprichwörter 

18)  drei  buchstaben  machen  uns  eigen  und  frei  (Eva, 
Ave),  schon  die  heilige  schrift  betrachtet  Adam  und  Kristus  als  scharfe 
gegensätze,  wie  deutsche  dichter  Eva  und  (die  vom  engel  mit  „Ave" 
angeredete)  Maria,  vgl.  Otfrid  V,  8,  47  ff.  Roswitha,  beat.  virg. :  „quae 
pariens  mundo  restaurasti  pia  virgo  vitam,  quam  virgo  perdiderat  vetula." 
die  durch  ein  weib  in  die  weit  gekommene  Sündhaftigkeit  und  ihre  er- 
lösung  ist  dem  frauenehrenden  mittelalter  häufig  gegenständ  religiöser 
betrachtung.  so  heisst  es  in  dem  alten  lobliede  auf  die  jungfr.  Maria  10: 
(fundgr.  II,  142  ff.):  „Eva  bräht  uns  zwisken  tot:  der  eine  ienoch 
richsenöt.  du  bist  daz  ander  wib  diu  uns  brahte  den  lib.  der  tiufel  ge- 
riet daz  mort:  Gabrihel  chunte  dir  daz  gotes  wort:  sancta  Maria!" 
ebenso  werden  knechtschaft  (scalcheit)  und  freiheit  (fritum)  einander 
entgegengesetzt  in  der  litanei  aus  dem  12.  j.  (Massmann  316  —  328): 
„alse  der  tot  wart  braht  aller  der  werlde  uon  einem  wibe,  also  moste 
vns  zv  deme  ewigen  libe  ein  magit  wider  brengin.  —  eva  brahte  den 
tot,  dv  kuninginne  daz  leben,  si  den  fluch,  dv  den  segen.  si  daz  armote, 
dv  den  richtum,  si  di  scalcheit,  dv  den  fritum."  —  und  in  einem  ähn- 
lichen liede  bei  Wackernagel  (273):  „frouwe,  du  hast  virsuonit  daz 
Eva  zirstörte,"  oder  wie  es  eine  predigt  des  14.  j.  (101,  20)  ausdrückt: 
„deme  slangen  dem  Eva  gehorsam  was,  deme  zvtrat  Maria  sin  hovbet." 
das  sprichwörtliche  anagramm  (Eva  —  Ave)  kehrt  später  oft  wieder 
z.  b.  anegenge  35,  besonders  aber  bei  den  minnesängern ,  vgl.  v.  d. 
Hagen  III,  35,  12.  Konr.  gold.  schmiede  346:  „an  gabrieles  gruze; 
der  ist  ir  bester  underbint  an  im  drei  buchstaben  sint;  so  wir  die  lesen 
vur  sich  dan,  so  vinde  wir  geschriben  dran:  Aue,  der  neven  schrift 
wort,  so  wir  hinden  an  daz  ort  grifen  unde  her  wider  lesen;  so  muoz 
daran  gebildet  wesen:  Eua,  der  namen  virne."  unser  Sprichwort  findet 
sich  zuerst  vollständig  im  Renner  138:  „Eva  des  ersten  wibes  nam 
braht  uns  in  sunde  und  in  schäm,  daz  hinder  wart  her  vur  gekert,  da 
von  wart  unser  heil  gemert.  aue,  daz  vil  suzze  wort,  braht  vns  aller 
frevden  hört,  Eva  braht  vns  in  den  tot,  da  half  vns  ave  aus  der  not. 
aue,  sant  Marien  gruz,  mache  uns  aller  swere  buz,  dirre  buchstaben 
sind  nur  dri,  die  machten  vns  eigen  vnd  fri."  —  Agricola  I,  742  und 
II,  280  entnahm  es  ohne  zweifei  dieser  stelle  und  setzt  erläuternd  hinzu  : 
„Heva  hat  drey  buchstaben.  Aue,  daz  der  engel  zu  Maria  bracht,  da 
sie  gottes  mutter  werden  solt,  hat  auch  drey."  von  späteren  Sammlern 
kennen  es  Gruter  flor.  I,  22.  Eiselein  125.  Körte  765.  Simrock  1382. 

19)  von  Dan  bis  Bersaba,  volksmund  nach  judic.  22,    1.  s. 


auf  biblischem  gründe.  133 

v.  a.  von  einer  grenze  bis  zur  andern,  im  ganzen  lande,  bekanntlich 
war  Dan  die  nördliche,  Bersaba  die  südliche  grenzstadt  Palästina's. 
Eiselein  111. 

20)  als  David  kam  ins  alter,  da  sang  er  fromme  psal- 
ter.  Simrock  nr.  243.  nach  Eiselein  112  angeblich  im  volksmunde. 
Körte  nr.  828. 

21)  nach  Elia  kömpt  ein  Elisa  (Elisa  Eliae  successor). 
I  reg.  19,  21.  II  reg.  3,  11.   Sprichwort  nach  Zehner  753. 

22)  steh  Ephraim,  besinne  dich,  du  eilst  in  dein  ver- 
derben, so  lautet  der  im  ernst  und  scherz  als  Sprichwort  gebrauchte 
anfang  eines  kirchenliedes.  Eiselein  146.  Körte  nr.  1122. 

23)  was  die  erde  giebt,  das  nimmt  sie  wieder.  Simrock. 
nr.  2103.  anlehnend  an  genesis  3,  19. 

24)  das  ist  kein  evangelium,  was  er  sagt,  volksmund 
nach  Eiselein  156.  ebenso  heisst  es  in  einem  altniederländischen  ge- 
dichte,  (bei  Kaussler  II.)  rose  11229:  en  sijn  niet  ewangelien  al,  dat 
men  seit  ende  segghen  sal. 

25)  und  wenn  es  auch  das  evangelium  sagte,  ebenda?. 
Eiselein  erinnert  passend  anPlutarch:  tovto  fiev  ovde  Kärcovog  Xf'yoi'tog 
nifturöv  ianv  (istuc  incredibile  est,  etiamsi  dicat  Cato).  Erasmus. 

26)  was  achten  wir  des  Johannis  segen,  so  man  das 
evangelium  Matthaei  list!  Eiselein  156  aus  Fischart. 

27)  fische  fängt  man  mit  angeln,  leute  mit  Worten, 
bei  Lehmann  flor.  I.  und  daraus  bei  Eiselein  171  und  Simrock  nr.  2479 
nach  Matth.  4,   19. 

28)  folge,  so  bist  du  selig,  nach  Matth.  19,  27  ff.  Simrock 
nr.  2577.  Körte  nr.  1463. 

29)  verbotne  frucht  schmeckt  am  besten,  an  die  sage 
vom  sündenfall  erinnernd,  bair.  spr.  II,  172.  Körte  nr.  1634.  Simrock 
nr.  2852. 

30)  fühlen  lehrt  glauben.  Gruter  II,  52.  Simrock  nr.  2900. 
nach  Joh.  20,  25. 

31)  der  glaube  macht  selig.  Eiselein  240.  Körte  nr.  2177. 
Simrock  nr.  3663,  auch  mit  dem  zusatze  „der  tod  macht  stön-ig."- 
jedenfalls  nach  Marci  16,  16. 

32)  glaube,  wenn  du's  in  derhand  hast,  vielleicht  aus  einer 
quelle  mit  nr.   30.    Simrock  nr.    3675,    und  Eiselein  240  aus  Lehm. 


134  Deutsche  Sprichwörter 

floril.  I.  hierher  gehört  auch  aus  Brants  narrensch.  „den  glauben  legen 
sie  ihm  in  die  hant." 

33)  wer  nicht  glauben  will,  soll  fühlen,  frauenlist  (Co- 
locz.  cod.)  613:  „unde  geloube  nimmer  me,  waz  du  sihst,  du  griffest 
ez  e."  bair.  sprichw.  II,  143:  „was  man  nicht  greifen  kann,  muss  man 
glauben"  ist  wol  weniger  hierher  zu  stellen. 

34)  gott  lässt  uns  wol  sinken,  aber  nicht  ertrinken. 
Matth.  14,  30.  31.  in  einer  predigt  Nicol.  v.  Strassburg  (Mone  VIT,  278) 
heisst  es:  „unser  herre  lies  s.  Petern  wol  sinken  uf  dem  mer,  er  lies  in 
aber  nüt  ertrinken."  ebenso  bei  Rosenplut,  krieg  v.  Nürnberg:  „got 
blickt  awss  seiner  barrhüng  zynnen  vnd  lest  das  schiff  der  frumen  sin- 
cken,  das  es  einen  smalen  portt  gewynnt,  vnd  lest  es  doch  nicht  gar 
ertrinken;  Franck  82b.  G ruter  I,  45.  ähnlich  in  Hillebr.  bilderschatz 
22:  „last  gott  gleich  das  schifflein  sincken ,  last  ers  doch  nicht  gar  er- 
trinken, bair.  sprichw.  I,  203.  Luther  bei  Eiselein  250.  Körte  nr. 
2321.    Simrock  nr.  3851. 

35)  der  mensch  pflanzt,  gott  aber  giebt  dasgedeihen. 
I.  Corinth.  3,  6.  Simrock  nr.  7900a.  bietet:  „wenn  gott  das  gedeihen 
nicht  giebt,  so  hilft  unser  pflanzen  und  wässern  nicht. 

36)  gott  ist  mit  im  schiffe.  Agricola  I,  29  sagt:  ich  halt, 
das  diss  Sprichwort  herkomme  aus  dem  geschichte,  das  der  Evangelist 
Matthäus  (8,  23)  schreibt,  da  Christus  mit  seinen  aposteln  auff  dem 
meer  war  vnd  schlieff.  bei  Zehner  761.  Petri  schifflein  ist  gleichbedeutend 
mit  der  römischen  kirche,  s.  unten  nr.  104.  Eiselein  249.  Simrock 
nr.  3868. 

37)  wen  gott  am  liebsten  hat,  den  führt  er  jung  heim, 
sap.  4,  7.  10.  14.  Konr.  v.  Würzb.  (v.  d.  H.  III,  32,  7)  singt:  „daz 
die  milten  alse  vrüeje  sterbent ,  daz  geschiht  davon ,  daz  ir  alze  kume 
got  in  himels  rüme  wil  enbern  ze  stetem  ingesinde.  lange  lät  er  si  nicht 
leben  nf  erden."  Franck  145  a.  Gruter  I,  75.  Körte  nr.  2373.  Sim- 
rock nr.  2997.  so  sagt  auch  Plautus  „quem  dii  amant  juvenis  moritur, 
dum  valet,  sentit,  sapit."  proverb.  illustr.  194. 

38)  also  hat  gott  die  weit  geliebt  —  und  der  pfaff 
seine  Köchin.  Joh.  3,  16.  mit  einem  scherzhaften  trugschlusse. 
Eiselein  254.  Simrock  nr.  4015. 

39)  wer  gott  liebt,  ehrt  auch  seine  boten.  Joh.  5,  23. 
Luc.  10,  16.  Eiselein  248.  253.  Körte  nr.  2342.  Simrock  nr.  3985. 
Bebel:  „qui  deum  diligit,  huic  grati  sunt  et  nuntii  ejus. 


auf  biblischem  gründe.  135 

40)  es  ist  etwas  grosses,  gottes  wort  und  ein  stück 
brot  haben.  Matth.  4,  4.  Simrock  nr.  4013. 

41)  wenn  gott  will,  macht  er  auch  aus  feinden  freunde, 
prov.  16,  7.  Schottel,  v.  d.  teutschen  haubtsprach. 

42)  wie  gott  den  men sehen  findet,  darnach  er  ihn 
gesindet,  (tze  himmel  oder  tze  helle),  hat  uns  di  heilig  schrift  gesait, 
sagt  Snchenwirt  xxx,  45.  und  im  lieders.  64,  71:  jeder  mensch  nach 
siner  tat  hat  jn  jener  weit  ain  stat.  nach  Rom.  2,  6:  welcher  geben 
wird  einem  jeglichen  nach  seinen  werken  ect.  zu  welcher  stelle  man  das 
gleichniss  Matth.  13.  und  folgende  stellen  der  schrift  halten  möge: 
Jerem.  17,  10.  ps.  62,  13.  Matth.  16,  27.  I  Corinth.  3,  8.  II,  5,  10. 
Eiselein  251. 

43)  über  des  gottlosen  haus  streut  gott  schwefel  aus. 
genes.  19,  24.    Simrock  3930. 

44)  gute  und  böse  müsssen  unter  einander  sein,  wahr- 
scheinlich nach  Matth.  13,  24  —  30.  36  —  43,  wenigstens  heisst  es  in 
einer  predigt  des  13.  j.  (fundgr.  I,  126:)  die  guten  unde  die  ubeln  sin 
unter  ein  ander,  die  wile  unde  disiv  werlt  stet,  daz  saget  uns  das  heilige 
euangelium.   Agricola  II,  335. 

45)  das  dank  euch  Herodes.  volksmund  nach  Eiselein  301. 
Günther:   Herodes  dank  euch  für  das  lied,  s.  v.  a.  der  teufel. 

46)  er  sieht  w ieHerodesz um  fenster  heraus.  Eiselein  301. 

47)  arm  wie  Hiob.    lob  17,  6, 

48)  Hiobs  plage  war  ein  böses  weib.  Eiselein  313.  Sim- 
rock nr.  4766. 

49)  die  Hiobspost  kommt  nach.  lob  1,  14.  Eis.  313. 
Simr.  nr.  4767. 

50)  der  weg  zum  himmel  geht  durch  kreuzdorn.  Sim- 
rock nr.  4747.  Eiselein  311,  erinnernd  an  Kristi  kreuzestud  und 
himmelfahrt.  ähnlich  im  englischen :  the  way  to  heaven  is  by  vveeping 
cross. 

51)  an  höfen  giebt  es  mehr  Achitophel  als  Josephe. 
II  Samuel.  17,  7.  genes.  41,  33  —  36.  Ahitophel  gab  Absalom  den 
unklugen  ratli ,  David  nächtlich  zu  überfallen;  Joseph  dem  Pharao  den 
klugen  rath,  Egypten  durch  erbauung  von  kornhäusern  vor  der  hungers- 
noth  zu  schützen.    Simrock  nr.  4809. 

52)  betrug  hat  Jacobs  stimme  undEsaus  hand.  s.  bibl. 
sprichw.  nr.  5.  Lehm.  flor.  I,  91.   Simrock  nr.  1002. 


136  Deutsche  Sprichwörter 

53)  das  ist  der  alte  Jacob,  8.  v.  a.  Schlendrian,  anlehnend 
an  genes.  43,  27.    45,  3.    Körte  nr.  3106. 

54)  lieber  bruder  Jesu,  zu  Jerusalem  empfing  man 
dich  schön,  wieerging  es  dir  aber  hernach.  Matth.  21.  Agri- 
cola  I,  283  läset  diese  worte  den  narren  des  bischofs  von  Bamberg 
sagen ,  als  die  dem  bischofe  vorher  feindlichen  Nürnberger  ihm  ihre 
reverenz  machen.    Eiselein  348,    Simrock  nr.  5232. 

55)  ins  thal  Josaphat  laden.  Joel  3,  7.  17.  (II  Krön.  20.) 
Pauli,  schimpf  u.  ernst  CXVI.  Eiselein  349.  s.  v.  a.  dem  untergange 
weihen. 

56)  so  keusch  wie  Joseph.  Josepho  castior.  genes.  39.  Eras- 
mus  bietet  als  sprichwörtliche  vergleiche  (II,  10,  13:)  Melanione  ca- 
stiores.     Hippolyto,  Bellerophonte  castior.     Zehner  716. 

57)  wenn  der  rechte  Joseph  kommt,  sagt  Maria  ja. 
Matth.  1,  18.    Simrock  nr.  8248. 

58)  arm  und  fromm  war  nur  bei  Joseph  im  stall.  Luc. 
2,  7.  Lehm.  flor.  I,  43;  Simrock  nr.  468.  Eiselein  38.  Alcaeus  singt: 
mvtXQos  ovfttnoi  ia&Xog. 

59)  Judaskuss  ist  worden  neu,  fürt  gute  wort,  hält 
übel  treu.  Luc.  22,  48.  dass  des  Judas  kuss  sprichwörtlich  wurde, 
sagt  schon  Wolfram,  Parcival  634,  19:  daz  was  ein  kus  den  Judas 
truoc,  da  von  man  sprichet  noch  genuoc.  in  einem  geistlichen  gedichte 
(bei  Schade  —  Anseimus  249)  heisst  es:  kristenheit,  ir  sult  wizen  alle 
gewis ,  dat  noch  manic  Judas  is ,  der  dae  spricht  sueze  rede  ind  doch 
wenich  goits-  meint  dair  mede.  obigen  sprach  bietet  Rollenhagen, 
froschm.,  und  ähnlich  lautet  ein  sprach  des  16.  j.  (bei  Mone  VII,  501): 
Judas  kus  ist  worden  neu ,  guete  wort  und  falsche  treu ,  lach  mich  an 
und  gib  mich  hin,  das  ist  ytzundt  der  weit  sin.  Lange  ad  ag.  479  ver- 
zeichnet „ein  Judaskuss  geben."    Eiselein  350.     Zehner  772. 

60)  traue  keinem  judaskuss,  fremdem  hund  und 
pferdefuss.  Eiselein  350.  Körte  3197.  Luther  VII,  242  sagt: 
wer  nicht  weiss,  was  da  heisst  oscnlum  Judae,  Judaskuss,  der  lese  mit 
mir  die  historien  Arii  unter  Constantino,  so  wird  er  sagen  müssen, 
dass  Arius  weit  vber  Judas  gewesen  ist.     Zehner  ad  ag.  772. 

61)  er  ist  ein  mann,  wie  Judas  ein  apostel.  volksmund. 
Eiselein  350. 

62)  unangenehmer,  als  Judas  in  der  passion.  Körte 
nr.  3196. 


auf  biblischem  Grunde.  137 

63)  waere  Judas  zwier  getauft,  er  hätte  doch  den 
herrn  verkauft,  ähnlich  sagt  Reinrn.  v.  Zweter:  Jesus  krist,  den 
e  die  Juden  verkouften ,  waer  er  hie  an  erde ,  ich  waene  die  getouften 
Juden  ihn  noch  verkouften  sumeliche.  und  Hug.  v.  Trimbg.  renner 
14277:  vnd  wurde  Judas  zwirnt  getavft,  dennoch  het  er  got  verkavft. 
Sirnrock  nr.  5*262. 

64)  um  Judas  willen  sol  man  Kristum  und  die  apostel 
nicht  lestern.    Luther.    Zehner  763. 

65)  jedermann  befolgt  des  Judas  regel:  was  wollet 
ihr  geben  mir.     Lehmann  flor.  I.     Eiselein  211. 

66)  Judas  reu.  (poenitentia  Judae)  Matth.  27,  3  —  5.  gemeint 
ist  die  zur  Verzweiflung  führende  busse.     Zehner  775. 

67)  kommst  du  ans  kreuz,  so  tränkt  man  dich  mit  essig 
und  gallen.  Matth.  27,  48.  nach  Lehmann  bei  Eiselein  396.  Simrock 
nr.  5948. 

68)  jeder  meint  er  habe  das  grösste  kreuz.  Matth.  27,  32. 
Simrock  5940. 

69)  der  schwächste  muss  das  kreuz  tragen,  nach  der- 
selben biblischen  stelle.     Simrock  nr.  5941. 

70)  das  kreuz  gefasst  ist  halbe  last.  Franck  6a.  Gruter  I, 
10.  Simrock  nr.  5943.  in  ähnlicher  fassung  Fi*.  6  a.  Gruter  II,  13. 
Simrock  5944.  und  bei  Lehm.  flor.  I,  286:  das  kreutz  recht  fassen, 
so  ists  desto  gedultiger  zu  tragen. 

71)  kreuz  ist  nicht  bös,  wenn  mans  nur  fassen  und 
tragen  kann.     Franck  58a.    Simrock  nr.  5945.     Gruter  II,  13. 

72)  andrer  leute  kreuz  lehrt  das  eigne  tragen.  Franck 
177  a.    Gruter  I,  5.    Simrock  nr.  5946. 

73)  es  sind  viele,  die  mit  dem  kreuz  gehen,  aberwenig 
kreuzträger.  Simrock  nr.  5951.  Lehm.  flor.  I,  83:  die  leut  seynd 
Simons  von  Kyrene  geschlechts,  niemand  trägt  gern  gottes  kreutz,  man 
zwing  jhn  denn  dazu. 

74)  Krethi  und  Plethi  II  reg.  sprichwörtlich  s.  v.  a.  allerlei 
leute,  hohe  und  niedere,  ursprünglich  leibwache  und  tross  bezeichnend. 
Eiselein  109. 

75)  als  Kristus  allein  war,  versuchte  ihn  der  teufel. 
Matth.  4.    Eiselein  107.     Körte  nr.  804.     Simrock  nr.  131. 

76)  Kristus  wird  noch  täglich  gekreuzigt.  Simrock  nr. 
1445. 


U8  Deutsche  Sprichwörter 

77)  Kristus  ist  unser  fleisch  und  wir  sein  gebein. 
Ephes.  5,  30  und  Joh.  6,  51  —  59.  Hugo,  Martina  45 d.  99:  daz 
hovbit  ist  der  süeze  crist,  uon  dem  wir  lebin  alle  frist,  so  sin  wir  cristen 
oh  her  wider  alle  sament  sinv  lider.     Simrock  nr.  1447. 

78)  was  nicht  nimmt  Kristus,  das  nimmt  fiscus,  Matth. 
22,  17.  Luther  IV,  480:  quod  non  tollit  Christus,  tollit  fiscus.  Eiselein 
107.     Körte  nr.  803.     Simrock  nr.  1452.     Zehner  770. 

79)  die  wirte  haben  alle  Christo  den  list  abgelernt, 
us  wasser  win  zu  machen.    Joh.  2,  9.  Bebel.    Eiselein  107. 

80)  Kristus  las  st  wol  sinken  aber  nicht  ertrinken.  Matth. 
14,  30.    vergl.  oben  34.     Simrock  nr.  1446. 

81)  wer  Kristo  nachfolgt,  der  kommt  an  den  galgen. 
Matth.  10,  38.     Simrock  nr.  1442. 

82)  Kristus  hat  viel  diener  aber  wenig  nachfolger. 
Simrock  nr.  1441. 

83)  Kristus  hatte  kein  glück  auff  erden.     Gruter  I,  9. 

84)  Kristen  sind  dünn  gesäet,  jedenfalls  nach  dem  gleich- 
nis  vom  säemann  (Matth.  13).  Franck  101b.  121a.  Gruter  I,  9. 
Simrock  nr.  1443. 

85)  so  arm  wie  Lazarus.  Luc.  16,  19.  Iro  seu  Codro  pau- 
perior.     Ovid.     Zehner  770.     Eiselein  413. 

86)  einem  die  leviten  lesen.  Eiselein  422.  Körte  nr.  3839. 
s.  v.  a.  einem  sagen ,  was  er  zu  thun  oder  zu  lassen  hat ,  ihn  auf  das 
gesetz  (über  leviticus)  verweisen. 

87)  ein  gutes  licht  brennt  den  scheffel  durch,  bair. 
sprich w.  I,  116.    Matth.  5,  15. 

88)  Lucas  schreibt  nicht  also.  Agricola  I,  422:  hie  durch 
wirt  angezeygt,  das  S.  Lucas  Euangelion,  welches  S.  Paul,  der  He)'den 
Apostel,  sein  Euangelion  nennet,  vnder  den  Deutschen  etwan  alleyn  ist 
bekant  gewesen.  —  also  haben  die  Deutschen  die  geschrifft  Luce  jrs 
Euangelisten  fest  gehalten,  vnd  für  ein  warheyt,  vnd  wann  sie  jemandt 
wollen  seine  wort  verlegen  vnd  höfflich  verwerffen ,  haben  sie  gesagt : 
Lucas  schreibt  nit  also,  es  wirt  sich  anders  finden.  Eiselein  438. 
Simrock  nr.  6622. 

89)  es  geht  heimlich  zu,  st.  Lucas  schreibt  nicht  viel 
davon.     Körte  nr.  3954.     Simrock  nr.  6623.  gleich  dem  vorigen. 

90)  alte  marksteine  solt  du  nit  verrücken.  Lehm, 
floril.  I,  315  nach  proverb.  23,  10.     Eiselein  19. 


auf  biblischem  gründe.  139 

91)  die  marterwoch  lass  still  vergehn,  dein  heiland 
wird  schon  auferstehn.    Körte  nr.  4135.     Simrock  nr.  6840. 

92)  nach  der  marterwoch  kommt  ostertag.  Franck  175a, 
Lehm.  flor.  I,  79.     Gruter  II,  78.    Simrock  nr.  6839. 

93)  geschäftig  wie  Martha.  Luc.  10,  40.  41.  Zehner  769. 
Eiselein  452. 

94)  es  ist  Matthaei  am  letzten,  volksmund,  jedenfalls  nach 
Luthers  kleinem  katechismus:  „unser  herr  Jesus  Kristus  Matthaei  am 
letzten  spricht"  — .  Eiselein  454.  so  singt  Bürger  in  den  weibern  von 
weinsberg":  „doch  wenns  Matthä  am  letzten  ist,  so  rettet  oft  noch 
weiberlist." 

95)  sprich  mit  Mosen,  wenn  Aaron  den  schnupfen  hat. 
exodus  4,  10  —  16.  s.  v.  a.  bleib  mir  vom  leibe,  mein  schnupfen  könnte 
dich  anstecken !  man  gebraucht  das  Sprichwort,  wenn  ein  vorlauter  viel- 
frager  und  besserwisser  einem  etwas  abfragen  will,  ebenso  holsteinisch: 
sprik  du  Moses,  Aaron  hett  en  snöv.  Körte  nr.  4305.  Eiselein  473. 
Simrock  nr.  7111. 

96)  wenn  man  dem  volk  die  ziegel  doppelt,  so  kommt 
Moses,  exodus  1,  14.  als  denkspruch :  wenn  pharao  die  ziegel  doppelt, 
vnd  das  volck  .selbst  zur  arbeit  stoppelt,  gemeiniglich  vmb  dieselbe  zeit, 
sagt  man,  sey  Moses  auch  nicht  weit.  Zehner  724.  (quum  duplicantur 
lateres,  venit  Moses).    Eiselein  473.    Simrock  7110. 

97)  Moses  mit  den  hörnern  muss  man  zu  ho f  setzen, 
nicht  Kristum.  sagt  Luther  (nach  exodus  34,  29)  bei  Eiselein  315. 
s.  v.  a.  nicht  liebe  soll  da  regieren,  sondern  das  strenge  gesetz. 

98)  lang  mundwerk,  schlechter  gottesdien  st.  Matth. 
6,  7.    Sailers  weish.    Eiselein  477. 

99)  die  ganze  nacht  gefischt  und  nichtsgefangen.  Luc. 
5,  5.     volksmund.     Eiselein  484. 

100)  wer  vom  ölberg  kommt,  hat  den  tod  überwunden. 
Matth.  26,  30.    Simrock  nr.  7678. 

101)  derölbergist  schrecklicher  als  das  kreuz.  Simrock 
nr.   7679.     statt   „schrecklicher"  hat   Körte  nr.  4648    „schmerzlicher." 

102)  der  ungetreue  Peter  (infidus  et  invidus  Petrus).  Matth. 
16,  19.  was  gleich  vnser  herr  gott  gönnet,  das  vergönnet  doch  s.  Peter 
oder  der  vngetrewe  Peter.     Zehner  766. 

103)  Petri  Schlüssel  flüchtet  unter  Fetri  schwert 
Matth.  16,  18  und  Joh.  18,  10.  Luther.  Eiselein  504.  Simrock  nr.  7741. 


140  Deutsche  Sprichwörter 

104)  Petri  schifflein.  Matth.  8,  23.  die  kristenheit  wurde 
unter  diesem  bilde  verstanden,  so  in  einer  predigt  bei  Grieshaber  I,  67: 
„do  schef  do  da  haizet  diu  hailige  cristenhait , "  und  II,  31:  „bi  dem 
scheffelin  ist  uns  betütet  die  hailige  cristenhait  und  bi  dem  mer  ist  uns 
bezaichent  diziu  weite."  im  renner  Hugos  heisst  es  23139:  „daz  cristen 
levte  trost  gemert,  daz  sant  Peters  schiffelin  leiden  muz  noch  manic 
pein,  nv  sol  do  von  ertrinken  niht,  swie  vil  auch  leides  im  geschiht." 
das  bild  begegnet  mehrmals  bei  Brant,  narrensch.  261,  200:  „das 
schifflin  schwancket  vff  dem  mer,  wann  Kristus  yetz  nit  selber  wacht, 
es  ist  bald  worden  vmb  vns  nacht."  269,  63  klagt  er:  „s.  Peters 
schifflin  ist  jm  schwangk,  ich  sorg  gar  vast  den  vntergangk!"  — 
Luther  hofft  glaubensvoll:  „s.  Peters  schifflin  ist  im  schwank,  doch  sorg 
nit,  dass  es  Untergang!"  —  Mencke  (script.  rer.  germ.)  II,. 88:  illud, 
quod  papa  Pius  ejus  nominis  secundus  Turcarum  imperatori  Mauhemeto 
id  ipsum  conanti  et  minanti  inter  alia  metrice  ut  sequitur  dixit  scripsit- 
que:  „niteris  incassam  Petri  subvertere  navem  —  fhictuat.  at  nunquam 
mergitur  ista  ratis.  in  einer  anmerkung  hierzu  heisst  es  jedoch:  constat 
vulgo,  hunc  versiculum  Gregorium  IX.  potius  reposuisse  Friderico  II 
imperatori.  in  Hiltebrandts  bilderschatz  ist  die  schwebende  kirche  Kristi 
abgebildet  mit  der  Unterschrift :  ,.jactatur  mundi  mediis  ecclesia  in  undis  : 
sed  tarnen  in  portum  ducit  agetque  deus.  die  kirch  treibt  hin  und  her 
der  nord,  so  doch  gott  führt  zur  ruh  und  port."  Eiselein  504. 

105)  er  weiss  noch,  dass  st.  Peter  ein  schüler  war. 
Körte  nr.  4697. 

106)  da  Petrus  gen  hof  kam,  ward  er  ein  schal k.  Matth. 
26,  75.  — ,  ward  ein  schalk  daraus  Agricola  I,  282.  Zehner  773. 
Lehm,  floril.  I,  390.  860.  Franck  39a.  Gruter  I,  3.  —  verleugnete 
er  seinen  herrn  und  meister.  volksmund  nach  Eiselein  315  und  Sim- 
rock  nr.  4821. 

107)  der  hahn  Petri  krähet,  s.  v.  a.  hier  ist  verrath  im  spiele, 
volksmund.    Eiselein  504. 

108)  man  muss  Pilato  mit  dem  kaiser  dreuen.  Job.  19, 
12.    Lehm,  floril.    Eiselein  358.    Simrock  nr.  7928. 

109)  Pilatus  wandert  nicht  aus  der  kirche,  er  richte 
zuvor  einen  lärmen  an.     Simrock  nr.  7927. 

110)  wie  kommt  Pilatus  ins  credo?  Gruter  I,  56.  Simrock 
nr.  7929.  s  v.  a.  schon  mancher  wurde  auf  seltsame  weise  berühmt, 
er  ist  dazu  kommen,  wie  Pilatus  ins  credo.    Eiselein  512. 


auf  biblischem  gründe.  141 

111)  man  gedenkt  seiner,  wie  des  Pilatus  im  credo. 
Agricola  I,  633:  „des  Pilati  wird  hie  gedacht,  aber  in  keinem  guten, 
des  Herostrati  gedenkt  man  auch,  aber  ebenn  wie  Pilatus  im  credo,  das 
ist,  das  er  hatt  übel  gethan."  Zehner  777  (mentio  qualis  Pilati  in 
symbolo).     Eiselein  512.    Körte  nr.  4810.     Simrock  nr.  7930. 

112)  sie  werden  einig  wie  Pilatus  und  Herodes  wider 
Kristum.  vergl.  oben  bibl.  sprichw.  Luc.  23,  12.  Pauli  schimpf  u. 
ernst.    Eiselein  512. 

113)  von  Pontius  zu  Pilatus  (eigentlich  wol —  von  Herodes 
zu  Pilatus)  weisen,  laufen.  Matth.  27,  2.  bei  Hattemer  (II,  524) 
ist  zu  den  Worten  des  symbolum  apostolorum  „passus  sub  pontio  pilato" 
die  erklärung  gefügt:  ziu  chit  iz  pontio  unde  pilato?  ana  daz  er zeuuene 
namen  habeta  näh  romiskemo  site.  aide  iz  ist  nomen  patriae ,  daz  er 
föne  ponto  heizet  pontius.  Zehner  775:  ab  Herode  ad  Pilatum.  Geiler 
sagt:  sie  weisen  dich  von  Pontius  zu  Pilatus,  und  dass  du  holest  die 
zünscher  und  den  Wetzstein  uf  dem  julimarkt,  da  es  zu  spät  ist.  Eiselein 
512.     Simrock  nr.  7931. 

114)  ein  p salter  lesen.  Keller  erzählg.  184,  34:  so  hebt  er 
an  ein  grosses  promen  vnd  spricht:  wo  bist  so  lang  gewesen?  vnd  thut 
mir  dann  ain  psalter  lesen,  s.  v.  a.  die  leviten,  den  text,  die  epistel 
lesen,  jemanden  abkanzeln. 

115)  den  psalter  essen.  Brant,  narrensch,  173,  5:  vnd  hat 
den  psaltter  gessen  schyr.  ebenso  bietet  Eiselein  516:  er  hat  den  psalter 
gessen  schier  bis  an  den  vers  beatus  vir. 

116)  solche  worte  stehen  im  psalter  nit  (sagt  man  sprich- 
wortsweise, wenn  grobe,  vnliebliche  wort  gefallen)  Scheraeus  misc. 
hier.  52. 

117)  er  sitzt  wie  Rachel  auf  den  götzen  mit  dem  ars. 
Luther,  nach  Eiselein  255.    genes.  31,  34. 

118)  ein  krankes  röhr,  das  vom  winde  bewegt  wird, 
ein  sprichwörtliches  gleichnis  nach  Matth.  11,  7.  so  bei  Kaussler  II 
(Martijn  721):  ghie  siet  alse  tokrancke  rißt,  dat  den  winde  volget  ende 
vliet:  hu  onghestadichede  maect  hu  den  onvrede.  dasselbe  bild  in  einem 
Sprichworte  bei  Gruter  III,  22.  (Simrock  nr.  12087):  die  zeit  ist  un- 
stät  wie  ein  röhr,  wer  ihr  vertraut,  der  ist  ein  thor. 

119)  ein  reicher  und  geiziger  sind  Salomos  esel.  Agri- 
cola I,  507.  oder  in  anderer  fassung  bei  Zehner  751.  Simrock  nr. 
8354:  ein  karger  reicher  ist  Salomos  esel.    das  Sprichwort  scheint  von 


142  Deutsche  Sprichwörter 

Agricola  herzurühren  :  „darumb  wann  Salomon  sagt  inn  seinen' sprächen  : 
was  hat  der  geytzige  von  aller  seiner  arbeyt  vnnd  mühe,  dann  angst 
vnd  not?  —  so  pflege  ich  einen  reichen  geitzigen  Salomos  esel  zu 
nennen,  die  weil  es  jm  eben  gehet,  wie  dem  esel."  Franck  44  b.  Tappius 
382.    Körte  nr.  5017. 

120)  so  reich  —  so  weise  wie  Salomo.  salomonische 
Weisheit,  lieders.  Salomon  wisheit  lerte:  Markulf  daz  verkerte. 
Otfr.  Salomo  der  richo  ni  watto  sich  gilicho.  (I  reg.  3,  12).  daz  man 
begunde  glichen  sinen  wistuom  Salomöne  Erec.  2814.  und  waeren 
wise  als  der  man  der  Salomon  genennet  was.  livl.  reimkron,  28.  pru- 
dentior  hie  Salomöne,  eebas.  754.  so  sijn  si  vroeder  dan  die  wise 
Salomon,  reinaert  5064.  die  ob  den  wisen  Salomon  mit  rehter  wisheit 
truogen  krön.  Martin.  Hugos  74,  17.  bist  dv  so  wise  als  Salomon 
renner  20862.     Zehner  751.    Eiselein  538. 

121)  Salomo  (selbst  dieser  weise)  ist  von  einem  weibe  be- 
zwungen. Parcival  289,  16:  der  minne  er  muose  ir  siges  jenen,  diu 
Salmönen  ouch  betwanc.  sprichwörtlich  verwiesen  die  dichter  des 
mittelalters  auf  Adam ,  Simson ,  David ,  Absalon ,  Salomo ,  Achill, 
Aristoteles,  Virgil  etc.  so  in  Herborts  troj.  krieg.  11225:  wer  alle 
diese  werlt  an  mich  gewant  vnd  lute  vnd  lant,  die  stereke  von  Samsone, 
die  schone  von  Absolone  vnd  Salomonis  wisheit  vnd  dirre  werlde  richeit 
an  silber  vnd  an  golde,  vmbe  minne  ich  ez  geben  wolde,  —  sagt 
Achilles  zu  Polixene.  auch  Fridank  übergeht  den  sprichwörtlichen  ge- 
danken  nicht  104,  22:  Adam  unde  Samsön,  Davit  unde  Salomon,  die 
heten  wisheit  unde  kraft,  doch  twanc  si  wibes  meisterschaft.  Winsbeckin 
23,  6.  künc  Salomon,  swie  wise  er  was,  ir  wart  sin  herze  niht  verzigen. 
jung.  Titurel  1726:  so  beginnet  in  die  minne  vahen,  sam  sie  vienc 
Sampsonen  vnd  Daviten  vnd  Salomonen  den  wisen ,  da  die  niht  minne 
mohten  an  gestriten.  gesamt  abent.  II.  446 :  wibes  kunst  ist  ane  zil. 
daz  si  vil  wol  bewaeret:  von  wiben  wart  ervaeret  Adam  unde  Samsön, 
Davit  unde  Salomon  unde  die  besten  alle,  ebenso  Suonenburck  IV,  11 
(Minn.  v.  d.  H.).  Konrad  troj.  kr.  2163  sagt:  „was  mohte  Salomönes 
liste  gehelfen  wider  mine  kraft,"  und  er  nennt  weiter  David,  Adam  und 
Sampson,  wie  Hugo  (Martina  132  d.)  an  Adam,  David,  Salomo  und 
Sampson  erinnert.  Lassbergs  lieders.  I.  10,  1:  syd  Adam  vnd  ouch 
Samsön,  kunig  David  vnd  her  Salomon  mit  listen  hant  betrogen  wip. 
ebend.  178,  501:  Samsön,  Salomon,  David  mohtent  jr  gestritten  nit. 
Ottok.   reimkr.   168:   (minne   betwanc)  den   weisen  Salomon  vnd  den 


auf  biblischem  gründe.  143 

starkchen  Samson.  der  renner  (12906)  nimmt  Fridanks  oben  angezogene 
stelle  auf.  Boner,  edelst.  57,  107:  her  Adam  wart  ertoeret,  Troje  wart 
zerstoeret,  her  Sampson  wart  erblendet,  her  Salomön  geschendet. 
Frauenlob  141:  Adam,  den  ersten  menschen,  betroug  ein  wip.  Samsones 
lip  wart  durch  ein  wip  geblendet.  Davit  wart  geschendet.  her  Salomön 
ouch  gotes  richs  wart  durch  ein  wip  gepfendet.  weiter  werden  Absalon, 
Virgilius,  Olofern,  Aristoteles,  Achill,  Asahel,  Artases,  Parcivai  genannt. 
Otto  v.  Passau,  Belial  153b:  wan  Adam  der  erst  mensche,  Dauid  der 
heylig,  Salomön  der  weis,  Sampson  der  starck  wurden  mit  frawen  über- 
wunden, ferner  in  dem  niederländischen  gedichte  Martijn  (Kaussler  II, 
II,  222):  wat  machte  hadde  Samsoen,  of  Dauid,  of  Salomoen  ieghen 
die  cracht  van  minnen.  ein  tagelied  H.  v.  Montforts  (Wackernag.  les. 
951)  erinnert  ebenfalls  an  David,  küng  Salomön  den  weysen  (ain  weib 
betrog  jn  auch) ,  an  Samson ,  Absolon,  Aristoteles  und  an  die  helden, 
die  durch  Kriemhilt  starben,  ebenso  meister  Otto,  Eraclius  2457  —  59 
an  Salomön  und  Sampson.  fastnachtsp.  1039,  1:  nun  glich  ich  doch 
Salomön,  Aristoteli,  Vergilio  und  Samson,  die  wisssten,  stercksten 
gwesen  sind,  an  wyben  auch  waren  erblindt.  meister  Altswert  203,  14: 
Adam ,  den  edeln  werden  bezwengt  du  mynn ,  alleyn  Sampson ,  den 
starcken  blinden,  könig  Salomön  den  riehen  und  Absolon  den  schoenen. 
altd.  blätt.  I,  57:  durch  die  frowen  betrog  er  auch  den  allerstercksten 
Sampson ,  den  allergutigsten  könig  Dauid  vnd  den  allerwisesten  konig 
Salomön  ect.  und  ebend.  I,  76,  19:  sint  Adam,  ons  eerste  vader,  David, 
Sampson,  Salomön  algader  bedroghen  sijn  van  wiven,  wie  sei  dan  on- 
bedroghen  bliven  ?  andere  stellen  sehe  man  in  Hatzler.  91a.  u.  91  b. 
und  269  b.  Antwerp.  liederb.  93,  4.  172,  5:  Ambras,  liederb.  102,  8. 
auch  noch  bei  Franck,  sprichw.  143  a.  (1548)  und  späteren.  Eiselein  8. 

122)  stark  wie  Simson.  sprichwörtlicher  vergleich,  so  z.  b. 
Erec  1817:  an  sterke  Samsones  gnöz.  fastnachtsp.  1150:  hab  dir 
Sampsons  sterck  vnd  krafft.     Zehner  741. 

123)  Samson  war  ein  starker  mann,  aber  er  konnte 
nicht  zahlen  eh  er  geld  hatte,  volksm.  Eiselein  539.  Simrock 
nr.  8691. 

124)  den  sand  am  meere  zählen,  volksmund  nach  genes  22, 
17.  Ebrae.  11,  12.  so  im  wartburgkr.  363:  ob  du  dez  meres  grieze 
soldez  zeln  und  alle  sterne  sunder  nennen ,  ich  bin  doch  un verlorn. 
Kirchb.  mecklbg.  reimkron.  XL:  unezelich  als  des  meres  griez.  Berth. 
predgt.    142:    wanne  als   wenig,    als    ich   uch   des  meres  griez  gezeln 


144  Deutsche  Sprichwörter 

möhte,    als    wenig  raohte   ich  uch   iemer   die  kleinsten  freuden  gezeln. 
Eiselein  539. 

125)  sanft  wie  die  tauben,  dumm  wie  die  gänse.  nach 
Matth.  10,  16  gebildet.    Simrock  nr.  8799. 

126)  er  ist  aus  Saulus  worden  ein  Paulus,  passional  II, 
182,  12:  nu  secht,  welch  wunder  hie  geschach,  da  vil  ein  homuter  Saul 
vnde  stunt  vf  demutiger  Paul,  der  lewe  zeime  lemmel  wart,  sin  vf 
tragende  hochvart  in  rechter  demuot  nv  gelach,  ebenso  Geiler  nach 
Eiselein  541.     Simrock  nr.  8770. 

127)  er  ist  verstockt  wie  der  linke  Schacher.  Luc.  23, 
39.     volksmund  nach  Eiselein  542.     Simrock  nr.  8775. 

128)  was  geschrieben  ist  das  ist  geschrieben.  Joh.  19, 
22.    Eiselein  230.    (quod  scripsi,  scripsi.) 

129)  die  schreib fe der  will  kaiserin  bleiben.  Gruter  III, 
22.  Zehner  739.  ein  apophthegma  Luthers  (IV.  440.)  nach  judic.  5, 
14:  „und  von  Sebulon  sind  regierer  worden  durch  die  schreibfeder. " 
Calamus,  imperator;  penna,  imperatrix.     Simrock  nr.  9202. 

130)  es  sieht  aus  wie  Sodom  und  Gomorrha.  es  geht 
zu  wie  in  S.  und  G.    volksmund  nach  genes.  19. 

131)  spreu  und  körn  ist  ein  sprichwörtlich  gebrauchtes  bild, 
das  sicher  seine  wiederholte  anwendung  den  Worten  Johannis  des  täu- 
fers  (Matth.  3,  12)  verdankt,  wiewol  gegen  eine  herleitung  aus  dem 
alltäglichen  leben  nichts  streiten  möchte.  Walther  v.  d.  v.  I,  18,  8: 
er  ist  daz  körn,  ir  sit  diu  spriu.  Frauenlob  (Ettmüller  132,  8)  singt: 
ir  sult  den  spriuw  scheiden  von  dem  kerne.  Hugo,  Martina  48,  12:  als 
hulschin  von  dem  weizin  habent  kleine  nutze,  alse  sint  verdruze  äne 
wisheit  alle  tugent.  passional  III,  454,  7:  also  hete  er  die  spru  verlorn 
(d.  i.  irdisches  gut)  und  behielt  daz  edele  körn,  ich  meine  krist  mit 
tugenden.  repg.  kronik  (Eccard  I,  1350):  it  muste  gelutteret  werden 
de  wete  van  deme  kave.  Schillings  eis.  kronik  200  und  334:  damit 
die  sprwwer  von  dem  kernen  kommen,  die  spriuw  ist  gestoben  von 
dem  kernon ,  sprach  Rud.  v.  Erlach ,  als  eine  schaar  von  feiglingen  aus 
der  schlacht  bei  Laupen  floh,  auch  Uhland  singt :  das  körn  sich  scheide; 
von  der  spreu.  Eiselein  575.  nur  in  einem  Sprichworte  bei  Simrock 
nr.  9774  „viel  spreu,  wenig  körn"  findet  sich  unser  bild. 

132)  stirbstu,  so  begrebt  man  dich  mit  der  haut;  das 
thut  man  einem  esel  nit.  Agricola  I,  506  nach  Jerem.  22,  19. 
auch  bei  Megerle  nach  Eiselein  153.  Grater  II,  88.  Simrock  nr.  9886. 


auf  biblischem  gründe.  145 

133)  der  teufel  säet.  Matth.  13,  39.  ein  lateinisches  sprichw. 
in  den  altd.  blätt.  I,  11.  lautet:  quisquis  arans  sevit  cum  daemone 
semen  amittit.  Fridank  67,  25:  den  sämen  kan  der  tiufel  geben. 
Walth.  31,  34:  des  tiefeis  same.  Hugo,  Martina  57c.  72,  sagt:  in  ir 
herzen  -was  gesemet  dez  tievils  krut  vnd  och  sin  wurtz.  MS.  II,  lila, 
der  tievel  hat  gesaet  den  sinen  sämen  in  diu  lant.  Keller,  erzählg.  248. 
24:  wy  sät  der  teufel  nur  seinen  samen !  ein  Volkslied  (bei  Uhland 
166,  1)  vom  j.  1450  singt:  „das  hat  der  bös  vernommen,  valschen 
samen  hat  er  gesät,'"  ein  anderes  vom  j.  1520  (180,  25):  ich  muss 
den  teufel  schelten ,  er  het  gern  säumen  gesät,  nach  einer  erweiterten 
Vorstellung  sagt  der  gemeine  mann  von  pockennarbigen  gesichtern:  „der 
teufel  hat  erbsen    auf  ihm   gedroschen."     vgl.  Grimms  mytholog.  964. 

134)  der  teufel  hat  mehr  denn  zwölf  apostel.  Eiselein 
592.    Simrock  nr.  10177. 

135)  was  der  teufel  gefügt  hat,  scheidet  gott  nicht, 
(d.  i.  hurer  und  kebsweiber.)  Simrock  nr.  10180,  und  Eiselein  591 
bietet  nach  Zincgref  und  Pauli:  „die  der  teufel  zusammenfügt,  kann 
nieman  trennen,  und  die  gott  zusammengefügt,  halten  selten  an  ein- 
ander." 

136)  der  fährt  herum  wie  der  teufel  im  buche  Hiob. 
Eiselein  589.  lob  2,  2. 

137)  wie  der  teufel  die  schrift  anführt.  Matth.  4,  4.  6. 
Körte  nr.  5915.  Eiselein  593:  so  richtig,  wie  der  teufel  die  schrift 
citiert. 

138)  den  text  lesen  vgl.  oben  86.  Eiselein  593.  Scheraeus 
misc.  hier.  78:  d.  i.  einem  faulen,  bösen,  verlogenen,  falschen  die  Wahr- 
heit nach  einander  hersagen,  so  derb  als  die  faden  auff  einander  gehen. 
Uhlands  volksl.  I,  110,  5:  so  hat  sie  mir  den  text  gelesen.  Hoffmanu 
deutsch,  gesellschftl.  64,  102:  bei  miner  mutter  bin  ich  gewesen,  ich 
mein,  sie  hab  mir  den  text  gelesen. 

139)  ihr  kommt  zu  tief  in  den  text.    Eiselein  593. 

140)  nur  weiter  im  text!     Simrock  nr.  10228. 

141)  der  text  besteht,  die  gloss  vergeht,  oder:  der  text 
nicht  treugt,  die  gloss  oft  leugt."  hierher  gehört  des  Matthesii  distichon 
wider  allerlei  falsche  glossentichter:  textus  durabit ,  multos  speciosa 
fefellit  glossa.    Dei  verbo  nitere,  tutus  eris.     Scheraeus,  misc.  hier.  78. 

142)  ein  ungläubiger  Thomas.  Joh.  20,  29.  Eiselein  594. 
Simrock  nr.  10263. 

Archiv  f.  n    Sprachen.     XX VIII.  10 


14C  Deutsche  Sprichwörter 

143)  Thomas,  zweifelst  du  noch? 

lege  deinen  finger  in  mein  loch!  eine  leichtfertige 
anwendung  der  worte  Kristi  Joh.  20,  27.  volksreim  bei  Eiselein  594. 
Simrock  nr.  10262. 

144)  eine  Tobiasnacht  halten.  Tob.  8,  1  —  6.  d.  i.  fleissig 
in  der  brautnacht  beten.  Neoc.  kronik  d.  Ditmarsch.  I,  117:  unde  bliven 
offt  brutt  unde  brudegam  bisamen,  werden  ock  wol  wedder  upgenamen, 
dat  se  ehre  Tobiasnacht  holden. 

145)  unkraut  unter  dem  weizen.  ein  sprichwörtliches 
gleichnis  nach  Matth.  13,  25.  carm.  buran.  192,  3,  1:  sicut  cribratur 
triticum,  also  wil  ich  die  herren  tuon,  liberales  dum  cribro,  die  bösen 
risent  in  daz  stro,  viles  sunt  zizania.  vgl.  oben  131. 

146)  ein  Uriasbrief.  Sam.  II,  12,  14.  BeXXeQoqiovttjg  xa 
yQ(ifi[A,ara.  Bellerophontes  litteras.  Erasm.  Tappius  462.  Zehner  744. 
Eiselein  614. 

147)  der  verräther  schläft  nicht.  Zehner  772 :  Judas  non 
dormit.  Matth.  26.  Hiltebrants  bildersch.  376.  Körte  nr.  6263 
Simrock  nr.  10883. 

148)  Vertraulichkeit  war  in  der  arche  Noas.  Lehm, 
flor.  bei  Eiselein  619.     Simrock  nr.  10939. 

149)  lass  vöglein  sorgen!  Matth.  6,  25.  26.  renner  23853: 
seit  got  die  kleinen  vogelein  beschirmet,  daz  in  ir  klolein  nicht  erfriesent 
in  dem  winter.  lieders.  216,  27:  frölich  lüt  hant  vögelin  vunden,  (also 
spricht  man  jetzt.)  Brant ,  narrensch.  250,  31:  losz  vöglin  sorgen! 
wann  gott  will,  so  kumbt  daz  glück,  zytt,  end  vnd  zyl.  Uhland,  volksl. 
213,  8:  ich  lass  die  vögel  sorgen  gen  diesem  winter  kalt,  und  in  zwei 
anderen  Volksliedern  bei  Doren  I,  261:  lass  klein  wald vöglin  sorgen. 
I,  254:  das  vöglein  lassen  sorgen.  Franck  38a.  lass  vöglin  sorgen, 
die  haben  schmale  beynlin.  Tappius  355.  holländisch:  lat  viölen  sorgen, 
Matth.  6,  28.  Gruter  I,  95.  Lehm.  flor.  I,  719:  die  vöglin  singen 
vnnd  haben  weder  körn  noch  gelt,  bei  Geiler  nach  Eiselein  622.  Körte 
nr.  6331.    Simrock  nr.  11014. 

150)  was  die  wand  bepisst  nicht  überlassen,  d.  i.  nicht 
einen  einzigen  mann,  eigentlich  biblische  redensart  in  den  stellen  I  Sam. 
25,  22.  34,  1.  I  reg.  16,  4.  14,  10.  II  reg.  9.  8.  erklärt  bei  Zehner 
606  und  in  Heumanni  poecile  I,  1  —  19. 

151)  die  weiber  sind  furchtsam  undrufenbald  st.  Peter 
zu:   steck  ein  dein  Schwert!    Joh.   18,   11.    Simrock  nr.  11315. 


auf  biblischem  gründe.  147 

152)  wölfe  in  Schafskleidern.  Matth.  7,  15.  acta  20,  29: 
Schafpelze  sind  äussere  zeichen  der  frömmigkeit,  denn  sie  wurden  von 
propheten  getragen  Ehr.  11,  37.  Sacharj.  13,  4.  darum  warnt  Kristus 
in  obiger  stelle  vor  den  falschen  propheten.  das  biblische  bild  wenden 
an:#  Clemens  Alexandr.  exhort.  ad  ethn. :  Xvxovg  nqoßäxav  xcodiotg 
rmyiBGfitvovg.  ebenso  Ignatius  und  Juvencus ''bei  Zehner  674  ff.  Werner 
v.  Elmendorf  721  (H.  z.  IV.):  niht  in  bizet  mit  so  scarfen  zanden,  so 
der  wolf  vnder  deine  scafene  gewande.  dune  hutis  dich  vil  garewe,  dich 
betrugit  des  wolfis  varvve.  Entecrist  (fundgr.  IL  111,  33):  idoch 
steckit  in  der  schafinin  hivte  daz  woluine  herze.  Phil,  marienleb.  6208: 
si  tragent  uzen  schäfgewant  und  innen  wolves  herz  si  hänt.  wälsche 
gast  962:  under  schoenem  vel  ist  valscher  rät.  man  sol  wizzn,  daz 
valsche  liute  hänt  niht  mer  schoene  wan  ir  hiute.  renner  385 :  der  ist 
gar  ein  lemblin  vzzen ,  dock  mak  ein  wolflin  da  wol  lavzzen.  Boner, 
edelst.  43,  91:  er  gät  dick  der  in  schäfes  wät,  der  eins  wolfes  herze 
hat.  Gerstenbg.  thür.  hess.  krön.  (Ayrmann  I,  16):  und  nicht  zuviel 
getrauen  nach  rath  des  hexametri  „pelle  sub  ouina  (agnina)  latet  (latitat) 
saepe  mens  lupina,  das  bedeut,  unter  dem  schafenfell  ist  dicke  verborgen 
wolffsgell.  Keller,  erzählg.  382,  5:  der  ist  scheffln  ussin  und  innewendig 
wolffes  ard.  in  der  reformationszeit  erschien  (o.  o.  u.  j.  4.)  ein  gedieht 
betitelt  „der  wolffgesang"  mit  dem  motto:  eyn  ander  hertz ,  eyn  ander 
kleid  tragen  falsche  wölffe  in  der  heyd.  vgl.  Eiselein  648.  Simrock 
nr.  11788  verzeichnet:  „oft  ist  eines  wolfes  herz  bedeckt  mit  Schaf- 
fellen. " 

153)  Wörter  sind  auch  Schwerter,  vgl.  Lucae  2,  35.  edelst. 
40,  43:  ir  wort  diu  snident  als  ein  swert.  Gruter  II,  119.  d.  weisen 
exemplspr.  herte  wort  verwunden  den  straffer  und  den  hörer.   vgl.  156. 

154)  Zachaeus  ist  auf  allen  kirchweihen.  Luc.  19,  5.  8. 
Franck  131b.:  Zacheus  in  allen  zechen,  urten  vnd  kirchenweihen. 
147  b.:  es  ist  wie  Z.  auff  allen  kirchweihen,  ebenso  bei  Geiler  nach 
Eiselein  654.  Körte  nr.  7044.  bair.  sprichw.  II,  109.  Simrock  nr. 
11954. 

155)  Zion  soll  man  nicht  mit  fleisch  und  blut  bauen. 
Simrock  12124.  die  biblische  stelle  vermag  ich  hierzu  nicht  nach- 
zuweisen. 

156)  die  zunge  ist  ein  Schwert,  ps.  55,  22.  57,  5.  64,  4. 
ecclesstc.    28,   22.     Gruter  II,  11.     Simrock  nr.  12189:   „böse  zungen 

10* 


148  Deutsche  Sprichwörter  auf  biblischem  gründe. 

schneiden  schärfer  als  Schwerter.  Franck  16  a:  darurnb  spricht  man, 
es  sei  nichts  über  ein  böse  zungen,  kein  scherpffer  Schwert.  Franck 
101  b:  es  ist  kein  böser  schwert,  dann  wo  ein  bös  zung  versert.  und 
in  ähnlichen  bildern  ergehen  sich  die  Sprichwörter  Simrock  nr.  12190: 
wäre  die  zunge  ein  spiess,  so  thäte  mancher  mehr  als  zehn  andere. 
12191:  böse  zunge,  bös  gewehr.  12189a:  für  böse  zungen  hilft  kein 
hämisch. 

C.    Schulze. 


Einige  Proben  von  Anwendung  der  Sprachwissenschaft 

auf  Bestimmung    völkergeschichtlicher   Verhältnisse,    besonders 

der  Ureinwohner  Deutschlands, 

durch  etymologische 

Untersuchung  der  geographischen  Namen. 


Ausser  dem  eigentlichen  oder  Selbstzweck  der  historischen 
und  vergleichenden  Sprachwissenschaft,  insofern  ihr  Gegenstand 
die  unmittelbare  Erforschung  der  Sprachen  an  und  für  sich  ist, 
lässt  sich  dieselbe  auch  dazu  anwenden,  dunkle  geschichtliche 
Verhältnisse,  von  denen  die  überlieferte  Geschichte  nichts  mehr 
oder  nur  Unvollständiges  und  Entstelltes  weiss ,  also  eigentlich 
vorgeschichtliche  Verhältnisse ,  aufzuklären.  Dieses  Resultat 
erzielt  sie  dann,  wenn  es  ihr  gelingt,  geographische  und  Völker- 
namen von  historischer  Wichtigkeit  etymologisch  richtig  zu 
deuten.  Ich  habe  bei  der  etymologischen  Zergliederung  der 
geographischen  Namen  Europa' s  überhaupt  und  Deutschlands 
insbesondere  das  Ergebniss  gewonnen  und  dies  bei  verschiedenen 
Gelegenheiten  darzulegen  gesucht,  dass  die  Ureinwohner  Deutsch- 
lands und  selbst  Skandinaviens,  nicht,  wie  Tacitus  es  zuerst 
lehrte  (Ipsos  Germanos  indigenas  crediderim,  etc.  De  situ, 
moribus  et  populis  Germaniae,  2)  und  viele  ihm  noch  bis  auf 
den  heutigen  Tag  auf's  Wort  glauben,  Germanen  waren,  sondern 
dass  ihnen  überall,  wo  sie  sich  nachher  geschichtlich  zeigen, 
als  nächste  Vorfahren  die  Gelten  voraufgingen.  In  Ansehung 
dieser  Celten  haben  in  Europa  und  auch  in  Deutschland  viele 
Vorurtheile  geherrscht  und  herrschen  zum  Theil  noch.  Die 
Beschäftigung  mit  dem  Celtenthum  so  wie  die  Abneigung 
dagegen  artete   in   eine    förmliche  Krankheit  aus  ;    es    herrscht 


150  Etymologische  Untersuchung 

abwechselnd  eine  Celtomanie  und  eine  Celtophobie,  so  dass 
man  nach  Schiller  sagen  konnte:  „Kaum  hat  das  wilde  Fieber 
der  Celtomanie  uns  verlassen,  bricht  in  der  Celtophobie  ein 
noch  viel  hitzigeres  aus.u  Aber  so  viel  hat  man  selbst  zur  Zeit 
der  Celtophobie  wohl  allenfalls  zugegeben,  dass  die  Celten  früher 
als  die  Germanen  und  auch  wohl  als  die  Griechen  und  Lateiner 
von  Asien  aus  in  Europa  eingewandert  seien,  auch  wohl,  dass 
ihre  Sitze  sich  auf  der  südlichen  Seite  bis  an  die  Donau  und 
auf  der  westlichen  bis  an  den  Rhein  erstreckt  hätten,  weil  man 
dafür  einen  geschichtlichen  Anhalt  fand  oder  zu  finden  glaubte. 
Wagte  es  aber  jemand  weiter  zu  gehen  und  zu  behaupten,  dass 
sich  ihre  Sitze  wrohl  selbst  über  die  Donau  und  über  den  Rhein 
in  Deutschland  hinein  erstreckt  haben  möchten,  so  stiess  er  auf 
den  allerstärksten  Zweifel  oder  den  entschiedensten  Unglauben, 
wenn  es  für  ihn  selbst  auch  noch  so  fest  zu  stehen  schien; 
und  beklagen  konnte  er  sich  eigentlich  darüber  nicht,  insofern 
keine  dafür  sprechenden  Thatsachen  und  Beweise  geliefert  wurden, 
oder  nur  solche,  die  keine  Beweiskraft  für  sich  in  Anspruch 
nehmen  konnten.  Es  blieb  auf  diese  Weise  immer  nur  mehr 
oder  weniger  Hypothese,  die,  obgleich  sie  die  Wahrheit  enthielt, 
doch  als  solche  nicht  gewusst  und  bewiesen  werden  konnte. 
Wäre  aber  jemand  so  weit  gegangen  als  ich  jetzt  gehe,  und 
hätte  etwa  in  ganz  Mittel-, Nord-  und  Ostdeutschland  Celten 
als  vorgermanische  Bewohner  angenommen,  so  würde  dieses  für 
eine  so  entschiedene  Ketzerei  oder  eine  so  ausschweifende  Cel- 
tomanie gegolten  haben,  dass  man  seiner  Würde  etwas  zu  ver- 
geben geglaubt  hätte,  wenn  man  dieser  Ansicht  anders  als  mit 
Hohnlächeln  entgegen  getreten  wäre.  Aber  die  heutige  wirkliche 
Sprachforschung  kehrt  sich  natürlich  an  Argumente  solcher  Art 
nicht;  sie  nimmt,  wenn  sie  etwas  aus  ihrer  Sphäre  beweisen 
will,  kaltblütig  jedes  Wort  in  die  Hand,  prüft,  wie  viel  es  wiegt, 
was  sein  Inhalt  sei,  was  seine  einzelnen  Bestandtheile  nach 
Buchstaben,  Sylben  und  Laut  werth  sind,  was  sie  als  Ganzes 
bedeuten  und  was  für  Schlüsse  sich  daraus  ziehen  lassen.  Da 
zeigt  es  sich  denn  sehr  oft,  dass  das  Wort  ganz  andere  Dinge 
aussagt  als  man  bei  weniger  genauer  Betrachtung  darin  wahr- 
zunehmen glaubte,  und  dass  sich  daraus  Folgerungen  ziehen 
lassen,  die  über  den  eigentlichen  und  engeren  Kreis  der  Sprach- 


der  geograp hischen  Namen.  151 

forschung  hinausgehen,  und  eine  allgemeinere  Anwendung  auf 
andere  und  besonders  auf  geographische  und  völkergeschichtliche 
Verhältnisse  gestatten.  Für  jetzt  versuche  ich  es  nur,  den  von 
mir  aufgestellten  theoretischen  und  theilweise  auch  schon  em- 
pirisch bewiesenen  Satz,  dass  vor  den  Germanen  Gelten  überall 
in  ganz  Deutschland  und  zwar  östlich  wenigstens  bis  an  die 
Oder,  wahrscheinlich  aber  nordöstlich  bis  an  die  Weichsel, 
wohnten,  durch  die  Sprachforschung  ferner  zu  begründen,  und 
namentlich  an  einigen  geographischen  Namen  des  mittleren  und 
nördlichen  Deutschlands  nachzuweisen,  dass  die  frühsten  Be- 
wohner desselben,  und  unter  anderen  auch  die  des  Harzes  und 
Braunschweigs,  nicht  Germanen,  sondern  Celten  waren. 


152  Etymologische  Untersuchung 


I.  Braunschweig  und  die  Oker. 

Von  den  Geschichtschreibern  und  Geschichtsforschern  wird 
allgemein  angenommen,  dass  die  Stadt  Braunschweig,  deren 
ursprünglich  niedersächsischer  Namen  Brunswic  oder  Bruneswic, 
lat.  Brunonis  vicus,  ist,  der  nachher  in  diese  hochdeutsche  Form 
umgewandelt,  und  dabei  nach  gewöhnlicher  Art  zwar  verständlich, 
aber  nicht  verständig,  umgedeutet  wurde,  von  Bruno,  dem  Her- 
zoge der  Sachsen,  gegründet,  und  nach  ihm  Bruneswic,  d.  i. 
Stadt  des  Bruno,  genannt  wurde.  Sie  wuchs  seitdem  so  empor, 
dass  sie  zuletzt  aus  fünf  Städten  oder  Weichbildern  bestand, 
aus  der  alten  Wiek,  der  Altstadt,  der  Neustadt  (im  10.  Jahrh. 
angelegt),  dem  Hagen  (um  1172)  und  dem  Sack  (um  1200), 
von  welchen  jedes  seine  besonderen  Burgemeister  und  Rath-. 
mannen  mit  eigenem  Wappen  und  Rathhause  hatte,  daher 
Braunschweig  oft  auch  in  den  Urkunden  „die  Stadt  der  fünf 
Städte"  genannt  wird.  Nach  den  geschichtlichen  Nachrichten 
(cf.  Dürre  Braunschweigs  Entstehung,  p.  13  ff.)  wurde  zuerst 
auf  einer  flachen,  sanft  ansteigenden  Anhöhe  dicht  am  westlichen 
Ufer  der  Oker,  einer  Furt  über  dieselbe  gegenüber,  vorn  Grafen 
Tank  ward,  dem  Bruder  Bruno's,  die  Burg  Tanquardevorde  oder 
Tancwordevoerde,  d.  i.  Tanquartsfurt,  nachher  in  Tanquarderode 
verdreht,  angelegt.  Daneben  auf  der  Ostseite  der  Oker  schlug 
sein  Bruder  Bruno  auf  der  Stätte  eines  zerstörten  Heidendorfes 
seinen  Wohnsitz  auf,  wodurch  ein  neues  Dorf  entstand,  welches 
den  Namen  Alte  Wiek  (de  olde  wik)  oder  nach  ihm  Brunswik  er- 
hielt. Hierauf  baute  Bruno,  wahrscheinlich  zusammen  mit  seinem 
Bruder  Tankward,  noch  eine  zweite  Ortschaft,  die  im  Gegen- 
satze zur  alten  die  Neue  Wiek  (de  nye  wik)  oder  ebenfalls 
Brunswik  genannt  wurde.  Die  alte  Wiek  auf  der  Ostseite  des 
Flusses,  deren  Rathhaus  am  Aegidienmarkte  lag  und  erst  1754 
abgebrochen  wurde,  war  also  offenbar  der  älteste  Theil,  wenn 
er  auch  erst  später  unter  Otto  IV.  nebst  dem  Aegidienkloster 
in   die  Hingmauern  der  Stadt   eingeschlossen   wurde.     Zunächst 


der  geographischen  Namen.  153 

im  Alter  ist  dann  die  neue  Wiek  oder  die  nachherige  Altstadt, 
wo  die  beiden  Brüder  im  J.  861  eine  Kirche,  St  Jacob  geweiht, 
gründeten.  Dieses  Jahr  hat  man  nun  als  festes  Datum  mit 
Recht  als  das  Gründungsjahr  Braunschweigs  angenommen,  ob- 
gleich die  Gründung  der  Burg  und  der  beiden  Wieken  selbst 
offenbar  einige  Jahre  früher  anzusetzen  ist.  Die  zwreite  Kirche 
wurde  dann  erst  im  10.  Jahrhundert  unter  Kaiser  Otto  I  in 
der  Burg  Dankwarderode  von  Holz  erbaut,  und  die  alte  Wiek 
erhielt  ihre  dem  heiligen  Magnus  geweihte  Kirche  sogar  erst 
im  J.  1031.  Folgt  nun  aber  etwra  daraus,  dass  Bruno  und 
Tankward  die  Stadt  Braunschweig  gründeten,  dass  der  Fleck 
oder  Ort,  wo  dieselbe  jetzt  liegt,  vorher  noch  gar  nicht  bewohnt 
und  weder  als  Dorf,  Flecken  noch  als  sonstiger  Wohnsitz  vor- 
handen war?  Keinesweges.  Gewöhnlich  muss  man  unter  „eine 
Stadt  gründen"  verstehen,  dass  ein  Fürst  irgend  ein  Dorf  oder 
einen  Flecken  zur  Stadt  erhob,  sie  vielleicht  zu  seiner  Residenz 
erwählte  und  ihr  seinen  Namen  gab.  Die  Ortschaft  konnte  aber 
schon  viele  Jahrhunderte  vorher  da  gewesen,  und  sowohl  die 
Bewohner  als  auch  den  Namen  schon  öfter  gewechselt  haben ; 
denn  Städtenamen  gehören  in  der  Regel  zu  den  weniger  fest 
haftenden  Namen,  sie  sind  viel  wandelbarer  als  Fluss-,  See-  und 
Bergnamen.  Nach  dem  Chronisten  Botho,  der  sich  auf  ältere 
Quellen  stützt,  soll  schon  in  heidnischer  Zeit  vor  Karl  dem 
Grossen  ein  Dorf  unbekannten  Namens  da  gelegen  haben,  wo 
später  die  Alte  Wiek  entstand,  und  von  Karl  dem  Grossen 
zerstört  worden  sein.  Es  war  also  schon  zur  Zeit  und  vor  der 
Zeit  Karls  des  Grossen  eine  Ortschaft  da,  und  dieselbe  wird 
seit  ihrer  Zerstörung  bis  dass  Bruno  dort  seinen  Wohnsitz 
aufschlug,  nicht  ganz  ohne  Bewohner  geblieben  sein.  Folgt  ferner 
daraus,  dass  Niedersachsen  oder  allgemeiner  Germanen  die  ersten 
Bewohner  dieser  Gegend  waren ,  weil  dieselbe  um  und  vor 
Bruno's  Zeit  von  Niedersachsen  bewohnt,  oder  weil  der  angebliche 
erste  Gründer  der  Stadt  selbst  ein  Niedersachse  war,  und  ihr 
als  solcher  einen  Namen  in  niedersächsischer  Sprachform  gab? 
Dies  wird  niemand  im  Ernst  behaupten  dürfen ,  und  noch 
weniger  wirklich  beweisen  können.  Bei  tieferer  Untersuchung 
weisen  vielleicht  andere  fester  stehende  Namen  für  Oertlichkciten 
Braunschweicrs  auf  andere  Völker  als   Germanen  als   die   ersten 


154  Etymologische  Untersuchung 

Bewohner  dieser  Gegend  hin.  Da  nach  der  von  mir  auf- 
gestellten, entwickelten  und  durch  Thatsachen  bestätigten  Theorie 
in  ganz  Deutschland,  sowohl  in  dem  südlichen,  westlichen  und 
mittleren  Theile  desselben  als  auch  nordöstlich  wenigstens  bis 
an  die  Oder,  und  folglich  auch  in  und  um  Braunschweig  vor 
den  Germanen  Gelten  gewohnt  haben  müssen,  so  fragt  es  sich, 
ob  die  Empirie  oder  Praxis  auch  hinsichts  Braunschweigs  und 
dessen  Umgegend  diese  Theorie  bestätigen  wird.  Fragen  wir 
daher  bei  den  Gegenständen,  die  gewöhnlich  die  ältesten  Namen 
führen,  bei  Flüssen  und  Bergen  an;  vielleicht  erhalten  wir  hier 
eine  befriedigende  Antwort. 

Braunschweig  liegt  bekanntlich  an  der  Oker,  die  mit 
einer  veralteten  und  unbegründeten  Orthographie  oft  Ocker  ge- 
schrieben, aber  nie  so  gesprochen  wird.  Bereits  Karl  der  Grosse 
soll  zwei  Mahl  bis  zu  diesem  Flusse  in  den  Jahren  775  und 
780  vorgedrungen  sein,  und  die  Sachsen  besiegt  und  zur  Taufe 
gezwungen  haben.  Der  Name  lautet  in  den  Urkunden  (vd.  bei 
Förstemann  Ortsnamen,  p.  1112,  und  bei  Dürre  p.  10)  Ovokare, 
Ovekara,  Ovekare,  Oveker,  Ovacra,  Ovaccra,  Obacra,  Obacrus, 
Obaccrus,  Ovacrus,  Overcarus,  Hobacar,  Oucra.  Man  hat  die 
Oker  als  den  Krähenfluss  gedeutet,  wahrscheinlich  indem  man 
Ova  als  das  altdeutsche  owa,  awa,  auia,  augia,  in  Ortsnamen, 
mittelhochd.  ouwe  =  Wasser,  Strom,  Wasserland,  wasserreicher 
Grund  oder  Wiesengrund,  wasserumflossenes  Land,  Flussinsel, 
neuhochd.  Aue,  Au,  für  Fluss  nahm,  und  cra,  altd.  crä,  cräa, 
craia,  für  Krähe,  wobei  man  vergass  oder  nicht  wusste,  dass 
dieses  keine  dem  Deutschen  angemessene  Wortbildung  ist,  denn 
ein  Krähenfluss  hätte  alsdann  umgekehrt  cra -owa  oder  crowa 
lauten  müssen.  Ueberdies  spricht  die  Benennung  Krähenfluss 
wenig  an,  sie  hat  nichts  für  einen  Fluss  Charakteristisches  an 
sich.  Es  mögen  sich  an  und  bei  dem  Flusse  ungefähr  so  viele 
Krähen  aufhalten  oder  aufgehalten  haben,  als  an  jedem  anderen 
Flusse,  d.  h.  wenige  oder  gar  keine;  denn  diese  Vögel  halten 
sich  gar  nicht  vorzugsweise  an  Flüssen  auf,  sondern  weit  eher 
auf  Feldern,  Wiesen  und  in  Wäldern,  da  sie  sich  hauptsächlich 
von  Insecten,  Gewürmen,  Mäusen,  Heuschrecken,  Getreide, 
Samen  und  Früchten,  aber  von  keinen  Producten  eines  Flusses 


der  geographischen  Namen.  155 

nähren.  Das  Germanische  schien  mir  überhaupt  gar  kein 
passendes  Etymon  zu  liefern.  Ich  habe  mich  daher  an  das 
Celtische  gewandt,  und  dieses  hat  mir  ein  besseres  und  zu- 
treffenderes gewahrt.  Nach  diesem  bedeutet  Oker  oder  ur- 
sprünglicher Ovacra  Fluss  des  Felsens  oder  Felsenfluss.  Ova 
oder  oba  ist  nämlich  das  celtische  Wort  für  Fluss:  irisch  oba, 
obha,  abh,  abhan,  abhainn,  obhuin,  amhan,  amhain,  amhuin;  owen, 
aven  (Bullet),  gael.  abh,  abhuinn,  abhainn,  amhain  (ir.  obha 
ausgesprochen  oua,  obhuin  ausgespr.  Quin,  O'Brien,  v.  däna; 
a  in  abhainn  ausgespr.  au  oder  6,  O'Donovan,  p.  11.,  bh  und 
mh  wie  w),  wallis.  ow,  owi,  aw  (Bullet),  aw,  awon  (Owen), 
armor.  aven ,  aouen ,  avon ,  cornw.  aon ,  aen ,  welches  verwandt 
ist  mit  mittelhochd.  ouwe,  althochd.  aha,  goth.  ahva,  lat.  aqua 
und  amnis  für  apnis,  sanskrit.  ap,  f.  (vd.  ap,  Wa&ser,  in  Bopp's 
Glossar,  p.  13),  und  cra  ist  das  celtische  Wort  für  Fels:  irisch, 
gael.  und  Wallis,  craig,  crag,  creag,  a  i*ock  or  stone,  a  rocky 
or  craggy  place,  cornw.  karak,  armor.  karrek,  ecueil,  armor. 
krag,  gres,  pierre  dure  et  grise  qui  sert  ä  aiguiser,  ä  paver, 
caillou,  galet,  (daher  grae,  krae,  groa,  kroa,  greve,  Heu  uni  et 
plat,  couvert  de  gravier,  le  long  de  la  mer  ou  d'une  riviere) 
Das  Wort  wurde  nur  um  den  auslautenden  Consonanten,  d.  i. 
hier  g,  verkürzt,  wie  oft  in  ähnlichen  Fällen.  Flüsse  erhalten 
ihren  Namen  am  häufigsten  von  irgend  einer  Eigenthümlichkeit 
an  ihrer  Quelle  oder  der  ersten  Strecke  ihres  Laufes.  So  ver- 
hält es  sich  mit  unserer  Oker.  Diese  entspringt  an  dem 
zwischen  Andreasberg  und  Altenau  gelegenen  Bruchberge 
(neuhochd.  brüch,  niederd.  brök,  eine  sumpfige  mit  Gehölz  be- 
wachsene Gegend,  der  Sumpfboden,  die  Sumpfwiese,  althochd. 
bruoch,  palus,  angels.  bröc,  engl,  bi-ook,  ein  Bach),  fliesst  durch 
Altenau,  wo  sie  das  Kalkwasser  aufnimmt,  durch  das  Schulen- 
berger  Thal  und  bei  dem  Dorfe  Schulenberg  und  der  dabei 
liegenden  Silberhütte  weg,  wo  sie  das  weisse  Wasser  aufnimmt. 
Nach  einem  vierstündigen  Laufe  innerhalb  des  Harzes,  wo  sie 
das  wilde  Okerthal  durchströmt  und  darin  die  Grenze  zwischen 
dem  Hannoverschen  und  Braunschweigischen  bezeichnet,  tritt 
sie  bei  der  Messinghütte  aus  dem  Gebirge.  Unterhalb  Oker 
nimmt  sie  die  Gose,  dann  die  Radau,  die  Ecker  und  endlich 
die  Ilse  auf.     Mit   vier  Harzflüssen   vereinigt,   fliesst    sie    durch 


1  5G  Etymologische  Untersuchung 

das  Hildesheimische  nach  Wolfenbüttel  und  Braunschweig,  und 
ergiesst  sich  im  Lüneburgischen  in  die  Aller,  mit  welcher  sie 
der  Weser  zueilt.  Hinter  Braunschweig  ist  sie  schiffbar,  es 
wird  aber  kein  Gebrauch  davon  gemacht;  noch  bis  zum  15. 
Jahrhundert  war  sie  aber  auch  weiter  hinauf  vor  Braunschweig 
und  Wolfenbüttel  und  weiter  nach  ihrer  Quelle  zu  schiftbar. 
Da  der  Fluss  auf  dem  Bruchberge,  dem  westlichen  Nachbar 
des  Brockens,  entspringt,  und  über  Felsen  und  Klippen  das 
wilde  und  schauerlich  schöne  Okerthal  innerhalb  des  Harzgebirges 
durchfliegst,  so  konnte  der  Fluss  mit  Recht  ein  Felsenfluss  ge- 
nannt werden,  welche  Benennung  sicherlich  besser  motivirt  ist 
als  die  des  fast  lächerlichen  Krähenflusses.  Vortrefflich  stimmt 
auch  in  unserem  Worte  die  celtische  Art  der  Zusammensetzung. 
Diese  kann  mehrfacher  Art  sein,  während  die  germanische  nur 
einer  Art  sein  kann.  Dies  ist  ein  so  wichtiges  Kennzeichen, 
dass  wenn  es  sich  ereignen  sollte,  dass  ein  zusammengesetzter 
Namen  sich,  wegen  der  nicht  seltenen  Verwandtschaft  des  Cel- 
tischen  mit  dem  Deutschen,  seinen  Bestandtheilen  nach  gleich 
gut  aus  beiden  Sprachen  erklären  Hesse,  die  Art  und  Weise 
der  Zusammensetzung  oft  sogleich  entscheiden  .würde,  aus  welcher 
Sprache  derselbe  zu  erklären  sei.  Der  bestimmende  Theil  kann 
nämlich  im  Celtischen  vorhergehen  oder  nachfolgen.  Er  geht 
vorher  wie  im  Deutschen,  z.  B.  morgi,  Seehund,  von  mor,  See, 
und  ci,  Hund,  oder  er  folgt  nach  im  Genitivverhältniss ,  wie  in 
unserem  Worte,  oder  als  Adjectivum;  aber  auch  dieses  letztere 
kann  zuweilen  noch  vorstehen,  z.  B.  mawr,  mor,  gross,  mawr- 
air,  a  boastful  word  (von  gair,  word),  mawrboen,  great  pain; 
daher  im  Englischen  aus  dem  Celtischen  glaymore,  claymore 
und  morglay,  ein  langes,  breites,  zweihändiges  Schlachtschwert, 
das  eine  Mahl  mit  dem  Adject.  nach,  das  andere  Mahl  vor. 

Eine  auffallende  Benennung  führen  in  Braunschweig  mehrere 
Strassen,  die  der  Kl  int  heissen.  Es  giebt  da  einen  Klint 
schlechtweg,  der  in  der  alten  Wiek  liegt,  und  gewiss  auch  die 
älteste  Ansiedelung  im  alten  Heidendorfe  war,  aber  ausserdem 
auch  noch  einen  Südklint,  einen  Bäckerklint  und  einen  Radeklint. 
Ich  habe  mich  bei  meiner  letzten  Anwesenheit  in  Braunschweig 
an  Ort  und  Stelle  darnach  erkundigt,  was  die  Leute  wohl  dar- 
unter verstehen  möchten.     Einer  wollte  gehört  haben,    dass  der 


der  geographischen  Namen.  157 

Klint  so  viel  wie  Gerichtsstätte  bedeute  und  auch  eine  solche 
gewesen  sei,  und  der  Radeklint  sei  diejenige  gewesen,  wo  die 
Verbrecher  gerädert  wurden,  der  Bäckerklint  dagegen  die,  wo 
die  Bäcker  hingerichtet  wurden,  wahrscheinlich  wegen  zu  leichten 
Brotes.  Ein  anderer  meinte,  dass  Klint  so  viel  als  das  lat. 
clivus  bedeute,  und  wahrscheinlich  mit  demselben  ganz  identisch 
sei.  Hierauf  wandte  ich  ein,  dass,  um  dieses  sein  zu  können, 
es  aus  dem  Lateinischen  unmittelbar  entlehnt  sein  müsste,  wozu 
aber  die  Form,  namentlich  im  Auslaut,  durchaus  nicht  berechtige, 
und  wozu  auch  überhaupt  keine  innere  Wahrscheinlichkeit  vor- 
handen sei.  Ich  habe  die  Oertlichkeit  des  Klint  selbst  unter- 
sucht und  gefunden,  dass  es  allerdings  ursprünglich  ein  Hügel 
gewesen  sein  muss,  indem  das  Erdreich  von  der  Ritterstrasse 
her  sich  hügelartig  erhebt,  und  auch  die  anderen  Klinte  zeigen 
deutliche  Spuren  einer  vormahligen  grösseren  hügeligen  Be- 
schaffenheit als  jetzt.  Obgleich  das  Wort  nun  wohl  dasselbe 
als  clivus  bedeuten  kann,  so  kann  es  von  demselben  doch  nicht 
unmittelbar  herkommen,  und  von  irgend  einem  deutschen  Worte 
noch  weniger.  Woher  kommt  es  aber  nun?  In  dem  Gälischen 
Dialecte  des  Celtischen  heisst  claointe  geneigt,  abhängig,  ab- 
schüssig, bent,  sloping,  als  Participium  von  gäl.  und  ir.  claon, 
to  incline,  bend,  move  obliquely.  Dieses  entspricht  buchstäblich 
und  dem  Sinne  nach  unserem  Klint.  Es  braucht  nichts  zu- 
gesetzt und  nichts  abgezogen  zu  werden.  Im  Irischen  lautet 
dasselbe  Participium  und  Adjectivum  claonta,  welches  un- 
gefähr wie  cluinta  ausgesprochen  wird.  Ausserdem  finden 
sich  von  demselben  Wurzelworte  irisch  clin,  Bergabhang  (pente 
de  montagne,  Bullet),  cluin,  ein  steiler  Fels,  a  great  steep,  a 
rock,  und  daher  figürlich  partiality,  prejudice,  error,  ir.  u.  gäl. 
claon -ard,  an  inclining  steep  (bestehend  aus  claon,  claoine,  und 
ard,  high),  ir.  claonadh,  bending,  inclination,  moving  obliquely, 
proclivity,  partiality,  deviation,  digression,  gäl.  claon,  claoine, 
squint,  inclining,  oblique,  prone  to,  partial,  uneven,  claoin-leud,  a 
sloping  Hill,  claoine,  claoinead,  claoineid,  obliquity,  squintness,  gäl. 
und  ir.  cluinneach,  a  miner.  Mancher  wird  aber  vielleicht  dennoch 
fragen,  ob  das  Wort  Klint  nicht  eben  so  gut  germanischen  Ur- 
sprungs sein  konnte,  im  Fall  sich  das  Wurzehvort,  wenn  auch 
in  anderer  Form,   im  Germanischen  fände.     Es  findet  sich  das 


158  Etymologische  Untersuchung 

Wurzel  wort  v  irklich,  aber  in  einem  so  eigenthümlich  germanischen 
Kleide,  dass  an  eine  unmittelbare  Herleitung  nicht  zu  denken 
ist.  Es  entspricht  ihm  nämlich  ein  gothisches  hlains,  der  Hügel, 
neuhochd.  Lehne,  d.  i.  Berglehne,  Bergabhang,  sanft  und  all- 
rnählig  aufsteigende    Seite   eines  Berges  oder  Hügels,    vom   alt- 

OD  O  O  7 

sächs.  hlinon,  althochd.  hlinen,  neuhochd.  lehnen,  womit  ferner 
verwandt  sind  altnord.  hlid,  latus  montis,  devexitas,  angels.  hlidh, 
clivus,  althochd.  hlita,  id.,  auch  ohne  t  altfries.  hli,  tumulus. 
Da  nun  dem  Lautverschiebungsgesetze  gemäss  einem  celtischen 

DO  D 

oder  griechisch -lateinischen  c  im  Anlaut  ein  germanisches  h 
entspricht  oder  auch  ganz  abfällt,  so  kann  es  also  nicht  direct 
davon  herkommen.  Eher  könnte  es,  wenn  man  nur  auf  den 
Anlaut  Rücksicht  nehmen  wollte,  direct  vom  griech.  xXtvaiv,  wo- 
von xXirvg,  ein  abschüssiger  Ort,  Abhang,  Hügel,  abstammen; 
es  ist  aber  ebenfalls  nur  verwandt  damit.  Eben  so  verhält  es 
sich  mit  latein.  clivus,  welches,  wenn  auch  mit  Klint  .durch  die 
Wurzel  verwandt,  dennoch  ebenfalls  eine  selbständige  Ableitung 
von  der  lat.  Wurzel  clin,  gr.  xliv,  ist.  Die  Formen  des  Inlauts 
und  Auslauts  stimmen  im  Griechischen  und  Lateinischen  nicht 
so  genau  als  im  Celtischen ,  und  weder  geschichtlich  noch  hy- 
pothetisch kann  man  je  mit  nur  einiger  Wahrscheinlichkeit  grie- 
chische oder  lateinische  Völkerschaften  in  Deutschland  annehmen. 
Die  Wahl  kann  immer  nur  zwischen  Gelten  und  Germanen  sein; 
und  wenn  dieses  fest  steht ,  so  kann  es  einen  schärferen  und 
gleichsam  mathematischeren  Beweis  für  den  celtischen  Ursprung 
des  Wortes  Klint  nicht  geben,  als  diese  vollkommene  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  Gesetze  der  Lautverschiebung.  Man  ver- 
gleiche beispielsweise  ir.  cu,  gr.  xvcov,  lat.  canis,  goth.  hunds, 
neuhochd.  hund ,  oder  ir.  clois ,  hören ,  cluas ,  Ohr ,  gr.  xlvaiv, 
lat.  cluere,  althochd.  hlosen,  hören,  wovon  altsächs.  hlust,  Gehör, 
Ohr,  oder  ir.  cnudh,  cnu,  gäl.  cnüth,  cnö,  angels.  hnutu,  hnut, 
hnyt,  altnord.  hnyt,  hnot,  nyt,  althochd.  hnuz,  nuz ,  neuhochd. 
nusz.  Im  Skandinavischen  (im  Schwedischen  und  Dänischen) 
kommt  das  Wort  klint  sogar  noch  in  der  gewöhnlichen  Sprache 
vor.  Es  heisst  dort  die  Spitze  eines  Berges.  (Die  altnordische 
Form  ist  bereits  klettr,  und  bedeutet  scopulus,  rupes,  saxum). 
Aber  es  ist,  nach  dem,  was  oben  gesagt  worden  ist,  nicht  skan- 
dinavischen Ursprungs,    da  die  skandinavischen  Sprachen  dem- 


der  geograpliischeu  Namen.  159 

selben  Gesetze  der  Lautverschiebung  folgen  als  die  übrigen 
germanischen;  und  so  liefert  es  nur  einen  Beitrag  zu  dem  Be- 
weis, dass  auch  in  Skandinavien  Celten  waren,  so  wie  zu  dem 
Satze,  dass  die  am  weitesten  vorgeschobenen  Posten  der  Völker 
das  Alte  treuer  und  vollständiger  bewahren  als  die  weiter  zurück 
befindlichen  Bewohner.  So  hat  auch  in  späterer  Zeit  der  Norden 
die  alte  germanische  Religion  und  Mythologie  länger  und  treuer 
erhalten,  als  das  dahinter  liegende  Mittel-  und  Hinterland. 

Aus  diesen  beiden  geographischen  Namen  Oker  und  Klint, 
die  gerade  solchen  Gegenständen  zufallen,  woran  die  alten  Be- 
nennungen am  längsten  haften,  schliesse  ich  nun  mit  Recht, 
dass,  in  TJebereinstimmung  mit  der  theoretischen  Construction, 
in  Braunschweig  und  dessen  Umgegend  vor  den  Germanen  be- 
reits Celten  waren;  denn  was  die  Theorie,  zuerst  nur  durch 
sich  auf  schwache  Einzelheiten  stützende  Vermuthungen  geleitet, 
als  eine  allgemeine  Regel  aufzustellen  wagte,  wird  hier  durch 
neue  Beispiele  und  Thatsachen  bestätigt,  die  nun  ihrerseits  auch 
die  Theorie  immer  fester  machen  und  zur  unbestreitbaren  Wahr- 
heit erheben.  Sollte  auch  für  den  Laien  und  den  der  Wissen- 
schaft ferner  Stehenden,  dem  in  der  Regel  jede  Einzelheit  nur 
als  für  sich  bestehend  erscheint,  alles  dieses  nicht  schlagende 
Beweiskraft  genug  haben,  so  muss  es  um  so  mehr  den  Forscher 
und  Mitforscher  überzeugen,  dem  bei  jedem  gefundenen  neuen 
beweiskräftigen  Beispiele  seine  bereits  auf  anderem  Wege  und 
durch  andere  Thatsachen  gewonnene  wissenschaftliche  Gesammt- 
anschauung  vorschwebt,  wodurch  sich  ihm  das  Bild  natürlich 
mit  hellerer  und  vollständigerer  Beleuchtung  zeigt.  Wer  aber 
weitergehen  und  die  ganze  nähere  und  fernere  Umgegend  mit 
in  die  Untersuchung  ziehen  wollte,  der  würde  auch  immer  neue 
und  neue  Beispiele  und  Beweise  an's  Licht  ziehen. 


160  Etymologische  Untersuchung 


II.  Der  Brocken. 

Dieser  berühmte  und  oft  besuchte  höchste  Berg  in  diesem 
Theile  Deutschlands  wird  gewöhnlich  so  erklärt,  als  wenn  er 
wirklich  das  bedeute,  was  Brocken  im  Germanischen  aussagt, 
nämlich  ein  kleines  abgebrochenes  Stück,  von  der  Wurzel 
brechen.  Um  diese  Anschauung  zu  stützen  und  annehmlich  zu 
machen,  hat  man  sich  die  wunderlichsten  Geschichten  ausgedacht. 
Man  nahm  an,  der  Brocken  sei  wahrscheinlich  einmahl  eine  un- 
geheure hohe  Felsenpyramide,  ein  Felsencoloss,  gewesen,  der 
aus  über  einander  gethürmten  Granitblöcken  bestand.  Beweise 
dafür  seien  die  in  seiner  Nähe  stehen  gebliebenen,  der  gänzlichen 

Zertrümmerung  noch  entgangenen,  in  die  Höhe  ragenden  Granit- 
en o       c  ö 

felsen,  als  die  Schnarcher,  die  Hohneklippen  und  andere  ähnliche 
bei  Schierke.  Luft  und  Wasser  machten  seine  Masse  nach  und 
nach  bröcklich;  er  verlor  dadurch  die  Festigkeit,  und  die  eigene 
Schwere  trug  zur  völligen  Zerreissung  und  zu  seinem  Umstürze 
bei.  Er  stürzte  wie  ein  alter  morscher  Thurm,  vielleicht  durch 
Erderschütterungen  früher  herbeigeführt,  in  einzelnen  Stücken 
oder  Brocken  zusammen,  welche  die  Thäler  weit  um  ihn  her 
ausfüllten.  D.er  Sturz  selbst,  und  das  ewige  Zerstören  der 
Luft  und  des  Wassers ,  gaben  ihm  alsdann  die  abgerundete 
Gestalt.  Wir  gehen  daher  jetzt  auf  den  Ruinen  eines  vor  Jahr- 
tausenden da  gewesenen  ungeheuren  Felsenberges  herum,  dessen 
Riesengestalt  sich  eine  lebendige  Einbildungskraft  vorzaubern 
könnte,  wenn  sie  alle  die  Millionen  von  Granitblöcken,  die  auf 
und  an  dem  Brocken  zerstreut  herumliegen,  und  uns  zum  kleinsten 
Theile  nur  sichtbar  sind,  auf  einander  baute.  Dann  würde  sich 
uns  ein  Riesenbild  darstellen,  vor  dem  wir  staunen  müssten, 
so  wie  wir  jetzt  das  grosse  Werk  der  Zerstörung  anstaunen, 
und  dann  käme  uns  freilich  der  in  seinen  Trümmern  noch  stolze 
Brocken  klein  und  winzig  vor.  Wann  jener  gewaltige  Riesen- 
bau  umstürzte?  Wer  vermag  das  zu  bestimmen?  Vielleicht  erst 
Jahrtausende  nach  der  Schöpfung!  Diese  wahrscheinliche 
Geschichte   des   Brockens   enthält    sein   Name.     Er  brach    und 


der  geographischen  Namen.  161 

zerfiel  in  Brocken,  er  besteht  aus  Brocken.  In  dieser 
überschwänglichen  und  phantasiereichen  Weise  spricht  Gott- 
schalk in  seinem  Taschenbuche  für  Harzreisende  vom  Brocken, 
und  glaubt  uns  gewiss  durch  diese  erst  nach  seinem  Namen 
von  ihm  ausgedachte  Geschichte  desselben  die  Ursache  seiner 
Benennung  nicht  bloss  wahrscheinlich  gemacht,  sondern  bis  zur 
festen  Ueberzeugung  gebracht  zu  haben.  Es  giebt  aber  nichts 
Unwahrscheinlicheres  und  Unnatürlicheres  als  diese  Benennung' 
Brocken  im  deutschen  Sinne  für  einen  Berg  und  auch  diese 
aus  der  Phantasie  hervorgegangene  Erklärung ,  um  dieselbe 
glaubwürdig  zu  machen.  Man  wird  schwerlich  irgend  ein  Bei- 
spiel beibringen  können,  dass  ein  Berg  einen  ähnlichen  Namen 
führe  oder  einem  ähnlichen  Umstände  seinen  Namen  verdanke. 
Denn  um  den  Berg  nach  dem  von  Gottschalk  angegebenen  Um- 
stände so  benennen  zu  können,  müssten  ja  die  Namengeber  in  den 
primitivsten  Zeiten  vorher  erst  die  speculativsten  geologischen  Be- 
trachtungen angestellt  und  dahin  gehörige  Kenntnisse  und  Er- 
fahrungen besessen  haben,  ehe  sie  zur  Namengebung  des  Bro- 
ckens schreiten  konnten,  während  man  doch  glauben  sollte,  dass 
sie  den  Berg  werden  an  und  für  sich  betrachtet  und  nach  dem 
Eindruck  benannt  haben,  den  er  auf  ihr  Auge  machte.  Selbst 
dem  Volke  scheint  der  Name  Brocken,  oder  wie  er  auch  in 
nicht  sehr  alten  Urkunden  heisst  Brocksberg,  Brockisberg, 
Brockersberg,  Brockeisberg,  Prockelsberg,  Blockersberg,  später 
nicht  mehr  gefallen  zu  haben,  indem  es  denselben  allmählig  in 
einen  Blocksberg,  nieders.  Blocksbarg,  verwandelte,  indem  ein 
Berg  als  Block  sich  von  ihm  besser  begreifen  Hess  denn  als 
Brocken.  Aber  dieses  ist  nur  eine  aus  der  ursprünglicheren 
germanischen  Form  hervorgegangene  volksthümliche  Unideutung. 
Wenn  die  Benennung  Brocken  mit  dieser  seiner  germanischen 
Bedeutung  für  einen  Berg  als  unnatürlich  und  beispiellos  zu 
verwerfen  ist,  so  giebt  es  dagegen  eine  Menge  von  Bergen,  die 
den  Namen  von  der  Farbe  führen,  in  welcher  sie  sich  den 
Umwohnern  zeigen:  da  giebt  es  weisse  Berge,  schwarze,  braune, 
blaue,  graue,  grüne  und  rothe  Berge.  In  dem  Celtenlande 
Wales  selbst  finden  wir  einen  rothen  Berg,  y  foel  goch,  und 
einen  blauen  oder  grauen  oder  grünen  Berg,  y  foel  las;  denn 
alle    diese  Farben   kann   glas    bezeichnen   (Owen  v.  nioel),    foel 

Archiv  f    n    Sprachen.     XXVIII.  H 


162  Etymologische  Untersuchung 

steht  hier  den  celtischen  Gesetzen  der  Verwandlung  des  Anlauts 
nach  gewissen  vorhergehenden  ihn  afficirenden  Wörtern  gemäss 
für  moel.  In  welcher  Farbe  zeigt  sich  nun  der  Brocken  dem 
Umwohner  und  Beschauer?  Offenbar  in  einer  dunkelgrauen, 
und  diesem  Umstände  verdankt  er  seinen  Namen;  denn  im  Cel- 
tischen heisst  brock  grau,  und  zwar  dunkelgrau,  und  aus  diesem 
Worte  entstand  das  germanische  Brocken  auf  dem  beliebten 
Wege  der  Umdeutung,  die,  wie  bereits  oben  bemerkt  wurde, 
stets  nur  darnach  strebt,  verständlich,  aber  nicht  verständig,  zu 
sein.  Kann  man  aber  einen  Berg  so  ohne  weiteres  den  grauen 
nennen,  ohne  das  Wort  Berg  hinzuzusetzen?  Offenbar  hat  es 
ursprünglich  dabei  oder  nach  celtischer  Art  davor  gestanden. 
Man  hat  anfangs  und  ursprünglich  etwa  moelbrock  gesagt,  und 
nachher  das  moel  auch  oft  weggelassen,  und  so  ist  der  Name 
den  Germanen  überliefert  worden,  und  so  haben  sie  ihn  auf- 
gefasst  und  festgehalten;  aber  später  haben  sie  das,  was  celtisch 
vorn  weggelassen  war,  germanisch  hinten  auch  wieder  hinzu- 
gesetzt. Wir  sind  im  Stande,  für  die  Weglassung  des  celtischen 
Wortes  für  Berg  den  Beweis  zu  liefern ,  indem  sich  der  voll- 
ständige celtische  Name  des  Brockens  bei  den  Alten,  namentlich  bei 
Ptolemaeus,  2,  11,  erhalten  hat.  Er  heisst  nämlich  bei  ihm  Meli- 
bocus  oder  eigentlich  vollständiger  xb  MrflJßoy.ov  oQog,  worin  also, 
weil  man  das  Celtische  nicht  mehr  verstand,  das  Wort  Berg  zwei- 
mahl vorkommt,  etwa  wie  die  Italiäner  den  Aetna  Mongibello 
nennen,  d.  i.  eigentlich  Berg-Berg,  indem  gibello,  vom  arab. 
dschebel,  dasselbe  bedeutet  als  lat.  mons.  Melibocus  steht  etwas 
alterirt  für  Melibrocus,  indem  im  griechischen  Munde  das  r  ver- 
loren ging  oder  derselbe  den  Namen  gleich  anfangs  ohne  dasselbe 
auffasste,  wie  dieser  Buchstabe  ja  auch  sonst  häufig  aufgegeben 
oder  versetzt  wird.  Wundern  darf  man  sich  hierüber  nicht, 
sondern  eher  darüber,  dass  der  griechische  Mund,  der  aus- 
ländische Namen,  oder,  wie  er  sich  auszudrücken  pflegte,  Namen 
der  Barbaren,  nur  schwer  aussprechen  konnte,  ihn  noch  so  treu 
überliefert  hat.  Vielleicht  fand  sogar  die  Ueberlieferuns;  an  die 
Griechen  durch  niederdeutschen  Mund  Statt,  der  bekanntlich 
das  r  oft  so  schwach  ausspricht,  dass  es  stumm  zu  sein  scheint. 
Späteren  und  neueren  Ursprungs  ist  das  lateinische  mons  Bruc- 
terus  für  Brocken.     Dasselbe  kann   weder   aus  den  Alten  noch 


der  geographischen  Namen.  163 

aus  den  Schriftstellern  des  Mittelalters  belegt  werden.  Bei 
Möller  ist  es  ohne  alles  Citat,  und  bei  Förstemann  kommt  es 
gar  nicht  vor.  Der  Erfinder  muss  geglaubt  haben,  dass  die 
Bructeri,  die  in  einer  ganz  anderen  Gegend  (nach  J.  Grimm 
zwischen  Ems  und  Lippe)  wohnten,  sich  vielleicht  bis  in  die 
Nähe  des  Brockens  erstreckten.  Zu  dieser  Ansicht  wurde  er 
wahrscheinlich  verführt  durch  eine  Stelle  bei  Claudian:  venit 
accola  sylvae  Bructerus  Hercyniae.  Der  Hercynische  Wald  ist 
aber  nach  Caesar  60  Tagereisen  lang  und  9  Tagereisen  breit, 
und  erstreckt  sich  von  den  Quellen  der  Donau  bis  zu  den 
Anartes  in  Siebenbürgen  und  nordöstlich  bis  zum  Harz,  diesen 
mit  einbegriffen;  dieser  ist  aber  nur  ein  geringer  Theil  des 
Waldes,  er  ist  nocht  nicht  der  ganze  Wald  selbst,  und  wiederum 
der  Brocken,  wenn  auch  der  höchste  Berg  desselben,  noch  nicht 
das  Harzgebirge  selbst.  Aber  der  Mann  fand  eine  gewisse 
Aehnlichkeit  zwischen  Brocken  und  Bructeri,  und  nun  war  seine 
Meinung  fertig;  diese  Aehnlichkeit  und  der  Umstand,  dass  der 
Brocken  mit  zur  silva  Hercynia  gehörte,  genügte  ihm,  um  den 
Berg  mons  Bructerus  zu  nennen.  Der  Erfinder  hat  dabei  un- 
gefähr eben  so  viel  Geist  und  Kenntnisse  gezeigt  als  derjenige, 
welcher  die  Prussi  oder  Preussen  der  Urkunden  in  Borussi 
umtaufte,  weil  sie  für  ihn  Beirussen  zu  sein  schienen,  indem 
er  in  dem  P  die  slavische  Präposition  po,  an,  bei,  zu  entdecken 
glaubte.  Und  doch  ist  diese  sich  auf  entschieden  Falsches 
gründende  Form  Borussi  eben  so  allgemein  angenommen  und 
eben  so  sehr  beinahe  zum  Range  der  Classicität  erhoben  als 
der  mons  Bructerus,  und  es  wird  schwer  fallen,  sie  wieder  aus- 
zurotten. J.  Grimm  (Mythologie  1004)  meint,  dass  viele  grund- 
los den  Namen  Melibocus  auf  den  Brocken  beziehen;  dass  die- 
selben aber  liecht  haben,  freilich  ohne  es  selbst  sicher  zu  wissen, 
wird  hiermit  nun  durch  die  einander  gegenseitig  stützenden  Be- 
weise für  den  nur  aus  dem  Celtischen  regelrecht  zu  erklärenden 
Ursprung  des  Namens  Brocken  hinreichend  sicher  gestellt  sein. 
Der  Brocken  stützt  und  erklärt  den  Melibocus ,  und  der  Meli- 
bocus den  Brocken,  und  man  wird  um  so  geneigter  sein,  dem 
Brocken  seinen  celtischen  Ursprung  nicht  abzusprechen,  wenn 
man  in  Anschlag  bringt,  dass  der  Hercynische  Wald,  silva 
Hercynia,  saltus  Hercynius,  jugum  Hercynium,  gr.  'Aqxvvio.  oqtj, 


164  Etymologische  Untersuchung  der  geographischen  Namen. 

apud  Aristot.,  6  'Eqxvvioq  ögv/uog,  ap.  Strab.,  6  °ÖQXvyiog  dqv/nog, 
ap.  Ptolem.,  eine  anerkannt  celtische  Benennung  ist,  von  celtisch- 
wallis.  erchynu,  elevare,  exaltare,  erchyniad,  elevatio,  bestehend 
aus  der  Partikel  er,  die  intensive  Kraft  hat,  oder  wie  Owen 
sich  ausdrückt,  is  prefixed  in  composition,  to  enhance  the  mean- 
ing  of  words,  und  cwn,  altitudo,  summitas,  cynu,  surgere  (cf. 
Zeuss  Gr.  867.  829.  109).  Dagegen  hat  die  Benennung  Harz 
(Harz,  Haertz,  Hart  in  den  Urkunden  bei  Förstemann)  mit 
Hercynia  silva  nichts  zu  schaffen.  Sie  ist  rein  germanisch  und 
bedeutet  lucus,  silva  (s.  Graft'  4,  1026.  Grimm  Gesch.  der 
deutschen  Spr.  p.  633),  vielleicht  ursprünglich  Eichwald,  und 
verwandt  mit  bask.  haritza,   lat.  quercus,  Eiche. 

Dr.  C.  A.  F.  Mahn. 


Die    Entwickelung-    der   Lyrik 

in  der  klassischen  Literaturperiode. 


Es  ist  die  Aufgabe,  das  lyrische  Gedicht  auf  dem  Gange 
zu  seiner  höchsten  Kunstgestaltung  durch  die  sogenannte  klas- 
sische Literaturperiode  zu  begleiten.  Zur  Lösung  derselben  ist 
ausser  dem  Blicke  auf  das  Formale  ein  Rückblik  auf  die  nächst- 
vorhergehende Zeit  nöthig.  Das  Formale  der  Geschichte  der 
Entwickelung  der  Lyrik  ist  der  Begriff  der  Vermittelung  und 
Versöhnung  des  Realen  und  Idealen,  des  Endlichen  und  Un- 
endlichen; der  Inhalt  dieser  Geschichte"  sind  die  dichterischen 
Erzeugnisse  des  Zeitraums. 

Die  Periode,  auf  welche  die  klassische  folgt,  wird  die  der 
ersten  und  zweiten  schlesischen  Dichterschule  genannt.  Sie  hat 
an  Martin  Opitz  von  Boberfeld  (geb.  1597,  gest.  1(!39) ,  an 
Christian  Hoffmann  von  Hoffmannswaldau ,  an  Daniel  Caspar 
von  Lohenstein,  und  an  Andreas  Gryphius  ihre  Häupter  gehabt. 
Martin  Opitz,  mit  seiner  Beherrschung  der  alten  und  neuen 
Sprachen,  hatte  nicht  nur  die  Formen  der  Ode,  des  Sonetts 
und  des  Epigramms  in  die  Dichtkunst  der  Deutschen  eingeführt, 
und  durch  die  regenerirte  Sprache  den  Vers  rein  und  edel  neu 
gebildet,  sondern  ihr  auch  verständigen  Inhalt  gegeben.  Die 
Begründer  der  zweiten  schlesischen  Dichterschule  waren  dagegen 
durch  das  Phantasievolle  ihrer  Richtung  auf  die  Abwege  des 
Haschens  nach  Effect  und  Bildern  und  des  Ueberladenen  und 
Uebertriebenen  gerathen.  Somit  hatte  sich  alle  Poesie  jener 
Zeit  in  das  Verstandesmässige  des  Martin  Opitz,  in  das  Phan- 


166  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

tasievolle  und  Schwülstige  der  Hoffmannswaldau-Lohensteinschen 
Schule,  und  endlich  noch  in  das  Gelegenheitsdichten  der  Hof- 
poeten des  kurfürstlich  -  brandenburgschen  Hofes,  eines  Ludwig 
von  Canitz,  eines  Johann  von  Besser,  eines  Ulrich  von  König 
zersplittert.  Allein  da  niemals  mit  einer  Zersetzung,  sondern 
nur  mit  einer  Vermittelung  und  Versöhnung  eine  geschichtliche 
Periode  abschliessen  kann ,  so  findet  sich  am  Schluss  dieser 
Periode  in  der  That  ein  solcher  Vereinigungspunkt  objektiven 
Inhalts  und  subjektiver  Empfindung.  Es  ist  nemlich  durch 
Barthold  Heinrich  Brockes,  Pathsherrn  zu  Hamburg  (geb.  1680, 
gest.  1747),  nach  dem  Vorgange  der  englischen  Dichter  Thom- 
son (seasons)  und  Milton  (pradise  lost)  die  Offenbarung  Gottes 
in  der  Natur  und  die  Natur  als  neu  unter  die  Objecte  der 
Poesie  aufgenommen  worden.  Von  hier  also  gehen  die  Fäden 
aus,  welche  an  die  klassische  Periode  anknüpfen;  hier  sind  die 
Keime  zu  suchen  der  neu  sich  erschliessenden  Poesie ,  hier  ist 
es ,  wo  eine  Versöhnung  zwischen  Inhalt  und  Form ,  Idee  und 
Wirklichkeit,  Endlichem  und  Unendlichem  ,  Subject  und  Object 
prophetisch  und  plastisch  vollzogen  ist. 

Die  Hirsche,  von  Brockes. 

1. 

Flalb  in  frisch  und  kühlen  Schatten,  halb  im  schwülen  Sonnenschein, 
Unter  blätterreichen  Bäumen,  zwischen  kräuterreichen  Hügeln 
Sieht  man  einen  edlen  Hirsch  hier  im  klaren  Bach  sich  spiegeln, 
So  natürlich,  dass  der  Schein  selbst  ein  Urbild  scheint  zu   sein. 
Ist  gleich  seine  Stellung  still,  lässt  uns  doch  sein  rasches  "Wesen 
Seine  schüchterne  Natur,  aus  fast  regen  Zügen  lesen. 
Seht!  es  rühren  sich  die  Ohren.     Schaut!  die  Augen  sehn  mich  an. 
Hört!  ob  man  nicht  eigentlich  das  Geraschel  hören  kann 
Des  von  ihm  zertret'nen  Schilfs.  —  Edler  Ridinger,  dein  Geist, 
Welcher  uns  des  Schöpfers  Macht,  in  der  Körper  Schönheit,  weis't, 
Zeiget,  welche  Kraft,  zu  bilden,  Gott  den  Geistern  eingesenket, 
Und  zugleich,  wie  gross  das  Maass,  welches  dir  von  Ihm  geschenket. 

2. 


Seht  geschwinde,  wie  so  rasch,  munter,  fertig,  schnell  und  leicht 
Hier  der  Hirsch,  auf  flacher  Ebne,  nach  dem  Walde  springt  und  fleucht 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  167 

Er  ist  in  so  reger  Stellung,  dass  sein  Flieh'n  ich  nicht  nur  sehe, 
Sondern  fast  das  Stampfen  hör'.     Seht,  wie  lieblich  von  der  Höhe 
Dort  die  langen  Schatten  fallen,  und  den  kühlen  Abend  weisen. 
Selbst  in  der  Copie  der  Anmuth  kann   man  hier  den  Schöpfer  preisen ; 
Denn  mich  deucht,  ich  war  im  Felde,  bei  gekühlter  Abendzeit, 
Und  bewunderte  der  Sonnen  untergeh'nde  Herrlichkeit. 
Ist  die  Kunst  nicht  hoch  zu  schätzen,  da  durch  sie  wir,  wie  so  schön 
Die  im  Frühling  schöne  Welt,  auch  im  Frost,  im  Zimmer  sehn? 
Wann  Du  der  Geschöpfe  Schönheit,  durch  das  Aug',  uns  einverleibest: 
Rührest  Du,  durch  deine  Hand,  Ridinger,  uns  unser  Herz. 
Eines  guten  Schreibers  Griffel  ist  dein  Griffel.     Denn  Du  schreibest 
Unsers  grossen  Schöpfers  Thaten,  wirklich  in  der  That  in  Erz. 


Im  verwachsenen  Gefilde,  zwischen  dick-bebuschten  Hügeln, 
Im  mit  Schilf  bekränzten  Bach,  der  im  Wiederschein  stets  grün 
Durch  der  grünen  Blätter  Schatten,  in  polirter  Klarheit  schien, 
Sieht  man  hier  den  edlen  Hirsch  weiden,  und  zugleich  sich  spiegeln. 
In  des  offnen  Maules  Stellung  sieht  man  deutlich,  dass  er  fühle, 
Wie  die  feucht'  und  frische  Kost  ihn  mit  Anmuth  nähr'  und  kühle. 
Doch  sein  Auge  zeigt  zugleich,  dass  sein  prächtiges  Geweih, 
So  der  Wiederschein  ihm  zeiget,  seiner  Blicke  Vorwurf  sei. 
Wer  bewundert,  der  dies  siehet,  nicht  des  Künstlers  kluge  Hand? 
Jeder  Punkt  zeigt  einen  Geist,  jede  Linie  Verstand. 
Aber  hört!  erkennt  dabei,  wenn  auch  sein  Gemälde  rühret, 
Dass  er  uns,  durch  die  Copie,  zum  weit  schönern  Urbild  führet. 

Der  Punkt  der  Versöhnung  und  Vermittelung  wird  verglichen 
mit  der  Knospe  einer  sich  entwickelnden  Pflanze,  abschliessend 
das,  was  hinter  ihr  liegt,  und  aufschliessend  das,  was  nach 
neuen  Richtungen  ihr  mit  neuem  Triebe  entkeimt.  Es  giebt 
aber  in  dem  Prozesse  der  Entwickelung  zwei  Hauptrichfungen, 
nach  denen  sich  der  Geist  fortspinnt,  an  dem  Denken  und  an 
der  Anschauung.  Entweder  die  Empfinduug  vermittelt  Gegen- 
stände und  Handlungen  unserm  Ich  oder  dem  Subject,  oder 
das  Subject  bezieht  seine  Vorstellungen  auf  die  Gegenstände 
selbst,  ihr  Wesen,  ihre  Eigenschaften,  ihre  Farbe,  ihre  Be- 
wegung, und  betrachtet  sie  als  wirklich  gegenwärtig  und  als 
hätten  sie  ein  wirkliches  Dasein,  mit  einem  Worte  als  objectiv. 
Die  Wahl  bald  der  einen,  bald  der  anderen  Art  der  Vorstellung 
bedingt  nun  den  Weg,  Avelchen  beide  Richtungen  verfolgen,  um 
endlich  zu   einer  Versöhnung;   und  Vermittelung;  wieder    zu   ge- 


168  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

langen,  welche  der,  von  der  sie  ausgingen,  analog,  nur  mehr 
der  Vollendung  oder  dem  höchsten  Ziele  näher  gerückt  ist. 
Diese  Genesis  der  Lyrik  im  18.  Jahrhundert  nachzuweisen ,  ist 
die  Aufgabe. 

In  einem  solchen  Knoten-  und  Knospenpunkte  der  Ent- 
wickelung des  dichterisch  schaffenden  Geistes  liegen  rückbezüg- 
liche und  aufwärtstreibendc,  negative  und  positive  Kleinente. 
Die  Poesien  von  Brockes,  gesammelt  unter  dem  Titel:  Irrdisches 
Vergnügen  in  Gott,  Hamburg  1721,  9  Bände,  enthalten  Beides. 
Der  negative  Charakter  der  Brockes'schen  Poesien  besteht  darin, 
dass  von  ihm  an  die  französirende  Weise  des  Hoffinannswaldau- 
Lohenstein  mehr  und  mehr  verfiel,  indem  die  Engländer  Thomson 
und  Milton  als  Muster  dienten;  sodann,  dass  durch  ihn  alles 
Materialistische  und  Rohe  entfernt,  und  endlich,  dass  der  Ge- 
legenheitsdichterei an  den  Höfen  ein  Ende  gemacht  wurde. 
Seine  positiven  Elemente  sind  ausser  dem  Didaktisch -Moralischen 
und  Philosophischen  das  neue  Element  der  Naturschilderung 
und  das  Gefühlsmässige  oder  Sentimentale.  In  Brockes  liegen 
also  die  Keime  der  von  nun  an  frischer  emporstrebenden  Arten 
der  deutschen  Lyrik,  des  geistlichen  Liedes,  der  Ode,  der  Elegie 
und  des  Kunstliedes.  Bevor  aber  die  Fortentwickelung  der 
Lyrik  aus  diesen  Keimen,  wie  sie  in  den  Poesien  des  Brockes 
elementarisch  liegen,  begleitet  wird,  ist  die  Verständigung  über 
den  Charakter  der  Lyrik  und  ihre  Gliederungen  noth wendig. 

Die  Bestimmung  des  lyrischen  Gedichts  ist:  höchster  Aus- 
druck der  Empfindung  des  Subjects  zu  sein,  ihr  Hauptcharakter 
demnach  Subjectivität.  Die  Bedeutung  der  Subjectivität  ist 
zwar  immer  eine  geringere  als  die  der  Objectivität,  allein  in 
der  Periode  des  Aufschwunges  ist  auch  in  der  Lyrik  immer 
der  Trieb  dagewesen  in  das  Objective  überzugehen  und  sich 
mit  ihm  zu  verbinden.  Das  edelste  Streben  der  Lyrik  ist  daher 
das,  den  von  aussen  gegebenen  Inhalt  durch  den  Geist  zu  er- 
fassen und  ihn  in  das  innere  Bewusstsein  aufzunehmen.  Welches 
war  nun  der  neue  Inhalt,  den  der  Geist  in  sich  aufzunehmen 
und  zu  bilden  hatte?  Zunächst  die  nahe  liegenden  Beziehungen 
zu  dem  Menschen  selbst,  die    zu  dem  anderen  Geschlecht,  zur 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  169 

Familie,  zur  Freundschaft,  zum  gemeinsamen  Volksstamme, 
dann  die  Beziehungen  zur  Natur.  Es  sollen  mit  einem  Worte 
Religion,  Le'en,  Natur  und  Kunst  Inhalt  sein  und  sich  zudem 
noch  gegenseitig  durchdringen.  Der  Träger  einer  solchen  Be- 
ziehung des  Subjects  zu  dem  Gegenstande  ist  das  Gefühl  und 
wird  in  Bewegung  gesetzt,  wenn  die  Objecte  auf  den  Dichter 
einwirken.  Ein  neuer  Schauplatz  thut  sich  dann  auf,  es  ist  die 
Natur  mit  ihren  Thälern  und  Bergen,  Auen  und  Haiden,  mit 
den  tausend  Schönheiten  des  Frühlings  und  Sommers,  wie  mit 
dem  wunderbaren  Detail  des  Spätherbstes;  es  sind  die  ländliche 
Gegend,  die  einsame  Mühle  oder  Bauernhütte,  die  reiche  Wald- 
wiese und  ihre  Einsamkeit,  der  berasete  Dorfkirchhof.  Aus 
x\llem  spriesst  das  frische  Grün  der  Empfindung  hervor  und 
erfreut  die  Seele  des  Menschen.  Sodann  wird  auch  das  jre- 
meinsam  Nationale  von  der  Empfindung  bezogen  und  erscheint 
in  Symbolen  der  Freiheit;  die  Erinnerung  an  die  Thaten  der 
Väter  wird  wach.  Endlich  erscheint  die  Religion  und  die  Offen- 
barung im  Lichte  der  Idee,  um  Alles  zu  durchdringen.  Ideale 
schwellen  das  trunkene  Herz  des  Dichters,  wunderbare  Wärme 
erregt  die  Sehnsucht  und  das  Sentiment,  von  dem  L.  Sterne 
sagt  in  seinen  empfindsamen  Reisen:  Dear  sensibility!  source 
inexhausted  of  all  that's  precious  in  our  joys  or  costly  in  our 
sorrows!  Thou  chainest  thy  martyr  down  upon  bis  bed  of  straw 
and  it  is  thou  who  lifts  him  up  to  heaven. 

Ein  anderes  charakteristisches  Moment  der  Lyrik  neben 
dem  Gefühlsmässigen  ist  das  Naturgemässe ,  die  naturgemässe 
Wahrheit,  d.  h.  die  dichtende  Brust  muss  so  empfinden,  wie 
tausend  Herzen  wirklich  fühlen  können.  Des  Dichters  Seele 
ist  die  Seele  der  Menschheit,  er  spricht  nur  aus,  was  seine 
Zeit,  sein  Volk,  seine  Glaubensgenossen  in  dunkler  Ahnung 
fühlen. 

Formell  endlich  ist  Charakter  der  Lyrik  das  Musikalische 
und  Malerische.  Das  Lied  will  gesungen  sein ,  es  bedarf  der 
Strophe,  des  Rhythmus,  ja  es  sucht  den  Reim  sich  dienstbar  zu 
machen.  Verschiedene  Formen  nun  und  verschiedener  Inhalt 
zwingen  die  lyrische  Gattung,    sich   in  mehrere  Untergattungen 


170  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

zu  zergliedern.  Sie  haben  alle  die  oben  auseinandergesetzten 
Besonderheiten  der  Gattung:  die  Subjectivität,  das  Gefühls- 
mässige,  das  Naturgemässe  gemeinschaftlich,  sondern  sich 
aber  nach  Inhalt  und  Form  und  müssen  also  auch  eine  jede 
ihre  eigene  genetische  Entwickelung  haben.  Nur  das  Streben 
des  dichterischen  Bewusstseins,  sich  mit  dem  Inhalt  zu  ver- 
schmelzen, zu  der  Yermittelung  des  Subject-Objects  zu  ge- 
langen, wird  wieder  Allen  gemeinschaftlich  sein,  und  diejenige 
lyrische  Untergattung,  welche  dies  Ziel  nicht  erreichen  kann, 
wird  auf  ihrem  Gange  verkümmern,  wenn  eine  von  ihren  glück- 
licheren Schwestern  das  endliche  Versöhnungsfest  des  Subjects 
mit  dem  Object,  des  Idealen  mit  dem  Realen  zu  feiern  berufen 
ist.  Für  die  klassische  Literaturperiode  wird  diese  Apotheose 
gewöhnlich  dem  Kunstliede  Göthes.  Wenn  die  plastische  d.  i. 
heidnische  Schönheit  als  das  höchste  Ideal -Reale  sich  bestimmen 
Hesse,  so  wäre  die  Versöhnung  des  Subjects  mit  dem  Object 
durch  Göthes  Kunstlied  in  der  Dichtkunst  in  der  That  gefeiert 
worden.  Allein  die  ewigen  Realitäten  und  ihre  Geheimnisse 
sind  dem  subjectiven  Aneignen  des  Menschengeistes  entrückt 
und  nur  durch  die  Offenbarung  durchscheinend  dem  Menschen- 
geschlechte  wiedergegeben ,  sodass  eine  letzte  Vermittelung  und 
Versöhnung  des  Idealen  und  Realen  in  keinem  Gebiete  des 
schaffenden  Menschengeistes  je  auf  Erden  Statt  finden  kann. 

Das  Princip  für  die  Geschichte  der  Entwickelung  der 
Lyrik  ist,  wie  schon  gesagt,  der  Begriff  der  Vermittelung  und 
Versöhnung  des  Idealen  mit  dem  Realen.  Die  Genesis  der 
Lyrik  des  18.  Jahrhunderts  ist  also  da  zu  suchen,  wo  die  ersten 
Spuren  des  Auseinandergehens  jener  beiden  Momente  wahr- 
zunehmen sind.  Ein  Auseinandergehen  kann  aber  nur  da  statt- 
finden,  wo  eben  vorher  eine  Sammlung,  eine  Einheit  stattgefunden 
hat.  Ein  solcher  organischer  Einheitspunkt,  wo  eine  Vermittelung 
objeetiven  Inhalts  und  subjectiver  Empfindung,  wenn  auch  auf 
niederer  Stufe,  concret  vollzogen  worden,  sind  —  am  Schlüsse 
der  Periode  der  schlesischen  Dichterschulen  —  die  Poesieen  des 
Berthold  Heinrich  Brockes,  Rathsherrn  zu  Hamburg,  heraus- 
gegeben unter  dem  Titel:  „Irrdisches  Vergnügen  in  Gott,"  Ham- 
burg 1721,  9  Bde. 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  171 

Nur  das  geistliche  Lied  hatte  schon  längst  seine  schönsten 
Blüthen  getrieben,  ehe  es  in  die  Periode  der  klassischen  Literatur 
mit  einzutreten  berufen  war.  Ein  Rückblick,  wenn  auch  nicht 
bis  auf  die  Lieder  Luthers,  doch  auf  die  Uebergangsdichter  des 
Kirchenliedes  ist  daher  hier  unerlässlich.  Unter  allen  nun,  in 
denen  die  Glaubenskraft  Luthers  am  reinsten  vertreten  ist,  rasrt 
der  bekannte  Paul  Gerhard  hervor.  Neben  ihm  stehen  Geor<r 
Neumark  und  Paul  Flemming.  Beiden  gehen  voran  Simon  Dach, 
Johann  Rist,  Johann  Heermann.  Auf  einer  zweiten  Stufe  stehen 
Andreas  Scultetus ,  David  von  Schweinitz,  Johann  Franke, 
Andreas  Heinrich  Buchholtz  und  Andreas  Gryphius,  der  Mit- 
begründer der  zweiten  schlesischen  Dichterschule.  In  diesen 
eben  genannten  Dichtern  hatte  sich  das  protestantische  Kirchen- 
lied nicht  nur  vollständig  entwickelt ,  sondern  auch  mit  seinem 
dogmatischen  Inhalt  das  Uebergewicht  über  jede  andere  Richtung 
innerhalb  der  geistlichen  Lyrik  errungen.  Dem  dogmatischen 
Liede  gegenüber  war  bei  den  zwei  Katholiken  zunächst ,  Jacob 
Bälde  und  Friedrich  von  Spee,  eine  Hinneigung  auf  das  Innere, 
ein  Versenken  in  die  Betrachtung  der  Natur  und  des  Göttlichen 
eingetreten.     So  singt  Spee  in  seiner  Trutznachtigall: 

Gleich  früh,  wann  sich  entzündet 
Der  silberweisse  Tag, 
Und  uns  die  Sonn'  verkündet, 
Was  Nachts  verborgen  lag : 
Die  Lieb  in  meinem  Herzen 
Ein  Flämmlein  stecket  an, 
Das  brennt  gleich  einer  Kerzen, 
So  Niemand  löschen  kann. 

Sodann  hatte  sich  noch  ein  anderer,  und  zwar  der  edelste 
Aufschwung  innerhalb  der  geistlichen  Poesie  gezeigt ,  nemlich 
der  Hallische  und  Herrnhutische  Pietismus.  Der  Pietismus, 
zunächst  eine  Reaction  gegen  Orthodoxie  und  Scholastik,  nimmt 
in  der  Entwicklung  des  Geistes  innerhalb  der  Theologie  sowohl, 
als  in  der  Literatur  einen  wichtigen  Punkt  ein.  Es  ist  nemlich 
das  Wesen  desselben,  dass  er  sein  eignes  Innere,  also  das 
Subjective  und  Endliche  dem  göttlichen  Inhalte,  dem  Unendlichen 
ganz  und  zwar  freiwillig  unterworfen  hat  und  in  das  Leben  der 
christlichen    Religion    einzudringen    strebt.      Dies    ist    ein   Ver- 


172  Die  Ent  wi  e  kelung  der  Lyrik 

mittelungsprozess  von  Subject  und  Object,  mithin  eine  Ent- 
wicklungsstufe, auf  welcher  der  Mensch  mit  Gott  versöhnt  ist. 
So  lange  der  Pietismus  daher  wie  bei  Spener,  Hermann  Aug. 
Francke  und  Ludwig  von  Zinzendorf  energisch  sich  bethätigt 
an  dem  Werke  der  Liebe,  das  für  Alle  vollbracht  ist,  ist  er 
eine  der  edelsten  Erscheinungen.  Da  nun  das  religiöse  Moment 
auch  wahrhaft  poetisch  ist,  so  musste  auch  das  geistliche  Lied 
der  llallischen  und  Herrnhutischen  Pietisten  eine  hohe  Weihe 
haben.  Befand  sich  der  Pietismus  im  Besitze  des  höchsten 
Gutes,  des  absoluten  Wesens  selbst ,  so  war  doch  seine  Poesie 
noch  nicht  im  Besitze  auch  seiner  Naturoffenbarung,  sondern 
im  Gegensatze  zu  jedem  weltlichen  Inhalte  und  daher  einseitig. 
Dasselbe  war  auch  der  Fall  mit  der  eigentlichen  Mystik,  welche 
angezogen  von  der  Richtung  Jacob  Böhmes  bei  Angelus  Silesius, 
in  dessen  cherubinischem  Wandersmann,  geistlichen  Hirtenliedern 
und  der  betrübten  Psyche  eine  Stätte  fand.  Die  Mystik  ist  in 
allen  Perioden  der  Völker  immer  ein  Durchgangspunkt  zu 
Höherem  und  Besserem  in  Religion  und  Poesie  gewesen,  indem 
sie  die  Versöhnung  des  Subjects  und  Objects  auf  einer  Stufe 
des  Abschlusses  einer  geistigen  Culturperiode  bezeichnet  hat. 
Wir  gedenken  hier  eines  Johann  Tauler  und  des  Büchleins  von 
der  Nachfolge  Christi.  Die  Mystik  hat  zu  allen  Zeiten  die 
schönsten  Blüthen  gespendet,  und  nach  einer  Zeit  wie  die  der 
Reformation,  wo  dem  subjeetiven  Glauben  die  Aufgabe  geworden 
war,  selbstthätig  seine  Vereinigung  mit  dem  göttlichen  Geiste 
zu  vermitteln,  war  es  erklärlich,  diese  Vermittelung  auf  dem 
Wege  des  Versenkens  in  Gott  zu  erstreben  und  Gott  selbst  im 
Innern  anzuschauen.  Es  spricht  sich  dieses  Einssein  mit  dem 
höchsten  Wesen  in  dem  Verse  des   Angelus  Silesius  aus : 

Ich  lieb'  ein  einzig  Ding, 
Und  weiss  nicht  was  es  ist, 
Und  ob  ich  es  nicht  weiss, 
Doch  hab'  ich  es  erkies't. 

Diese  drei  Richtungen  der  geistlichen  Lyrik,  die  alt -pro- 
testantische, die  katholisirende,  die  pietistisch -mystische  hatten 
den  Trieb  nach  der  Versöhnung  des  Subjects  mit  dem  Object 
in  sich.     Nun   ist   es    aber   das    Eigentümliche   der    geistlichen 


in  der  klassischen  "Lil  oraturperiode.  173 

Lyrik,  dass  ihr  Inhalt  nicht  von  der  Welt  stammt,  d.  h.  kein 
reeller  ist,  sondern  ein  ideeller,  der  nicht  von  dem  sinnlich 
Wahrnehmbaren  seinen  Ursprung  nimmt.  Wie  aber  jede  Sub- 
jectivität,  so  sucht  sich  auch  die  religiöse  in  der  Welt  der  Er- 
scheinungen wirklich  zu  machen.  Es  soll  auch  in  der  That  alle 
Kunst  und  alle  Poesie  religiös  sein.  Zur  Herrschaft  über  das 
weltliche  Lied  konnte  es  daher  das  geistliche  wohl  bringen,  aber 
nicht  zur  absoluten  Herrschaft  in  der  Kunstpoesie,  weil  die 
geistlichen  Dichter  sich  abstrahirend  von  jedem  endlichen  Inhalt 
und  sogar  entgegengesetzt  gegen  das  Weltliche  verhielten,  mit- 
hin noch  nicht  aller  Inhalt  in  das  Licht  des  Gedankens  gesetzt 
war.  Da  gab  Barthold  Heinrich  ßrockes  in  seinem:  „Irrdischen 
Vergnügen  in  Gott"  der  religiösen  Empfindung  noch  die  ganze 
äussere  Natur  als  Object,  als  Inhalt,  und  das  lyrische  Gedicht 
trat  somit  auf  den  Durchgangspunkt,  aus  dem  die  neuen  Triebe 
des  klassischen  Zeitraumes  emporsprossen  konnten.  Ein  Trieb 
aber  hat  das  Nothwendige  in  sich,  sich  sogleich  zu  entwickeln. 
Das  erste  Moment  nun,  welches  sich  aus  Brockes  Poesie  heraus- 
setzte, und  von  nun  an  in  die  Lyrik  überging,  war  das  Ma- 
lerische in  Verbindung  mit  dem  Religiösen.  Wir  treffen  es  in 
dem  Vorläufer  Klopstock's,  in  Karl  Friedrich  Drollinger  (1688 
—  1742),  Hofrath  in  Basel,  welcher  das  neu  überkommene 
Moment,  die  Schönheit  der  Natur,  in  das  Licht  der  religiösen 
Idee  zu  setzen  verstand.  —  Das  zweite  Moment  der  Brockes'- 
schen  Poesie  war  das  Didaktische  in  Verbindung  mit  dem  Ma- 
lerischen. Dies  bildet  sich  fort  bei  Albrecht  von  Haller,  welcher 
wie  Drollinger  auf  Klopstock  hinweist.  Das  dritte  Moment 
der  Brokes'schen  Poesie  war  das  Gefühlsmässige,  das  Weh- 
müthige,  das  Sentimentale;  der  Dichter  aber,  bei  dem  durch  die 
Hinneigung  zum  Wehmüthigen,  Ernsten  und  Religiösen  alle 
diese  Strahlen  wieder  gleichsam  in  einen  Focus  gesammelt 
werden  sollten,  war  Friedrich  Gottlob  Klopstock. 

Zu  der  Natur  und  Religion,  wie  sie  bei  Brockes  Inhalt 
sind,  fügte  er  die  Momente  der  Freiheit  und  Vaterlandsliebe 
hinzu,  sodass  diese  sämmtlichen  Beziehungen  auf  das  höchste 
Allgemeine  bei  ihm  den  Grundzug  bilden.  So  ist  denn  durch 
Klopstock    der    gesammte    endliche    Inhalt    in    den    Dienst    des 


174  Die  Entwickeln ng  der  Lyrik 

aktiven,  religiös  anschauenden  Subjects  gegeben,  und  also  die 
Versöhnung  des  Realen  und  Idealen  zum  erstenmal  in  der  Lyrik 
vollbracht  worden.  Alle  Dinge  auf  Gott  oder  die  absolute  Idee 
zu  beziehen,  das  war  der  Beruf  Klopstocks,  seine  That  war  es, 
dass  die  Versöhnung  des  Sinnlichen  mit  dem  Religiösen  inner- 
halb der  Poesie  zu  Stande  kam,  und  in  dieser  Beziehung  wird 
er  der  erste  klassische  Dichter  genannt.  Dazu  kam  nun  noch 
als  neue  Form  der  musikalische  Vollklang  der  Sprache,  ein 
Vermächtniss  von  Brockes,  ferner  das  durch  ihn  neu  in  der 
Poesie  erscheinende  Pathos  oder  das  Pathetische,  und  das  schöne 
formale  Denken.  Diese  machten  die  äussere  Seite  seiner  Lyrik 
aus.  Alles,  was  darüber  noch  hinausging,  Hess  sich  entweder 
in  das  Epos,  den  Messias,  aufnehmen,  oder  strömte  in  dieser 
schönen  Vermählung  von  Idee  und  Leben,  von  Inhalt  und  Form 
den  Untergattungen  der  Lyrik,  der  Ode  und  Elegie  zu,  oder 
zersetzte  sich  sofort  wieder  in  die  Elemente,  aus  denen  es  sich 
gebildet  hatte,  in  das  Religiöse,  Musikalische  und  Didaktische, 
wie  bei  Geliert,  Lavater,  Joh.  Andreas  Cramer,  Adolf  Schlegel 
und  Christian  Friedrich  Neander. 

Die  drei  Haupt  -  Untergattungen  der  Lyrik  des  18.  Jahr- 
hunderts sind:  die  Ode,  die  Elegie  und  das  Lied.  Sie  haben 
alle  drei  Empfindungen  zum  Inhalt  und  drücken  die  Empfindung 
des  Dichters  aus.  Bei  den  alten  Völkern  waren  alle  drei  noch 
eins,  wie  der  griechische  Ausdruck  wdij  Gesang  bezeugt.  In 
dieser  Zeit  des  Alterthums  war  der  Unterschied  der  Gegen- 
ständlichkeit und  der  Empfindung  noch  nicht  gegeben,  und  der 
Urzustand  von  allen  dreien  ist  ein  objectiver.  Die  antiken  Lieder 
sind  daher  zuerst  alle  Oden,  welchen  Inhalt  sie  aucli  haben 
mögen.  Vortrag,  Einkleidung  und  lebhafte  Bilder  können  also 
jeden,  auch  den  kleinsten  Inhalt  zur  Ode  werden  lassen,    z.  B. 

An  die  Grille    (Anakreon). 


Glücklich  preis'  ich  Dich,  o  Grille, 
Die  auf  grünem  Wiesenplan, 
In  des  Waldes  heil'ger  Stille, 
Wie  ein  König  leben  kann. 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  175 


Wenig  Thau  ist  ihre  Speise, 
Feld  und  Flur  sind  ihr  Gebiet, 
Ueberall  in  gleicher  Weise 
Tönt  ihr  immer  frohes  Lied. 


Niemand  thut  ihr  was  zu  Leide, 
Selbst  der  Landmann  ist  ihr  Freund, 
Sie  verkündet  uns  zur  Freude, 
Wenn  der  holde  Lenz  erscheint. 


Phöbus  selbst  ist  ihr  gewogen, 
Auch  die  Musen  sind  ihr  hold; 
Phöbus  gab  ihr  wohlgewogen 
Eine  Stimme  rein  wie  Gold. 


Keine  Zeit  schwächt  ihre  Kräfte, 
Still  lebt  sie  im  grünen  Reich, 
Blutlos,  ohne  ird'sche  Säfte 
Ist  sie  fast  den  Göttern  gleich. 

Die  Aesthetiker  sagen:  Charakter  der  Ode,  materiell,  ist 
das  Erhabene.  Die  Ode  ist  die  Frucht  des  höchsten  Feuers 
der  Begeisterung,  oder  wenigstens  des  lebhaftesten  Impulses  der 
dichterischen  Subjeetivität.  Es  ist  nicht  die  Grösse  des  Gegen- 
standes, nicht  die  Wichtigkeit  des  Stoffes,  sondern  das  Erhabene 
des  Gedankens,  was  der  Ode  eigenthümlich  ist.  Insofern  der 
Gedanke  mit  dem  Inhalt  noch  eins  und  die  Anschauung  noch 
ungetrennt  ist  vom  Inhalt,  ist  ihr  Charakter  Objectivität  gegen- 
über der  Elegie ,  in  der  das  Subject  sich  schon  dem  Inhalt 
gegenüber  leidend  findet.  Charakter  der  Ode,  formell,  ist  das 
Musikalische,  so  wie  auch  das  Pathos.  Es  lässt  sich  wohl  an- 
nehmen, dass  ein  so  ausserordentlicher  Aufschwung  der  Ge- 
danken, ein  Zustand,  in  dem  man  vor  Fülle  der  Empfindung  in 
den  Gesang  übergehen  will,  auch  einen  ausserordentlichen  Rhyth- 
mus veranlasst  haben.  Die  Griechen  haben  für  die  Kunstode 
die  schönsten  Metra  und  Anordnungen  erfunden,  ja,  der  könig- 
liche Sänger  David  hat,  wenn  auch  nicht  die  Sylben  gemessen, 


176  Die  Entw icke lung  der  Lyrik 

doch    in   dem   sogenannten  Parallelismus    dem  Psalmenvers   eine 
musikalische  Form  gegeben: 

Wohl  dem,  der  nicht  wandelt  im  Rath  der  Gottlosen, 
Noch  tritt  auf  deu  Weg  der  Sunder, 
Noch  sitzt,  da  die  Spötter  sitzen. 

Das  andere  Formale  ist  die  stärkere  Schattirung  des  Ge- 
dankens, welche  man  das  Pathos  nennt: 

Nicht  in  den  Ocean  der  Welten  alle 

Will  ich  mich  stürzen !  schweben  nicht 

Wo  die    ersten  Erschaffenen,  die  Jubelchöre  der  Söhne  des  Lichts 

Anbeten,  tief  anbeten !  und  in  Entzückung  vergehn  ! 

Als  Eigenthümliches  der  Barthold  Heinrich  Brockes'schen 
Dichtungen  war  oben  festgestellt  worden:  1)  Das  Didaktische 
und  das  Philosophische,  beide  in  Verbindung  mit  dem  Malerischen, 
ein  Erbtheil  seiner  Vorgänger,  und  2)  das  Naturgemässe  und 
das  Gefühlsmässige ,  beide  neu  und  damals  in  Deutschland 
diesem  Dichter  eigenthümlich. 

Gottheit,  deren  ewigs  Wesen  heilig,  selig,  herrlich,  wahr, 
Unerforschlich,  weis',  allmächtig,  liebreich  und  unwandelbar, 
Lass  mich  von  dem  hellen  Himmel  nie  die  strahlenreichen  Höhen, 
Ohn'  an  Deine  Lieb'  und  Macht  fröhlich  zu  gedenken,  sehen! 
Bis  mein  Geist,  nach  dieser  Erde,  von  der  ew'gen  Sonnen  Schein 
Wird,  unmittelbar  bestrahlet,  ewiglich  erleuchtet  sein. 

(Brockes  V,  4.) 

Flammende  Rose,  Zierde  der  Erden, 
Glänzender  Gärten  bezaubernde  Pracht! 
Augen,  die  Deine  Vortrefflichkeit  sehen, 
Müssen  vor  Anmuth  erstaunet,  gestehen, 
Dass  Dich  ein  göttlicher  Finger  gemacht. 

Vor  Brockes  lagen  die  Elemente  der  Ode,  der  Elegie  und 
des  Liedes  unentfaltet  in  den  Hymnen  des  siebenzehnten  Jahr- 
hunderts. Martin  Opitz  von  Boberfeld  hatte  die  Ode  vermittelst 
seiner  Bekanntschaft  mit  den  Alten  und  mit  den  Literaturen 
der  benachbarten  Völker  wieder  aufs  Neue  in  die  Lyrik  ein- 
geführt, und  auch  den  gelehrten  Dichtern  der  Hoffmannswaldau- 
Lohensteinschen  Schule  war  sie  in  der  klassischen  Form  über- 
kommen.    Die  Ode  hatte   daher    nur  die  Aufgabe  sich   generell 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  177 

zu  bestimmen  und  sich  aus  der  verwandten  Hymne  heraus- 
zusetzen. Dies  geschah  durch  Klopstock.  Unterdessen  war 
auch  ausserhalb  die  Atmosphäre,  in  welcher  die  neue  weltliche 
Lyrik  athmen  sollte,  eine  andere  geworden.  Statt  der  Italiener 
und  Franzosen  waren  die  Engländer  als  Muster  genommen 
worden:  Shakspeare,  Lawrence  Sterne,  Goldsmith,  Swift, 
Henry  Fielding,  Samuel  Richardson,  Edward  Young,  Addison, 
Alexander  Pope,  James  Thomson,  John  Milton,  Thomas  Grey, 
William  Collins,  Tobias  Smollet. 

In  dem  Uebergangsdichter  B.  H.  Brockes  lagen  also  als 
einzelne  Momente  das  Didaktische,  das  Religiöse,  die  Natur- 
malerei und  das  Gefühlsmässige.  Dennoch  setzte  sich  Anfangs 
das  Naturgemässe  und  Religiös -Didaktische  nicht  sogleich  ver- 
mittelt aus  diesem  Einheitspunkte  bei  Brockes  heraus,  sondern 
zunächst  das  religiöse  Element  allein  in  Karl  Friedrich  Drol- 
linger,  und  das  Didaktische  ebenfalls  allein  in  Albrecht  von 
Haller  (aus  Bern,  1708 — 1777,  Professor  in  Göttingen,  zuletzt 
in  Basel). 

Beide  verpflanzten  diese  zwei  Elemente  Brockesscher  Poesie 
nach  den  süddeutschen  Ländern,  während  im  Norden  die  Auf- 
nahme der  ganzen  Natur,  der  Religion,  der  Freiheit  und  des 
Vaterlandes  der  neue  Inhalt  wurde. 

Waren  die  Momente  in  der  Kunstode  Klopstocks  nur  das 
Religiöse,  die  Freiheit,  das  Vaterländische,  die  Naturanschauung, 
so  geschah  es  bald,  das3  dieselben  in  einem  Zersetzungsprozesse 
sich  einzeln  herausstellten.  So  gab  das  Vaterländische  oder 
Patriotische  die  Veranlassung  zu  der  Bardendichtung  nach 
Ossian,  in  welcher  die  nordisch -germanische  und  keltische 
Sagenwelt  sich  einführt  in  die  lyrische  Form  und  bis  zum 
Episch -Dramatischen  vorgeht.  Ausser  Klopstock  dichteten  in 
dieser  Weise: 

Michael  Denis  (1729  — 1800,  aus  Baiern,  Uebersetzer  des 
Ossian). 

Das  Donnerwetter. 

Herrlich  und  furchtbar  bist  Du,  gewaltiger 
Wolkenversammler,  Himmelverfinsterer!  u.  s.  f. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXV1I1.  12 


178  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

Karl  Friedrich  Kretschmann  (1738 — 1809,  aus  Zittau)  in 
seinem:  „Gesang  Kingulph  des  Barden"  und  „Klage  Kingulph 
des  Barden." 

Wilhelm  von  Gerstenberg  (1737  —  1823,  aus  Tondern). 

Auch  in  den  Göttinger  Kreis  ging  die  Barden -Ode  über. 
Göttingen  nemlich  war  der  Platz  für  englische  Literatur  in 
Deutschland  geworden.  Seit  1763  lebten  daselbst  Heinr.  Christ. 
Boje  und  Friedr.  Wilh.  Gotter.  Beide  machten  den  Versuch 
einer  Nachahmung  des  Almanac  des  Muses,  einen  deutschen 
Musenalmanach  mit  Unterstützung  der  Dichter  Gleim,  der 
Karschin,  Willamov,  Thümmel,  Kretschmann,  Klopstock, 
Gerstenberg  und  Ramler  herauszugeben.  Zu  diesen  kamen 
bald  Gottfr.  Aug.  Bürger,  Hölty,  Martin  Miller,  Joh.  Heinr. 
Voss,  Joh.  Andreas  Cramer,  Christian  und  Friedrich  Leopold 
von   Stollberg. 

Ausser  der  Abstraction  der  Klopstock'schen  Ode  nach  der 
Seite  des  Vaterländischen  hin,  wie  es  in  der  Barden -Ode  zum 
erstenmal  national -deutsch  zum  Vorschein  kommt,  hob  sich  das 
Formale  der  Ode  einseitig  hervor  bei  Karl  Wilhelm  Ramler, 
dem  Uebersetzer  des  Horaz,  und  insbesondere  das  formale  Pathos 
bei  Johann  Gottlieb  Willamov  (1736  —  1777,  aus  Morungen  in 
Ostpreussen,  Dithyramben.) 

Aus  den  Brockesschen  Poesien  hatte  sich,  wie  gesagt,  das 
Gef ühlsmässige  als  neues ,  dem  Zeiträume  der  Dichterschulen 
ganz  unbekanntes  Moment  herausgesetzt.  Das  Gef  ühlsmässige 
oder  Sentimentale  ist  die  Beziehung  der  Aussen  weit,  der  Ob- 
jecte ,  auf  das  Bewusstsein  des  Subjects.  Der  Zustand,  der  für 
den  Dichter  aus  einer  derartigen  Beziehung  entsteht,  heisst  das 
Gefühl.  So  wie  sich  nun  die  Empfindung  oder  das  Gefühl  im 
Unterschiede  von  der  Gegenständlichkeit  anschaut,  entsteht  die 
Elegie.  Die  Elegie  verhält  sich  zur  Ode  wie  Subjectives  zu 
Objectivem,  und  wie  bei  den  Griechen  erst  die  Ode  und  dann 
die  Elegie  sich  vorfand,  so  war  sie  auch  jetzt  die  Hauptunter- 
gattung, welche  auf  die  Ode  folgen  musste,  nachdem  das  Sub- 
ject  anfing,  sich  den  Gegenständen  gegenüber  zu  fühlen,  und 
das  Gemüth  gleichsam   der  Heerd  des  Gefühls,  eine  besondere 


in  der  klassischen  Literaturperiode:  179 

Betheiligung  bei  dem  Erfassen  der  Gegenstände  zeigte.  Die 
Sentimentalität  war  hervorgerufen  worden,  und  das  Elegische 
wurde  zugleich  Hauptcharakter  der  dichterischen  Productionen 
der  klassischen  Literaturperiode.  Passivität  der  Empfindung 
und  das  Wehmüthige  sind  mithin  das  Wesen  der  Elegie.  Mit 
einer  wunderbaren  Wärme  durchdrang  die  Wehmuth  in  jener 
Zeit  das  gesellige  Leben  und  schuf  eine  Begeisterung  für  das 
Ideale  und  für  die  absolute  Schönheit,  welche  in  diesem  Um- 
fange nie  wieder  poetische  Erzeugnisse  durchdrungen  hat.  Jedes 
fallende  Blatt,  jeder  Flitter  an  Todtenkränzen  füllte  die  Seele 
mit  den  dunklen  Vorstellungen  des  Idealen  und  hob  sie  hoch 
empor  über  das  gemeine  Wirkliche.  Was  die  Form  der  Elegie 
betrifft,  so  hatten  die  Griechen  den  Hexameter  abwechselnd  mit 
dem  Pentameter,  versibus  impariter  junctis,  wie  Horaz  sagt, 
für  dieselbe  gewählt,  das  sogenannte  elegische  Versmass.  Die 
Elegien  der  Griechen  sind  uns  verloren  i>eganp-en  und  nur  die 
lateinischen  des  Ovid,  Catull  und  Propertius  auf  uns  gekommen. 

Diese  wehmüthige  Stimmung  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
war  vorbereitet  worden  durch  die  empfmdungsvolle  Theilnahme 
an  der  Natur,  welche,  wie  wir  wissen,  durch  Barthold  Heinrich 
Brockes  in  die  Poesie  eingeführt  war.  Genetisch  entwickelte 
sich  also  diese  Stimmung  auf  ihre  Art,  stufenweise  durch  alle 
Untergattungen  hindurch,  bis  sie  sich  am  Ende  des  Jahrhunderts 
in  ihren  Extremen  gegenüber  dem  Objectiven  zeigt  und  eine 
neue  Versöhnung  von  Inhalt  und  Form,  Realem  und  Idealem 
gleichsam  ein  Postulat  innerhalb  der  Poesie  wird.  Der  elegische 
Hauch  zeigt  sich  in  seiner  ersten  und  ursprünglichen  Reinheit 
auch  bei  Klopstock;  bei  Göthe  kam  in  den  römischen  Elegien 
auch  der  altrömische  Begriff  von  Elegie  als  eines  subjectiven 
Gelegenheitsgedichtes ,  welchem  die  Klage  und  Wehmuth  nicht 
an  sich  nothwendige  Merkmale  sind,  wieder  auf.  Schiller  dich- 
tete seinen  „Spaziergang"  und  seine  „Nänie;"  die  Engländer 
tauchten  Alles  in  ihr  sentiment,  so  dass  wir  sehen,  wie  das 
ganze  Jahrhundert  materiell  und  formell  elegisch  war.  Die 
eigentlichen  Repräsentanten  der  Elegie  in  der  klassischen 
Literaturperiode  sind  : 

Ludwig  Heinrich  Christoph  Hölty  (1748  —  1776,  aus 
Mariensee  bei  Hannover). 

12' 


180  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

Wilhelms  Braut  war  gestorben,  der  arme  verlassene  Wilhelm 
Wünschte  den  Tod  und  besuchte  nicht  mehr  den  geflügelten  Reigen. 

Selig  Alle,  die  im  Herrn  entschliefen, 
Selig,  Vater,  bist  auch  Du.  u.  s.  f. 

Johann  Gaudenz  Freiherr  von   Salis-Sewis    (1762  — 1834, 
in  Graubündten). 

Das  Grab  ist  tief  und  stille 

Und  schauderhaft  sein  Rand  u.  s.  f. 

Traute  Heimat  meiner  Lieben, 
Sinn  ich  still  an  dich  zurück, 
Wird  mir  wohl  und  dennoch  trüben 
Sehnsuchtsthränen  meinen  Blick. 

Friedrich  Matthisson  (1761  — 1831  aus  Hohendodeleben  bei 
Magdeburg). 

Schweigend  in  der  Abenddämm'rung  Schleier 
Ruht  die  Flur,  das  Lied  der  Haine  stirbt  u.  s.  f. 

Die  Pappelweide  zittert 

Vom  Abendschein  durchblinkt, 

Wo  von  Jasmin  umgittert 

Die  Laube  traulich  winkt  u.  s.  f. 

Einsam  wandelt  Dein  Freund  im  Frühlingsgarten 
Mild  vom  lieblichen  Zauberlicht  umflossen  u.  s.  f. 

Christian  August  Tiedge  (1752  — 1841,  aus  Gardelegen). 

Mir  auch  war  ein  Leben  aufgegangen, 
Welches  reich  bekränzte  Tage  bot  u.  8.  f. 

Ludwig   Theobul    Kosegarten  (1758  —  1818,    aus   Greves- 
mühlen  in  Meklenburg). 

Sonne  Du  sinkst!  u.  s.  f. 

Seid  mir  gegrüsst,  ihr  grünenden  Gefilde! 
In  euch  wird  mir  so  traulich  wohl!  u.  s.  f. 

Ewald   Christian   von   Kleist   (1715—1759,    aus  Zöblin  in 
Pommern). 

Empfangt  mich  heilige  Schatten!  ihr  hohen  belaubten  Gewölbe, 
Der  ernsten  Betrachtung  geweiht,  empfangt  mich  und  haucht  mir 

ein  Lied  ein 
Zum  Ruhm  der  verjüngten  Natur,  u.  s.  f. 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  181 

Carl  Heinrich  Heidenreich  (1764 — 1803,  aus  Stolpen). 

O  wirf  oft  die  schöne,  ernste  Hülle, 
Schwester,  Du,  der  öden  Grabesstille, 
Traute  Einsamkeit,  um  mich !  u.  s.  f. 

Aus  allen  gegebenen  Proben  der  elegischen  Untergattung 
erhellt,  dass  durch  die  Reflexion,  die  der  Elegie  zu  Grunde 
liegt,  das  Subjective  wieder  von  dem  allgemeinen  Inhalt  getrennt 
worden  ist  und  die  Entwickelung  weiter  dahin  fortschreitet,  wo 
sich  das  Allgemeine  wieder  mit  dem  Subject  zu  verbinden  hat. 
So  zeigt  sich  denn  die  Auflösung  der  elegischen  Untergattung 
einerseits  in  dem  zuletzt  fehlerhaft  gewordenen  Natürlichen  des 
Inhalts  und  geht  andrerseits  in  die  Formlosigkeit  der  poetischen 
Prosa  unter.  In  den  äussersten  Extremen  der  Abstraction  vom 
Objectiven  angekommen,  verflachte  sich  das  Gefühlsmassige  in 
der  Elegie  immer  mehr  und  mehr. 

In  der  Elegie  ist  das  Ungetrenntsein  des  Endlichen  und 
Unendlichen  zwar  vorhanden,  aber  das  Subject  passiv  oder 
leidend.  In  der  Ode  war  das  Ungetrennte  des  Endlichen  und 
Unendlichen  und  das  Subject  aktiv  oder  positiv.  Die  herrschende 
Kunstkritik  räumt  daher  dem  Kunstliede,  als  der  Vermittelung 
der  absoluten  Allgemeinheit  mit  der  individuellen  Empfindung 
den  höheren  Platz  in  der  Entwickelung  der  lyrischen  Gattung  ein. 

Auch  das  Kunstlied  des  18.  Jahrhunderts  hat  seine  Keime 
in  jenen  Poesien  des  Barthold  Heinrich  Brockes,  welche  in 
dieser  Abhandlung  stets  als  Schlusspunkt  des  17.  Jahrhunderts 
und  Anfangspunkt  des  18.  Jahrhunderts  angesehen  worden  sind, 
weil  in  ihnen  die  Momente  des  Absoluten,  d.  i.  die  Schönheit, 
Wahrheit,  Freiheit  und  Religion  unentwickelt,  embryonisch  lagen. 
Brockes  hatte  sogar  ausser  dem  Religiös  -  Didaktischen,  welches 
in  das  geistliche  Lied  und  in  die  Ode  überging,  ausser  dem 
Empfindungs-  und  Gefühlemässigen,  welches  durch  die  Ode  in 
die  Elegie  kam,  auch  die  Plastik  seiner  Vorgänger,  der  Pegnitz- 
schäfer,  d.  h.  das  Objectiv  -  Bildliche  und  Musikalische  in  der 
Sprache  mitgebracht.  Allein  das  Wichtigste  in  Brockes  war, 
dass  er  allen  und  jeden  Inhalt  der  subjektiven  Empfindung 
gleichsam  zum  Verarbeiten  übergeben   hatte.     Auf  diese  Weise 


1 S2  Die  Ent wickclung  der  Lyrik 

war  auch  das  Weltliche  im  Lichte  des  Sittlichen  durch  Friedrich 
von  Hagedorn  (1708  —  1754,  zu  Hamburg)  zur  Darstellung  ge- 
kommen. Hagedorn  steht  in  der  Mitte  zwischen  dem  Geistlichen 
und  Weltlichen,  aber  so,  dass  das  Weltliche  überwiegt,  aber 
nach  der  sittlichen  Seite  hin  gefasst  ist.  So  rückt  durch  ihn 
das  Religiöse  der  Vermittelung  mit  dem  Endlichen  eine  Stufe 
näher,  und  somit  ist  Hagedorn  ein  wichtiges  Mittelglied  zwischen 
Brockes  und  Klopstock. 

Madrigal    (Hagedorn) . 

Wohin  Du  trübe  Welle? 
Wohin  mit  solcher  Schnelle, 
Als  trügst  Du  einen  Raub? 
Ich  bin  des  Lebens  Welle, 
Bedeckt  mit  Uferstaub, 
Ich  eil'  aus  den  Gewühlen 
Des  engen  Stromes,  weit 
Zur  Meerunendlichkeit, 
Um  ab  von  mir  zu  spülen 
Den  Uferschlamm  der  Zeit. 

Aber  auch  insofern  ist  er  dieses  Mittelglied,  als  er  der 
Gefeierte  der  sogenannten  Bremer  Beitragenden  ist,  jener  Ge- 
sellschaft, welche  die  neue  Wochenschrift  der  „neuen  Beiträge 
zum  Vergnügen  des  Verstandes  und  Witzes"  herausgab,  in 
welcher  von  Klopstocks  Messias  die  ersten  drei  Gesänge  1748 
erschienen.  Endlich  drittens  ist  aus  der  Zersetzung  der  Elemente 
seiner  Muse  eine  neue  Untergattung  hervorgegangen,  nemlich 
die  sokratisch  -  anakreontische  Poesie.  Von  Hagedorn  aus 
nemlich  zeigt  sich  ein  Fortwirken  in  seiner  Auffassung  in  einem 
Kreise  junger  Männer  in  Leipzig,  welche  sich  Aufangs  um  den 
bekannten  Professor  Gottsched  geschaart,  und  dann  von  diesem 
abfallend,  sich  dem  Geschmack  der  Züricher  Professoren  Bodmer 
und  Breitinger  zugewendet  hatten.  Es  gehörten  zu  diesem 
Kreise  zunächst  der  Kritiker  Gärtner,  der  geistliche  Lyriker 
J.  Andreas  Kramer  und  Adolf  Schlegel.  Bald  schlössen  sich 
an  diese  Rabener,  Arnold  Schmidt,  Ebert,  Zachariä,  Straube, 
Joh.  Elias  Schlegel  und  Geliert  an.  Unter  diese  jungen  Männer 
vertheilten  sich  nun  die  Hagedornschen  Elemente  der  pathetischen 
Freundschaft,     der     anakreontisch- sokratischen    Lebensweisheit 


in  der  klassischen  Liter aturperiode.  183 

und  des  Epischen  in  Erzählung  und  Fabel.  Als  Repräsentant 
dieser  Lyrik  gilt  Nicolaus  Dietrich  Gieseke  (1724  — 1765,  aus 
Ungarn,  zuletzt  Superintendent  in  Sondershausen).  Das  so- 
kratisch  -  anakreontische  Lied ,  in  welchem  die  als  unschuldig 
erscheinende  Lebenslust  des  Anakreon  und  die  praktische  Weis- 
heit des  Sokrates  erschienen,  ist  also  das  Lied,  in  welchem  das 
Sinnliche  der  Freude  und  des  Genusses  im  Lichte  der  Schön- 
heit erscheint.     Ein  Muster  giebt  der  Grieche  selbst: 

Auf  zarten  Myrthen,  im  duftenden  Grase 
Will  ich  gelagert  beim  Becher  mich  freun. 
Eros,  im  leicht  nur  verhüllenden  Kleide, 
Schenke  mir  selber  den  kühlenden  Wein. 

Schnell  wie  die  Räder  am  eilenden  Wagen, 
Fliesst  mir  beim  Becher  das  Leben  dahin. 
Wenige  Asche  nur  bleibet  noch  über, 
Bricht  einst  der  Tod  meinen  fröhlichen  Sinn. 

War'  es  nicht  thöricht,  die  Erde  zu  netzen 
Und  mit  Oele  zu  salben  den  Stein? 
Nein,  so  lang'  ich  auf  Erden  noch  walle, 
Will  ich  mich  ganz  der  Fröhlichkeit  weih'n, 

Will  mit  duftendem  Oele  mich  salben, 
Kränzen  mit  blühenden  Rosen  das  Haupt ; 
Ehe  der  Tod  mich  ins  Schattenreich  sendet, 
Sei  mir  nicht  Frohsinn  noch  Liebe  geraubt. 

In  der  Nähe  von  Halle  war  das  Haus  des  Predigers 
Samuel  Gotthold  Lange  (1711  — 1781)  zu  Laublingen  ein 
freundlicher  Musensitz  geworden,  wo  sich  gebildete  Männer  aus 
der  Nähe  und  Ferne  ungemein  wohlgefielen.  In  diesem  so- 
genannten Hallischen  Kreise  bildeten  sich  das  horazische  Gedicht 
und  das  anakreontische  Lied  bis  zur  Grazienpoe&ie  Wielands 
und  zu  der  freundschaftlichen  Epistel  fort.  Neben  Lange  steht 
noch  Immanuel  Pyra  (1715  —  1744,  aus  Kottbus).  Dieser 
Hallische  Kreis  verwandelte  sich  zugleich  in  einen  Halberstädter, 
als  Wilhelm  Ludwig  Gleim  (1719  —  1803,  aus  Ermsleben  bei 
Halberstadt)  daselbst  einen  festen  Aufenthalt  gewann,  und  zu 
diesen  gehörten  Johann  Peter  Uz  (1720  —  1760,  aus  Anspach), 
J.   Nicolaus   Götz -(1721 —  1781,   aus   Worms),    Johann    Georg 


181  Die  Entwickelung  der  Lyrik 

Jacobi  (1740-1814,  aus  Düsseldorf)  und  Felix  Weisse  (1720 
bis  1804,  aus  Annaberg). 

Das  Graziöse  und  das  Freundschafts  -  Pathos  der  Anakreon- 
tischen  Dichter  ist  aber  immer  nur  ein  beschränkt  allgemeiner 
Inhalt  für  das  Lied;  nur  erst  da,  wo  die  individuelle  subjective 
Empfindung  mit  dem  geistig  allgemeinen  Inhalte  zusammentrifft 
und  sich  so  weit  erhebt,  dass  das  Allgemein  -  Menschliche  an 
ihr  hindurchscheint,  da  entsteht  das  Lied,  welches  dem  Ver- 
hältniss  des  Subject-Objects  entspricht.  Auch  hatte  die  Poesie 
der  Anakreontiker  in  Wieland,  wie  die  Ode  in  Klopstocks 
Messias  ihren  epischen  Schluss  gefunden,  und  die  Richtung  der 
Halle- Halberstädtischen  Schule  war  in  die  Erzählung,  die  Fabel 
und  die  Epistel  übergegangen.  So  musste  es  denn  in  dem 
weiteren  Entwickelungsprozess  des  Liedes  dahin  kommen,  dass 
noch  einmal  auf  die  volksmässige  Objectivität  durch  Joh.  Gott- 
fried von  Herder  (1744-1803)  aufmerksam  gemacht  wurde. 
Zwar  gehörten  schon  Gleims  preussische  Grenadierlieder  dieser 
Sphäre  an  und  auch  Bürger,  Voss,  Hölty  und  Martin  Miller 
hatten  ebenfalls  das  Lied  im  Volkston  bearbeitet. 

Das  Verhältniss ,  in  welchem  Herder  reformatorisch  in  der 
Entwickelungsgeschichte  der  deutschen  Literatur  als  Kritiker 
und  Mann  der  Wissenschaft  auftritt,  berührt  die  Geschichte  der 
Lyrik  nur  insofern,  als  er  die  Gegenstände  in  ihrem  früheren, 
von  der  Cultur  noch  nicht  berührten  Naturzustande  darstellt. 
In  dem  Suchen  nach  Volkstümlichem,  Originalem  und  Genialem 
kam  er  auf  die  Urzustände  der  Poesie  und  der  Menschheit  und 
hob  somit  auch  das  Natur-  und  Volkslied  aus  dem  Staube  der 
Vergessenheit.  Zur  eigenen  Production  solcher  Volks-  und 
]Naturlieder,  wie  er  sie  angewiesen  hatte,  konnte  er  selbst  nicht 
kommen,  weil  ihm  die  plastische  Kraft  zur  Gestaltung  mangelte. 

Wohl  unabhängig  von  Herder  wandte  sich  dem  Volkston 
zu  Matthias  Claudius  (1740  -  1815,  aus  Rheinsfeld  im  Holstein- 
schen).  Im  Süden  Deutschlands  traf  den  Volkston  der  Vor- 
läufer Schillers  Friedrich  Daniel  Schubart  (1739—1791,  aus 
Obersontheim).  Auch  Joh.  Kaspar  Lavater  und  Martin  Usteri 
(1763  — 1827,  aus  Zürich)  sind  hierher  gehörig.    Mit  Gebrauch 


in  der  klassischen  Literaturperiode.  185 

des  provinzialen  Volksdialektes  dichteten  Joh.  Conrad  Grübel 
(1736  —  1809,  zu  Nürnberg)  und  (Johann  Peter  Hebel  1760  — 
1826,  zuletzt  Prälat  in  Karlsruhe). 

Das  Wesen  des  von  Herder  eingeführten  Natur-  und  Volks- 
liedes  und  des  eigentlichen  Kunstliedes  verband  in  letzter  Voll- 
endung Wolfgang  von  Göthe,  welcher  somit  den  Schlusspunkt 
in  der  genetischen  Entwickelung  der  lyrischen  Gattung  des 
vorigen  Jahrhunderts  ist,  indem  durch  ihn  das  subjectiv-objec- 
tive  Kunstlied  in  der  Lyrik  dieselbe  Aufgabe  löst,  welche  aller 
Poesie  überhaupt  gestellt  ist,  nemlich  die  Versöhnung  und  Ver- 
mittelung  des  Realen  und  Idealen,  insofern  der  Begriff  Ver- 
söhnung und  Vermittelung  als  Prinzip  und  Einheitspunkt  für 
alle  Geschichte  des  Geistes  genommen  wird. 

Charakterisiren  wir  nun  den  Entwickelunorsgano-  der  Dicht- 

OD  D 

kunst  und  der  lyrischen  insbesondere  im  achtzehnten  Jahrhundert 
als  ein  Herausarbeiten  aus  den  Schranken,  welche  ihr  im  sieben- 
zehnten durch  das  Ausländische,  durch  das  Dogma  und  durch 
die  Formen  der  Schlesischen  Dichterschulen  gezogen  waren,  so 
gewahren  wir  als  Resultat  in  den  siebenziger  Jahren  der  klas- 
sischen Periode,  dass  das  Natur-  und  Volksgemässe  das  Allein- 
herrschende geworden  ist,  ferner,  dass  das  Gef  ühlsmässige  durch 
Ode  und  Elegie  bis  in  die  Extreme  hindurchgegangen  ist,  endlich, 
dass  der  gesammte  Inhalt  vielseitiger,  wahrhafter,  nationaler 
und  reicher  geworden  und  der  Schönheit,  Wahrheit,  Freiheit 
und  Religion  als  einer  Einheit  sich  zu  nähern  anstrebt.  Dieses 
Verschmelzen  des  Objectiven  und  Individuellen  wurde  das 
Charakteristische  der  Muse  Göthes  und  erzeugte  das  Kunstlied. 
An  dieser  Erscheinung  des  Schönen  in  der  Lyrik  participirt 
aber  auch  der  Dichter  der  Glocke  da,  wo  er  die  Kraft  besitzt, 
das  Allgemeine  plastisch  darzustellen.  Aber  die  Lyrik  Schillers 
ist  nicht  die  Lyrik  der  Situation,  sondern  geht  fast  immer  von 
den  höchsten  Ideen  der  Menschheit  aus.  Seine  Seele  gestaltete 
diese    Gedanken    vermittelst    der   Phantasie   zu  Verkörperungen. 

Dem  dunklen  Schoss  der  heil'gen  Erde 
Vertrauen  wir  der  Hände  That, 
Vertraut  der  Sämann  seine  Saat, 
Und  hofft,   dass  sie  entkeimen  werde 
Zum  Segen  nach  des  Himmels  Rath. 


186       Die  Entwickelung  der  Lyrik  in  der  klassischen  Literaturperiode. 

Noch  köstlicheren  Samen  bergen 
Wir  trauernd  in  der  Erde  Schoss 
Und  hoffen,  dass  er  aus  den  Särgen 
Erblühen  soll  zu  schöner'm  Loos. 

Die  Lyrik   Schillers   ist   daher  als   eine  besondere  Sphäre, 
die  Lyrisch  -  Didaktische,  allein  und  besonders  zu  betrachten. 

Beeskow.  Dr.  Sehe  der. 


Erklärung   Uhlandischer   Gedichte. 


Das  Nothhemd. 

„Ich  muss  zu  Feld,  mein  Töchterlein, 
Und  Böses  dräut  der  Sterne  Schein, 
Drum  schaff  du  mir  ein  Nothgewand, 
Du  Jungfrau  mit  der  zarten  Hand!" 

„Mein  Vater!  willst  du  Schlachtgewand 
Von  eines  Mägdleins  schwacher  Hand? 
Noch  schlug  ich  nie  den  harten  Stahl, 
Ich  spinn'  und  web'  im  Frauensaal." 

„Ja!  spinne,  Kind,  in  heil'ger  Nacht, 
Den  Faden  weih'  der  höllischen  Macht, 
Draus  web'  ein  Hemde,  lang  und  weit, 
Das  wahret  mich  im  blut'gen  Streit." 

In  heil'ger  Nacht,  im  Vollmondschein, 
Da  spinnt  die  Maid  im  Saal  allein. 
„In  der  Hölle  Namen!"   spricht  sie  leis, 
Die  Spindel  rollt  in  feurigem  Kreis.. 

Dann  tritt  sie  an  den  Webestuhl 
Und  wirft  mit  zagender  Hand  die  Spul'; 
Es  rauscht  und  saust  in  wilder  Hast, 
Als  wöben  Geisterhände  zu  Gast. 

Als  nun  das  Heer  ausritt  ziir  Schlacht, 
Da  trägt  der  Herzog  sondre  Tracht: 
Mit  Bildern,  Zeichen,  schaurig,  fremd, 
Ein  weisses,  weites,  wallendes  Hemd. 


188  Erklärung   Ulilandischer   Gedichte. 

Ihm  weicht  der  Feind  wie  einem  Geist, 
Wer  bot'  es  ihm,  wer  stellt'  ihn  dreist, 
An  dem  das  härteste  Schwert  zerschellt, 
Von  dem  der  Pfeil  auf  den  Schützen  prellt! 

Ein  Jüngling  sprengt  ihm  vor's  Gesicht: 
„Halt,  Würger,  halt!  mich  schreckst  du  nicht. 
Nicht  rettet  dich  die  Höllenkunst, 
Dein  Werk  ist  todt,  dein  Zauber  Dunst. 

Sie  treffen  sich  und  treffen  gut, 
Des  Herzogs  Nothhemd  trieft  von  Blut; 
Sie  haun  und  haun  sich  in  den  Sand 
Und  Jeder  flucht  des  andern  Hand. 

Die  Tochter  steigt  hinab  in's  Feld: 
„Wo  liegt  der  herzogliche  Held?" 
Sie  find't  die  todeswunden  Zwei, 
Da  hebt  sie  wildes  Klagseschrei. 


co~ 


„Bist  du's,  mein  Kind?  Unsel'ge  Maid! 
Wie  spannest  du  das  falsche  Kleid? 
Hast  du  die  Hölle  nicht  genannt? 
War  nicht  jungfräulich  deine  Hand?" 

„Die  Hölle  hab'  ich  wohl  genannt, 
Doch  nicht  jungfräulich  war  die  Hand; 
Der  dich  erschlug,  ist  mir  nicht  fremd, 
So  spann  ich,  weh!  dein  Todtenhemd.;k 


Da  die  Ballade  nach  der  Echterrneierschen  Definition  dieser 
Dichtungsgattung,  an  die  wir  uns  anschliessen ,  es  mit  dem 
Geiste  in  seiner  Beschränktheit,  in  seiner  Naturbedingtheit  zu 
thun  hat,  da  sie  dem  episch  mythischen  Kreise,  also  dem  Natur- 
zustande des  Volkes  entspricht,  so  lässt  sie  Gestalten  auftreten, 
die  in  die  Mythologie  des  Volkes  gehörend  in  derselben  geheim- 
nissvolle Naturkräfte  darstellen.  Demnach  gehören  in  die  Bal- 
lade die  Riesen,  Zwerg,  Nixen  und  Elfensagen  und  die  Fi- 
guren und  Heldengestalten,  denen  das  Volk  mit  Vorliebe  über- 
irdische Kräfte  beigelegt  hat.  Der  Deutsche  hat  nun  stets  den 
Frauen  höhere  prophetische  Kräfte  beigelegt  und  häufig  Schick- 
salsverkünderin    und   Zauberweiber   in  seine  Dichtungen   einge- 


Erklärung  Uhlandischer  Gedichte.  189 

führt.  Er  hat  in  seiner  Heldensage  mit  Vorliebe  diese  Besra- 
bung  der  Frauen  gefeiert  und  sie  als  Walkyrien  oder  Schild- 
mädchen mit  überirdischen  Kräften  ausgerüstet  den  Göttern 
angereiht.  *)  So  beziehen  sich  denn  auch  viele  Sagen  auf  diese 
geheimnissvollen  Kräfte  der  weiblichen  Natur  und  auch  das 
vorliegende  Gedicht  beruht  auf  diesem  Sagengrunde.  Der 
Deutsche  knüpft  an  das  Spinnen  und  an  das  Bild  spinnender 
Frauen  etwas  Unheimliches  und  schaut  als  Urbild  verhäng- 
nissvoller Spinnerinnen  mit  Grauen  die  Nornen  und  die  mit 
ihnen  in  vieler  Beziehung  verwandten  und  oft  das  gleiche  Ge- 
schäft treibenden  Walkyrien  an. 

An  sie,  die  unter  der  Esche  Ygdrasil  sitzen  und  des  Menschen 
Geschick  in  wunderbaren  Fäden  weben,  an  sie  musste  wohl 
mit  Grauen  der  Mensch  denken,  dem  sie  so  manch  grauenhaftes 
Geschick  in's  Leben  webten.  Und  da  sie  mit  so  wunderbarer 
Kunst  den  Lebensfaden  spinnen,  sollte  sich  wohl  ihre  Kunst 
nur  in  dieser  einen  Art  erzeigen,  sollten  aus  ihren  Händen  nicht 
auch'  noch  andere  wunderbare  Gewänder  hervorgehen?  Der 
Gedanke  liegt  eigentlich  so  nahe,  dass  es  seltsam  wäre, 
hätte  die  Mythologie  ihn  nicht  erfasst. 

Und  so  hat  man  denn  auch  das  Weben  von  Zauberge- 
wändern den  Nornen  zugeschrieben.  Da  dem  Nordländer  Kampf 
und  Streit  ein  nothwendiges  Lebenselement  war,  so  wurde  auch 
diese  Kunstfertigkeit  zu  diesem  Zwecke  benutzt.  Die  Nornen 
und  Walkyrien  stehen  ja  in  einer  engen  Beziehung,  sie  werden 
ja  sogar  oft  als  dieselben  Personen  betrachtet.  Deshalb  lassen 
altnordische  Sagen  die  Helden  von  den  Walkyrien  mit  solchen 
wunderbaren  Gewändern  beschenkt  werden,  die  fester  sind,  wie 
der  härteste  Panzer.**)  Musste  das  nicht  der  höchste  Wunsch 
eines  nordischen  Recken  sein,  so  fest  gepanzert  einherzugehen, 
dass  kein  Schwert,  kein  Geschoss  ihm  schaden  könne  und  doch 
dabei  von  der  Schwere  der  Rüstung  nicht  behindert  zu  werden? 
Derselbe  Gedanke  liegt  doch  auch  der  Sage  vom  hörnen  Sieg- 
fried zu  Grunde. 

Der  Glaube,  dass  man  durch  ein  Kleidungsstück  fest  und 
sicher  gegen  Hieb   und  Schuss   werden   könne,    hat   lange  Zeit 

*)  cf.  Frauer:  Die  Walkyrien.    Weimar  1846. 
**)  z.  B.  Wolfdietrich  von  Siegrainne. 


190  Erklärung  Üb  1  an  dis  eher  Gedichte. 

in  Deutschland  und  wohl  fast  in  ganz  Europa  fortbestanden 
und  ich  erinnere  nur  daran ,  dass  namentlich  im  30jährigen 
Kriege  dieser  Aberglaube  ganz  allgemein  und  verbreitet  war. 

Man  nannte  solche  Menschen  „gefeite,"  da  die  „Feen"  aus 
den  Walkyrien  entstanden  sind.  Allmählig  schrieb  man  einem 
solchen  Hemde  auch  andere  wunderbare  Kräfte  zu.  Wer  ein 
solches  Hemde  trägt,  ist  fest  und  sicher  nicht  allein  gegen  Hieb, 
Stich  und  Schuss ,  sondern  auch  gegen  jede  Einwirkung  der 
Zauberei.  Er  bekommt,  wenn  er  vor  Gericht  erscheint,  in  allen 
Händeln  Recht. 

Bis  jetzt  haben  wir  ein  solches  Gewand  nur  als  Schutz- 
mittel kennen  gelernt;  es  selbst  kann  aber  auch  zauberhafte 
Wirkungen  hervorbringen.  Es  trägt  die  Kraft  in  sich,  den 
Träger  in  ein  Thier,  gewöhnlich  in  einen  Vogel  zu  verwandeln, 
und  eine  solche  Verwandlung  zu  lösen. 

An  dieser  Sage  wird  es  recht  klar,  wie  im  Verlauf  der 
Zeit  das  Volk  Sagen,  die  zwar  auf  verschiedenem  Boden  ent- 
sprossen dennoch  etwas  Gleichartiges  haben,  ihrer  Eigentüm- 
lichkeit allmählig  entkleidet   und  in    einander   übergehen    macht. 

Jene  erste  Seite  der  Sage  knüpfte  sich  an  die  Nornen, 
diese  aber  an  eine  andere  Göttin  des  nordischen  Alterthums, 
an  die  Freya.  Es  hat  diese  ein  Fluggewand,  eine  Falkenhaut, 
die  sie  auch  zum  Gebrauch  andern  Göttern  verleiht.  Die  Göttin 
ist  später  in  christlichen  Zeiten  natürlich  ein  dämonisches  Wesen 
geworden,  sie  ist  eine  Schwanenjungfrau,  eine  Meer-  oder  Wald- 
jungfrau geworden.  Ihr  Fluggewand  hat  sie  in  der  Sage  be- 
halten und  ebenso  die  Wahrsagekunst,  die  ihr  die  nordische 
Mythologie  als  einer  Göttin  des  Vanengeschlechtes  beilegte. 
Die  Sage  hat  ferner  aus  der  einen  Freya  mehrere,  unzählige 
solcher  Schwanenjungfrauen  gebildet.  *)  Oft  erwähnen  die 
Dichter  ihrer.  Ich  erinnere  nur  an  die  Stelle  im  Nibelungen- 
lied, wo  Hagen  auf  der  Fahrt  nach  der  Etzelburg  an  der  Donau 
solche  Meerweiber  trifft,  die  vor  ihm  auf  der  Fluth  gleich  den 
Vögeln  schweben  und  die  ihm  wahrsagen  müssen ,  damit  sie 
ihre  wunderbaren  Kleider  wiedererhalten,  die  ihnen  Hagen  ge- 


*)  Doch  legt  auch  die  nordische  Mythologie  den  Walkyrien  Sehwanen- 
gewänder  bei,  cf.  Frauer  S.  53.  sq. 


Erklärung  Uhlandiacher  Gedichte.  161 

raubt  hatte,  während  sie  sich  badeten.  Im  Kindermärchen  ist 
diese  Sage  nun  ganz  mit  der  andern  verbunden  worden. 

*)  In  dem  Märchen,  „die  sechs  Schwäne"  ist  aus  der  Freya 
nicht  einmal  mehr  eine  Waldjungfrau,  sondern  es  sind  6  Königs- 
söhne geworden;  wie  Odin  im  Dornröschen  sich  in  einen  König 
verwandelt  hat.  Diese  6  Königssöhne  hausen  allerdings  im  Walde, 
wie  die  Schwanenjungfrauen  meistens.  Sie  werden  in  Schwäne 
verzaubert  durch  weissseidene  Hemdchen,  in  welche  die  böse 
Stiefmutter  den  Zauber  hineingenäht  hat.  Alle  Tage  eine 
Viertelstunde  lang  ist  es  ihnen  erlaubt,  die  Schwanenhaut  ab- 
zulegen. Der  Zauber  kann  gelöst  werden,  wenn  ein  unschul- 
diges Mädchen  7  Jahre  lang,  stumm  und  schweigend,  ein  Hemd 
fertig  spinnt  und  näht,  und  dies  über  den  Verzauberten  ge- 
worfen wird.**)  Ueber  die  Bereitung  eines  solchen  Hemdes 
giebt  es  mehrere  abweichende  Bestimmungen;  die  eine,  die  für 
das  vorliegende  Gedicht  wichtig  ist,  ist  folgende:  In  der  Christ- 
nacht müssen  2  unschuldige  Kindchen,  die  noch  nicht  7  Jahr 
alt  sind,  linnen  Garn  spinnen,  weben  und  ein  Hemd  daraus  zu- 
sammennähen. Auf  der  Brust  hat  es  zwei  Häupter,  eines  auf 
der  rechten  Seite  mit  einem  langen  Barte  und  einem  Helm, 
eines  auf  der  linken  mit  einer  Krone,  wie  sie  der  Teufel  trägt. 
Zu  beiden  Seiten  wird  es  mit  einem  Kreuze  bewahrt.  Das 
Hemd  ist  so  lang,  dass  es  den  Menschen  vom  Hals  an  bis  zum 
halben  Leib  bedeckt.***) 

Solch  ein  Hemde  ist  natürlich  unzerstörbar. 

Sehr  wichtig  für  die  Bereitung  ist  der  Umstand,  dass  die 
Spinnerin  unschuldig  sein  muss.  Unsre  Sagen  schreiben  einer 
reinen  Jungfrau  stets  wunderbare  Kräfte  zu ;  und  nur  einer 
Jungfrau  gelingt  es ,  über  die  Schranken  der  Menschenkraft 
hinaus  göttliche  Eigenschaften  zu  erlangen.  So  sind  Odhins 
Schildmädchen  Jungfrauen  und  an  der  Jungfräulichkeit  haftet 
ihre  wunderbare  Kraft.     Sobald  Siegfried  die  Brunhilde  besiegt 


*)  cf.  Grimm  Kindermärchen  S.  276. 

*")  Grimm  Sagen  Th.   1.  S.  524. 

***)  In  nordischen  Sagen  ist  es  ein  seidenes  Hemde,  cf.  Grimm  Altdän. 
Heldenlieder  S.  524.  auch  bindet  man  einen  rothen  Seidenfaden  um  den  Helm, 
daselbst  S.  503.  Im  Kindermärchen  wird  das  Hemd  au?  Sternblumen  ge- 
webt. 


192  Erklärung  Uhlandischer   Gedichte. 

und  gebändigt  hat,  ist  sie  ein  Weib,  wie  andre  Weiber  und  die 
wunderbare  Kraft  ist  ihr  entschwunden. 

So  wichtig  ist  für  die  Bereitung  solches  Hemdes  die  Jung- 
fräulichkeit der  Spinnerin,  dass  die  ausgebildete  Sage  es  von 
Mädchen  unter  7  Jahren  bereiten  lässt ,  damit  auch  nicht  ein- 
mal die  Jungfräulichkeit  ihrer  Gedanken  befleckt  sei.  Natürlich 
verliert  das  Hemd  die  Kraft,  wenn  die  Spinnerin  nicht  rein 
und  keusch  gewesen  ist.*)  Grimm  theilt  uns  in  seinen  Sagen 
B.  2.  S.  277.  Stück  531  eine  schöne  Märe  mit,  in  der  dieser 
Gedanke  etwas  verändert  zwar,  aber  doch  in  sehr  zarter  Weise 
ausgesponnen  ist. 

Zu  Metz  in  Lothringen,  erzählt  er,  lebte  ein  edler  Ritter, 
Namens  Alexander,  mit  seiner  schönen  nnd  tugendhaften  Haus- 
frau Florentina.  Dieser  Ritter  gelobte  eine  Wallfahrt  nach  dem 
heiligen  Grabe.  Als  ihn  seine  betrübte  Gemahlin  nicht  von 
diesem  Plane  abbringen  konnte,  machte  sie  ihm  ein  weisses 
Hemde  mit  einem  rothen  Kreuz,  das  sie  ihm  zu  tragen  empfahl. 
Der  Ritter  zog  hierauf  in's  Morgenland,  Avurde  gefangen  und 
in  den  Pflug  gespannt.  Unter  harten  Geisseihieben  musste  er 
ackern,  bis  das  Blut  von  seinem  Leibe  rann.  Wunderbarer 
Weise  blieb  jenes  Hemd,  das  Alexander  von  seiner  Frau  em- 
pfangen hatte,  rein  und  unbefleckt,  ohne  dass  ihm  Regen,  Schweiss 
und  Blut  etwas  schadeten;  auch  zerriss  es  nicht.  Dem  Sultan 
selbst  fiel  diese  Eigenthümlichkeit  auf  und  er  befragte  den 
Sclaven  genau  über  seinen  Namen  und  seine  Herkunft  und  wer 
ihm  das  Hemd  gegeben  habe?  Der  Ritter  unterrichtete  ihn  von 
Allem:  „Das  Hemd  habe  ich  von  meiner  tugendsamen  Frau  er- 
halten; dass  es  so  weiss  bleibt,  zeigt  mir  ihre  fortdauernde 
Treue  und  Keuschheit  an.'' 

Somit  wäre  der  Grund  und  Boden  gewonnen,  auf  dem  das 
Gedicht  ruht;  wie  in  den  meisten  seiner  Dichtungen  Unland 
aber  nicht  nur  eine  Scene  uns  schildert  und  durch  deren  Schilde- 
rung allein  Gefühle  der  Menschenbrust  erregen  will,  sondern 
wie  er  seinen  Gedichten  stets  einen  ethischen  Hintergrund  giebt, 
so  auch  hier.  In  Göthes  Erlkönig  ergötzt  uns  die  Schilderung 
der  Scene  nnd  erfüllt  uns  mit  wonnigem  Grauen;   das  Gedicht 


*;  In  den  altdänischen  Balladen  wird  diese  Bedingung  nicht  hervorgehoben. 


Erklärung  Uhlandischer  Gedichte.  193 

äussert  dieselbe  Wirkung,  -wie  Musik;  Gefühle  erwachen  beim 
Hören  dieser  Dichtung  in  uns;  ob  aber  wir  zu  Gedanken  an- 
geregt werden,  bleibt  doch  zweifelhaft. 

*)  Anders  bei  dieser  Dichtung.  Sie  regt  uns  an,  den  Zu- 
sammenhang zu  ergründen,  in  dem  das  Schicksal  der  handelnden 
Personen  mit  ihrem  Thun  steht.  Im  Erlkönig  erlag;  das  Kind 
ohne  seine  Schuld  den  Mächten  der  Natur;  im  Harald  reizten 
die  Ritter  die  Elfen  durch  ihr  tönendes  Einherziehen  und  Ha- 
rald erlag  sich  selbst,  seiner  Lust.  Hier  in  dieser  Dichtung 
erliegt  der  Mensch  den  dunkeln  Mächten  seiner  Brust,  die  mit 
den  Naturmächten  in  inniger,  unerklärter,  mysteriöser  Beziehung 
stehen.  Somit  wäre  dies  Gedicht  eine  Ballade  zu  nennen. 
Suchen  wir  uns  den  Hauptgedanken  klar  zu  machen. 

Es  sind  dem  Menschen  von  der  Gottheit  Schranken  ge- 
zogen für  sein  Wissen  und  sein  Handeln,  die  er  ohne  Sünde 
nicht  überschreiten  darf.  In  sich  fühlt  der  Mensch  aber  den 
Trieb,  Alles  zu  erforschen  und  Alles  zu  können.  Diesen  dun- 
keln Trieb  kennt  das  Volk  wohl;  es  weiss  aber  auch,  dass  der, 
welcher  die  Schranken  nicht  achtet  und  anerkennt,  untergeht 
im  wilden,  nutzlosen  Kampfe  gegen  diese  übermächtigen  Hemm- 
nisse. Darauf  gründet  sich  die  Faustsage.  Alles  das  aber, 
was  der  göttlichen  Ordnung  widerstrebt,  geht  von  der  Hölle 
aus;  daher  Zauberei  Höllenwerk  ist.  Unrecht  und  Sünde  ge- 
biert den  Tod,  der  denn  ja  auch  immer  als  Lösung  und  Be- 
ruhigung eintritt. 

So  hier  in  dieser  Dichtung.  Der  Herzog,  von  Ehrgeiz 
verblendet,  von  Gott  verlassen  und  dem  Aberglauben  verfallen, 
fürchtet  die  Böses  drohenden  Sterne.  Einmal  den  höllischen 
Mächten  hingegeben  scheut  er  sich  nicht,  von  seiner  Tochter 
Aehnliches  zu  fordern  und  in  seinem  Wahne  merkt  er  nicht, 
wie  diese  ihn  nicht  verstehen  will.  v.  2.  So  webt  sie  ihm  das 
Kleid,  wundersam  anzuschauen,  verziert  mit  fremden,  schaurigen 
Zeichen.  Die  Menge  der  Feinde  ohne  freudigen  Muth  und  festes 
Gottvertrauen  weicht  vor  ihm,  wie  einst  die  Samniter  vor  dem 
Decius  Mus,   nachdem  er   sich   den  Unterirdischen   geweiht.**) 


*)  cf.    das   Programm   des    Friedrich- Wilhelms -Gymnasiums   in   Berlin. 
Michaeli  1849. 

**)  cf.  Livius  VIII.  c.  9. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  13 


194  Erklärung  Uhlandischer  Gedichte. 

Der  Hölle  Blendwerk  aber  schwindet,  so  wie  es  mit  Muth  an- 
gegriffen wird.     Wie  singt  Uhland  vom  Königssohne.  (S.  4G3.) 

Der  Jüngling  ohne  Schwert  und  Schild, 
Ist  keck  hinaufgedrungen, 
Die  Arme  wirft  er  um  die  Schlang' 
Und  hält  sie  fest  umschlungen. 

Er  küsst  sie  dreimal  in  den  Schlund, 
Da  muss  der  Zauber  weichen,  u.  s.  w. 

Darum  erliegt  der  Herzog!  Seinem  eigenen  Wahne  fällt 
er  zum  Opfer;  er,  der  da  glauben  konnte,  dass  ein  wahrhaft 
unschuldiges  Wesen  sich  sofort  der  Hölle  ergeben  würde. 

Was  die  Form  der  Ballade  anbetrifft,  so  hat  Uhland  in 
ihr  wie  in  so  vielen  seiner  Gedichte  mit  feinem  Verständnis» 
Assonanz,  Alliteration  und  Annomination  angewandt.    So  in  v.  5: 

Es  rauscht  und  saust  in  wilder  Hast, 
Als  wöben  Geisterhände  zu  Gast. 


und  v.  6. 
ferner  v.  9. 


Ein  weisses,  weites,  wallendes  Hemd. 

Sie  treffen  sich  und  treffen  gut  — 
Sie  haun  und  haun  sich  in  den  Sand. 


II. 

Uhland  hat  unter  den  neuern  Dichtern  unbestritten  den 
Ruhm,  dass  er  volksthümlich,  dass  seine  Poesie  Volkspoesie 
sei.  So  hat  er  der  nordischen  Sagenwelt  den  Stoff  zu  einigen 
Liedern  entliehen  und  ihn  mit  vielem  Geschick  so  bearbeitet, 
dass  auch  die  Form  der  der  alten  Heldenlieder  gleicht.  Ueber 
diese  äussert  sich  Grimm  in  den  altdänischen  Heldenliedern 
S.  XIV.  folgendermassen:  „Ohne  Einleitung  und  Erklärung 
hebt  die  Erzählung  an,  die  den  Ausgang  öfters  schon  in  der 
ersten  Strophe  vorausverkündigt  und  Alles  einfach  und  in  grossen 
Massen  darstellt:  dann  treten  die  Helden  selbst  auf,  und  ihre 
Reden  sind  wie  Schwert  schlage  von  starken  Armen  gegeben, 
treffend  und  entscheidend.  Die  Poesie  ist  sich  ihrer  Tiefe  noch 
gar  nicht   bewusst,    sie   weiss  nicht,   warum    diese  Thaten   ge- 


Erklärung  Uhlanclischer  Gedichte.  195 

ßchehen;  aber  sie  weiss,  wie  sie  geschehen;  darum  hat  sie 
Nichts  zu  erläutern,  die  Motive  sind  nicht  breit  dargelegt,  aber 
die  leise  Hindeutung  darauf  trifft  desto  stärker."  Und  ferner: 
„Die  Volkspoesie  lebt  gleichsam  in  dem  Stande  der  Unschuld, 
sie  ist  nackt,  ohne  Schmuck,  das  Abbild  Gottes  an  sich  tragend." 
und  S.  XX.  „In  diesen  Liedern  aber  herrscht  durchaus  der 
Reim,  oft,  wie  überall,  wo  er  von  selbst  entstanden,  mangelhaft 
und  blosse  Assonanz;  die  Strophen  sind  eigentlich  zAveizeilig 
mit  einem  Abschnitt  in  der  Mitte  und  von  der  Alliteration  zeigt 
sich  keine  Spur." 

Vergleichen  wir  hiermit  folgende  drei  Uhlandische  Gedichte : 

1)  Das  Schwert. 

Zur  Schmiede  ging  ein  junger  Held, 
Er  hatt'  ein  gutes  Schwert  bestellt. 
Doch  als  er's  wog  in  seiner  Hand, 
Das  Schwert  er  viel  zu  schwer  erfand. 

Der  alte  Schmied  den  Bart  sich  streicht: 
„Das  Schwert  ist  nicht  zu  schwer  noch  leicht, 
Zu  schwach  ist  euer  Arm,  ich  mein', 
Doch  morgen  soll  geholfen  sein." 

„Nein,  heut!  bei  aller  Ritterschaft! 
Durch  meine,  nicht  durch  Feuers  Kraft." 
Der  Jüngling  spricht's,  ihn  Kraft  durchdringt, 
Das  Schwert  er  hoch  in  Lüften  schwingt. 

2)  Siegfrieds  Schwert. 

Jung  Siegfried  war  ein  stolzer  Knab', 
Ging  von  des  Vaters  Burg  herab. 

Wollt  rasten  nicht  in  Vaters  Haus, 
Wollt  wandern  in  alle  Welt  hinaus. 

Begegnet  ihm  manch  Ritter  werth 

Mit  festem  Schild  und  breitem  Schwert. 

Siegfried  nur  einen  Stecken  trug, 
Das  war  ihm  bitter  und  leid  genug. 

Und  als  er  ging  im  finstern  Wald, 
Kam  er  zu  einer  Schmiede  bald. 

13* 


19ti  Erklärung  Uhlandis  eher  Gedichte. 

Da  sah  er  Eisen  und  Stahl  genug, 
Ein  lustig  Feuer  Flammen  schlug. 

„O  Meister,  liebster  Meister  mein! 
Lass  du  mich  deinen  Gesellen  sein ! 

Und  lehr  du  mich  mit  Fleiss  und  Acht, 
Wie  man  die  guten  Schwerter  macht!" 

Siegfried  den  Hammer  wohl  schwingen  kunnt, 
Er  schlug  den  Ambos  in  den  Grund. 

Er  schlug,  dass  weit  der  Wald  erklang 
Und  alles  Eisen  in  Stücken  sprang. 

Und  von  der  letzten  Eisenstang' 

Macht  er  ein  Schwert,  so  breit  und  lang. 

„Nun  hab'  ich  geschmiedet  ein  gutes  Schwert, 
Nun  bin  ich  wie  andre  Ritter  werth. 

Nun  schlag'  ich  wie  ein  andrer  Held 

Die  Riesen  und  Drachen  in  Wald  und  Feld." 


Man    vergleiche    damit:    Grimms    altdänische   Heldenlieder 
S.  62. 

Mimmering  der  Degen.  XIII. 

Mimmering  war  der  kleinste  Mann, 
Der  geboren  war  in  Königs  Karls  Land. 
Meine  schönste  Jungfrau! 

Und  eh'  er  war  zur  Welt  gebracht, 

Da  waren  die  Kleider  ihm  schon  gemacht. 

Eh'  er  lernte  gehen,  zu  der  Zeit, 

Trug  er  schon  ein  schweres  Panzerkleid. 

Eh'  er  lernte  reiten, 

Band  er  das  Schwert  schon  an  die  Seite. 

Zum  ersten  da  er  könnt  tragen  sein  Schwert, 
Da  war  er  auch  ein  Kämpfer  werth. 

So  ging  er  zu  dem  Strande, 

Als  ein  Kaufmann  lag  vorm  Lande. 


Erklärung  Uhlandischer   Gedichte.  197 

Er  sah  vom  Hügel  in  die  Weite, 
Wo  ein  Ritter  möchte  reiten. 

Da  kam  er  geritten  so  hastig  herbei, 
Sein  Ross  war  zornig  wie  ein  Leu. 

Hör  an,  du  Ritter,  zart  und  fein: 
Bedarfst  du  nicht  ein'n  Schildbuben  klein? 

„Mich  däucht,  bist  jung  und  klein  zu  sehr, 
Du  kannst  nicht  tragen  meinen  Panzer  schwer." 

Mimmering  erzürnte  bei  diesem  Wort, 
Er  warf  den  Ritter  vom  Pferd  sofort. 

Und  that  ihm  an  noch  viel  mehr  Pein: 
Er  schlug  sein  Haupt  gegen  einen  Stein. 

So  setzt'  er  sich  auf  zu  reiten, 

Mit  andern  Kämpfern  wollt'  er  streiten. 

Da  er  kam  in  einen  vielgrünen  Wald, 

Auf  Vidrich  Verlands  Sohn  stiess  er  alsbald. 

Willkommen  hier,  du  Ritter  gut: 

Hast  du  zu  fechten  für  'ne  schöne  Jungfrau  Muth? 

Dazu  sprach  Vidrich  Verlands  Sohn: 
Ich  stoss  dich  nieder,  bin  ich  ein  Mann. 

Sie  fechten  einen  Tag,  sie  fechten  zwei: 
Keiner  von  ihnen  mochte  Sieger  sein. 

Da  schwuren  sie  sich  Stallbrüderschaft, 

Und  das  sollt'  währen  bis  zum  jüngsten  Tag. 

Und  ob  es  sollt'  währen  diese  Zeit  so  lang, 
Es  könnt  nicht  dauern  bis  der  Abend  kam. 
Meine  schönste  Jungfrau. 


Wie  in  diesem  Liede  der  Mimmering  sich  seiner  Kraft 
erst  recht  bewusst  wird,  als  er  durch  des  Ritters  spottendes 
Wort  in  Zorn  gerathen  ist,  so  wird  auch  in  der  Uhlandischen 
Dichtung  „das  Schwert"  durch  des  Schmieds  Worte  in  dem 
iungen  Helden  die  in  ihm  schlummernde  Kraft  erweckt.  In 
dem   Uhlandischen   Helden   wohnt   eine   hohe   Begeisterung  für 


198  Erklärung  Uhlandischer  Gedichte. 

das  Ritterthum,  die  in  ihm  nie  geahnte  Kräfte  hervorruft;  dem 
Mimmering  aber  fehlt  diese  innere  Erhebung,  es  ist  nur  die 
rohe  physische  Kraft,  die  ihn  zu  Thaten  hinreisst. 

Es  hat  den  Uhlandischen  jungen  Helden  die  innere  Be- 
geisterung dazu  getrieben,  sich  ein  Schwert  zu  bestellen,  um 
Ritterschaft  zu  üben  und  wie  das  Schwert  ihm  geworden,  da 
verleiht  die  Begeisterung  ihm  auch  die  Kraft,  e3  tüchtig  zu 
führen.  Zu  diesem  Gedichte  gehört  nothwendig  das,  welches 
betitelt  ist:  „Siegfrieds  Schwert."*) 

In  jung  Siegfried  ist  der  Wille  noch  ein  unklarer.  Es 
treibt  ihn  aus  des  Vaters  Haus  jenes  Gefühl,  was  fast  jeden 
Jüngling  durchweht,  aus  der  Heimath  engen  Schranken  in  die 
Welt  zu  ziehen  und  sich  selbst  mit  eigner  Kraft  Bahn  zu 
brechen.  Es  ist  dasselbe  Gefühl,  was  Schiller  uns  in  dem 
„Pilgrim"   schildert: 

Noch  in  meines  Lebens  Lenze 

War  ich  und  ich  wandert'  aus 
Und  der  Jugend  frohe  Tänze 

Liess  ich  in  des  Vaters  Haus. 


*)  cf.  aus  Grimms  deutscher  Heldensage  S.  72. 

Der  Knab  was  so  muotwillig  Darzuo  stark  und  auch  grosz 
Das  sein  vatter  und  muoter  Der  ding  gar  ser  verdrosz 
Er  wolt  nie  keynem  menschen  Sein  tag  sein  underthon 
Im  stund  seyn  synn  und  muote  Das  er  nur  zuog  darvon. 

Do  sprachen  des  künigs  Räthe  Nun  last  in  ziehen  hyn 
So  er  nicht  bleyben  wille  Das  ist  der  beste  syn 
Und  last  jn  etwas  nieten  So  wirdt  er  bendig  zwar 
Er  wirdt  ein  Held  vil  kuone  Und  lebt  er  etlich  Jar. 

Also  schied  er  von  dannen  Der  junge  kuone  man 
Do  lag  er  vor  eynem  wähle  Ein  dorff  das  lieft"  er  an 
Do  kam  er  zu  eym  Schmiede  Dem  wolt  er  dienen  recht 
Im  schlahen  auff'  das  eysen  Als  ein  ander  Schmidtknecht. 

Das  eysen  schluog  er  entzweye  Den  Amposs  inn  die  erdt 
Wenn  man  jn  darumb  straftet  so  nam  er  auff  keyn  leer 
Er  schluog  den  knecht  und  meyster  Und  trib  sie  wider  und  für 
Nun  dacht  der  meyster  offte  wie  er  seyn  ledig  war. 


Erklärung  Ublandischer   Gedichte.  199 

All  mein  Erbtheil,  meine  Habe 

Warf  ich  fröhlich  glaubend  hin, 
Und  am  leichten  Pilgerstabe 

Zog  ich  fort  mit  Kindersinn. 

Denn  mich  trieb  ein  mächtio;  Hoffen 

o 

Und  ein  dunkles  Glaubenswort; 
Wandle,  rief's,  der  Weg  ist  offen, 
Immer  nach  dem  Aufgang  fort, 

Bis  zu  einer  gold'nen  Pforten 

Du  gelangst,  da  gehst  du  ein, 
Denn  das  Irdische  wird  dorten 

Himmlisch  unvergänglich  sein. 

Jung  Siegfried  wandert  auch  aus  an  dem  leichten  Pilger- 
stabe und  wie  er  auf  seinem  Wege  manchen  werthen  Ritter 
mit  Schild  und  breitem  Schwert  sieht,  da  wird  ihm  klar,  was 
er  bedürfe,  um  in  der  Welt  Ruhm  und  Ehre  zu  erwerben,  um 
das  Ideal  zu  erreichen,  nach  dem  er  gestrebt.  Da  wird  das 
unklare  Gefühl  zum  Bewusstsein.  Er  schmiedet  sich  ein  Schwert 
und  wie  er  das  Schwert  vollendet  hat,  da  weiss  er,  dass  er  nun 
gut  und  tüchtig  ist,  wie  die  andern  Ritter  und  wie  sie  Riesen 
und  Drachen  besiegen  kann.  Jener  junge  Held  im  ersten  Ge- 
dichte wird  uns  dargestellt,  wie  das  unklare  Gefühl,  was  den 
Siegfried  in  die  Welt  hinaustreibt,  bei  ihm  schon  zum  bestimmten 
Bewusstsein  geworden  ist,  und  ihm  nun  Kräfte  zum  Weiter- 
streben verleiht;  hier  sehen  wir,  wie  das  Gefühl  Bewusstsein 
und  dadurch  zugleich  die  innewohnende  Kraft  dem  Helden 
klar  wird. 

*)  Wunderschön  ist  dieses  erste  Auftreten  eines  in  der  Ein- 
samkeit erzogenen  Jünglings  in  Parcival  geschildert  und  es  ist 
das  gewiss  die  beste  Darstellung  von  dem,  was  im  Herzen  von 
tausend  und  abertausend  deutscher  Jünglinge  vorgeht,  wenn  sie 
zuerst  aus  dem  Vaterhause  in  die  Welt  treten. 

Parcival  ist  von  seiner  Mutter,  die  sich  über  den  Tod  ihres 
ritterlichen  Gemahls  bitter  härmt,  in  der  Waldeinsamkeit  er- 
zogen,   damit    er    dem    ritterlichen    Treiben    fern    bleibe,    den 


*)  Villmar  Literatur -Geschichte. 


200  Erklärung  Uhlandiseher   Gedichte. 

damit  verbundenen  Gefahren  entgehe  und  seiner  liebenden  Mutter 
erhalten  werde.  Der  Knabe  pflegt  des  Waid  Werkes  und  wächst 
dabei  zu  einem  starken  und  stattlichen  Jünglinge  auf.  Da  ver- 
nimmt er  eines  Tages  auf  einsamer  Berghalde  einen  schmalen 
Waldpfad  entlang  Hufschläge.  Ist  das,  denkt  er,  etwa  der 
Teufel?  vor  ihm  fürchtet  die  Mutter  sich  so  sehr;  ich  dächte 
ihn  wohl  zu  bestehen.  Aber  es  sind  drei,  von  Kopf  bis  zum 
Fuss  glänzend  gewafFnete  Ritter  auf  stolzen  Rossen,  welche 
jetzt  an  den  Jüngling  heranreiten  und  mit  einem  Male  wird  die 
ferne,  fremde  Welt  in  all  ihrer  Herrlichkeit  vor  dem  innern 
Auge  des  in  der  Waldeinsamkeit  aufgewachsenen  Jünglings 
aufgeschlossen  und  er  meinte,  ein  jeder  dieser  Ritter  wäre  Gott, 
cf.  Parcival  übersetzt  von  Simrock  Gurnemans  III.  Str.  122 
v.  25. 

Da  rief  er  laut,  sonder  Spott: 

„Nun  hilf  mir,  hilfreicher  Gott." 

Niederwarf  sich  zum  Gebet 

le  Fils  du  roi  Gahmuret.  (Parcival) 

Da  sprach  der  Fürst:  „Ich  bin  nicht  Gott; 

Doch  leist  ich  gerne  sein  Gebot." 

dann  Str.  123  v.  26. 

Da  hub  der  Knappe  wieder  an, 
Dass  sein  zu  lachen  der  begann : 
„Ei  Ritter  gut,  was  soll  dies  sein? 
Du  hast  so  manches  Ringelein 
An  den  Leib  gebunden  dir, 
Dort  oben  und  auch  unten  hier." 
25)  Der  Knapp  befühlte  mit  der  Hand 
Was  er  eisern  an  dem  Fürsten  fand. 
Den  Harnisch  wollt  er  gern  beschauen: 
„Meiner  Mutter  Jungfrauen 
Wohl  an  Schnüren  Ringlein  tragen, 
Die  nicht  so  in  einander  ragen." 
124)  Noch  sprach  der  Knappe  wohlgerauth 
Zum  Fürsten:  „Wozu  ist  dies  gut, 
Was  sich  an  dir  so  wohl  will  schicken? 
Ich  kann  es  nicht  herunter  zwicken." 
5)  Da  wies  der  Fürst  ihm  sein  Schwert: 
Nun  sieh,  wer  Streit  mit  mir  begehrt, 
Des  erwehr  ich  mich  mit  Schlägen. 


Erklärung  Uhlandischer   Gedichte.  2ul 

Gegen  seine  muss  ichs  an  mich  legen, 
Und  dieser  Schild  behüten  mich 
10)  Vor  dem  Schuss  und  vor  dem  Stich." 
Wieder  sprach  der  Knappe  laut: 
„Hätten  die  Hirsche  solche  Haut, 
Sie  Versehrte  nicht  mein  Gabilot; 
So  fällt  doch  mancher  von  mir  todt." 

Jetzt,  nachdem  er  die  Ritter  gesehen  und  von  ihnen  er- 
fahren hat,  was  Ritterschaft  sei,  da  ist  kein  Halten  mehr,  er 
muss  hinaus,  hinaus  aus  dem  grünen,  stillen  Dunkel  seines 
Waldhauses,  hinaus  aus  den  zärtlichen,  den  Sohn  umschlingen- 
den Armen  der  treuen  Mutter,  hinaus  in  die  glänzende  Ritter- 
welt zu  freudigem  Ritte  durch  alle  Lande,  zu  freudigem  Kampfe 
und  ruhmvollem  Siege ,  hinaus  an  König  Artus  Hof,  zu  der 
Blüthe  aller  Ritterschaft.  Und  die  Mutter,  die  des  Sohnes 
Wanderlust  nicht  besiegen  kann,  lässt  ihm  ein  Gewand  anlegen 
zur  Fahrt  —  doch  nicht  eines  Ritters,  sondern  eines  Thoren 
Gewand,  aus  Sacktuch  und  Kälberfell  genähet.  Und  so  reitet 
der  in  sich  Versunkene,  der  Unerfahrene,  der  das  stille  Hei- 
mathsgefühl  und  den  dunkeln,  aber  mächtigen  Trieb  in  die 
Ferne  und  Fremde  noch  ungeschieden  in  sich  trägt  —  ein  Zu- 
stand, den  die  alte  Sprache  sehr  bezeichnend  durch  das  einzige 
Wort  tumb  ausdrückt,  während  unser  dumm  zu  einer  engern 
und  niedrigeren  Bedeutung  herabgesunken  ist,  so  dass  wir  uns 
nur  durch  mühselige  Umschreibung  helfen  können  —  so  zieht 
er  denn  dahin,  um  der  Welt  als  ein  Thor  zu  erscheinen,  wie 
die  meisten  wahrhaft  tiefen,  deutschen  Gemüther  bei  ihrem 
ersten  Auftreten  in  der  Welt  als  Thoren  sich  darstellen.  Und 
dieses  Helldunkel  bleibt  über  Parcivals  ganzes  Leben  gebreitet, 
das  Helldunkel,  welches  überall  stattfindet,  wo  Tiefe  der  Em- 
pfindung und  äussere  Beschränkung  gegenübergestellt  wird  einer 
weiten  Aussicht  in  eine  Welt  von  Pracht  und  Farbenglanz, 
voll  von  Ereignissen  und  Thaten.  Daher  die  öfter  wieder- 
kehrende Bezeichnung  des  in  heller  Unschuld  mitten  in  die 
Welt  der  Wirren  und  Wunder  hereintretenden  jungen  Helden: 
der  tumbe  cläre,  der  lichtgemäle,  daher  die  Schilderung,  dass 
er  sei  keusch,  wie  die  Taube  und  mild,  wie  Rebentraube;  — 
wir  haben  hier  ein  tief  deutsches  Jünglings -Gemüth,    voll  Un- 


202  Erklärung  Ohl  an  diso  her   Gedichte. 

schuld  und  doch  voll  Thatenlust,  voll  Heimathsgefühl  und  doch 
voll  Wandersehnsucht,  das  die  Augen  vor  der  nächsten  Um- 
gebung verschliesst;  aber  fast  träumend,  halb  sehnsüchtig 
und  halb  wehmüthig  ängstlich  hinausschaut  nach  den  fernen, 
blauen  Bergen,  nach  fremden,  blühenden  Gefilden,  wo  Alles 
neu  und  fremd  und  wunderbar  und  doch  bekannt  und  heimath- 
lich  und  traulich  ist. 

Unlands  Gedicht  ist  keine  Ballade,  denn  Siegfried  unter- 
liegt weder  den  dunkeln  Mächten  der  äussern  Natur,  noch 
seinen  natürlichen,  wilden  Trieben;  es  ist  vielmehr  dies  Gedicht 
ein  Heldengedicht,  eine  Märe  oder  Rhapsodie,  deren  Element 
die  Welt  kühner  Thaten  und  energischer  Charaktere,  der  sich 
in  kräftigem  Handeln  von  seiner  ersten  Unmittelbarkeit  be- 
freiende Geist  ist.  Die  äussere  Form  der  Dichtung,  die  zwei- 
zeilige Strophe  ist  die  oft  gebrauchte  Form  des  Heldenliedes. 
Das  Heldenlied,  aus  der  Volkspoesie  hervorgehend  stellt,  wenn 
es  Gefühle  schildert,  nur  das  Resultat  derselben  in  kurzen, 
scharfen  Worten  dar,  während  die  Kunstpoesie  die  Gefühle 
reflectirend  zerlegt  und  der  Seele  geheimste  Werkstätten  uns 
öffnet.     So  sagt  Uhland  in  „Siegfrieds  Schwert"  ganz  einfach: 

Jung  Siegfried  war  ein  stolzer  Knab', 
Ging  von  des  Vaters  Burg  herab. 

Er  schildert  uns  nicht,  was  für  Gedanken  den  stolzen 
Knaben  durchzogen  und  ihn  bewogen  haben,  nicht  mehr  in  des 
Vaters  Hause  zu  rasten,  sondern  in  die  Welt  hinauszuziehen. 
Er  überlässt  die  Ausmalung  auch  der  Abschiedsscene  dem 
Leser.  Um  sich  den  Unterschied  recht  klar  zu  machen ,  lese 
man  zur  Vergleichuno-  das  Scheiden  Parcivals.  Zu  Grunde 
liegt  der  ganzen  Dichtung  ein  Zug  aus  Siegfrieds  Leben,  den 
weniger  aber  die  alten  Siegfriedssagen,  als  vielmehr  die  dem 
späteren  Mittelalter  angehörigen  überliefern. 

Die  Sage  erzählt  allerdings  von  einem  Schwertschmieden 
Siegfrieds;  doch  etwas  anders,  wie  Uhland  es  darstellt. 

*)  Siegfried  lebte  zu  Xanthen  am  Rhein  bei  seiner  Mutter, 


*)  Simrocks  Rheinsagen. 


Erklärung  Uhlandischer    Gedichte.  203 

die  nach  dem  Tode  ihres  Gemahls,  der  in  einem  Kampfe  ge- 
blieben war,  dort  als  Königswittwe  herrschte.  In  derselben 
Stadt  wohnte  auch  ein  «alter,  berühmter  Waffenschmied  Mime, 
bei  dem  viele  Königssöhne,  unter  Andern  auch  der  getreue 
Eckart  die  Waffenschmiedekunst  erlernten.  Siegfried  ging  gerne 
zur  Schmiede,  um  dort,  wie  Knaben  es  pflegen,  zu  scherzen 
und  die  Gesellen  zu  necken.  Es  kam  unter  den  jungen  Leuten 
oft  zu  lauten  Auftritten,  worüber  der  alte  Mime  nicht  eben  er- 
freut war.  Als  Siegfried  nach  alter  Gewohnheit  einstmals 
wieder  den  Frieden  gestört  hatte,  wTard  Mime  zornig,  schalt  ihn 
und  ineinte:  es  wräre  besser,  du  rächtest  deinen  Vater  an  den 
Feinden,  die  ihn  erschlagen  haben,  als  dass  du  hier  nur  meine 
Gesellen  störtest.  Darüber  ward  Siegfried  zornig;  er  würde 
seinen  Vater  schon  rächen;  jedoch  könne  er  nicht  mit  der  Faust 
den  Feinden  gegenübertreten,  sondern  er  bedürfe  dazu  Panzer 
und  Schwert;  und  die  solle  ihm  Mime  schmieden.  Mime,  um 
sich  Ruhe  vor  dem  kecken  Jüngling  zu  verschaffen,  fertigt  ein 
Schwert;  doch  wie  Siegfried  es  zur  Probe  durch  die  Lüfte 
schwingt,  da  bricht  es  unten  am  Griffe  ab.  Siegfried  zornig 
erklärt,  er  wolle  dem  Meister  zeigen,  wie  man  das  Eisen  bear- 
beiten müsse,  damit  ein  tüchtig  Schwert  geschmiedet  werde. 

So    nimmt    er    eine    gewaltige   Eisenstange    und    dazu   der 
Hämmer  allerschwersten: 

Er  schlug  den  Ambos  wohl  in  den  Grund; 

es  erbebte  das  ganze  Haus  von  dem  gewaltigen  Schlage. 
Dann  gebot  er  dem  Meister,  morgen  frühe,  wenn  er  wieder  er- 
scheinen würde,  solle  Mime,  wolle  er  nicht  sterben,  solchen 
Schlag  ihm  nachahmen.  Er  wusste  aber  wohl,  Mime  würde 
nicht  die  Aufgabe  vollenden  können.  Deshalb  begiebt  er  sich  zu 
seiner  Mutter  und  bittet  sie,  ihm  die  Stücke  des  Schwertes  zu 
geben,  das  sein  Vater  in  mancher  Schlacht  geführt  hatte.  Es 
hatte  aber  sein  Vater  dies  Schwert  einstmals  von  Odin  erhalten. 
Seine  Mutter  übergab  ihm  den  kostbaren  Schatz  und  daraus 
schmiedet  ihm  denn  Mime  ein  tüchtiges  Schwert. 

Uhland  hat  nun  die  Sage  nur  im  Allgemeinen  benutzt  und 
sie  frei  bearbeitet,  wodurch  aber  der  gewaltige  Charakter  Sieg- 


204  Erklärung   Uhlandischer    Gedichte. 

frieds  nicht  verkleinert  und  das  Uebersprudeln  der  Jünglings- 
kraft nicht  verwischt  ist.     Dies  tritt  namentlich  in  den  Versen: 

Er  schlug,  dass  weit  der  Wald  erklang 
Und  alles  Eisen  in  Stücken  sprang 

hervor.  Es  ist  das  wieder  ein  Zug  des  deutschen  Jünglings - 
Gemüthes,  der  auch  die  Jugend  stets  wieder  am  meisten  an- 
spricht. Bei  aller  Tiefe  des  Gefühls,  bei  aller  Gluth  der  Em- 
pfindung erscheint  der  wahre,  echte,  tüchtige  Jüngling  und  grade 
der  am  ersten  oft  roh  und  unbändig.  Alles  bewegt  sich  bei 
ihm  noch  in  Extremen.  Er  kann  weinen  vor  übersprudelnder 
Empfindung  beim  Gesänge  der  Vögelein  im  einsamen  Walde 
und  derselbe  Jüngling  wird  mit  wilder  Begeisterung  zu  Kampf 
Und  Schlacht  eilen.  So  erfreut  sich  Siegfried,  als  Mime  ihn  in  den 
Wald  geschickt  hat,  um  Kohlen  zu  brennen,  bei  denen  er  ihm 
das  Schwert  schmieden  könne ,  an  dem  herrlichen  Morgen  und 
an  der  Waldfrische  und  doch  wünscht  er  zugleich  Abenteuer 
zu  bestehen  mit  Drachen  und  Riesen  und  doch  erschlägt  er 
noch  an  demselben  Tage  den  alten  70jährigen  Mime,  der  ihn 
dem  Drachen  verrathen  wollte.  Dieser  Zug  des  Gemüthes  ist 
dem  Deutschen  eigen  und  wir  finden  ihn  zur  Zeit  des  Minne- 
gesanges in  den  edlen  Rittern  stets  hervortretend. 

Als  im  ersten  Kreuz zuge  das  christliche  Heer  Jerusalem 
erobert  hatte,  wTüthete  es  mehrere  Tage  lang  auf's  grässlichste 
in  der  heiligen  Stadt;  dann  aber  hielt  es  einen  grossen  Buss- 
und Betzug.  Nicht  aber  thut  das  der  Germane  mit  dem  Ge- 
fühl, wie  der  Romane.  Dieser  glaubt  sich  durch  die  Ceremo- 
nien  mit  Gott  abzufinden  und  durch  den  Werkdienst  sich  zu 
reinigen,  bei  dem  Germanen  aber  tritt  Beides  naiv  nebenein- 
ander. Er  mordet  nicht  aus  Lust  am  Morde  oder  aus  Rache, 
sondern  zu  Ehren  Gottes  und  dasselbe  Gefühl  treibt  ihn  auch 
zur  Andacht. 

Wenn  wir  diese  beiden  kleinen  Gedichte  Heldenlieder  ge- 
nannt haben,  so  werden  wir  eine  dritte  Dichtung,  die  auch  von 
einem  Sifrid  handelt  und  ..die  drei  Lieder"  betitelt  ist,  wieder- 
um zu  den  Balladen  zählen  müssen. 


Erklärung  Uhlan  (lischer  Gedichte.  205 

Die  drei  Lieder. 

In  der  hohen  Hall'  sass  König  Sifrid: 
„Ihr  Harfner!  wer  weiss  mir  das  schönste  Lied?" 
Und  ein  Jüngling  trat  aus  der  Schaar  behende, 
,  Die  Harf  in  der  Hand,  das  Schwert  an  der  Lende. 

Drei  Lieder  weiss  ich ;  den  ersten  Sang, 
Den  hast  du  ja  wohl  vergessen  schon  lang : 
Meinen  Bruder  hast  du  meuchlings  erstochen! 
Und  aber:  hast  ihn  meuchlings  erstochen! 

Das  andre  Lied,  das  hab'  ich  erdacht  • 

In  einer  finstern,  stürmischen  Nacht: 

Musst  mit  mir  fechten  auf  Leben  und  Sterben! 

Und  aber:  musst  fechten  auf  Leben  und  Sterben!" 

Da  lehnt'  er  die  Harfe  an  den  Tisch, 
Und  sie  zogen  beide  die  Schwerter  frisch, 
Und  sie  fochten  lange  mit  wildem  Schalle, 
Und  der  König  sank  in  der  hohen  Halle. 

„Nun  sing'  ich  das  dritte,  das  schönste  Lied, 
Das  werd'  ich  nimmer  zu  singen  müd: 
König  Sifrid  liegt  in  seim  rothen  Blute! 
Und  aber:  liegt  in  seim  rothen  Blute." 

Dieser  König  Sifrid,  von  dem  hier  der  Dichter  singt,  ist 
nun  nicht  der  uns  aus  den  Sagen  bekannte  hörnene  Siegfried, 
wenigstens  habe  ich  durchaus  keine  Sage  finden  können,  die 
eine  ähnliche  Begebenheit  aus  seinem  Leben  mittheilt.  Es  hat 
der  Dichter  wohl  nur  diesen  Namen  gewählt,  aus  demselben 
Grunde,  aus  dem  er  in  einer  andern  Dichtung  den  Namen 
Harald  gebraucht  hat.  Er  will  uns  durch  den  Namen  dahin 
weisen,  wo  ähnliche  Begebenheiten  gewiss  recht  oft  vorge- 
kommen sind.  Das  ganze  Gedicht  beruht  auf  der  Sitte  der 
Blutrache,  die  in  Deutschland  sowohl,  wie  im  Norden  heimisch 
war.  Diese  Sitte  stellt  uns  aber  den  Geist  eines  Volkes  als 
noch  in  der  Unmittelbarkeit  des  Gefühles  sich  befindend  dar. 
Sobald  ein  Volk  zum  Bewusstsein  erwacht,  zur  Civilisation 
gelangt,  verschwindet  dieser  Gebrauch.  Darum  also;  weil  dies 
Gedicht  uns   den  Geist  in    seiner  Unmittelbarkeit,    bewegt   von 


206  Frklärung  Uhlandi  s  eher  Gedichte. 

dunkeln  Gefühlen,  schildert,  darum  muss  es  zu  den  Balladen 
gerechnet  werden. 

Der  König  sitzt  in  der  hohen  Halle,  um  ihn  seine  Kämpen 
und  die  Skalden,  die  beim  fröhlichen  Mahle  im  Norden  nie 
fehlen  durften. 

Die  Halle ,  die  im  Norden  stets  zu  ebener  Erde  lag  und 
deren  Eingang  sich  nach  Süden  wandte,  weil  nur  das  Haus 
eines  Verbrechers  und  in  Nastrand  der  Saal  der  Verdammten 
die  Thür  gegen  Norden  hatte,  die  Halle  war  der  Versammlungs- 
ort für  das  königliche  gasindi,  für  die  Eecken  und  Berserker 
des  Nordens. 

Die  Frithjofs-Sage  schildert  uns  Frithjofs  Halle  in  folgen- 
der Art. 

Gleich  einem  Hanse  für  sich,  gezimmert  aus  kernigter  Kiefer 
Fasste  500  der  Saal,  zu  10  mal  zwölfen  das  100; 
Mehr  noch  waren  darin  beim  testlichen  Schmause  zur  Julzeit, 
Und  nach  der  Länge  des  Saals  hin  glänzte  die  Tafel  vom  Eichbaum, 
Blank  wie  Stahl  und  gebohnet;  den  Hochsitz  zierten  der  Säulen 
Zwo  an  dem  äussersten  Rand,  zween  Götter  gefertigt,  aus  Ulmholz, 
Odin  herrschenden  Blickes,  und  Frei,  die  Sonn'  auf  den  Hauptschmuck. 
Zwischen  beiden  noch  sass  auf  kohlschwarz  glänzendem  Bärfell 
(Scharlachroth  war  der  Rachen,  die  Klauen  mit  Silber  beschlagen) 
Thorsten  jüngst  bei  den  Freunden,  die  Gastlichkeit  neben  der  Freude. 

O,  dann  gedachte  der  Skalde 
Braga's,  im  silbernen  Bart,  mit  Runen  bezeichnet  die  Zunge, 
Unter  .der  schattigen  Buch'  an  Mimer's  rieselndem  Borne, 
Wo  er  von  Sagen  erzählt,  er  selbst  die  lebende  Sage. 
Mitten  am  Boden,  mit  Halmen  bestreut,  ward  Feuer  genähret 
Hell  auf  gemauertem  Heerd,  und  droben  durch  luftigen  Rauchfang 
Blickten  die  Sterne  herein,  die  himmlischen  Freunde,  zum  Saale. 
Rings  an  der  Wand,  an  Nägeln  von  Stahl,  in  Reihen  geordnet, 
Hingen  die  Panzer  und  Helme,  und  hier  und  dorten  dazwischen 
Blitzte  hernieder  ein  Schwert,  wie  Schuppen  der  Sterne  im  Winter. 
Mehr  als  Schwerter  und  Helme  erglänzten  die  Schilde  im  Saale, 
Blank  wie  die  Kugel  der  Sonne  und  silbern,  wie  glänzet  der  Vollmond. 
Ging  ein  Mägdlein  nun  um  den  Tisch  und  füllte  die  Hörner, 
Schlug  es  erröthend  zu  Boden  das  Aug',  und  das  Bild  in  den  Schilden 
Ward,  wie  das  Mägdelein,  roth;  dies  freute  die  zechenden  Kämpen. 

Der  Hochsitz,  auf  dem  der  König  oder  der  Hausherr  mit 
den  vornehmsten  Gästen  sass,  lag  in  dem   erhöhten  Theile   des 


Erklärung  UhlanJischer  Gedichte.  207 

Saales ;  die  Kriegsmänner  und  die  Diener  fanden  ihren  Platz 
an  den  untern  Tafeln.  Hierher  Hess  man  auch  Unbekannte, 
wie  denn  dem  Aermsten  nicht  der  Zutritt  zur  gastlichen  Halle 
verwehrt  war.  So  tritt  ja  auch  Frithjof  unbekannt,  in  Bettler- 
gestalt, in  die  Halle  König  Kings  und  so  ist  auch  hier  der 
Skalde  in  des  Königs  hohe  Halle  gekommen.  Und  wie  der 
König  die  Sänger  zum  Wettkampf  auffordert,  da  tritt  der  Jüng- 
ling voll  Rachedurst  hervor. 

Drei  Lieder  weiss  ich:  den  ersten  Sang, 
Den  hast  du  ja  wohl  vergessen  schon  lang: 
Meinen  Bruder  hast  du  meuchlings  erstochen! 
Und  aber:  hast  ihn  meuchlings  erstochen! 

Vergessen  hat  also  der  König  den  Meuchelmord  schon 
lange?  Durch  diesen  Ausspruch  wird  so  recht  der  nordische 
Sinn  charakterisirt.  Der  Mord  ist  vor  langer  Zeit  geschehen, 
also  wohl,  wie  der  Jüngling  noch  ein  kleiner  Knabe  war. 
Dennoch  hat  der  Knabe  die  That  nicht  vergessen.  Er  ist  zur 
Rache  erzogen,  sie  war  sein  Streben  und  sein  einziger  Ge- 
danke von  der  Zeit  an,  als  er  zum  Bewusstsein  gekommen. 
Man  erinnere  sich  dabei,  wie  Siegfried  seinen  Vater  und  wie 
die  Chriemhilde  ihren  Siegfried  rächt. 

So  fordert  er  den  König  zum  Kampfe  auf  und  es  beginnt 
der  Streit  in  der  hohen  Halle.  Rings  umher  stehen  die  Recken; 
aber  Keiner  hindert  den  Zweikampf.  Alle  erkennen  sie  des 
Jünglings  Forderung  als  eine  gerechte  an. 

Wie  sehr  diese  ganze  Scene  dem  nordischen  Charakter 
entspricht,  darf  wohl  nicht  erst  bewiesen  werden  und  ich 
weise  nur  darauf  hin,  wie  entschieden  hierin  das  nordische 
Alterthum  von  dem  griechischen  abweicht. 

Keiner  der  Kämpen  des  Königs  hilft  seinem  Herren,  auch 
als  er  ihn  unterliegen  sieht;  sie  haben  die  Verpflichtung,  seinen 
Tod  zu  rächen,  nicht  aber,  ihn  im  ehrlichen  Zweikampfe  vor 
Unsieg  zu  schützen.  Würden  das  wohl  homerische  Helden 
ihrem  innersten  Wesen  nach  haben  begreifen  können?  Wie 
eigenthümlich   auch   dieser    Zug   dem   Norden    ist,    so   ist    doch 


208  Erklärung   Uhlandischer    Gedichte. 

der  Jubel,  in  den  der  Jüngling  beim  Fall  seines  Gegners  aus- 
bricht, etwas  so  Natürliches,  dass  wir  uns  nicht  wundern  dürfen, 
darin  das  nordische  mit  dem  griechischen  Alterthum  in  Ueber- 
einstimmung  zu  finden.*) 


*)  Grimm  Altdeutsche  Heldenlieder  XVI. 
Berlin.  Dr.  R.  Foss. 


Ueber   die 
Gedichte  Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Baiern. 


König  Ludwig  I.  von  Baiern  gehört  zu  den  anziehenderen 
und  seltenern  Fürsten,  theils  wegen  seiner  Herrschertugenden, 
theils  und  in  noch  höherem  Grade  als  Kunstgönner  und  Kunst- 
kenner, namentlich  der  Baukunst,  Malerei  und  Bildhauerei. 
Das  bezeugen  die  zahlreichen  und  meistens  ausgezeichneten 
Bauwerke,  die  ihm  ihren  Ursprung  verdanken.  Dahin  gehören 
ausser  dem  mehr  den  Handel  bezweckenden  Ludwigskanal,  der 
die  Donau  und  den  Rhein  verbindet,  die  Glyptothek  und  Pina- 
kothek, das  Odeon,  der  königliche  Palast  und  mehrere  Kirchen 
in  München,  sowie  die  Walhalla  bei  Regensburg;  und  er  hat 
damit  auch  nach  der  Niederlegung  seiner  Regierung  fortgefahren. 
Aber  er  ist  auch  ein  Freund  der  übrigen  Künste,  sowie  der 
Wissenschaften  und  nicht  blos  ein  Freund  der  Dichtkunst,  er 
ist  selbst  Dichter.  Wir  besitzen  vier  ziemlich  starke  Bände 
lyrischer  Gedichte  von  ihm;  er  ist  ausserdem  Verfasser  einiger 
Schriften  in  ungebundener  Rede.,  unter  denen  die  bedeutendste 
betitelt  ist  „Walhalla's  Genossen,"  und  kurze  Lebens- 
beschreibungen aller  in  die  Walhalla  aufgenommenen  berühmten 
deutschen  Männer  und  Frauen  enthält.  Aber  die  Gedichte 
Ludwigs  machen  doch  die  grössere  Hälfte  seiner  Werke  aus. 
Sie  sind  zwischen  1829  und  47  in  München  bei  Cotta  erschienen, 
und  begreifen  mehr  als  tausend  Seiten;  und  von  ihnen  haupt- 
sächlich soll  in  den  folgenden  Zeilen  die  Rede  sein. 

Kunst,  schöne  Natur,  besonders  italienische,  und  Liebe,  — 
das  sind  die  Gegenstände,  welche  der  Dichter  besonders  im 
ersten  Bande  besingt,  zu  welchen  im  zweiten  dichterische  Theil- 

Archiv  f.  u.  SpracheD.     XXVIII.  14 


210  Ueber  die  Gedichte 

nähme  am  Freiheitskampfe  der  Neugriechen,  und  Klagen  über 
die  entflohenen  Freuden  der  Jugend,  über  den  ihm  versagten 
thätigen  Antheil  an  der  Vertheidigung  des  deutschen  Vaterlandes, 
und  über  die  schweren  Pflichten  des  königlichen  Amtes,  oder 
noch  mehr  über  die  ihn  einengenden,  ihm  unerträglichen  Ver- 
hältnisse des  Hoflebens  hinzukommen,  wesshalb  denn  hier  der 
Ton  der  Wehmut,  der  Unbefriedigtheit,  der  Unzufriedenheit, 
aber  auch  der  Ermannung  und  der  Ergebung  herrscht.  Die 
beiden  letzten  weit  später  als  die  ersten  erschienenen  Bände 
unterscheiden  sich  in  Rücksicht  der  Gegenstände  wie  der  Be- 
handlung und  des  Versbaus  nicht  eben  von  den  älteren.  An 
Abtheilungen  fehlt  es  gänzlich.  Auch  bemerkt  er  II,  51: 
„Dass  nicht  die  Zeitfolge  ihrer  Entstehung  die  Reihefolge  dieser 
Gedichte  bestimmt,  wird  man  bemerkt  haben."  In  dem  Sonett 
IV,  200  spricht  er  sich  über  sich  selbst  und  seine  Dichtungen 
folgendermassen  aus: 


"© 


Es  hat  das  Buch  bereits  nicht  wenig  Theile, 
In  dem  des  Lebens  Inhalt  ist  enthalten, 
In  seinen  raannichfaltigen  Gestalten, 
Getroffen  wurde  diess  von  manchem  Pfeile. 

Es  lieget  hier  sein  Innerstes  entfalten; 
Damit  es  mit  den  Hören  nicht  enteile, 
So  rufts  durch  diese  Blätter  zu:  verweile, 
Gehemmt  ist  Kronos  allzernichtend  Walten. 

In  diesen  vielen  Blättern  ist  zu  lesen, 
Was  mich  verwundet  machte  und  genesen, 
Was  ich  geworden  und  was  ich  gewesen. 

Jetzt  wo  die  Leidenschaften  alle  schweigen, 
Die  täuschend  nur  die  Gegenwart  uns  zeigen, 
Die  Truggebilde  vor  der  Wahrheit  weichen. 

Der  Dichter  spricht  sich  in  diesem  Sonett,  wie  überhaupt 
in  seinen  Gedichten  mit  grosser  Unbefangenheit  aus,  meistens, 
wie  es  scheint,  auch  ohne  grossen  Kraftaufwand,  sich  gemäch- 
lich gehen  lassend,  und  ohne  Feile.  Diess  bezieht  sich  nicht 
bloss  auf  den  Versbau,  der  besonders  in  den  antiken  Sylben- 
massen    in   Hinsicht   der   Sylbengeltung    wie    der    Gesetze   des 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  211 

Versbaus  vernachlässigt  ist,  ohne  dass  es  doch  an  einzelnen 
musterhaften  Zeilen  fehlte,  sondern  auch  auf  den  Ausdruck, 
der  bisweilen  dichterisch  und  fliessend,  häufig  aber  auch  ge- 
schmacklos, nüchtern  und  unbehülflich  ist,  wie  es  denn  auch  an 
Sprachhärten,  unerlaubten  Verkürzungen,  gezwungenen  Satz- 
bildungen und  Mängeln  und  Schwächen  aller  Art  nicht  fehlt. 
Er  verhehlt  diess  selber  nicht  I,  72  in  dem  Gedicht  „die  Natur 
des  Schönen,"  wo  es  vom  Dichter  heisst:     N 

Wenn  ihn  die  Angst  um  Irdisches  will  fassen, 
Ob  gegen  Hergebrachtes  er  gefehlt, 
Dann  hat  die  Muse  ihn  auch  schon  verlassen, 
Gefühl  verstummt,  wo  Ueberlegung  wählt. 

Es  muss  der  Mensch  des  Menschen  Werk  vergessen, 
Sich  überlassend  dem  beseelten  Schwung, 
Nicht  ordnen  darf  die  Worte  er  noch  messen, 
Begeistern  nur  kann  Jie  Begeisterung. 

Ganz  anders  denkt  er  über  die  Prosa;  da  bezeugt  er  selbst 
seinen  gelehrten  Eifer  in  folgenden  beiden  Witten  oder  Distichen, 
II,  89: 

Meine    Geliebte. 

Aus  den  Tagen  der  Kindheit  besitz'  ich  eine  Geliebte, 
Klio  ist's,  sie  bleibt  auch  in  dem  Alter  getreu. 

Meine   Leidenschaft. 

Eine  Leidenschaft  hab'  ich,  es  ist  nicht  die  Kunst  noch  die  Liebe, 
Studium,  so  heisst  sie,  Glut,  die  sich  verzehrend  erneut. 

In  „  Walhalla' s  Genossen"  hat  er  diess  Studium,  diese  Liebe 
niedergelegt,  Johannes  von  Müller's  Styl  dabei  zum  Muster  ge- 
nommen, und  dessen  Gedrängtheit  und  Gedankenschwere  mit 
Glück  nachgeahmt.  So  lautet  die  Lebensbeschreibung  Johann 
Guttenberg's :  „Durch  den  Maynzer  Patricier  Johann  von  Guttcn- 
berg  geschah  in  Strassburg  für  des  Menschen  Geist,  seit  der 
Phönikier  Teut  geschrieben,  die  wichtigste  Erfindung:  das  Buch- 
drucken. Sie  beschäftigte  ihn  von  dem  1430.  bis  zum  1440. 
Jahre,  in  welchem  er  sie  in  Maynz  zu  Stand  brachte;  druckte 
erst  da  mit  Metallformen,  in  Strassburg  nur  in  Holz  geschnittene 

14* 


212  Ueber  die  Gedichte 

ganze  Zeilen.  Sein  Siegelring  gab  den  zu  dieser  Erfindung 
führenden  Gedanken,  eine  Weinkelter  der  Presse  Vorbild. 
Wenn  Churf ürst  Adolph  von  Maynz  (ein  Nassauer)  Guttenbergen 
nicht  an  seinen  Hof  nehmend  ernährt,  hätte  der  in  seinem  Alter 
betteln  müssen,  dessen  Erfindung  Zahllose  bereicherte.  Faust's 
arglistige  Habsucht  brachten  Guttenbergen  um  den  Nutzen, 
sogar  um  die  Ehre  der  Erfindung,  doch  (wenn  zuweilen  gleich 
spät)  wird  sie  immer  wieder  dem,  der  sie  verdient,  und  der 
Anmasser  entlarvt.  Umwälzung,  allmälige,  hat  das  Buchdrucken 
hervorgebracht,  (grössere  als  das  Schiesspulver,  sintemal  dieses 
bloss  auf  das  Körperliche  wirkt)  durch  die  überall  hin  sich  ver- 
breitende Mittheilung  des  Gedankens,  welche  seit  dieser  Er- 
findung so  wenig,  als  das  Eindringen  der  Luft  zu  verhindern 
ist.  Dafür  sichert  sie,  dass  kein  Kaiser  von  China, 
kein  Chalife  mehr  des  Geistes  herrliche  Früchte 
vernichten,  die  Fortpflanzung  der  Wahrheit  unter- 
drücken kann." 

Ganz  im  Geiste  Müller's  ist  auch  der  Schluss  der  Vorrede: 
„Ruhm  bei  der  Mitwelt  ist  wenig,  bei  der  Nachwelt  mehr, 
nicht  alles;  das  Beste  aber  innerer  Werth,  wogegen  jeder 
verschwindet:  er  ist  das  einzige,  was  wir  mitnehmen,  er 
währt,  wie  die  Seele,  ewig." 

Der  Vorwurf,  den  man  dem  Style  des  Meisters  gemacht 
hat,  der  Gezwungenheit  und  Unverständlichkeit,  lässt  sich  frei- 
lich auch  treffen  den  des  Schülers  erheben.  Der  Sinn  der  ersten 
Worte  über  den  Baumeister  des  Cölner  Doms  S.  76:  „Des  so 
viele  grosse  Baumeister  zählenden  Mittelalters  grösster,  jener 
des  Doms  zu  Cöln,  im  Spitzbogen-,  irrig  gothisch  genannter 
Styl"  wird  man  beim  ersten  Lesen  kaum  fassen.  In  dem  Satze 
S.  93:  „In  Paris  bei  ungeheurem  Zudrange  gelehrt  habend, 
dann  in  Cöln,  ward  Albertus  Magnus  zum  Bischof  von  Regens- 
burg gewählt  wider  seine  Neigung"  fällt  das  ungewöhnliche 
Mittelwort  „gelehrt  habend"  auf.  Aber  theils  ist  dergleichen 
selten,  theils  hat  Manches  auch  bei  andern  Schriftstellern  steif 
und  sonderbar  geklungen,  dessen  Gebrauch  nach  gerade  und 
zum  Vortheil  der  Sprache  sich  geltend  gemacht  hat. 

In  der  Dichtkunst  ist  freilich  Ludwigs  Ansicht  unstreitig 
eine  falsche,    auch  darf  man  dreist  behaupten,    dass  er  in  Hin- 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  213 

sieht  des  Versbaus  und  der  Reime  weit  mehr  hätte  befriedigen 
können,  wenn  er  gewollt  hätte,  und  dass  seine  Leistungen  seiner 
Kraft  nicht  entsprechen. 

Ich  wende  mich  zu  dem  Inhalt.  Unter  den  höchst  zahl- 
reichen Liebesgedichten,  welche  vorzugsweise  die  Wonne  der 
Erfüllung  schildern,  sind  mehrere  ausgezeichnet  und  selbst  in 
der  Form  mehr  gelungen.  Aber  ohne  mich  für  jetzt  dabei  auf- 
zuhalten, bemerke  ich  nur,  wie  diess  Gefühl  den  Dichter  seiner 
Versicherung  nach  für  immer  durchdringt.     I,  296  ruft  er  aus: 

„Lieben  will  ich,  ewig,  ewig  lieben, 
Liebe  ist  die  Seele  der  Natur, 
Flammend  steht  sie  überall  geschrieben, 
Alles  zeiget  ihre  heiige  Spur. 

Ohne  Liebe  wäre  nicht  die  Erde, 
Ohne  Liebe  selbst  der  Himmel  nicht, 
Liebe,  welche  sehnend  ich  begehrte, 
Du  allein  bist  meines  Lebens  Licht." 

Der  Schluss  dieses  Gedichts  ist  religiös: 

„Einstens  wird  der  Glaube  selbst  zum  Schauen, 
Und  die  Hoffnung  wird  Besitz  einmal, 
Lieb'  nur  bleibet,  in  des  Himmels  Auen 
Flammt  beseligend  ihr  ewger  Strahl." 

Stark  ist  aber  auch  sein  Gefühl  für  die  schöne  Natur.  In 
dem  Morgengedicht  auf  Molo  di  Gae'ta  heisst  es: 

..Herrlich,  o  herrlich  bist  Du,  heilige,  grosse  Natur! 
Alles  erwacht  zu  freudig  erneuetem  glänzendem  Leben, 
Aui'gethan  ist  mir  eine  beglückende  Welt." 

Der  Anfang  der  Elegie  auf  Palermo  heisst: 

„Glühend  verklärt  sind  die  Lütte,  es  glühen  entzückend  die  Auen, 
Glühend  ist  selber  das  Meer,  Glut  ist  Sicilien  ganz, 

Diese  von  der  Natur  vor  jeder  gesegnete  Insel, 

Ueber  deren  Gcfild  liebend  der  Himmel  sich  wölbt." 

Seine  Vorliebe  für  Italien  tritt  häufig  hervor,  meistens  zu- 
gleich in  Verbindung  mit  einem  trauernden  und  klagenden  Hin- 
blick auf  den  Norden.     In  derselben  Elegie  heisst  es: 

„Was  in  dem  Norden  erkünstelte  Wärme  nur  spärlich  erzwinget, 
Herrlich  in  diesem  Gefild  schwellender  Fülle  gedeiht." 


2U  Ueber  die  Gedichte 

Eben  so  heisst    es   in  der  Elegie  auf  Pästum  vom  Norden: 

„Alles  erstarret  darin,  wie  die  Natur,  so  der  Mensch. 

Leben,  das  wirkliche  Leben  besteht  allein  in  dem  Süden, 

Trennungslos  vereint  ist  es  mit  Wärme  und  Licht  " 

Ferner  in  der  Elegie  auf  Salerno: 

„Leben  im  Süden  ist  ein  seliger,  steter  Genuss. 
Freude  ergiesst  sich  aus  der  Höhe  des  ewigen  Aethers, 

Himmel  und  Erde  und  Meer  flössen  dieselbe  ins  Horz. 
Von  Beschwerden  gedrückt  schleicht  schwunglos  das  Leben  im  Norden, 

Kämpfend  entgegen  der  Noth,  mühsam  erhält  sich  der  Mensch." 

Von  Palermo  singt  er  in  einem  Reimgedicht: 

„Den  des  ird'schen  eiteln  Strebens  Müden 

Lächelt  hier  mit  ihrer  Ruhe  an 
Die  Natur,  die  herrlichste,  im  Süden, 

Da  ist  Wahrheit,  in  dem  Norden  Wahn. 

Die  dem  Menschen  Feindin  dort  geworden, 

Hier  mit  ihm  im  traulichen  Verein, 
Pflanzendasein  nur  erthcilt  der  Norden, 

In  dem  Süden  lebt  es  sich  allein. 

In  dem  Nord  umsonst  nach  Glück  bemühet 
Sich  der  Mensch,  hier  kommt  es  ungesucht, 

Und  des  Südens  jubelnd  Leben  glühet 
Auf  des  Pomeranzenbaumes  Frucht." 

Noch  stärkeren  Ausdruck  haben   folgende   Stellen,   I,  279: 

„Ich  bin  nur  für  des  Südens  warme  Fluren, 
Wo  sich  die  irdschen  geistigen  Naturen 
In  Licht  und  Wärme  seelenvoll  vereinen, 

Wo  alles  trägt  der  Liebe  sanfte  Spuren 

In  milder  Nacht  die  Sterne  liebend  scheinen, 
Sich  Erd'  und  Himmel  mit  dem  Menschen  einen." 

In   dem   Morgengedicht  auf  Molo  di   Gaeta  heisst   es   von 
Italien: 

„O  Italien,  selber  das  Irdische  scheinet  uns  irdisch 
Nimmer  in  Dir,  Du  stimmst  alles  zum  Heiligen  um. 

Ja,  ich  liebe  und  sehne,  ich  ahne,  ich  glaube,  ich  liebe, 
Hier,  hier  lebet  der  Mensch,  lebet  ein  Seliger  schon." 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  215 

Und  in  der  Elegie  „Via  Appia:" 

„Geistiger  fühlen  wir  uns  in  euch,  ihr  südlichen  Fluren, 

Ladet  der  Himmel  zu  sich,  schrecket  das  Sterben  uns  nicht." 

Diese  Vorliebe  für  Italien  findet  in  Kom  ihren  Mittelpunkt. 
So  der  Schluss  der  Elegie  „Campagna  di  Roma:" 

„Bloss  hier  findet  sie  sich  die  Geschichte  der  Völker  und  Zeiten, 

Alles  vereinigest  du,  ewiges,  einziges  Rom, 
Die  Natur  und  die  Menschen  und  Erde  und  Himmel  in  Liebe; 

Scheinest  zu  sterben,  mein  Rom,  immerhin  lebest  Du  doch, 
Lebest  und  herrschest,  wenn  gleich  die  irdische  Macht  Dir  genommen, 

Herrschaft  des  Geistes  besteht  ewig  und  ewig  allein." 

Die  ganze  erste  Elegie  auf  Rom  gehört  hierher.    Ich  führe 
nur  einige  Zeilen  daraus  an: 

„Zu  dir,  ewige  Roma,  entschwebet  die  sehnende  Seele ; 

Hehr  erhebt  mein  Blick  sich  zu  den  Sternen  hinauf,  [Stärke, 

Freu'  mich ,  dass  sie,  die  ich  sehe  im  Schimmer  der  Pracht  und  der 

Herrliche  Stadt,  ich  geschaut,  jegliches  Grossen  Verein  , 
Wie  Du  es  einst  vor  anderthalbtausend  von  Jahren  gewesen." 

Und  gegen  den  Schluss: 

„Längere  Herrschaft,  grösseres  Volk  gab's  niemals,  erregest 
Ehrfurcht,  Staunen  in  uns,  immer  erregest  Du  sie. 

Rom,  wie  deine  Geschichte  du  selbst:  bist  einzig  und  ewig, 
Ach  die  Gestalt  nur  blieb,  aber  das  Leben  entfloh." 

II,  152  heisst  es: 

„Alle  Völker,  alle  Zeiten 

Ziehen  uns  vorbei  dort  immer, 

Religion,  Natur  verbreiten 

Mit  der  Kunst  des  Reizes  Schimmer." 

Besonders  ist  es  die  neuere  Kunst,  welche  er  preist,  z.  B. 
in  der  5.  Elegie  auf  Rom: 

„Einzig  wahrlich  bist  du,  o  Roma,  du  zeigst  dich  alleine 
Zweimal  als  Herrin  der  Welt,  doppelt  bemeisternder  Kraft. 

Sie  verlor  durch  Waffen  den  Zepter,  den  Waffen  erworben, 
Und  das  Alte  erlosch,  kräftig  das  Neue  entstand. 

Lichteren  Glanzes  entstieg  aus  der  Asche  der  jüngeren  Roma 
Weitverbreitetes  Reich  durch  der  Ideen  Gewalt, 


210  Ueber  die  Gedichte 

Und  es  bliiheten  wieder  die  Künste,  und  wiederum  wurde 

(Nun  durch  eignes  Verdienst)  Roma  des  Schönsten  Verein. 
Ein  erhabnerer  Geist  als  selbst  in  der  herrlichen  alten 

Lebt  in  der  christlichen  Kunst.     Griechen  erbaueten  nichts 
Wie  die  dem  Petrus  geheiligt  zum  Himmel  sich  wölbende  Kirche, 

Die  das  Pantheon  selbst  trägt  in  den  Lüften  mit  Lust. 
Auyk  die  zweite  gewordene  Herrschaft  Roms  ist  vergangen, 

Und  sein  Ansehn  nun  ändert  beständig  sich  mehr. 
Seine  geschätzten  Geschlechter  erlöschten,  und  jene,  die  leben, 

Sind  entblösst  des  Sinns,  welcher  die  Ahnen  erfüllt. 
Was  noch  von  Kunstwerken  da,  raubt  oder  erhandelt  der  Fremde, 

Täglich  verfällt  es  mehr,  was  von  Ruinen  besteht; 
Neue  entstehen  wol  viele,  schöne  Gebäude  doch  nimmer. 

Farbe  verlöscht  auf  der  Wand,  ach  und  der  seelvolle  Geist 
Schwindet  dahin,  die  Natur  entfärbet  sich  gleichfalls,  es  kehret 

Aber  die  Farbe  in  ihr  frischeren  Lebens  zurück, 
Bis  auch  sie  am  Ende  getroffen  Avird  von  der  Zernichtung. 

Einzig  ewige  Stadt,  eitle  Benennung  des  Wahns! 
Wirst  zu  Erde,  aus  der  du  geworden,  Arerschwinden  wird  jedes; 

Was  das  Auge  erblickt,  zeiget  Vergänglichkeit." 

Wie  in  den  zuletzt  angeführten  Zeilen  die  Trauer  über  den 
Verfall  der  Kunst  in  Rom  vorherrscht,  so  wird  auch  die  Kehr- 
seite dieser  Stadt  in  der  Gegenwart  nicht  verschwiegen  in  den 
„vatikanisches  Museum"  überschriebenen  Zweizeilen: 

„Bilder  drängen  die  Bilder,  gehäuft  ist  das  Schöne  und  Schlechte. 
Vor  beständigem  Sehn  sehen  am  Ende  wir  nichts." 

Aehnlich  in  „die  römischen  Antiken:" 

„Unermesslich  ist  sie  die  Anzahl  römscher  Antiken, 

Dass  sich  dazwischen  sogar  leider  das  Schöne  verliert." 

Ferner  in  „Foro  Romano:" 

„Kühe  habt  ihf  vertrieben,  doch  weiden  dagegen  die  Esel, 
Und  dem  niedrigen  Plebs  folgte  ein  ärgerer  nach." 

Auch  werden  die  Griechen  über  die  Römer  und  Athen  über 
Rom  gestellt: 

Rom   und   Athen. 

„Glanz  und  Pracht  und  Gewühl,  der  Erdbezwingerin  Hoheit 
Fassen  den  staunenden  Geist,  denken  wir,  Roma,  an  dich. 

Weiter  in  tieferer  Ferne  erscheint  in  ruhiger  Stille 
Seele  erhebenden  Werths,  beiliger  Grösse  Athen." 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  217 

Der  Triumphbogen  des  Constantin. 

„Was  das  Beste  an  dir,  gehöret  dem  frühern  Gesehlechte, 

War  doch  das  .Schönste  in  Rom  auch  den  Hellenen  geraubt." 

Aber  Korn  bleibt  ihm  im  Grunde  doch  das  Höchste.  Davon 
zeugen  mehrere  der  letzten  Zweizeilen  des  zweiten  Bandes,  z.  B. : 

„Da  nur  ist  Leben,  wo  Seele  und  Körper  Befriedigung  fühlen; 
Rom,  so  ist  es  in  dir,  lassest  zu  wünschen  nichts  mehr." 
und : 

„Lebe  einzig  in  dir,  auch  ferne  in  dir  nur,  mein  Roma, 
Ziehest  mich  heimatlich  an,  fesselst  mich  ewig  an  dich." 

Aber  die  Kunst  überhaupt  zieht  ihn  an.  Daher  schätzt  er 
zwar  Raphael  am  höchsten: 

Pap  ha  eis  Loggien. 

„Unerschöpflich  wie  die  Natur  so  bleibet  ihr  Loggien, 
Die  ihr  selber  Natur,  ja  die  beseelteste  seid." 

Die  Kirche  della  Pace. 

„Kirche  des  Friedens,  verdienest  den  Namen,  denn  Frieden 
Kommt  von  Raphaels  Werk  selig  durchs  Auge  ins  Herz." 

Er  feiert  auch  Canova  in  einem  Sonett  vor  dessen  Hebe  in 
Venedig  I,  107,  wo  es  heisst: 

„Ich  konnte  mich  der  Stelle  nicht  entrücken, 
In  deinem  Anblick  war  mein  ganzes  Leben, 
Ich  schwamm,  dich  Hebe  sehend,  in  Entzücken." 

Aber  er  tadelt  ihn  auch  II,  197  in  Vergleich  mit  Thorwaldsen: 

Canova's    Grazien. 

„Ueppige  Mädchen  sind  hier  die  Grazien,  Lüsternheit  weckend. 
Ist  zu  reizen  jedoch  je  die  Bestimmung  der  Kunst?" 

Thor  wald  sen s   Grazien. 

„Unverhüllt  sind  auch  die  deinigen,  unverhüllet  uns  zeigend 
Hellas  Charitinen,  keusch,  göttlich  in  heiliger  Kunst." 

Auch  Cornelius  und  Overbeck  lobt  er  und  die  deutschen 
Künstler  überhaupt;  jene  vergleicht  er  mit  Aposteln,  den  ersteren 
mit  Paulus,  den  letzteren  mit  Johannes. 

„Dir,  der  selbst  du  glühst  wie  Paulus  glühte, 
Dessen  Eifer  deinem  gleichend  ist, 


218  UeberdieGedichte 

Wie  auch  dir  mit  kindlichem  Gemüte, 
Der  du  wie  Johannes  harmlos  bist!" 

Eben  so  wird  der  Hofbauintendant  Klenze  gepriesen: 

„Wenn  längst  spurlos  dieWerke  des  jetzgen  Geschlechtes  verschwunden, 
Spricht,  was  du  bautest,  von  dir,  hebet  und  stärket  den  Geist." 

Die  Dichter  zumal  und  die  Dichtkunst  werden  nicht  ver- 
gessen, nicht  nur  in  Bezug  auf  sich  selbst,  wenn  er  ausruft 
II,  140:  „Gib  der  Freundin  mich  zurück  der  Kunst!"  und: 
„Lass  in  mir  die  Dichtkunst  tröstend  walten!"  sondern  Weimar 
und  Rom  werden  zusammengestellt  II,  67: 

„Die  beseligsten  Erinnerungen 

Haben  sich  in  einen  Kranz  geschlungen, 

Alles  Schönen  wonniger  Verein: 

Rom  und  Weimars  hehre  Zeit  der  Blüte, 

Und  der  Nachklang,  welcher  zum  Gemüte 

Aus  der  Kindheit  tönte  von  dem  Rhein." 

Der  Schluss  dieses  Gedichts  ist  an  sämmtliche  grosse 
Männer  Weimars  gerichtet: 

„Wenn  ihr  alle,  alle  auch  gefallen, 

Wird,  wo  ihr  gelebt,  man  hin  noch  wallen, 

Weimar  bleibet  Deutschlands  Heiligthum." 

An  Schiller  sind  besondere  Gedichte  gerichtet.  IV,  231 
wird  er  „Teutschlands  grösster  Dichter"  genannt.  IV,  272 
wird  „der  frühere  und  spätere  Schiller"  gefeiert.  Verglichen 
werden  Schiller  und  Göthe,  I,  130: 

Mein  Sirius  und  Hesperus. 

„Wenn  ich  erwache,  bevor  ich  betrete  den  Kreis  der  Geschäfte, 
Les'  ich  in  Schiller  sogleich,  dass  mich's  erhebe  am  Tag; 

Aber  nach  geendigtem  Lärmen  in  nächtlicher  Stille 

Flucht'  ich  zu  Göihe  und  träum'  fort  dann  den  lieblichen  Traum." 

Eine  Vergleichung  der  Kunst  und  Natur  findet  sich  in 
folgenden  Distichen: 

Wechselwirkung. 

„Schöner  gemessen  wir  sie,  die  Werke  der  Kunst,  in  dem  Freien, 
Kehren  zu  Mutter  Natur  fernher  von  ihnen  zurück." 

Zweierlei    Wirkung. 

„Wenn  ich  einsam  wandele  unter  den  Trümmern  der  Grösse, 
Spricht  mich  ernst  die  Kunst,  heiter  mich  an  die  Natur." 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  219 

Mit  der  Liebe  zur  griechischen  Kunst  hängt  seine  Be- 
geisterung für  die  alten  und  neuen  Griechen  zusammen.  So  in 
der  Elegie  auf  Pästum: 

„Dass  mir  vergönnt  nicht  war,  Griechen,  zu  leben  bei  euch! 

Lieber,  denn  Erbe  des  Throns,  war'  ich  ein  hellenischer  Bürger, 

In  den  Gedanken  wie  oft  träumt'  ich  mich  sehnend  zurück." 

Hiemit  sind  ähnliche  Klagen  wie  bei  Rom  verbunden,  z.  B. 

I,  44: 

„Hellas  ist  Ruine,  zeigt  bloss  Trümmer, 
Jene  Welt  des  Herrlichen  ist  nimmer, 
Nimmer  lehret  ihrer  Weisen  Chor. 
Sklaven  längstens  schon  sind  Hellas'  Söhne, 
Auf  des  Sängers  wahr  empfundne  Töne 
Sehnend  horcht  vergeblich  jetzt  das  Ohr." 

Daher  feiert  er  denn  auch  den  Befreiungskampf  der  Griechen 
in  der  neuesten  Zeit  in  mehreren  Gedichten,  sie  gehören  zu  den 
besten  in  der  Sammlung.  So  das  „an  Hellas,  im  Frühling  des 
1821.  Jahres."     Es  beginnt: 


„In  dem  Osten  fängt  es  an  zu  tagen, 
Schnelle  sinkend  nun  der  Mond  erbleicht." 


Und: 


„Neu  ertönen  des  Tyrtäus  Lieder, 

Führen  dich  zur  Schlacht,  zum  Ruhme  wieder, 

Und  der  Sieg  quillt  aus  des  Sängers  Mund." 

Ferner : 

„Du,  der  edlern  Menschheit  treue  Wiege, 
Hochbegabte  Hellas,  siege,  siege! 
Rufet  sehnend  jedes  Volk  dir  zu. 
Heimat  alles  Schönen,  alles  Hohen, 
Unterdrückt  in  dir,  doch  nicht  entflohen 
War  es,  sieg'  im  heiigen  Kampfe  du." 

Sowie  das  ganze  letzte  Gebinde: 

Wie  der  Perser  fiel,  der  Türke  falle, 
Färb'  Platäa's  Feld  mit  seinem  Blut! 
Auf,  Athens,  Korinthos  tapfre  Schaaren ! 
Seid  das  wieder,  was  die  Väter  waren, 
Und  die  alte  Zeit  wird  wieder  neu, 
Von  der  Kunst  und  Wissenschaft  die  Sitze 
Werdet  ihr,  und  von  Sophia's  Spitze 
Leucht'  das  Kreuz  auf  Völker,  welche  frei!" 


220  Uchor  die  (tcdichte 

Aul"  dieses  erste  Gedicht  folgt  nun  eine  Reihe  von  Gedichten, 
klagende,  ermunternde,  jauchzende,  von  der  letzteren  Art  z.  B. 
das  mit  der  Ueberschrift:  „Da  sichs  zeigte,  dass  Missolunghi's 
Erstürmung  eine  Lüge  war."     Anfang  und  Schluss  stehe   hier: 

„Jede,  jede  Sprache  ist  zu  arm, 

O  um  das  entzückendste  Entzücken, 

Was  das  Herz  entflammet,  auszudrücken, 

Wenn's  zum  Jubel  reisst  aus  tiefstem  Harm." 

„Abgewendet  ist  der  Donnerschlag! 
Nicht  von  dem  Gedanken  kann  ich  lassen, 
Wenn  gleich  diese  Seligkeit  zu  lassen 
Nicht  mein  überglücklich  Herz  vermag." 

Endlich  füge  ich  noch  das  ganze  kleine  Gedicht  hinzu: 
„An  die  Hellenen,  da  ich  König"  das  durch  den  kleinen  Zusatz 
„da  ich  König"  (nämlich  ward,  war,  geworden  war)  zugleich 
den  Uebergang  zu  einer  Reihe  von  missmutigen,  unzufriedenen 
Gedichten  bilden  mag. 

„Nur  Gebete  vermochte  die  Seele  zum  Himmel  zu  senden, 

Tapire  Hellenen,   für  euch,    für  den  befreienden  Kampf. 
Thatlos  verweheten  mir  in  den  Lüften  die  Töne  der  Lyra, 

Bloss  in  die  Saiten  allein  durfte  sie  greifen  die  Hand; 
Einsam  erklangen  dieselben  wie  Seufzer  verheimlichter  Liebe, 

Jetzt  ist  die  Lyra  verstummt,  aber  das  kräftige  Wort 
Tönt  von  dem  Könige  aus  der  Fülle  des  glühenden  Herzens, 

Dass  sichs  gestalte  zur  That,  Griechen,  zu  euerem  Heil." 

Diess  hat  der  Dichter  denn  auch  bethätigt,  indem  er  den 
freigewordenen  Griechen  einen  seiner  Söhne  zum  Könige  gab, 
ein  um  so  grösseres  Opfer,  da  er  seit  seiner  eigenen  Thron- 
besteigung sich  so  unglücklich  fühlte,  wenn  gleich  diess  Gefühl 
mehr  in  seiner  Besonderheit  als  in  der  Sache  begründet  war. 
Als  Jüngling  hatte  es  ihn  schmerzlich  durchdrungen,  dass  er 
an  dem  Kampfe  für  das  Vaterland  nicht  hatte  theilnehmen 
dürfen.  Das  bezeugen  besonders  zwei  Gedichte,  I,  177  und 
191:  „Nachklage"  und  „das  Versagte,  geschrieoen  während  dem 
Wiener  Congresse."     In  dem  letztern  heisst  es: 

„Den  als  Retter  Teutschland  hätf  betrachtet, 
Stehet  in  der  Menge  unbeachtet, 
Andern  nach,  die  besser  sind  doch  nicht; 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  "i'-'l 

Ruhm  und  Ehre  konnten  sie  erlangen, 
Mir  ist  die  Gelegenheit  vergangen, 
Ward  genommen  mir  durch  harte  Pflicht. 
Wenn  gepriesen  Andrer  Namen  schallen, 
Aufbewahret  durch  Unsterblichkeit, 
Wird  der  meinige  bereits  verhallen, 
Uebergeben  der  Vergessenheit. 

Als  Europa  schmachtete  in  Ketten, 

Spürt'  ich  auch  in  mir  die  Kraft  zu  retten, 

Mich  erhob  die  drohende  Gefahr. 

Um  zu  herrschen  da  in  Augenblicken, 

Hätte  ich  gegeben  mit  Entzücken,  / 

Was  Gewissheit  mir  für  Zukunft  war, 

Hätt'  für  immer  auf  den  Thron  verzichtet, 

Retter  meines  Vaterlands  zu  sein, 

Wenn  durch  mich  des  Feindes  Macht  zernichtet, 

Wenn  geendiget  der  Menschheit  Pein." 

Daher  ruft  er  denn  auch  IV,  198  Napoleon  zu:  „Grosser 
Geist,  doch  niedrig  kleine  Seele,"  preisst  alle  die,  welche  für 
das  Vaterland  kämpfen  und  .  sterben  durften ,  glücklich ,  wie 
Theodor  Körner,  und  beklagt  im  Bewusstsein  seiner  Liebe  zum 
Vaterlande  den  Zustand  desselben  überhaupt,  besonders  die 
Uneinigkeit,  z.  B.  III,  8: 

„Wo  Ein  Sinn  das  teutsche  Volk  belebte, 
Jene  schöne,  herrlich  hohe  Zeit, 
Wo's  den  Feind  nur  zu  besiegen  strebte, 
Sie  versank  in  die  Vergangenheit." 

Teutsch  und  Deutsch.     (III,  143). 

„Während  Einige  teutsch,  deutsch  Andere  schreiben;  es  zeiget 
Diess  Uneinigkeit  schon,  welche  so  lang  uns  beherrscht." 

Aber  weit  unglücklicher  machte  ihn  doch  als  Mann  die 
Thronbesteigung.  Mit  dem  Gedichte:  „An  mich  als  König" 
(vom  5.  November  1825,  wie  die  Anmerkung  sagt)  heben  diese 
Klagen  an,  und  steigern  sich  in:  „der  Könige  Loos,"  „Königs- 
klage," in  den  Sonetten  II,  59  und  61,  in  „Fürstenklage, 
Mannichfache  Klage,  Leben  des  Königs,  Meines  Inneren  Drang," 
und  sie  haben  etwas  um  so  mehr  Peinigendes,    weil   an    diesen 


222  Ueber  die  Ge dichte 

Gefühlen    doch   nur   eine   Verkennung    seiner   Lage    Schuld  ist. 
So  beginnt  das  zuletzt  angeführte  Gedicht: 

„In  der  Prosa  soll  ich  fürder  leben, 

Wie  des  Färbers  Gaul  im  Ring  herum 

Meinem  Tagwerk  endlos  übergeben, 

Bis  Natur  für  mich  wird  stumm, 

Bis  der  Last  ich  leidend  unterlegen, 

Früh  mein  Körper  sinkt,  mein  Geist  erschlafft. 

Soll  ich  mich  im  engen  Kreis  bewegen, 

Lebend  schon  dem  Leben  sein  entrafft?" 

Daneben  beklagt  er  auch  häufig  wie  LU,  45  „die  verlorene 
Phantasie.".  So  scheint  er  sich  eine  Weile  einer  dumpfen 
Schwermut  überlassen  zu  haben,  der  er  vielleicht  schon  früher 
sich  zuneigte,  obgleich  die  Gedichte  „Schwermütige  Stimmung" 
IV,  140  und  „Schwermütiges  Gefühl"  III,  14  und  IV,  156, 
(denn  zwei  Gedichte  haben  diese  Ueberschrift)  keine  Jahrzahl 
der  Entstehung  tragen.     Da  heisst  es: 

„Doch  der  Sommer  entfliehet,  es  schwinden  die  Tage  der  Jugend; 

Düster  vergingen  mir  viel,  wenige,  die  mich  beglückt. 
Ueberlassen  der  Pein,  ihr  möcht'  ich  mich  gänzlich  ergeben, 

Schwermut  ist  mein  Genuss,  jetzo  der  einzige  mir. 
Nacht  ist  mein  Tag  nun ;  glücklich,  wenn  friedlicher  Schlummer  mich 

fesselt, 

Träume  vorüber  mir  ziehn,  frei  von  der  Wirklichkeit  Qual. 
Mit  dem  Tage  da  kehret  zurücke  die  schreckliche  Wahrheit, 

Nur  in  der  Täuschung  allein  lebe  ich  einzig  beglückt. 

Das  Gedicht  „Leben  des  Königs"  schliesst: 

„Rings  umgeben  von  düsterem  Grau  ist  Frohne  sein  Leben, 
Mühet  heute  sich  ab,  wie  er  es  gestern  gethan." 

Am  grellsten  ist  die  Schilderung  im  Gedicht:  „der  Könige 
Loos,"    das  ich  dess wegen  ganz  mittheile. 

Von  des  Hofes  Zwang  umgeben, 
Schon  ein  Todter  in  dem  Leben, 
Wie  ein  Götterbild  von  Stein, 
Thronen  in  des  Schlosses  Mauern 
Soll  der  König,  soll  vertrauern, 
Immer  abgesondert  sein. 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  223 

Was  dem  Aermsten  selbst  gewähret, 
Er  auf  seinem  Thron  entbehret : 
Frohen  Umgangs  heitre  Lust. 
Wie  an  Fäden  soll  er  wandeln, 
Gleichwie  auf  der  Bühne  handeln, 
Seiner  Rolle  sich  bewusst. 

Abgewogen,  abgemessen 
Sei  ihm  Alles,  soll  vergessen, 
Dass  er  Mensch  ist,  immer  kühl 
Soll  sein  Herz  nie  höher  schlagen, 
Einsam,  freudlos  soll  er  ragen, 
Abgestorben  dem  Gefühl. 

Ach,  worauf  sein  Blick  verweilet, 
Von  Verläumdung  wirds  ereilet, 
Sei  es  noch  so  gut,  so  rein, 
Andres  Ansehn  es  erlanget, 
Und  der  Himmel  selbst  empfanget 
Gleich  davon  der  Hölle  Schein. 

Aehnlich  ist  III,  114:  „Am  Neujahrstage  1830."  —  In 
diesem  Sinne  hat  ihn  Chamisso  aufgefasst,  wenn  er  in  den 
„deutsche  Barden"  betitelten  Terzinen  dichtet,  von  dem  auf  den 
Alpen  ihm  begegnenden  und  unbekannten  König  folgenden 
Gegengruss  erhalten  zu  haben: 

„Mich  freut  in  deinem  Aug  der  Wiederschein 
Von  dem  aus  mir  hervorgeblühten  Bilde. 

Doch  blicke  hier  ins  offne  Thal  hinein: 
Du  wirst  auf  jenem  Pfade  niedersteigen 
Und  Mensch  dort  unten  unter  Menschen  sein. 

Dein  Wille,  deine  Kraft,  sie  sind  dein  eigen, 
Du  magst  mit  Lieb'  und  Hass  ins  Triebrad  greifen, 
Und  magst,  sowie  du  bist,  dich  offen  zeigen. 

Dort  wird  der  Freundschaft  edle  Frucht  dir  reifen, 
Dort  gilt  der  Wärme  glückliche  Gewalt, 
Die  es  verschmäht,  zu  diesen  Höhn  zu  schweifen. 

Blick'  um  uns  her,  wie  lebensleer  und  kalt 
Die  starren  Zinnen  des  Gebirges  trauern; 
Hier  ist  mein  winterlicher  Aufenthalt. 

Sie  sind  der  Völkerfreiheit  feste  Mauern, 
Und  sammeln  still  die  Wolken  für  das  Thal 
Zu  Quellensegen  und  zu  Regenschauern. 


•224  Ueber  die  Gedichte 

Ich  haus'  in  Sturm  und  Wolken  hier  zumal, 
Denn  dieser  Alpen  ist  mein  Schaffen  gleich, 
Ob  aber  liebend,  ob  aus  freier  Wahl  —  ? 

Wer  blickt  in  meines  Herzens  Schattenreich? 
Wer  fragt  nach  mir,  der  einsam  ich  verbannt 
Aus  menschlicher  Genossenschaft  Bereich? 

Die  flüchtge  Stunde,  wo  du  mich  erkannt, 
Du  magst  in  der  Erinnerung  sie  feiern, 
Wir  sind  getrennt,  sobald  ich  mich  genannt  — 

Ich  bin  der  König  Ludewig  von  Baiern." 

Doch,  gottlob,  solch  ein  Nachtstück  ist  das  Leben  des 
Königs  Ludwig  nicht.  Das  bezeugt  das  Gedicht:  „Inneres 
Leben:" 

„Drängt  gen  mich  sich  Welle  gleich  auf  Welle 
In  des  Lebens  kalter  Sturmesnacht 
Strömt  am  Herzen  doch  die  Feuerquelle, 
Und  der  Seele  wird  es  wieder  helle, 
Draussen  ernst,  im  Inneren  es  lacht." 

Ferner: 

„Aus  dem  ewgen  Wogen,  ewgen  Wanken 
Flüchtend  in  das  Reich  mich  der  Gedanken, 
Schweb'  ich  sehnend  zu  dem  Zauberland. 
Aus  der  Dichtung  blühendem  Gebiete 
Ist  die  Sorge,  ist  der  Schmerz  verbannt." 

Findet  er  so  die  Quelle  des  Trostes  in  sich  selbst,  so  findet 
er  sie  auch  ausser  sich  bei  den  Klassikern,  in  der  Geschichte. 
So  in  dem  „Abschied  von  Aschaffenburg:" 

„Aus  dem  beständigen  Druck  des  kleinlichen  täglichen  Lebens 
Flüchtete  sehnend  der  Geist  sich  zu  den  Klassikern  hin, 

Und  vergass  die  Gegenwart,  fand  die  Heiterkeit  wieder, 
Fand  sie  mächtig  erregt,  mächtig  vermehret  die  Kraft." 

Der  Schluss  lautet: 
„Lebend  sind  Tausende  todt  uns,  doch  ein  grosser  Gestorbner 
Lebet  dem  denkenden  Geist  auch  in  dem  Tode  noch  fort." 

Auch  entbehrt  er  des  religiösen  Trostes  nicht,  z.  B.  II,  105: 

Glücklich,  wenn  in  heiiger  Glut  verloren, 
Aufgelöst  wir  sind  in  dem  Gebet, 
Fühlen  uns  für's  Ewige  geboren, 
Schon  von  Seligkeit  dann  angeweht." 


Ludwigs  des, ersten,  Königs  von  Bayern.  225 

Daher  denn  der  männliche  Entschluss  in  dem  trefflichen 
Sonett,  I,  48: 

„Nicht  für  die  Ruhe  ist,  zum  Kampf  erschaffen 
Der  Mensch;  was  ihm  auch  droht,  er  soll  nicht  zagen, 
Für  das,  was  recht  und  edel,  alles  wagen, 
Es  darf  dafür  nicht  seine  Kraft  erschlaffen." 

Freilich  ist  diess  aus  einer  früheren  Zeit;  und  so  auch  II, 
101: 

„Jetzt  kann  ichs  sagen:  „Ja,  ich  habs  errungen!" 
Wie  diessmal  hab'  ich  nie  mich  überwunden, 
Gewissensruhe  habe  ich  gefunden, 
Nach  schwerem  Kampfe  endlich  mich  bezwungen." 

Aber  auch  im  4.  Theile  sind  mehrere  Aeusserungen  dieser 
Art,  z.  B.  S.  41  in  der  Vergleichung  des  heidnischen  und 
christlichen  Lebens: 

,.Irdisch  glücklich  war  des  Heiden  Leben 
In  des  Sinnenwahnes  kurzer  Zeit; 
Himmlisches  ist  schon  dem  Christ  gegeben, 
Vorgefühl  der  ewgen  Seligkeit.1* 

S.  94: 

„Christus,  du  nur  kannst  die  Willen  lenken, 
Du  nur  kannst  die  Herzen  so  entzünden, 
Dass,  sich  selbst  vergessend,  sie  sich  senken 
Ganz  in  Liebe,  die  nicht  zu  ergründen." 

Seinem  sechsjährigen  erstgebornen  Sohne  ruft  er  zu: 

„In  dem  Herzen  trage  du  den  Himmel, 
Kindlich  folg  dem  göttlichen  Gebot 
In  der  Einsamkeit,  im  Weltgewimmel, 
Und  dich  findet  ruhig  einst  der  Tod." 

Auch  tröstet  ihn  selbst  die  deutsche  ländliche  Natur.  Das 
Gedicht  „das  Bad  Brückenau"  fängt  an: 

„Ruhe  ist  dem  Menschen  hier  beschieden, 
Wie  von  Berg  und  Thal,  von  Hain  und  Flur, 
Dringt  ins  Herz  von  Erd'  und  Himmel  Frieden, 
Friedenskuss  ertheilet  hier  Natur." 

Aigen,  ein  Besitzthum  des  Fürsten  Ernst  von  Schwarzen- 
berg,  hat  ihm  wenigstens  früher,  das  Gedicht  ist  vom  12.  Juuiua 
1817,  so  gefallen,  dass  er  anhebt: 

Archiv  f    n    Sprachen.     XXVIII.  15 


226  Ueber  die  Gedichte 

„Einzig  bist  du,  holdes  Aigen, 
Nirgends  hast  du  deinesgleichen 
In  der  unermessnen  Welt. 
Ferne  zog  ich  über  Meere, 
Sah  das  Herrliche  und  Hehre, 
Was  man  für  das  Schönste  hält." 

So  scheint  er  denn  endlich  den  Trübsinn  überwunden  zu 
haben.  In  dem  Gedichte  „Jugend"  IV,  62  preisst  er  den  fröh- 
lichen Sinn  im  Allgemeinen: 

..Wem  ein  fröhlicher  Sinn  ist  beschieden,  das  Beste,  der  spüret 
Nicht  der  Jahre  Gewicht,  bleibt  auch  im  Alter  noch  jung." 

Aber  in  dem  Gedichte  „Heiterer  Sinn"  IV,  256,  spricht  er 
von  sich  selbst: 

„Danke  dir,  Gott,  für  den  heiteren  Sinn, 
Welchen  du  mir  liebend  gewähret." 

Und  IV,  96  antwortet  er  auf  die  Frage:  „Was  wird  kommen?" 

„Alles  Drückende  vergiss! 
Fragest  du,  was  wird  da  kommen, 
Freudiges,  das  ist  gewiss." 

Freilich  tönt  es  IV,  156  wieder  anders: 

„Bin  ich  heiter  gleich  im  Leben, 
Schein'  ich  fröhlich  ihm  gesellt, 
Ist  die  Wehmut  doch  gegeben 
Meines  Wesens  innrer  Welt." 

Dennoch  hat  er  III,  44  ein  ziemlich  munteres  Trinklied 
gedichtet,  wenngleich  der  Ernst  den  Vorrang  behält.  Wie 
alles  Grosse  und  Edle,  begeistern  ihn  auch  alle  grossen  und 
edlen  Menschen.  Er  ruft  dem  Erzherzog  Karl  zu  am  30. 
Jahrestage  der  Schlacht  von  Aspern,  IV,  17: 

„Mögen  die  Jahrhunderte  verwehen, 

Karl,  dein  Ruhm  wird  unversehrt  bestehen  — " 

und  dem  Bischof  von  Regensburg,  Sailer,  IV,  225 : 

„Gleich  dem  Jünger,  den  geliebt  vor  allen 
Hat  der  Herr,  dess  Leben  Liebe  bloss, 
War  von  ihr  erfüllt  dein  Erden  wallen, 
In  der  heiigen  ewgen  Liebe  gross." 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  227 

Die  Freundschaft  hält  er  mit  Recht  für  ein  hohes  Gut. 
Er  hat  sie  gegen  Hompesch  und  Stadion  und  gegen  Körner 
empfunden.     Mit  Bezug  auf  den  letztern  sagt  er  1,  197: 

„Zwei  von  Harmonie  umfangne  Seelen, 
Wie  die  Töne  liebend  sich  vermählen 
Gleichgestimmter  Harfen,  hehr  und  rein, 
Hätten  unsre  Seelen  sich  verbunden, 
Zu  dem  Höchsten  mutig  sich  entwunden 
In  des  heiligsten  Gefühls  Verein." 

Er  gibt  der  Freundschaft  fast  den  Vorzug  vor  der  Liebe, 
I,  126: 

„Liebe  und  Schönheit  sind  Blüten,  sie  sind  gleich  diesen  vergänglich, 
Eine  Säule  jedoch  trotzet  die  Freundschaft  der  Zeit." 

Am  wenigsten  fehlt  es  dennoch  an  Liebesgedichten.  Er 
kennzeichnet  die  Liebe  in  dem  Sonett  IV,  212,  welches  schliesst: 

„Es  wird  durch  sie  der  Augenblick  verkläret, 
Zugleich  des  Herzens  Kühe  doch  verzehret, 
Und  doch  nicht  glücklich,  welcher  sie  entbehret." 

In  vier  Chören  III,  52  —  59  warnt  er  vor  ihr: 

„Glücklich  Der,  der  die  Liebe  nicht  kannte, 
Dessen  Herz  für  kein  andres  entbrannte!" 

Begeistert  aber  singt  er  von  ihr.  Dahin  gehören  „die 
Andalusierin-  IV,  268,  „Des  Liebenden  Gefühl"  und  „Vor 
ihrem  Bildniss,"  und  wie  viele  andre!  Aber  wie  verklärt  sich 
in  ihm  die  Liebe!  IV,  103  beginnt  er:  „Ich  konnte  nicht  mehr 
lieben,  Seitdem  war  immer  grau  Der  Himmel  mir  geblieben, 
Verdeckt  sein  hehres  Blau."  Weiterhin  fährt  er  fort:  „Tch 
kann  jetzt  wieder  lieben,  Und  Alles  ist  mir  licht."  Und  das 
Gedicht  schliesst: 

„Vom  Sinnenreiz  befreiet, 
Entkörpert  bin  ich  nun, 
Dem  Edlen  nur  geweihet 
Und  die  Begierden  ruhn. 

Die  Welt  möcht'  ich  umfassen, 
Sie  drücken  an  mein  Herz. 
Möcht  Lieb'  mich  nie  verlassen! 
Genuss  ist  selbst  ihr  Schmerz." 

15* 


228  Ueber  die  Gedichte 

Aber  trotz  seiner  manniehfaltigen  Liebesneigungen  kehrt  er 
immer  zu  seiner  Frau  zurück.     IV,  3  sagt  er: 

„Ist  mein  Herz  auch  leicht  empfänglich, 
Bestes  Weib,  wirst  du  von  Allen 
Mir  am  meisten  doch  gefallen, 
Ewig  bin  ich  dir  anhänglich." 

Sie  ist  ihm  die  herrlichste  aller  Frauen,  die  ewig  klare, 
milde,  sie  allein  versteht  ihn,  verkennt  ihn  nicht.  Die  Gedichte 
an  sie,  und  sie  betreffend,  sind  zahlreich  und  gehören  zu  den 
schönsten  der  Sammlung,  so  dass  ich  wenigstens  einige  der- 
selben mittheile. 

Meiner  noch  keine  zwei  Tage  alten  Tochter  Mathilde. 

(1,  110). 

„Der  gleiche  immer,  welche  dich  geboren! 

Das  ist  der  höchste  Wunsch  zu  deinem  Glück, 

Zum  Schmuck  der  Menschheit  bist  du  dann  geboren, 

Die  Mutter  einstens  gib  in  dir  zurück. 

Das  Schönste  dann  vereinigst  du,  Mathilde: 

Mit  zarter  Weiblichkeit  der  Anmut  Milde; 

Beglücken  wirst  du,  welche  dich  umgeben, 

Und  Seligkeit  wird  deines  Gatten  Leben." 

Sonett  an  meine  Frau.     (I,  101.) 

„Wie  Engel  sanft  von  ewig  gleicher  Güte 
Und  Milde,  ruhig  wie  des  Himmels  Bläue, 
So  ist  dein  Wesen,  lauter  Lieb'  und  Treue, 
Ein  Bild  der,  Tugend  und  der  Anmut  Blüte. 

Es  kennet  nicht  dein  Herz  die  tiefe  Reue, 
Das  für  das  Edle  einzig  glüht'  und   glühte; 
Die  Kindlichkeit  in  deiner  Seele  hüte, 
Jedwelcher  Tag  erneute  Wonne  streue. 

Gleich  eines  klaren  Baches  sanftem  Fliessen, 
Der  frühlingslieblich,  reizend  schön  umwunden, 
Sich  froh  bewegt  durch  blumenreiche  Wiesen: 

So  ist  die  heitre  Folge  deiner  Stunden, 
Die  sich  in  Seelenfrieden  mild  ergiessen. 
Durch  dein  Gefühl  dem  Himmel  schon  verbunden." 

An  meine  Frau  im  Jahre  1828.     (II,  164.) 

„Du  verkennest  mich  nicht,  obgleich  mich  die  Menge  verkennet, 
Unerreichbares  Weib,  trefflichstes,  welches  gelebt! 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  2l'9 

Und  so  trage  ich  leicht  das  .Schicksal,  das  mich  getroffen; 

Scheint  uns  die  Sonne,  dann  wird  anderes  Licht  nicht  vermisst. 
Nicht  die  Zahl  der  Stimmen  bestimmet  den  Werth,  nur  die  Güte; 

Da  du,  Beste,  für  mich,  schmerzen  Verläumdungen  nicht. 
Herrlich  in  leuchtendem  Glänze  erregest  du  stete  Bewundrung. 

Hätt'  ich  nicht  Andre  geliebt,  liebte  ich  dich  nicht  so  sehr, 
Würde  nicht  kennen  die  Fülle  der  Schönheit  des  edelsten  Herzens, 

Ideal  bist  du  immerfort  deines  Geschlechts. 
Du  Seelvolle,  du  zwingst  die  Seele,  dich  hehr  zu  verehren, 

Und  mein  Wesen,  es  ist  innigst  mit  deinem  verwebt. 
Wird  der  Wipfel  der  Eiche  vom  Wind  auch  zuweilen  beweget, 

Wurzelt  sie  dennoch  fest,  ewig  die  Liebe  für  dich." 

Die  Zeile:  „Hätt'  ich  nicht  Andre  geliebt,  liebte  ich  dich 
nicht  so  sehr,"  würde  in  den  Zeiten  der  Liebeshöfe  einen  treff- 
lichen Gegenstand  der  Erörterung  gegeben  haben.  Noch  zärt- 
licher, aber  auch  noch  aufrichtiger  und  unbefangener  lässt  er 
sich  III,  265  in  dem  Gedichte  aus:  „Meiner  Frau  am  Tage 
unserer  silbernen  Hochzeit  in  München:" 

„Lieb'  dich  mehr,  als  ich  dich  damals  liebte, 
Reizender  erscheinest  du  mir  heut; 
Ob  ich  gleich  dich  öfters  selbst  betrübte, 
Hätt'  ich  Keine  lieber  doch  gefreit." 

Zu  erwähnen  sind  auch  noch  die  Gedichte  an  seine  Kinder, 
z.  B.  das  innige  IV,  329:  „An  meinen  Sohn  Adalbert  am  Tage 
seiner  Volljährigkeit." 

„Herzenssöhnehen  bist  du  mir  gewesen,  ein  lieblicher  Kleiner. 

Aber  ein  Herzenssohn  bleibst  du  mir,  Herzlicher,  stets. 
Bleibe  du  gut  und  rein,  die  Unbefangenheit  immer; 

Kindlichkeit  ziert  und  beglückt  freudig  das  Alter  auch  noch. 
Heiteren  Sinn  hat  dir  der  Himmel  gegeben;  es  schwebet 

Durch  das  Leben  vergnügt,  welcher  getragen  von  ihm. 
Offen  liegt  es  vor  dir  in  rosig  verklärendem  Schimmer, 

Blühend  lacht  die  Natur,  alles  ist  glänzend  und  licht. 
Aber  aus  lockenden  Blüten  entwickeln  sich  bittere  Früchte 

Oftmals;  möchten  doch  nie  solche  dir  werden  zu  Theil! 
Wahres  Glück  besteht  nicht  ohne  den  Frieden  der  Seele, 

Wenn  das  Gewissen  dir  rein,  hast  du  das  Kleinod  der  Welt." 

Ernster  ist  das: 

An  meinen   Sohn  Otto.     (IV,  325.) 

„Frühe  bereits  hast  du  sie  gefühlt,  die  Schwere  der  Krone, 
Liebe  für  den  Beruf,  für  dein  hellenisches  Volk, 


230  Ueber  die  Gedichte 

Lies?  sie  dir  freudig  ertragen,  die  Pflicht  zum  Genüsse  verwandelnd 

Was  erdrückend  erscheint,  machet  dieselbe  uns  leicht; 
Sie  befreit  uns  der  Bürde,  sie  schwinget  die  strebende  Seele, 

Was  wir  empfanden  als  Pein  Avird  durch  die  Liebe  zur  Lust; 
Was  ihre  Stralen  berühren,  es  glänzet  erhebend  und  heiter, 

Das  Alltägliche  wird  uns  durch  die  Liebe  verklärt. 
Deine  Jugend,  du  opfertest  sie  für  Hellas,  ihr  lebend. 

Ist  das  Bewrusstsein  Lohn,  wird  durch  den  Dank  er  vermehrt. 
Dank  ward  dir  von  dem  Volk,  ob  Lndank  Ein'ge  auch  zeigen, 

Und  es  läutert  und  reift  stets  die  ausbildende  Zeit. 
Rastlos  vergehet  dieselbe,  Jahre  um  Jahre  entweichen; 

Meere  trennen  uns;  fern  bist  du  doch  ewig  mir  nah." 

In  dem  Bilde  Ludwigs  fehlt  uns  nun  noch  ein  vorher  nur 
kurz  berührter  Zug,  seine  religiöse  Denkungsart.  Er  ist  Ka- 
tholik, aber  seine  Gedichte  sind  frei  von  allem  Parteiengeist 
und  Fanatismus,  und  man  merkt  nicht  einmal,  zu  welcher 
Kirche  er  sich  bekennt,  wenn  er  sagt  IV,  186: 

..Willst  du  den  Katholicismus  sehn  und  den  Reformatismus, 
Sieh  Sanct  Peter  in  Rom,  sieh  dann  in  London  Sanct  Paul." 

Ein  ..ins  Kloster    wallendes  Mädchen"  warnt   er    IV,    185: 

..Prüfe  aber  genau,  ob  du  vom  Berufe  durchdrungen; 

Frieden  findet  daselbst  nur,  die  es  sehnet  danach,  — 
Nur  die  findet  den  Himmel,  sich  frei,  in  den  sperrenden  Mauern, 

Hölle  das  Kloster  dir  sonst,  ohne  Erlösung  daraus." 

IV,  207  heisst  es:  „Frieden  gibt  nur  Gottes  Sohn,"  und 
IV,  216: 

..Betend  musst  du  dich  erheben 
Aus  dem  Irdschen,  aus  der  Zeit; 
Im  Gebete  bloss  ist  Leben, 
Da  bereits  die  Seligkeit." 

Und  IV,  259: 

„O  glücklich,  die  glauben,  hoffen,  lieben, 

Wenn  es  das  Denken,  Handeln  hat  durchdrungen ; 

Im  Buch  des  Lebens  stehen  sie  geschrieben." 

Maria  und  die  Heiligen  werden  meines  Wissens  nicht  ein- 
mal  genannt,  viel  weniger  eigens  besungen. 

IVherblicken  wir  nun  die  Schilderung,  welche  ich  von  der 
Gemütsverfassung  König  Ludwigs,  seinen  Gedichten  gemäss, 
entworfen  habe,  60  scheint  sich  zu  ergeben,  dass  er  trotz  seiner 


Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern.  231 

Unbeständigkeit  in  der  Liebe  bei  der  reuigen  Anerkennung 
seiner  Schwäche  ein  sittlicher  und  religiöser,  sowie  ein  für 
alles  Edle  und  Hohe,  für  Freundschaft,  Kunst  und  Wissen- 
schaft, Vaterland  und  Freiheit  begeisterter,  ein  ernster,  und  zwar 
durchaus  subjektiver,  sentimentaler,  sich  selbst  darstellender, 
zuerst  fast  schwermütiger,  aber  allmälig  zur  Fassung  und  Heiter- 
keit durchgedrungener  Dichter  sei.  Er  ist  jetzt  ein  Greis.  Er 
hat  t-eine  geliebte  Gemahlin  durch  den  Tod  verloren;  er  hat 
manche  seiner  grossartigen  Absichten  und  Entwürfe  nicht  aus- 
führen können ,  z.B.  den  in  der  Elegie  auf  Girgenti  bezeich- 
neten, II,  46: 

., empor  aus  der  Fläche 
Eine  Höhe  zum  Schutz  wider  erkältenden  Wind 

Künstlich  zu  bilden,  verbessernd  Münchens  ungünstige  Lage, 
Festzuhalten  des  Lichts  alles  belebenden  Stral, 

Wie  zum  Nutzen,  zur  Schönheit  der  kaltunfreundlichen  Gegend, 
Die  nicht  von  der  Natur  mütterlich  wurde  bedacht.  — " 

aber  er  hat  doch  viele  andre  verwirklicht,  wrelche  Bayern  und 
ganz  Deutschland  zur  Ehre  und  Zierde  gereichen;  München 
ist  durch  ihn  eine  Stadt  der  Kunst  geworden.  Diese  Er- 
innerungen müssen  sein  Alter  erheitern.  Find  endlich  —  einer 
seiner  Hauptwünsche  ist  erfüllt,  er  ist  vom  Thron  hinunter- 
gestiegen, er  lebt  nun  in  behaglicher  Ruhe,  im  dolee  far  niente, 
wiewohl  er  noch  immer  ein  Beschützer  der  Künste ,  besonders 
der  Baukunst  ist.  Seine  Vorliebe  für  Italien  befriedigt  er  noch 
jährlich  durch  Reisen  in  diess  gelobte  Land  der  Kunst,  und 
erfrischt  sich  dadurch  aufs  Neue  für  den  Aufenthalt  in  dem 
Norden.  Er  ist  den  Musen  als  Dichter  wahrscheinlich  noch 
nicht  untreu  geworden ,  und  wenn  er  einen  fünften  Band  von 
Gedichten  herausgäbe,  so  würde  er  auch  weniger  zu  besorgen 
haben,  was  er  III,  88  sagt: 

„Dass  dich  nicht  täusche  das  reichliche  Lob;  denn,  was  du  gedichtet, 
Ungepriesen  blieb's,  sässest  du  nicht  auf  dem  Thron." 

Zu  wünschen  wäre  es,  dass  einige  unparteiische  Kunst- 
kenner eine  Auswahl  aus  der  übergrossen  Zahl  von  Gedichten 
träfen,  und  dass  sie,  oder  auch  er  selbst,  diese  besseren  noch 
vorher  verbesserte. 


232         lieber  die  Gedichte  Ludwigs  des  ersten,  Königs  von  Bayern. 

Ich  schliesse  mit  dem  milden  Urtheile  des  Brockhausenschen 
Conversationslexikons  (9.  Aufl.,  Bd.  8,  S.  147).  „Seine  Ge- 
dichte geben,  wenn  auch  oft  gegen  die  Form  verstossend,  ein 
schönes  Zeugniss  seines  Gemüts." 

Berlin.  K.   L.   Kannegiesser. 


Die 

Tiecksche   Uebersetzung  des    Coriolan 

und  ihre  Bearbeitung  durch  T.  Mommsen. 


Es  dürfte  von  einigem  Interesse  sein,  durch  flüchtige  Auf- 
zählung einzelner  Beispiele  zu  zeigen,  in  welcher  Gestalt 
Shakespeare  noch  heute  dem  deutschen  Publicum  vorgeführt 
wird,  und  was  man  für  tiefsinnige  Schönheiten  dieses  Dichters 
hält.  Ich  sage  absichtlich  „durch  flüchtige  Aufzählung,"  denn 
ein  gründliches  Durcharbeiten  hiesse  —  wenn  jede  Stelle  erklärt 
und  das  Fehlerhafte  in  der  Uebersetzung  nachgewiesen  werden 
sollte,  —  ein  Werk  herausgeben,  das  an  äusserer  Ausdehnung 
einen  Wettkampf  mit  der'Gesammtproduction  Shakespeares  nicht 
zu  scheuen  brauchte.  —  Ausserdem  wird  es  am  Platze  sein, 
nur  von  der  Uebersetzung  zu  sprechen,  welche  allgemein  für 
die  beste  gehalten  wird,  und  sich  der  grossesten  Verbreitung 
in  Deutschland  erfreut,  ich  meine  die  unter  dem  Namen  der 
Schlegel  -  Tieckschen  bekannte  Ausgabe.  (An  dieser  Steile  sei 
zugleich  bemerkt,  dass  Tieck  selbst,  seiner  eignen  Erklärung 
nach,  das  Wenigste  daran  gethan  hat ;  die  unter  seinem  Namen 
erschienenen  Stücke  sind  theils  von  seiner  Tochter  Dorothea, 
theils  vom  Grafen  WolfF  von  Baudissin  übersetzt.) 

Was  nun  Schlegel  betrifft,  so  sind  seine  Verdienste  um  die 
Uebersetzung  Shakespeares  so  imposant,  dass  es  undankbar  wäre, 
anders  als  leise  nur  und  tactvoll  die  Stellen  zu  bezeichnen ,  an 
denen  er  vielleicht  geirrt ;  um  so  mehr ,  als  fast  überall ,  wo  er 
den  Gedanken  des  Dichters  nicht  erschöpfend  wiedergiebt,  eine 
Unklarheit  des  Textes    die  Schuld  trägt,    und  das,    was    er  an 


'j;S4  Die  Tiecksche  lieber  Setzung  des  Coriolan 

die  Stelle  treten  lässt,  jedenfalls  eine  Schönheit,  wenn  gleich 
keine  Shakespearesche  ist.  Schon  das  ungemeine  Geschick,  mit 
dem  er  unklare  Stellen  so  übersetzt,  dass  er  wenigstens  nichts 
Fremdes  hineinlegt,  und  dem  deutschen  Leser  denselben  freien 
Raum  für  Combination  lässt,  wie  solcher  dem  englischen  Leser 
im  Originale  gelassen  ist,  schon  dieses  Geschick,  sage  ich,  ist 
so  bewundernswürdig,  dass  eine  grosse  Dosis  von  Pygmäen- 
Hochmuth  dazu  gehört,  um  solcher  Leistung  als  strenger  Kritiker 
und  Tadler  gegenüber  zu  treten.  Wo  wir  jedoch  bei  Schlegel 
einen  directen  Fehler  finden ,  da  wird  Pietät  sowohl  wie  Ge- 
rechtigkeit gut  thun,  auf  nichts  Anderes  als  auf  einen  lapsus 
calami  zu  schliessen;  und  glücklich  Der,  dem  bei  einer  solchen 
Fülle  von  Vorzüglichem  so  wenige  Fehler  zum  Vorwurf  ge- 
macht werden  können. 

Von    den    Fehlern    der    Firma    Tieck  &   Co.    zu    sprechen 
unterlasse  ich,    des  Satzes  mich  erinnernd:   „de  mortuis  nil  nisi 
bene,"  und  gedenke  daher  lieber  der  Vorzüge,  welche  derselben 
beim  schwierigen  Uebersetzen  Shakespearescher  Lustspiele  nicht 
abgeleugnet  werden  können.   Wenn  ich  aber  Schlegel  nur  loben 
kann    und  Tieck    nicht    tadeln    will,    wen    soll   dann    der  Tadel 
treffen,    den   der  geneigte  Leser  jedenfalls  als  Grundton   dieser 
Einleitung    durchfühlt?     Denjenigen,    der   die   neueste  Ausgabe 
der  Schlegel -Tieckschen   Uebersetzung   durchgesehen  hat,    und 
in  dem  Nachworte  zu  derselben  unter  Anderm    Folgendes  sagt : 
..Bei  der  Durchsicht  der  Schlegel -Tieckschen  Ueber- 
setzung habe    ich   die    von  Schlegel   selbst    bearbeiteten 
Stücke,  als  anerkannte  Meisterwerke,   fast  ganz  unver- 
ändert gelassen  ....  die    von  Tieck    und  seinen  Mit- 
arbeitern hinzugefügten  Uebersetzungen   enthalten  trotz 
vielem  Vortrefflichen  und  Geschmackvollen  auch  manches 
Unschöne  und  Undeutliche.  Ich  habe  daher  einen  Theil 
dieser  Stücke,  namentlich  Coriolan,    Wintermähr- 
chen,     Antonius     und    Cleopatra,     Maass     für 
Mass,  Timon  von  Athen,  König  Lear,  an  man- 
chen Stellen  verändert  und  endlich  den  Macbeth  ganz 
neu  übersetzt,  obwohl  ich  nachher  wieder  im  Einzelnen 
meine    Uebersetzung    für   das    schon   besser   von  einem 
meiner  Vorgänger  Getroffene  aufgegeben  habe  ....'• 


und  ihre  Bearbeitung  durch  T.  Mommsen.  235 

Herr  Tycho  Mommsen  also,  der  dieses  Nachwort  unter- 
schrieben hat ,  wircT  für  alle  Begehungs  -  wie  Unterlassungs- 
sünden der  Uebersetzer  einzustehen  haben,  da  er  die  von  ihnen 
hinterlassene  Erbschaft  angetreten  hat. 

Ich  wähle  zur  bevorstehenden  Untersuchung  das  erste  der 
von  Herrn  Mommsen,  nach  seiner  eignen  Erklärung,  veränderten 
Stücke,  nämlich  den  Coriolan.  —  Wenn  ich  vorher  aber  zwei 
Stellen  aus  anderen  Stücken  beleuchte,  so  geschieht  es,  um  nach- 
zuweisen, dass  bei  der  letzten  Revision  der  Schlegel -Tieckschen 
Uebersetzung  selbst  das  damals  gedruckt  vorliegende  Material 
nicht  benutzt  Avorden  ist.  Beide  Stellen  waren  schon  im  Jahre 
1853  von  mir  als  falsch  bezeichnet  und  geändert  worden,  und 
wenn  ich  auch  vielfache  Veranlassung  gefunden  habe,  das  von 
mir  damals  herausgegebene  Buch  als  im  höchsten  Grade  unge- 
nügend und  fehlerreich  zu  verwerfen,  so  gehören  diese  beiden 
Stellen  doch  gerade  zu  dem  Wenigen,  was  in  dem  Buche  viel- 
leicht zu  loben  sein  dürfte. 

König  Pleinrich  VI.     II.  Theil.     IV.  Aufz.  1.  Scene. 

Suffolk. 
Sieh  mein  Georgenkreuz,  ich  bin  von  Adel: 
Schätz  mich  so  hoch  du  willst,  du  wirst  bezahlt. 

W  i  1 1  m  e  r. 
Das  werd'  ich  schon,  mein  Narn'  ist  Seyfart  Wittmer. 

Die  Nennung  seines  Namens  nach  den  Worten  „das  werd' 
ich  schon,"  könnte  nur  den  einen  Sinn  haben,  dass  Herr  Seyfart 
Wittmer  seiner  Zeit  als  ein  Mann  bekannt  war,  der  in  Geldan- 
gelegenheiten nicht  mit  sich  scherzen  Hess ,  und  diese  Deutung 
hier  nur  voraussetzen,  wäre,  gelinde  gesagt,  Unsinn.  Das  Ori- 
ginal giebt  uns  aber  dafür  den  besten,  klarsten  Sinn  in  den 
Worten : 

Suffolk. 
Look  on  my  George:  I  am  a  Gentleman. 
Rate  nie  at  what  thou  wilt,  thou  shalt  be  paid. 

W  h  i  t  m  o  r  e. 
And  so  am  I;  my  name  is  Walter  Whitmore. 

„And  so  am  I,"  zu  Deutsch  „Das    bin  auch    ich,"  i^t  die 


•_'3ti  Die  Tieck seile  Uebei  Setzung  de 6  Coriolan 

Antwort  auf  Suffolks  ,.I  am  a  Gentleman",  und  da  hat  denn  auch 
die  Nennung  des  Namens  einen  Sinn.  — 

Das  Win termährchen.    I.   Aufz.   1.  Scene. 

Leontes,  in  dem  die  Eifersucht  schon  arbeitet,  spricht  zu 
seinem  Kinde : 

„Most  dear'st!  my  collop!  —  Can  thy  dam  ?  —  may't  be?  — 
Affection!  thy  intention  Stabs  the  centre: 
Thou  dost  make  possible  things  not  so  held, 
Communieat'st  with  dreams;  —  (how  can  this  be?) — 
With  what's  unreal  thou  coactive  art, 
And  fellow'st  nothing:  then  'tis  very  credent 
Thou  mayst  co-join  with  something ;  and  thou  dost,  — 
And  that  beyond  eommission ;  and  I  find  it,  — 
And  that  to  the  infection  of  my  brains 
And  hardening  of  my  brows." 

Mit  kurzen  Worten  heisst  Obiges  etwa,  sinnliche  Leiden- 
schaft sündige  in  der  Phantasie,  leicht  aber  auch  in  der  Wirk- 
lichkeit; Leontes  spricht  zuerst  zu  seinem  Kinde: 

..Mein  Herz!  mein  Schatz!  —  kann  Deine  Mutter?  —  kann 

sie  ?  — 
Dein  Streben,  Leidenschaft,  trifft  in  das  Inn're : 
Das  machst  Du  möglich,  was  unmöglich  schien. 
Verkehrst  mit  Träumen ;  —  (wie  nur  kann  dies  sein  ?)  — 
Bei  dem  Unwirklichen   bist  Du  geschäftig. 
Dem  Nichts  verbrüdert,   d'rum  ist's  leicht  zu  glauben 
Du  ein'st  Dich  mit  dem  Etwas,  und  Du  thust's,  — 
Und  das  jenseit  des  Rechtes,  und  ich  find'  es,  — 
Und  das  bis  zur  Vergiftung  meines  Hirns 
Und  meiner  Stirn  Verhäi'tung.'' 

Das  ist,  mit  möglichster  Benutzung  der  Tieckschen  Ueber- 
setzung,  eine  ziemlich  treue,  und  jedenfalls  richtige  Wiedergabe 
des  Originals,  wobei  höchstens  zu  erwähnen  sein  dürfte,  dass 
die  in  Parenthese  stehenden  Worte  nicht  mit  dem  Uebrigen, 
sondern  mit  den  "Worten  ..kann  Deine  Mutter"  in  Verbindung 
zu  bringen  sind.  —  Sehen  wir  nun,  was  uns  die  Tiecksche 
Uebersetzung  bietet;  die  zweite  Zeile  lautet  daselbst: 

..Affect!   Dein  Ahnen  bohrt  zum  Mittelpunkt;" 
und   es   bleibt  wohl  am  Besten  jedem  Leser  überlassen,  so  viel 


und  ihrp  Bearbeitung  durch  T.  Moramsen.  237 

oder  so  wenig  Sinn  aus  dieser  Zeile  herauszulesen,  wie  es  ihm 
eben  möglich  sein  mag.     Die  fünfte  Zeile  heisst    im  Originale: 

..With  what'ß  unreal  thou  coactive  art," 
oder,  einfach  construirt: 

„thou  (nämlich  thou  affection)  art  coactive  with   what  is  unreal" 
zu  deutsch: 

„Du  (Leidenschaft)  bist  mitwirkend  mit  dem,  was  unwirklich  ist." 

Zum  Unglück  aber  heisst  „thou  art"  nicht  allein  „du  bist," 
sondern  auch  „du  Kunst";  ferner  schien  es  dem  Uebersetzer 
passend,  „coactive"  mit  „einbildungsfähig"  zu  übertragen,  und 
so  lesen  wir  in  der  Tieckschen  Uebersetzung  für  „thou  art 
coactive"  die  Worte:  „Du  einbildungsfähige  Kunst!" 

Ebenso  tritt  in  der  drittletzten  Zeile  an  die  Stelle  von  „com- 
mission"  das  Wort  „Wahn,"  so  dass  es  sich  nicht  leugnen 
lässt,  dass  in  diesen  wenigen  Zeilen  viel  Kunst,  Einbildungs- 
fähigkeit und  Wahn  zu  Tage  kommt. 

Untersuchen  wir  endlich,  was  Herr  Mommsen  für  diese 
Stelle  gethan  hat;  die  zweite  Zeile  lautet: 

„O  Leidenschaft!  Dein  blosses  Wolln  kann  tödten," 
das  ist  nun  zwar  nicht  der  Sinn  des  Originals,  aber  doch  ver- 
ständlicher als  die  Tiecksche  Uebersetzung,  und  jedenfalls  besser 
als  die  folgenden  Aenderungen,  denn  wenn  Herr  Mommsen  „thou 
coactive  art"  mit  „du  zwingende  Kunst,"  und  „commission"  mit 
„Ehbruch"  übersetzt,  so  lässt  sich  noch  immer  darüber  streiten, 
ob  bei  diesem  Wettkampfe  der  Tieckschen  oder  der  Mommseu- 
schen   Uebersetzung  die  Siegespalme  gereicht   werden  solle. 

Gehen  wir,  nach  diesen  Präliminarien ,  zum  Coriolan  über. 
Ich  werde,  der  Kürze  wegen,  die  betreffenden  Stellen  im  Ori- 
ginale, und  dann  mit  der  Bezeichnung  T.  M.  und  L.  die  Tieck- 
sche, Mommsensche  und  meine  eigne  Uebersetzung  geben ;  wo 
die  Mommsensche  fehlt,  da  ist  in  der  revidirten  Ausgabe  der 
Fehler  der  Tieckschen  Uebersetzung  nicht  geändert. 

Coriolan  I.  1. 

1.  C  itizen. 

the  leanness  that  afflicts   us,  the   object   of  our  misery, 

is  as  an  inventory  to  particularize  their  abundance  .  .  . 


238  Die  Ti  eck  sehe  V  cberse  tzung  des  Coriolan 

T.      Der  Hunger,    der    uns    ausmergelt,    der  Anblick   unsers 
Elends  ist  gleichsam  ein  Verzeichniss  etc. 

M.     Der  Hunger,    der  uns  ausmergelt,  die  Verworfenheit 
unsers  Elends  .... 

L.      Der  Hunger,  der  uns  ausmergelt,  der  Gegenstand  unsres 
Elends  .... 

I.  l. 

Marcius. 

it  will  in  time 
Win  upon  power,  and  throw  forth  greater  themes 
For  insurr ection's  arguing. 

T.  .  .  .  .  .  Nächstens  nun 

Gewinnen  sie  noch  mehr,  und  fordern  Grössres 
Mit  Androhn  der  Empörung. 

M.  .  .  .  .  thun  grössre  Fragen 

Für  ihren  Meutrerscharf sinn. 

L.  .  .  .  .  .        bald  wird's  nun  wachsen 

An  Macht,  und,  um  Empörung  zu  vertheid'gen, 
"Wohl  wicht 'gern  Streitpunkt  finden. 

1.  1. 

Brutus. 

he  is  grown 
Too  proud  to  be  so  valiant. 

T.  .  .  .  .  .  .er  ward  zu  stolz, 

So  tapfer  wie  er  ist. 
L.  .  .  .  .  .  .er  ward  zu  stolz 

Auf  seine  Tapferkeit. 

I.  5. 
Titus. 

Prosperity  be  thy  page! 

T 

Dein  Knappe  sei  Glückseligkeit! 

L 

Dein  Knappe  sei  Erfolg! 

I.  G. 

Die  betreffende  Stelle  lautet   in   der  Folio- Ausgabe  folgen- 

dermassen : 

Marcius. 
Tf  any  thinke,  braue  death  out  -  weighes  bad  life, 


und  ihre  Bearbeitung  durch  T.  Mommsen.  239 

And  that  bis  Countries  deerer  then  hioaselfe, 
Let  him  alone:  Or  so  many  so  minded, 
Waue  thus  to  expresse  his  disposition, 
And  follow  Martins. 

(They  all  shout  and  waue  their  swords,  take  him  vp  in  their 

Armes,  and  cast  vp  their  Caps.) 
Oh  me  alone,  make  you  a  sword  of  me: 

Neuere  Editoren  haben  nach  „Wave  thus"  in  Parenthese 
beigefügt  (waving  his  hand),  ohne  irgend  eine  begründete  Ver- 
anlassung hierzu  zu  haben;  der  Sinn  ist  ganz  deutlich  der,  dass 
Martius  Diejenigen,  die  ihm  folgen  wollen,  auffordert,  als  Zeichen 
das  Schwert  zu  schwingen,  dass  diese  in  der  Begeisterung  nicht 
allein  die  Schwerter,  sondern  Martius  selbst  auf  ihren  Schultern 
in  die  Luft  erheben,  und  dass  dieser  in  Folge  dessen  sagt: 
„macht  Ihr  ein  Schwert  aus  mir  (indem  Ihr  mich  in  die  Höhe 
hebt)?" 

T.  Der  schwing'  die  Hand,  um  mir  sein  Ja  zu  sagen, 
Und  folge  Marcius. 

(Alle  jauchzen  etc.) 
Wie?  Alle  Eins?  macht  ihr  ein  Schwert  aus  mir? 

M 

O  was,  lasst  seyn!  macht  Ihr  ein  Schwert  aus  mir? 

L.  Der  heb' das  Schwert  empor,  sein  Ja  zu  sagen, 

Wie?  mich  allein  ?  Macht  ihr  ein  Schwert  aus  mir? 

IL  1. 
Brutus. 
It  was  his  word :  0,  he  would  miss  it,  rather 
Than  carry  it,  but  by  the  suit  of  the  gentry  to  him 
And  the  desire  of  the  nobles. 

T.  So  war  sein  Wort.  Eh'  giebt  er's  auf,  als  dass 

Er's  nimmt,  wenn  nicht  der  Adel  ganz  allein 
Es  durchsetzt  mit  den  Vätern. 

L.  .  .  .  So  sagt  er:  Lieber  gab'  er's  auf, 

Als  dass  er  sich  bewürb',  war 's  nicht  auf  Bitten 
Des  Adels  und  der  Väter. 

IL  2. 
Cominius. 

his  sword  (death's  stamp) 
Where  it  did  mark,  it  took ;  t'rom  face  to  foot 


240  Die  Ti  eck  sehe  Ueb  er  Setzung  des  Coriolan 

He  was  a  thing  of  blood,    whose  every  motion 
Was  tim'd  with  dying  cries : 

T.  .  .  .  .  .    Sein  Schwert,  Todstempel, 

Schnitt,  wo  es  fiel,  von  Haupt  zu  Füssen  nieder. 
Vernichtung  war  er,  jeglicher  Bewegung 
Hallt  Sterberöcheln  nach. 

L.  .  .  .  .  .     Sein  Schwert,  Todstempel, 

Schnitt,  wo  es  fiel;  von  Kopf  zu   Füssen  war  er 
Verkörpert  Blut,  dess  jeglicher  Bewegung 
Ein  Sterberöcheln  folgt. 

IL  2. 
Cominius. 

.  he  covets  less 
Than  misery  itself  would  give ;  rewards 
His  deeds  with  doing  them;  and  is  content 
To  spend  the  time  to  end  it. 
T.    .  .  .  .  .  Ihm  ist  Lohn 

Für  Grossthat,  sie  zu  thun.    Zufrieden  ist  er 
Sein  Leben  so  zu  opfern  ohne  Zweck. 

L.   .  .  .  .      ..  .      Seine  T  baten 

Belohnt  er  durch  das  Thun,  und  ist  zufrieden 
Die  Zeit  zu  brauchen,  seine  Zeit  zu  enden. 

IL  2. 
Sicinius. 

He  will  require  them, 
As  i f  h e  d i d  contemn  t  h  a  t  he  r e q u e s t e d 
Should  be  in  them  to  give. 

T.  .  .  .  .  .  Er  wird  sie  ersuchen, 

Als  wie  zum  Hohn,  dass  er  von  ihnen  bittet, 
Was  sie  gewähren  müssen. 

L.   .  .  .  .  .  So  sie  bitten  wird   er, 

Als  wär's  verächtlich  ihm,  bei  ihnen  suchen 
Gewährung  dessen  was  er  wünscht.    . 

II.  3. 

Coriolanus. 

for  your  voiees  have 
Done  many  things,  some  less,  some  more: 

T.   .  .  .  .  .  .  für  eure  Stimmen 

Gethan   sehr  Vieles,  minder,  mehr. 

L.   .  .  .  .  .  .        für  eure  Stimmen 

Hier  mehr  gethan,  dort  weniger. 


und  ihre  Bearbeitung  durch  T.  Mommsen.  24  1 

III.   1. 
C  o  r  i  o  1  a  n  u  s. 
You  are  like  to  do  such  business. 


Brutus. 


Not  unlike, 


Each  way,  to  better  yours. 

T.  Solch  Thun  sieht  euch  schon  ähnlich. 

Nicht  unähnlich, 
Und  jedenfalls  doch  besser  als  das  eure. 

L.   .  .  .  .  .  .      Nicht  unähnlich, 

Das  eure  j  edenf  alls  doch  zu  verbessern. 

IV.  G. 

(In  der  Tieckschen  Uebersetzung  IV.  4.) 

Sicinius. 
His  remedies  are  tarne  i'  the  present  peace 
And  quietness  o'  the  people,  which  before 
Were  in  wild  hurry. 

T.  Was  ihn  gestärkt  ist  zahm;  der  Friede  jetzt 
Und  Ruh'  im  Volke,  welches  sonst  empört 
Und  wild. 

M.  .         .  .  .         ist  zahm,  da  Friede  jetzt 

Und  Ruh'  im  Volke  .... 

L.  .  .  .  .  ist  zahm  im  Frieden  jetzt 

Und  in  des  Volkes  Ruh',  das  .... 

V.  5. 

(In  der  Ausgabe  von  Dyce  V.  6.) 

Aufidius. 

There  was  it ;  — 
For  which  my  sinews  shall  be  strech'd  upon  him. 

T.  Dieses  ist  der  Punkt, 

Wo  meine  ganze  Kraft  ihm  widerstrebt. 

L.  Dieses  ist  der  Punkt, 

Wo  meine  Sehnen  fest  ihn  packen  werden. 

Wenn  ich  hiermit  das  Fehlerverzeichniss  der  Uebersetzung 
des  Coriolan  schliesse,  so  muss  ich  bemerken,  dass  ich  erstens 
nur  die  am  meisten  in's  Auge  springenden  Fehler  bezeichnet, 
und  zweitens  alle  die  Stellen  unberührt  gelassen  habe,  in  denen 
zwar,  meiner  Ansicht  nach,  die  Uebersetzung  dem  Original  nicht 
treu  bleibt,  in  welchen  dieses  selbst  aber  von  den  verschiedenen 

Archiv  f.  n    Sprachen.     XXVIII.  16 


242  Die  Tiecksche  Uebersetzung  des  Coriolan 

Shakespeare -Editoren,  theils  was  die  Form,  theils  was  den  Sinn 
betrifft',  verschiedenartig  wiedergegeben  und  gedeutet  wird;  so 
dass  sich  also  an  die  Frage  über  die  Richtigkeit  der  Ueber- 
setzung  doch  noch  ein  Streit  über  die  Form  und  Auffassung  des 
Originals  anknüpfen  Hesse.  Im  Vorliegenden  habe  ich  nur 
solche  Stellen  angeführt,  bei  denen  ein  Streit  überhaupt  nicht 
möglich,  der  Fehler  vielmehr  so  in  die  Augen  fallend  ist,  dass, 
wenn  man  sich  darüber  wundert,  wie  ein  Uebersetzer  ihn  be- 
gehen konnte,  man  noch  mehr  darüber  staunen  muss,  dass  der, 
welcher  die  Uebersetzung  auf's  Neue  redigirte,  ihn  nicht  ver- 
besserte. 

Zum  Schlüsse  dieser,  bereits  allzu  weitläufig  gewordnen 
Abhandlung  sei  es  mir  gestattet,  eine  Stelle  genauer  zu  unter- 
suchen, welche  zwar  im  Originale  fest  steht,  in  der  Uebersetzung 
aber,  wie  es  scheint,  verschiedenartig  gedeutet  werden  kann. 

Coriolan  sagt  in  der  I.  Scene  des  IV.  Aufzuges  zu  seiner 
Mutter : 

My  mother,  you  wot  well 
My  hazards  still  have  been  your  solace:  and 
Believe't  not  lightly  (though  I  go  alone, 
Like  to  a  lonely  dragon,  that  his  fen 
Makes   fear'd  and  talk'd  of  more  than  seen),  your  son 
Will  or  exceed  the  common,  or  be  caught 
With  cautelous  baits  and  practice. 

Die  Uebersetzung  giebt  dies  folgendermassen  wieder: 

Weisst  du,  Mutter, 
Mein  Wagniss  war  dein  Trost  ja  immer!  und, 
Das  glaube  fest,  geh'  ich  auch  jetzt  allein, 
So  wie  ein  Drache  einsam,  den  die  Höhle 
Gefürchtet  macht,  besprochen  mehr,  weil  nicht  gesehn, 
Dein  Sohn  ragt  über  dem  Gemeinen  stets, 
Wo  nicht,  fällt  er  durch  Tück'  und  niedre  List. 

Es  ist  vor  allen  Dingen  in's  Auge  zu  fassen,  dass  Coriolan 
in  dieser  Scene  hauptsächlich  die  Aufgabe  hat,  seine  Mutter 
wie  seine  Freunde  über  seine  Zukunft  zu  beruhigen;  er  sagt 
daher : 

„I  shall  be  lov'd  when  I  am  lack'd  ..." 

......         Cominius, 

Droop  not;  .  .  .  ." 

„I'U  do  well  yet " 


und  ihre  Bearbeitung  durch  T.  Mommsen.  ?4S 

Ebenso  soll  in  den  vorstehenden  Zeilen  eine  Beruhigung 
für  seine  Mutter  liegen.  Dass  er  sich  nicht  selbst  als  den  „ge- 
fürchteten Drachen"  bezeichnen  kann ,  geht  einestheils  aus  der 
Thatsache  hervor,  dass  die  Plebejer  eben  erst  einen  Sieg  über 
ihn  errungen  haben,  indem  sie  die  gefürchtete  Anwesenheit 
Coriolan's  abschüttelten ,  ihn  nun  also  gewiss  nicht  fürchten 
werden,  während  er  selbst  in  diesem  Augenblicke  auch  noch 
nicht  im  Geringsten  klar  über  seine  Pläne  ist,  an  irgend  eine 
Gefahr  also  nicht  denken  kann,  die  den  Römern  von  seiner 
Rache  etwa  drohen  sollte.  Anderntheils  sagt  er  ja  selbst  das 
Gegentheil  davon,  dass  er  gefürchtet  werde,  in  den  Worten: 
„1  shall  be  loVd  when  I  am  lack'd" 

Man  werde  ihn  lieben,  ihn  herbei  wünschen,  —  natürlich 
wenn  eine  Gefahr  von  aussen  her  droht  — ;  dass  er  selbst 
aber  den  Römern  solche  Gefahr  bereiten  werde,  das  fallt  ihm 
in  diesem  Augenblicke  noch  nicht  ein.  Dazu  muss  er  erst 
lange  (wenigstens  Tage  lang) ,  einsam  in  der  Fremde  umher- 
irren, um  in  der  Einsamkeit  das  Gift  der  Rachelust  so  in  sich 
eindringen,  so  sein  ganzes  Wesen  durchziehn  zu  lassen.  All' 
die  einsamen  Stunden,  Tage  und  Nächte  in  der  Fremde  konnten 
ihn  erst  dahin  bringen,  dem  Aufidius  seinen  Hals  oder  seinen 
Arm  anzubieten.  (Ich  unterstreiche  dies  „oder";  denn  selbst  in 
jenem  Augenblicke  denkt  er  erst  an  seinen  Tod  und  dann  erst 
an  die  Möglichkeit,  gegen  Rom  zu  kämpfen.)  Für  jetz#  denkt 
er  nur  daran,  seine  Mutter  zu  trösten,  und  das  thut  er,  indem 
er  sie  über  die  Schrecken  der  Verbannung  (denn  Verbannung 
war  dem  Römer  schlimmer  als  Tod)  beruhigt.  Er  will  ihr 
sagen,  es  sei  mit  der  Verbannung  gewiss  nicht  so  schlimm,  wie 
man  glaube ;  man  male  sie  sich  nur  so  entsetzlich  aus ,  weil 
man  sie  nicht  kenne;  spreche  um  so  mehr  und  um  so  Schlim- 
meres davon,  je  weniger  man  davon  gesehn  habe;  ebenso  gehe 
es  ja  den  Leuten  mit  der  Furcht  vor  irgend  einem  Drachen, 
der  einsam  irgendwo  in  düstrer  Höhle  liege,  und  den  die  Men- 
schen um  seiner  selbst  und  um  des  Grauens  vor  der  düstern 
Höhle  willen  fürchten,  und  voll  von  dieser  Furcht  von  ihm 
sprechen,  ohne  ihn  gesehen  zu  haben.  Der  Hintergedanken  in 
diesen  Worten  ist  bei  einer  Natur  wie  Coriolan's  natürlich  der : 
Hessen    sie    sich  von    ihrer  Furcht    nicht    abschrecken,    sondern 

16* 


244    Die  Tiecksche  Uebersetzung  des  Coriolan  und  ihre  Bearbeitung  etc. 

gingen    dem  Drachen  kühn  zu  Leibe,    so    würde   es    sich  bald 
zeigen,    dass   er   viel    weniger  furchtbar  sei,   als  man  geglaubt. 
Und  so  wie  er  dem  Drachen  muthig  entgegentreten  würde,    so 
wolle  er's  auch   mit  der  Verbannung  wagen,    und    seine  Mutter 
solle  ebenso  guten  Muthes  sein,  wie  er  selbst  es  ist. 
Desshalb  glaube  ich,  dass  die  Worte 
„Like  to  a  lonely  dragon" 
nicht  übersetzt  werden  dürfen 

„So  wie  ein  Drache  einsam" 
sondern  vielmehr 

„Wie  zu  'nem  Drachen  einsam," 
und   möchte    daher,    besonders    auch    einer   bessern    Form    der 
fünften  Zeile   wegen,   folgende  Uebersetzung  an   die  Stelle  der 
oben  angeführten  bringen: 

Weisst  du,  Mutter, 
Mein  Wagniss  war  dein  Trost  ja  immer!  und, 
Das  glaube  fest,  geh'  ich  auch  jetzt  allein, 
(Wie  zu  'nem  Drachen  in  der  Einsamkeit, 
Gefürchtet  durch  den  Ort  an  dem  er  weilt, 
Besproch'n  mehr  als  gesehn),  dein  Sohn  wird  ragen 
Stets  über  dem  Gemeinen,  oder  fallen 
Durch  Tück'  und  niedre  List. 

Sollten  vorstehende  Zeilen  Herrn  Mommsen  zu  Gesicht 
kommen,  so  wünsche  ich,  dass,  wenn  er  überhaupt  den  Beruf 
in  sich  fühlt,  für  die  Reinheit  einer  deutschen  Shakspeare-Ueber- 
setzung  zu  wirken,  sie  ihn  veranlassen  möchten,  bei  einer  neuen 
Revision  des  Schlegel  -  Tieckschen  Textes ,  auf  Entfernung  der 
vorhandenen  Fehler,  nicht  auf  ihre  Conservirung  und  Vermeh- 
rung hinzuarbeiten. 

Berlin.  F.  A.  Leo. 


Racines    Athalia. 


.Seit  Lessing  und  Schlegel  über  die  französische  Tragödie 
ihr  Anathema  gesprochen  hatten,  wurde  es  in  Deutschland  zur 
Gewohnheit,  mit  Missachtung  auf  dieselbe  zu  blicken.  Mir  aber 
wollte  die  unbedingte  Gerechtigkeit  dieses  Verdammungsurtheils 
nie  ganz  einleuchten,  indem  es  mir  schien,  als  wenn  viele  Vor- 
würfe, welche  man  der  franz.  Tragödie  machte,  mehr  oder  we- 
niger auch  den  Tragödien  anderer  Nationen  gemacht  werden 
könnten.  Und  so  liess  ich  mich  nicht  abhalten,  mich  fleissig 
mit  Racine  und  Voltaire  zu  beschäftigen,  zumal  da  auch  Goethe 
den  Mahomet  des  letztern  einer  Bearbeitung  gewürdigt  hat. 
Ich  übersetzte  nach  und  nach  die  Tragödien  dieser  beiden 
Dichter  und  kehrte  stets  nach  Vollendung  anderer  Arbeiten, 
welche  dazwischen  traten,  mit  Liebe    zu    dieser  Arbeit    zurück. 

Dass  sich  im  Laufe  der  Zeit  indess  die  Meinungen  in  Be- 
ziehung auf  diese  franz.  Classiker  geändert  haben  und  dass 
ich  also  mit  meinem  Urtheile  nicht  mehr  so  ganz  allein  stehe, 
das  wurde  mir  unter  Anclerm  durch  Bd.  XIX.  Heft  4  (Jahrg. 
1856)  dieses  Archivs  bewiesen,  in  welchem  sich  eine  treffliche 
Abhandlung  von  Dr.  M.  Maass  in  Neubrandenburg  („die  franz. 
Tragödie  und  ihre  deutschen  Kritiker")  befindet  und  in  welcher 
der  Verf.  besonnen  und  gerecht  die  franz.  Tragödie  würdigt 
und  gegen  die  ungerechten  Angriffe  vertheidigt.  Ich  kann  mich 
nicht  enthalten,  hier  eine  kleine  Stelle  aus  dieser  Abh.  anzu- 
führen. Pag.  390  -  91  heisst  es  da:  „Allein,  wie  das  ge- 
wöhnlich zu  gehen  pflegt,  das  Publicum  hört  nur  das  heraus,  - 
(nämlich  aus  den  Worten  der  Anerkennung,  welche  von  Kri- 
tikern ausgesprochen  werden)  —  was   es    hören    will    und  was 


246  Racine's  Athalia. 

am  leichtesten  zu  fassen  ist,  und  da  die  leidige  Menschennatur 
weit  empfänglicher  für  den  Tadel  als  für  das  Lob  des  ihr 
Fremdartigen  ist;  so  ist  es  denn  gekommen,  dass  man  sich  eme 
solche  bequeme  Ansicht .  fonnulirt  und  dieselbe  weiter  verbreitet  hat. 
Zwei  unserer  grössten  literarisch-ästhetischen  Kritiker,  Lessing 
und  Schlegel,  haben  die  franz.  Tragödie  verbannt,  also  ist  der 
Stab  über  sie  gebrochen.  Allein,  meine  Herren ,  les  gens  que 
vous  tuez,  se  portent  assez  bien ;  sie  lebt  und  wird  leben 
als  eins  der  wichtigsten  Glieder  in  der  Kette  der 
dramatischen  Dichtungen.  Denken  Sie  an  Horaz'  Aus- 
spruch: Multa  renascentur,  quae  jam  cecidere.''  (Horat.  Ars 
poet.  72.)  —  Die  Abhandlung  schliesst  mit  den  Worten:  ..Können 
diese  Leute  wohl  jemals  eine  Racinische  Tragödie  eines  näheren 
und  vorurtheilsfreien  Studiums  gewürdigt  haben?" 

Bei  der  Uebersetzung  eines  jeden  poetischen  Werkes  scheint 
es  mir  die  Pflicht  des  Uebersetzers  zu  sein ,  die  äussere  Form 
desselben  zu  wahren,  denn  diese  Form  ist  bei  einem  Gedicht 
etwas  Wesentliches;  wird  sie  nicht  bewahrt,  so  verwischt  die 
Uebersetzung  einen  wesentlichen  Charakterzug  desselben.  Die 
Arbeit  des  Uebersetzers  wird  freilich  unendlich  erleichtert,  wenn 
er  eine  solche  Fessel  abstreift,  wie  es  auch  Goethe  in  dem  Ma- 
homet  gethan  hat;  allein  der  Leser  einer  solchen  Uebersetzung 
erhält  so  von  dem  Originale  nur  ein  entstelltes  Bild.  Es  muss 
also  von  einem  guten  Uebersetzer  mit  Recht  gefordert  werden, 
dass  er  sich  durch  die  vermehrten  Schwierigkeiten  nicht  be- 
stimmen lasse,  die  äussere  Form  des  Originals  in  seiner  Ueber- 
setzung zu  vernachlässigen. 

Bei  einer  Uebersetzung  der  franz.  Tragödien  tritt  nun, 
wenn  man  ihre  äussere  Form  wahren  will,  der  Uebelstand  wegen 
der  Beschaffenheit  des  deutschen  Alexandriners  hervor,  welcher 
durch  seine  Monotonie  unserem  Ohre  beschwerlich  fällt ,  wäh- 
rend der  französische  Alexandriner  einen  ganz  andern  Cha- 
rakter hat,  eine  Mannichfaltigkeit  und  Beweglichkeit,  von  welcher 
im  deutschen  keine  Spur  ist.  Indem  die  Franzosen  die  Sylben 
nicht,  wie  wir  Deutsche,  nach  Länge  und  Kürze  der  Betonung, 
(1.  i.  nach  dem  Accente,  messen,  sondern  zählen,  bewegt 
sich  ihr  Alexandriner  fast  in  fesselloser  Ungebundenheit,  so 
dass ,  wenn  man   diese  franz.  Verse  nach  unserer  Art  scandirt, 


Racine's  Athalia.  247 

eine  Sylbe,  welche  uns  im  vorhergehenden  Verse  als  lang 
erschien,  im  folgenden  als  kurz  gebraucht  ist.  Dadurch  werden 
die  Verse  so  verschiedenartig,  dass  sie  in  Ansehung  ihrer  wech- 
selnden Betonung  eine  fast  dem  griechischen  Hexameter  gleiche 
Mannichfaltigkeit  entwickeln,  bei  welcher  von  der  Monotonie  der 
deutschen  Alexandriner  keine  Spur  ist. 

Was  soll  unter  solchen  Umständen  der  deutsche  Ueber- 
setzer  beginnen?  Es  sind  mancherlei  Vorschläge  noch  in  der 
neuesten  Zeit  gemacht  worden,  um  den  Uebelstand  zu  besei- 
tigen. Ich  glaube,  die  leichteste  Abhülfe  ist  die,  dass  man 
unter  die  Reihe  der  Alexandriner  im  Deutschen  reine  Sena- 
rien  mischt.  So  kommt  in  das  Ganze  ein  durchaus  anderer 
Takt,  und  alles  Unangenehme,  was  der  ununterbrochen  fort- 
laufende Alexandriner  für  das  Ohr  hat,  wird  beseitigt.  Ich 
habe  diese  Modification  bereits  bei  meiner  Uebers.  der  Hen- 
riade Voltaire's  (in  der  Bibl.  der  Classiker  des  Auslandes 
bei  Brockhaus  1843)  versucht  und  habe  von  ihr  ebenfalls  und, 
wie  ich  glaube  mit  Vortheil,  in  der  Uebersetzung  der  Tragödien 
Voltaire's  und  Racine's  Gebrauch  gemacht.  Solche  reine  Se- 
narien  ohne  mittleren  Einschnitt  habe  ich  übrigens  nicht  etwa 
nach  einer  bestimmten  Verszahl  und  in  regelmässiger  Wieder- 
kehr eintreten  lassen ,  sondern  habe ,  nach  Beschaffenheit  des 
Inhalts  der  Rede  und  mein  Ohr  und  Gefühl  um  Rath  fragend, 
gewechselt  und  oft  sogar  mehrere  solche  Verse  unmittelbar  nach 
einander  folgen  lassen.  Man  wird  finden,  dass  durch  reine 
Senarien  die  Rede  mehr  Bewegung  erhält,  während  sie  beim 
Alexandriner  abgemessener  und  ruhiger  erscheint.  Ob  ich  die 
Abwechselung  immer  an  der  rechten  Stelle  habe  eintreten  lassen 
oder  nicht ,  diess  zu  beurtheilen  steht  nicht  mir,  sondern  den 
Lesern  zu.  Bei  einer  Sache  indess ,  welche  lediglich  auf  dem 
individuellen  Gefühle  beruht,  dürfte  wohl  kaum  an  eine  Ueber- 
einstimmung  Aller  zu  rechnen  sein. 

Ich  erlaube  mir,  zunächst  den  Lesern  eine  Probe  meiner 
Uebersetzung  meiner  Athalia  Racine's  aus  der  ersten 
Scene  des  ersten  Acts  vorzulegen,  um  darauf  die  Schluss- 
chöre  folgen  zu  lassen. 

Die   erste  Scene  enthält  die  Unterredung   des   hohen  Prie- 


248  Racine'«  Athalia. 

sters   .load   mit    dem  Feldhauptmann  Abner.     Ich  führe    den 
letzteren  zuerst  redend  ein. 

Abner. 
Was  kann  ich  thun  ?  Verzagt  ist  ganz  des  Volkes  Sinn ; 
Es  fehlet  Juda  Muth  und  Thatkraft  Benjamin. 
Der  Tag,  der  ihren  Kön'gen  sah  den  Tod  bereiten, 
Verlöscht'  in  ihnen  auch  den  Muth  der  alten  Zeiten. 
Gott  selbst,  so  sagen  sie,  hat  sich  von  uns  gewandt; 
Er,  dessen  Eifer  sonst  oft  für  sein  Volk  entbrannt, 
Gleichgültig  sieht  er  welken  seines  Ruhmes  Blüthe; 
Und  ferner  Gnade  zu  erzeigen  ist  er  müde. 
Er  hält  die  starke  Recbte  nicht  mehr  ausgestreckt 
Für  uns  zu  Wundern,  welche  sonst  die  Welt  erschreckt, 
Die  Bundeslad'  ist  stumm  und  ihr'  Orakel  schweigen. 

Joad. 
War  irgend  eine  Zeit  so  reich  an  Wunderzeichen  ? 
Liess  Gott  nachdrücklicher  wohl  schau'n  je  seine  Macht  ? 
Hat,  undankbares  Volk,  umhüllet  ew'ge  Nacht 
Dein  Auge?  Kannst  Du  ungerührt  vorüber  gehen 
An  allen  Wundern,  welche  rings  um  Dich  geschehen  ? 
Soll,  Abner,  ich  Dich  erst  an  jede  Wunderthat     , 
Erinnern,   die  bei  uns  sich  zugetragen  hat? 
Wie  Gott  an  den  Tyrannen  Israel  gerochen, 
Und  wie  er  stets  erfüllt,  was  er  im  Zorn  gesprochen  ? 
Der  böse  Ahab  fiel;  auf  jenem  Acker  floss 
Sein  Blut,  den  zu  besitzen  er  erst  Blut  vergoss. 
Nicht  weit  davon  auch  musste  Jesabel  es  büssen, 
Zertreten  ward  ihr  Leichnam  von  der  Rosse  Füssen ; 
Die  Hunde  leckten  gierig  ihr  grausames  Blut; 
Um  den  zerfleischten  Körper  kämpften  sie  voll  Wuth. 
Beschämt  stand  der  Propheten  Schaar,  die  Lug  verkündet, 
Als  den  Altar  des  Blitzes  Flamme  angezündet.  — 
Als  Herrn  der  Elemente  zeigt'  Elias  sich ; 
Den   Himmel  schloss  er  zu,  dass  er  dem  Erze  glich ; 
Drei  Jahre  netzten  Thau  und  Regen  nicht  den  Boden. 
Das  Leben  gab  zurück  Elisa's  Ruf  den  Todten. 
Erkenn'  in  diesen  Zügen,  dass  Gott  immerdar 
Derselbe  jetzt  noch  ist,  der  er  vor  Zeiten  war ! 
Er  kann,  wenn's  ihm  gefallt,  in  Herrlichkeit  sich  zeigen ; 
'S  wird  seines  Volks  Gedächtniss  nimmer  von  ihm  weichen. 

An  dieser  Probe  des  Dialogs   möge  es    hier  genügen,    um 
nicht   zu    vielen  Raum    zu  beanspruchen,   da  ich    die  lyrischen 


Raeine's  Athalia  249 

Stücke  der  Athalia,  die  Schlusschöre  der  vier  ersten  Acte, 
noch  mitzutheilen  wünsche.  Sie  sind  genau  nach  Sylbenzahl 
und  Reimen  dem  Originale  nachgebildet,  was,  bei  den  ein- 
fachen Reimen,  seine  grossen  Schwierigkeiten  hatte,  da  oft 
wegen  eines  fehlenden  Reimes  eine  neue  Reihe  gefunden  werden 
musste,  um  es  dem  Originale  gleich  zu  thun. 

Schlusschor  des  I.  Acts. 

Der  ganze  C  hör. 
Jehovah's  Name  ist  es,  den  das  Weltall  preiset; 
Verehret  diesen  Gott  und  betet  stets  ihn  an ! 
Sein  Reich  begann,  eh'  noch  der  Zeiten  Lauf  gekreiset ; 
Singt  ihm,  der  uns  so  wohl  gethan  ! 

Eine  Stimme  allein. 
Der  Frevler  Machtgebot  verweiset 
Zum  Schweigen  stets  umsonst  des  Volkes  Stimm',  es  preiset 

Den  Gott,  den  alle  Zeiten  seh'n. 
Es  zeugt's  ein  Tag  dem  andern,  was  der  Herr  verheisset ; 
Jehovah's  Name  ist  es,  den  das  Weltall  preiset, 
Singt  ihm,  der  uns  so  wohl  gethan! 

Eine  andere  Stimme. 
Er  hat  den  Blumen  Farbenschmelz  gegeben ; 
Es  spendet  Frucht'  uns  seine  Macht; 
Er  theilt  mit  rechtem  Masse  eben 
Für  sie  des  Tages  Gluth,  den  Thau  der  frischen  Nacht ; 
Er  lässt  des  Ackers  Saaten  üppig  sich  erheben. 

Eine  andere  Stimme. 
Er  ruft  die  Sonne,  alle  Wesen  zu  beleben, 

Das  Licht  ist  ein  Geschenk  aus  seiner  Hand ; 
Doch  das  Gesetz,  das  er  gegeben, 
Das  is  das  Köstlichste,  was  er  der  Welt  gesandt. 

Eine  andere  Stimme. 
Bewahre  Du,  o  Sinai,  für  alle  Zeiten 
Des  heil'gen  Tages  Angedenken  hoch  und  hehr, 

An  dem  von  Deinem   Haupte  her 
Der  Herr,  umflossen  von  der  Wolken  Nebelmeer, 
Von  seinem  Glänze  einen  Strahl  auf  Dich  Hess  gleiten. 

Sag'  an,  warum  so  feur'ge  Blitz'  er  ruft  ? 
Wozu  die  Säulen  Rauchs,  dies  Brausen  in  der  Luft  ? 
Des  Donners,  der  Posaunen  Schallen? 


;öO  Rh  ein  es  Athalia. 

Hat  auf  den  Umsturz  er  der  Welt  es  abgeseh'n  ? 
Soll  länger  nicht  die  Erde  steh'n? 
Soll  ihrer  Vesten  Grundbau  fallen  ? 

Eine  andere  Stimme. 
Den  Söhnen  Jacob's  offenbaren  wollt'  er  dort 
Das  unvergängliche  Gesetz,  das  er  geschrieben, 

Und  dem  beglückten  Volk  das  Wort 
Verkünden:  für  und  für  sollst  Deinen  Gott  Du  lieben. 

Der  ganze  Chor. 
Welch'  süsses,  göttliches  Gesetz ! 
Wie  lässt  Gott  seine  Gnade  walten ! 
O  welch'  ein  Antrieb,  sein  Gebot  zu  halten! 
Hingeben  sich  an  Gott  in  Lieb'  und  Treue  stets! 

Eine  Stimme  allein. 
Vom  harten  Joch  macht'  er  die  Väter  frei. 
Gab  ihnen  Mannah  in  der  Wüstenei. 
Das  Zeugniss  seiner  Gut'  ist  im   Gesetz  enthalten; 
Nie  darf  in  Liebe  unser  Herz  erkalten. 

Der  Chor. 
Wie  lässt  Gott  seine  Gnade  walten! 

Dieselbe  Stimme. 

Er  that  vor  ihnen  auf  des  Meeres  Schlund, 
Liess  sprudeln  einen  Quell  aus  hai-tem  Eelsengrund. 
Das  Zeugniss  seiner  Gut'  ist  im  Gesetz  enthalten; 

Nie  darf  in  Liebe  unser  Herz  erkalten. 

Der  Chor. 
Welch'  süsses,  göttliches  Gesetz ! 
Wie  lässt  Gott  seine  Gnade  walten ! 
Ü  welch'  ein  Antrieb,  sein  Gebot  zu  halten! 

Eine  andere  Stimme. 
Ihr  Undankbaren,  die  Ihr  Sclavenfurcht  empfindet. 
Erfüllt  mit  Freudigkeit  Euch  nicht  der  güt'ge  Gott? 
Was  habt  Ihr  für  ein  Herz,  das  schwer  die  Liebe  findet? 
Ist  Liebe  denn  ein  hart  Gebot? 
Der  Sclave  scheut  des  Zwingherrn  Geisseihiebe, 
Allein  der  Kinder  Antheil  ist  die  Liebe. 

Der  Chor. 
Welch'  süsses,  göttliches  Gesetz ! 
Wie  lässt  Gott  seine  Gnade  walten ! 
O  welch'  ein  Antrieb,  sein  Gebot  zu  halten! 
Hingeben  sich  an  Gott  in  Lieb'  und  Treue  stets! 


Racine's  Athalia.  251 

Schlu ss    des    zweiten    Acts. 
Der    Chor    und    einzelne    Stimmen. 

Ein  e  St  i  m  m  e. 

Welch'  neuer  Stern  glänzt  unsern  Blicken  ? 

Was  wird   wohl  künftig  sein  des  Wunderknaben  Loos? 

Er  zeigt  sich  vor  dem  Stolz  so  gross; 

'S  kann  keine  Lockung  ihn  bestricken. 

Sie  stellt  ihn  nicht  Gefahren  bloss. 

Eine  andere  Stimme. 
Indem  man  läuft  und  Weihrauch  zündet 
Auf  dem  Altar'  Athaliens  Gott, 
Hat  er  voll  Muth  es  laut  verkündet : 
Die  andern  Götter  sind  ein  Spott. 
Elias'  Geist  war  ihm  verkündet. 
Als  Jesabel  spann  ihr  Complott. 

Eine  andere  Stimme. 
Von  wem  wird  Deiner  Abkunft  Räthsel  uns  erschlossen  ? 
Bist  einem  heiligen  Propheten  Du  entsprossen  ? 

Eine  andere  Stimme. 
So  sah  man  lieblich  einstmals  Samuel 
Erblühen  in  dem  Tabernakel ; 
Er  ward  die  Hoffnung  der  Hebräer,  ihr  Orakel: 
O  möchtest  Du  gleich  ihm  doch  trösten  Israel! 

Eine  andere  Stimme. 
Glücksel'ges  Kind,  als  dessen  Hort 
Den  Herrn   man,  der  es  lieb  hat,  preiset  ! 
Das  frühe  schon  vernimmt  sein  Wort, 
Und  das  der  Herr  selbst  unterweiset! 
Mit  ihren  reichsten  Gaben  hat  ihn  die  Natur 
Schon  von  der  Wiege  an  geschmücket,- 
Der  Sünde  fern,  blieb  ihres  Pesthauchs  Spur 
Stets  seiner  Unschuld  weit  entrücket. 

Der  ganze  Chor. 
Wie  glücklich,  glücklich  ist  die  Jugend, 
Die  Gott  beschirmt  und  selber  unterweist  in  Tugend! 

Eine  Stirn  m  e. 
So  wächst  im  stillen  Thale  dort, 
An  einer  klaren  Quelle  Rande. 
Berührt  nicht  von  dem  kalten  Nord, 
Die  Lilie  zart,  in  blendendem  Gewände. 


2.v:  Racine's  Athalia. 

Mit  ihren  reichsten  Gaben  hat  ihn  die  Natur 

Schon  von  der  Wiege  an  geschmücket ; 
Der  Sünde  fern  blieb  ihres  Pesthauchs  Spur 
Stets  seiner  Unschuld  weit  entrücket. 

Der  ganze  Chor. 
Glücklich,  glücklich  tausendfach 
Das  Kind,  zu  dessen  Herzen  Gottes  Stimme  sprach ! 

Eine  Stimme. 

Wie  schwankt,  umgeben  von  Gefahren, 
O  Gott,  die  schwache  Tugend  stets  so  ungewiss ! 
Ein  Herz,  das  Dich  sucht  und  die  Unschuld  will  bewahren, 

Trifft  auf  so  manches  Hinderniss: 

Wie  viele  Feinde  es  gefährden ! 

Was  gab'  es,  das  ihm  Schutz  verhiess' ?  — 

Sünder  herrschen  rings  auf  Erden. 

Eine  andere  Stimme. 
Burg  David's  und  Du,  seine  ihm  so  werthe  Stadt ; 
Du,  Berg,  auf  dem  so  lange  Gott  gewohnet  hat; 
Was  hat  so  gegen  Dich  des  Himmels  Zorn  entflammet? 
Was  sagst  Du,  Zion,  dass  ein  Weib  Dir  trotzt  voll  Hohn, 
Die  Dir  nicht  ist  entstammet, 
Und  sitzet  • —  ach  !  auf  Deiner  Kön'ge  Thron  ? 

Der  ganze  Chor. 
Was  sagst  Du,  Zion,  dass  ein  Weib  Dir  trotzt  voll  Hohn, 
Die  Dir  nicht  ist  entstammet, 
Und  sitzpt  —  ach!  —  auf  Deiner  Kön'ge  Thron? 

Die  vorige  Stimme  f  ä  h  r  t  f  o  r  t : 
Wenn  statt  der  Lieder  Feierklang, 
Die  einst,  voll  heiligen  Entzückens,  David  sang, 
Um  seinen  Gott  und  Herrn  und  Vater  hochzupreisen : 
Was  sagst  Du,  Zion,  wenn  jetzt  eines  Götzen  Lob 

Dies  Weib  ertönen  lässt  in  fremden  Weisen, 
Und  der  gelästert  wird,  den  einst  man  hier  erhob? 

Eine  andere  Stimme. 
Wie  lange  noch,  o  Gott,   wie  lange  soll's  noch  währen, 
Dass  gegen  Dich  sich  auflehnt  dieser  Frevler  Schaar? 
Sie  bieten  Trotz  Dir  hier  im  Heiligthum  sogar 
Und  schelten  Thoren  die ,  die  Deinen  Namen  ehren. 
Wie  lange  noch,  o  Gott,  wie  lange  soll's  noch  währen, 
Dass  gegen  Dich  sich  auflehnt  dieser  Frevler  Schaar  ? 


Racine's  Athal  ia.  253 

Eine  andere  Stimme. 
Warum   zu  strenger  Tugend,  sprechen  sie,  sich  zwingen  ? 
An  Freuden  ist  die  Welt  so  reich ; 
Warum  um  den  Genuss  Euch  bringen? 
'S  thut  Euer  Gott  ja  nichts  für  Euch. 

Eine  andere  Stimme. 
Auf!  lacht  und  singt!  spricht  der  gottlose  Haufen; 
Pflückt  jede  Blume !  nur  für  süsse  Lust 
Lasst  schlagen  Eure  Brust ! 
Wie  thöricht,  künft'gem  Glücke  nachzulaufen  ! 
'S  ist  Alles  ungewiss;  die  Zeit  entflieht  geschwind; 
Drum  eilet,  heute  noch  Euch  Freuden  zu  erkaufen! 
Wer  weiss,  ob  morgen  wir  noch  sind? 

Der  Chor. 
O  lass  sie  weinen,  Gott!  erfülle  sie  mit  Grauen, 
Die  Unglücksel'gen,  die  nicht  werden  schauen 
Den  ew'gen  Glanz  von  Deiner  hei'gen  Stadt! 
Wir,  denen  Du  geoffenbart  die  ew'ge  Wahrheit, 

Die  Dich  umstrahlt  voll  Klarheit, 
Wir  preisen  Dich,  der  uns  so  reich  gesegnet  hat. 

Eine  Stimme. 
Von  aller  eitlen  Lust,  der  sie  sich  hingegeben, 
Was  bleibet  ihnen  ?  Wie  ein  Traum  wird  sie  entschweben, 

Der  täuschend  uns  im  Schlummer  naht; 
Doch  bei'm  Erwachen   —   welch'  Entsetzen  —  ach!  — 

Wenn  der  Bedrängte  froh  geniesset 
Bei  Dir  der  Seel'gen  Glück,  das  ewig  für  ihn  spriesset, 
Dann  trinken  aus  dem  Becher  sie,  der  überfliesset 
Von  Deinem  Zorn  am  letzten,  schreckenvollen  Tag, 

Wo  Strafe  jeder  Frevler  findet. 

Der  Chor. 
O  Grau'n,  wer  so  erwacht! 
O  Traum,  der  schnell  verschwindet, 
Und  Unheil  nur  gebracht! 

Schluss    des  dritten   Acts. 
Salomith  und  der  Chor. 

Salomith. 
Ach,  Schwestern,  welche  Furcht,  Verwirrung  und  Gefahr! 
Ist  dies  des  Festes  Tag,  wo,  von  den  Erstlingsfrüchten 


254  Raoine's  Athalia. 

Ein  süsses  Opfer  zuzurichten 
Dem  ew'gen  Gott,  durch  das  Gesetz  geboten  war? 

Eine  aus  dem  Chore. 
Welch'  Schauspiel  —  ach !   —  für  Mädchenaugen, 
Wer  dacht'  es  wohl,  dass  schreckenvoll, 
Man  sähe  Spiess'  und  Schwerter,  die  vom  Blute  rauchen, 
Hier,  wo  der  Friede  wohnen  soll? 

Eine  Andere. 
Warum  wohl  mag  da3  Volk  für  Gott  so  lau  sich  zeigen? 
'S  bleibt  ruhig,  da  doch  die  Gefahr  so  dringend  ist. 

Wie  kommt  es,  Schwestern,  dass  uns  auch  vergisst 
Der  tapfre  Abner  und  nicht  brechen  will  sein  Schweigen? 

Salomith. 
An  einem  Hofe  —  ach!   wo  gilt  nur  die  Gewalt, 

Und  das  Gesetz  darniederlieget; 

Wo  Amt  und  Würden  der  alsbald 
Erwirbt,  der  blindlings  stets  gehorcht  und  sclavisch  kriechet 

Wer  hilft  da,  dass  die  Unschuld  sieget  ? 

Sie  fleht  umsonst,  ihr  Ruf  verhallt. 

Eine  aus  dem  Chore. 
Wem  will  das  heil'ge  Diadem  man  geben, 
Jetzt,  wo  Verwirrung  und  Gefahren  uns  umschweben? 

Salomith. 
Der  Herr  hat  sich  geoffenbaret ; 
Allein  wer  mag  das  Wort,  das  uns  verkündet  ward 
Durch  den  Propheten,  recht  erklären? 
Will  gnädig  Gott  uns  Schutz  gewähren? 
Kämpft  zornig  er  als  Widerpart? 

Der  ganze  Chor. 
Er  droht,  verheisst    —   in  dunkle  Nacht  ist  es  gehüllet ; 
Von  Glück  und  Unglück  welch'  ein  schrecklicher  Verein! 
Wie  kann  er,  wenn  ihn  solcher  Zorn  erfüllet, 
Zugleich  so  gnädig  sein  ? 

Eine  Stimme. 
Zerstört  wird  Zion  und,  in  Flammen  aufgegangen, 
Wird  alle  seine  Kraft  verwehn. 

Eine  zweite  Stimme. 
Gott  schützet  Zion;  's  hat  für  dauerndes  Bestehen 
Sein  ew'ges  Wort  empfangen. 


Rarine's  Athalia.  255 

Die  erste  Stimme. 
Sein  Bild  erbleicht ;  es  ist  ihm  all'  sein  Glanz  geraubt. 

Die  zweite  Stimme. 
Es  wird  durch  alle  Welt  sein  Preis   und  Ruhm  erschallen. 

Die  erste  Stimme. 
Im  tiefsten  Abgrund  lieget  Zion,  's  ist  gefallen ! 

Eine  zweite  Stimme. 
Hoch  in  die  Wolken  ragt  sein  Haupt. 

Die  erste  Stimme. 
O  welch'  Erniedrigung ! 

Die  zweite  Stimme. 

Ha  welch'  Triumphgesänge! 

Die  erste  Stimme. 
O  welche  Jammertöne ! 

Die  zweite  Stimme. 

Welche  Siegsgesänge! 

Eine  dritte  Stimme. 
Verscheuchet  Sorg'  und  Gram!  Gott  selbst  wird  einst  die  Nacht, 
Die  jetzt  sein  Wort  umhüllt,  zerstreuen. 

Alle  drei  zusammen. 
Lasst  seinen  Zorn  uns  scheuen ! 
Hofft  auf  seiner  Liebe  Macht ! 

Eine  andere  Stimme. 
Was  kann  den  Frieden 
Dem  rauben,  welcher  Gott  vertraut ! 
Er  freut  sich  dessen,  was  er  ihm  beschieden, 

Nie  hat  er  auf  sich  gebaut. 
Kann  je  die  Welt,  ja  selbst  der  Himmel,  bieten 
Ein  süss'res  Glück  als  der  geniesst,  der  Gott  vertraut 
In  stillem  Frieden  ? 

Schlussscene  des  vierten  Acts. 
Salomith.    Der  Chor. 

Der  Chor. 
Zieht,  Söhne  Aarons,  ziehet  aus! 
Nie,  nie  sind  Eure  muth'gen  Ahnen 


•.-56  Ra eine's  Ath  alia. 

Gefolgt  ruhmwürdigeren  Fahnen. 

Zieht,  Söhne  Aarons,  ziehet  aus! 

Ihr  kämpft  für  Euren  Gott  und  Euer  Königshaus. 

Eine  Stimme. 
Blitze  schleud're  auf  die  Frechen, 
Die  Dich  in  Deinem  Zorn  versucht! 
Treibt  Dich  nicht  mehr  Eifersucht? 
Willst  ferner,  Gott,  Du  Dich  nicht  rächen? 

Eine  andere  Stimme. 
Gott  Jacob's,  o  wo  ist  jetzt  Deine  Gnad'  und  Huld? 

Wenn  Unglück  sich  an  Unglück  reihet, 
Gedenkst  Du  dann  allein  nur  uns'rer  Sündenschuld? 

Bist  Du  der  Gott  nicht,  der  verzeihet? 

Der  Chor. 
Gott  Jacob's,  o  wo  ist  jetzt  Deine  Gnad'  und  Huld? 

Eine  Stimme. 

Auf  Dich  gerichtet  hat  die  Bande 
Der  Frevler  ihre  Pfeile  nur  in  diesem  Krieg' ; 

Es  ende,  sprachen  sie,  der  Sieg 

Jehovah's  Fest'  in  diesem  Lande! 
Befrei'n  von  seinem  Joch  lasst  uns  die  Sterblichen ! 
Stürzt  sein'  Altäre!  würget  seine  Heiligen! 

Sein  Name  soll  verschwinden ; 

Nicht  Ruhm  und  Preis  mehr  finden; 
Hinweg,  Ihr  Kön'ge,  die  Ihr  seinen  Namen  trugt ! 

Der  Chor. 
Blitze  schleud're  auf  die  Frechen, 
Die  Dich  in  Deinem  Zorn  versucht ! 
Treibt  Dich  nicht  mehr  Eifersucht  ? 
Willst  ferner,  Gott,  Du  Dich  nicht  rächen? 

Eine  Stimme. 

Uns'rer  Kön'ge  letzter  Sohn, 
Der  Du  von  jenem  hehren  Stamm'  allein  geblieben, 
Ha,  soll'n  wir  wieder  sehen,  wie,  von  Hass  getrieben, 
Die  Mutter  nach  Dir  zuckt  den  Dolch,  wie  früher  schon  ? 
Hat,  holder  Fürst,  ein  Engel  Rettung  Dir  gebracht, 
Als  Mörderhand  nach  Dir  sich  in  der  Wiege  streckte  ? 

War's  des  lebend'gen  Gottes  Macht, 
Die  aus  dem  Grabe  Deinen  Staub  zum  Leben  weckte? 


Racine's  Athalia.  257 

Eine  andere  Stimme. 
Gott,  bist  Du  müde  jetzt  der  Langmuth  und  Geduld, 
Und  legst  auf  ihn  des  Vaters,  des  Grossvaters  Schuld  ? 
Verstiessest  Du  auf  ewig  den,  der  sich  Dir  weihet? 

Der  Chor. 
Gott  Jacob's,  o  wo  ist  jetzt  Deine  Gnad'  und  Huld  ? 
Bist  Du  der  Gott  nicht,  der  verzeihet? 

Eine  aus  dem  Chor,  ohne  zu  singen. 

Ha,  theu're  Schwestern,  höret  Ihr, 

Wie  schrecklich  jetzt  der  Tyrier  Drommet'  erklinget? 

Salomith. 
Der  wilden  Krieger  Schrei'n  wird  auch  gehört  von  mir, 
Dass  Furcht  mein  Herz  durchdringet. 
Lauft !  fliehet !  schnell  hinweg  von  hier 
Zu    jenen  sichern  Mauern, 
Umweht  von  heil'gen  Schauern ! 

Ich  brauche  wohl  kaum  noch  besonders  zu  bemerken,  dass 
eine  Uebersetzung,  welche  sich  in  so  engen  metrischen  Fesseln 
bewegt,  um  getreu  die  äussere  Form  des  Originals  darzustellen, 
keine  wörtliche  sein  könne,  wie  dies  geradezu  ein  Ding  der 
Unmöglichkeit  ist.  Nur  dem  Gedanken  nach  schliesst  sie  sich 
dem  Originale  getreu  an.  Vor  Allem  aber  bin  ich  bestrebt  ge- 
wesen, trotz  des  metrischen  Zwanges,  eine  Uebersetzung  zu 
liefern,  welche  nicht  undeutsch,  steif  und  gezwungen  erscheint 
und  bei  deren  Leetüre  man  nicht  nöthig  hat,  erst  das  Original 
zu  vergleichen ,  um  sie  zu  verstehen ,  wie  dies  bei  so  manchen 
Uebersetzungen  der  lateinischen  und  griechischen  Classiker  der 
Fall  ist.  Ob  mir  dies  überall  gelungen  ist,  wage  ich  nicht  zu 
entscheiden. 

Zum  Schlüsse  möge  hier  noch  das  Urtheil  Voltaire's, 
dieses  sich  selbst  vergötternden  und  fremde  Arbeiten  bissig  be- 
geifernden Kritikers  über  die  Athalia  Racine's  stehen. 
Voltaire  thut  nämlich  an  einer  Stelle  seiner  Werke  (leider  habe 
ich  vergessen,  den  Ort,  wo  sie  steht,  mir  zu  notiren)  folgenden 
Ausspruch:  L'Athalie  est  l'ouvrage  le  plus  approchant  de  la 
perfection  qui  soit  jamais  sorti  de  la  main  des  hommes.  Und 
in  der  Vorrede  zum  Theater  Racine's  (Paris  1849)  heisst  es  am 
Schlüsse:     Voltaire   le  (Racine)  croyait    le  plus    parfait  de  tous 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIJI.  17 


258  Racine's  Athalia. 

nos  poetes,  et  le  seul  qui  soutienne  constamment  l'^preuve  de  la 
lecture.  II  en  parlait  meme  avec  tant  d'enthousiasme ,  qu'un 
homme  de  lettres  lui  demandant  pourquoi  il  ne  faisait  pas  sur 
Racine  le  meme  travail  qu'il  avait  fait  sur  Corneille :  „il  est  tout 
fait  —  lui  repondit  Voltaire;  —  il  n'y  a  qu'ä  ^crire  au  bas  de 
chaque  page:  „beau,  pathetique,  harmonieux,  sublime." 
Wenn  ich  auch  nicht  jedes  Urtheil  Voltaire's  unterschreiben 
möchte  und  auch  glaube,  dass  das  obige  an  Uebertreibung 
leidet :  so  muss  ich  doch  Racine  einen  hohen  Werth  beilegen, 
und  seine  Dramen  sollten,  meiner  Meinung  nach,  in  unseren 
Schulen  häufiger  gelesen  werden  als  es  geschieht,  anstatt  andere 
Producte  der  Franzosen,  welche  in  den  bekannten  Repertoiren 
des  französischen  Theaters  geliefert  und  in  den  Schulen  gelesen 
werden. 

Hildesheim.  Dr.  Schröder, 

Rector  Gymnasii. 


Sur    le    soi-disant   idiome    bourguignon. 


Depuis  le  succes  enorme  qu'ont  obtenu  dans  toute  la  France 
les  belies  creations  poetiques  de  M.  Jasmin,  que  M.  de  Lamartine 
(voir  lasPapillotos  t.  III.  p.  244)  appelle  ä  juste  titre  „l'Ho- 
mere  sensible  et  pathetique  des  proletaires ",  il  n'y 
a  pas  seulement  abondance  de  poetes  en  patois,  mais  on  est 
meme  remonte  aux  siecles  passet,  pour  examiner  les  poemes 
„de  Goudouli,  deDastros  et  Daoubasso"  (v.lou  Gha- 
li bar  i  p.  Jasmin,  t.  I.  p.  10).  Cependant,  on  ne  saurait  mieux 
apprecier  combien  Jasmin  est  superieur  ä  tous  ces  poetes  d'un 
rang  inferieur,  qu'en  ecoutant  l'historiette  que  je  vais  raconter 
d'apres  M.  de  Sainte  -  Beuve. 

Pendant  une  de  ces  tournees  que  Jasmin  fait  si  fr^quem- 
ment  dans  le  Midi,  et  qui  sont  une  suite  de  r^citations  et-d'o- 
vations  continuelles,  un  poete  du  departement  de  l'Herault,  un 
poete  en  patois,  appele"  Peyrottes,  potier  de  son  &at,  et  qui  s'est 
fait  une  certaine  reputation,  lui  envoya  par  lettre  un  defi.  Jas- 
min etait  alors  de  passage  ä  Montpellier: 

„Monsieur,  lui  ecrivait  Peyrottes  (24  decembre  1847),  j'ose 
dans  ma  tömerite  qui  est  bien  pres  de  la  hardiesse,  vous 
propoeer  un  defi.  Seriez-vous  assez  bon  pour  l'accepter?  Dans 
le  Moyen  -  Age,  les  troubadours  n'auraient  pas  d^daigne  la  pro- 
vocation  que,  dans  ma  hardiesse,  je  viens  vous  faire. 

„Je  me  rendrai  a  Montpellier  aux  jour  et  heure  que  vous 
voudrez.  Nous  nommerons  quatre  personnes  connues  en  littd- 
rature  pour  nous  donner  trois  sujets  que  nous  devrons  traiter 
en  vingt- quatre  heures.  Nous  serons  enferm^s  tous  les  deux. 
Un  factionnaire  veillera  a  la  porte.     Les  vivres  seuls  entreront. 

17* 


260  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

„Enfant  de  PHerault,  je  tiens  ä  Phonneur  et  ä  la  gloire  de 
mon  pays!  Comrne  en  pareille  circonstance ,  une  bonne  action 
est  de  rigueur,  on  fera  imprirner  les  trois  sujets  donnes  ,  au 
profit  de  la  Creche  de  Montpellier. 

„Je  voudrais  bien  entrer  en  lice  avec  vous  pour  la  decla- 
mation,  rnais  un  defaut  de  langue  tres  prononce  roe  le  deTend". 

Et  un  post- scriptum  de  la  lettre  provocatrice  disait: 

„Je  vous  previens,  Monsieur,  que  je  fais  distribuer,  des  ä 
present,  copie  de  cette  lettre  ä  diverses  personnes  de  Mont- 
pellier". 

Voilä  Jasmin,  mis  en  demeure  d'improviser  et  pris  par  le 
point  d'honneur.  Va-t-il  aller  sur  le  terrain?  Ecoutons  sa  char- 
mante reponse  et  la  lecon  qui  sadresse  a  d'autres  encore  qu'au 
poete  potier: 

„Monsieur, 

„Je  n'ai  recu  qu'avant  -  hier ,  veille  de  mon  depart,  votre 
cartel  poetique;  mais  je  dois  vous  dire  que,  Peuss^-je  recu 
en  temps  plus  opportun,  je  n'aurais  pu  Paccepter. 

„Quoi!  Monsieur,  vous  proposez  ä  ma  muse,  qui  aime  tant 
le  grand  air  et  sa  libertd,  de  s'enfermer  dans  une  chambre  close, 
gardee  par  quatre  sentinelles,  qui  ne  laisseraient  passer  que  des 
vivres,  et,  lä,  de  traiter  trois  sujets  donnes  en  vingt  -  quatre 
heures ! .  .  .  .  Trois  sujets  en  vingt  -  quatre  heures !  vous  me 
faites  fremir,  Monsieur.  Dans  le  peVil  oü  vous  voulez  mettre 
ma  muse,  je  dois  vous  avouer,  en  toute  humilite,  qu'elle  est 
assez  naive  pour  s'etre  eprise  du  faire  antique  au  point  de 
ne  pouvoir  m'accorder  que  deux  ou  trois  vers  par  jour.  Mes 
cinq  poemes:  P Aveugle,  Mes  Souvenirs,  Franconnette, 
Marthe-la-Folle,  les  deux  Jumeaux,  m'ont  coüte"  douze 
annees  de  travail,  et  ils  ne  fönt  pourtant  en  tout  que  deux 
mille  quatre  cents  vers. 

„Les  chances,  vous  le  voyez,  ne  seraient  pas  ögales ;  ä 
peine  nos  deux  muses  seraient  -  elles  prisonnieres ,  que  la  votre 
pourrait  bien  avoir  termine"  sa  triple  besogne  avant  que  la 
mienne,  pauvrette,  eüt  trouve*  sa  premiere  inspiration  de  com- 
mande. 

„Je  n'ose  donc  entrer  en  lice  avec  vous:  le  coursier  qui 
traine  son  char  peniblement,  mais   qui  arrive  pourtant,  ne  peut 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  261 

lutter  conter  la  fougueuse  locomotive  du  chemin  de  fei*.  L'art 
qui  produit  les  vers  un  ä  un  ne  peut  entrer  en  concurrence 
avec  la  fabrique. 

„Donc,  ma  rause  se  declare  d'avance  vaincue  et  je  vous 
autorise  ä  faire  enregistrer  ma  declaration! 

„J'ai  l'honneur,  Monsieur,  de  vous  saluer." 

Jacques  Jasmin. 

P.  S.  —  Maintenant  que  vous  connaissez  la  muse,  en  deux 
mots  connaissez  l'homme: 

„J'aime  la  gloire,  niais  jamais  les  succes  d'autrui  ne  sont 
venus  troubler  mon  sommeil." 

Mais  quoi?  La  gloire  de  Jasmin  n'est-elle  pas  obscurcie 
dans  ce  dernier  temps  par  M.  F.  Mistral?  —Je  crois  que  non; 
car,  ä  mon  avis,  il  y  a  entre  Mistral  et  Jasmin  toute  cette  dif- 
ference  qu'il  y  a  entre  un  homme  extremement  savant  et  un  vrai 
poete.  M.  Mistal,  dans  Mireio,  est  admirable,  il  est  vrai,  comme 
imitateur,  non  seulement  d'Homere  et  de  Virgile,  mais  aussi  des 
grands  poetes  italiens,  mais  il  manque  ä  son  grand  poeme  pro- 
vencal  cette  unite  d'action  et  avant  tout  cette  inspiration  poeüques 
qui  caracterisent  h  un  si  haut  degre  les  creations  de  Jasmin. 

Mais  ä  quoi  bon,  dira-t-on,  ces  tirades,  quand  il  s'agit  de 
traiter  le  soi-disant  idiome  bourguignon?  De  gräce,  encore  un 
seul  moment  de  patience.  Je  ne  sais  pas  si  l'on  voudra  par- 
faitement  comprendre  ce  que  je  vais  dire,  car  ceux  qui  se  croient 
chez  nous  les  seuls  connaisseurs  de  la  langue  et  de  la  littera- 
ture  fran^aises,  sont  en  general  tellement,  du  moins  ä  leur  avis, 
ä  la  lmuteur  de  ce  qu'on  pourrait  dire  sur  ce  sujet,  qu'ils  en 
parlent  comme  de  bagatelles,  quoique,  pour  la  plupart ,  ils  de- 
daignent  tout-ä-fait  le  provei^al ,  le  vieux  francais  et  tout  ce 
qui  se  donne  de  nos  jours  si  souvent  pour  patois.  Ils  s'eii- 
tendent  donc  cn  architecture ,  mais  quant  aux  briques  et  aux 
autres  materiaux,  cela  ne  les  regarde  point,  ils  croient  pouvoir  s'en 
passer.  Mais  la  langue  francaise,  meme  apres  un  long  et  penible 
ddveloppement,  produisant  encoi'e  tous  les  jöurs  des  expressions 
qu'on  croit  nouvelles  mais  qu'un  heureux  aeeident  a  tout  sim- 
plement  avaneees  du  milieu  du  menu  peuple,  oü  elles  regnaient 


262  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

ä  bon  droit  depuis  des  siecles :  il  me  semble,  au  Heu  d'attendre 
ces  heureux  moments,  encore  plus  avantageux  de  jeter  aussi 
de  temps  en  temps  un  coup  d'oeil  sur  ces  diffeVents  idiomes, 
et,  si  cela  se  peut,  de  joindre  meme  lagreable  ä  l'utile,  comme 
on  a  occasion  de  le  faire  en  lisant  les  beaux  poemes  de  Jasmin, 
de  Mistral  etc. 

Ainsi,  comme  un  vieux  bouquin,  est  tombe  entre  nies  mains 
lequel  a  pour  titre:  Noei  Borguignon  de  Gui  Barozai. 
Cinqueime  Edicion  reveue  et  augmentee  de  lai  Note 
de  l'Ar  de  checun  de  Noei,  etc.  An  Bregogne 
M.  D.  CC.  XXXVIII.  et  qui  contient  dans  sa  premiere  partie: 
a,  16  Noels  composez  l'an  1701  en  la  rue  de  la  Rou- 
lote  ä  Dijon;  b,  13  Noels  composez  l'an  1700  en  la 
rue  du  Tillot  ä  Dijon;  c,  Cinq  autresNoels  composez 
depuis;  d,  Apologie  des  Noels  prece'dens;  e,  Chan- 
son sur  le  passage  de  feu  Monseigneur  le  Duc  de 
Bourgogne  ä  Dijon  le  21.  Septembre  1703;  puis ,  dans 
sa  deuxieme:  a,  Glossaire  Alphabetique  pour  l'intel- 
ligence  des  mots  Bourguignons,  et  autres  qui  peu- 
vent  avoir  besoin  d'explication  dans  les  Noels  de 
Gui  Barozai;  b,Eloge  fun^bre  de  Mr.  de  la  Monnoye: 
j'en  veux  communiquer  une  dizaine  dont  peut-etre  les  no.  III 
et  VI,  parce  qu'ils  regardent  la  politique  de  ces  temps -la,  m^- 
ritent  quelque  attention.  Pour  rendre  ces  noels  plus  intelligibles, 
j'ai  mis  sous  le  texte  les  significations  des  mots ,  extraites  pour 
la  plupart  du  glossaire:  apres  quoi  j'ai  ajoute  un  resume  sur  cet 
idiome  grossier,  qui,  pour  le  dire  tout  d'abord,  est  ä  peu  pres 
le  langage  des  campagnards  du  centre,  et  en  partie  aussi  du 
nord  de  la  France.  Quant  ä  ce  mot  de  noei,  il  signifie  d'abord 
la  fete  eile -meme,  puis  une  chanson  faite  pour  cette  fete-lä. 
En  geneVal  les  Francais  ne  fönt  pas  beaucoup  de  cas  de  noei, 
du  moins  ils  ne  connaissent  pas  la  haute  importance  que  nous 
autres  Allemands  donnons  k  cette  fete,  leur  principale  fete  etant 
le  jour  de  l'an:  neanmoins  la  nuit  de  noei  ne  se  passe  nulle 
part  sans  servir  de  pr^texte  k  de  nombreuses  reunions ,  comme 
on  le  voit  p.  ex.  par  ce  passage  de  Francon netto  p.  Jas- 
min (v.  las  Pap.  t.  II  p.  221,  222): 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  263 

Anfin  Nadal  besquet  luzi  sa  matinädo: 
—  acös  s'esplendissio  per  tout,  pel  ben  bouffat, 
De  fet  en  fet,  de  taoulo  en  taoulo, 
Et  d'estoufat  en  estoufat.1) 

Mais  il  faut  que,  ci-devant,  il  en  ait  ete  autrement:  du 
moins  on  cite  dejä  une  vieille  Bible  des  Noels,  et  aussi  le  bon- 
horame  Rabelais,  dans  l'ancien  prologue  du  quart  livre: 
„En  Angers,  dit-il,  estoit  pour  lors  un  vieux  oncle,  seigneur  de 
Saint  George,  nomme  Frapin :  c'est  celui  qui  a  faict  et  compose 
les  beaulx  et  joyeux  Noels,  en  langage  poictevin".  II  est  meme 
vraisemblable  que  Rabelais  ait  tire  d'un  de  ces  noels  cet  en- 
droit  qui  se  lit  au  eh.  22  du  meine  livre : 

Je  n'en  daignerois  rien  craindre 

Car  lejour  est  feriau, 

Nau,  nau,  nau, 

car  les  Poitevins  ecrivaient  nau  pour  noel.  A  Dijon  on  atten- 
dait  assurement  noel  avec  beaueoup  d'impatience ,  comme  nous 
apprenons  par  le  glossaire,  car  dejä  pendant  l'Avent  des  haut- 
bois  payes  expres  avaient  ordre  de  jouer,  de  rue  en  rue,  depuis 
les  neuf  heures  du  soir  jusqu'ä  minuit. 

Pour  ce  qui  concerne  enfin  le  nom  de  l'auteur  de  ces 
noels,  Gui  Barozai  n'est  qu'un  nom  simule.  Le  glossaire 
dit  ä  ce  sujet:  „Barozai.  Vigneron  ainsi  nomme,  parce  que 
d'ordinaire  il  portoit  un  bas  couleur  de  rose.  Comme  il  s'etoit 
rendu  celebre  dans  le  corps  des  Vignerons  de  Dijon,  et  qu'il 
etoit  un  de  ceux  qui  parloient  le  Bourguignon  le  plus  franc, 
il  est  arrive  de  la  que  le  nom  de  Barozai  est  devenu  com- 
mun  ä  tous  les  Vignerons  de  la  Ville,  ensorte  qu'aujourd'hui 
Vigneron  et  Barozai  (en  Francois  Bas -rose),  sont  synonymes"; 
v.  aussi  le  glossaire,  noel  VIII.,  v.  26.  et  clans  l'explication  du 
mot  Till 6:  „Rue  de  Dijon. habitee  autrefois  par  une  partie  des 
Vignerons    de   la  Paroisse    S.  Philibert.     Un    grand   tilleul ,    en 

!)  „Enfin  Noel  vit  luire  sa  matinee;  —  cela  se  repandait  partout,  par 
le  vent  pousse,  De  foyer  en  foyer,  de  table  en  table  et  d'etuve  en  etuvd". 
L'estoufat  est  un  gros  morceau  de  boeuf  prepare  d'une  fa9on  assez 
semblable  auboeufä  lamode  que  les  paysans  autour  d'Agen,  patrie  de 
Scaliger  et  de  Jasmin,  ont  l'usage  de  servir  surtout  cette   nuit-lä. 


264  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

Bourguignon  tili  6,  avoit  donnö  le  nom  a.  cette  rue.  Or  comme 
c'est  dans  cette  rue  du  Tillo,  et  dans  Celle  de  lai  Roulöte 
que  la  naivete  du  langage  Bourguignon  s'est  le  mieux  conserv^e, 
le  Poete,  pour  donner  une  plus  haute  idee  de  l'elegance  de  ses 
Noels,  a  feint  en  avoir  compose  la  premiere  partie  dans  la  rue 
du  Tillo,  et  la  seconde  dans  la  rue  de  la  Roulöte". 


I.    Noei. 
Su  l'Ar  du  Vieleu:     Je   suis  la  plus  contente  cet. 


Le  eure  de  Pleumeire 
Dizö  lai  fleute  en  main, 
Chanton  borgei,  borgeire, 
J'airon  Noei  demain ; 
Röbeigne, 
Lubeigne, 
Bereigne, 
Ligei, 
Chanton  tö  Noei,  Noei. 


10  Jesu  ven,  camarade, 
Jesu  de  Nazarai, 
Faite  po  lu  gambade, 
Pandan  que  je  dirai: 
Röbeigne  cet. 

15  Si  dan  sai  creiche  ai  crie, 
Mau  -  vetu,  mau  -  bue, 
Veci  mai  chailemie, 


I.  Noei,  noei;  su,  sur;  ar,  air  <a,  en  bourguignon,  devient  en  gene- 
ral  ai)  ;  vieleu,  vielleur  (l'r  fiual  est  partout  supprime). —  1  Pleumeire, 
Plombiere,  gros  et  beau  village  a  une  lieue  de  Dijon.  2  Dizö,  disait; 
impf,  je  dizö,  tu  dizö,  ai  dizö,  je  dizein,  vo  dizein,  ai  dizein; 
lai,  la;  fleute,  flute.  3  chanton,  chantons  (les  lettres  finales  qui  ne 
se  prononcent  pas,  ne  s'ecrivent  pas  non  plus)  ;  borgei,  borgeire,  berger, 
bergere.  4j'airon,  nous  aurons;  fut.  j'airai,  tu  aire,  el  air  e,  j  'airon, 
vos  aire,  el  airon  (el,  il  et  ils  devant  une  voyelle,  ai  devant  une  con- 
sonne).  5  Röbeigne,  Robine,  nom  de  bergere.  6  Lubeigne,  Lubine, 
nom  de  bergere  (lat.  Leobina).  7  Bereigne,  Benigne,  nom  de  berger, 
dont  le  diminutif,  en  patois,  est  Bin  bin.  8  Ligei,  Leger  (lat.  Leode- 
garius),    nom    de    berger.  9  tö,    devant  une  voyelle  tot,  tout,  tous. 

10  ven,  vient;  camarade,  camarades,  car,  comme  l'on  n'ajoute  pas  d's, 
le  singulier  est  ecrit  comme  le  pluriel.  12  faite,  faites;  po,  devant  les 
voyelles  por,  pour;  lu,  lui.  13  pandan,  pendant  (les  mots  s'ecrivent, 
comme  ils  se  prononcent).  15  sai,  sa;  creiche,  creche;  ai  (v.  2  dizö 
et  4  j'airon),  il.         16  mau,  mal.         17  veci  (et  vequi),  voiei,  velai, 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  265 

Je  n'airai  qu'ai  jue:  30  Je  n'ai  gade  d'epärre 
Röbeigne  cet.  Ai  dire  ai  mes  ozeä 

20  San  failli  d'ene  nöte,  De  pairöle  de  quarre, 

Tantö  su  le  basson,  Maiquereä,  coupau:  ma 

Tantö  su  lai  muzöte  Röbeigne  cet. 

Je  mettrai  lai  chanson : 

Röbeigne  cet.  35  Je  yeu  qu>an  mon  egUze 

25  Je  suble  ein  marle  an  caige  Depeü  lai  Sain  Matin 

Po  rejou'i  l'Anfan,  Jeusqu'ai  Noei  Ton  dize 

Qui  dan  troi  jor,  je  gaige,  Por  antienne  au  lutrin: 

Dire  tö  fuamman :  Röbeigne  cet. 
Röbeigne  cet. 

IL  Noei. 

Su  l'Ar:     Ma  mere  maries  moi. 

Guillö  pran  ton  tamborin,  Turelurelu,  patapatapan, 

Toi  pran  tai  fleüte  Röbin,  5  Au  son  de  ces  instruman 

Au  son  de  ces  instruman,  Je  diron  Noei  gaiman. 

voilä;  mai,  ma;  chailemie,  flute  champetre,  du  lat.  calamus  (en  bas  lat. 
calamia).  18  ai,  a;  jue,  jouer.  20  failli,  faillir;  ene,  une  (masc. 
ein,  un).  21  tantö,  tantöt.  22  muzöte,  musette  (cornemuse).  25 
suble,  siffle,  fais  siffler;  inf.  sublai;  marle,  merle.  27  jor,  jours. 
28  fuamman,  courammant;  comme  coramman  vient  de  courir,  fuamman 
qui  a  la  meme  signification,  se  derive  de  fuir.  30  gade,  garde  (aussi  au 
milieu  des  mots  l'r  est  tres-souvent  supprime);  eparre  (aussi  eprarre), 
apprendre.  31  mes,  devant  une  consonne  me,  mes;  ozeä,  oiseaux  (au, 
comme  eau  se  prononce  toujours  en  bourguignon  eä).  32  de,  devant  une 
voyelle  des,  des;  quarre:  Tout  carre  ayant  quatre  angles  ou  coins,  cha- 
eun  de  ces  coins  s'appelle  quarre.  La  prononciation  de  quarre  se  con- 
serve  dans  quarre four  qu'on  ecrit  plus  communement  carre four.  De 
pairöle  de  quarre  sont  des  paroles  qui  ont  besoin  d'etre  redressees. 
33  maiquerea,  maquereau ;  coupau,  cocu;  ma,  mais.  37  depeü,  de- 
puis;  Matin,  Martin. 

II.  1  Guillö,  diminutif  de  Guillaume,  par  corruption.  2  Röbin, 
nom  propre;  fem.  Röbeigne,  v.  I,  5.  Robin  ou  le  diminutif  Robinet, 
etant  encore  aujourd'hui  le  nom  des  moutons  en  France ,  il  y  a  grande  ap- 
parence  que  les  robinets  de  fontaines  ont  ete  ainsi  nomraes,  parce  qu'ils 
etaient  et  sont  encore  faits  pour  la  plupart  en  tete  de  mouton.  4  ture- 
lurelu, mot  fait  expres,  pour  imiter  le  son  de  la  flute;  patapata- 
pan, son  du  tambour  fran9ais;  (colintampon ,  son  du  tambour  suisse). 
[Pour  donner  encore  d'autres  exemples  de  ces  termes  factices,  on  a  fait 
mention  dans  le  glossaire  de  cette  description  du  chant  de  l'alouette  par  du 


266  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

C'eto  lai  möde  autref'oi  Turelurelu  cet. 

De  loüe  le  roi  de  roi         .  Au  son  cet. 

Au  son  cet.  Fezon  lai  nique  ai  Satan. 
10  Turelurelu  cet. 

Au  son  cet.  L'homme  et  dei  son  pu  d'aicor 

Ai  nos  an  fau  faire  autan.  20  Que  Iai  neute  et  le  tambor. 

Au  son  cet. 

Ce  jor  le  Diale  at  ai  cu,  Turelurelu  cet. 

Randons  an  graice  ai  Jesu  Au  son.  cet. 

15  Au  son  cet.  Chanton,  danson,  sautons  an. 

Bartas,  en  ces  quatre  vers  du  5.  liv.  de  sa  1.  Semaine: 

La  gentille  Alouette  avec  son  tire-lire 

Tire  -  lire  -  a  -  lire,  et  tire-lirant  tire 

Vers  la  voute  du  Ciel,  uuis  son  vol  vers  ce  lieu 

Vire,  et  desire  dire:  adieu  Dieu,  adieu  Dieu. 

Et  dans  un  autre  passage,  en  parlant  de  ce  refrain  d'un  vaudeville  de  1G87 : 
Flon  flon,  larida  dondaine.  Flon,  flon,  flon,  larida  dondon: 
„II  etoit  aise,  dit  le  glossateur,  d'entendre  ce  que  signifioit  ce  flon -flon,  par 
le  quatrain  qui  le  precedoit.     Dans  celui-ci  par  exemple: 

Si  ta  femme  est  mecbante, 
Aprens  lui  la  chanson, 
Voici  comme  on  la  chante 
Avec  im  bon  bäton. 
Flon -flon  cet. 

Le  refrain  marquoit  la  vigueur  avec  laquelle  il  faloit  fraper.  Mais  dans 
cet  autre  quatraiu : 

Vous  devenez,  Lisette, 
Plus  jaune  que  souci. 
Scavez-vous  la  recette? 
Lisette,  la  voici: 
Flon -flon  cet. 

Le  flon -flon  signifioit  autre  chose".]  On  peut  encore  y  ajouter  la  jolie 
fanfare  de  cor,  Ton  ton,  tontaine  ton  ton,  qui,  la  saison  de  la  chasse 
venue,  retentit  encore  aujoürd'hui  d'un  bout  de  la  France  jusqu'a  l'autre;  et 
pour  citer  aussi  un  exemple  d'un  auteur  latin,  ce  vers  de  Virgile  (Endide  liv. 
Villi  503): 

At  tuba  terribilem  sonitum  procul  aere  canoro 
Increpuit; 
avec  cette  glose  de  Servius:  „Terribilem  sonitum]  hemistichium  Ennii: 
nam  sequentia  iste  mutavit.  Ille  enim  ad  exprimendum  tubae  sonum  ait: 
Taratantara  dixit.  Et  multa  huius  modi  Vergilius,  cum  aspera  invenerit, 
mutat.  Bene  tarnen  hie  electis  verbis  imitatur  sonum  tubarum".  6  gai- 
man,    gaiment.  7  etö,    etait.  12    il    nous    en     faut     faire     autant. 

13  diale,  diable;  cu,  eul,  le  diable  est  a  eul,  est  pousse  ii  bout,  est  aecule. 

14  graice,  gräces.         18  fezon,  faisons.        19  dei,  dieu;  pu,  plus;  d'ai- 
cor, d'aecord. 


Sur  le  soi-disant  idiorae  bourguignon. 


267 


III.    Le  Noei  de  prince. 
Su   l'Ar :     Lere    la,    lere    lan   lere. 


Veci  l'Aivan,  chanton  Noei, 
An  ce  sain  tarn  le  Fi  de  Dei 
Sor  po  no  d'ene  Vierge  Meire 
Leire  la,  leire  lanleire, 
5  Leire  la, 
Leire  lanla. 

De  söverain  de  chretiantai 
Pu  de  troi  quar  se  son  bötai 
Po  l'alai  voi  dan  sai  chaumeire. 
10  Leire  la  cet. 

Seugu  d'ene  epluante  cor, 
Loüi  Quatoze  antre  d'aibor, 
Töjor  be  var  por  ein  gran-peire. 
Leire  la  cet. 

15  Le  roi  d'Espaigne  graiveman 
Beni  le  Növeä  Testaman, 
Et  ran   graice  au   cier  du  mi- 

.  steire. 
Leire  la  cet. 

Le  Savoyar  an  bon  Francoi 
20  Redöble  ses  acte  de  foi, 


Ma  de  foi  qui  n'ä  pu  ligeire. 
Leire  la  cet. 

Jesu  grulle,  ai  li  fau  du  feü, 
L'Ampereu  söfle  de  son  meü 
25  Et  ne  fai  qne  de  la  femeire. 
Leire  la  cet. 

Guillaume  ven  qui  sofle  aussi, 
Et  qui  cueüde,  quoique  poussi, 
Qu'ai  fere  claire  lai  fouleire. 
30  Leire  la  cet. 

Be  tö  por  y  chaufai  lo  doi 
Danoi,  Poulacrej  Seuedoi, 
Quitteron,  dit-i,  lo  taneire. 
Leire  la  cet. 

35  Ai  meune  aivö  lu  po  lai  main 
Le  Hölandoi  se  bon  aimin, 
Qui  fornisse  au  feü  lai  maiteire. 
Leire  la  cet. 

Son  beä  fraire  le  roi  Jaco 
40  Crie  ai  Jesu:  Mefie  vo 


III.  1  Aivan,  Avent,  le  temps  des  quatre  dimanches  avant  noei. 
2  tarn,  temps.  3  sor  po  no,  sort  pour  nous.  4  leire  la,  leire 
lanleire.  c'est  un.refrain  burlesque  assez  ancien,  conime  on  en  peut  juger 
par  le  Typhon  de  Scarron.  7  chretiantai,    chretiente.  8  pu    de 

troi  quar,  plus  des  trois  quarts;  botai,  bottes.  9  alai  voi,  aller  voir; 
chaumeire,  chaumiere.  11  seügu  (on  dit  aussi  suvi),  suivi;  l'intinitif 
est  suvre,  seüvre  et  seügre;  epluante,  brillante  (epluer,  etinceler); 
cor,  cour.  12  d'aibor,  d'abord.  13  be  var,  bien  vert,  frais.  17  cier, 
ciel,  comme  mier,  miel;  mais  on  ne  dit  pas  fier  pour  fiel;  misteire, 
mystere.  20  ses,  devant  une  consonne  se,  ses.  21  ä,  devant  une 
voyelle  ät,    est;    qui  n'ä  pu    ligeire,    dont  il  n'y  a    pas    de  plus  lagere. 

24  grulle  (fr.  grouille),  tremble.         24  l'empereur  souffle  de  son  mieux. 

25  femeire,  fumee.  28  cueiide,  croit,  cuide,  du  lat.  cogit are;  poussi, 
poussif.  29  claire,  üamber;  fouleire,  feu  bien  allume,  aussi  feu  d'ar- 
tifice;  lat.  focularia.  31  lo  doi,  leurs  doigts.  32  Polacre,  Po- 
lonais,  corrompu  de  Polaque.  33  dit-i,  dit-il;  lo  taneire,  leur  ta. 
niöre.        35  il  mene  avcc  lui.        36  1(5,  les;  aimin,  amis.       37  maiteire, 


268 


S u r  1  e  soi-disant  i d  i o m e  b o u r g u i g n o n. 


De  ce  jueu  de  gibeceire. 
Leire  Ja  cet. 

Jesu  repon:  Vai,   ne  crain 

pa, 
Guillaume  dedan  mesEta 
45  Ne  fere   jaimoi   de   pous- 

seire. 
Leire  la  cet. 

Que  dire  ici  de  Brandebor? 
C'ät  ein  roi  qui  be  jeune  ancor 
N'ä  pa  pro  d'etre  ai  lai  lizeire. 
50  Leire  la  cet. 

Je  ne  scerö  dire  non  pu 
Ce  que  Moyance  e  rezölu, 
Cölogne,  Traive,  ni  Baiveire. 
Leire  la  cet. 

55  Ma  je  sai  be  qu'au  Potugoi 
Jesu  dire:  Piarre,  croi-moi, 
Au    foreä   laisse   tai  rai- 

p  e  i  r  e. 
Leire  la  cet. 


Genoi,  Flörantin,  Pantalon, 
60  Vorein  be,  plian  le  genon, 
Ne  pas  deplie  lai  banneire. 
Leire  la  cet. 

Le  vSuisse  grossiron  le  train 
De  queicun  de  prince  an  che- 
min, 
65  Qui  poire  lai  depanse  anteire. 
Leire  la  cet. 

Cleman  onze  e  pie  du  pöpon, 
Por  öbteni  lai  poi,  dit-on, 
Se  fere  potai  dan  sai  cheire. 
70  Leire  la  cet. 

Ma  j'ai  be  pö  que  tö  fache, 
Po  no  pugni  de  no  peiche, 
L'Anfan    ne    reponde    au    sain 

Peire : 
Leire  la,  leire  lanleire 
75  Leire  la, 
Leire  lanla. 


matiere.  41  jueu  de  gibeceire,  joueur  de  gibeciere,  trompeur.  44  de- 
dan, comme  dans  le  vieux  fr.,  dans.  45  jaimoi,  jamais;  pousseire, 
poussiere.  48  c'ät,    c'est.         49  pro,    pret;    lizeire,    lisiere.  [Le  glos- 

saire :  Le  marquis  de  Brandebourg  ayant  pris  le  titre  de  roi  de  Prusse  en 
1701,  on  a  dans  le  noel  fait  cette  meme  annee-lk,  pris  occasion  de  dire  que 
c'etoit  un  roi  naissant  qui  n'e'toit  pas  pret  d'etre  a  la  lisiere.]  51  scerö, 
saurais.  52  e,  a.  56  Piarre.  [Gloss. :  Henri  Etienne  dans  une  re- 
montrance  aux  gens  de  cour  qui  de  son  temps  prononcoient  je  foas,  je 
voas  pour  je  fais,  je  vais,  conclut  par  leur  predire: 

En  la  fin  vous  direz  la  guarre. 
Place  Maubart,  et  frere  Piarre.] 

57  foreä,  fourreau;  raipeire,  rapiere.  59  Pantalon,  Venitiens,  ainsi 
nommes  ä  cause  de  S.  Pantaleon,  leur  ancien  patron.  60  vorein,  vou- 
draient;  genon,  genou.  61  deplie,  deployer.  (en  fran9ais  on  observe 
quelque  distinction  entre  deployer  et  deplier.  On  deploie  une  enseigne, 
on  deplie    une    serviette.);    banneire,    banniere.  64  queicun,    quel- 

qu'un.  65  poire,  payera;  anteire,  entiere.  67  e  pie,  aux  pieds ; 
pöpon,  poupon.  68  poi,  paix.  69  potai,  porter;  cheire,  cbaire, 
aussi  chaise.         71  pö,  peur.         72  pour  nous  punir  de  nos  pdches. 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

IUI.   Noei. 

Su  l'Ar:  Vötre  jeu  fait  ici  grand  bru'it. 

D  ialögue 
de  Simon  et  de  Lucä. 


269 


Simon. 
Sai  tu  be  Lucä,  mon  voisin, 
Qu'ene  cöple  de  Cherubin 
Tö  mointenan  ven  de  me  dire, 
Que  Dei  de  no  lärme  töche, 
5  No  depoche  ici  son  Messire 
Aifin  d'efaici  no  peiche? 

Ai  m'on  di  qu'ai  ne  veno  pa 
An  Rödömon,  an  Fierabra, 
Armai  du  feü  de  son  tonnarre, 
10  Don,  quant  ai  le  röle  dans  l'ar, 
Ai  fai  tramblai  le  quate  quarre 
Et  le  mitan  de  l'univar. 

Lucä. 
Ai  sere  don  du  moin  venun 
An  roi  qui  n'ä  pa  du  comun, 
15  Seügu  d'ene  cor  de  pu  belle, 
Lu  de  qui  l'on  e  di  can  foi, 
Que  se  pie  fon  los  escabelle 
De  lai  tete  des  autre  roi. 

Simon. 
Nainin,  ai  n'ä  pa  triomfan, 
20  Ce  n'ä,  dize  -t  -  i,  qu'ein  Anfan, 
Frai  soti  de  flan  de   sai  meire, 
San  brizai  pote,  ni  varö, 


Come  au  travar  d'ene  vareire 
Passe  lai  clatai  du  sölö. 

Lucä. 
2  5  Q'ät  ein  Anfan  ?  me  di  tu  vrai  ? 
Tan  meü,  velai  tö  note  fai. 
Tu  sai  be,  quant  ein  anfan  crie, 
Que  por  an  epoize  le  cri 
Ai  ne  fau  qu'ene  chaiterie, 
30  Vou  qu'un    sublö,    vou    qu'un 
trebi. 

Simon. 
Tu  veu  dire  que  je  feron 
Du  Peti  ce  que  je  voron. 
Je  n'aivon  qu'ai  parre  coraige: 
J'airon  por  ein  Alelüa 
35  Le  Pairaidi  et  son  fignaige; 
N'ä-ce  pa  bon  marche,  Lucä? 

Lucä. 
Voüei,  Simon,  veci  jeusteman 
Lai  Loi  du  Növeä  Testaman. 
Le  Pöpon  nos  y  traite  an  fraire, 
•40  Ai  n'ä  fiölan,  ni  rebor, 

Aidieu    vanjance,     aidieu     cö- 

laire, 
Ran  po  crainte,  tö  por  aimor. 


Uli.    2  cöple,  couple.  3  mointenan.  maintenant.  4  töche 

touche.  5  no  depoche,  nous  depeche.  G  afin  d'effacer.  8  Quant 
ä  l'etymologie  de  Fierabra,  il  n'est  peut-etre  pas  mal-ä-propos  de  dire  que 
ce  mot,  en  bas  lat.,  s'ecrit  Ferribrachius.  9  armai,  arme\  10  ai 
le  röle,  il  le  roule.  11  le"  quate  quarre,  les  quatre  coins;  v.  I  32. 
12  mitan,  milieu.  13  ai  sere  don,  il  sera  donc;  venun  (v.  III  36  ai- 
min),  venu.  16  can  foi,  cent  fois.  17  los  leurs  (devant  une  con- 
sonne  lo).  19  nainin,  nenni.  21  frais  sorti  des  flancs.  22  brizai 
pote,  briser  porte;  varö,  verrou.  23  vareire,  fenetre  de  verre.  24  cla- 
tai, clarte;  sölö,  soleil.  26  voilä  tout  notre  fait.  28  dpoizd,  apai- 
ser.  29  chaiterie,  friandise.  30vou,  ou;  sublö,  sifflet,  petite  flute 
d'cnfant;    trebi   (lat.  turbo),    sabot,    sorte    de  toupie.        32  voron,   vou- 


270  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

V.  Noei. 
"Su  l'Ar:    Si  la  cruelle  se  rit  de  moi. 

Dialögue. 
Un  Borgei.        Sai  Fanne.        Lai  Vierge. 

Le  Borgei.  Mai  clarceleire, 

Fanne  coraige,  Mon  goudö  blan. 

Le  Diale  ä  mor,  Gai,  marchon  gai,  töjor  gai,  no 

Aipre  l'oraige  pa  pö 

J'on  le  beä  jor,  15  Que  je  m'erete, 

5  Dei  pre  d'ici  repöse  ammaillötai  Je  meur  de  voi  ce  garcenö, 

Su  lai  fretille,  Don  no  pröfete 

Les  Ainge  ai  force  de  chantai  Fon  tan  de  fete. 
S'an  egözille, 

Föt  an  fremille.  Le  Borgei. 

Ve  sai  cabane 

Lai  Fanne.  20  Dreusson  no  pa, 

10  Q'ä  niai  gorgeire,  An  tan  tu  l'ane 

Mon  jazeran,  Qui  fai  hin,  ha? 


drons.  33  aivon,  avons;  parre  (etprarre)  coraige,  prendre  courage. 
35  fignaige,  finage,  territoire,  contree.  37  vouei,  oui.  40  fiölan, 
fannfron,  presomptueux;  rebor,  rebours,  reveche.         42  ran,  rien. 

V.     2  a  mor,  est  mort.        4  j'on  (et  j'aivon),  nous  avons.  5am- 

maillötai,  emmaillote.  Gfretille,  paille,  terme  de  l'argot.  Segözille, 
egosillent.  9  fremille,  fourmille,  retentit.  10  gorgeire,  11  jazeran. 
[Gloss.:  gorgere,  gorgerette,  collet  antique  de  femme  servant  ä  couvrir  la 
gorge  et  le  cou.  Les  gorgeres  des  feinnies  avoient  emprunte  leur  nom  des 
gorgeres  des  gens  de  guerre,  lesquelles  faisoient  partie  de  Tarmure,  et  c'est 
ce  que  depuis  on  a  nomine  baussecou  (hausse-col).  II  en  est  de  meme 
des  jaserans,  ou  coliers  tissus,  les  uns  a  maille  d'or,  les  autres  ä  maille 
d'argent,  a  la  maniere  des  jaserans  de  guerre,  ainsi  nommez,  parce  que 
c'ätoient  des  cottes  tissues  ä  mailles  d'acier,  en  Espagnol  azero,  d'ou  le 
mot  jazeran,  ainsi  ecrit  anciennement,  a  ete  forme.]  12  clarceleire, 
clavier,  d'oü  pendent  les  clefs  que  les  paysannes  portent  a  leur  cöte\ 
13  goudö,  jupe  plissee.  15  erete,  arrete.  16  garcenö,  petit  en- 
fant.  22  hin,  ha,  cri  de  l'äne.  [Gloss.:  De  nos  jours  un  professeur  en 
humanitez  donnant  une  representation  publique  du  mystere  de  la  Nativite, 
y  introduisoit  quatre  animaux;  le  beuf  et  l'ane  de  la  creche,  le  coq  de  la 
Passion,  et  l'ägneau  de  S.  Jean  Baptiste,  les  faisant  parier  chacun  a  leur 
maniere.  D'abord  le  coq  entonnoit  d'une  voix  percante  comme  celle  du  coq 
de  l'horloge  de  S.  Jean  de  Lyon:  Christus  natus  est.  Le  beuf  avec  un 
long  mugissement  demandoit:  ubi?  prononcant  ä  l'allemande  oubi.  L'äg- 
neau repondoit:  in  Bethleem,  trainant  beaucoup  la  premie're  syllabe  de 
Bethleem;  sur  quoi  l'ane  concluoit :  hinhamus,  hinhamus,  ce  qui  en  son 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 


271 


Antron :  Dei  gar,  bon  jo  moitre 

Jözai, 
Daime  Mairie, 
25  Je  venon  po  voi,  s'ai  vö  plai, 
Le  fru  de  vie, 
Note  Messie. 

Lai  Fanne. 

Su  son  vizaige 

Tö  clar  on  li 
30  Que  c'ä  l'övraige 

Du  Saint  Esprit : 

Q'ä  po  le  seur  un  vrai  Dei  tö 
naquai. 

Voü  son  se  gade? 

On  antre  che  lu  san  coquai, 
35  Poin  d'haulebade, 

De  rebufade. 

Le  Borgei. 

C'ä  lai  figure 
Du  cier  Ovar. 
Pu  de  clöture, 
40  Pu  de  rampar. 

Je  tröveron  san  senai,  san  ra- 

clai, 
Töte  ebanee 


Lai  pote  de  ce  gran  palai, 
Qui  tan  d'annee 
45  Fu  condannee. 

Tö  deu  an  sänne. 

Vierge  parfaite, 
Je  vos  öfron 
Quatre  baivaite, 
Deu  culoron. 
50  Je  ne  scerein  faire  que  de  pre- 
zan 
De  trois  öböle. 

Ca  dan  le  main  de  Graipeignan 
Que  le  pistöle, 
Les  ecu  röle. 

Lai  Vierge. 

55  Cöple  benie, 

Le  saint  Anfan 

Vo  remarcie, 

El  ä  contan. 

Ce  n'ä  ni  l'or  ni  l'arjan  croye 
moi 
60  Qui  l'efriande. 

Un  grain  de  moutade  de  foi, 

Velai  l'öfrande 

Qu'ai  vo  demande. 


langage  signifioit  eamus.]  23  Dei  gar,  dieu  garde;  moitre  Jözai,  maitre 
Josephe.  25  s'ai  vö  plai,  s'il  vous  plait.  32  seur,  sür;  naquai.  [Gloss.: 
Faire  sortir  de  son  nez  l'excrement  nomine  en  Francois  morve,  en  Bourguig- 
non naque.  On  dit  d'un  morveux  qu'ai  ne  fai  que  naquai  et  naquai 
alors  est  infinitif,  qui  devient  participe  lorsque,  au  Heu  de  dire  d'un  enfant 
qui  resemble  extremement  ä  son  pere,  que  c'ä  le  peire  tö  c  reicht,  on 
dit,  a  peu  pres  dans  une  meine  idee,  que  c'ä  le  peire  tö  naquai. J 
33  voü,  oü;  gade,    gardes.  34  coquai,  heurter,    du    lat.    culcare. 

35  haulebade,  hallebarde.  36  rebufade,  rebuftäde.  38  övar,  ou- 
vert.  41  senai,  sonner;  raclai,  räcler.  42  ebanee,  entierement  ou- 
verte.  48  baivaite,  bavettes.  50  scerein,  saurions;  prezan,  pre"- 
sents,  cadeaux.  52  Graipeignan.  [Gloss.:  Grapignan,  nom  d'un  jeune 
procureur  avide  et  fripon,  introduit  en  diverses  scenes  Francoises  de  la  Ma- 
trone d'Ephese,  Comedie  Italienne.  De  lä  tous  les  fripons  de  cette  esp&ce, 
recouvreurs  de  dettes,  gabeleurs,  et  autres  maltotiers,  pcuvent  etre  nommez 
Grapignans.]        60  efriande,  affriande.         61  moutade,  moutarde. 


272 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 


VI.  N 
Priere    po 
Su  l'Ar:     De    Je 

Aujodeü  que  Noei  devrö 
Regaudi  no  coree, 
Haila  lai  poi  Ion  tarn  po  no 
A  pranture  antarree. 
5  L'Ampire  ät  armai  jeusqu'e  dan, 
C'ä  pei  que  ce  n'eto  du  tarn 
De  Jan  de  Var,  de  Jan  de  Var. 
De  Jan  de  Var,  de  Jan  de  Var. 

Porquei  diantre  ansin  relemai 
10  Le  feü  dessu  lai  tarre? 

Le  jan  son  ben  anvairimai, 

De  no  rebötre  an  garre. 

Ne  porron-je  come  autrefoi, 

Au  bö  de  Vincene  revoi 
15  Ce   Jan  de  Var?    ce  Jan   de 
Var? 

Ce  Jan    de  Var?   ce    Jan  de 
Var? 


oei. 
lai    poi. 

de     V  e  r  t. 


an 


20 


Vou  baille  no,  bea  sire  Dei, 

Lai  poi  tan  demandee, 

Vou  danno  cöfre  ai  pleinpenei, 

De  l'or  tö  des  andee. 

Ai  nos  an  fau  de  benäton 

Po  detrure  le  rejeton 

De  Jan  de  Var,  de  Jan  de  Var, 

De  Jan  de  Var,  de  Jan  de  Var. 


25  Le  Maige  vo  fire  prezan 
D'ancan,  d'or  et  de  myere. 
Ie  n'aivon  pas  bezoin  d'ancan, 
Loüi  n'an  manque  guere. 
Lai  myere  ambaume  le  chanei, 

30  Je  lai  laisson  be  velantei 

Ai  Jan    de   Var,    ai   Jan    de 

Var, 

Ai  Jan    de  Var,    ai   Jan    de 

Var. 


VI.    poi,    paix.  I  aujodeü,    aujourd'hui.         2  regaudi,    rejouir; 

corde,  intestins  autour  du  coeur,  et  le  coeur  ensemble  (lat.  praecordia). 
3    haila,    helas.  4  pranture,     syncope    de    par    aventure,    peut- 

etre;  antarree,  enterree.  5  e  dan,  aux  dents.  6  pei,  pire,  pis  (lat. 
peius).  7  Jan  de  Var.  [Gloss.:  Jean  de  Vert,  fameux  Coramandant  des 
troupes  Imperiales,  pris  au  mois  de  Mars  1638  par  le  Duc  de  Veimar  dans 
une  bataille  pres  de  Rbinfeld,  et  de  lä  mene  prisonnier  au  bois  de  Vin- 
cennes.]  9    porquei,    pourquoi;    ansin,    ainsi ;     relemai,    rallumer. 

11    jan,     gens;     anvairimai,     envenimes.  12    rebötre,     remettre. 

17  bailld,    baillez,    donnez.  19   cöfre,    coffres;    penei,    panier,    pa- 

niers.  20  tö  des  andee.  [Gloss.:  and^e,  sentier  dans  la  vigne  apelle" 
autrement  raie.  Ces  sentiers  etant  des  especes  de  rues,  qui  ont  leurs  lon- 
gueurs  et  leurs  traverses,  on  dit  tö  des  andee,  pour  marquer  l'abondance 
de  quelque  chose  que  ce  soit,  comme  si  en  disant  qu'on  en  aura  tp  des 
andee,  on  donnoit  a  entendre  qu'on  en  aura  tout  du  long  et  du  large. 
Les  Vignerons  Latins  apelloient  ces  sentiers  antes,  d'un  nom  qui  aproche 
de  celui  d'andees,  mais  que  je  ne  crois  pas  ne'anmoins  en  etre  l'origine,  y 
ayant  plus  d'aparence  que  c'est  de  l'Italien  and  ata,  que  vient  le  Bour- 
guignon and6e.]  21  b^naton,  panier  a  mettre  la  vendange.  Ce  mot 
vient  de  bene,  sorte  de  grande  manne  ovale  dans  laquelle  on  voiture  du 
charbon  en  Bourgogne.  25  Maige,  Mages.  26  an9an,  encens;  my- 
6t e,  myrrhe.  29  chanei,  charniers,  caveaux  oü  les  particuliers  de  quelque 
famille  ont  droit  de  se  faire  enterrer.         30  velantei,  volontiers. 


Sur  le  soi-disant  idiome   bourguignon.  273 

Po  l'or,  ai  serö  de  saizon.  Fere  be  de  Reitre  vredai 

Que  n'on-je  queique  Maige,  Ve  Jan  de  Var,  ve  Jan  de  Var, 

35  Qui  nos  an  epote  ai  foizon  ?  Ve  Jan  de  Var,  ve  Jan  de  Var. 
J'an  ferein  bon  uzaige; 

Je  ne  no  tröverein  pa  cor,  Ma  lai  garre  ne  fu  jaimoi, 

Je  ne  maudirein  pa  si  for  50  Seigneur,  ein  bon  refuge. 

Le  Jan  de  Var,  le  Jan  de  Var,  Du  tombeä  remene  lai  poi, 

40  Le  Jan  de  Var,  le  Jan  de  Var.  Forres-y  le  graibuge. 

Qu'el  y  so  si  ben  epöti, 

El  ä  vrai,  gran  Dei,  j'estimon  Qu'ai  n'an  peusse  non  pu  soti 

Que  l'Aigle  aire  du  peire.  55  Que  Jan   de  Var,  que   Jan  de 

Victor,  Cateigna,  Vaudemon  Var, 

Son  troi  brave  raipeire.  Que  Jan  de  Var,   que  Jan  de 

45  Villeroi  poussan  son  bidai,  Var. 

VII.  Noei. 
Su  TAr:     Bannissons  la  melancolie. 

Vo  tröque  le  sejor  des  ainge  Vos  etein   si  ben  ai  vote  aize. 

Anpor    quoi?    c'at    anpor    ene  5  On  n'ä  pa  che  no, 

grainge ;  Beä  Dei,  ne  vo  deplaize, 

Le  tröc  ät  etrainge.  Aussi  be  qu'on  ä  che  vo. 


35  epote  ai  foizon,  apporte  ä  foison.  37  cor,  courts.  43  Victor. 
C'est  le  duc  de  Savoie  Victor  Amedee  II  du  nom,  qui  en  1701  paraissait 
etre  dans  les  interets  de  la  France;  Cateigna,  le  marechal  de  Catinat; 
Vaudemon.  Charles  -  Henri  de  Lorraine,  prince  de  Vaudemont.  45  Vil- 
leroi. Francois  de  Neufville,  marechal,  duc  de  Villeroi;  bidai,  bidet. 
4G  reitre,  cavaliers,  mot  allernand:  vredai,  fuir  (en  bas  lat.  veredare). 
47  ve,  vers.  49 jaimoi,  jamais.  52forres,  fourrez;  graibuge.  [Gloss.: 
grabuge,  discorde,  quereile.  Grabuge  qu'on  croit  vieux  dans  notre  langue, 
n:y  etoit  pas  connu  il  y  a  cent  ans.]  53  so,  soit;  epöti.  [Gloss.:  Laisser 
long  tems  cuire  au  pot  queique  viande  que  ce  soit,  en  sorte  que,  comme 
on  dit,  eile  en  soit  pourrie  ä  force  de  cuire.  De  lä  figurement  on  souhaite 
que  le  grabuge  demeure  epöti  dans  le  tombeau,  c'est-a-dire ,  qu'il  y  crou- 
pisse,  qu'il  y  tienne  a  n'en  pouvoir  sortir,  qu'il  y  pourrisse.] 

VII.  1  tröque,  troquez.  2  anpor,  pour,  pour  le  prix,  en  e"change; 
grainge,  grange.  8  escögrife.  [Gloss.:  grand  vilain  escroc.  Ce  mot 
n'est  pas  Bourguignon,  mais  purement  burlesque.  On  ne  s'en  est  guere 
servi  avant  Tan  1640.  Cyrano,  Acte  I.  Scene  1  de  son  Pedant  joue,  a  ecrit 
escogrif  et  Caif  dans  une  boutade  de  73  petits  vers  tous  rim^s  en  if.] 
9  sacar.  [Gloss.:  On  apelle  ä  Dijon  sacards  ces  gens  qui  en  tems  de 
peste  enterrent  les  corps  des  pestiferez ,  et  qui  dans  cette  occasion  volent 
tout  ce  qu'ils  trouvent  sous  leur  main  dans  les  maisons  des  malades.  On 
entend  par  ce  mot  tous  coquins,  pendards,  gens  de  neant,  et  comme  on  dit 
-Archiv  f.   n.  Sprachen.    XXVIII.  18 


274 


Sur  le  soi--disant  idiome  bourguignon. 


Contre  vo  troi  faus  escögrife, 
Troi   sacar,    Pilate,    Anne  et 
Caife 
10  Eguze  lo  grife. 

Peut-on  voi,  sans  an  etre  grei- 

gne5 
Qu'ein  aigneä  si  dou, 
Ignöcamman  s'an  veigne 
Bötre  ai  lai  gorge  du  lou  ? 


15  J'aivon  fai  de  faute  si  lode, 

Et  potan  yote  miserieode 

Su  no  se  debode. 

Lai  bontai    don    vote  ame 
plene, 

Ne  reparme  pa 
20  Jeusqu'au  san  de  vo  vene, 

Et  le  iö  po  des  ingra. 


VIII.  Noei. 
Ouvertüre    de   Bellerophon. 


Lucifar 

N'ä  pa  si  gran  clar 
Qu'on  panseroo; 
El  ä  si  bete  qu'ai  croyoo, 
5  Que  Dei  varoo 
An  gran  eproo, 
Qu'ai  poteroo 
Et  l'or  et  lai  soo, 
Que  le  moindre  roo 
10  Qui  vireroo 
Su  se  lochefroo, 
Sero  de  geleignöte  de  boo. 
De  tö  loin  qu'ai  vi  Baltazar, 


Melkior,  Gaspar, 
15  Epotai  lo  prezan 

E  genon  du  chetit  anfan, 

Qui  grullö,  qui  claquö  de  dan, 

Ai  se  möquo  de  l'or, 

Dizan :  Velai  de  gran  butor ; 
20  Ein  garcend 

San  baibillö, 

Un  hairai  de  gredin 

E  be  lai  ineigne  d'un  Daufin. 

Ma  quan  Dei  lassai  de  se  caiche, 
25  S'ambrui  de  pröche, 

Que  fu  le  Mon  Talbor  an  l'ar, 


de  sac  et  de  corde.  II  vient  de  I'Italien  saccardo,  pris  dans  Matteo 
Villani  pour  goujat  selon  les  Academiciens  de  la  Crusca,  ou  selon  le 
Tassoni    pour    un    pillard.j  10  aiguisent    leurs    griffes.  11  gr eigne, 

triste,  affige.  12  aigneä,  agneau.  14  bötre,  bouter,  mettre.  15  lode, 
lourdes.         16    potan    vote,    pourtant  votre.  17  sur  nous  se  deborde. 

19  reparme,  epargne  (re"pargne). 

VIII.  1  Lucifar.  [Gloss. :  De  Lucifer  nos  vieux  Gaulois  ont  fait,  les 
uns  Lucibel,  les  autres  Luciabel ;  et  pour  Lucifar,  nos  bonnes  gens  de 
Bourgogne  disent  tres  -  souvent  Cifar.]  2  clar,  clerc.  3  panseroo 
ou  panserö,    penseroit.  5  varoo,    viendrait.  6  eproo,    appret. 

7  poteroo,  porterait.  8  soo,  soie.  9  roo,  rost,  röti.  10  vireroo, 
tournerait.  11    lochefroo,     lechefrites.  12   geleignöte    de  boo, 

gelinottes    des    bois.  15  apporter    leurs    presents.         IC  6  genon,  aux 

genoux;  chetit,  devant  une  consonne  cheti,  chetif.  17  grullö,  v.  III 
23;  claquö  dd  dan,  claquait  des  dents,  grelotait  de  froid.  18  möquo, 
moquait.  21  baibillö,  bavette.  22  hairai,  enfant,  diminutif  du  lat. 
herus  (boir).  23  ineigne,  mine.  25  s'ambrui  de  pröche,  se  mit  en 
train  de  precher.    [Gloss.:  Linfinitif  de  ce  verbe  c'est  ambruer,  forme,  ce 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  275 

Ai  reluzi  corae  ein  quelar,  De  tö  celai, 

Qu'ai  redreussi  le  biliar,  Santi  que  son  cä  etö  säle, 

Fi  voi  les  eveugle  clar,  Et  vite  au  fin  fon  d'anfar 

30  Le  Diale  35  Cori,  san  dire  mö,  se  meussai 
Emorvaillai  tö  camar. 


Villi.  Noei. 

Su  l'Ar:     Si  le  destin   te  condamne  a  l'absence. 

Voizin,  c'ä  fai,  Ce  n'ä  pas  de  moime  an  Chre- 

Le  troi  messe  son  dite,  tiantai. 

Dens  heure  on  senai,  Maingeon  du  por  f'rai. 

Le  boudin  e  cou'ite,  10  Maingeon,  j'airon  bru 
5  L'andoüille   ä  pröte ,   alon   de-  D'etre  pu  bon  catölicle, 

Si  lai  loi  juda'icle  [jeunai.  Pu 

Defan  le  lar  corae  hereticle,  Je  seron  frian  de  gorai. 


semble,  de  la  preposition  en  et  de  bruit.  Quand  les  enfants  voient  que 
leur  sabot,  leur  toupie,  ou  leur  moulinet  commence  a  tourner  de  bonne 
sorte,  ils  disent  en  Bourguignon,  que  leur  trebi,  leur  fiade,  leur  melin 
s'ambrue,  c'est-ä-dire,  coimnence  a  faire  du  bruit  en  tournant,  et  de  la 
par  metaphore  s'ambruer,  pour  se  porter  a  faire  quelque  chose  avec  fer- 
veur.]  26  Talbor.  [Gloss. :  Thabor,  montagne  oü  se  fit  le  miracle  de 
la  transfiguration.  Au  lieu  de  Thabor  on  a  dit  Talbor  par  une  ignorance 
affectee  en  la  personne  du  vigneron  Barözai  qu'on  feint  etre  l'auteur  de  ces 
noels.]  27  quelar.  [Gloss.:  ardent,  meteore  enflamme,  feu  sautelant  qui 
paroit  de  nuit  autour  des  marais.  Quelar  vient  de  clair,  röguliörenient  il 
faudroit  ecrire  clar,  mais  comme  on  prononce  quelar,  il  a  fallu  aussi 
lecrire,  parce  qu'en  Bourguignon  l'orthographe  est  d'ordinaire  conforme  ä 
la  prononeiation.]  28  redreussi,  redressa,  fit  marcher  droit;  biliar, 
boiteux.         81.  32    emerveille    de    tout  cela.        33  cä,  cas.  34  au    fin 

fond,  tout  au  fond.  [Gloss.:  Philippe  de  Comines,  comme  l'observe  Paquier, 
chap.  dernier  du  8.  liv.  de  ses  Recherches,  a  dit  parlant  de  quelques  Seigneurs, 
qu'ils  etoient  au  fin  bord  de  la  riviere  de  Seine.  Moliere,  sc.  der- 
niere  du  2.  acte  des  Fächeux,  fait  dire  a  Dorante: 

Et  nous  fumes  coucher  sur  le  pays  expres, 
C'est- a- dire,  mon  eher,  en  fin  fond  de  forets. 

Ainsi  fin  fond  c'est  la  fin  du  fond.]  35  meussai,  cacher,  du  lat. 
mussare,  parier  entre  ses  dents,  ä  basse  voix  et  meine  se  taire;  camar, 
camard. 

Villi.  3  on  senai,  ont  sonne.  4  e  couite,  a  hüte.  5  pröte, 
prete.  8  moime,  meine.  10  bru,  bruit.  13  gorai,  göret,  cochon 
du  lat.  verres. 

18* 


276 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

X.  Noei. 
Su  l'Ar:     La  Saint  Martin. 


Vive  Noei, 
Q'at  ene  bone  fete, 
J'an  aivein  metei, 
Lucifar  et  ses  ecoussei, 
5  Aujodeü,  graice  ai  lai, 
Boisse  lai  crete, 
Du    bon  Dieu   je  devenon    le 

fraire, 
Po  no  randre  gran,  ai  s'ä  ran- 

du  peti, 
Ene  fanne  contre  no  l'irriti, 
10  Ene  autre  fanne  epoise  sai  cö- 

laire. 

Le  fiermaman, 
Fai  po  l'humain  lignaige, 
Li  fu  cepandan, 
Depeü  lai  sötise  d'Adan, 
15  Fromai  quatre  mille  an, 
Et  daivantage ; 

Ma  dö  qu'ai  Noei  lai  poi  juree 
U  remi  le  Moitre  et  le  Vaulö 

d'aicor, 
Dan  le  cier  on  se  prepari  d'ai- 

bor, 
20  Ai  noz  y  faire  ene  joyeuse  an- 

tree. 


On  retandi 

D'haute-lice  növelle 

Tö  le  pairadi, 

L'arcainge  Miche  vargeti 
25  Le  meuble  du  logi 

D'aivö  ses  aile, 

Ein  autre  epreti  de  caquetore, 

De  siege  mölai  por  y  bötre  de 
ran 

Les  ame  de  no  bon  vieu  peire 
gran, 
30  Que  Jesu  vin   tire  de  lai  ban- 
dore. 

Ai  dire  vrai, 

Tö  ce  bon  patriäche, 

Sai,  Lamai,  Jarai, 

Mailaileai,  Maithieusalai, 
35  Trövire  jeusque  lai 

Dei  be  riäche; 

Ai  se  consölein  dan  l'esperance, 

Me  dire  queicun,  ma  je  repon, 
que  si 

Aifureainsi  töjor  lai  sandormi, 
40  El  üre  ma  foi  belle  patiance. 

No,  quan  lai  mor 
Venre  graisse  no  böte, 


X.  3  metei,  melier,  besom.  4  ecoussei,  batteurs  en  grange, 
vanneurs,  du  verbe  ecourre.  5  lei,  eile.  6  boisse,  baissent;  crete, 
crete.  [Bon-mot  du  glossaire:  Deux  Vignerons  a  Dijon  voyant  passer  une 
jeune  fille  qui  avoit  sur  la  tete  une  belle  fontange  rouge:  Padei,  dit  Tun, 
eile  pondre  be  to.  Coman  don?  dit  l'autre:  9'ä,  reprit  le  premier, 
qu'elle  6  lai  crete  be  rouge.  La  plaisanterie  consiste  en  ce  que  les 
poules  n'ont  jamais  la  crete  si  rouge,  que  lorsqu'elles  sont  pretes  a  pondre.] 
9irriti,  irrita.  10  öpoise,  apaise.  15  fromai,  ferme.  17  dö  qu',  des 
qu'.  18  u,  eut;  vaulö,  valets.  21  retandi,  retendit.  24  arcainge, 
archange;  vargeti,  vergeta.  27  epreti,  appreta;  caquetore,  caquetoires. 
28  mölai,  mollets;  ran,  rang.  30  bandore,  prison.  33  Seth,  troi- 
sieme  fils  d'Adam;    Lamech;    Jared.  34  Malaleel;    Mathusalem. 

35  trövire,  trouverent.  36  riäche,  dur,  coriache,  dont  on  a  fait  par 
corruption  riäche.  40  üre,  eurent.  42  on  se  rappelle  involontai- 
rement,  en  lisant  ce  vers,  la  plaisanterie  du  bonhomme  Rabelais ,  qui ,  apres 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  277 

Je  no  feson  for  Et   quan   d'y   geitai ,  je   coron 

D'alai  dan  lai  Celeste  cor,  queique  hazar,      [bar, 

45  San  raibö  ni  detor  Le  padon  de  monsieu  S.  Feule- 

Qui  nos  anröte;  50  No  juche  an  ein  vire-main  dan 

Je  no  detraipon  du  precatoire,  lai  gloire. 

Pour  jeter  encore  un  coup  d'oeil  sur  ce  langage,  le  glossa- 
teur  a  sans  doute  raison  de  dire  (v.  echarre,  chiche,  mesquin), 
que  l'auteur  s'est  efforce'  de  parier  le  bourguignon  le  plus  ex- 
quis,  c'est-ä-dire  le  langage  le  plus  grossier  des  vignerons  les 
plus  rustres.  Donc,  il  a  traite  conforrnement  et  la  declinai- 
son  et  la  conjugaison. 

Quant  ä  la  declinaison,  l'article  du  sing,  pour  le  mas- 
culin  est  le  devant  une  consonne  et  1'  devant  une  voyelle,  pour 
le  feminin  lai  et  1';  du  pluriel  devant  une  voyelle  les,  devant 
une  consonne  le,  car  c'est  une  des  principales  regles,  tant  de 
l'orthographe  que  de  la  prononciation  de  cet  idiome,  que  tout  ce 
qui  ne  ee  prononce  pas  est  retranche.  Ainsi ,  aussi  les  sub- 
stantifs  ont  tout-ä-fait  la  meme  forme  au  sing,  et  au  plur.,  p. 
ex.  noei  signifie  et  noel  et  noels.  Du  reste  on  dit,  comme 
en  francais  du  et  au,  tandisque  le  simple  ä  du  datif  se  pro- 
nonce ai,  p.  ex.  ai  dei,  ä  dieu;  des  enfin  s'ecrit,  selon  les 
circonstances,  de  et  des,  et  au  lieu  d'aux  on  dit  e  ou  es, 
p.  ex.  e  medecin,  aux  medecins ,    es  aivöcar,  aux  avocats. 

La  conjugaison  est  des  plus  rüdes  et  des  plus  ^lementaires, 
mais,  de  nos  jours  encore ,  je  Tai  assez  souvent  retrouv^e  ä 
la  campagne.  Les  pronoms,  a  l'aide  desquels  eile  se  fait,  sont 
pour  la  premiere  personne  du  sing,  indifferemment  je  et  i,  je; 
puis  tu,  tu;  el  devant  une  voyelle,  ai  devant  une  consonne, 
il;  je  et  i,  de  meme  nous;  vos,  vous ;  ai  et  el,  ils.  Seulement 
dans  les  questions,  on  met  i  pour  il  et  ils. 

Voici  la  conjugaison  des  verbes  avoir  et  etre. 

1.  Avoi,  avoir;  pres.  de  l'ind.:  j'ai,  j'ai;  tu  e,  tu  as;    el 


avoir  humblement  recu  le  viatique,  ne  put  cependant  s'empecher  de  dire 
qu'on  lui  graissait  les  bottes  pour  un  grand  voyage.  45  raibö,   inegalite 

de  pave,  endroit  raboteux  dans  le  chemin.  46  anröte,  arrete  en  routc. 
47  ddtraipon,  debarassons;  precatoire,  purgatoire.  48  gditai,  jetds. 
50  vire-main,  tournemain. 


278  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

6,  il  a;  j'aivon  etj'on,  nous  avons ;  vos  aive  et  vos  e% 
vous  avez;  el  on,  ils  ont;  du  subj.:  j',  tu,  el  6  ouoo1)  (des 
trois  personnes),  j',  vos,  el  ain  (ain  de  meme  des  trois  pers.); 
imperatif:  6  ou  oo,  aie;  ain,  ayez;  impf.:  j',  tu,  el  aivö  ou 
aivoo,  j',  vos,  elaivein;  parfait  de  l'ind.:  j ',  tu,  el  u, 
]',  vos,  el  ure;  du  subj.:  j',  tu,  el  eusse2)  (aussi  pour 
eüt),  j',  vos,  el  eussein;  futur:  j'airai,  tu  aire,  el  aire, 
j'airon,  vos  aire,  el  airon;  conditionnel:  j',  tu,  el  airö, 
j',  vos,   el  airein. 

2.  Etre  ou  e'te,  etre;  ötan,  etant;  pres.  de  Find.:  je 
seü3),  tu  e\  el  a  devant  une  consonne,  el  at  devant  une  voyelle 
(a-ce,  est-ce,  c'a,  c'est),  je  son,  vos  ete,  ai  son;  du  subj.: 
je,  tu,  ai  so,  je,  vos,  ai  sein;  imperatif;  so,  sein;  impf, 
^tö,  e'tein;  parfait  de  Find.:  fu,  füre;  du  subj.:  feusse, 
feussein;  fut.:  sere  (des  trois  pers.  du  sing.),  seron,  sere, 
seron;  condit. :  serö,  serein. 

La  conjugaison  des  deux  verbes  auxiliaires  exposee,  la  con- 
jugaison  des  autres  verbes  s'entend  presque  d'elle-meme.  Je  n'ai 
donc  qu'a  ajouter  quelques  particularites.  Ainsi  le  parfait  de 
l'ind.  de  la  Ie  conjugaison  se  forme  pour  toutes  les  personnes 
du  sing,  en  i,  p.  ex.  alli,  allai,  alias,  alla;  pour  toutes  les 
personnes  du  plur.  en  ire,  tandisque,  pour  toutes  les  personnes 
du  sing,  et  du  plur.,  le  parfait  du  subj.  n'offre  que  la  seule  ter- 
minaison  en  isse,  p.  ex.  allisse.  Dans  la  IIe  conjugaison 
l'r  final  de  l'innnitif  est  partout  retranche:  les  verbes  reguliers 
forment  le  parfait  en  i  s  s  i ,  p.  ex.  je  f  r  e  m  i  s  s  i ,  je  f  r  e  m  i  s 
[dire  de  la  IIIIe  conjug.  suit  la  meine  analogie  et  fait  disi 
(en  lat.  dixi),  je  dis]:  les  verbes  irreguliers  suivent  autant 
que  possible  la  flexion  des  verbes  frangais ,  p.  ex  de  cori, 
courir:  pre's.  de  l'ind.  je,  tu,    ai  cor,  je  coron,  vos  core, 


x)  ö  ou  00.  Le  redoublement  ne  sert  qua  marquer  la  longueur  de  l'o 
final. 

2)  eusse.  La  diphthongue  e u  s'y  prononce  comme  dans  les  mots 
j  eu,  feu. 

3)  Seü.  La  prononciation  de  cet  eü  est  particuliere.  Le  son  ressem- 
ble  a  celui  que  formerait  eü  on  ehu  prononce  aussi  vite  que  si  c'etait  un 
monosyllabe  des  plus  brefs.  II  en  est  de  meme  de  l'o  bourguignon  qui  se 
prononce  ohu  p.  ex  dans  aivö,  avec. 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  279 

ai  core;  imp&ratif  cor,  coron;  parf.  cori,  corire;  de  veni, 
venir :  ven,  viens  ;  pres.  du  subj.  veigne;  fut.  varre"  et 
venre,  condit.  varro ;  de  t  e n i ,  tenir :  pres.  du  subj.  t e i g n e  , 
impf,  t  e  n  6 ,  fut.  tarre.  Dans  la  Ille  il  se  trouve  ä  cote"  de 
formes  comme  I  m e  s  e ü  eporsu,  je  me  suis  apercu  et  I 
m'^porsu,  je  m'apercus  (subj.  aperceusse)  des  parfaits 
tels  que  concevi,  concus.  —  Surtout  la  conjugaison  est  plai- 
sante  k  l'optatif,  p.  ex.  Ai  vorö  que  je  vos  ha'isseusse, 
et  au  pluriel  que  je  vo  s  hai's  s  eu  s  s  ein,  il  voudrait  que  je 
vous  haisse,  que  nous  vous  hai'ssions. 

Ce  patois  s'approche  donc  en  g^neral  beaucoup  des  formes 
francaises,  et  cela,  je  crois ,  deviendra  encore  plus  clair ,  quand 
nous  aurons  donne  quelques  remarques  sur  la  grossierete  de  sa 
prononciation. 

Pour  en  eommencer  par  l'h  initial,  le  bourguignon  n'ad- 
met  aucune  aspiration.  Ainsi  l'on  dit  je  l'hai,  je  1' hai's  - 
son,  je  le  hais,  nous  le  haissons. 

Passons  a  la  prononciation  des  voyelles  et  des  diphthongues. 

I.  A. 

a)  l'a  francais  se  prononce  en  general  comme  ai  ou  ce 
qui  veut  dire  le  meme  d'apres  l'orthographe  de  Barözai,  comme 
e  :  p.  ex.  checun  chacun,  b  r  a  i  bras,  9  a  i  9a ,  c  e  1  a i  cela, 
echevan  achevant ,  ecode  accorde ,  1  a  i  et  i  1  a  i  lä  ,  P  a  i  r  i 
san  par  Paris  sans  pair;  quelquefois  aussi  comme  e  ouvert, 
p.  ex.  reige  rage,  er  ei  che  cracher;  comme  emuetenfin 
dans  p  e  n  e  i  panier. 

b)  Tai  francais  au  contraire  se  prononce  souvent  comme 
a,  p.  ex,  par  pair,  clar  clair,  ar  air;  quelquefois  aussi  comme 
o i ,  p.  ex.  raoison  maison,  m o i  t  r  e  maitre,  p  o i  paix,  p o i  r  e 
payera,  p  0  i  t  r  e  paitre,  r  e  b  o  i  s  s  i  rabaissai. 

c)  au  comme  e,  p.  ex.  scerö   saurais,  scerein  t.-aurions. 

d)  eau  comme  eä,  ainsi  que  le  dernier  a  est  allonge 
dans  la  prononciation,  p.  ex.  eä  eau,  növeä  nouveau,  ozeä 
oiseau,  I  z  aibeä   Isabeau  *). 

e)  al   et  ab    devant  1,    devient   au,    p.  ex.  mau  mal,   e- 


')  On    dit   encore   en    francais    au    lieu  d' Elisabeth  Isabellc,    Babet, 
Babette,  Babeau,  Belon  et  peut  -  ein;  dautres  que  je  ne  connais  pas. 


280  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

t  a  u  1  e  Stahle,  t  a  u  1  e  table,  6  z  e  r  a  u  1  e  erable.  [D'une  maniere 
analogue  on  fait  de  o  1  ou,  p.  ex.  s  o  u  d  a  r  t  soldat,  comme  dans 
ces  fatneux  vers  de  Ronsard : 

Je  ne  suis  pas,  m  a  guerriere  Cassandre, 
Ny  Myrmidon,  ny  Dolope  soudart. 

(Amours  I  4).] 

IL  E. 

a)  l'e  rauet  se  prononce  ä  l'ordinaire  comme  a,  p.  ex. 
clar  clerc,  convarsion  conversion,  couvar  couvert,  ofar 
offert,  ovar  ouvert ,  garre  guerre  ,  hyvar  hiver ,  m  a  r  mer, 
marci  merci ,  m a r  1  e  merle,  parche  perche,  p a m e 1 1 e  per- 
mettez  ,  par  sonne  personne ,  P  i  a  r  r  e  Pierre  ,  provarbe 
proverbe  ,  sarmon  sermon,  s a r  p  a n  serpent ,  s  a r  v i  servir. 
[De  cette  categorie  est  aussi  ran  rien.] 

b)  e  muet  et  e  ouvert  comme  o,  p.  ex.  borgei  berger, 
b  o  r  g  e  i  r  e  bergere ,  d  e  p  6  c  h  e  depeche ,  d  ö  q  u  e  des  que ,  e- 
b  o  r  g  e  r  heberger  ,  e  1  e  m  6  t  e  allumette  ,  pro  pret ,  p  r  6  c  h  e 
precher,  1 6  f  r  e  levre ,  m  o  r  c  e  i  mercier  (marchand)  ,  poche 
peche;  quelquefois  on  trouve  aussi  au  pour  e,  p.  ex.  maule 
mele,  maulin-raaulo  pele -  mele  [ c r 6  creux], 

c)  e  comme  e  i ,  p.  ex.  p  e  i  c  h  e  peche. 

d)  e  comme  e  u ,  p.  ex.  m  e  u  n  e  mene. 

e)  ei  et  e  comme  oi,  p.  ex.  foindre  feindre,  fointe 
feinte,  m  o  i  m  e  meme,  p  a  r  o  i  1 1  e  pareille  [  n  o  g  e  neige,  p  o  n  e 
peine,  anciennement  poine]. 

f)  e  1  devient  ou  a  i  ou  ei,  p.  ex.  a  u  t  a  i  autel ,  G  a  b  r  i  a  i 
Gabriel ;  q  u  e  i  quel,  quelle,  quels ,  quelles  et  quoi ;  q  u  e  i  c  u  n 
quelqu'un ,  q  u  e  i  q  u  e  quelque ,  t  e  i  tel ,  s  e  i  sei  (mais  m  i  e  r 
miel,  cier  ciel). 

Qu'on  note  encore  que,  quand  apres  a  et  e  il  suit  la  syl- 
labeli,  on  prononce,  comme  s'ilyavait  gli  avec  im  son  mouille, 
p.  ex.  d  e  g  1  i  c  e  deüces,  m  a  g  1  i  c  e  malice. 

III.  L 

L'i  francais  se  prononce  dans  ce  patois  ou  purement  ou 
comme  ei.  Au  lieu  de  ine  on  dit  ä  l'ordinaire  eigne,  ainsi 
que   le   gn  se   prononce   comme   dans   cygne  (pour  la   termi- 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  281 

naison  une  on  dit  de  meme  eügne),  p.  ex.  coqueigne  co- 
quine,  couzeigne  cousine  (mais  cusene  cuisine),  ai  d eigne 
il  dine  (et  d eigne  digne),  diveigne  divine,  efeignai  affine, 
epeigne  epine,  fameigne  famine,  feignance  finances,  feigne 
fine,  i  mag  eigne  imagine,  ordignaire  ordinaire,  lumig- 
naire  luminaire,  Meignerve  Minerve,  meigne  mine,  mi- 
gnute  minute,  Robeigne  Robine,  veignaigre  vinaigre;  fo- 
teügne  fortune,  leugne  lune,  pugni  puni  [pegnitance  pe- 
nitence.] 

Qu'on  remarque  encore  separement  dei  dieu,  be  bien, 
mene  mien,  raeü  mieux,  et  a  la  fin  des  mots  ei  pour  ier  et 
er,  eire  pour  iere  ou  ere,  p.  ex.  borgei  berger,  borgeire 
bergere,  grenei  grenier,  lizeire  lisiere. 

im.  o. 

a)  o  =  ou,  p.  ex.  pouaite  poete. 

b)  o  =  e,  p.  ex.  senai  sonner  [ai  seune  il  sonne],  que- 
m  a  n  comment  et  commence,  dremedaire  dromadaire. 

c)  ou  =  o1),  p.  ex.  a  u  t  o  r  autour ,  c  6  coup  et  cou ,  a  i 
c 6 1  e  il  coule  ;  c o r  court ,  coronne  couronne,  g  1 6 1 o n  glou- 
ton,  g  6 1  e  goutte,  d  e  t  o  r  detour,  d  i  s  c  o  r  discours,  d  6  z  e  douze, 
jor  jour,  növelle  nouvelle ,  öbliai  oublier,  övraige  ou- 
vrage. 

d)  o  u  =  u  ,  e  u  et  e  :  p.  ex.  s  u  c  he  souche,  Juan  jouant, 
jueu  joueur,  juejoue,  peücepouce,  peuvepouvez,  meuri 
mourir,  meure  mourez,  v  e  1  a  n  voulant,  v  e  1  o  n  voulons,  v  e  1  i 
voulus,  velantei  volontiere. 

e)  o  i  =  o ,  p.  ex.  b  6  bois ;  mais  quand  on  rencontre  d  e*  - 
p  1  i  e  pour  deployer,  anvie  envoyez,  m  i  t  i  e  pour  moitie, 
viaige  pour  voyage,  cela  s'explique  de  la  vieille  langue  2). 


')  Quand  on  trouve  des  formes  telles  que  genon  genou,  genoux,  l'n 
final  est  parasite;  de  meme  dans  nun  nul,  aimin  ami ,  venun  venu;  pour 
prin  pris  et  je  prin,  je  pris  (plur.  prinre)  il  faut,  comme  dans  beau- 
coup  d'exemples  deja  cites,  reeourir  ä  l'ancienne  langue. 

2)  Quant  ä  la  forme  revoiron  reverrons ,  il  faut  se  rappeler  que 
p.  ex.  chez  Ronsard  il  se  trouve  dans  le  meme  sonnet  voirra  ä  cöte  de 
verra  (Amours  I  1): 


282  Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon. 

V.  u. 

a)  u  =  e,  a  et  eu,  p.  ex.  1  e m  e i  r  e  lumiere,  marraure 
murrnure,  pleume  plume,  preune  prune,  seur  sür. 

b)  u i  =  u  et  eil,  p.  ex.  neu,  nuit,  meneü  minuit,  p e ü 
puis,  pussance  puissance ,  c  o  n  d  u  z  6  conduisait ,  detrure 
d&ruire;  fru  fruit,  instrure  instraire. 

A  j  outons  quelques  autres  grossieretös  de  la 
prononciation: 

1)  r  au  niilieu  des  mots  devant  une  autre  consonne  est  par- 
tout supprime,  p.  ex.  clatai  clarte ,  codon  cordon ,  conai 
corner  (sonner  du  cor),  cone  corne,  couvature  couverture, 
d  e  b  o  d  e  deborde ,  e"  t  o  d  i  etourdi,  g  a  d  e  garde  ,  j  a  d  i  n  jardin, 
Jodain  Jourdain,  j  o n e e  journee  ,  libatin  libertin  ,  lode 
lourde  ,  M  a  t  i  n  Martin  ,  mote  morte  ,  moutade  moutarde, 
n  o  t  e  notre,  v  o  t  e  votre,  p  a  d  a  n  perdant,  p  a  d  e  i  pardieu  (par- 
bleu),  padon  pardon  et  perdons,  pal  an  parlant,  pati  partir, 
p  o  t  a n  pourtant ,  p o  t  e  porte  ,  p r  e t e  pretre ,  quate  quatre, 
quatoze  quatorze,  regadö  regardais,  s o t a n  sortant,  sote 
sorte,  vatu  vertu. 

2)  Suppression  d'autres  lettres  au  niilieu  des  mots:  diale 
diable  (comrae  disent  aussi  les  Picards),  nonostan  nonobstant, 
s  u  t  i  e  subtile,  p  ü  plus,  ressanne  ressemble,  a  n  s  a  n  n  e  en- 
semble,  v  e  n  o  n  g  e  vendange,  v  o  r  e  i  n  voudrions,  v  a  u  r  a  n  vau- 
rien,  vaurö  vaudrait,  tarbe  terrible  (par  syncope  de  tarible, 
taribe),  p  a  r  r  e  prendre  avec  ses  composds. 

3)  Transposition  de  lettres:  breusse  berce ,  fremille 
fourmille,  fromai  ferine,  prövepauvre,  t r  e b  i  (du  lat.  turbo) 
sabot,  sorte  de  toupie. 

4)  Lettres  parasites:  ddbille  debile  (se  prononce 
comme  fille),  jambion  jambon,  rizan  riant,  vou  ou,  voü 
oü,  vou  ei  (niais  aussi  ouei,  oui  et  6)  oui. 


et  ensuite: 


Qui  voudra  voir  une  jeunesse  pronte 

A  suivre  en  vain  l'objet  de  son  malheur, 

Me  vienne  voir,  il  voirra  ma  douleur, 

Et  si  verra  queje  suis  trop  heureux 
D'avoir  au  flaue  l'aiguillon  amoureux, 
Plein  du  venin  dont  il  faut  queje  meure. 


Sur  le  soi-disant  idiome  bourguignon.  283 

5)  r  final  est  presque  partout  retranche,  p.  ex.  auteu 
auteur,  coeu  coeur,  fezeu  faiseur,  grenei  grenier,  impri- 
meu  imprimeur,  ligei  leger  (mais  au  fem.  ligeire),  man- 
geu  mangeur,  m  e  t  e  i  nieder,  o  c  a  i  or  ca ,  6  v r  e i  ouvrier, 
p  r  e  m  e  i  premier. 

6)  de  nieme  on  retranche  f  final,  p.  ex.  cheti  che'tif, 
Jui  Juif,  neu  neuf  dans  toutes  ses  significations ,  poussi 
poussif,  s  o  i  soif. 

7)  la  terminaison  ique  se  prononce  icle,  p.  ex.  can- 
ticle  cantique,  catolicle  catholique,  m  u  siele  musique,  jeü- 
daicle  judaique. 

Du  reste,  il  y  a  dans  ce  langage  bien  des  choses  qui  rap- 
pellent  la  langue  de  Ja  renaissance ,  p.  ex.  la  construetion  des 
prepositions  dessu  (dessus) ,  dezo  (dessous) ,  deve  (devers), 
mais  avant  tout  l'emploi  frequent  des  diminutifs.  A  l'ordinaire 
on  croit  que  la  langue  francaise  n'en  a  pas  beaueoup,  mais, 
dans  la  conversation  on  en  rencontre  de  fort  jolis  qui  assure- 
ment  ne  sont  pas  tous  dus  ä  Eonsard.  Catulle  en  avait  donne 
l'exemple  en  latin  et  Ronsard,  en  imitateur  spirituel,  est  tout 
plein  de  ces  sortes  de  diminutifs.  Ainsi,  il  n'y  a  rien  de  plus 
joli  que  ce  fameux  sonnet  (Amours  liv.  I  18): 

Un  chaste  feu  qui  en  l'äme  domine  l), 
Un  or  frise  de  maint  crespe  anelet, 
Un  front  de  rose,  un  teint  damoiselet, 
Un  ris  qui  Tarne  aux  astres  achemine, 

Une  vertu  de  telles  graces  digne, 
Un  coeur  de  neige,  une  gorge  de  lait, 
Un  coeur  ja  meur  en  un  sein  verdelet, 
En  dame  humaine  une  beaute  divine, 

Un  oeil  puissant  de  faire  jours  les  nuits, 
Une  main  forte  ä  piller  les  ennuis, 
Qui  tient  ma  vie  en  ses  doigts  enfermee, 

Avec  un  chant  decoupe  doucement, 
Or'  d'un  sous-ris,  or'  d'un  gemissement, 
De  tels  sorciers  ma  raison  fut  charmee. 

Voici  donc  quelques  diminutifs  que  nous  avons  notes  dans 
les  noels  de  Barozai 2)  :  aimoröte  amourette,  Blaizote  nom  de 

l)  Var. :     Une  beaute  de  quinze  ans  enfantiue. 

-)  Aussi  les  poemes    de  Jasmin    sont   riches    en  tres  -  beaux    diminutifs, 


284  Sur  lc  soi-disant  idiome  bourguignon. 

fille,  boucote  petite  bouche,  caic  benote  cachette,  chambrote 
charubrette,  chansenote  chansonette,  clochote  clocliette,  dou- 
96,  dim.  de  doux,  ftm.  doucote  (poulo  douco  poulet  doux), 
drölai  petit  drole,  emusöte  amusette,  fammelöte  pauvre  pe- 
tite femme,  fillote  petite  fille,  garceno  petit  garcon,  joliote 
joliette,  lugnöte  lunettes ;  pechö,  diminutif  de  peu;  Peucö 
Poucier.  A  cöte  de  ces  diminutifs  on  rencontre  tels  que  Clai- 
ron,  petite  fille  nommee  Ciaire,  Madeion  diminutif  de  Ma- 
deleine, Mairion,  dim.  de  Marie. 


p.  ex.  agnelous  petits  agneaux,  amiguets  petits  amis,  amiguetos 
petites  amies,  bestiolo  bestiole,  biloto  petite  ville,  caoudeto  chaude, 
clareto  claire,  caminols  sentiers,  coumayreto  commere,  cram- 
beto  chambrette,  da  meto  jeune  dame,  ditous  petits  doigts,  diablo- 
tous  diablotins ,  doumayzeleto  demoiselette  ,  eillous  petits  yeux, 
esteletos  petites  e'toiles,  filletos  fillettes,  glouriölo  petite  gloire, 
gleizeto  petite  eglise,  houreto  petite  heure,  moussuret  petit  monsieur, 
muzeto  petite  muse,  oustalet  maisonnette,  pastourelet  petit  berger, 
pastoureleto  petite  bergere,  paouret  (et  paourot)  pauvret  (fem.  pac-u- 
reto  etpaouröto),  penou  petit  pied,fpaperou  petit  papier,  pitcbounet 
petit  (fem.  pitchounet o) ,  pugnadet  poignee,  reyneto  jeune  reine, 
souleto  seule,  soureillet  petit  soleil. 

Julius  Wollenberg. 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


40.  Sitzung  am  11.  September  1860.  —  Herr  Pröhle  gab  einen 
Bericht  über  eine  Reise  zur  Erforschung  der  Volksüberlieferungen  von 
Questenberg  und  dem  Kyffhäuser.  Für  die  Prinzessin  im  Kyffhäuser 
hat  er  den  Namen  Utchen  gehört.  Die  schon  in  Grimm's  Mytho- 
logie kurz  besprochenen  Pfingstsitten  von  Questenberg  theilte  er  in 
grosser  Ausführlichkeit  mit  und  brachte  den  Questenberger  Pfingstbaum, 
da  er  behauen  ist  und  das  ganze  Jahr  hindurch  steht,  mit  der  Irmen- 
säule  in  Verbindung.  Zum  ersten  Male  hat  er  ausserdem  Sagen  von 
Questenberg  gesammelt,  welche,  wie  er  hofft,  mehr  zur  Erläuterung  der 
Questenberger  Alterthümer  beitragen  werden,  als  die  Sagen  zur  directen 
Erläuterung  des  Questenberger  Pfingstgebrauches ,  welche  mit  dem 
Wunderbaren  des  „Rostes  des  Alterthums^  ermangeln  und  vielleicht 
erst  durch  den  sächsischen  Prinzenraub  ,  an  den  sie  anklingen ,  ent- 
standen seien. 

Herr  Schmidt  theilte  Einiges  aus  einem  nunmehr  als  Programm- 
schrift erschienenen  Aufsatz  über  Milton's  Comus  mit ,  namentlich  die 
Untersuchungen  über  Milton's  Verhaltniss  zu  andern  Autoren ,  die  den 
Comus  auftreten  lassen,  was  zu  einer  ausführlicheren  Inhaltsangabe 
des  Comus  des  Erycius  Puteanus  Anlass  giebt.  Dann  erwägt  er  die 
verschiedenen  Urtheile,  die  über  den  Comus  des  englischen  Dichters 
gefällt  worden  sind  und  schliesst  mit  einer  Erläuterung  der  verschie- 
denen Factoren  des  Milton'schen  Stils,  von  denen  er  den  klassischen 
Bestandtheil  besonders  hervorhebt. 

In  einem  in  italienischer  Sprache  gehaltenen  Vortrag  sprach  Herr 
Boltz  über  das  sicilianische  Volkslied.  Er  legte  mehrere  Volkslieder 
vor.  Die  Vergleichung  mit  ähnlichen  Liedern  anderer  Nationen  be- 
wegte sich  besonders  in  einer  Charakteristik  Beranger's  und  Heine's. 
Der  Vortrag  gab  Anlass  zu  einer  lebhaften  Debatte  über  den  Begriff 
Volkslied  und  über  die  Merkmale  des  letzteren.  Es  betheiligten  sich 
daran  namentlich  die  Herren  Lasson,  Herrig,  Pröhle. 


286  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

41.  Sitzung  am  9.  October  1860.  Herr  Lasson  spricht  über 
das  logische  Element  der  Sprache.  Alle  tieferen  Denker  haben  ein- 
geräumt, dass  die  Sprache  nicht  auf  mechanischem  Wege,  durch  Ueber- 
einkunft,  entstanden  sein  könne.  Es  sei  Wilhelm  von  Humboldt's  Ver- 
dienst, die  Sprache  als  selbständige  Macht  aufgefasst  zu  haben  ;  Becker 
habe  Humboldt  ergänzt,  indem  er  diesen  Satz  zur  Erklärung  der  Sprach- 
erscheinungen ausgeführt  und  das  Denken,  die  Logik,  als  das  innerste 
Gesetz  der  Sprache  in  den  einzelnen  Gebieten  derselben  nachgewiesen 
habe.  Doch  sei  mit  dieser  Logik  nicht  die  formale,  sondern  die  meta- 
physische gemeint.  Wäre  das  Sprechen  nur  ein  Spieltreib,  wäre  es 
nur  die  Befriedigung  des  Bedürfnisses  der  Mittheilung,  so  würde  sich 
auch  dann  das  Logische  als  der  letzte  Grund  der  Sprache  ergeben.  Sie 
sei  jedoch  kein  Act  freier  Selbstbestimmung,  sondern  entstände  aus 
einer  innern  Noth wendigkeit.  Es  gäbe  daher  nur  eine  Sprache,  da 
alle  einzelnen  Sprachen  von  denselben  Gesetzen  beherrscht  würden ; 
Verschiedenheit  dieser  einzelnen  Sprachen  entstehe  ebenfalls  auf  lo- 
gischem Wege.  Die  Kategorien,  die  den  einzelnen  fehlten,  würden  auch 
in  ihnen  stillschweigend  mitverstanden,  und  es  sei  demnach  die  Auf- 
gabe der  besonderen  Grammatik  nachzuweisen,  welche  Kategorien  eine 
Sprache  ausdrücke,  und  welche  sie  verschweige.  Neben  dem  logischen 
Element  existire  noch  ein  zweites,  das  ethische.  —  Die  Herren  Schwerin 
und  Schmidt  verständigten  sich  mit  dem  Vortragenden  über  Einzelheiten. 
Letzterer  hob  das  ästhetische  Element  der  Sprache  hervor  und  bat  um 
eine  Erläuterung  hinsichtlich  des  von  Schiller  eingeführten  Wortes 
Spieltreib,  das  der  Vortragende  in  einer  abweichenden  Bedeutung  an- 
gewendet  hatte. 

Herr  Holtze  besprach  die  Etymologie  des  Wortes  Pistole,  suchte 
die  Willkürlichkeit  der  bekannten  Herleitungen  darzuthun,  machte  na- 
mentlich auf  den  in  einem  Verzeichniss  des  Nürnberger  Zeughauses 
vorkommenden  Ausdruck  für  diese  Feuerwaffe  „Bettstolln"  und  den 
Umstand  aufmerksam,  dass  in  Frankreich  dieselbe  einst  ausdrücklich 
als  eine  deutsche  Waffe  verboten  wurde ,  und  forderte  zu  näherer  Be- 
trachtung der  Etymologie  dieses  Wortes  auf.  Nach  einigen  Bemer- 
kungen der  Herren  Planer  und  Hermes  kam  dieser  Aufforderung  sofort 
Herr  Mahn  nach ,  indem  er  nach  erschöpfender  Aufzählung  der 
versuchten  Herleitungen  schliesslich  die  durch  den  Vorredner  be- 
zweifelte von  der  Stadt  Pistoria  mit  geschichtlichen  und  sprachlichen 
Gründen  aufrecht  erhielt.  Zugleich  erwies  er  die  Herkunft  des  Wortes 
Pistole  als  Münze  aus  dem  italienischen  piastra  oder  vielmehr  aus 
dessen  Diminutiv  piastruola. 

Herr  Herrig  bespricht  die  Unzulänglichkeit  der  Ausgaben  von 
Bossuet's  Predigten,  indem  die  Herausgeber,  statt  auf  die  Manuscripte 
zurückzugehen,  sich  damit  begnügt  haben,  einfach  die  Benedictiner- Aus- 
gabe von  1772  nachzudrucken.  Ein  Besuch  der  kaiserlichen  Bibliothek 
in  Paris   hat  ihm  die  Ueberzeugung   verschafft,    dass    selbst  Deforis, 


für  das  Studium   der   neueren  Sprachen.  287 

welcher  verspricht,  in  seiner  Ausgabe  Bossuet,  tout  Bossuet,  rien  que 
Bossuet  zu  geben,  keineswegs  befriedigt.  Unter  andern  erlaubt  er  sich 
mancherlei  höchst  willkürliche  Veränderungen  des  Textes  vorzunehmen, 
Correcturen,  welche  Bossuet  selbst  gemacht,  ganz  unberücksichtigt 
zu  lassen  und  einzelne  Stücke  mit  einander  zu  vermischen,  welche  zu 
ganz  verschiedenen  Reden  gehören.  Bossuet  benutzte  mehrfach  eine  und 
dieselbe  Predigt  bei  verschiedener  Veranlassung  und  nahm  dabei  man- 
cherlei Aenderungen  vor,  indem  er  namentlich  theils  neueExordien  machte 
und  auch  den  paränetischen  Theii  seines  Vortrags  den  besonderen  Umstän- 
den angemessen  neu  abfasste.  Deforis  hat  nun  seltsamer  Weise  geglaubt, 
nichts  fortlassen  zu  dürfen  und  die  alten  und  neuen  Stücke  mit  ein- 
ander vermischt;  das  kürzere  Exordium  z.  B.,  welches  neu  ist,  erscheint 
meistens  schöner  und  kräftiger:  Deforis  wählt  indessen  durchgängig 
das  längere  und  nimmt  aus  dem  kürzeren  noch  diejenigen  Stellen  hinzu, 
welche  irgend  einen  neuen  Gedanken  enthalten,  der  aber  in  den  so  ge- 
stalteten Zusammenhang  gar  nicht  recht  passen  will. 

Ganz  besonders  auffallend  ist  es  aber,  dass  sich  in  der  Sammlung 
von  Deforis  eine  Predigt  befindet:  „Sur  les  obligations  de  la  vie  re- 
ligieuse,"  welche  gar  nicht  von  Bossuet  herrührt,  sondern  ein  Werk 
Fenelon's  ist  (Vergl.  Fenelon  XVII  Entretien  sur  les  avantages  et  les 
devoirs  de  la  vie  chretienne).  Endlich  rügte  der  Vortragende,  dass  in 
der  Deforis'schen  Ausgabe  die  höchst  wichtigen  Varianten  fehlen. 

Danach  macht  er  auf  die  Nothwendigkeit  einer  Eintheilung  der 
Predigten  aufmerksam ,  die  sich  leicht  aus  der  allmäligen  Umänderung 
des  Styles  so  wie  nebenbei  aus  der  veränderten  gesellschaftlichen  Stel- 
lung Bossuet's  ergäbe.  An  Bossuet's  Werken,  der  zu  schreiben  be- 
gann, bevor  die  Lettres  provinciales  erschienen  waren,  und  aufhörte, 
nachdem  die  klassischen  Werke  der  Zeit  Ludwig's  XIV.  bekannt  ge- 
worden ,  spiegele  sich  die  ganze  Sprachentwicklung  jener  Epoche  ab. 
An  einer  Reihe  von  Ausdrücken,  deren  sich  Bossuet  in  späteren  Jahren 
schwerlich  bedient  haben  würde,  zeigt  er  endlich  die  Nachlässigkeit 
und  Härte  der  Diction  in  den  ersten  Werken  dieses  Schriftstellers, 
welcher  anfangs  wie  seine  Zeitgenossen  viele  gelehrte  Citate  gab  und 
seine  ganze  Beweisführung  auf  scholastische  Discussion  stützte. 

Die  statutenmässig  in  der  letzten  Sitzung  des  Vereinsjahres  vor- 
zunehmende Neuwahl  der  Vorstandsmitglieder  fand  statt  und  ergab  die 
frühere  Vertheilung  der  Aemter.  Nach  der  Sitzung  machte  der  Vor- 
sitzende noch  folgende  Mittheilung:  Das  geschätzte  englische  Blatt 
Notes  and  Queries  pflege  Fragen ,  die  im  Verein  erörtert  werden ,  ab- 
zudrucken. Ein  Mitglied  desselben  hat  nun  an  die  Redaction  ein  Dank- 
schreiben für  diese  Aufmerksamkeit  zugleich  mit  der  Bitte  gerichtet, 
künftig  doch  auch  die  Quelle  angeben  zu  wollen. 

42.  Sitzung  am  2G.  October  1860.  —  Herr  Kannegiesser 
spricht  über  die  Art  und  Weise,  in  welcher  die  verschiedenen  Künste 
Motive  zu  neuen  Schöpfungen  aus  Dante  entlehnt  haben,  und  schildert 


288  Sitzungen   der   Berliner  Gesellschaft 

dann  eingehend  ein  Bild  von  Vogel  von  Vogelstein,  welches  in'  Gestalt 
eines  gothischen  Kirchenportals  auf  seinen  verschiedenen  Feldern  die 
Hauptziige  aus  Dante's  göttlicher  Komödie  zur  Anschauung  bringt. 

Herr  Herr  ig  hielt  hierauf  einen  Vortrag  über  Edmund  Spenser. 
Nach  einer  Betrachtung  der  beiden  Hauptrichtungen  der  Poesie  sprach  der 
Vortragende  über  das  Wesen  und  die  Bedeutung  der  alten  englischen 
episch  -  allegorischen  Dichtungen.  Spenser  wurde  hierauf  nach  seinem 
Leben  und  seiner  Wirksamkeit  charakterisirt,  woran  sich  eine  eingehende 
kritische  Behandlung  der  Fairy  Queen  nach  Inhalt  und  Form  knüpfte. 
Indem  zum  Schlüsse  darauf  hingewiesen  wurde,  dass  Spenser  jenem 
zweiten  Abschnitte  der  Sprachentwicklung  angehört  habe,  der  sich 
gleichsam  in  fortwährender  Fluctuation  befand  und  in  der  Anwendung 
fester  Regeln  vielfach  hin-  und  herschwankte,  wurden  in  aller  Kürze 
die  Gesetze  dargelegt  und  mit  Beispiele  belegt,  nach  denen  sich  bei  Spenser 
und  seinen  Zeitgenossen  die  Vocale  und  Consonanten  in  den  aufge- 
nommenen Wörtern  umgestalteten;  es  wurden  die  Abweichungen  ge- 
zeigt, welche  sich  Spenser  in  der  Accentuation  erlaubt,  seine  ortho- 
graphischen Inconsequenzen ,  das  ihm  Eigentümliche  in  der  Flexion 
und  Bedeutung  der  Wörter. 

Zum  Schluss  las  Herr  Plötz  eine  literarhistorische  Skizze  des 
französischen  Schriftstellers  Octave  Feuillet.  Nachdem  er  die  Zeit  des 
Auftretens  dieses  Dichters  politisch  und  literarisch  charakterisirt  und  als 
die  Periode  des  sinkenden  Romantismus  bezeichnet  hatte,  suchte  er  zu 
zeigen,  wie  sich  Octave  Feuillet  aus  Anfangen,  die  ihn  zu  den  Nach- 
ahmern von  Alfred  de  Musset  zählen  Hessen ,  zu  seiner  Eigentüm- 
lichkeit emporgearbeitet  hat,  und  in  seinen  späteren  Dichtungen  als  den 
Begründer  einer  sittlichen  Reaction  gegen  die  materialistische  und  un- 
sittliche Richtung  der  modernen  französischen  Literatur  erscheint.  Da 
die  Zeit  dem  Vortragenden  für  die  meisten  Werke  Feuillets  nur  eine 
skizzenartige  Angabe  des  Inhalts  und  der  Tendenz  erlaubte,  so  suchte 
er  seine  Auflassung  der  literarischen  Bedeutung  des  Dichters  durch  eine 
eingehende  Analyse  seines  Hauptwerks  Dalila  zu  begründen,  von 
welchem  Stücke  er  besonders  charakteristische  Stellen  vorlas. 

Mit  diesen  Vorträgen  und  einem  sich  anschliessenden  festlichen 
Mahle  feierte  die  Gesellschaft  den  dritten  Jahrestag  ihrer  Stiftung. 
Wie  im  vorigen  Jahre,  beehrten  zahlreiche  Gäste,  zu  denen  wir  den 
Herrn  Geheimerath  Stiehl,  den  Herrn  Geheimerath  Olshausen,  den 
Herrn  Schulrath  Mützell,  den  Gesandten  der  Vereinigten  Staaten,  Herrn 
Wright  etc.  zählen  durften,  das  Fest  mit  ihrer  Gegenwart. 

43.  Sitzung  am  6.  November  1860.  —  Herr  Stadler  schliesst 
an  die  Besprechung  der  italienischen  Grammatik  von  Mussafia,  der  er 
Lob  ertheilt,  einige  auf  den  Sprachunterricht  bezügliche  Bemerkungen. 
Es  läge  bei  Lehrbüchern,  die  die  pädagogische  Zweckmässigkeit  zum 
höchsten  Gesetz  ihrer  Anordnungen  erhöben,    die  Gefahr    nahe,    dass 


für  das   Studium  der  neueren  Sprachen.  289 

bei  dem  auseinandergerissenen  Lehrstoff  die  Uebersichtlichkeit  des 
Ganzen  leide  und  dem  Lernenden  kein  Bild  der  organischen  Gliederung 
der  Sprache  gegeben  würde.  —  Es- sei  ferner  irrthümlich,  dass  eine 
jede  zu  erlernende  Form  zuvor  in  einem  Satze  angeschaut  worden  sein 
müsse.  —  Satzlehre  und  Formenlehre  seien  beim  ersten  Unterricht 
überhaupt  auseinanderzuhalten.  —  Von  keiner  Seite  wurde  ein  Wider- 
spruch gegen  die  vorgetragenen  Ansichten  eingelegt.  — 

Danach  spricht  Herr  Beauvais  über  die  Endungen  französischer 
Gentilien. 

Er  erinnerte  an  Mätzner's  Untersuchungen  über  die  Bildung  der  Namen 
der  Bewohner  von  fr.  Ortschaften  und  suchte  die  Liste  der  in  Mätzner's 
Grammatik  angegebenen  Namen  zu  vervollständigen.  Indem  sich  der  Vor- 
tragende auf  die  Namen  franz.  Ortschaften  beschrankte,  ordnete  er  sie  in 
folgender  Weise: 

I.  Die  Endung  ois  ist  am  häufigsten  in  den  franz.  Gentilien  verwendet 
und  ist  der  lateinischen  Endung  ensis  nachgebildet.  Mätzner  führt  nur  einen 
einzigen  Namen  mit  dieser  Endung  an  und  zwar  den  Namen  Embrunois  von 
Embrun  an.  Ich  werde  den  Namen  der  Stadt,  deren  eigenthümliche  Aus- 
sprache vielleicht  zu  Erörterungen  Veranlassung  geben  kann,  jedes  Mal  vor 
den  Namen  der  Bewohner  setzen: 

I.  Brest  —  Brestois.  2.  La  Rochelle  —  Rochelois.  3.  Nantes  — 
Nantois  und  Nantais.  4.  Reims  —  Remois.  5.  Champagne  —  Champenois. 
6.  Amiens  —  Amienois.  7.  Auxerre  —  Auxerrois.  8.  Arras  —  Arrageois. 
!).  Saintonge —  Saintongeois.     10.  Carcassonne  —  Carcassonnois.     11.  Nimes 

—  Nimois.  12.  Clermont  —  Clermontois.  13.  Vienne  —  Viennois.  14.  Dun- 
kerque  —  Dunkerquois.  15.  Dieppe  —  Dieppois.  16.  Rennes  —  Rennois. 
17.  Vendöme  —  Vendömois.  18.  Verdun  —  Verdunois.  19.  Toul  —  Tou- 
lois.  20.  Blois  —  Blaisois  und  Blesois.  21.  Lille  —  Lillois.  22.  Le  Dau- 
phine  —  Dauphinois.  23.  La  Berri  —  Berrois  und  Berrichon.  24.  La 
Franche-Comte  —  Franc- Comtois.      25.  Sedan    —    Sedanois.      26.  Loudun 

—  Londunois.  27.  Auch  —  Auchois.  28.  Lucon  —  Lnconnois.  29.  Stras- 
bourg —  Strasbourgeois. 

II.  Die  lateinische  Endung  ensis  ist  bei  vielen  Namen  in  ais  verwandelt 
worden  und  ist  nach  ois  die  gewöhnlichste.  Mätzner  führt  nur  7  Namen 
mit  dieser  Endung  an: 

1.  Boulogne  —  Boulonnais.  2.  Bordeaux  —  Bordelais.  3.  Lyon  — 
Lyonnais.     4.  Marseille  —  Marseillais.     5.  Orleans  —  Orleanais.       6.  France 

—  Francais.  7.  Navarre  —  Navarrais.  8.  Le  Roussillon  —  Roussillonnais. 
9.  Le    Bom-bonnais  —  Bourbonnais.      10.  Rouen    —    Rouennais.      11.  Laon 

—  Laonnais.     12.  Sens  —  Senonais.     13.  Dijon —  Dijonnais.     14.  Le  Havre 

—  Havrais.  15.  Narbonne  —  Narbonnais.  16.  Mäcon  —  Mäconnais.  17. 
Bearn  —  Bdarnais.  18.  Toulon  —  Toulonnais.  19.  ftivernais  —  Nivernais. 
20.  Briancon  —  Brianconnais.  21.  Soissons  —  Soissonnais.  22.  Alencon — 
Alenconnais.     23.  Chälons  —  Chalonnais. 

III.  Nächst  diesen   beiden  Endungen   folgen   die  auf  in,    lateinisch  inus: 
1.  Angers  —  Angevin.     2.   Poitou —  Foitevin.     3.  Poitiers  —  Foitevin 

4.  Limoges  —  Limousin  und  Limosin.  F.  Metz  -  Messin.  6.  Beauvais  — 
Beauvaisin  sind  die  von  Mätzner  angeführten  Namen.  7.  Angoumois  — ■  An- 
goumoisin.  8.  Perigord  —  Perigourdin.  9.  Avranches  —  Avranchin.  10. 
Cahors  —  Cahorsin.  11.  Le  Quercy  —  Caorcin.  Für  Poitevin  findet  man 
auch  Pictonique  und  Pictave. 

IV.  Nun  folgen  die  auf  ien ,  die  in  den  meisten  Fällen  an  die  Stelle 
der  lateinischen  auf  us  und  ius  getreten  sind. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  XXVI11.  1 9 


290  Sitzungen   der   Berliner  Gesellsch  af't 

1.  Alger  —  Algerien.  2.  L'Alsace  —  Alsacien.  3.  Artois  —  Artesien. 
4.  Paris  —  Parisien   sind   die   von  Matzner   angeführten    Namen.     5.  Nancy 

—  Nanceien.  6.  Languedoc  —  Languedossien.  7.  Courbevois  —  Courbe- 
voisien.  8.  Cahors  —  Cadurcien.  9.  Pontarlier  —  Pontisalien  (Pontarlum). 
10.  La  Savoie".  —  Savoisien  und  Savoyard.  11.  Louis  —  Ludovisien.  12. 
Thierache  —  Tbieracbien.  Als  eine  Curiosität  füge  ich  bier  den  Namen 
Oxonien  für  die  Bewohner  von  Oxford  und  Solarien  für  die  vermeinten 
Bewohner  der  Sonne  und  Lunarien  für  die  Bewohner  des  Mondes  hinzu. 

V.  Die  Endungen  ain,  von  dem  lateinischen  anus.  Mätzner  führt  nur 
einen  Namen  einer  französischen  Stadt  mit  dieser  Endung  auf  und  zwar 
Cbartres  —  Chartrain.     Ich  gebe  noch  folgende: 

1.  Toulouse  —  Toulousain.     2.  Aquitaine  —  Aquitain.     3.  La  Lorraine 

—  Lorrain. 

VI.  Die  Endung  on,  welche  der  lateinischen  Endung  auf  o  entspricht, 
kommt  wenig  vor  und  habe  ich  trotz  aller  Mühe  nur  einen  Namen  ausser 
denen  von  Mätzner  angegebenen  gefunden.     Diese  lauten: 

1.  La  Bretagne  —   Breton.     2.  La  Beauce  —  Beauceron.     3.  Bourgogne 

—  Bourguignon.     4.  La  Gascogne  —  Gascon.     5.  Perche  —  Percheron. 

VII.  Die  Endung  en,  von  der  lateinischen  aeus  hergeleitet,  findet  sich 
meines  AVissens  nach  nur  in: 

1.  Vende  —  Vendeen.  2.  Troyes  —  Troyen  und  in  dem  annexirten 
Nice  — Niceen. 

VIII.  Anf  an  sind  mir  nur  folgende  bekannt: 

1.  Bigorre  —  Bigordan  ou  Bigourdan.  2.  Le  Conserans  —  Consoran. 
3.  Le  Maine  —  Cenoman. 

IX.  Auf  ard  habe  ich  nur  folgende  zwei  gefunden. 
1.  La  Picardie  —  Picard.     2.  Brie  —  Briard. 

X.  Auf  al  findet  sich  nur  Provence  —  Provencal. 
XL  Auf  and  findet  sich  nur  Normand  von  Normandie. 
XII.  Auf  at  findet  sich  nur  in  Auvergne  —  Auvergnat. 

Alsdann  trägt  Herr  Boltz  von  ihm  übersetzte  Dichtungen  der 
russischen  Dichter  Krassow  und  Feth  vor  und  überreicht  in  zahlreichen 
Exemplaren  sein  Werk :  Gedichte  und  Uebersetzungen  nebst  beigefügten 
Originaltexten.     Berlin  1860. 

Demnächst  bespricht  Herr  Pro  hie:  „Gallerie  berühmter  Päda- 
gogen, verdienter  Schulmänner,  Jugend-  und  Volksschrif'tsteller  aus 
der  Gegenwart  in  Biographien  und  biographischen  Skizzen,  Heraus- 
gegeben von  Joh.  Bapt.  Heindl.  2  Bände.  München.  Finsterlein.  1858. 
1859."  Er  summirt  die  in  der  Sammlung  niedergelegten  Ansichten  und 
Aussprüche  zu  einem  Bilde  des  Standes  der  gegenwärtigen  Pädagogik. 

Herr  Buch  mann  entwirft  an  Somaize,  dem  Herausgeber  der 
grands  dictionnaires  des  precieuses  das  Bild  eines  literarischen  Char- 
latans  der  Zeit  Ludwig's  XIV.  Er  zeigt,  dass  das  erste  jener  Wörter- 
bücher nicht  aus  eigner,  sorgfältiger  Beobachtung  entstanden,  sondern 
aus  verschiedenen  Schriftstellern ,  namentlich  aus  Moliere's  Precieuses 
ridicules  zusammengeschmiert  ist,  und  fügt  eine  Liste  von  40  aus 
Moliere  entlehnten  Ausdrücken  bei.  Er  spricht  seine  Verwunderung 
darüber  aus,  dass  Commentatoren  Moliere's  Stück  aus  Somaize  erläu- 
tern ,  während  sich  Somaize  nur  aus  Moliere  erläutern  lasse,  den  er 
mitunter    sogar  missverstehe.    Er    schildert    dann    die    tölpelhafte    Art 


für  das   Studium  der  neueren  Sprachen.  291 

seiner  kleinlichen  Angriffe  Moliere's,  den  er  nie  anders  als  den  Marquis 
de  Mascarille  nenne,  und  glaubt  daraus  erklären  zu  können,  dass  Me- 
liere später  überhaupt  keine  Mascarille  mehr  schrieb,  Rollen,  die  er 
immer  selbst  gespielt  hatte.  Zuletzt  theilt  er  eine  Liste  pretieuser  Aus- 
drücke mit. 

Herr  Herr  ig  sprach  über  die  scheinbar  seltsame  Regel  der  franz. 
Versification,  nach  welcher  sich  in  den  Reimen  die  Worte  auf  denselben 
Consonanten  oder  einen  Consonanten  derselben  Classe  enden  müssen, 
also  parents  und  rangs,  aber  nicht  parent  und  rang.  Die  Regel  wird 
dadurch  begründet,  dass  im  16.  Jahrhundert  die  Schlussconsonanten 
der  Wörter  gehört  wurden  (also  sait  =  sept) ,  wenn  dem  Worte  eine 
Pause  folgte.  Uie  Grammatiker  von  verschiedenen  Nationen  bekunden, 
dass  die  bezeichnete  Aussprache  die  anerkannt  richtige  war;  die  Gram- 
matiken von  Palsgrave  und  Du  Guez,  sowie  die  Isagoge  in  linguam 
Gallicam  von  Jacobus  Sylvius  Ambiduus  stellen  die  Sache  ganz  ausser 
Zweifel.  Der  Vortrag  weist  hierauf  nach ,  wie  die  völlige  Auslassung 
der  Endconsonanten  in  der  Aussprache  im  Norden  begonnen  habe  und 
zur  Zeit  Heinrich's  IV.  unter  den  höheren  Ständen  ganz  allgemein  ge- 
worden sei.  Schliesslich  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  gleich- 
wie das  weggefallene  s  in  der  Mitte  der  Wörter  die  Sylbe  verlängert 
habe,  dieses  auch  in  Beziehung  auf  das  Ende  der  Wörter  zutreffe ;  der 
Abbe  d'Olivet  lehre  in  seiner  Prosodie  francaise,  dass  jede  masc.  Sylbe 
im  plur.  lang  sei,  also  sei  und  sels,  pot  und  pöts,  sac  und  säcs :  ein 
Nachklang  von  dieser  Regel  sei  in  der  jetzigen  Aussprache  nur  noch 
in  einigen  wenigen  Wörtern  zu  finden,  z.  B.  l'oeuf  und  les  oeufs,  boeuf 
und  les  boeufs. 

Schliesslich  legte  der  Vorsitzende  der  Gesellschaft  die  nachstehende 
Mittheilung  vor,  welche  von  dem  correspondirendem  Mitgliede,  Herrn 
W.  Lowes  Rushton  in  Liverpool  eingegangen  war. 

Shakspeare's    Tenures. 

Tenure  in  Villenage. 
In  many  and  divers  cases,  the  lord  raay  make  manumission  and  enfran- 
chisement  to  his  villein. 

Armado. 
Sirrah  Costard,  I  will  enfranchise  thee. 

Costard. 
O,  raarry    me    to    one  Frances:  —  I  sniell   some  Tenvoy,    some    goose, 
in  this. 

Armado. 
By  my   sweet    soul,    1  mean  setting   thee  at  liberty,    enfreedoming  thy 
person;  thou  wert  immured,  restrained,  eaptivated,  bound. 

Love's  Labour  Lost.  Act  3  Scene  1. 
Manumission  is  properly  where  the  lord  raakes  a  deed  to  his  villein  to 
enfranchise  hini  by  this  word  (manu-mittere  )  whieh  is  the  same  as  to  put 
him  out  of  the  hands  and  power  of  another.  And  because,  by  such  deed 
the  vellein  is  put  out  of  the  hands  and  out  ut'  the  power  of  his  lord, 
it  is  called  manumission.  And  so  every  manner  of  enfranchisement  made 
to  a  villein    may    be    said    to    be  a   manumission    (Litt.  See.  204).     Enfran- 

19* 


292  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

chisement  is  derived  from  the  French  word  franchise,  that  is  liberty; 
and  in  the  Common  Law  it  hath  divers  significations :  sonietimes  the  incor- 
porating  of  a  man  to  be  free  of  a  Company  or  body  politic,  as  a  freeman 
of  a  city,  or  burgess  of  a  borough  etc.,  sometimes  to  make  an  alien  a  de- 
nizen;  and  here  to  manumise  a  villein  or  bondman.  So  this  word  (en- 
franchis ement )  is  more  general  and  therefore  every  manumission  is  au 
enfranchisement  but  every  enfranchisement  is  not  a  manumission.  There  be 
tvvo  kinds  of  manumissions ,  one  express,  and  the  other  implied.  Express, 
when  the  villein  by  deed  in  express  words  is  manumised  and  made  free. 
(Co.  Litt.  137  b.) 

Paulina. 
The  child  was  prisoner  to  the  womb;  and  is, 
By  law  and  process  of  great  nature,  thence 
Free'd  and  enfranchis'd. 

Winter's  Tale.  Act  2  Scene  2. 

The  other  implied,  by  doing  some  act  that  maketh  in  judgment  of  law 
the  villein  free,  albeit  there  be  no  express  words  of  manumission  or  en- 
franchisement. (Co.  Litt.  137  b.) 

Norfolk. 
Never  did  captive  with  a  freer  heart 
Gast  of  his  chains  of  bondage,  and  embrace 
His  golden  uncontroll'd  enfranchisement, 
More  than  my  dancing  soul  doth  celebrate 
His  feast  of  battle  with  mine  adversary  — 
Most  mighty  liege,  —  and  my  companion  peers,  — 
Take  from  my  mouth  the  wish  of  happy  years. 

Richard  II.  Act  1  Scene  3. 
Liege  sometimes  signifies  liege -lord:  and  sometimes  liege -man. 

Winchester. 
You  shall  become  true  liege  man  to  his  crown. 

First  Part  Henry  VI.  Act  5  Scene  4. 

Liege -lord  is  one  who  acknowledges  no  superior ;  whilst  liege -man  is 
one  who  owes  allegiance  to  the  liege -lord: 

L  e  o  n  t  e  s. 

We  enjoin  thee, 
As  thou  art  liegeman  to  us. 

Winter's  Tale.  Act  2  Scene  3. 

Francisco. 

Stand  who  is  three? 

Horatio. 
Friends  to  this  ground! 

Marcellus. 

And  liegemen  to  the  Dane. 

Hamlet.  Act  1  Scene  1. 
The  subjects  of  the  Sovereign  are  called  liege -people. 

Macbeth. 
It  shall  make  honour  for  you. 

Banquo. 

So  I  lose  none 
In  seeking  to  augment  it,  but  still  keep 
My  bosom  franchised  and  allegiance  clear, 
I  shall  be  counsell'd. 

Act  2  Scene  1. 


für  das  Studium  der   neueren   Sprachen.  29S 

Bedford. 
Fore  God  bis  Grace  is  bold  to  trust  these  traitors. 

Ex  et  er. 
Tbey  shall  be  apprehended  by  und  by. 

Westmorland. 
How  smooth  and  even  they  do  bear  themselves! 
As  if  allegiance  in  tbeir  bosoms  sat, 
Crowned  with  faitb  and  constant  loyalty. 

Henry  V.  Act  2  Scene  2. 

Allegiance  is  the  natural  and  sworn  allegiance,  or  legal  obedience  every 
subject  owes  to  his  prince.  So  Littleton  See.  198  of  Tenure  in  Villenage 
speaks  of  an  alien  as  one  „born  out  of  the  legiance  of  our  sovereign  lord 
the  king." 

York. 
Then  swear  allegiance  to  his  Majesty; 
As  thou  art  knight,  never  to  disobey, 
Nor  be  rebellious  to  the  Crown  of  "England, 
Thou  nor  thy  nobles,  to  the  crown  of  England. 

First  Part  Henry  VI.  Act  5  Scene  4. 

This  allegiance  is  not  confined  to  any  particular  kingdom,  but  follows 
the  subject  wherever  he  goes.  Whence  the  people  are  called  liege  people, 
and  by  their  allegiance  are  bound  to  go  with  the  king  in  his  wars,  as  well 
at  honie  as  abroad  (1.  Inst.  2,  329;  2.  Inst.  741). 

Queen  Katherine. 

I  am  much  too  venturous 
In  tempting  of  your  patience;  but  am  bolden'd 
Under  your  promised  pardon.     The  subject's  grief 
Comes  through  commissions,  which  compel  from  each 
The  sixth  part  of  his  substance,  to  be  levied 
Without  delay;  and  the  pretence  for  this 
Is  named,  your  wars  in  France:  This  makes  bold  mouths: 
Tongues  spit  their  duties  out,  and  cold  hearts  freeze 
Allegiance  in  them;  their  curses  now 
Live  where  their  prayers  did;  and  it's  come  to  pass, 
That  tractable  obedience  is  a  slave 
To  each  incensed  will. 

Henry  VIII.  Act. 

King  John. 
Our  discontented  counties  do  revolt; 
Our  people  quarrel  with  obedience, 
Swearing  allegiance,  and  the  love  of  soul 
To  stranger  blood,  to  foreign  royalty. 

Act  5  Scene  1. 

The  reader  will  pereeive  that  Shakespeare  uses  the  terms  allegiance 
and  obedience  in  connection  with  each  other:  and  aecording  to  Coke,  „as 
the  subject  oweth  to  the  king  his  fcrue  and  faithful  ligeance  and  obedience, 
so  the  Sovereign  is  to  govern  and  protect  his  subjeets,  regere  et  pro- 
tegere  subditos  suos;  so  as  between  the  Sovereign  and  subject  there  is 
duplex  et  reeiprocum  ligamen,  quia  sicut  subditusregi  tenetur 
ad  obedientiam,  ita  rex  subdito  tenetur  ad  pro tectionem:  me- 
rito  igitur  ligeantia  dicitur  a  ligando,  quid  continet  in  se  du- 
plex ligamen."  And  again  „This  word  ligeance  is  well  expressed  by  di- 
vers several  names  or    synonym a  which  we  und  in    our  Books.   Sometime 


294  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

it  is  called  the  obedience  or  obeysance  of  the  subject  to  the  king,  obe- 
dientia  regi  (9  E.  4.  7.  b.  9  E.  4.  6.  2  R.  3.  2.  a.  in  the  Book  of  Entries, 
Ejectione  firm'  7.  14.  H.  8.  cap.  22  H.  8.  cap.  8  etc.  Coke  Rep.  Calvin's 
case  7.  5.).  I  venture  to  suggest  that  the  word  „soul"  in  this  pasgage  may 
be  a  misprint  of  the  word  „soil"  which  is  commonly  used  by  the  poets  in 
the  sense  of  „land"  or  „country."  In  the  ancient  spelling  of  the  Folio 
„soul"  is  speit  „soule"  and  „soil"  „soyle,"  so  that  the  „y"  in  the  manu- 
script  or  in  the  type  may,  very  naturally,  have  been  mistaken  by  the 
printer  for  „u." 

Title  by  Occupancy. 

Occupancy  signifies  the  tiiking  posscssion  of  those  things  which  have 
no  owner.  When  it  was  agreed  that  every  thing  eapable  of  ownership 
should  have  an  owner,  natural  reason  suggested ,  that  he  who  first  took 
possession  of  anything  for  his  own  use,  should  become  entitled  to  it,  accord- 
mg  to  that  rule  of  nations,  and  of  the  laws  ofRome,  Quod  nullius  est, 
id  ratione  naturali  occupanti  conceditur.  (D.  41.  I.  3.;  I.  2.  I.  12 
See  Bla.  Com.) 

Doli  Tearsheet. 

He  a  captain!  Hang  him,  rogue!  He  lives  upon  mouldy  stew'd  prunes, 
and  dry'd  cakes.  A  captain !  These  villains  will  make  the  word  captain 
as  odious  as  the  word  occupy;  which  was  an  excellent  good  word  before 
it  was  ill  sorted:  therefore  captains  had  ueed  look  to  it. 

Second  Part  Henry  IV.  Act  2  Scene  4. 

Tenant  for  term  of  life  is  where  a  man  letteth  lands  or  tenements  to 
another  for  term  of  the  life  of  the  lessee,  or  for  term  of  the  life  of  an- 
other  man.  In  this  case  the  lessee  is  tenant  for  term  of  life.  But  by  com- 
mon speech  he  which  holdeth  for  term  of  another's  life,  is  called  tenant  for 
term  of  another  man 's  life.  (Litt.  See.  50.)  And  this  estate  which  is  held 
for  the  term  of  another  man's  life  is  called  in  the  Norman  French  of  Litt- 
leton's  Tenures  an  estate  pur  autre  vie;  and  the  person  for  svhose  life 
the  land  is  holden,  is  called  the  cestui  que  vie.  If  a  man  was  tenant 
pur  autre  vie,  or  had  an  estate  granted  to  bimself  only  (and  not  to  his 
heirs  also)  for  the  life  of  another  man,  and  died  during  the  life  of  the 
cestui  que  vie,  without  having  aliened  the  estate,  in  such  case  he  that 
first  entered  on  that  land  might  lawfully,  -during  the  life  of  the  cestui 
que  vie,  —  retain  the  possession  by  right  of  occupancy:  for  it  did  not 
revert  to  the  grantor,  though  in  very  early  times  it  was  supposed  to  do  so. 
(See  Bracton.  üb  III.  c.  9,  fol.  27,  a;  lib.  IV.  tr.  3,  c.  9.  par.  IV  fol.  263.  a; 
Fleta,  lib.  III.  c.  12,  s.  6;  lib.  V.  c.  5,  s.  15).  He  that  so  entered  was 
within  Littleton's  words,  viz.  tenant  pur  autre  vie,  and  was  punishable 
for  waste  as  tenant  pur  autre  vie,  andsubjeet  to  the  payment  of  the  rent 
reserved,  and  was  in  law  called  an  oecupant  (oecupans)  because  his  title 
was  by  his  first  oecupation :  but  if  the  estate  had  been  granted  to  a  man  and 
his  heirs  during  the  life  of  the  cestui  que  vie,  the  heir  might,  and  still 
may  enter  and  hold  possession,  and  in  such  case  he  is  called  in  law  a  spe- 
cial oecupant,  having  a  special  right  of  oecupation  by  the  terms  of  the 
grant.  The  title  by  common  occupancy,  to  which  Doli  Tearsheet  probably 
refers,  was  long  considered  to  be  a  great  evil ,  and  it  was  at  length  abo- 
lished  by  successive  acts  ofParlianient,  viz.  the  Statute  of  Frauds  29  Car.  II. 
c.  3,  14  Geo.  IL  c.  20,  and  7  Will,  and  I.  Vict.,  c.  26. 

Tenure  by  Devine  Service. 

Clown. 
By  my  troth,  I  take,  my  young  lord  to  be  a  very  melancholy  man. 

Countess. 
By  what  observance,  I  pray  you? 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  295 

Clown. 
Why    he  will  look  upon  his    boot,   and   sing;   mend  the  ruff,  and  sing: 
ask  questions,  and  sing;   pick  his  teeth  and  sing:     I  know   a  man  that  had 
this  trick  of  melancholy  hold  a  goodly  manor  for  a  song. 

All's  Well  That  Ends  Well.  Act  3  Scene  2. 

In  the  old  edition  the  Clown  says  „hold  a  goodly  manor  for  a  song;" 
in  the  tbird  Folio  he  is  made  to  say  „sold  a  goodly  manor  for  a  song:" 
and  this  supposed  emendation  has  been  very  generally  adopted:  even  in 
the  admirable  translation  of  Schlegel  and  Tieck,  the  Clown  says  „ich  kannte 
einen,  der  solchen  Ansatz  von  Melancholie  hatte,  und  einen  hübschen  Maier- 
hof  für  ein  Singsang  verkaufte."  I  do  not  consider  this  alteration  neces- 
sary  because  the  Clown  seems  to  refer  to  tenure  by  devine  service,  in  which 
the  tenants  were  obliged  to  do  some  special  devine  Services  in  certain,  for, 
in  the  language  of  Littleton  „if  an  abbot,  or  prior,  holds  of  his  lord  by  a 
certain  devine  service,  in  certain  to  be  done,  as  to  sing  a  mass  every  Friday 
in  the  weck  for  the  souls  of  their  grantor  or  feoffer,  and  for  the  souls  of 
their  heirs  which  are  dead,  and  for  the  prosperity  and  good  life  and  good 
health  of  their  heirs  which  are  alive,  or  every  year  at  such  a  day  to  sing 
a  place  bo  et  der  ige  etc.  or  to  find  a  chaplain  to  sing  a  mass,  etc.  or 
to  distribute  in  alms  to  au  hundred  poor  men  an  hundred  pence  at  such 
a  day;  in  this  case,  if  such  devine  service  be  not  done,  the  lord  may  distrain  etc. 
because  the  divine  service  is  put  in  certain  by  their  tenure,  which  the  abbot  or 
prior  oiiiiht  to  do.  And  such  tenure  is  called  tenure  by  devine  service  (Litt.  sec. 
137).  Abbots  and  priors  may  be  said  to  have  that  „trick  of  melancholy  men- 
tioned  by  the  Clown.  The  reader  will  perceive  that  the  Clown  says  ,.I  know 
a  man  that  had  this  trick  of  melancholy  „hold"  a  goodly  manor  for  a  song," 
and  that  Littleton  speaks  of  abbots  and  priors,  who  ..hold"  of  their  lords 
by  devine  service.  It  may  be  suggested  that  because  a  tenant  is  said,  in 
the  language  of  the  Law,  to  hold  by  a  certain  tenure,  as,  for  example, 
„tenant  by  homage  ancestrel  is  where  a  tenant  holdeth  of  his  lord  by 
homage"  (,Litt.  sec.  143)  ,  —  therefore,  if  this  passage  contained  an  allusion 
to  tenure  by  devine  service,  Shakespeare  would  have  spoken  of  a  man 
holding  by,  and  not  of  a  man  holding  for  a  song;  but  the  Clown  does  not 
refer  to  the  tenure  itself,  but  to  that  service,  namely  singing  a  song ,  for 
the  performance  of  which  the  tenant  held  the  „goodly  manor."  If  however 
it  could  be  proved  by  the  discovery  of  a  manuscript  that  Shakespeare  wrote 
„sold,"  such  proof  would  not  render  an  allusion  to  tenure  by  devine  service 
less  probably,  because  although  the  man  who  sold  the  goodly  manor  for  a 
song  would  not  hold  it  yet  he,  to  whom  the  manor  was  sold,  might.  Froru 
tbese  explanations  the  reader  may  consider  that  if  any  word  in  this  passage 
needs  alteration  it  is  the  word  „know"  which  may  be  a  misprint  of  „knew" 
or  the  word  „hold"  wich  may  be  a  misprint  of  „held." 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Vorschule  der  Dichtkunst,  theoretisch  -  praktische  An- 
leitung zum  deutschen  Vers-  und  Strophenbau  mit  vielen 
Aufgaben  und  beigegebenen  Lösungen,  von  Heinrich 
Viehoff.  Braunschweig.  1860. 

Der  Verfasser  gibt  in  der  vorliegenden  Schrift  eine  deutsche 
Metrik  und  lehrt  die  gegebenen  Regeln  an  geeigneten  Stoffen  verarbeiten. 
Namentlich  soll  damit  den  Schulen  genutzt  werden,  welche  deutsche  Me- 
trik in  besondern  Unterrichtsstunden  behandeln  ,  indem  der  Verfasser  der 
richtigen  Ansicht  ist ,  dass  die  Gesetze  erst  dann  wahrhaft  gewusst  wer- 
den, wenn  man  sie  anwenden  kann.  Zugleich  soll  die  Anleitung  im  Vers- 
und  Strophenbau  zur  grösseren  Einsicht  in  Beurtheilung  poetischer  Producte 
führen.  Denn  wer  selbst  versucht  habe  zu  dichten,  werde  besser  die  poeti- 
schen Schönheiten  entdecken,  eingehender  Fremdes  beurtheilen  können,  als 
wer  nur  immer  gelesen  und  genossen  hat.  Durch  eigne  Bearbeitung  poeti- 
scher Stoffe  würden  mannigfache  Geistesoperationen  nöthig ,  durch  die  zu- 
gleich der  Sprachschatz  an  Reichhaltigkeit,  jeder  Ausdruck  an  Gelenkigkeit 
gewinne. 

So  stellt  das  Buch  ausgedehnten  Nutzen  für  die  Bildung  des  Geschmacks 
und  der  Sprachgewandtheit  in  Aussicht;  —  und  wer  wollte  leugnen,  dass 
poetische  Versuche,  geschickt  angestellt  und  geleitet,  das  Angegebne  wirk- 
lich leisten  können?  Weiss  doch  schon  Aristoteles,  wie  „schwer  und  fast 
unmöglich  es  ist,"  ein  competenter  Beurtheiler  von  Werken  zu  sein  ,  an 
denen  man  sich  nicht  selbst  versucht  hat.  Und  wenn  er  aus  diesem  Grunde 
den  Unterricht  in  der  Musik  empfiehlt  (Pol.  V.,  Beck  1340  b),  so  ist  leicht 
zu  sehen,  wie  dieselbe  Empfehlung  für  das  verwandte  Gebiet  der  Poesie  in 
Anspruch  genommen  werden  kann.  Wer  selbst  ein  Gedicht  zusammengestellt 
hat,  wird  einsehen,  worauf  es  ankommt,  zumal  wenn  ihm  dabei  ein  geschmack- 
voller Beurtheiler  und  Lehrer  zur  Seite  gestanden  hat.  Es  wäre  daher  sehr 
wünschenswerth ,  dass  höhere  Lehranstalten  dem  deutschen  Unterricht  so 
viel  Platz  vergönnten  und  Aufmerksamkeit  zuwendeten,  dass  es  möglich  würde, 
auch  durch  poetische  Versuche  ästhetische  Bildung  des  Geistes  und  zugleich 
freieren  Umgang  mit  der  Muttersprache  zu  gewinnen.  Namentlich  möchte 
in  höhern  Töchterschulen  aus  solchen  Uebungen  reicherer  Nutzen  gezogen 
werden,  als  aus  manchem  Andern,  was  dort  getrieben  wird ;  indem  die  weib- 
liche Seele  hieraus  wirkliche,  natürliche  Nahrung  schöpft,  was  bei  der  aus- 
gedehnten Bekanntschaft  mit  fremden  Sprachen  und  historischen  Notizen 
nicht  immer  der  Fall  sein  wird.  Zugleich  ist  das  Weib  später  leicht  in  dem 
Fall,  solche  Uebungen  praktisch  zu  verwerthen.  Wie  Manche  möchte  wohl 
einen  gut  gebauten  eignen  Vers  in  ein  Stammbuch  schreiben,  ein  häusliches 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  297 

Fest  durch  eigne  Poesie  zieren,  oder  Erlebtes,  Gedachtes  in  sauberer  Form 
dem  Tagebuch  anvertrauen?  Hat  doch  selbst  W.  v.  Humboldt  eine  Zeitlang 
allabendlich  das  am  Tage  Gedachte  in  ein  Sonett  einzukleiden  gemocht. 

Auch  künftigen  Dichtern  könnte  die  Einübung  der  strengen  metrischen 
Technik  Nichts  schaden.  Man  halte  nur  nicht  Etwas  für  zu  erniedrigend, 
dessen  die  geistvollen  Griechen  sich  nie  geschämt  haben! 

Gegen  den  Zweck  des  Verfassers  wäre  also  so  wenig  Etwas  zu  erinnern, 
dass  das  Buch  vielmehr  mit  aller  Dringlichkeit  empfohlen  werden  muss. 

Sollen  wir  näher  auf  den  Inhalt  eingehen,  so  ist  Jeder  gewiss  zunächst 
begierig  zu  erfahren,  was  denn  unter  der  praktischen  Anleitung  zum  Dichten 
verstanden  sei.  —  Der  Verfasser  spricht  zunächst  eine  Versart  genau  durch, 
charakterisirt  sie,  weist  auf  ihre  Gesetze  hin:  dann  proponirt  er  einen  Stoff 
zu  eigner  Bearbeitung  gewöhnlich  in  der  Art,  dass  er  den  Inhalt,  weichender 
Schüler  in  Verse  zu  bringen  hat,  in  ungebundner  Rede,  aber  für  den  Zweck  zu- 
rechtgemacht, vorführt.  Dem  Lehrling  wird  dabei  allmählich  immer  mehr  zuge- 
muthet.  Währender  anfangs  hauptsächlich  nur  die  Wörter  umzusetzen,  selten 
mit  verwandten  zu  vertauschen  hatte,  hat  er  später  immer  mehr  Ausdrücke, 
<ranze  Wendungen  durch  poetischere,  passendere  zu  ersetzen,  er  bewegt  sich 
immer  freier,  selbstthätiger.  Man  sieht,  dass  die  Sache  nicht  praktischer 
angefasst  werden  kann.  —  Die  Uebungen  fangen  damit  an,  dass  eine  Gess- 
ner'scbe  Idylle  in  fortlaufende  Jamben  umzusetzen  verlangt  wird.  Die  vorher 
gewonnenen  metrischen  Gesichtspunkte  sollen  nun  berücksichtigt  werden. 
Dann  soll  ein  Stück  aus  Goethe's  Elpenor,  das  in  ungleich  langen  jam- 
bischen Versen  abgefasst  ist,  zu  jambischen  Quinaren  werden.  Herder'- 
sche  Parabeln,  an  denen  zuerst  noch  die  zukünftige  Verslänge  bezeichnet  ist, 
werden  ebenfalls  als  Blankverse  gewünscht.  Zur  Regulirung  des  Geleisteten  ist 
dann  jedesmal  eine  Lösung  zum  Vergleich  mitgetheilt.  Man  sieht  ein,  wie 
überall  der  Stufengang  vom  Leichteren  zum  Schwereren  beabsichtigt  ist;  — 
ich  wüsste  nicht,  wo  das  Gesetz  der  Allmählichkeit  dabei  unbeachtet  ge- 
blieben wäre  Rechten  muss  ich  aber  mit  dem  Verfasser  über  die  Wahl 
mancher  Stoffe  und  ihre  Lösungen.  Ich  glaube  nämlich,  dass  dafür  zweierlei 
als  Canon  aufgestellt  werden  muss,  1.  dass  die  Stoffe  auch  auf  der  Stufe, 
wo  dem  Schüler  noch  das  geringste  Maass  von  Selbstthätigkeit  gestattet  ist, 
für  denselben  ein  lebendiges  Interesse  haben.  Sonst  wird  er  nicht  genug 
angestachelt,  sie  so  fleissig  als  möglich  durchzuarbeiten,  2.  muss  die  Muster- 
lösung eben  ein  Muster  sein.  Was  soll's  fruchten,  das  Geleistete  mit  Un- 
vollkommenem, vielleicht  noch  Mangelhafterm  als  das  Selbstgewonnene  zu 
vergleichen  ? 

Gehen  wir  nun  nach  dem  ersten  Canon  die  Stoffe  durch,  so  ist  es 
gewiss  sehr  zu  loben,  dass  schon  anderweitig  poetisch  oder  annähernd 
poetisch  behandelte ,  anziehende  Stoffe  zur  Umarbeitung  vorgeschlagen 
werden.  Vor  Allem  lobe  ich  in  dieser  Beziehung  die  Stücke  aus  Goethe's 
Elpenor,  die  Htrder'schen  Parabeln,  die  Uebersetzungen,  zumal  wenn 
mustergiltige  Uebersetzungen  unsrer  Klassiker  an  die  Seite  gestellt  werden 
können.  Doch  möchte  ich  dem  Verfasser  von  dem  Eigengewählten  Manches 
abreden.  In  diesen  Stücken  sind  die  Gedanken  nicht  selten  zu  sehr  zusam- 
mengerechnet, zu  kalt  und  auch  wohl  nicht  hoch  genug,  z.  B.  was  der  Verf. 
als  Blätter  eines  Laienbreviers  gibt,  enthält  auch  Mattes:  „O  quälender,  un- 
seliger Hang  des  Menschen,  sich  immer  nur  aufwärts  zu  vergleichen!  Warum 
nicht  auch  abwärts?  Hättest  Du  Dich  gewöhnt,  die  Stufenleiter  der  Wesen 
hinauf  und  hinabzublicken  und  dann  zu  fragen  wo  Du  stehst:  wahrlich,  Du 
würdest  dankbar  und  zufrieden  sein  lM  Nachdem  dann  der  Mensch  auf  die 
Thiere  (!)  uud  niedrigeren  Menschenclassen  hingewiesen  ist,  schliesst  die 
Betrachtung:  „Wenn  Du  Dich  redlich  fragst,  an  welchen  Platz  das  Schick- 
sal Dich  hingestellt,  so  musst  Du  dankbar  bekennen:  Mir  ist  ein  besseres 
als  ein  Mittellos  zu  Theil  geworden!"  Ob  der  Jüngling  sich  an  diesen 
Gedanken,    auch    wenn     er    sie    in    Blankversen   vor   sich    sieht,     wirklich 


298  I!  curt  h  eilu  ngen  und  kurze  Anzeigen. 

erbaut?  Matt  uuil  durch  die  Eiuschliessung  in  einen  ziendich  prosaischen 
Gedanken  peinlich  ist  das  Stück  d  im  Brevier,  anhebend:  Willst  Du  der 
Mußestunden  rein  geniessen,  So  halte  freies  Scliafl'en  und  Geschäft,  Lieb- 
haberei und  Pflichten  streng  gesondert!  Nach  der  Ausführung  dieses  Satzes 
folgt  der  Schluss:  Drum  halte  freies  Schaffen  und  Geschäft,  Liebhaberei 
und  Pflichten  etc.  —  Zu  gesuchte  Gedanken  möchten  die  in  Disticheu 
zu  kleidenden  Gnomen  und  Epigramme  enthalten.  Z.  ß.  Nro.  59:  „Wie 
die  belle  de  nuit  auf  den  Fluren  von  Peru  (weither!)  beginnt  das  Menschen- 
herz erst,  wenn  sich  die  Sonne  gesenkt  hat,  zu  blühen  und  zu  duften!  — 
Dergleichen  ist  zu  ängstlich  geistreich  ! 

Gelungener  finde  ich  die  Idee,  zu  Goethe  -  Schiller'schen  Votivtafeln  bil- 
ligende, kritische,  explicative  etc.  Distichen  hinzufügen,  oder  Motto's  machen 
zu  lassen  auf  Dichtungen,  oder  Epigramme  auf  bekannte  literarische  oder 
weltgeschichtliche  Personen  und  Ereignisse. 

Au  diesen  Vorschlägen  merkt  man  den  an  der  Jugend  gereiften  Schul- 
mann, der  weiss,  wie's  die  junge  Seele  drängt,  an  Gelesenes,  Mitgetheiltes 
eigne  Urtheile  zu  knüpfen.  AVie  lockend,  diese  poetisch  gestaltet  vor  sich 
zu  sehen !  So  muss  ich  auch  als  einen  sehr  glücklichen  Griff  bezeichnen  den 
Vorschlag,  aus  Sebiller's  ästb.  Erziehung  die  Zeichnung  des  Künstlers  zu 
einer  Reihe  von  Distichen  zu  benutzen.  Wo  der  Gegenstand  so  anziehend 
und  die  pros.  Darstellung  schon  einen  so  poetischen  Color  hat,  wird  der 
Schüler  leicht  und  mit  grossem  Vergnügen  das  metrische  Gewand  suchen. 
Ich  glaube,  dass  nach  dieser  Richtung,  aus  prosaischen  Stücken,  sei  es  durch 
Umsetzung  der  darin  gegebenen  Gedanken  oder  im  Anschluss  an  die  ge- 
zeichneten Charaktere  oder  erregten  Gefühle,  sich  noch  Stoffe  des  erfreuend- 
sten  Inhalts  finden  lassen.  Der  Verf.  hat  ja,  wie  Jeder  weiss,  selbst  eine 
so  reiche  Bekanntschaft  in  der  Literatur,  und  so  weisen  praktischen  Sinn, 
dass  ihm  mit  Berücksichtigung  des  gegebenen  Canons  vielleicht  eine  noch 
tadelfreiere  Auswahl  möglich  wäre.  So  liesse  sich  z.  B.  in  Anschluss  an 
§.  21  in  leichten  antiken  Formen  darstellen  der  glänzende,  „von  tiefer  und 
reiner  Empfindung'4  zeugende  Hymnus  auf  die  Natur,  der  sich  im  ersten 
Theil  des  Briefs  vom  18.  August  aus  den  Leiden  des  jungen  Wrerther  findet 
(Wenn  ich  sonst  etc.).  Der  Verfasser  wird  die  noth wendigen  Aenderungen 
selbst  sehen. 

Ganz  lokale  aber,  nur  für  bestimmte,  individuelle  Situationen  passende 
Stoffe  liesse  ich  ganz  weg,  also  aus  dem  1.  Theil  Nro.  lOt  ,  aus  dem  2. 
51,  85,  86,  die  sich  zum  Theil  auf  Trierer  Feierlichkeiten  beziehen. 

Den  2.  Canon  hat  der  Verf.  selbst  theoretisch  beanstandet,  und  praktisch 
fortwährend  dagegen  gehandelt.  Es  bedarf  daher  einer  Verständigung.  Hören 
wir  seine  Gründe!  Er  fragt:  Wäre  es  nicht  zweckmässiger,  wenn  die  Lö- 
sungen, die  dem  Lehrling  zum  Vergleich  mit  seinen  eigneu  Arbeiten  dar- 
geboten werden,  ihm  das  Angestrebte  in  möglichst  vollendeter  Ausführung 
zeigten?  Ist  nicht  das  Allerbeste  eben  gut  genug  zum  Vorbilde V  Antwort: 
„Wenn  es  auf  praktische  Uebungen  ankommt,  so  ist  es  nicht  paedagogisch, 
nicht  methodisch,  den  Anfänger  in  einer  Kunst  auf  Schritt  und  Tritt  durch 
die  Höhe  des  vorgehaltenen  Ideals  zu  demüth  igen  und  zu  entmuthigen. 
—  Die  angehängten  Lösungen  sollen  dem  Lehrling  zeigen,  was  vorläufig, 
auf  der  Stufe,  wo  er  eben  steht,  von  ihm  erwartet  und  verlangt  wird."  Ich 
übergehe,  dass  hiermit  der  Verfasser  der  pag.  X  ("der  Vorrede)  geäusserten 
Absicht,  durch  Aufstellung  des  zu  einem  wahren  Gedicht  Erforderlichen  die 
Verlockung  zu  unberufenem  öffentlichen  Hervortreten  ferner  zu  rücken,  ge- 
radezu entgegenarbeitet.  Ein  ganz  anderer  Zweck  liegt  der  eben  mitge- 
theilten  Argumentation  unter. 

Ueberhaupt  weiss  ich  nicht,  ob  der,  welcher  sich  einmal  zu  poetischen 
Uebungen  angereizt  gefühlt  hat,  wirklich  mehr  gedemüthigt  und  entmuthigt, 
als  angestachelt  wird,  immer  Vollkommneres  zu  leisten,  wenn  er  spezifisch 
Besseres  vor  Augen  sieht.     Stellt  der  Lehrer  die  bessere  Lösung  dem  Ge- 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  299 

leisteten  gegenüber,  so  kommt's  ja,  denke  ich,  vorzüglich  auf  dessen  Manier  an, 
ob  der  Schüler  entmuthigt  oder  zu  rüstigein  Weiterschreiten  veranlasst  wird. 
Fehlt  ihm  aber  der  Lehrer,  so  wird  er  jetzt  leicht  die  mit  Mängeln  ange- 
füllten Muster  für  mustergiltig  halten  (denn  woher  soll  der  Lernende  schon 
das  Unvollkommene  kennen  V)  und  sich  zu  frühzeitig  bei  stümperhaften  Pro- 
ducta! beruhigen.  Erkennt  der  Leser  trotz  der  Hinweisung  auf  ganz  Voll- 
kommenes auch  in  dem  fehlerhaften  Product  das  Verdienstliche,  die  Fort- 
schritte an,  weckt  er  durch  hinzugefügte  Ermunterung  das  (Selbstvertrauen, 
so  wird  das  vorzügliche  Muster  keinen  schrecklichen  Schaden  anrichten. 
Will  doch  Viehoff  selbst,  dass  der  Lehrer  an  der  noch  nicht  vollkommen 
durchgefeilten  Lösung  das  Tadelnswerthe  aufzeige  und  durch  Besseres  er- 
setze! Was  vom  Lehrer  erwartet  wird,  konnte  füglich  auch  das  Buch  leisten, 
zumal  da  es  auch  für  Selbststudium  berechnet  \>t.  Ruft  die  Hinweisung  auf 
die  Verbesserung  auch  des  Musters  keine  abschreckende  Wirkung  hervor, 
so  war  sie  überhaupt  nicht  zu  fürchten.  Wenigstens  konnten  doch,  um  die 
Aufmerksamkeit  darauf  zu  richten,  und  das  Bewusstsein  von  den  Mängeln 
rege  zu  halten ,  die  schadhaften  Stellen  durch  den  Druck  markirt  werden  ! 
Anmerkungen  konnten  Vorschläge  zur  Besserung  geben !  Da  einmal  die 
Lösung  dem  Lehrer  bei  der  Verbesserung  zu  Hülfe  kommen  soll,  warum 
ist  nicht  auch  diese  Erleichterung  noch  hinzugefügt?  So  wäre  wenigstens 
die  Wegschaffung  alles  Incorrecten  mehr  gesichert,  als  wenn  man  sie 
dem  Geschmack  eines  vielleicht  metrisch  und  ästhetisch  nicht  ganz  taetfesten 
Lehrers  völlig  überlässt.  —  Uebrigens  konnten  auch  manche  Gedichte  unsrer 
besten  Autoren,  die  nicht  allzu  bekannt  sind,  für  neue  Bearbeitung  verwandt 
werden,  —  was  der  Verfasser  aus  demselben  horror  vor  dem  Vollkommen- 
sten abweist. 

Jetzt  kann  eigentlich  die  Kritik  des  Buches  nicht  einmal  auf  die  Fehler 
der  Lösungen  sich  einlassen,  da  der  Verf.  allgemein  ihre  Absichtlichkeit 
betont.  Nur  mag  man  sich  bei  der  Betrachtung  holpriger,  unkünstlerischer, 
zusammengerechneter  Verse  manchmal  fragen,  wozu  überhaupt  so  Etwas 
als  Lösung  mitgetheilt  wird,  das  unmöglich  bessern ,  höchstens  das  Ohr  an 
das  Schlechte  gewöhnen  kann.  Folgende  Pröbclien,  an  denen  man  sich 
diese  Frage  vorlegen  mag,  sind  aus  den  Hexametern  (pag.   182,   18): 

Sanft  ge  |  dämpft  war  mein  |  Licht.  .  .  . 

?     Blättern  |  gleich,  wenn  sie  |  losgejrissen  vom  schwankenden  Stengel — 
Einer  der  |  zur  Handjtrommel  ein  .... 
Aus  den  Distichen:  pag.  192,  81.  10;  88,   1: 

Wohl  ihm,  |  dass  ihn  ein  |  günstig  Geschick  etc. 

Vs.  9  hat  „darob"  der  Vers  verschuldet  etc. 

Pag.  2U8  heisst's  in  einer  alcaeischen  Strophe:  Dem  Tag  geweiht  ent- 
führet sie  auch  der  Tag.  Jch  glaube,  der  Ictus  an  der  hervorgehobenen 
Stelle  ist  zu  stark,  um  nicht  an  begriffsschwere  Wörter  gegeben  zu  werden. 
Dasselbe  gilt  von  den  Asclepiacleenenden  (p.  213):  schon  der  Mensch,  seinem  Joch, 
edle  Ross,   stete  Wahn   geben   der   drittletzten  Silbe   sinnwidriges   Gewicht. 

Jedoch  da  nie  zu  wissen  ist,  was  der  Verfasser  übersah  und  was  er 
gerade  so  lassen  wollte,  —  ist  ein  längeres  Verweilen  bei  diesem  Gegen- 
stand unnütz.  Es  bleibt  aber  die  Frage,  was  die  Angabe  des  ganz  Richtigen 
in  einer  Note  geschadet  hätte?  Würde  nicht  die  Vergleichung  mit  dem 
Fehler  in  der  Lösung  den  Tact  für  gute  Verse  geschärft  haben?  -  immer 
nur  bildend  gewesen  sein? 

Ich  komme  schliesslich  auf  den  theoretischen  Theil,  der  mit  den  fein- 
sinnigsten Bemerkungen  geziert  ist,  auf  scharfer  Beobachtung  deutscher 
Verse  und  dem  gebildetsten  Geschmack  beruht. 

In  §.   1  wird  eine  Prosodie   gegeben.     Das    im  Deutschen   sehr   seh  wie- 


300  Beurtheilnngen  und  kurze  Anzeigen. 

rige  Thema  ist  mit  grosser  Sicherheit  und  feinem  Tact  behandelt.  Manch- 
mal treten  die  Behauptungen  über  Länge  und  Kürze  der  Silben  zu  em- 
pirisch auf,  sie  sind  nicht  immer  auf  allgemeine  Gesetze  als  ihre  Gründe 
zurückgeführt.  So  erscheint  Manches  zu  willkürlich  oder  nur  aus  der  Er- 
fahrung aufgerafft.  Es  sollten  die  Momente,  welche  eine  Silbe  hochtonig 
oder  lang  machen,  geordnet  und  aufgezählt  sein.  Nach  des  Verfassers 
eignen  Beobachtungen,  deren  Resultate  jetzt  durch's  ganze  Buch  zerstreut 
sind,  Hessen  sich  hierfür  folgende  4  Sätze  aufstellen: 

Hochtonig  ist  eine  Silbe  1.  durch  wichtigen  Begriffsinhalt,  daher  Wurzel- 
und  Stammsilben. 

2.  durch  Lautschwere,  daher  wohl  breite  Diphthongen  und  gehäufte 
Consonannten  am  Ende  eine  Silbe  so  wuchtig  machen  können,  dass  sie,  zu- 
mal wenn  eins  der  folgenden  Momente  hinzukommt,  als  hochtonig  gilt.  Meist 
ist  solche  Silbe  wenigstens  mitteltonig,  als  lange  Thesis  zu  verwerthen. 

3.  durch  Gegensatz  gegen  folgende  oder  vorhergehende  ganz  leichte 
Silben  (mit  kurz  e  z.  B.)  wird  eine  andere  so  gehoben,  dass  Niemand  an 
ihrer  Hochtonigkeit  Anstoss  nimmt.  Belege  dafür  gibt  der  Verfasser  sehr 
häufig,  z.  B.  pag.  74,   112,  114  etc. 

4.  kann  sogar  die  Wucht  des  Rhythmus  eine  nicht  zu  leicht  wiegende 
Silbe  in  die  höchste  Tonhöhe  heben.  Die  Regel  des  Verses  hat  sich  dem 
Gefühl  so  eingelebt,  dass  man,  um  sie  nicht  verletzt  zu  sehen,  ohne  Be- 
denken die  mitteltonige  Silbe  hochschnellt.  Natürlich  darf  die  Differenz  von 
der  gewöhnlichen  Betonung  nicht  zu  schroff'  sein.  Auch  auf  diese  Regel 
recurrirt  der  Verfasser  an  vielen  Stellen  mit  Recht.  Z.  B.  heisst's  pag.  104 : 
P^s  kommt  nur  darauf  an,  den  reineren  Anapästen  ein  solches  numerisches 
Uebergewicht  zu  geben,  dass  sie  die  Füsse  von  schwebender  Messung,  die 
sich  unmöglich  ganz  vermeiden  lassen,  in  ihre  Bewegung  mit  fortreissen  und 
ihnen  ein  entschiedenes  anapästisches  Gepräge  aufdrücken. 

Diese  Regeln  waren  am  Besten  zusammenzustellen  und  von  dem  beob- 
achtungsreichen Verfasser  durch  passende  Beispiele  gründlich  zu  belegen. 
Die  Zusammenstellung  an  einen  Ort  hätte  auch  die  häufigen  Wiederholungen 
derselben  Sache,  die  jetzt  stören,  vermieden,  indem  man  sLh  durch  ein 
kurzes  Citat  auf  den  betreffenden  §.  beziehen  konnte ,  wo  der  Gegenstand 
ausschliesslich  und  erschöpfend  behandelt  war.  Da  gerade  von  Wieder- 
holungen die  Rede  ist ,  möchte  ich  den  Verfasser  überhaupt  warnen  ,  Lieb- 
lingsmaterien,  wie  über  Lautmalerei,  worüber  er  freilich  immer  Treffendes 
bringt,  zu  oft  zu  behandeln.  Er  muss  dem  Leser  zutrauen,  dass  er  durch 
ein  Citat  auf  den  Ort,  wo  das  behandelt  ist,  sich  an  das  Nothwendige  er- 
innern lässt. 

Die  Behandlung  der  Metrik  im  Allgemeinen  zeugt  von  der  reifen  Ein- 
sicht in  den  Charakter  der  deutschen  Sprache,  ihrer  Laute  und  des  Rhyth- 
mus, die  an  dem  Erklärer  der  Schiller'schen  Gedichte  bekannt  ist.  Die 
Reichhaltigkeit  des  Materials,  die  Eindringlichkeit  der  Beobachtung,  das 
fortwährende  Bestreben,  möglichst  bestimmt  die  Natur  einer  Versart,  die 
Stoffe,  für  die  sie  am  Besten  verwandt  wird,  zu  kennzeichnen,  gibt  auch 
dem,  welcher  im  Einzelnen  abweichender  Meinung  ist,  die  belehrendsten 
Anregungen.  Namentlich  ist  bei  den  schwierigsten  Gegenständen  seine 
immer  fassliche,  nie  in  vage  Allgemeinheit  und  Phrasenhaftigkeit  versin- 
kende Sprache  sehr  wohlthuend. 

Er  erlaubt  gewiss  einzelne  Bedenken. 

Zu  viel  Gewicht  wird  auf  Uebereinstimmung  der  Verse  und  Sätze  ge- 
legt; —  da  doch  der  Verf.  selbst  häufig  genug  andeutet,  dass  das  Versende 
vom  Anfang  sich  durch  Vermeidung  aller  Freiheiten  unterscheidet,  am  schärf- 
sten den  Gruudrh)  thmus,  der  sich  am  Anfang  verwischen  kann ,  markirt. 
Werden  jene  natürlichen  Beschränkungen  genau  eingehalten,  so  muss  das 
Versende  meist  ohne  Interpunktion  deutlich  werden. 

In  dactvlen  Versen  duldet  der  Verfasser  zu  leicht  Trochäen.  Die  beiden 


Beur theilungen  und  kurze  Anzeigen.  301 

Kürzen  durch  eine  sinkende  Länge  zu  ergänzen,  diese  Freiheit  hält  wenig- 
stens das  Zeitverhältniss  von  Arsis  und  Thesis  inne.  Setzt  man  aber  einen 
Trochäus  mit  leicht  wegzuschnellender  Kürze,  wie  die  Endsilben  mit  e  ohne 
consonantische  Lautfülle  sind,  so  wird  Arrhythmie  erzeugt.  Von  den  sin- 
kenden Trochäen  würde  ich  schon  die  in  der  2.  Silbe  möglichst  gedehnten 
aussuchen.  Herrscht  auch  der  Rhythmus,  der  Gegensatz  von  Arsis  und 
Thesis  bei  uns  vor,  so  wird  doch,  nach  des  Verfassers  eignen  Zugeständ- 
nissen, die  Zeitdauer  nicht  ganz  ausser  Acht  gelassen.  Ich  kann  daher  die 
Einmischung  von  Trochäen  nicht  einen  „schönen  Vortheil"  nennen,  da  sie 
mir  zu  sehr  die  von  dem  Vers  verlangte,  durch  Verdopplung  der  kurzen 
Thesen  im  Dactylus  indicirte  Quantitätsgleichheit  von  Arsis  und  Thesis  stört. 
Schön  scheint  mir  der  Vortheil  nur  für  den  überall  nach  Licenzen  haschenden 
Anfänger. 

Die  Construction  der  antiken  Verse  (pag.  140  sq.)  ist  zu  missbilligen. 
Der  Choriamb  ist  bei  der  Analyse  zu  sehr  in  den  Vordergrund  gedrängt. 
Da  der  Verfasser  ihn  am  Anfang  aus  dem  deutschen  Versbau  verwiesen  hat 
und  hier  doch  unmöglich  von  Wortfüssen  die  Rede  ist,  begreift  man  das 
eigentlich  nicht. 

Es  ist  doch  natürlicher,  den  Glyconeus  logaödisch  sinken  zu  lassen, 
als  ihn  zuletzt  jambisch  aufzuschnellen  Die  letzte  Silbe  ist  zu  mittelzeitig 
(tonig),  um  eine  Arsis  für  den  einen,  neuen  Jambus  abzugeben,  der 
durch  seine  Isolirtheit  ja  noch  viel  energischer  als  sonst  sein  Gesetz  fest- 
halten müsste.  Dasselbe  gilt  von  dem  Schluss  der  Asclepiadeen.  Die  leichte 
Erweiterung  aus  dem  Glyconeus  durch  einfache  und  doppelte  Hinzufügung 
eines  Choriamb  hat  den  Verfasser  gewiss  bestochen,  überhaupt  den  Cha- 
racter  dieser  Verse  im  Choriamb  dargestellt  zu  finden.  Bei  den  Asclepiadeen 
geben  aber  lateinische  Verse  eine  hinlänglische  Hinweisung  gerade  auf  den 
Unterschied  zwischen  Ende  und  Mitte.  Der  (od.  beim  Asel.  major  beide) 
Choriamb  der  Mitte  hat  der  Regel  nach  eine  Diärese  (oder  wie  der  Verf. 
spricht  eine  Incision,  oder  nach  pag.  141  eine  Cäsur),  während  das  Ende 
ganz  flüssig,  also  logaödisch  abrollt. 

Maece  nas  atavis  ||  edite  regtbüs 
Nullam  |  Vare  sacra  ||  vite  prius  ||  sevens  ärbörem.*) 

Dasselbe  logaödische  Ende  findet  sich  im  Hendekasyll.  der  alcaeischen 
Strophe.  Der  erste  Theil  desselben  wird  besser  als  doppelte  Basis  mit  Ana- 
crusis  bezeichnet.  Diese  Herrmann'sche  Theorie  klärt  am  Besten  solche 
Anfänge  nach  musikalischen  Analogien  auf.  Dieselben  aber  als  überflüssige 
Jamben  aufzufassen,  ist  unnatürlich.  Das  Jambische  widerspricht  dem  Loga- 
ödischen.  Und  überzählige  Verse  vermeidet  man  überhaupt  besser,  anzu- 
nehmen. Jeder  Vers  muss  ein  abgeschlossenes  Ganze  sein,  wenn  er  auch 
erst  durch  Pausen  dazu  würde.  —  Auch  in  der  Sapphischen  Ode  ist  die 
trochäische  Bewegung  von  der  logaödischen  begleitet,  die  ja  im  Schluss- 
adonius  so  rein  hervortritt.  Diesen  freilich  ist  der  Verf.  sogar  geneigt, 
choriambisch  zu  fassen !  Lassen  wir  nun  in  der  Sapphischen  Strophe  über- 
haupt nie  Choriamben  gelten,  so  kann  die  Matthisson'sche  Umsetzung, 
welche  den  Choriamb  nach  dem  1 .  Trochäus  hat :-«.|-ww_|'w_«_,«j  nicht 
für  eine  Variation  der  Sapphica,  sondern  muss  für  einen  Vers  andern 
Charakters  gehalten  werden.  In  der  alc.  Strophe  ist  der  3.  Vers  wieder 
kein  überzähliger  Jambicus,  sondern  eine  mit  Anacruse  versehener  Trochaicus. 
Was  sollte  der  jambische  Rhythmus  zwischen  Logaödicis?  Der  letzte  Vers 
gibt,  wie  der  3.  die  Verdoppelung  des  1.  Theils  der  beiden  ersten  Verse, 
eine  Ausführung  des  Themas  ihres  2.  Theils. 


*)  Die  Vernachlässigung"  dieser  Diärese  würde  ich  auch  im  Deutschen 
nicht  billigen,  wie's  der  Verfasser  pag.  144  thut.  Sie  ist  zur  Absetzung  des 
Choriamb,  nach  dem  man  eine  natürliche  Pause  macht,  gegen  den  loga- 
ödischen Fall  nothwendig. 


302  B  eurtli  eilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Der  2.  Thoil  des  Buchs  handelt  von  Reimversen  und  Reimstrophen. 
Als  Vorbereitung  dazu  werden  Alliteration  und  Assonanz  durchgesprochen. 
Der  Zweck  des  Reims,  der  Alliteration  und  Assonanz,  der  verschiedene  Cha- 
rakter der  einzelnen  Arten  wird  von  dem  Verfasser  mit  gebildetem  Gefühl 
für  den  Geist  der  Sprachlaute  behandelt.  §.  3  gibt  auch  eine  historische 
Entwicklung  des  deutschen  Reims,  der  schon  bei  Otfried  die  Alliteration 
liherwiegt.  Er  unterscheidet  sich  von  dieser  dadurch,  dass  er  gliedert ,  was 
die  Alliteration  als  Eins  darstellen  wollte.  §.  l  werden  die  Arten  des  Reims 
gegeben.  Wenn  hier  auch  die  Kettenreime  berücksichtigt  werden,  so  bin 
ich,  wie  auch  spater  bei  andern  Gelegenheiten,  der  Ansicht,  dass  dergleichen 
Spielereien,  die  zu  sehr  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Form  hinziehen,  für 
den  praktischen  Zweck  des  Buches  besser  unberücksichtigt  blieben.  Der 
Verfasser  hat  hier  selbst  seine  Missbilligung  geäussert.  Zu  den  Mängeln, 
die  er  selbst  angibt,  kommt  nicht  als  kleinster  hinzu  die  Ungleichheit  der 
sich  aufeinander  beziehenden  Versstücke,  zumal  diese  zu  kurz  sind,  um 
das  Disharmonische  zu  verwaschen.  So  wird  das  Gefühl  zerzerrt.  —  Denn 
mögen  auch  die  Verse  ganz  symmetrisch  gedruckt  erscheinen,  so  sind  doch 
die  einzelnen  Verse  durch  den  Reim  in  2  Theile  gespalten ,  von  denen  der 
1.  auf  den  vorhergehenden,  der  2.  auf  den  folgenden  Vers  sich  bezieht.  So 
kommt  folgender  unerträgliche  Vortrag  zu  Stande : 

_ ,     jWenn  langsam  Welle  sich  an  Welle  schliesset, 
(Im  breiten  Bette  fliesset 

jStill  das  Leben, 

4:  7,  erst      (Wird  jeder  Wunsch  verschweben 

Trochäen,  dann  T      i 

T      ,  '     ,       (In  dem  emen : 
Jamben!         v.  ,  ,        ,,    ,      x-. 

j Wichts  soll  des  Daseins  reinen 

'Fluss  Dir  stören. 

Welche  Verhältnisse!  Ihre  ganze  Gesetzmässigkeit  ruht  in  der  Wieder- 
kehr des  Unverhältiiissmässigen ! 

In  den  musterhaften  Erörterungen  über  die  komische  Kraft  des  Reims 
(240)  findet  sich  das  besser  vermiedene  Wort:  Klangfocus.  Zu  den  Regeln, 
welche  der  Verfasser  über  die  Wirkungsweite  des  Reims  gibt  (man  sieht, 
wie  reichhaltig  das  Buch  ist!),  die  gewiss  alle  richtig  und  aus  langer  Be- 
obachtung geschöpft  sind,  würde  ich  noch  hinzufügen,  dass  sich  die  Reime 
zweier  Verse  auch  nach  4  zwischenstehenden  noch  auf  einander  beziehen, 
wenn  die  Verse  sich  durch  ihre  Structur  scharf  gegen  die  andern  absetzen 
und  so  selbst  hervorheben.  So  sind  doch  der  5.  und  10.  Vers  in  dem  Fou- 
que'schen  Stück  (pag.  239)  noch  sehr  gut  als  zu  einander  gehörig  zu  em- 
pfinden, und  das  Ganze  wird  durch  dieselben  sehr  schön  abgerundet. 

Da  der  Verfasser  pag.  243  selbst  gesteht,  dass  sich  über  die  Reinheit  des 
Reims  wegen  der  Ungleichheit  der  Aussprache  in  den  verschiedenen  Orten 
Deutschlands  keine  festen  Regeln  aufstellen  lassen,  so  ist  es  nicht  nöthig, 
manche  Reime,  die  er  schon  als  unrein  tadelt,  dafür  zu  halten. 

Aus  dem  sehr  inhaltreichen  Abschnitt  über  den  Gebrauch  des  Reims 
(249  —  57)  erwähne  ich  nur,  um  dem  Leser  dieser  Zeilen  einen  Begriff  von 
dem  gesunden  Tact  des  Verfassers  zu  geben,  kurz  die  Gesetze,  die  er  weit- 
läufiger durchspricht:  1.  Die  Gleichklänge  müssen  vorherrschend  auf  die- 
jenigen Wörter  und  Silben  fallen,  welche  die  relativ  bedeutsamsten  Begriffe, 
Vorstellungen,  Bilder  und  Empfindungen  ausdrücken.  2.  Man  benutze  die 
phonetische  Beziehung  der  Reimwörter,  um  die  innern  Beziehungen  der  dar- 
zustellenden Gegenstände  anzudeuten.  3.  In  den  Reimklängen  lasse  man 
die  Sprache  den  Rest  ihrer  alten  onomatopoetischen  und  musikalischen  Kraft 
möglichst  entfalten.  4.  Die  Wahl  der  Klänge  ist  bedingt  durch  den  Ge- 
sammteharakter  des  Gedichts,  durch  die  in  ihm  vorwaltende  Stimmung  und 
Gemüthsart.      5.   Man    vermeide   allzu    verbrauchte    Reime.     6.    Andererseits 


B  eurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  303 

hüte  man  sich  vor  zu  gesuchten.  7.  Auch  die  reichen  Reime  (Wogen  — 
gewogen)  sind  zu  meiden.  8.  Anders  ist's  mit  den  Wiederholungen  des- 
selben Worts ,  den  gleichen  Reimen.  9.  Entsprechende  Lautmalerei  im 
Innern  der  Verse  kann  dazukommen.  10.  Der  Reim  entspricht  passend 
dem  Rhythmus.  11.  Man  ■vermeide  ihn  bei  künstlich  gebauten  Versen.  Zu 
4  ist  weiter  von  der  Geschlechtsverschiedenheit  der  Reime  die  Rede.  Sinnig 
wird  auf  die  Verschiedenheit  der  Empfindung  hingewiesen,  die  durch  männ- 
liche oder  weibliche  oder  gleitende  (-  ~  -)  Reime  ausgedrückt  wird.  Die 
Reimstellung,  ihre  Ordnung  und  Entfernung,  die  Lautbeschaffenheit  der- 
selben, wird  durchgesprochen.  —  Nach  dieser  Abhandlung  wird  die  Natur  der 
Strophe  behandelt.  Es  wird  der  Verfasser,  dessen  Verdienste  ich  hoch- 
halte, nicht  missfällig  bemerken,  dass  ich  über  Einiges  abweichende  Meinung 
äussere. 

Die  Strophe  ist  eine  höhere  Einheit,  zu  der  eine  Reihe  Verse  zusam- 
mengeschlossen werden.  Strophe  ist  nur  überall  da,  wo  noch  die  Einheit 
empfunden  wird.  Ein  Gedicht,  das  auch  noch  so  sehr  durch  den  Druck 
die  Strophen  kennzeichnet,  zerfällt  doch  in  Verse,  sobald  das  Ohr  die  Ein- 
heit nicht  mehr  wahrnimmt.     Darin  stimme   ich  mit   dem  Verfasser   überein. 

Aber  er  scheint  mir  die  Einheit  zu  selten  noch  zu  empfinden.  Er 
lässt  z.  B.  eine  Strophe  von  4  Versen  mit  2  auf  einander  folgenden  gleich- 
artigen Reimpaaren  in  2  Theile  zerfallen.  Erstens  schlägt  er  dabei  den  Werth 
der  syntaktischen  Einheit  zu  genug  an,  den  er  doch  bei  den  Versen  so  sehr 
berücksichtigt  (s.o.).  Er  gibt  pag.  260  nur  zu,  „dass  diese  ausnahmsweise 
einen  Ersatz  bieten  kann!"  In  Gedichten,  wo  der  Stoff  regelmässig  zu  Einheiten 
von  4  Versen  gruppirt  ist,  wird  das  Gefühl  auch  paarige  Strophen  empfinden. 
Dazu  kommt  noch,  dass  in  Gedichten,  wo  man  neben  und  über  der  Vers- 
einheit und  der  durch  den  Reim  erzeugten  Verbindung  nach  einer  höhern 
Zusammenfassung  zu  Einem  strebt,  wo  das  Gefühl  das  Gedicht  noch  in 
grössere  Massen  zergliedern  möchte,  es  zunächst  wie  von  selbst  4  Verse 
zusammenschliesst.  Auch  der  Lateiner  fasste  4  Asklepiadeen  als  eine  Strophe 
auf,  obwohl  die  Verse  sich  vollkommen  gleichen;  er,  weil  er  an  den  natur- 
gemäss  vierzeiligen  (Sapph.  und  Alcaeisehen)  Strophen  sein  Ohr  an  solche 
Zusammenfassung  gewöhnt  halte.  Aber  auch  wir,  die  wir  durch  den  Reim 
hinlänglich  zu  paarweiser  Verbindung  geschult  sind,  werden  überall, 
wo  wir  grössere  Einheiten ,  als  sie  die  Reimpaare  geben ,  verbunden  sehen 
möchten,  uns  sogleich  zur  Zusammenschliessung  von  einem  Paar  solcher 
Reimpaare  aufgefordert  halten,  zumal  wenn  die  syntaktische  Einheit  zur 
Hülfe  kommt.  Eine  Erwartung  aber,  dass  die  kleinen  Massen  noch  einmal 
zusammengeschlossen  werden,  wird  bei  Reimpaaren  mit  kurzen  Versen 
rege.  Der  Inhalt  ist  zu  winzig,  als  dass  das  Gefühl  schon  einen  Abschluss 
machen  könnte.  Aus  demselben  Grunde  machen  wir  wie  von  selbst  aus  2 
vierzeiligen  Reim  verschlingungen  mit  kurzen  Versen  eine  Strophe  von 
8  Versen. 

Nach  dem  Gesagten  kann  ich  daher  nicht  mit  dem  Verfasser  finden, 
dass  z    B.  in  dem  Goethe'schen  Gedicht  Epiphanias  die  Strophe  zerfällt: 

Die  heiligen  drei  Könige  mit  ihrem  Stern, 

Sie  essen,  sie  trinken  und  bezahlen  nicht  gern, 

Sie  essen  gern,  sie  trinken  gern, 

Sie  essen,  trinken  und  bezahlen  nicht  gern. 

Erstens  fordert  der  Inhalt  Zusammenfassung  beider  Paare.  Dann  ist 
das  letzte  Paar  durch  die  Wiederholung  und  Variirung  des  2.  Verses  so  an 
diesen  geknotet,  dass  das  Gefühl  sich  schwer  zur  Spaltung  entschlösse. 
Dazu  kommt,  dass  man  aber  nach  zwei  so  kurzen  Versen  keinen  relativen 
Abschluss  eintreten  lassen  mag,  man  will  erst  noch  mehr  aufnehmen;  und 
so  hält  man  zuerst  nach  dem  4.  Vers  inne.  Erst  nach  der  Aufnahme  eines 
gewissen  Quantums   sehnt  man    sich    nach    einer  Pause.     Hier   kommt  aller- 


304  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

dings  nichts  Neues  hinzu,  aber  der  Inhalt  wird  durch  die  Variation  wichtiger, 
das  Gefühl  gefüllter.  Bei  langen  Versen  ist  ein  Reimunterschied  nöthiger, 
weil  hier  die  Seele  nach  Aufnahme  zweier  Verse  nicht  nothwendig  und  von 
selbst  nach  einer  höhern  Einheit  strebt,  sondern  sich  leichter  genügen  lässt. 
Doch  möchte  auch  hier  schon  syntaktische  Vierzeilengruppirung  parallele 
Stropheneinheit  unschwer  veranlassen. 

Das  Gesagte  gilt  auch  von  den  achtzeiligen  Strophen  nach  der  Ordnung 
ababcdcd.  Das  Zerfallen  in  die  beiden  Theile  ist  auch  hier  nicht  durchaus 
nothwendig.  Man  kann  sich  sehr  gut  nach  dem  2.  b  noch  nicht  hinlänglich 
gesättigt  fühlen ,  um  schon  Ruhe  zu  machen.  Kommt  syntaktische  Einheit 
zur  Hülfe,  so  wird  sogar  die  Trennung  schwer,  natürlich  immer  nur  bei 
kurzen  Versen ;  wenn  man  nicht  eine  zu  kurzathmige  Empfindung  hat.  Daher 
ist  mir  die  häufige  Verwendung  dieser  Strophe  bei  Goethe  nicht  wunderbar. 
Es  sind  wirkliche  achtzeilige  Strophen,  keine  Scheinstrophen.  Wer  möchte 
den  Goethe'schen  Fischer  zu  vierzeiligen  Massen  gliedern!  Ich  glaube  sogar, 
dass  der  König  in  Thule  sich  leicht  in  3  achtzeilige  Strophen  zerlegt  hätte, 
widerspräche  nicht  der  Inhaltseinschnitt  nach  der  jetzigen  3.  Strophe  zu 
sehr  der  Verbindung.  Die  beiden  ersten  Strophen  ist  man  sehr  geneigt,  als 
Paare  zu  einer  höhern  Einheit  verbunden  zu  betrachten  und  durch  den  Vor- 
trag darzustellen.  Wie  nahe  übrigens  im  Allgemeinen  paarweise  Verbin- 
dung liegt,  sieht  man  am  griechischen  Strophenbau,  an  der  Gliederung  der 
Verse  in  Dipodien  etc. 

Manchmal  hat  der  Verfasser  übrigens  Recht,  wenn  er  achtzeilige  Ver- 
bindung nur  für  eine  Scheinstrophe  hält.  So  geht  das  Goethe'sche  Gedicht : 
„an  Lima,"  (nicht  „an  Laura,  wie  274  steht),  nach  dem  Schema  abbacddc 
gebaut,  auch  meinem  Gefühl  nach  aus  einander. 

In  §.  9  folgt  zunächst  eine  feine  Auseinandersetzung  über  die  verschie- 
denen Verslängen  und  ihr  Verhältniss  zur  Strophe.  Dann  werden  mehrere 
Strophen  analysirt  und  characterisirt ;  italienische,  französische,  spanische, 
selbst  orientalische  Formen.  In  diesem  Abschnitt  wünschte  ich  Manches 
als  unpraktisch  und  spielend  weggelassen,  oder  wenigstens,  wenn  der  Ver- 
fasser den  Vorwurf  der  Unvollständigkeit  fürchtete,  hätte  er  energischer 
vor  zu  künstlichen  Systemen  warnen  müssen,  weil  die  Aufmerksamkeit  in 
ihnen  zu  sehr  auf  das  Nebensächliche,  das  ja  nur  zum  Schmuck  des  we- 
sentlichen Gedankens  da  ist,  abgelenkt  wird.  Sogar  Ghaselen,  Makamen, 
Decimen  und  vieles  noch  Künstlichere  hätte  ich  nicht  der  praktischen  Ein- 
übung werth  gehalten. 

Neben  manchem  Einzelnen  möchte  ich  also,  um  schliesslich  das  Ge- 
sagte zusammenzufassen,  in  der  Auswahl  der  zu  bearbeitenden  Stoße  noch 
grössere  Berücksichtigung  des  allgemein  Interessanten  und  Bilden- 
den wünschen,  Aufstellung  des  möglichst  Musterhaften,  und  sei's  auch 
nur  in  Noten ,  Fortlassung  oder  Beschränkung  des  blos  Spielenden ,  Ge- 
künstelten, das  der  kosmopolitische  Sinn  der  Romantiker  unsrer  Sprache 
aufgezwängt  hat.  In  dem  theoretisch -metrischen  Theü  ist  Manches  wieder- 
holt, in  der  Prosodie  die  Darstellung  stellenweise  zu  empirisch,  und  nicht 
auf  die  letzten  Gesichtspunkte  zurückgeführt.  Die  Theorie  der  Strophe 
sieht  zu  sehr  auf  die  äussern  Reimunterschiede ,  und  lässt  sie  Einwirkung 
der  Inhaltseinheit  und  das  unmittelbare  Streben  des  Gefühls  nach  paarweiser 
Verbindung  kleinerer  Massen  zu  höherer  Einheit  zu  unberücksichtigt.  Die 
Analyse  der  antiken  Strophen  ist  nicht  naturgemäss. 

Uebrigens  empfehle  ich  das  Buch  mit  aller  Wärme,  als  ein  gründlich 
durchdachtes,  auf  langausgedehnter  Forschung  und  reifem  Urtheil  beruhendes, 
das  sich  ebenso  durch  die  Reichhaltigkeit,  wie  durch  praktische  Ordnung 
des  Materials  auszeichnet,  und  namentlich  durch  seine  Grundtendenz,  wovon 
am  Anfang  der  Recension  die  Rede  war,  sehr  einnimmt.  Höhere  Lehran- 
stalten werden  es  mit  grossem  Nutzen  für  die  Bildung  des  Geschmacks  und 
ästhetischen  Urtheils  benutzen.   —    Berlin.  Dr-  E.  Laas. 


ßeurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  305 

Lehrbuch  der  Französischen  Sprache.     I.  Cursus  oder 
Elementar  -  Grammatik,  von  Dr.  Carl  Plötz.  Berlin.  1860. 

Dieses  neue  Schulbuch  von  dem  Verfasser  der  französischen  Lehr- 
bücher verdankt  seine  Entstehung  der  Verordnung  vom  C.  üctober  1S59, 
nach  welcher  der  französische  Unterricht,  wie  auf  den  Gymnasien  schon 
lange  Zeit,  in  der  Quinta  beginnen  sollte.  Der  erste  Cursus  oder 
Elementarbuch,  welches  bisher  den  Anfang  des  französischen  Unterrichts 
leitete,  soll  nun  durch  diese  Elementar -Grammatik  für  den  Unterricht  auf 
Gymnasien  und  Realschulen  ersetzt  werden.  Beide  Bücher  schliessen  ein- 
ander aus  und  sind  nach  einem  andern  Plane  gearbeitet.  Die  Grammatik 
ist  offenbar  für  vorgerücktere  Schüler  und  besonders  solche  bestimmt,  welche 
bereits  Latein  zu  lernen  angefangen,  was  in  Preussen  bekanntlich  auf  dieser 
Stufe  auch  in  den  Realschulen  schon  geschehen  ist.  Eine  übersichtliche 
systematische  Elementargrammatik  geht  dem  methodischen  Theil  voraus,  wie 
dies  auch  in  der  letzten  Ausgabe  des  zweiten  Cursus  oiler  der  vollständigen 
Schulgramina  lik  angeordnet  ist,  damit,  wie  billig,  der  Schüler  sogleich  die 
methodisch  eingelernten  Sprachelemente  nach  dem  grammatischen  Schema 
geordnet  übersehen  kann.  Im  Anfange  ist  für  die  Einübung  der  echt  fran- 
zösischen Laute  mehr  gegeben  als  in  dem  Elementarbuch;  erst  in  Lection  4 
gelangt  man  zu  Uebersetzungsstücken.  Alle  diese  im  Buche  gestellten 
Liebungsaufgaben  setzen  im  Allgemeinen  einen  reiferen  und  geschulten 
Geist  beim  Schüler  voraus.  Der  Stoff"  der  Beispiele  ist  der  durch  das  Ele- 
mentarbuch bereits  bewährte  auch  hier  geblieben,  Geschichte,  Geographie 
und  Verhältnisse  des  täglichen  Lebens.  Die  Materie  ist  auf  die  beiden 
Classen,  für  die  es  bestimmt  ist,  sehr  praktisch  vertheilt.  Der  Cursus  für 
Quinta  (halbjährig)  enthält  in  60  Lectionen  die  Regeln  über  die  Aussprache, 
avoir  und  etre,  die  Hauptformen  der  ersten  Conjugation,  article,  defini  und 
inde'fini,  Zahlen,  adjeetifs  possessifs  und  demonstratifs,  interrogatifs.  Der 
für  Quarta,  die  Formenbildung  der  regelmässigen  Verben,  pronoms  per- 
sonnels,  demonstratifs,  relatifs,  article,  den  unregelmässigen  Plural  und  die 
gebräuchlichsten  unregelmässigen  Verben ;  im  dritten  Theil  folgt  eine  Samm- 
lung französischer  Lesestücke  zum  Uebersetzen  und  Auswendiglernen.  Nach 
Absolvirung  dieses  Pensums  geht  der  Schüler,  wohl  vorbereitet,  zum  zweiten 
Cursus  über.  Wir  könnten  zur  Empfehlung  dieses  Buches  nichts  hinzu- 
setzen, was  nicht  schon  in  jedes  Schulmannes  Kenntniss  wäre.  Wir  wünschen 
ihm  einen  guten  Erfolg  und  empfehlen  es  besonders  den  Anstalten ,  welche 
ihr  Französisch  auf  der  fünften  Stufe  beginnen  und  bereits  eine  Classe 
vorher  Latein  angefangen  haben. 

Dessau.  Dr.  O.  Weiss. 


Germania.  Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Alterthumskunde. 
Herausgegeben  von  Fr.  Pfeiffer.  5.  Jahrgang.  1.  Heft. 
Wien  1860. 

Ueber  Walther  von  der  Vogelweide.  Von  Franz  Pfeiffer. 
Der  Herausgeber  eröffnet  den  5.  Jahrgang  seiner  Zeitschrift  mit  einer 
eingehenden  Untersuchung  über  Walther's  Heimat  und  Geschlecht,  der  er 
Erklärungen  seiner  Lieder  folgen  lässt.  Nach  Erwähnung  der  mannigfachen 
Vermuthungen  über  Walther's  Heimat,  und  eine  Burg  Vogelweide,  die  man 
bald  in  der  Schweiz  und  in  Böhmen,  bald  in  Baiern,  Oestreich  und  Franken 
gesucht  hat,  und  die  es  doch  ohne  Zweifel  nie  gegeben  hat,  kommt  er  durch 
einfache  Erklärung  von  2  Stellen  in  Walther's  Liedern  (32,  14  und  84,  14) 
zu  dem  Resultat,   dass  Walther  kein   Oestreicher  sein  könne,  sondern  ein 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  20 


306  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Franke  sein  müsse.  Er  nennt  den  fränkischen  Adel  „unser  Fürsten," 
er  ist  in  der  Hauptstadt  des  Frankenlandes,  in  Würzburg,  gestorben  und 
begraben ;  der  dort  befindliche  Leichenstein  mit  der  Inschrift  ist  bekanntlich 
nur  von  VV.  Grimm  (Z.  f.  d.  A.  I,  30)  angezweifelt  worden.  Im  Anfange 
des  14.  Jahrhunderts  gab  es  in  Würzburg  einen  Hof  „zur  Vogelweide"  (S. 
Reuss  Skizze  S.  7).  „Mit  um  so  grösserer  Wahrscheinlichkeit  darf  man 
annehmen,  dass  Walther  einst  jenen  Hof  bewohnt  und  sein  Leben  dort  be- 
schlossen habe,  und  dass  der  Hof  deshalb  von  ihm  den  Zunamen  empfangen 
habe,  wie  das  Haus  zu  Basel  von  Konrad  von  Würzburg,  und  so  gewiss 
noch  viele  andere."  Dadurch  erhält  denn  auch  das  schöne  Lied  124  „Owe 
war  sint  verswunden  alliu  miniu  jär!"  seine  volle  Bedeutung.  Nach  langer 
Abwesenheit  ist  er  als  Greis  in  seine  Heimat  zurückgekehrt.  —  Der  Hoftag, 
dessen  Walther  84,15  gedenkt,  fällt  in  das  Jahr  1224  und  dadurch  erhalten 
die  von  Daffis  in  seiner  hübschen  kleinen  Schrift  (Berlin  1854)  dargelegten 
feinen  und  scharfsinnigen  Untersuchungen,  wonach  Walther  von  1220  bis 
1224  Erzieher  und  Zuchtmeister  des  König  Heinrichs  VII.  war,  ihre  volle 
Bestätigung.  Franken  ist  also  die  Heimat,  Oestreich  das  Land,  in 
welchem  Walther  sein  schönes  Talent  ausgebildet  und  zur  vollen  Reife  ge- 
bracht hat.  Ueber  Walther's  Familie  und  Namen  erfahren  wir  Alles,  was 
darüber  gesagt  werden  kann,  in  einfacher  und  doch  erschöpfender  Darstel- 
lung, gelegentlich  auch  über  Heinrich  von  Veldecke's  Namen  ausreichende 
Belehrung.  Den  Schluss  dieser  wichtigen  Abhandlung  bilden  Besprechungen 
einzelner  Stellen,  die  dem  Verständniss  des  Dichters,  so  wie  überhaupt  den 
mittelalterlichen  Studien,  namentlich  auch  der  Lexicographie  erspriessliche 
Dienste  leisten.  Es  könnte  meiner  unmassgeblichen  Meinung  nach  Walther's 
Gedichten  nichts  Besseres  begegnen,  als  wenn  Herr  Pfeiffer  eine  neue  Aus- 
gabe derselben  veranstaltete  unter  Benutzung  und  Aufnahme  alles  dessen, 
was  Andere,  vorzüglich  Lachmann,  Gutes  und  Unantastbares  zur  Erklärung 
des  Dichters  geleistet  haben. 

Beiträge  zur  Priamelliteratur.  Als  Nachtrag  zu  den  von  Moritz 
Rodler  bekannt  gemachten  Priameln  (Germania  III,  368)  theilt  Zingerle 
vier  Gedichte  der  Art  aus  der  Wiltener  Handschrift  und  aus  Vintlers  Tu- 
gendblumen mit. 

Zu  den  Nugae  Curialium  des  Gualterus  Maper.  Felix  Lieb- 
recht zu  Lüttich  giebt  einige  Beiträge  zu  der  Geschichte  mehrerer  in  ge- 
nannter Sammlung  enthaltenen  Sagen. 

Das  Grab  und  seine  Länge.  Von  Reinh.  Köhler  in  Weimar. 
Einige  Nachträge  zu  Liebrecht's  Bemerkungen.  Germania  IV,  374. 

Zur  deutschen  Liederdichtung.  Von  K.  Bartsch.  Zwei  kleine 
Lieder,  von  denen  das  eine  die  Herausgeber  des  Minnefrühlings,  das  andere 
von  der  Hagen  nach  der  Ansicht  des  Herausgebers  übersehen  haben. 

Wuotan-Ziu.  Von  Zingerle.  Der  Verfasser  vermuthet,  dass  in 
dem  Worte  Züenz,  womit  in  Utten,  einem  abgelegenen,  an  die  wälschen 
Marken  anstossenden  Thale,  der  Teufel  bezeichnet  wird,  der  Name  Ziu 
enthalten  sei. 

Ohne  Schatten,  ohne  Seele.  Der  Mythus  von  Körperschatten  und 
vom  Schattengeist.  Von  E.  L.  Rochholz.  Der  Verfasser  stellt  nach  seiner 
reflectirenden  Weise  und  seiner  Belesenheit  ein  umfangreiches  und  mannig- 
faltiges Bild  zusammen  von  Allem,  was  er  in  Volksanschauungen  und  lite- 
rarischen Ueberlieferungen  über  seinen  Gegenstand  vorgefunden  hat. 


B  eurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  307 

Der  Zauberer  Virgil.  Von  K.  Bartsch.  Bemerkung  zu  Germania 
IV,  237,  dass  die  älteste  Fassung  des  dort  herausgegebenen  Gedichts  sich 
in  einer  Erzählung  der  Cukasaptati  finde.  S.  Benfey's  Pentschatantra  I,  456. 

Morgend  als  Adjectiv.  Von  Vernaleken..  Beispiele  über  mor- 
gend, das  sich  erst  im  16.  Jahrhundert  findet.  Der  Behauptung  „Unsere 
Zeitgenossen  sagen  fast  alle:  der  morgige  Tag,  und  finden  das  ganz  in 
der  Ordnung,"  kann  ich  wenigstens  nach  Leetüre  und  Erfahrung  nicht 
beistimmen.  — 

Einiges  über  silete.  Von  Reinh.  Bechstein.  Der  Verfasser 
nimmt  mit  Mone  gegen  Hase  und  L.  Bechstein  an,  dass  dieser  Zuruf  an  das 
Publicum  gerichtet  sei  und  bei  Scenenwechsel  eine  Pause  bezeichnen  solle. 
Eine  weitere  Ausführung  behält  er  sich  vor. 

Adler  und  Löwe.  Von  Zingerle.  Zu  Walther  von  der  Vogel- 
weide 12,  24  werden  einige  Beispiele  von  des  aren  tugent,  des  lewen  kraft 
beigebracht. 

Das  goldene  Hörn.  Zingerle  theilt  aus  der  Wiltener  Handschrift 
ein  Gedicht  aus  dem  Sagenkreise  des  Königs  Artus  mit,  welches  irriger 
Weise  Konrad  von  Würzburg  zugeschrieben  wird.  Es  besteht  aus  9  zwölf- 
zeiligen  Strophen  und  behandelt  die  bekannte  Episode  von  dem  Zauberhorn 
(hier  aus  Elfenbein  mit  goldenen  Buchstaben),  wobei  auffallender  Weise  die 
stehende,  Figur  des  Truchsessen  Kei  fehlt.  Vergl.  das  franz.  Gedicht  „Le 
Lai  du  corne"  bei  F.  Wolf:  Ueber  die  Lais,  Sequenzen  und  Leiche,  p.327 
und  meine  kleine  Schrift:  Ueber  den  Ritter  Kei,  Truchsess  des 
Königs  Artus.     Obiges  Gedicht  ist  ohne  Zweifel  spätem  Ursprungs.  — 

Abor  und  das  Meerweib.  Von  K.  Bartsch.  Ueber  Anordnung 
eines  schon  von  J.  Grimm  in  Haupts  Zeitschrift  f.  D.  A.  V,  p.  6  bekannt 
gemachten  Bruchstücks  eines  älteren  Gedichts. 

Eigennamen  aus  Tirol.  Zingerle  zählt  eine  Reihe  von  tyrolischen 
Ortsnamen  auf,  die  auf  alte  Sagen  oder  alte  Gebräuche  hinweisen. 

Recensionen.  Etmüller:  Orendel  und  Brida,  eine  Rune  des  deutschen 
Heidenthums,  recensirt  durch  K.  Bartsch.  —  Choice  -  Notes  from  „Notes 
and  Queries."  Folk  -  Lore  -  London  1859,  rec.  von  Felix  Liebrecht. 

Vernaleken:  Mythen  und  Bräuche  des  Volkes  in  Oestreich  1859. 
Schönhuth:  Aus  der  Oberpfalz  1859.  A.  Stöber:  Elsässisches  Volks- 
büchlein.    2.  Aufl.  1859,  rec.  von  Zingerle. 


Germania.  Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Alterthumskunde. 
Herausgegeben  von  Fr.  Pfeiffer.  5.  Jahrgang.  2.  Heft. 
Wien  1860. 

Die  deutschen  Gedichte  von  St.  Oswald.  Von  Karl  Bartsch. 
Eine  specielle  Untersuchung  über  das  Alter  der  beiden  deutschen  Gedichte, 
welche  die  Legende  vom  heil.  Oswald  behandeln.  Nachdem  die  Ansichten 
Ettmüller's,  Wackernagel's ,  Zingerle's ,  Gödeke's,  Mone's  und  Schmeller's 
mitgetheilt  siud,  suchte  der  Verfasser  aus  Reimen  und  aus  Wörtern  darzu- 
thun,  dass  die  Gedichte  gar  wohl   dem  14.  oder  15.  Jahrhundert  angehören 

20* 


308  ßeurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

können,  dass  aber  auch  der  Annahme ,  sie  seien  Umarbeitungen  alterer  Ge- 
dichte des  12.  Jahrhunderts,  nichts  im  Wege  stehe.  Für  das  zweite  Gedicht 
ist  der  Nachweis  der  niederrheinTschen  Elemente  von  Wichtigkeit,  ebenso 
für  die  ganze  Sage  die  genaue  Vergleichung  der  beiden  Gedichte  und  der 
zuerst  von  Schmeller  bekannt  gemachten  prosaischen  Erzählung. 

Ohne  Schatten,  ohne  Seele.  Von  Rochholz.  2.  Abhandlung: 
Der  Schattengeist.  Der  den  Menschen  als  Schatten  begleitende  Schutz- 
geist  wird  nach  deutschem  Volksglauben  ihm  bei  der  Geburt  beigegeben, 
er  verlässt  ihn  im  Tode.  Der  Schatten  ist  also  von  Wichtigkeit  und  es  ist 
nicht  mit  ihm  zu  spielen.  Schattenraub  und  Schattenkauf  wird  an  mancherlei 
Beispielen  nachgewiesen.  Der  Aufsatz ,  dessen  mannigfaltiger  Inhalt  nicht 
auszugsweise  gegeben  werden  kann ,  schliesst  mit  Peter  Schlemihl  und  einer 
allgemeinen  mythologisch- philosophischen  Reflexion. 

Diu  wende.  Von  Franz  Pfeiffer.  Zum  richtigen  Verständniss  des 
Verses  im  Nibelungenliede  1280,  4,  L.  werden  aus  dem  Alt-  und  Mittelhoch- 
deutschen Beispiele  zusammengestellt  und  manche  derselben  erklärt  Diu 
wende,  conversio  ist  synonym  mit  ende.  Die  vier  wende  sind  nicht  sowohl 
die  vier  Himmelsgegenden  nach  heutigen  Begriffen,  als  vielmehr  die  vier 
Enden  der  Welt.  Der  Vers  in  dem  Nibelungenliede  bedeutet  also:  sie 
zogen  ihre  Pfeile  mit  kräftiger  Hand  bis  dorthin,  wo  sie  aufhörten,  endigten, 
bis  an's  Ende,  wie  Simrock  ganz  richtig  übersetzt  I  at,  d.  h.  sie  gaben  ihrem 
Bogen  die  grösstmögliche  Spannung."  — 

Meistergesänge  des  15.  Jahrhunderts.  Von  A.  Holtzmann. 
Vergl.  Germania  III,  307.  Zum  Theil  aus  dem  Kolmarer,  zum  Theil  aus 
einer  Heidelberger  Handschrift  abgedruckt.  Gedichte  von  Peter  Zwinger, 
Meffrid  und  dem  Lieber. 

Zur  Germania  des  Tacitus.  Von  Zingerle.  Zu  Tacit.  Germ.  19 
wird  hinsichtlich  der  schweren  Strafe  des  Ehebruchs  bei  den  alten  Deutschen 
auf  eine  Stelle  in  einem  Briefe  des  Bischofs  Bonifacius  an  Ethelbald,  König 
der  Angeln,  hingewiesen  und  dieselbe  mitgetheilt. 

Der  Spruch  der  Todten  an  die  Lebenden.  Von  Reinh.  Köhler. 
Die  bekannte  Anrede  der  Todten  an  die  Lebendigen  bei  Freidank: 

Daz  ir  da  sit,  daz  wäre  wir; 

daz  wir  nü  sin,  daz  werdet  ir. 
wird  hier  in  der  deutschen,  wie  in  fremden  Literaturen  nachgewiesen. 

Recensionen.  R.  v.  Lilienkron.  Düringische  Chronik  des  Joh. 
Rothe,  rec.  von  Fedor  Bech;  Feifalik's  Ausgabe  der  Kindheit  Jesu, 
rec.  von  K.  Bartsch. 

Berlin.  Dr.  Sachse. 


Leitfaden  zur  Geschichte  der   deutschen  Literatur 
von  H.  Kurz.     Leipzig  1860. 

Man  fragt  füglich  bei  einem  neuerscheinenden  Buch  nach  seinem  Zweck. 
Welche  Klasse  von  Personen  soll  es  und  zu  welchem  Nutzen  brauchen? 

Der  Verf.  des  Leitfadens  will  selbst  denjenigen  Lehrern,  die  nach 
seiner  Literaturgeschichte  vortragen,  die  zeitraubenden  Dictate  sparen.    Auf 


Beurtheilu  ngen  und  kurze  Anzeigen.  309 

Schüler  scheint  er  also  berechnet.  Eigentlich  soll  er  aber  wohl  für  Stu- 
denten sein.  Wenigstens  spricht  der  Verf.  (Vorwort  IV)  von  den  Anfor- 
derungen, die  an  einen  Leitfaden  zu  stellen  sind,  der  Studirenden  in  die 
Hände  gegeben  wird  —  mit  Beziehung  auf  den  seinigen.  Dass  diese  aber 
das  rechte  Publikum  sind,  an  das  der  Verf.  sich  richten  konnte,  bezweifle 
ich.  Studenten  werden  sich  beim  Vortrag  die  nöthigen  Bemerkungen  von 
selber  machen;  es  ist  also  so  wenig  ein  Leitfaden  nötbig,  als  Dictat  statt- 
findet. Ausserdem  wird  sich  ein  Universitätslehrer  nicht  so  genau  an  Kurz's 
Literaturgeschichte  binden,  dass  der  Leitfaden  von  den  Zuhörern  praktisch 
verwandt  werden  könnte.  Die  Hauptsache  ist  aber,  dass  man  Studirenden 
für  gewöhnlich  so  viel  Selbsttätigkeit  zutraut,  dass  sie  das  Nöthige  kurz 
notiren.  Erwartet  doch  der  Verf.  selbst  von  seinen  Lesern,  dass  sie  die 
vom  Lehrer  mitgetheilten  Urtheile  und  Notizen  anfügen  (a.  a.  O.  IV).  So 
gut  sie  das  können,  darf  man  ihnen  auch  jenes  zumuthen. 

Ich  möchte  daher  den  Leitfaden  von  den  Universitäten  nach  Gymnasien 
und  Realschulen  verweisen.     Genügt  er  da  aber? 

Der  Lehrer  verlangt  bei  Repetitionen  gewisse  Thatsachen  mit  Bestimmt- 
heit. Da  er  den  Schülern  im  Ganzen  nicht  den  richtigen  Tact  für  Auf- 
findung des  Wichtigen  zutrauen  kann,  dictirt  er,  wenn  er  sich  nicht  auf  ein 
brauchbares  Compendium  verlassen  kann.  Da  der  Lehrer  abfragt,  ist  das 
Kriterium  des  Notwendigen  hier  nicht  so  subjectiv  wie  bei  Studirenden; 
es  muss  also  bestimmt  bezeichnet  werden.  Trägt  nun  ein  Lehrer  nach  der 
Kurz'schen  Literaturgeschichte  vor,  so  hat  er  gewiss  an  einem  parallel  ge- 
henden, praktisch  angelegten  Leitfaden  das  beste  Mittel,  schnell  anzugeben, 
was  nothwendig  gewusst  werden  muss. 

Praktisch  angelegt  ist  der  Leitfaden  aber  nur  dann,  wenn  er  in  allen 
Theilen  den  Standpunkt  seiner  Leser  festhält. 

Der  Verf.  hat's  nun  für  „unerlässlich"  gehalten,  sein  grösseres  Werk 
durch  das  kleine  insofern  zu  vervollständigen,  als  er  „die  Quellen  und  Hülfs- 
mittel  sowohl  für  die  längeren  Perioden  als  für  kleinere  Abschnitte  der 
Literatargeschichte,  so  wie  für  die  einzelnen  Schriftsteller  in  möglichst  voll- 
ständiger Weise  mittheilt."  „Eine  möglichst-  reiche  Auswahl  von  biogra- 
phischen Notizen  zu  geben,  war,"  sagt  er,  „für  einzelne  Weiterstrebende 
nöthig."  Es  war  unnöthig.  weil  unpraktisch,  für  den  Standpunkt,  auf  den 
wir  das  Buch  zu  seinem  Besten  verweisen  möchten ;  —  auf  Gymnasien  ist 
ein  Weitergehen  unthunlich;  —  aber  es  war  auch  unnöthig  für  Studirende. 
Man  kann  doch  im  Allgemeinen  sagen,  dass  literarhistorische  Vorlesungen 
auf  Universitäten  nicht  aus  gelehrten  Gründen  gehört  werden.  Es  kommt 
den  Meisten  wenig  auf  Einzelheiten  und  genaue  Quellenangabe  an,  sie  wollen 
nur  einen  anregenden  Ueberblick  über  die  Fortschritte  der  nationalen  Li- 
teratur. Wenn  man  diesen  Dilettantismus  tadelt,  so  bedenke  man,  dass 
nicht  überall  bis  in's  gelehrte  Detail  gegangen  werden  kann  und  dass  auch 
eine  geistvolle  Uebersicht  fruchtbar  wirkt  auf  die  Bildung  des  Geistes  und 
Herzens.  Vor  Allem  aber  erkenne  man  das  Factum  an,  so  tadelnswerth  es 
gelehrterseits  ist. 

Jedoch:  „Einzelne  streben  weiter."  Für  diese  ist  nur  schon  gesorgt. 
Beschäftigen  sie  sich  wissenschaftlich  mit  dem  Gegenstand,  so  können  sie 
Gödeke's  Grundriss  schon  auf  den  nächsten  Wegen  nicht  entbehren.  Da 
Kurz  diesem  nichts  Wichtiges  hinzugefügt  hat,  ist  er  selbst  entbehrlich,  ob- 
wohl ich  nicht  leugne,  dass  man  eine  Zeitlang  mit  ihm  auskommen  wird. 
Gödeke  gibt  aber  die  Materialien  zu  weiterer  Forschung  sehr  vollständig . 
und  Kurz's  Urtheil,  dass  er  hätte  etwas  Besseres  leisten  können  (Bl.  für 
lit.  Unterhaltung  1858,  169  —  71),  wenn  es  ihn  auch  wahrscheinlich  zu  der 
unpraktischen  Belastung  des  Leitfadens  durch  Quellenangaben  und  sonstige 
Notizen  verführt  hat,  muss  füglich  auf  sich  beruhen. 

Zu  dem  U eberflüssigen,  das  der  Verf.  in  das  Buch  gebracht  hat,  ge- 
hört die  erdrückende  Menge    von  Namen  und  Lebensnachrichten   der  unbe- 


310  Beur theilungen  und  kurze  Anzeigen. 

deutendsten  Schriftsteller.  Was  soll  man  in  einem  Leitfaden  von  281  Seiten 
mit  ca.  1500  Schriftstellern  und  Notizen  aus  ihrem  Leben!  Dergleichen  ver- 
drängt ja  jeden  wirklich  bildenden  und  leitenden  Inhalt.  Das  Buch  soll  do<h 
für  Lernende  sein!  Was  glaubt  man  diesen  zu  leisten,  wenn  man  sie  In 
eine  Fluth  von  Namen  stürzt.  Die  Sperlinge  verdunkeln  ja  die  Adler.  — 
Mag  man  auf  Universitäten  oder  Gymnasien  vor  Anfängern,  —  die  allein 
brauchen  einen  Leitfaden  —  Literaturgeschichte  vortragen,  so  wird  der  Zweck 
zunächst  nicht  ein  gelehrter  sein.  Man  will  auf  die  Hauptmomente  der 
Entwicklung  hinweisen,  dafür  das  Interesse  der  Seele  gewinnen.  In  grossen 
Zügen  wird  man  daher  die  Epochen  des  Wachsens  und  Fallens  zeichnen, 
mit  hervorragenden,  klassischen  Geistern  sich  eingehend  beschäftigen,  an 
ihnen  Herz  und  Geschmack  zu  bilden  suchen,  das  Geringere  schnell  durch- 
eilen, das  Unbedeutende  lassen.  In  den  Heroen  wird  man  die  Zeit  an- 
schauen und  die  niedrigeren  Geister  nur  als  Staffage  gebrauchen.  . 

Was  sollen  denn  die  vielen  Namen  und  Zahlen,  die  in  Keines  Kopf 
sitzen,  aber  von  Papier  zu  Papier  geschrieben  werden —  voller  Druckfehler! 
Man  verstattet  ihnen  in  gelehrten  Sammelwerken  einen  Platz,  damit  sie  dort 
der  Forscher  bei  Gelegenheit  genau  finde:  aber  wozu  soll  ein  Leitfaden 
Alles  aufnehmen,  blos  weil  es  war  und  nicht  allein  deshalb,  weil  es  wichtig 
ist  zur  Bildung  und  Aufklärung!  Muss  nicht  das  zu  viele  Material  den 
Schüler  verwirren?  Auch  findet  kein  Lehrer  Zeit  vor  Anfängern,  und  solche 
unterrichtet  er  allein,  von  Aal,  Abele,  Abschatz,  Achenwall,  Ackermann,  vom 
Agesabök,  von  dem  Geistlichen  Alberus  aus  dem  12.  Jahrhundert,  von  Albrecht 
von  Halberstadt  etc.  viel  Worte  zu  machen  ;  am  Besten  schweigt  er  von  ihnen, 
wenn  es  ihm  nicht  nur  auf  Vollständigkeit  der  Aufzählung  des  Dagewesenen 
ankommt.  Ich  glaube  daher,  dass  der  Verfasser  in  späteren  Bearbeitungen 
ein  Drittel  der  Namen  ganz  nützlich  streichen  wird.  Er  gewinnt  dadurch 
zugleich  Raum  für  Wichtigeres.  Erspriesslicher  ist  es  doch,  dass  der  Schüler 
erfahre,  was  denn  in  den  bedeutenderen  Werken  jeder  Zeit  stehe,  was  jene 
Zeit  an  ihnen  gehabt  hat,  was  sie  in  der  culturhistorischen  Entwicklung  ge- 
leistet haben,  als  dass  er  die  Seiten  mit  Dutzenden  von  Nullen  gefüllt  sieht. 

Am  Meisten  kann  der  Verf.  in  der  neusten  Zeit  streichen.  Es  verschlägt 
Nichts,  von  gewissen  Dichterlingen  Nichts  zu  erfahren. 

Wozu  ist  es  ferner  nöthig,  von  Fichte  z.  B.  zu  sprechen,  wenn  man 
neben  5  Reihen  Lebensnachrichten  nur  erfährt:  „Einflussreich  auf  die  Aus- 
bildung der  Philosophie  und  durch  dieselbe  auf  die  übrigen  Wissenschaften, 
so  wie  auf  die  Poesie  (Romantiker),"  dann  noch  die.  Titel  der  Hauptwerke 
liest  nebst  den  verschiedenen  Ausgaben  seiner  Werke?  Wenn  man  nicht 
Platz  hat,  seinen  Einfluss  auf  die  Literatur  näher  zu  characterisiren  (und 
man  hätte  ihn ,  fehlten  viele  Namen  und  auch  hier  die  Lebensnachrichten, 
die  man  füglich  der  Geschichte  der  Philosophie  überlassen  dürfte,  und  die 
Büchertitel),  so  lasse  man  ihn  weg.     Was  lernt  man  aus  dem  Gesagten? 

Bei  Kant  steht  neben  Büchertiteln  und  Lebensnotizen  die  einzige  Be- 
merkung: Begründer  der  deutschen  Philosophie,  aber  auch  des  philosophischen 
Jargon. 

Kurz  der  Verfasser  hat  eine  Liebhaberei,  jeden  Namen,  der  sonst  in 
Literaturgeschichten  vorkommt,  wenigstens  zu  nennen.  Er  verbraucht  den 
Platz,  der  anzuwenden  war  für  kurze,  aber  belehrende  Hinweisungen  auf 
den  Geistesinhalt  der  Hauptschriften  und  auf  ihre  Bedeutung  für  Förde- 
rung oder  Depravation  des  Geschmacks. 

In  frühern  Perioden  gibt  er  dankenswerthe  Inhaltsangaben  bei  den 
bedeutenderen  Werken.  Wenn  er  diese  Gewohnheit  noch  ausdehnt,  und 
den  gelehrten  Ballast  fortwirft,  wird  das  Buch  nützlicher  sein.  Man  glaubt 
heut  freilich  häufig,  durch  Aufspeicherung  aller  möglichen,  äusseren  Notizen 
zu  belehren;  aber  man  sollte  Leitfäden  wenigstens  damit  verschonen.  Sehe 
der  Verfasser,  ob  er  praktischere  Ansichten  über  Unterrichtsbücher  zu  den 
seinigen  machen  kann.     Suche  er  sich  zu  beschränken,  verständig  das  wirk- 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  311 

lieh  in  der  deutschen  Literaturgeschichte  Leitende  auszuwählen.  Gedanken 
bereichern,  Namen  in  U eberzahl  verwirren;  sie  bleiben  ein  notwendiges 
Uebel.  ° 

Es  bleibt  ihm  für  neue  Bearbeitung  nach  Wegschneidung  der  unnützen 
Schösslinge  ein  ganz  gesunder  Kern.  Man  findet  die  Hauptschriften  nicht 
blos  angeführt,  es  wird  der  Inhalt,  auch  wohl  seine  zeitliche  Genesis  an- 
gegeben, eine  das  Absprechen  der  Schüler  verständig  vermeidende  Werth- 
abschätzung hinzugefügt. 

Jedoch  muss  der  Stil,  namentlich  in  den  Beurtheilungen  mehr  durch- 
gearbeitet werden,  indem  die  jetzt  gewählten  Prädikate  häufig  zu  abgenutzt 
sind,  zu  nichtssagend  und  allgemein.  Sie  müssen  möglichst  individuell  und 
treffend  sein. 

Liegt  dem  Verfasser  etwas  daran,  so  will  ich  ihm  an  der  Behandlung 
Goethe's  das  Mangelhafte  zeigen. 

S.  244  b  wird  gesagt:  die  Leipziger  Zeit  wurde  für  G.  dadurch  einfluss- 
reich, dass  er  begann,  seine  Erlebnisse  poetisch  zu  gestalten.  Der  Haupt- 
punkt entgeht  den  Schülern,  wenn  nicht  „seine  Erlebnisse"  gesperrt  gedruckt 
wird.  Zugleich  würde  ich,  um  nicht  in  dem  abstracten  Gedanken  zu 
bleiben,  auf  die  concreten  Beispiele  hinweisen,  also  in  Parenthese:  Laune 
des  Verliebten,  die  Mitschuldigen,  Breitkopfsche  Lieder. 

Anstatt  nachher  zusagen,  dass  Herder  ihn  „mit  seinen  belebenden  Ideen 
über  Poesie"  bekannt  machte,  war  es  fasslicher  und  instruetiver  zu  sagen, 
dass  diese  Ideen  von  dem  Dichter  verlangten  zu  schaffen  aus  dem  „Noth- 
drang"  eigner  Empfindung,  dass  er  aufhören  müsse,  in  gemachten  Gefühlen 
zu  tändeln.  Wenn  hierdurch  jedes  wirklich  Empfundene  Berechtigung  er- 
hielt, begreift  man  zugleich,  wie  diese  Theorie  zur  Schrankenlosigkeit  führte, 
zum  Ungestüm  eigner  Leidenschaft.  (Auch  bei  Herder  ist  davon  viel  zu 
unbestimmt  gesprochen.) 

Was  „volksthümliches  Element"  sei,  war  scharf  und  für  Schüler  fasslich, 
vielleicht  am  Gegensatz,  zu  definiren. 

AVenn  der  Verf.  sagt,  Goethe  stellte  sich  als  Versöhner  von  Natur 
und  Kunst  zwischen  die  Geniemänner  und  Lesssing  —  so  hat  doch 
auch  Lessing  die  Stichworte  der-  7oer  Jahre:  Natur  und  Shakespeare  laut 
gesprochen.     Jene  sind  nur  die  extremen  Weiterbildner  seiner  Lehre. 

Das  Wort  lebensvoll  würde  ich  nicht  auf  jeder  Seite  gebrauchen  (244. 
5.  6.) :  der  Verfasser  mag  sich  Etwas  dabei  denken ;  für  den  Leser  ist  es 
zu  abgenutzt,  um  Inhalt  zu  haben. 

Die  Idee  der  Weltliteratur  sollte  man  anstatt  auf  Goethe's  westöstlichen 
Divan  auf  Herder  zurückführen,  den  kosmopolitischen  Vorläufer  der  Ro- 
mantik. 

Es  heisst  unter  c:  „Goethe  ist  ein  durchaus  objeetiver  Dichter;"  so  sagt 
jeder  Tertianer,  und  das  „durchaus"  macht's  nicht  besser.  Es  war  daher 
richtig,  eine  Erklärung  hinzuzufügen,  wenn  sie  nur  schärfer  den  Hauptgrund 
hinstellte,  als  es  die  folgenden  Worte  des  Verf.  thun:  „denn  er  schöpfte 
alle  seine  Stoffe  aus  dem  Leben,  um  sie  dichterisch  und  künstlerisch  zu  ge- 
stalten." Welcher  von  beiden  Sätzen,  der  Hauptsatz  oder  sein  Zweck,  enthält 
nun  die  wirklich  gemeinte  Erklärung?  fragt  der  Schüler,  zumal  durch  die 
folgende  Bemerkung:  „Diese  Richtung  Goethe's  wurde  durch  die  Beschäf- 
tigung mit  der  bildenden  Kunst  wesentlich  gefördert,"  Alles  zerrinnt,  was 
man  halten  zu  können  glaubte. 

Schärfere  Sätze  über  Objectivität  gibt  Lewes  L.  G.  Buch  II,  Abschn.  2; 
vergl.  auch  was  Merek  bei  der  Vergleichung  zwischen  Goethe  und  den  Stol- 
bergen in  D.  und  W.  bemerkt.  Wurde  daraus  ein  kurz  zusammengedrängter 
Satz  gezogen,  war  die  Sache  mehr  aufgeklärt. 

Wenn  neben  Goethe's  Vielseitigkeit  hervorgehoben  wird,  dass  es  fast 
keine  Gattung  der  Poesie  gäbe,  in  der  G.  nicht  Grosses  geschaffen,  so  be- 
lehrt der  Satz  nicht  gross.     Solche  Redensarten  sind  zu  platt,  und  können 


312  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sieh  mit  geringen  Abweichungen  bei  Jedem  wiederholen.  Was  hat  man  also 
davon  zur  Characterisirung  eines  bestimmten  Schriftstellers?  Dass  Prädikate, 
die  mit  Schärfe  die  Individualität  der  Sache  treffen,  mich  über  ihr  beson- 
deres Wesen  aufklären,  nicht  leicht  zu  finden  sind,  will  ich  zugeben;  aber 
sie  allein  sind  belehrend,  für  Schüler  bildend,  und  ein  gutes  Schulbuch  zu 
machen,  muss  auch  nicht  das  Leichteste  sein. 

Alles,  was  über  die  Lyrik  gesagt  ist,  leidet  an  der  allgemeinen  Phra- 
senhaftigkeit.  Dass  Goethe's  Hymnen  „zu  den  vollendetsten  Schöpfungen 
der  lyrischen  Poesie  gehören,"  diese  Mittheilung  wird  Niemand  weiser  machen. 

Wenn  Kurz  unter  f  sagt:  „Als  epischer  Dichter  entwickelte  Goethe 
die  grösste  Mannigfaltigkeit;  er  hat  beinah  alle  Gattungen  behandelt,  manche 
nur  in  einzelnen  Gedichten,  immer  aber  meisterhaft!"  so  ist  1)  das  Adjectiv 
meisterhaft  wenig  meisterhaft  für  einen  instruetiven  Lehrer  und  füglich 
den  Zeitungen  zu  überlassen,  und  2)  scheint  der  Verfasser  ein  zu  grosses 
Gewicht  darauf  zu  legen,  dass  möglichst  viele  Gattungen  aus  der  Aesthetik 
in  den  gesammelten  Werken  eines  Dichters  aufgeführt  sich  vorfinden.  Unter 
c  war  das  im  Allgemeinen  lobend  erwähnt,  unter  d  steht's  bei  der  Lyrik, 
hier  beim  Epos.  Der  Verf.  misst  zu  sehr  nach  der  Elle,  gerade  wie  er 
s-elbst  die  Vortrefflichkeit  seines  Buches  in  die  Fülle  des  Stoffs,  der  Namen 
zu  setzen  schien. 

„Unübertrefflich  ist  er  in  der  Ballade"  ist  für  mich  ein  vollkommen 
todter  Satz.  Er  lehrt  Nichts  über  das,  was  die  Goethe'scbe  Ballade  eigent- 
lich innerlich  von  andern  scheidet,  sondern  ex  weist  nur,  wie  der  Verf.  es 
in  seinen  Urtheilen  liebt,  die  Stellung  in  einer  Reihe  an,  die  Jeder  nach 
seinem  Geschmack  anders  ordnet. 

Dass  G.  die  Balladen  volksthümlich  behandelt  hat,  wird  richtig  sein, 
wenn  nur  dem  Schüler  gleich  klar  wäre,  was  das  heisst. 

Auch  die  Behauptung,  dass  G.  in  Hermann  und  Dorothea  einen  höchst 
einfachen  Stoff  „zu  wahrhaft  epischem  Leben"  „entfaltet"  habe ,  ist  viel  zu 
vage,  allgemein  und  unbestimmt. 

S.  24G  heisst's  von  Tasso  und  Iphigenie:  „Während  er  in  jener  „das 
innere  Leben  hervorkehrt,  d.  h.  plastisch  veranschaulicht"  (nun  wird's  be- 
griffen!), „wird  es  in  T.  in  beinah  lyrischer  Weise  dargestellt.  Daher  liegt 
ihm  auch  nicht  eigentlich  eine  Handlung  zu  Grunde."  Meine  Absicht  ist 
nicht  sowohl  das  Falsche,  als  das  Unpraktische,  zu  zeigen;  ich  frage  bloss, 
was  der  Benutzer  des  Buchs  bei  der  beinahe  lyrischen  Weise  sich  denken 
soll,  mit  welcher  das  innere  Leben  im  Tasso,  anders  als  in  der  Iphigenie, 
dargestellt  wird.  Der  Gegensatz  ist  schwimmend ,  unfassbar.  —  Das  Wort 
„plastisch"  spielt  übrigens  eine  ebenso  grosse  Rolle,  wie  lebensvoll  und  die 
Angabe  der  Höhe,  die  die  Producte  in  einer  gewissen  Reihe  einnehmen. 

In  Werther's  Leiden  wird  „jjrossartige  (nichtssagend!)  Anlage  und  Aus- 
führung" bemerkt;  aber  „die  höchste  Bedeutung  liegt  in  der  Darstellung 
und  Sprache,  die  bei  all  ihrem  poetischen  Schwung  doch  von  höchster  Klar- 
heit und  Reinheit  ist."  (Und  weiter  nichts?  Nichts  von  der  taumelhaften 
Wirkung  auf  die  Zeit!?)  In  den  Wahlverwandschaften  ist  „die  Haltung  zu 
dogmatisch." 

Ich  breche  ab.  Was  ich  nachweisen  wollte ,  wird  für  den  einsichtigen 
Pädagogen  klar  sein ,  dass  nämlich  die  von  dem  Verf.  zur  Characterisirung 
gebrauchten  Prädikate  theils  nichts  über  das  innere  Wesen  aussagen,  sondern 
die  Producte  nach  allgemeinsten  Werthbestimmungen  abschätzen,  theils 
unklar  sind,  theils  alles  Inhalts  mangeln.  Bei  nochmaliger  Durcharbeitung 
wird  er  also,  will  er  praktisch  verfahren,,  und  auf  Gymnasialschüler  wirksam 
sein,  (denn  der  gelehrte  Zweck  ist  überflüssig) ,  eine  Menge  äußerlicher  No- 
tizen und  unbedeutender  Namen  weglassen,  die  Inhaltsangaben,  das  Beste 
am  Buch,  ausdehnen,  die  Urtheile  prägnanter,  individueller,  frischgeprägter 
machen  müssen. 

Berlin.  Dr.  Laas. 


Be  urtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  313 

Friedrich  der  Grosse  und  sein  Verhältniss  zur  Entwick- 
lung des  deutschen  Geisteslebens.  Von  K.  Biedermann. 
Braun  schweig,  1859. 

In  der  vorliegenden  kleinen  Schrift  hat  sich  der  Verfasser  die  inter- 
essante und  dankbare  Aufgabe  gestellt,  darzulegen,  wie  sich  Friedrich  der 
Grosse  der  geistigen  Thätigkeit  Deutschlands  gegenüber  verhielt  und  welche 
Einflüsse  dieselbe  von  ihm  erfahren  hat.  Die  hauptsächlichsten  Gesichts- 
punkte, von  denen  aus  dieser  Gegenstand  betrachtet  werden  konnte,  boten 
die  Wissenschaft  überhaupt  und  namentlich  die  deutsche  Literatur  dar.  Da 
nun  die  letztere  bekanntlich  Friedrich  dem  Grossen  unmittelbar  nichts  zu 
verdanken  hat,  ja  da  derselbe  nur  mit  Verachtung  auf  sie  herabsah,  so  sucht 
der  Verf.  zunächst  die  Gründe  dieser  Stellung  des  Monarchen  darzulegen, 
die  er  sowohl  in  dessen  eigenthümlicher  Erziehung  als  auch  in  dem  Zu- 
stande der  Literatur  selbst  und  in  den  Persönlichkeiten  ihrer  Vertreter,  so- 
weit Friedrich  sie  kennen  lernte,  findet.  Wir  finden  hier  im  Allgemeinen  die- 
selben Gedanken  weiter  ausgeführt,  wie  sie  von  Gervinns  (Gesch.  der  deutschen 
Dichtung  IV,  S.  209  ff.)  in  der  Kürze  angedeutet  worden  sind.  Indem  nun 
der  Verf.  auf  die  positive  Seite  des  Einflusses  Friedrichs  auf  das  deutsche 
Geistesleben  übergeht,  giebt  er  zu,  dass  weder  die  eigne  literarische  Thä- 
ligkeit  des  grossen  Königs,  noch  das,  was  er  für  den  Unterricht  in  Schulen 
und  Universitäten  gethan,  für  die  Förderung  geistiger  Bildung  nennens- 
werthe  Bedeutung  gehabt;  den  eigentlichen  Kern  des  erwähnten  Einflusses 
findet  er  einmal  darin,  dass  Friedrich  der  geistigen  Thätigkeit  und  ihrer 
Entwicklung  keine  hemmenden  Schranken  entgegengestellt,  und  wo  solche 
vorhanden  waren,  sie  zum  grossen  Theil  beseitigt  habe,  andrerseits  dass  die 
Freisinnigkeit  seiner  eignen  Denkweise  auch  die  geistige  Freiheit  seines 
Volkes  und  der  übrigen  Deutschen  gehoben,  endlich  dass  seine  Helden- 
thaten  ein  nationales  Gefühl  hervorgerufen  uud  gekräftigt  haben.  Wenn  man 
auch  in  der  vorliegenden  Schrift  neue  Gedanken  und  eine  neue  geistreiche 
Weise,  den  schon  von  anderen  öfter  berührten  Gegenstand  zu  behandeln, 
nicht  gerade  findet,  und  wenn  auch  der  Gegenstand  selbst  keinesweges  er- 
schöpfend behandelt  ist,  da  doch  jedenfalls  auch  die  politische  Stellung  des 
Volkes  und  das  gesellschaftliche  Leben  manches  nicht  unwichtige  zur  Er- 
örterung der  Frage  geliefert  haben  würde ,  so  ist  das  Büchlein  jedenfalls 
anziehend  genug,  um  aufmerksam  gelesen  zu  werden. 

Berlin.  Dr.  Büchsenschütz. 


Niemeyer,   Dr.  E.,  Abriss  der  deutschen  Metrik.  Crefeld,  1860. 

Nachdem  jetzt  durch  die  Regulative  eine  strenge  Beseitigung  aller 
Dictate  in  den  Realschulen  angeordnet  ist,  tritt  die  entschiedene  Nothwen- 
digkeit  heraus ,  ein  Handbuch  der  deutschen  Metrik  unter  die  Schulbücher 
aufzunehmen.  Zum  Verständniss  eines  Gedichts  gehört  das  Verständniss 
seines  Metrums,  und  dies  kann  dem  Schüler  nur  durch  eine  systematische 
Behandlung  der  Metrik  verschafft  werden  Auf  den  Gymnasien  hilft  die 
lateinische  Prosodie  dem  deutschen  Unterrichte  aus;  auf  den  Realschulen 
muss  dagegen  die  deutsche  Metrik  einen  gesicherten  Platz  bekommen.  Als 
Grundlage  hierzu  empfiehlt  sich  der  vorliegende  Abriss  der  Metrik  von 
Niemeyer.  Das  Buch  zerfällt  in  vier  Abschnitte,  welche  auf  55  Seiten 
die  Versmessung,  den  Gleichklang,  die  Versmasse  und  den  Strophenbau 
behandeln. 

Die  Darstellung    der    beiden   ersten   Abschnitte    knüpft    der  Verf. 


314  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

an  die  historische  Entwicklung  der  deutschen  Metrik  und  belebt  dadurch 
den  Stoff  in  einer  glücklichen  und  zweckmässigen  Weise.  Die  Entwicklung 
selbst  ist  kurz  und  klar,  sie  beschränkt  sich  auf  das  Noth wendigste,  giebt 
aber  dies  in  voller  Verständlichkeit.  Ein  kürzeres  und  schärferes  Urtheil 
hätten  wir  über  die  Assonanz  p.  1 2  gewünscht ,  die  eigentlich  nur  der  ro- 
mantischen Schule  angehört  und  jetzt  als  undeutsch  längst  beseitigt  ist. 

Der  dritte  Abschnitt  entwickelt  die  hauptsächlichsten  Versmasse, 
das  trochäische,  jambische,  daktylische  und  anapästische,  durchweg  in  Bei- 
spielen mit  kurzer  Characteristik.  Das  Beispiel,  welches  die  Anmerkung 
p.  21  bringt,  ist  nicht  glücklich  gewählt:  seinem  Tonfall  nach  ist  es  nicht 
als  Siebenfüssler,  sondern  als  achtf üssiger  katalektischer  Trochäus  zu  fassen. 
Pag.  20  hätte  bemerkt  werden  können ,  dass  der  vierfüssige  Trochäus  das 
Metrum  des  spanischen  Dramas  ist. 

In  dem  vierten  Abschnitte  von  der  Strophe  hat  der  Verf.  sich  etwas 
zu  streng  auf  die  alcäische  und  sapphische  Strophe  beschränkt ;  einige  klop- 
stockische  Masse  konnten  noch  hinzugefügt  werden,  da  der  Lehrer  deren 
bedarf.  Dann  folgen  mit  richtiger  Auswahl  die  Terzine,  die  Stanze  und 
das  Sonett. 

Den  Schluss  des  Buches  bilden  eine  Reihe  metrischer  Aufgaben:  in 
Prosa  aufgelöste  Gedichte,  welche  durch  leichte  Umstellung  wieder  in  Verse 
verwandelt  werden  können.  Für  den  ersten  Bedarf  reichen  diese  Aufgaben 
vollständig  aus;  für  die  weitere  Anwendung  bietet  die  jetzt  erschienene 
Poetik  von  Viehoff  eine  reiche  Auswahl  solcher  Aufgaben.  — 

Zu  loben  ist  an  dem  Niemeyer'schen  Buche  die  Sicherheit,  mit  welcher 
der  Verfasser  durchweg  seinen  Stoff  beherrscht,  und  der  pädagogische  Takt, 
mit  welchem  er  die  Hauptmomente  herauszuheben  und  zu  gruppiren  weiss, 
vor  allem  aber  verdient  die  gewissenhafte,  sorgfältige  Durcharbeitung  des 
Werks  rühmende  Anerkennung.  Wir  wünschen  dem  Buche  eine  recht  weite 
Verbreitung  -und  empfehlen  seine  Einführung  in  Schulen  auf  das  Ange- 
legentlichste. 


Fragments  du  Faust  de  Goethe,  traduits  en  vers  par  le 
Prince  de  Polignac,  et  en  prose  par  Guillaume  Braun- 
hard,  docteur  en  philosophie  ,  professeur  au  Gymnase 
d'Arnstadt.     Arnstadt,  1860. 

Die  Arbeit  enthält  nach  einer  kurzen  Einleitung  den  Goethe'schen  Text 
von  drei  Bruchstücken  des  Faust  mit  nebengedruckter  poetischer  Ueber- 
setzung  des  Fürsten  Polignac  und  prosaischer  Uebersetzung  des  Verfassers, 
nämlich:  I.  Dialog  des  Faust  und  Wagner  von:  „Verzeiht,  ich  hör'  euch 
deklamiren"  bis:  „Als  festlich  hoher  Gruss  dem  Morgen  zugebracht." 
II.  Monolog  Faust's:  „In  jedem  Kleide  werd'  ich  wohl  die  Pein"  bis:  „der 
Tod  erwünscht,  das  Leben  mir  verhasst."  III.  Die  Worte  Faust's  zu  Gret- 
chen:  „Wer  darf  sagen:  Ich  glaub'  an  Gott?"  bis:  „Warum  nicht  ich  in 
der  meinen?"  In  einem  Nachtrage  folgen  sodann  die  schwierigsten  Stellen 
noch  einmal  in  der  Uebersetzung  von  ßlaze,  die  der  Verfasser  erst  während 
des  Druckes  erhalten  hat.  In  der  Einleitung  erklärt  Herr  Br.,  dass  er  seine 
Arbeit  ganz  selbstständig,  d.  h.  ohne  eine  französische  Uebersetzung  zu 
kennen,  verfasst  habe,  und  dass  ihm  erst  nachträglich  die  Polignac'sche 
Uebertragung  zugekommen  sei.  Die  Berechtigung  einer  möglichst  wortge- 
treuen und  darum  prosaischen  Uebersetzung  neben  den  bereits  vorhandenen 
poetischen  wird  man  nicht  bestreiten;  ebenso  wird  wohl  Jeder  nach  den 
mitgetheilten  Proben  in  das  von   dem  Verfasser  dem  Fürsten  Polignac  ge- 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  315 

spendete  Lob  einstimmen.  Leider  sind  der  aus  der  Blaze'schen  Uebersetzung 
mitget heilten  Stellen  zu  wenige,  um  ein  Urtheil  über  das  Verhältniss  beider 
Uebersetzungen  zu  einander  zu  gewinnen.  Die  letztere  scheint  nur  zum 
Theile  das  poetische  Gewand  zu  tragen  und  sich  dem  Originale  enger  an- 
zuschliessen  als  die  Polignuc'sche.  A\ir  wollen  weiter  unten  dem  Leser  Ge- 
legenheit geben,  selbst  zu  vergleichen.  Andere  Uebersetzer,  wie  Gerard  de 
Nerval,  Ary  Scheffer,  Goanod  kennt  der  Verfasser  nur  aus  der  Vorrede 
Arsene  Houssaye's  zu  Polignac's  Uebertragung.  "Was  nun  seine  eigene  Arbeit 
betrifft,  so  gestehen  wir  gern,  dass  er  seine  schwierige  Aufgabe  mit  Glück 
gelöst  hat.  Dass  wir  hier  und  da  anderer  Meinung  sind,  wird  er  uns  nicht 
verübeln.  Hier  und  da  scheint  uns  H.  Br.  ohne  Noth  von  einer  ganz  wort- 
getreuen Uebersetzung  abgegangen  zu  sein,  an  andern  Stellen  wörtlicher 
übersetzt  zu  haben,  als  es  die  französische  Sprache  zulässt ;  an  andern  end- 
lich stimmen  wir  mit  der  Auffassung  des  Sinnes  nicht  überein.  Hier  einige 
Belege  zu  unserer  Behauptung: 

S.  G.  Wie  soll  man  sie  durch  Ueberredung  leiten?  — 
Wenn  ihr's  nicht  fühlt,  ihr  werdet's  nicht  erjagen, 
Wenn  es  nicht  aus  der  Seele  dringt, 
Und  mit  urkräftigem  Behagen 
Die  Herzen  aller  Hörer  zwingt. 

Comment  pourrait  -  on  acquerir  l'art  de  persuader?  —  Vous  ne  l'attra- 
perez  jamais,  si  vous  ne  le  sentez  pas ,  et  que  ca  ne  provienne  dulbnd  de 
l'äme  pour  gagner  par  la  plus  violente  Emotion,  les  coeurs  de  tous  les  au- 
diteurs. 

Das  Göthe'sche  es  (ihr's)  scheint  mir  ohne  Umschreibung  nicht  wohl 
übersetzbar.  Le  in  Tattrapperez  und  le  sentez  wird  jeder  Franzose  auf  art 
beziehen.  „Mit  urkräftigem  Behagen"  bezieht  der  Verfasser  auf  die  Zu- 
hörer, während  es  wohl  auf  den  Redner  geht.  Wir  schlagen  vor:  Comment 
acquerir  l'art  de  persuader?  Vous  ne  l'acquerrez  point  (cet  art),  a  moins 
que  vous  ne  sentiez  ce  que  vous  dites,  et  que  vos  paroles  provenant  du 
fond  de  Täme,  n'entrainent  sans  effort,  mais  irresistiblement,  les  coeurs  de 
tous  les  auditeurs. 

S.  8.  Das  Pergament,  ist  das  der  heil'ge  Bronnen, 
Woraus  ein  Trunk  den  Durst  auf  ewig  stillt? 

Est  -  ce  donc  que  le  parchemin  est  la  sainte  fontaine  oü  un  trait  de"sal- 
tere  la  soif  pour  jamais? 

Wir  würden  gesagt  haben:  „Le  parchemin  est-il  donc"  und  bezweifeln, 
dass  desalte'rer  la  soif  gebräuchlich  ist.  S.  9,  V.  Gl  und  62  sind  eine  wahre 
Crux  für  den  Uebersetzer.  Wir  geben  alle  drei  Uebersetzungen  zur 
Vergleichung. 

Ein  Kehrichtfass  und  eine  Rumpelkammer, 
Und  höchstens  eine  Haupt-  und  Staatsaktion 
Mit  trefflichen  pragmatischen  Maximen, 
Wie  sie  den  Puppen  wohl  im  Munde  ziemen. 

Braunhard : 

Un  pot  ä  ordures  et  une  chambre  poudreuse,  ou  tout  au  plus  une  piece 
ä  grand  spectacle  avec  de  süperbes  maxiines  de  morale,  telles  qu'elles  sieent 
bien  ä  la  bouc'.ie  des  marionnettes. 


318  Beurtheilungcn  und  kurze   Anzeigen. 

Po  lignac: 
De  sales  oripeaux,  de  la  pourpre  en  haillons, 
Quelque  panier  rempli  d'ordures  et  de  chiffbns, 
Sont  les  decors  abjects  de  cette  farce  imnionde 
Qu'on  joue  impudemment  sur  la  scene  du  monde: 
Grotesques  sentiments,  preceptes  infantins, 
Spectateurs  idiots  . .  .  theätre  de  pantins ! 

B 1  a  z  e : 
L'n  sac  ä  ordures,  un  vieux  garde-meuble,  ou  tout  au  plus  une  parade 
de  carrefour,  avec  de  belies  maximes  de  morale,  comme  on  en  raet  dans  la 
boucbe  des  marionettes. 

S.  10.  Allein  die  Welt!  Des  Menschen  Herz  und  Geist! 
Möcht'  jeglicher  doch  was  davon  erkennen.  — 
Ja,  was  man  so  erkennen  heisst! 

Mais  le  monde!  le  coeur  et  l'esprit  de  l'homme!  Que  chacun  en  puisse 
reconnaitre  quelque  chose!     C'est  justement  ce  qu'on  appelle  reconnaitre! 

„Möcht' jeglicher"  ist  kein  Wunschsatz;  es  fehlt  auch  das  !  bei  Goethe. 
Wir  übersetzen :  Chacun  en  voudrait  connaitre  quelque  chose,  und  fahren 
fort:    Ce  qu'on  appelle  connaitre!    Oder  Connaitre  et  connaitre   sont  deux. 

S.  11.  Ach!  die  Erscheinung  war  so  riesengross, 

Dass  ich  mich  recht  als  Zwerg  empfinden  sollte. 

H£las!  Papparition  dtait  si  gigantesque  que  je  devais  me  croire  un  ve- 
ritable  nain. 

Wir  übersetzen:  „pour  que  je  me  sentisse,"  da  der  Nachsatz  nicht  eine 
Folge,  sondern  eine  Absicht  ausdrückt. 

S.  13.  Sein  selbst  genoss  in  Himmelsglanz  — 
qui  vivais  en  moi  -  meme  — 
Warum  nicht  wörtlich:  jouissait  de  moi- meme? 

S.  13.  Wenn  wir  zum  Guten  dieser  Welt  gelangen, 
Dann  heisst  das  Bess're  Trug  und  Wahn. 

Quand  nous  parvenons  aux  splendeurs  de  ce  monde,  tout  ce  qu'il  y  a 
mieux  s'appelle  illusion  et  chimere. 

Splendeurs  setzte  der  Verfasser,  wie  er  in  einer  Note  erklärt,  als  aus- 
drucksvoller und  bezeichnender,  obgleich  in  splendeur  mehr  äusserer  Glanz, 
Ehre,  Ruhm  und  dergl.  liegt  als  innere  Güte.  Unter  dem  Guten  versteht 
Goethe  hier  das  Schauen,  die  Einsicht,  Erkenntniss.  —  Wir  verstehen  die 
Stelle  so:  Der  Besitz  irdischer  Güter  ist  oft  der  Grund,  dass  der  Mensch 
das  ideale  Streben  (das  Bessere)  aufgiebt,  vergisst  und  verachtet.  Splendeur, 
welches  wir  übrigens  mit  biens,  schon  wegen  des  folgenden  mieux  vertauschen 
würden,  ist  parce  que,  nicht  quoique  richtig. 

Zum  Schluss  noch  eine  Stelle  zur  Vergleichung: 

S.  19.  Der  selbst  die  Ahnung  jeder  Brust 
Mit  eigensinnigem  Krittel  mindert, 
Die  Schöpfung  meiner  regen  Brust 
Mit  tausend  Lebensfratzen  hindert. 


Beurtheilungen  und   kurze  Anzeigen.  317 

Braun  hard: 

Ce  jour  qui  par  des  tourments  bizarres  dnervera  iuscm'au  pressentiment 
de  chaque  plaisir,  qui  sous  mille  fantömes  paralysera  les  inspirations  de  rnon 
coeur  agite". 

Polignac: 

Qui  va  meme  tarir  la  source 

De  nies  divins  pressentitnents ; 

Ces  fantömes  cneris  de  ma  poitrine  emue, 

Qu'empoi  tent  loin  de  moi  mille  petits  tourments. 

Blaze : 

Qui  meme,  contre  les  pressentiments  de  toute  joie,  a  d'opiniätres  fle'aux, 
et  fait  avorter,  avec  les  mille  grimaces  de  la  vie,  les  crdations  de  ma  poi- 
trine ämue. 

Bromberg.  Weigand. 


Programmenschau. 


Ueber  deutsche  Orthographie.    Von  Oberlehrer  Dr.  Pfefferkorn. 
Programm  des  Gymnasiums  zu  Neustettin.     1859. 

Der  Verfasser  bat  seine  Abhandlung  zunächst  für  die  Scbüler  der  oberen 
Klassen  des  dortigen  Gymnasiums  bestimmt,  um  bei  der  herrschenden  Un- 
sicherheit in  der  Orthographie  ihnen  ein  Hilfsmittel  der  Belehrung  zu  bieten. 
Dazu  schien  ihm  aber  nicht  eine  blosse  Anführung  empirisch  zu  befolgender 
Regeln  hinreichend,  sondern  eine  Begründung  derselben  durch  Zurückgehen 
in  die  Vergangenheit  der  Sprache  notlvwendig.  Der  Grundsatz  ist  gewiss 
zu  billigen,  sowie  nicht  minder  die  Ansicht,  sich  soviel  als  möglich  an  den 
herkömmlichen  Gebrauch  anzuschliessen.  Wegen  der  massvollen  Behandlung 
der  Sache  verdient  die  Abhandlung  des  Herrn  P.  die  Beachtung  aller  Leh- 
rer; sie  werden  vielfach  Uebereinstimmung  mit  dem  Hannoverschen  Regu- 
lativ, sowie  mit  der  Norm  der  Leipziger  Lehrerconferenz,  ohne  dass  diese 
von  dem  Verf.  erwähnt  würde,  bemerken,  mitunter  Abweichungen,  deren 
Gründe  immer  gut  entwickelt  sind. 

Nach  einer  kurzen  Uebersicht  über  die  Geschichte  der  deutschen  Sprache 
spricht  der  Verf.  von  den  drei  orthographischen  Gesetzen  jeder  Sprache: 
Schreib'  wie  du  sprichst,  schreib'  nach  der  Herkunft  der  Wörter,  richte  dich 
nach  dem  herrschenden  Gebrauch,  die  alle  drei  für  die  deutsche  Sprache 
gelten.  Darnach  folgen  die  einzelnen  Regeln  und  zwar  1)  von  dem  Ge- 
brauche grosser  Anfangsbuchstaben.  Er  zeigt  sich  hier  gemässigt;  in  den 
zu  Adverbien  gewordenen  Substantiven  in  den  Zusammensetzungen  haus- 
halten, stattfinden,  statthaben,  überhandnehmen,  schreibt  er  auch  in  der 
Trennung  die  Substantive  mit  kleinen  Anfängsbuchstaben,  ebenso:  niemand, 
jemand,  nichts,  der  eine  etc.  '/)  Schreibung  der  langen  Vocale.  Die  Be- 
zeichnung der  Länge  durch  Quantitätsbezeichnungen  (Vocalverdoppelung, 
Einschiebung  des  e  und  i)  will  er  bei  den  allgemein  sich  ihrer  bedienenden 
Wörtrern  beibehalten,  bei  Schwankungen  vermeiden  (daher:  Herd,  Herde). 
Die  Entstehung  der  Dehnung  des  i  durch  nachgesetztes  e,  sowie  der  Vocale 
überhaupt  durch  nachgesetztes  h  ist  gut,  klar  auseinandergesetzt,  daher  die 
Frage  nach  der  Berechtigung  leicht  zu  entscheiden;  die  Norm  über  die 
Setzung  des  Dehnungs-e  verdient  Beifall.  In  der  Beibehaltung  des  h  na- 
mentlich bei  t  ist  der  Verf.  vielleicht  zu  conservativ,  allerdings  ist  aber  das 
Auge  an  das  th  im  Anlaute  so  gewöhnt,  dass  leicht  au  einer  Aenderung  An- 
stoss  genommen  wird.  Hierauf  wendet  er  sich  zur  Konsonantenverdoppelung 
nach  kurzem  Vocal,  deren  Geschichte  zuerst  mittheilend.  Die  aufgestellten 
Regeln,  hinsichtlich  der  Schreibung  der  Verbalformen  die  des  Infinitivs,  der 
Nomina  die  des  Genitivs  oder  Plurals  bei  hochtonigen  Silben  massgebend 
anzusehen  (daher  kann,  Mann,  aber  Königin,  Kenntnis),  in  den  Ableitungen 
durch  tieftonige  Bildungssilben  und  in  den  Zusammensetzungen  die  Schrei- 
bung der  Stammwörter  unverändert  beizubehalten  (Hemmnis,  Hemmschuh,  aber 


Programinenschau.  319 

herschen  von  her;  dreimal  wird  derselbe  Buchstabe  nicht  geschrieben,  daher 
Mittag,  dennoch,  Schiffahrt,  helleuchtend),  in  Partikeln,  Compositions-  und 
Flexionssilben  die  Verdoppelung  auszulassen  (un-,  des,  wes,  mit  wenigen 
Ausnahmen  wie  dann),  ferner  wenn  auf  den  kurzen  Vocal  in  derselben  Silbe 
zwei  oder  mehrere  Consonannten  folgen,  den  ersten  derselben  nicht  zu  ver- 
doppeln (-schaft,  Amt,  also  auch  nakt,  Samt,  Taft  oder  nacket,  Sammet, 
Tatfet  zu  schreiben,  auch  samt,  Wams),  bei  Fremdwörtern  sich  nach  der 
Muttersprache  zu  richten  (Perrücke,  Adresse,  Almosen;  doch  kommen  Aus- 
nahmen vor:  Ball,  Kaffe,  Suppe,  nett  u.  ä.)  sind  grösstenteils  von  Ruprecht 
entlehnt;  auch  sie  verdienen  Einführung  in  den  Schulgebrauch.  Der  letzte 
Theil  des  Programms  behandelt  die  Schreibung  einzelner  Buchstaben:  1)  ä 
und  e.  2)  äu  und  eu  (nur  Reude,  zerbleuen  zu  schreiben),  3)  ai  und  ei  (der 
Verf.  behält  Haide  noch  bei).  4)  dt;  die  Entstehung  dieser  Verbindung 
wird  dem  Schüler  sehr  deutlich  gemacht;  die  Schreibung  tot  und  töten  wird 
nicht  leicht  durchzuführen  sein.  5)  ph,  f,  v;  der  Verf.  verlangt  Sofa,  will 
aber  noch  Gustav  festhalten.  6)  g  und  eh.  Der  Verf.  hält  sich  hier  an  den 
Usus,  doch  in  der  Schreibung  von  adelig  möchte  demselben  zuviel  nachge- 
geben sein.  7)  c,  k,  ch,  x;  mit  Recht  wird  die  Schreibung  Kurfürst  und 
Karfreitag  verlangt.  8)  Ueber  die  S-Laute.  Die  aufgestellten  historischen 
Regeln  werden  insoweit  eingeschränkt,  dass  vom  gewöhnlichen  Gebrauche 
nicht  zu  sehr  abgewichen  wird. 

Diese  Uebersicht  des  Inhalts  wird  genügen,  um  zu  näherer  Prüfung  des 
Gegebenen  einzuladen. 


Kern:    Etymologische  Versuche.      Programm  des   Gymnasiums 
zu  Stuttgart.     1858. 

Die  Reihe  beginnt  mit  Geist,  abgeleitet  von  gähren;  Gest  in  "Westfalen 
=  Hefe;  altn.  geysir  =  fons  bulliens;  dazu  auch  gern  und  begehren,  sowie  gar. 
2)  W erden  und  Werben.  Werden  =  vertere;  dazu  auch  Welt  (werld), 
-wart,  -wärts,  werben,  Wirbel,  vielleicht  auch  Werk.  3)  Halde,  Held,  Hilde, 
hold,  Huld.  Alle  vom  alten  he.ldjan,  neigen:  Halde  =  geneigte  Fläche, 
Held  —  der  seinen  Feind  Neigende,  Hilde  =  die  Handlung  desselben,  hold 
=  zu  Boden  geneigt,  unterworfen,  Huld  =  dessen  Lage  (huldigen). 
4)  Damm.  Gl.  Stammes  mit  zahm,  Sa/unco,  Sucöi.  5)  Ergetzen,  Causativuni 
von  vergessen.  C)  Thräne,  Zähre.  Beide  sind  identisch.  7)  Sixchen.  Diese 
Betheurungsformel  von  der  sächsischen  Nationalwaffe  Sachs  (diese  Etymol. 
ist  auch  schon  früher  aufgestellt).  8)  Schaar.  Schaar  als  Anzahl  und  Schaar 
am  Pfluge  ist  dasselbe,  von  schaaren,  =  geschnittene,  zugeschnittene  Anzahl. 
9)  Degenmässig,  ein  schwäbisches  Wort  =  gehorsam,  von  Degen  =  re'xvov 
==  Knecht.  10)  Hag  und  Hof  identisch  (Hof  sonst  von  haben  abgeleitet), 
wie  gleicher  Wechsel  in  Schlaf  und  Schlag,  Ofen  und  ignis.  11)  Bärig, 
schwäbisch  =  kaum,  von  bar  =  hervorbringen,  intrans.  wachsen,  daher  bor 
=  übermässig;  bärig  war  eigentlich  ironisch  gemeint.  12)  Holz,  Wald,  sal- 
tus  identisch.  13)  Placat  vom  mittellat.  placare,  dies  aber  vom  deutschen 
Placke,  ausgestochenes  Rasenstück,  eig.  ein  Fläche  hervorbringen,  vgl.  Blaoh- 
feld.  14)  Platz,  a)  =  Kuchen,  von  placenta,  nlaxöeig.  b)  =  Ort,  aus  nlarve, 
platea.  15)  Tabula,  von  ia-,  ravvco,  rsiveo.  16)  Per  und  Siä,  Sid  =  Sig, 
per  zu  nepäa).  17)  Capelle,  von  dem  getheilten  Mantel  des  heil.  Martinas. 
18)  Reprisalie.  Warum  wird  das  Wort  Repressalie  im  Deutschen  geschrieben, 
da  es  doch  von  reprehendere  kommt?  Weil  es  Adelung  falsch  von  repri- 
mere  ableitete.  19)  Ridicule,  reticule.  Der  Arbeitsbeutel  heisst  re"ticule. 
20)  Poltron,  hängt  nicht  mit  dem  deutschen  poltern  zus.,  auch  nicht  mit 
Polster,  sondern  ist  =  pollice  truneus.  21)  Scorzonera,  die  ital.  Schwarz- 
wurzel, von  ex  cortice,  abgeschält.     22)  Boule,  Kegelkugel,  nicht  von  bulla, 


320  Programmenschau. 

einer  hohlen  Kugel,  bes.  Wasserblase,  bulla  giebt  franz.  bouillir,  bouillon  etc., 
boule  vom  deutschen  Ball.  23)  Einsilbige  Eigennamen  auf — z.  Diese  Form 
ist  Deiuinutiv-Form;  man  weiss  aber  nicht  immer,  ob  der  ursprüngliche  Na- 
men einfach  oder  zusammengesetzt  war,  denn  bei  der  Deminutivform  wird 
der  2.  Theil  der  Zusammensetzung  weggelassen,  vgl.  Fritz,  Götz.  Denzel 
oder  Denz  kommt  von  Deinhard,  Enslin  oder  Enz  von  Einhanl,  Menzel  oder 
Menz  von  Meinhard,  Renz  von  Reinhard,  Wenz  von  Weinhard ;  Deinhard 
von  Degenhard,  Einhard  von  Eginhard,  Meinhard  von  Maginhard,  Reinhard 
von  Reginhard.  -  Lanz  kommt  von  Lantfrid  oder  Eandfromm,  Lutz  von  Lud- 
wig, Butz  von  Burkhard,  Ritz  viell.  von  Ridbracht,  Seiz  von  Seifried  oder 
Seibrand  oder  Siegebrecht,  Lenz  von  Leonhard,  Weiz  aus  Weikhard.  Benz 
von  Bernhard.  24)  Vermischtes  über  Eigennamen,  a)  Die  Namen  aus  Hruod. 
b)  Rumelin.  c)  Kapf,  Familiennamen,  nicht  aus  Kopf,  sondern  chapf  = 
specula  d)  Namen  auf  — beck  niedersächsich  (Overbeck  =  jenseits  des 
Baches),     e)  Hornbostel  von  Bastei  =  Sebastian  u.  A.  — 


Das  Epitheton   ornans.     Von  Dr.   H.    Storch.     Programm   des 
Gymnasiums  zu  Ratibor.     1858. 

Der  Gegenstand,  um  den  es  sich  hier  handelt,  berührt  die  Poesie,  selbst 
die  Prosa  aller  Völker,  die  genauere  Kenntniss  desselben  trägt  zur  besseren 
Würdigung  des  Gedankens,  des  Ausdrucks,  des  Schriftstellers  bei;  da  der- 
selbe in  der  vorliegenden  Abhandlung  scharfsinnig  behandelt  ist,  so  verdient 
sie  die  Aufmerksamkeit  der  Leser  des  Archivs. 

Der  Verf.  geht  aus  von  der  Erklärung  der  Nolhwendigkeit  der  sogen. 
Figuren  überhaupt  für  die  poetische  Darstellung.  Zu  ihnen  gehört  das  Epi- 
theton ornans.  Es  unterscheidet  sich  von  anderen  Attributen  dadurch,  dass 
es  nicht  wie  diese  substantivische  Artbegriffe  auf  Unterarten  zurückführt, 
dass  es  ganz  auf  die  ästhetische,  nicht  logische  Seite  der  Darstellung  fällt; 
auch  da,  wo  es  nach  Becker  den  logischen  Werth  des  Begriffs  hervorheben 
soll,  belebt  es  nur  durch  Veraunschaulichung  die  Darstellung.  Als  Figur 
unterscheidet  sich  aber  das  Epitheton  ornans  von  der  Synekdoche  und  Me- 
tapher und  ist  zu  definiren  als  eine  Figur,  welche  der  Darstellung  dadurch 
Anschaulichkeit  verleiht,  dass  sie  an  dem  Begriffe  ein  bedeutsames  Merkmal 
hervorhebt,  durch  welches  unsere  Imagination  den  Impuls  erhält,  das  Bild 
des  Ganzen  zu  schaffen,  mit  einem  Schlage,  wie  es  vor  der  dichterischen 
Anschauung  stand.  Aus  dem  Begriffe  ergeben  sich  seine  Eigenschaften: 
1)  Bedeutsamkeit  des  Epitheton  ornans.  Es  ist  nicht  willkürlich  gewählt 
oder  zu  wählen,  sondern  ergibt  sich  aus  dem  Gedanken  des  Ganzen. 
Wenn  Klopstock  singt:  „Ach,  in  schweigender  Nacht  ging  mir  die  Todten- 
erscheinung,  unsere  Freunde,  vorbei,"  so  ist  das  Epitheton  durch  den 
Gedanken  bedingt,  dass  im  geheimnissvollen  Schweigen  der  Nacht,  wenn 
Dunkel  alles  Irdische  verhüllt,  die  Seele  von  der  Ahnung  einer  Geisterwelt 
wunderbar  berührt  wird.  Auch  in  Naturschilderungen  dürfen  die  epitheta 
ornantia  nicht  der  Bedeutsamkeit,  welche  den  Geist  befriedigt,  nicht  der  Be- 
ziehung auf  den  Gedanken  entbehren.  Nach  dem  plastischen  Charakter  ihrer 
Sprache  waren  die  alten  Dichter  reicher  daran  als  die  neuern,  vor  allen  Homer, 
aber  seine  epitheta  enthalten  immer  die  Beziehung  auf  den  Zusammenhang. 
Von  deutschen  Dichtern  zeichnet  sich  durch  weisen  Gebrauch  der  Epitheta 
Herder  aus.  2)  Anschaulichkeit.  Die  rechten  sinnlichen  Epitheta  haben  wir 
im  Epos  aufzusuchen,  Homer  leuchtet  voran,  ihm  ist  das  Epitheton  das  wirk- 
samste Mittel  zur  Veranschaulichung  der  menschlichen  Gestalt,  so  weckt 
der  „Rufer  im  Streit  Menelaos"  gleich  das  Bild  eines  Helden  mit  gewölbter 
Brust  u.  ä.,  die  Klarheit  des  blonden  Haares  des  Menelaos  u.  s.  w.  theilt 
sich  auch  seinem  ganzen  körperlichen  Bilde  mit;  durch  die  öftere  Wiederkehr 


Programmenschau.  321 

aber  werden  die  homerischen  Epitheta  eine  feste  sinnliche  Grundlage  für 
das  Charakterbild.  Ihre  vollkommene  Wahrheit  ist  der  Ausdruck  der  tiefen 
Innigkeit  des  Naturgefühls  des  Dichters.  Was  im  Besonderen  die  homeri- 
schen Epitheta  so  sehr  die  Thätigkeit  der  Phantasie  energisch  erregen  lässt, 
ist  diese  ihre  Eigenschaft,  dass  sie  sich  vorwiegend  auf  Erscheinungen  des 
Gesichtssinnes  beziehen  und  gern  die  Dinge  in  Bewegung  zeigen.  3)  Nume- 
rische Einheit.  Wie  Lessing  treffend  im  Laokoon  ausgeführt  hat,  gebraucht 
der  Dichter  nur  ein  Attribut,  weil  bei  Entwickelung  der  Handlung  die  aus- 
führliche Schilderung  körperlicher  Gegenstande  den  Uörer  unthätig  verweilen 
und  Anhäufung  der  Epitheta,  um  daraus  ein  ganzes  Bild  zu  erzeugen,  die 
Phantasie,  gegen  den  Willen  des  Dichters,  zu  sehr  anstrengen  würde.  Wenn 
Homer  ein  Ding  durch  mehrere  Epitheta  malt,  so  sind  dieselben  doch  der 
Art,  dass  ein  in  sich  harmonisches  Bild  dadurch  leicht  erzeugt  wird.  Die 
Epitheta  treten  hinter  das  Substantivum,  die  Vorstellung  des  Dinges  trägt 
die  Vorstellungen  der  Epitheta,  deren  enge  Beziehung  zu  jenem  dadurch, 
dass  sie  die  Flexion  behalten,  klar  ist.  Da  die  deutsche  Sprache  die  Flexion 
des  nachgesetzten  Adjectivs  eingebüsst  hat,  so  ist  die  Nachstellung  nur  dann 
erlaubt,  wenn  die  Beziehung  leicht  verständlich  ist,  wie  in  dem  Goethe'schen : 
„Im  Kämmerlein,  so  nieder  und  klein,  so  rings  bedeckt  u.  s.  w.,"  natürlicher 
macht  man  daraus  einen  relativen  Nebensatz.  Die  masslose  Anhäufung  von 
Epithetis  in  der  indischen  Poesie  nöthigt  uns  zwar  Bewunderung  der  Kunst 
ab,  gewährt  aber  keine  ungetrübte  Freude.  Die  Lyrik  endlich  kann  ihrer 
Natur  nach  eine  Reihe  von  Epitheta,  welche  die  Ruhe  der  Anschauung  er- 
fordern, nicht  vertragen. 


Das  Fest  der  Sonnenwende.     Von  Dr.  Witzschel.     Progr.  des 
Gymn.  zu  Eisenach.     1858. 

Die  vorliegende  Abhandlung  ist  ein  schätzbarer  Beitrag  zu  den  vielen 
Sammlungen  der  Märchen,  Sagen  und  Sitten,  welche  die  neueste  Zeit  uns 
gebracht  hat,  eine  fleissige  Zusammenstellung  der  mannichlächen,  aus  heid- 
nischer Zeit  stammenden  Gebräuche,  welche  sich  an  die  Sonnenwende  knüpfen. 
Der  Verf.  berührt  zuerst  die  vormals  übliche  Sitte,  in  der  Nacht  vor  Jo- 
hannis  in  Flüssen  oder  Quellen  zu  baden  oder  aus  heilkräftigen  Brunnen  zu 
trinken  (S.  4).  Dem  Glauben  an  die  besondere  Kraft  des  Johannisbades 
geht  eine  gewisse  Scheu  vor  dem  Elemente  zur  Seite,  das  Wasser  verlangt 
seine  Opfer  am  Johannistage  (S.  5).  Den  Wassorcultus  fasst  der  Verf.  als 
Versöhnung  für  die  dem  Wassergeiste  zugefügte  Gewalt  (S.  6).  Weit  ver- 
breitet waren  und  sind  die  Johannisfeste  (S.  7).  Von  dem  üblichen  Johan- 
nisfeuer,  an  dessen  Stelle  Niederdeutschland  die  Osterfeuer  kennt,  kommen 
zwei  Formen  vor:  Feuerräder  und  Scheiterhaufen,  jene  besonders  als  Sim- 
metsfeier  in  Baiern  und  Schwaben,  aber  auch  in  Frankreich,  Spanien,  slavi- 
schen  Ländern ;  die  mannichfachen  Gebräuche  an  verschiedenen  Orten  zählt 
der  Verf.  auf.  Dem  Feuer  folgte  ein  Schmaus.  Johannisbäume  (S.  13)  kom- 
men noch  vor,  die  wohl  nicht  von  den  Pfingstbäumen  herrühren.  Der  man- 
nichfachste  Aberglaube  knüpft  sich  noch  jetzt  an  die.  Kraft  der  Johannis- 
nacht. Dass  der  Gott,  der  den  Mittelpunkt  dieser  Gebräuche  und  Meinun- 
gen bildet,  Wuotan  sei,  ist  höchst  wahrscheinlich. 


Ernst:  Grundlinien  zu  einer  Geschichte  der  deutschen  National- 
literatur.    Alte  und  mittlere  Zeit.      Prog.    des  Gymnasiums 
zu  Güstrow.  1859. 
Der  Verfasser  bemerkt,  in  dem  Vorwort,  dass  der  Kenner  von  Gervinus 
einer  Arbeit  sogleich  abmerken  werde,  wie  sehr  er  ihm  das  Beste  verdanke. 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  21 


322  Prograrumenschau. 

Freilich  ist  das  alsbald  zu  sehen,  dabei  aber  darf  man  dreist  dem  Verf.  zu- 
gestehen, dass  er  ihn  nicht  excerpiert  hat,  er  hat  an  ihm  seine  Studien  ge- 
macht und  das  dadurch  gewonnene  selbständige  Urtheil  ist  ersichtlich.  In- 
dess  der  ganze  Standpunkt  von  Gervinus,  der  Standpunkt  der  Räsonnements 
ist  dem  Verf.  geblieben,  und  wenn  er  nun  an  Gervinus  auszusetzen  hat, 
dass  seine  Darstellung  für  die  Schule  nicht  angemessen  sei,  so  ist  auch 
seiner  Behandlung  derselbe  Einwurf  entgegenzuhalten,  weil  auch  sie  zu 
wenig  objectiv  gehalten  ist,  zu  wenig  den  Stoff'  selbst  als  einen  noch  gänz- 
lich unbekannten  behandelt,  zu  sehr  über  ihn  räsonniert.  Der  Verf.  stellt 
sich  auf  den  Standpunkt,  dass  in  der  Geschichtserzählung  ebensoviel  von 
dem  Volke  oder  dem  Publicum,  für  welches  die  Autoren  arbeiteten,  die 
Rede  sein  müsse,  als  von  den  letzteren  selbst,  erst  die  Wechselwirkung 
beider  geben  den  Volksgeist ,  dessen  Geschichte  das  Hauptinteresse  in  der 
Literaturgeschichte  ausmache.  Dieser  Standpunkt  geht  über  den  Kreis  der 
Schule  hinaus ;  die  Schule  hat  sich  an  die  Literatur  anzuschliessen  und  soll 
aus  ihr  erst  die  Zeit  erkennen  lernen.  Jene  Art  und  Weise  wird  den  Ge- 
genstand gewiss  sehr  anziehend  behandeln  können,  und  die  kurze  Arbeit 
des  Verf.  bietet  des  Geistvollen  Manches  dar,  sie  setzt  aber  ein  so  gereiftes 
Urtheil  voraus,  wie  man  es  von  dem  Schüler  nicht  erwarten  kann.  Gerade 
darum  hat  auch  der  Auszug  aus  Gervinus,  weil  das  grössere  Werk  für  Er- 
wachsene und  Kenner  geschrieben  ist,  auf  Schulen  so  wenig  Eingang  finden 
können.  In  der  Behandlung  des  Einzelnen  bringt  der  Verf.  manches  Neue, 
einiges  Zweifelhafte  vor,  seine  Anschauungs-  und  Anordnungsweise  regt  zum 
Nachdenken  an,  und  die  Abhandlung  verdient  die  Beachtung  aller  Fachge- 
nossen; die  Norddeutschen  lernen  in  ihm  einen  sehr  beredten  Anwalt  ihrer 
Nationalität  kennen.  Entgangen  ist  dem  Verf.,  dass  dem  König  Heinrich  VI. 
die  ihm  gewöhnlich  zugeschriebenen  Lieder  von  Haupt  im  Berliner  Index 
abgesprochen  sind. 


Madiera:  Vergleichende  Charakteristik  des  Achilles  aus  der 
Uiade  und  des  Siegfried  aus  den  Nibelungen.  Progr.  des 
Gymn.  zu  Neusohl.     1858. 

Das  vorliegende  Thema  ist  schon  öfters  behandelt.  Der  Verf.  erklärt, 
er  habe  mit  seiner  kurzen  Arbeit  nur  beabsichtigt,  den  Schülern  einige  An- 
deutungen zu  geben,  wie  sie  bei  ähnlichen  Themen  etwa  zu  Werke  gehen 
könnten,  zugleich  aber  auch  zu  zeigen,  wie  sehr  man  bei  der  Leetüre  immer 
auf  das  geistige  Leben  eines  Volkes,  das  sich  in  der  Literatur  am  treuesten 
abspiegele,  Rucksicht  nehmen  müsse.  Dieser  letztere  Gesichtspunkt  hat  ihn 
bewogen,  einige  allgemeine  Sätze  über  Volksepos,  aus  den  Schriften  von 
Grimm  und  Vilmar  entlehnt,  vorauszuschicken.  Was  die  Charakteristik  be- 
trifft, so  hebt  er  richtig  als  wesentliche  Züge  in  beiden  Helden  einerseits 
die  Freundschaft,  andererseits  die  Liebe  hervor,  übersieht  aber  das  Verhält- 
niss  beider  Helden  zu  den  Königen;  was  das  Uebrige  betrifft,  so  sind  die 
Hauptmerkmale  kurz  angegeben,  aber  die  Anordnung  ist  nicht  so  übersicht- 
lich, dass  sie  den  Schülern  als  Muster  dienen  könnte.  — 


lieber  den  Charakter  Kriemhildens  in  dem  Nibelungenliede  und 
der  Nibelungennoth.  Von  Ed.  Dressel.  Einladungsschrift 
zur  Feier  des  Stiftungsfestes  des  Gymnasiums  zu  Coburg. 
Coburg.     1857. 

In  dem   Streite-  über    das   Verhältnis   der  Handschriften  A   und  C  ver- 
sichert der  Verf.,  auf  neutralem  Boden  zu  stehen:  er  will  aber  aus  der  Cha- 


Programmenschau.  323 

rakterzeichnung  Kriemhildens  im  zweiten  Theile  des  Nibelungenliedes  den 
Nachweis  liefern,  dass  in  diesem  engeren  Gebiete  sich  C  als  die  ursprüng- 
lichere Redaction  herausstelle.  Die  Handschrift  A  steht  ganz  auf  Seiten 
Hagens,  C  kann  seine  Abneigung  nicht  verbergen,  A  bricht  über  Kriemhilde 
den  Stab,  C  bewundert  sie  ob  ihrer  Treue  und  lässt  sie  nur  durch  das 
Schicksal  bis  an  ihr  Ziel  fast  willenlos  fortgetrieben  werden.  Aus  der  ge- 
naueren Verfolgung  der  einzelnen  Charakterzüge  im  Gedichte  kommt  der 
Verf.  nun  zu  dem  Resultate,  dass  Kriemhilde,  wie  sie  in  C  erscheint,  in  sich 
einiger  und  der  Mittelpunkt  des  Ganzen  sei,  dass  dagegen  in  A  verschiedene 
störende  Züge  seien.  Es  sei  die  Darstellung  in  A  allmählich  aus  der  in  C 
entstanden;  jene  habe,  um  alle  Schuld  auf  die  Königin  zu  werfen,  ihr  mis- 
liebige  Strophen  weggelassen,  ungeschickte  Aenderungen  gemacht,  ohne  aber 
in  ihrer  Unbehülflichkeit  das  alte  Bild  ganz  verwischen  zu  können.  Wenn 
A  der  älteste  Text  gewesen,  so  müsste  ein  sonst  schwerfälliger  Ueberarbeiter 
in  C  erst  Harmonie  in  den  Charakter  gebracht  haben,  der  Sammler  in  A 
aber  widersprechende  Eigenschaften,  Kunstgefübl  und  Geschmacklosigkeit, 
in  sich  vereinigt  haben.  Aber  selbst  in  A  erscheint  der  Charakter  Kriem- 
hildens noch  von  einer  solchen  psychologischen  Einheit  und  tritt  uns  eine 
so  stufenmässige  Entwicklung  entgegen,  dass  die  Entstehung  des  Gedichts 
selbst  zu  einer  neuen  Frage  wird.  Wenn  sich  ohne  Ueberarbeitung  die  Ge- 
sänge von  zwanzig  und  mehr  Dichtern  zu  einem  Ganzen  verbunden  hätten, 
konnte  dies  Ganze  so  wie  aus  Einem  Guss  erscheinen?  Scheint  nicht  eher 
in  der  Einheit  der  Idee  und  der  kunstvollen  Einflechtung  von  Episoden  ein 
genialer  Dichter  sich  uns  anzukündigen,  der  allerdings  alte  Volksgesänge 
vorfand,  benutzte  und  selbst  in  einer  gewissen  Ausdehnung  in  seinen  Stoff 
verwebte?  —  Dies  die  Ansicht  des  Verfassers  ,die  auf  einer  gründlicenh 
und  feinen  Darlegung  des  Charakters  Kriemhildens,  wie  er  hier  in  A,  dort 
in  B  erscheint,  beruht.  Die  Hauptfrage  scheint  aber  damit  immer  nur  neu 
angeregt,  noch  nich  abgeschlossen  zu  sein.  Was  der  Verf.  auch  berührt, 
dass  nämlich  in  den  nordischen  Liedern  der  Charakter  Kriemhildens  so  er- 
scheint wie  in  A,  dass  daraus  aber  noch  kein  Schluss  auf  die  Ursprünglich- 
keit der  Auffassung  gemacht  werden  dürfe,  so  scheint  zu  schnell  über  diesen 
für  die  Vergleichung  hinreichend  wichtigen  Punkt  hinweggegangen  zu  sein. 
Es  ist  doch  etwas  anderes,  wenn  in  den  spätem  Gedichten,  wie  im  Rosen- 
garten, Kriemhilde  ebenfalls  mordlu«tig  erscheint;  der  Verf.  sehliesst  daraus, 
dass  deshalb  überhaupt  weder  aus  Früherem  noch  aus  Späterem  auf  die  ur- 
sprüngliche Auffassung  im  Nibelungenliede  geschlossen  werden  dürfe.  Ab- 
gesehen aber  von  dieser  kritischen  Frage  ist  die  Abhandlung  schon  für  die 
genaue  Kenntnis  der  bedeutendsten  Person  unsers  alten  Volksliedes  durch 
die  höchst  sorgfältige  Aufmerksamkeit  auf  die  kleinsten  Charakterzüge  sehr 
lesenswerth. 


Ueber  die  dramatischen  Aufführungen  im  Gymnasium  zu  Wei- 
mar. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Schulcomödie.  Vom 
Director  Dr.  Heiland.    Progr.  des  Gymn.  zu  Weimar.  1858. 

Wie  der  Titel  anzeigt,  handelt  die  vorliegende  Abhandlung  überhaupt 
über  die  dramatischen  Aufführungen  im  Gymnasium  zu  Weimar,  sie  geht 
demnach  bis  auf  die  Gegenwart  fort,  sie  berührt  auch  die  Inconvenienzen, 
welche  dem  Gymnasium  dadurch  entstanden,  dass  Goethe  für  die  Auffüh- 
rungen im  Hoftheater  die  Hilfe  der  Gymnasiasten,  nämlich  für  den  Chor, 
damit  die  Statistenrollen  durch  wirklich  nachdenkende  Menschen  vertreten 
seien,  in  Anspruch  nahm,  vorzugsweise  aber  natürlich  berührt  sie  die  Zeit, 
der  eigentlichen  Schulcomödie,  zu  deren  Verständnis«  der  Verf.  eine  Ueber- 
sicht  über  die  Entwicklung  der  Schulcomödie  vorausschickt.  Schon  dafür  sind 
die  Freunde  der  deutschen  Literaturgeschichte  ihm  zum-Dank  verpflichtet,  da  er 

21* 


324  Program  mensch  au. 

auch  hiefür,  wie  für  alles  Folgende,  den  reichen,  sonst  wenig  benutzten  StofI, 
der  in  Sehulprogranimen  niedergelegt  ist,  mit  grossem  Fleiss  vollkommen 
übersichtlich  zusammengestellt  und  dadurch  noch  die  reichhaltigen  Samm- 
lungen Gödeke's  vervollständigt  hat.  Er  berührt  hiebei  auch  schliesslich  das, 
was  in  alter  und  neuer  Zeit  für  und  gegen  solche  Aufführungen  gesagt  ist.  Es 
versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Art  und  Weise,  wie  in  alter  Zeit  sie  be- 
trieben wurden,  nicht  zu  empfehlen  ist.  Der  Redeactus  der  Gegenwart  ist 
etwas  ganz  anderes,  gegen  denselben  wird  wohl  Niemand  etwas  einzuwenden 
haben  Die  in  neuester  Zeit  veranstalteten  Reproductionen  des  antiken 
Dramas  finden  auch  wohl  keine  Gegner.  Deutsche  dramatische  Auf- 
führungen, meint  der  Verf.,  haben  in  neuerer  Zeit  wohl  nur  in  Privatan- 
stalten stattgefunden.  Das  ist  ein  Irrthum.  Ref.  erinnert  an  die  Uebungen  der 
Schüler  zu  Lübeck,  für  welche  Jacob  die  schonen  Lübischen  Spiele  schrieb, 
und  wenn  mit  jenen  Worten  der  Verf.  es  zu  billigen  scheint,  dass  die  öffent- 
lichen Schulen  sich  jetzt  ganz  der  Aufführungen  enthalten,  so  erlaubt  sich 
Ref.  auf  die  Vorrede  Jaeob's  zu  den  Spielen  hinzuweisen,  die  alles  enthält, 
was  gegen  die  Allgemeinheit  des  verwerfenden  Urtheils  sich  sagen  lässt. 
Es  kommt  eben  auf  eine  Berücksichtigung  der  Verhältnisse  auch  hier  an, 
der  Individualität  der  Schüler  oder  einer  Schule,  des  Ortes,  der  Zeit.  Die 
Schillerfeier  hat  mancher  Orten  dramatische  Schüleraufführungen  gesehen; 
gewiss  an  manchen  Orten  hat  mau  allen  Nachtheil  zu  vermeiden  gewusst 
und  sich  von  dem  wirklich  bildenden  Element  überzeugt. 

Die  Mittheilungen  sodann  über  die  dramatischen  Aufführungen  im  Gym- 
nasium zu  Weimar  (S.  6  fgg.)  sind  sehr  werthvoll,  da  sie  sich  grösstentheils 
auf  ungedruckte  Quellen  stützen.  Die  Stoffe  waren  auch  hier  zuerst  bibli- 
sche. Die  älteste  Nachricht  von  1565  erwähnt  der  Susanna;  1572  wurde  der 
verlorne  Sohn  aufgeführt.  Der  Verf.  bespricht  dann  das  Gregoriusfest  und 
ausführlicher  die  Christcomödien  (S.  8  fgg.),  in  denen  später  Hans  Pfriem 
(S.  12  fg.)  eine  Rolle  spielte;  die  letzte  Nachricht  über  die  Weimarische 
Christcomödie  ist  von  1694.  Zahlreiche  Aufführungen  zum  Theil  eigner 
Schauspiele  veranstaltete  der  gelehrte  Rector  Philipp  Grossgebauer  1687  bis 
1711  (S.  15  fgg),  meist  in  fremden  Sprachen.  Die  in  einem  Actus  von  1688 
auftretenden  Musen  sangen  von  den  Schülern  selbst  gefertigte  Verse,  jede 
in  einer  andern  Weise :  in  genere  Anapaestico,  Scazontico,  Phalaecio,  Chori- 
ambico,  Glyconico,  Sapphico,  in  Asclepiadeo  cum  Glyconico,  in  Jambico,  in 
Hipponactico;  im  4.  Akte  traten  die  drei  Hierarchien  auf  und  lobten  den 
Landesherrn  1)  in  statu  politico,  2)  in  statu  ecclesiastico,  3)  in  statu  oeco- 
nomico.  Das  Thema  dieser  Actus  war  schon  durch  das  Programm  bezeich- 
net; beliebt  war  das  Thema  von  der  Martinsgans;  und  so  lud  zu  einem  Actus 
ad  anserem  Martinianum  celebrandum  1C90  Grossgebauer  durch  eine  Abhand- 
lung de.  anseribus  britaunicis  ein.  Auch  auf  die  noch  gegenwärtig  in  Eng- 
land üblichen  dramatischen  Aufführungen  geht  der  Verf.  ein.  —  Die  Mit- 
theilungen über  die  Weimarischen  Spiele  sind  durch  umfangreiche  Parallelen 
erläutert.  — 


Ueber    Gebrauch    und   Auffassung   der    griechischen    Götter    in 
Schillers    Gedichten.      Von    Dr.    W.    Grosser.     Progr.    der 
höhern  Bürgerschule  zum  h.  Geist  in  Breslau.   1858. 
Die  Forderung  Herder's,  dass  die  alte  Mythologie  als  poetische  Heuristik 
studirt  werden  solle,  um  eine  Quelle   neuer  poetischer  Erfindungen   zu  wer- 
den, hat,  beginnt  der  Verf.,  kein  deutscher  Dichter  besser  erfüllt  als  Schiller. 
Wie  Schiller  die  Mythologie  benutzt  und  aufgefasst  hat,  erhellt  genau -erst 
aus  einer  Scheidung  seiner  Gedichte  nach    den   verschiedenen  Perioden.     In 
der  ersten   tritt  uns   besonders  der    „Triumph    der  Liebe"    entgegen.      Der 


Programm  ensch  au.  325 

Dichter  halt  sich  im  Ganzen  an  die  antiken  Bilder,  aber  er  malt  manche 
zarter  aus  als  sie  vom  Altherthum  uns  überliefert  sind,  und  lässt  auch  hier 
schon  aus  dem  mythischen  Gewände  die  reinen  Begriffe  hervorleuchten.  In 
der  2.  Periode  beginnt  erst  ein  eigentliches  Studium  der  Alten,  seine  Phan- 
tasie bereicherte  sich  mit  einen  Schatze  von  mythologischen  Anschauungen, 
deren  schönste  Frucht  die  „Götter  Griechenlands"  waren;  neben  my- 
thisch-treuer Darstellung  zeigt  sich  auch  hier  freie  Erfindung.  In  dem  Hym- 
nus an  die  Freude  tritt  das  Mythische  fast  ganz  zurück.  In  den  „Künst- 
lern" haben  alle  mythischen  Figuren  einen  ethischen  Charakter.  In  der 
Meisterperiode  sind  die  Dichtungen  anderer  Art,  hier  haben  sich  Anschauung 
und  Reflexion,  Symbol  und  Gedanke  aufs  innigste  durchdrungen,  die  mytho- 
logischen Personen  sind  Trager  der  tiefsten  Ideen.  Der  Dichter  schliefst 
sieh  enger  au  die  Mythen  an,  aber  die  Götterwelt  ist  freier  auf'gefasst.  Man 
denke  nur  an  die  Macht  des  Gesanges,  den  Spaziergang,  Klage  der  Ceres, 
Dithyrambe.  Es  treten  aber  auch  schon  statt  der  Figuren  die  reinen  Be- 
griffe auf,  die  Gestalt,  der  Wohllaut,  das  Gewissen,  die  Freiheit  (Spaziergang, 
Tanz).  In  den  letzten  Jahren,  wo  er  sich  fast  ausschliesslich  mit  den  grie- 
chischen Dichtern  beschäftigte,  zeigt  sich  noch  mehr  Mannigfaltigkeit  in  der 
Benutzung  der  Mythen,  und  so  hatte  er  sich  in  die  Fabelwelt  hineingelebt, 
dass  auch  in  moderner  Umgebung  die  alten  lieben  Gestalten  auftauchen  (die 
Glocke,  Maria  Stuart).  Der  Dichter  gebietet  mit  einer  solchen  Freiheit 
über  sie,  dass  sie,  wie  neu  und  zu  einem  edelern  Dasein  beseelt,  eine  Fülle 
neuer  grossartiger  Vorstellungen  ins  Leben  rufen,  dass  sie  die  Schöpfer  einer 
idealen  Geisteswelt  werden  (Eleusisches  Fest).  So  dürfen  wir  wohl  mit  Recht 
sagen,  dass  Schiller  nicht  blos  auf  bewundernswerthe  Weise  sich  die  grie- 
chische Mythologie  angeeignet,  sondern  sie  auch  poetisch  weitergebildet 
hat.  —  Dies  ist  der  Gang  der  Abhandlung.  Mit  Fleiss  hat  der  Verf.  seine 
Beweisführung  durchgeführt,  die  einzelnen  Gedichte  nach  dieser  Seite  hin 
näher  betrachtet,  Erläuterungen  aus  dem  Briefwechsel  mit  Humboldt  und 
Körner  beigefügt. 


Shakspeare  und  unsere  Schulen.  Abh.  des  Dr.  L.  Bernhard. 
Programm  der  Löbenicht'schen  höheren  Bürgerschule  zu 
Königsberg.  1858. 

Der  Verfasser  vertheidigt  in  dieser  Schrift  die  hier  und  da  angefochtene 
Ansicht,  dass  Shakspeare  auf  Schulen  zu  lesen  sei.  Wenn  man  nämlich 
auf  die  Unsittlichkeiten  in  diesem  Dichter  hinweise,  so  sei  zu  entgegnen, 
dass  das  Unsittliche  bei  ihm  überall  im  Dienste  höherer  Zwecke  stein',  das 
Laster,  auch  wo  es  bis  ins  Kleine  ausgemalt  werde,  Abscheu  gegen  die 
Sünde  einflösse.  Er  sei  aber  weiter  uns  durchaus  verwandt,  er  stehe  nach 
Gemüth  und  Ideengehalt  wie  nach  seiner  gesammten  Weltanschauung  mi(  dem 
deutschen  Volke  in  inniger  Berührung;  er  ferner  schildere  die  menschlichen 
Verhältnisse  und  Zustände  wahr  wie  irgend  ein  Dichter;  er  sei  der  consequen- 
teste  Charaktermaler,  weil  er  ein  ächter  Kenner  des  menschlichen  Herzens  ist  : 
seine  Sprache  erhaben  und  anmuthig  zugleich  und  daher  geeignet,  der  Darstel- 
lungsweise des  Schülers  Schwung  zuverleihen;  wahres  Gefühl  von  affectiertem 
unterscheiden  zu  lernen,  gebe  kein  Dichter  bessere  Anweisung.  Aus  allen 
diesen  Gründen  müsse,  schliesst  der  Verf.,  neben  den  vaterländischen  Dich- 
tern die  Schule  auch  im  deutschen  Unterrichte  mit  Shakspeare  bekann I 
machen,  natürlich  mit  Auswahl,  die  nationalenglischen  Dramen  z.  B.  setzen 
zuviel  Lebenserfahrung  voraus,  um  von  der  Jugend  verstanden  zu  werden, 
am  geeignetsten  seien  die  römischen  Dramen. 


3-g  Programmenschau. 

Frau  von  Guiun,  die   Freundin  Fenelons.     Zur  Geschichte  der 
christlichen  Mystik.     Progr.  des  Gyinn.  zu  Weimar.  1858. 

Schon  wegen  der  Beziehung  der  Frau  von  Guion  zu  zwei  so  bedeutenden 
französisshen  Schriftstellern,  wie  Fenelon  und  Bossuet,  verdient  eine  literar- 
historische Schrift  über  sie  im  Archiv  erwähnt  zu  werden.  Die  vorliegende  Ab- 
handlung gibt  uns  mit  Berücksicht  gung  alles  dessen,  was  über  sie  geschrieben 
ist,  vorzüglich  aber  aus  ihren  eigenen  Schriften  eine  die_  früheren  an  Ge- 
nauigkeit und  Ausführlichkeit  überbietende  Darstellung  ihres  äussern  und 
inneren  Lebens.  Sie  macht,  abgesehen  von  dem  Werthe  ihrer  Schriften  für 
die  Religionsgeschichte,  auch  auf  den  literarischen  Vorzug  derselben,  auf 
die  Fülle  treffender  Gleichnisse  in  denselben  aufmerksam.  Wir  heben  aus 
dem  reichen  Inhalt  nur  die  Hauptpunkte  hervor.  Frau  von  Guion,  ursprüng- 
lich Jeanne  Marie  Bouvieres  de  la  Mothe,  wurde  in  vornehmem  Stande  am 
13.  April  1648  (nicht  1613)  zu  Montargis  in  Orleannais  geboren.  Ibre  Natur 
und  mancherlei  Leiden,  denen  sie  sich  zu  entziehen  für  unrecht  hielt,  führten 
sie  früh  zu  einer  beschaulichen  Tiefe;  bald  galt  sie  in  Frankreich  als  Ver- 
treterin der  quietistischen  Richtung.  Nun  begannen  aber  dia  Verfolgungen, 
sie  ward  aller  denkbaren  Schande  angeklagt  und  nach  ihrer  Rückkehr  nach 
Paris,  ähnlich  wie  Lacombe,  der  Verbindung  mit  dem  spanischen  Quietisten 
Moliuos  beschuldigt;  1688  wurde  sie  zum  ersten  Male  gefangen  gesetzt;  er- 
dichtete Anklagen  stellten  jedoch  die  Reinheit  ihres  Wandels  ins  Licht.  1695 
ward  sie  wiederum  in  Halt  in  Vincennes  gebracht,  ihre  Sache  geht  jetzt  in 
den  Streit  zwischen  Fenelon  und  Bossuet  aus,  Fenelon  fühlte  sich  zu  ihr  hin- 
gezogen. Als  der  Streit  zwischen  Fenelon  und  Bossuet  zu  Ende  gekämpft 
war,  ward  sie  entlassen,  aber  für  immer  aus  Paris  entfernt,  sie  starb  im 
Kloster  zu  Blois  1717.  —  Ihre  kleinste,  aber  für  die  Erkenntnis  ihrer  An- 
sichten wichtigste  Schrift  heisst:  Kurzes  und  leichtes  Mittel  zu  beten.  Der 
Verfasser  gibt  eine  ausführliche  Analyse  derselben;  es  erhellt  daraus,  dass, 
wenn  auch  in  ihr  das  Echte  christlicher  Mystik  zum  Ausdruck  kommt,  der 
Gedanke  nämlich,  dass  sie  stets  die  Ursprünglichkeit  und  Notwendigkeit 
der  göttlichen  Wirkung  hervorhebt,  gegen  welche  das,  was  der  Mensch  zur 
Herstellung  eines  gottinnigen  Denkens  und  Wollens  herzubringt,  lediglich 
als  ein  Leiden  erscheinen  kann,  sie  doch  selbst,  wenn  auch  unbewusst,  die 
Grenze  pantheistischer  Irrthümer  mehrfach  übersprungen  hat.  Wie  Bossuet 
erkannte,  verwechselte  sie  das  Wandeln  im  Glauben  mit  dem  Leben  des 
Schauens;  sie  stellt,  und  dadurch  entfernt  sie  sich  von  den  protestantischen 
Mvstikern,  das  Verdienst  Jesu  Christi  zu  wenig  in  den  Vordergrund,  ihre 
Gelassenheit  gegen  die  Sünde,  welche  ihr  in  dem  beschaulichen  Zustande 
wie  von  selbst  zu  unterliegen  scheint,  contrastiert  mit  dem  evangelischen  Ge- 
bot eines  ernsten  männlichen  Ringens  mit  derselben.  Ihr  Einfluss  hat  sich 
übrigens  über  Frankreich  hinaus  nach  dem  Niederrhein  und  Westfalen  er- 
streckt; M.  Göbel  in  seiner  Geschichte  der  rheinisch -westfälischen  Kirche 
hat  hierüber  ausführlich  gehandelt. 

Herford.  Hölscher. 


M  i  s  c  e  1  I  e  n. 

Fragments  d'un  Traite  de  versification  francaise. 

Vorbemerkung. 

Herr  Dr.  Bernhard  Schmitz  hat  mir  die  Ehre  erwiesen ,  in  seiner  En- 
cyklopädie  des  philologischen  Studiums  der  neueren  Sprachen  i  Greifswald 
1859)  S.  70  —  71  meiner  Abhandlung  im  Osterprogramm  der  Bromberger 
Realschule  (1857):  „De  la  Mesure  des  Syllabes"  einige  Zeilen  zu  widmen. 
Ich  werde  mich  schon  darauf  gefasst  machen  müssen,  dassHerrDr  Schmitz 
beispielsweise  auch  die  folgende  Arbeit  über  den  Reim  langweilig  findet,  da 
ich  ihm  auf  der  Bahn  der  kurzweiligen  Behandlung  wissenschaftlicher  Ge- 
genstände, die  er  mit  so  vielem  Glücke  beschreitet,  nicht  zu  folgen  vermag. 
Wenn  Herr  Dr.  Schmitz  wünscht,  dass  ich  aus  meinem  Buche  über  die  fran- 
zösische Metrik,  „in  dem  der  Rhythmus  zum  leitenden  Princip  gemacht 
worden  ist,"  statt  der  Mesure  des  Syllabes  lieber  die  Lehre  vom  Rhythmus 
selbst  mitgetheilt  hätte,  so  muss  ich  allerdings  zugeben,  dass  aus  jenem  Ca- 
pitel  der  Leser  Nichts  vom  Rhythmus  erfährt,  aber  zugleich  bemerken,  dass 
dieser  Wunsch  innerhalb  der  engen  Gränzen  einer  Programmabhandlung 
nicht  wohl  zu  erfüllen  war,  da  das  Material  in  den  einzelnen  Abschnitten 
über  die  verschiedenen  Versarten  zerstreut  ist.  Herr  Dr.  Schmitz  meint 
ferner,  dass  ich  das  Buch  von  Quicherat  nicht  kenne;  hätte  er  sich  aber 
nicht  „abschrecken  lassen",  meine  Abhandlung  mit  einiger  Aufmerksamkeit 
zu  durchblättern,  so  würde  er  wenigstens  gefunden  haben,  dass  ich  dasselbe 
S.  2,  6,  8,  18  ausdrücklich  citire. 

Da  die  bruchstückweise  Veröffentlichung  meines  Traite  in  der  That  die 
Beuitheilung  des  Ganzen  erschwert,  so  sei  es  mir  an  dieser  Stelle  zugleich 
gestattet,  mich  mit  einigen  Worten  über  die  Absicht,  die  mich  bei  meiner 
Arbeit  geleitet  hat,  auszusprechen  —  eine  Auseinandersetzung,  welche  in  die 
Vorrede  zum  vollständigen  Traite  gehören  würde.  Ich  habe  dieselbe  unter- 
nommen, weil  ich  in  dem  Buche  Quicherat's  (Traite  de  versification  francaise, 
Paris  1850)  —  dem  besten  und  ausführlichsten,  welches  ich  kenne  —  ver- 
schiedene Mängel  bemerkte.  Erstens  vermisse  ich  in  demselben  eine  durch- 
greifende Systematik  nach  den  logischen  Grundsätzen  der  Partition  und 
Division.  Zusammengehöriges  ist  aus  einander  gerissen,  Wichtiges  und  Un- 
wichtiges ist  im  Texte,  in  den  Noten  unter  und  hinter  dem  Texte  unterein- 
andergemischt. Man  vergleiche  z.  B.  das  Capitel  über  den  Reim  mit  der 
folgenden  Bearbeitung.  Zweitens  behandelt  Quicherat  den  Rhythmus  nur  ganz 
kurz  und  giebt  über  die  Stelle  des  accent  tonique  keine  erschöpfenden  Regeln. 
Ich  habe  dieselben  im  Anschluss  an  P.  Ackermann,  Traite  de  l'accent  (Paris 
1843)  hinzugefügt,  und  den  Rhythmus  in  der  That  zum  leitenden  Princip 
des  Buches  gemacht,  wodurch  die  Eintheilung  des  Ganzen  und  die  Stellung 
der  einzelnen  Theile  wesentlich  modificirt  wird.  Drittens  hat  Quicherat  die 
neuromantische  Schule  wenig  berücksichtigt,  und  nur  selten  findet  sich  eine 


3->8  Mise  eilen. 

Hinweisung  auf  die  Dichter  des  neunzehnten  Jahrhunderts.  Ich  habe  auch 
diese  in  den  Kreis  der  Betrachtung  gezogen  und  ihnen  die  Stelle  angewiesen, 
welche  ihnen  gebührt.  Viertens  citirt  Quicherat  nach  Art  der  Franzosen 
meist  nur  so:  Com.,  Mol.  etc.;  ich  setzte,  so  oft  es  mir  möglich  war,  zu 
meinem  Citat  auch  das  Stück,  den  Act  und  die  Scene  hinzu.  So  kann  man 
sich  jeden  Augenblick  überzeugen,  ob  das  Citat  richtig  ist;  es  ist  auch  kei- 
nesweges  gleichgültig,  in  welchem  Stücke  eines  Dichters  eine  Licenz  sich 
findet.  Sehr  oft  ist  es  wünschenswerth ,  zur  Beurtheilung  eines  Citats  das 
Vorhergehende  oder  das  Nachfolgende  nachzulesen.  Bei  Quicherat's  Art  zu 
citiren,  muss  man  darauf  verzichten.  —  Wie  oft  ich  in  einzelnen  Punkten 
Quicherat  ergänze,  wird  eine  Vergleichung  beider  Bücher  lehren;  mit  welchem 
Rechte  i<'h  in  Einzelnheiten  von  ihm  abweiche,  muss  ich  der  Beurtheilung 
überlassen.  Definitionen,  Regeln  und  historische  Notizen,  deren  Richtig- 
keit mir  kein  Bedenken  erregten,  habe  ich,  wenn  es  der  Zusammenhang  er- 
laubte, da  ich  einmal  den  Versuch  gewagt,  den  Gegenstand  französisch  zu 
behandeln,  am  besten  wörtlich  meinem  Gewährsmanne  zu  entlehnen  geglaubt. 


II. 
Chap.  VI.    De  la  Rime. 

§.  44.  Definition. 

La  rime  que  Madame  de  Stael  appelle  l'echo  de  la  pensee,  la  princi- 
palc  difficulte  et  le  charme  supreme  du  vers,  est  le  retour  de  la  meine  con- 
sonnance  ä  la  fin  de  deux  ou  de  plusieurs  vers. 

A  l'hospice  un  gueux  tout  perclus 

Voit  apparaitre  son  bon  ange; 

Gaiinent  il  lui  dit:  Ne  faut  plus 

Que  votre  altesse  se  der  ange.     Berang.,  L'ange  gardien. 

Ce  n'est  point  Tegalite  des  lettres,  mais  Fegalite  des  sons  qui  eonstitue 
la  rime.  Ainsi  jouissent  ne  rime  pas  avec  repaissent,  quoique  les  der- 
nieres  six  lettres  soient  les  meines. 

§.  45.  Rime  masculine ,  feminine. 

La  rime  est  ou  masculine  ou  feminine ;  la  premiere  a  lieu  entre  deux 
syllabes  qui  ne  contiennent  pas  d'e  muet:  bonte,  sante;  loisir,  plaisir; 
vertus,  abattus.  Les  rimes  feminines  sont  termine"es  par  e  muet,  ou  es, 
syllabe  muette,  ou  ent,  syllabe  muette,  terminaison  plurielle  de  la  troisieme 
personnc  du  present.  La  rime  porte  alors  sur  la  syllabe  qui  precede  e  muet, 
c'est-ä-dire  sur  la  penultieme:  belle,  rebelle;  belles,  rebelies;  re- 
vent,  enlevent,  desavouent,  renouent. 

Ce  choix  me  desespere,  et  tous  le  desavouent; 
La  partie  est  rompue,  et  les  dieux  la  renouent; 
Rome  semble  vaineue,  et,  seul  des  trois  Albains, 
Curiace  en  mon  sang  n'a  point  trempe  ses  mains. 

Com.  Hör.,  IV,  4. 
L'e  (ent)  muet    des    imparfaits    et    des    conditionnels    est  absolument 
sourd:  ces  terminaisons  sont  comptdes  parmi  les  rimes  masculines. 

Pour  un  äne  cnleve  deux  voleurs  se  battaient; 
L'un  voulait  le  garder,  l'autre  le  voulait  vendre. 

Tandis  que  coups  de  poing  trottaient, 
Et  que  nos  Champions  songeaient  ä  se  defendre. 

La  Font.  Fabl.  I,  13. 


Miscellen.  329 

§.  46.  Riine  riche,  süffisante. 

On  dit  la  rime  riche  ou  pleine,  quand  eile  presente  non  seulement  une 
consonnance,  mais  encore  tonte  une  articulation. l)  La  rime  süffisante  ou 
commune  ofl're  une  ressemblance  de  son,  mais  non  d'articulation. 

Rimcs  riches:  pere,  prospere;  vers,  divers;  paisible,  visible; 
enfant,  triomphant.  Rimes  süffisantes:  soupir,  dcsir;  usage,  par- 
tage;  doux,  nous. 

§.  4  7.  Histoire. 

La  rime  qui  consiste  en  une  correspondance  de  sons,  est  essentiellement 
faite  pour  l'oreille.  Dans  les  premiers  essais  de  la  poesie  franeaise,  la  rime, 
quoique  du  reste  bien  incorrecte,  etait  toujours  basee  sur  une  conformite 
de  sons.  Ce  n'etait  souvent  qu'une  simple  assonance,2)  c'est-ä-dire  paritc 
de  la  voyelle  et  du  son,  abstraction  faite  de  l'articulation.  Les  poetes  ne 
se  faisaient  pas  scrupule  de  torturer  Ja  desinence  des  mots  places  ä  la  fin 
du  vers,  pour  les  forcer  a  rendre  le  son  reclame  par  l'oreille.3)  Au  Xllle 
siecle,  l'assonance  a  deja  fait  place  ä  la  rime  proprement  dite:  quelques  ter- 
minaisons  demandent  meine  une  rime  riche:  plusieurs  consonnes  finales  etant 
devenues  muettes,  on  en  exige  neanmoins  la  correspondance:  on  veut  que 
la  rime  satisfasse  aussi  l'ceil.  La  langue  francaise  subit  suceessivement  bien 
des  modifications  dans  ses  formes,  sa  syntaxe,  son  orthographe,  et  aussi 
dans  sa  prononciation.  Quand  cette  derniere  avait  chanpe,  on  trouvait  tres- 
Commode  de  rimer  et  suivant  la  nouvelle  prononciation  et  suivant  l'ancienne 
prononciation,  c'est-a-dire  de  ne  rimer  souvent  que  pour  l'ceil.  Les  poetes 
du  XVIe  siecle  etablirent  la  regle  de  la  succession  des  rimes  et  poserent 
en  principe  qu'une  bonne  rime  ne  doit  pas  seulement  rimer  pour  l'oreille, 
mais  encore  pour  l'ceil.  A  quelques  rimes  pres  qui  sont  devenues  fausses 
par  la  prononciation  chungee ,  Ronsard  et  son  ecole  riment  eomme  on  rime 
aujourd'hui :  mais  pour  rimer  aussi  pour  l'ceil,  ils  transforment  souvent  les 
desinenees  des  mots.'*)  Malherbe  a  outre  cette  fausse  maxime:  ä  Ten  croire, 


')  Les  anciens  poetes  appelaient  rime  le'onine  (Fabri  derive  ce  mot 
du  lion,  la  plus  belle  des  bestes,  Pasquier  du  poete  Leonius  ou  Le- 
oninus)  la  rime  riche  qui  est  fondee  sur  l'egalite  de  deux  syllabes,  par  ex- 
emple  Denis,  fenis.  Rime  leonine  signifie  aussi  le  Systeme  de  rimes  uni- 
formes suivi  dans  la  plupart  des  romans  de  gestes.  Les  vers  latins  dits 
leonins  sont  des  vers  dout  le  milieu  est  consonnant  avec  la  fin. 

2)  Ces  assonances,  que  les  anciens  appellent  rime  de  göret  ou  de  bou- 
techouque,  se  trouvent  par  exemple  dans  le  Poeme  de  Charlemagne,  les 
Enfans  d'Ugier,  Garin  le  Loherain.  Voici  une  suite  de  rimes  extraites  de 
la  Chanson  de  Roland:  Charles,  message,  masse,  muables,  Arabe, 
marches,  garde;  de  Garin  le  Loherain  (Idel.  Einleitungsband,  II,  p.271): 
II  ervis,  dit,  gentis,  m  oulins,  pris,  pis,  oi,  servi  r ,  amis,  peril,  etc. 
On  s'est  servi  de  ces  rimes  encore  beaueoup  plus  tard  dans  les  chansons 
populaires,  p.  ex.,  dans  celle  citee  par  Moliere,  le  Misanthr.  I,  '2  : 

Si  le  roi  m'avait  donne 
Paris,  sa  grand'  ville, 
Et  qu'il  m'eüt  fallu  quitter 
L'amour  de  ma  mie,  etc. 

3)  Exemples  de  la  transformation  de  mots  ä  cause  de  la  rime,  puises 
dans  le  Ille  volume  de  Barbazan  et  Mdon:  dclui  (delai);  «luol  (duel.  peine;; 
liet  (leve>,  loit  (lie,  Joint),  menoir  (mineur),  porces  (portes),  vallos 
(valet). 

')  Exemples  puisds  dans  les  Oeuvres  choisies  de  Ronsard  (Paris  1841): 
Heleine,    pleine,    leine  p.   12;    lours,    discours    p.  10;    pourquoy, 


330  Miscellen. 

puissance  et  innocence,  progres  et  attraits  sont  des  rimes  illegi- 
times.5) Les  poetes  du  siecle  de  Louis  XIV  se  sont  affranchis  un  peu  des 
regles  trop  scrupuleuses  de  Malherbe ,  mais  ils  ont  conserve  quelques  rimes 
fausses  qui  n'dtaient  plus  que  des  rimes  pour  Foeil,  et  que  leurs  successeurs 
ont  proscrites  a  juste  titre.  Au  XVIIIe  siecle,  la  rime  fut  neglig^e  par 
plusieurs  poetes,  notamment  par  Voltaire.  De  nos  jours  (De  Castres,  Chefs- 
d'ceuvre,  p.  21)  on  est  revenu  a  la  rime  riebe,  surtout  dans  la  poesie  ly- 
rique,  quelquefois  aux  ddpens  de  la  rigueur  du  sens  et  de  l'expression,  mais 
tout  au  moins  au  profit  de  rharmonie. 

Les  regles  actuelles  de  la  rime,  qui  resultent  d'un  amalgame  de  deux 
systemes  (celui  de  la  rime  pour  l'ceil  et  celui  de  la  rime  pour  l'oreille)  sont 
caprieieuses  et  incohdrentes.  II  faut  les  aeeepter  telles  qu'elles  sont.  Le 
the"oricien  n'a  qu'a  constater  les  faits ;  il  ne  doit  pas  oser  les  changer.  Ce 
serait  l'affaire  de  poetes  eininents.  Disons  ce  qui  est,  en  notant,  sous  le 
texte,  ce  qui  a  et6;  puis  nous  dirons  ce  qui  devrait  etre. 

Les  genres  simples,  tels  que  la  comeclie,  l'^pitre  badine,  la  fable,  le 
conte,  la  cbanson,  ne  demandent  pas  la  meme  rigueur  dans  les  rimes  que 
les  ouvrages  d'un  genre  eleve.  La  trage"die,  l'e"pitre  serieuse,  mais  surtout 
l'öpop^e  et  Tode,  veulent  des  rimes  tres-soigne'es. 

De  la  partie  principale. 

§.  48.  Rimes  parfaites. 

Nous  distinguons  trois  parties  dans  la  rime:  1°  la  partie  principale,  ou 
la  voyelle,  2°  les  lettres  qui  suivent  la  partie  principale,  3°  lee  consonnes 
qui  prdeedent  la  partie  principale  dans  la  meme  syllabe. 

Le  son  de  la  lettre  doit  etre  le  meine;  les  lettres  peuvent  difleVer.  II 
y  a  des  rimes  qui  ne  sont  que  d'une  lettre,  commeNod,  avoue,  Boileau, 
Sat.  X. 

1°  Les  memes  lettres  rirnent:  France,  naissance;  iminortalitd, 
bont£;  Alhambrah,  celebra.  2°  Une  voyelle  rime  avec  une  autre:  Alex- 
andre; cendre,  Rac.  Alex.  I,  1 ;  fa(;on,  de*corum,  La  Font.  Cont  III,  2. 
3°  Une  voyelle  accentu^e  rime  aveo  une  voyelle  non  accentude:  Zele, 
d'elle  Rac.  Alex.  I,  2;  flamme,  äme  Ibid.  I,  3;  miserere,  entoure" 
Berang.  Chant  funer.  4°  Deux  voyelles  accentu^es  differemment  riment  en- 
semble:  diademes,  memes  Rac.  Alex.  II,  2.  5°  Une  voyelle  rime  avec 
deux  autres  voyelles:  etre,  maitre  Rac.  Alex.  II,  5;  chemin,  main  Ibid. 
II,  2;  nötres,  autres  Ibid.  III,  2;  cbacun,jeun  La  Font.  Fabl.  IX,  18; 
nus,  n'eus  Hug.  Hern.  I,  ?.  6° Une  voyelle  rime  avec  trois  autres  voytlles : 
mots,  beaux  Dorat.  2  (II  Idel.).  7°  Une  couple  de  voyelles  rime  avec 
une  autre  couple  de  voyelles:  plaine,  reine  Rac.  Alex  III,  1.  8°  Deux 
voyelles  riment  avec  trois  voyelles:  valeur,  sceur  Rac.  Alex.  I,  3.  9°  Trois 
voyelles  riment  avec  trois  voyelles:  aecueil,  coup  d'ceil  Volt.  2  (II  Idel.). 

§.  49.  Rimes  des  syllabes  longues  avec  les  syllabes  breves. 
Les  rimes  suivantes  qui  ne  satisfont  pas  completement  l'oreille,  doivent 
etre  censees  le*gitim£es  par  l'usage  frequent  que  les  meilleurs  poetes  en  fönt 

danse    p.    92: 
>cous    (secoue)    vous    p.    95;    presens,    vens    (vents) 
c< 


^ps 

5)  Cotin  bläme  Boileau  k  cause  de  la 
enne  ddsapprouve  les  rimes  pain  et  pin,  vain  et  vin. 


Miscellen.  331 

1°  Les  ritnes  d'une  syllabe  longue  avec  une  syllabe  breve:6)  gräce, 
fasse  Com.  Cinn.  III,  3;  passe,  chasse  Regn.  D^mocr.  I,  6;  haine, 
mienne  Rac.  Theb.  IV,  1:  äme,  madame  Id.  Beren.  III,  3;  abime,  op- 
prime  Id.  Athal.  IV,  3;  chöme,  homme  La  Font.  Fabl.  III,  9:  hutte, 
flute  Berang.  Roger  Bonteinps;  vite,  quitte  Delav.  le  Depart. 

§.  50.  Rimes  des  diphthongues  avec  les  finales  qui  sont  ecrites  de  raeme, 
mais  qui  formen t  deux  syllabes. 

2°  On  rime  des  accouplements  de  voyelles  qui  sont  monosyllabes  daus 
Tun  des  deux  mots  et  dissyllabes  dans  l'autre:  injurieux,  adieux  Rac. 
Be're'n.  1,4;  complexions,  repentirions  Mol.  le  Misantbr.  I,  2;  liens, 
ehr dtiens  Volt.  Alz.  I,  1:  oui,  rejoui  Lamart.  Jocel.  Par.   1851.  p.  44. 

§.  51.  Rimes  des  sons  simples  avec  les  diphthongues. 

3°  On  rime  les  sons  simples  avec  les  diphthongues.  Ce6  rimes  sont 
rares  dans  Racine:  vivre,  suivre  Com.  Herael.  II,  3;  premiere,  pere 
Rac.  Iphig.  IV,  4;  assidge,  sacrilege  Id.  Athal.  V,  2;  essuie,  ravie 
Chdnier  Ode  de  Klopstock;  Sinai,  oui  Hug.  Napol.  II. 

§.  52.  Rimes  d'e  ferme  avec  e  ouvert.     Rimes  des  accouplements  de 
voyelles  qui  forment  deux   syllabes  avec  les  sons  simples. 

Quoique  les  voyelles  longues  riment  assez  souvent  avec  les  voyelles 
breves;  quoique  les  diphthongues  riment  bien  avec  les  finales  exrites  de 
indme  et  de  meine  consonnance,  qui  forment  deux  syllabes,  et  avec  les  sons 
simples,  la  rime  d'e  ferme  avec  e  ouvert  n'est  pas  bonne,  et  les  accou- 
plements de  voyelles  qui  forment  deux  syllabes,  ne  riment  pas  avec  les  sons 
simples,  p.  e.  sais  ne  rime  pas  avec  essais;  i-e,  i-er,  i-ee.  i-on  ne  ri- 
ment pas  avec  e,  er,  ee,  on7). 

§.  53-  Rime  normande. 

Les  rimes  suivantes  qui  se  trouvent  encore  dans  les  poetes  du  siecle 
de  Louis  XIV,  ne  sont  plus  permises  aujourd'hui : 

1°  La  rime  de  la  terminaison  e  r  prononcee  coinine  e  avec  la  m^me 
terminaison  prononcee  comme  aire.  Teile  est  la  rime  d'enfer  avec  tri- 
ompher  Com.  Polyeucte  V,  38). 

6)  Les  provencaux  rimaient  toujours  tröne  et  couronne,  etc.  C'est 
pourquoi  cette  rime  s'appelle  aussi  rime  provencale. 

7)  La  rime  de  sais  et  essais  (Com.  le  Ment,  IV,  1»)  est  blämde  par 
Voltaire.  Racine  a  mis ,  mais  dans  une  come'die:  fait-on  et  exdcution, 
les  Plaid.  I,  7.  Voltaire  öftre  souvent  de  pareilles  rimes,  comme  poisons 
et  facti ons,  relevees  par  La  Harpe. 

8)  On  rimait  ainsi  ge'neralement  jusqu'a  la  seconde  moitie  du  XVIIe 
siecle.  Les  anciens  poetes  ne  rimant  que  pour  l'oreille,  il  est  probable  qu'on 
pronon^ait  autrefois  ou  enfe  et  triomphe  ou  enfaire  et  triomphaire. 
G^nin,  qui,  dans  son  ouvrage  Des  Variations  du  language  fran9ais 
depuis  le  Xlle  siecle,  entreprend  de  prouver  que  toutes  les  consonnes 
finales  dtaient  muettes  dans  l'ancien  francais,  croit  decouvrir  les  traces  de 
la  prononciation  premiere  dans  le  dialecte  Normand,  ou  l'on  prononce  en- 
core, dit-il,  la  ine  pour  la  mer,  du  fe  pour  du  fer.  Quicherat  (p.  334  — 
339)  se  ränge  de  son  avis,  en  alldguant  Manage  et  Port -Royal  qui  repetent 
l'origine  de'  cette  rime  de~la  mauvaise  prononciation  de  la  Normandie.  Md- 
nage  dit  expressdment  que  ces  rimes  s'appellent  normand  es.  Burguy  Gramm. 
p.  207  au  contraire,  conclut  de  ces  rimes  que  le  r  de  l'iniinitif  de  la  pre- 
miere conjugaison    ötait    sonore    au    commencement.     J'ai  trouve    trois  pas- 


332  Mise  eilen. 

§.  54.  Oi  et  ai. 

2°  La  rinie    de    la    voyelle  oi  prononcee    comme  dans   roi  et  prononce 
comme  ai:  paraitre,  cloitre  Boileau,  Kp.  III. n) 


sages,  deux  dans  Corneille  (dissimilier,  en  l'air  Medee  I,  5;  l'air, 
parier  Le  Ment.  V,  C),  un  dans  Moliere  (arracher,  chair  L'Etourdi 
V,  14)  qui  semblent  confirmer  cette  opinion:  je  voudrais  bien  pouvoir  les 
augmenter  par  un  passage  puise  dans  les  auteurs  du  moyen  äge.  La  ten- 
dance  generale  ä  faire  taire  les  consonnes  Hnales  ne  peut  pas  etre  nie- 
connue.  Elle  est  conforme  au  genie  de  la  langue;  an  Xllle,  au  XlVe  et 
au  XVe  siecle,  beaueoup  de  consonnes  etaient  muettes  qui  ne  le  sont  plus ; 
l'orthographe  demontre  ce  fait  d'une  maniere  evidente  (dus,  ducs;  Turs, 
Turcs).  Mais  je  n'ai  trouve  nulle  part  l'omission  du  r  de  Finfinitif  de  la 
premiere  conjugaison,  et  il  est  assez  naturel  de  penser  que  ce  r  sonnait 
autrefois,  comme  il  sonne  encore  dans-ir,  -oir,  -re. 

Dejä  vers  la  fin  du  XVe  siecle,  l'auteur  del'Au  des  sept  daraes 
appelle  rime  de  göret,  c'est-a-dire  mauvaise  rime  celle  de  chauf'fer  avec 
f e  r.  II  faut  donc  que  la  prononciation  ait  change  pour  les  infinitifs.  Mais 
dans  les  adjeetifs  (et  les  substantifs?)  polysyllabes  en  ier  on  faisait  encore 
sonner,  pendant  quelque  temps,  la  finale  r.  Oudin  (Grammaire,  1642)  dit 
que,  de  son  temps,  altier,  entier  se  prononcait  comme  fier,  mer.  (Com. 
Nicom.  IV,  4  rime  heritier  et  fier;  Rac.  Mithrid.  III,  1  fiers,  foyers, 
lbid  IV,  6:  premiers  et  fiers;  Boil.  Art  poet:  111,133  altiers  et  fiers; 
Id.  Le  Lutrin  IV,  179:  Garnier,  hier).  Du  temps  de  Corneille,  il  n'y  a 
plus  de  doute  sur  le  changement  de  la  prononciation :  car  Menage  critiquant 
la  rime  de  Malherbe  vanter  et  Jupiter,  Port -Royal  parlant  sur  la  rime 
du  meme  poete  philosopher  et  enfer,  sur  celle  de  Ronsard  ab i mer  et 
mer,  Mourgues,  De  Lacroix  et  plus  tard  Voltaire  s'aecordent  a  declarer 
ces  rimes  vicieuses,  et  disent  qu'elles  ne  satisfont  que  l'oeil. 

Aux  exemples  cites  precedemment  j'ajoute  encore  d'autres:  pour  Racine 
et  Boileau,  la  liste  en  est  complete.  Ronsard:  arriver,  hyver  p.  148; 
mer,  ramer  p.  159;  coucher,  eher  p.  177.  Cl.  Marot:  aimer,  ainer 
Eleg.  IV.  Corneille:  ramer,  mer  La  Mort  II,  2;  eher,  bücher  Ibid. 
V,  1;  toucher,  eher  Heracl.  HI,  1;  Polyeucte  IV,  5.  Racine:  fier,  as- 
socier  Bajaz.  11,1;  eher,  arracher  Ibid.  11,3;  eher,  chercher  Beren. 
V,  6;  toucher,  eher  Theo.  V,  2;  approcher,  eher  Phedr.  III,  5;  mar- 
cher,  eher  lbid  V,  1.  Moliere:  eclater,  Jupiter  Amphitr.  III,  11; 
eher,  toucher  Le  dep.  am.  II,  3. 

Au  XVII le  siecle,  Voltaire  comme t  quelquefois  lui-meme  la  faute  qu'il 
improuve  dans  les  autres :  fers,  legers;  leger,  l'air.  Au  XIXe  siecle, 
A.  de  Lamartine  et  A.  de  Vigny  sont  les  seuls,  que  je  sache,  qui  se  soient 
permis  des  rimes  normandes:  mer,  s'allumer  Jocel.  p.  142;  renfermer, 
mer  p.  148;  eher,  toucher  p.  232;  nommer,  mer  La  Fregate  la  .Se- 
rieuse  (Heirig  la  Fr.  p.  563).  Je  ne  vois  pas  pourquoi  Seheier ,  editeur  de 
Lucrece  par  Ponsard  dans  la  Bibliothcque  de  Schwalb,  dit  que  ronger  et 
etranger  (II,  2)  fönt  une  rime  vicieuse.  La  rime  des  verbes  et  des  ad- 
jeetifs est -eile  defendue? 

9)  Le  son  o  i  correspond  en  latin  ii  un  o  -  i ,  a  u  -  i,  p.  e.  dans  T  r  o  i  e , 
joie  (gaudium),  oratoire,  a  un  o,  au  ou  u,  p.  e.  dans  voix,  cloitre, 
noix,  a  un  e,  i,  p.  e.  dans  j'aimois,  j'aimerois  (-ebam,  habebam)  lo i ,  soit, 
a  un  ae,  oe,  p.  e.  dans  proie,  foin  (praeda,  foenum).  Dans  les  anciens 
textes,  oi  provenant  d'un  e  ou  d'un  i  est  souvent  remplace  par  ai,  ci. 

Quicherat  p.  339  —  354  täche  de  prouver  1°  que  oi  a  represente,  des 
le  commencement,  deux  sons  differents  oi  (oua)  et  ai,  2°  qu'on  n'a  jamais 
prononce  en  oi  les  imparfaits  et  les  conditionnels,   3°  que  les  mots  fran^ais 


Miscellen.  333 

§.  55.  Eu  et  u;  ai  et  a;  oi  et  o;  a  et  e;  ou  et  o-,  oeu  et  ou. 

Les  riines  suivantes  qui    e'taient  bonnes  autrefois,    ne    le    sont   plus,    la 
prononciation    etant   changee.      Teiles    sont    erneute,    dispute    La  Font. 


de"rives  d'un  mot  latin  ayant  un  o  a  sa  desinence,  ont  6te  prononces  d'abord 
avec  o  ,  plus  tard  avec  o  i ,  4U  que  les  mots  qui  ont  un  e  ou  un  i  dans  le 
latin  se  sont  prononees  d'abord  par  ai ,  mais  qu'au  XVIe  sieele,  pdriode  de 
la  fixation  de  la  prononciation,  on  a  change  pour  un  grand  noinbre  de  mots 
ai  en  oi,  et  qu'on  y  a  ete  pou^se  par  l'influence  presque  irresistible  des  textes 
imprimes  (il  n'y  avait  pas  de  raison  pour  que  roi  ne  sonnät  pas  coraine 
gloire).  Ce  resultat  de  sa  longue  note  est  peu  satisfaisant.  II  est  bien 
invraisemblable  que  le  meine  signe  orthographique,  propre  a  ridiöme  francais, 
ait  ete  destine  pour  deux  sons  tout-  a-fait  diflerents :  il  est  difficile  de  croire 
que  la  langue  ait  souft'ert,  jusqu'ä  ce  degre,  la  tyrannie  des  textes  im- 
primes. Quant  aux  imparfaits  et  aux  conditionnels,  le  temoignage  de  Henri 
Estienne,  invoque  par  Quicherat  lui-meme,  fournit  une  preuve  sans  rä- 
plique  que  de  son  temps  le  peuple  prononeait  j'aimo-is,  puisqu'il  attribue 
aux  Romipetes,  comme  on  les  appelait,  la  prononciation  j'aimais  qu'il  ridi- 
culise  en  eerivant  j'aimes.  Par  complaisance  pour  Messieurs  les  Italiens 
qui,  avec  Catherine  de  Medicis,  vinrent  a  la  cour  de  France  et  qui  ne  pou- 
vaient  prononcer  o-i,  les  courtisans  cbangerent  oi  en  ai.  Port -Royal  (1663) 
enseigne  dejii  positivement  la  prononciation  moderne.  En  proötant  des 
idees  de  Fallot  (Recherches  sur  les  fonnes  grammaticales ,  etc.  Paris,  1839) 
Burguy  a  montre  que  le  son  oi  remplacant  e  ou  i  est  aussi  organique,  aussi 
ancien  que  le  son  ai,  et  qu'il  appartient  aux  dialectes  de  Picardie  et  de 
Bourgogne,  ses  correspondants  etant  ei  ou  e  dans  la  Normandie ,  ai  en 
Touraine.  Les  exemples  que  Quicherat  cite  pour  preuve  de  son  assertion, 
sont  tous  pris  dans  des  livres  normands  (Chanson  de  Roland,  Chronique 
des  ducs  de  Normandie,  Roman  de  Rou,  Chroniques  anglo-normandes). 

De  nos  jours,  le  dialeete  de  Touraine  l'a  empörte  pour  les  imparfaits 
et  les  conditionnels,  pour  les  verbes  en  oitre,  ä,  l'exception  de  croitre, 
meme  pour  eonnaitre  provenant  de  noscere,  pour  faible,  etc.,  pour 
beaucoup  de  noms  tels  (pie  Änglais,  etc.:  le  dialeete  de  Picardie  et  de 
Bourgogne  l'a  empörte  pour  les  mots  tels  queroi,  droit ,  Ca  rthaginois,  etc. 
Dans  quelques  mots,  comme  harnois,  roide  ni  la  prononciation  ni  l'or- 
thographe  ne  sont  encore  fixes  tout-ä-fait.  —  II  est  curieux  de  voir  qu'il 
y  eut  un  temps  (le  XVe  et  le  XVIe  sieele)  oü  le  son  oi  envahit  meme  des 
syllabes  dont  la  racine  montre  un  a,  comme  je  foys  (fais,  facio),  je  voy, 
voys  (vais,  vado).  De  lä  les  rimes  de  fois  (vicis)  avec  fois  (fais),  Farce 
de  Patbelin,  Herrig  p.  75;  de  toutefois  avec  je  m'en  vois  dans  Marot. 
II  y  eut  encore  un  temps  oü  l'on  prononeait  aussi  de  la  maniere  de  Tou- 
raine, des  mots  tels  que  croitre,  etroit,  droite,  qui  n'ont  aujourd'hui 
que  le  son  oi.  Corneille:  etre,  croitre  Theod.  I,  1;  renaitre,  croitre 
fciertor.  III,  4;  maitre,  croitre  Ibid.  IV,  3.  Racine:  maitre,  croitre 
Androm.  IV,  1.  La  Fontaine,  Fables:  fluet,  etroit  III,  17,  etroites, 
retraites  III,  8;  belettes,  etroites  IV,  6.  Contes:  droite,  Annette 
IV,  4.     Voltaire:  faite,  draite  La  Puc.  5;  etre,  craitre. 

Pour  prouver  qu'on  prononeait  dejä-  tres  -  anciennement  oi  dans  les 
verbes,  Ideler  (Einleitungsband  I,  p.  67)  cite  les  vers  suivants : 

Borjois  l'esgardent,  plus  devint 
Qui  disoient  tout  en  riant. 

oü  disoieut  est  trissyllabe,  dit-il.  II  faut  qu'il  se  soit  imagine  qu'on  pro- 
noneait disoient,  comme  di  -  so  -  a.  Mais  oi  prononce  comme  o  -  a  n'a 
jamais  6te  dissyllabe.     II  est   vrai  que    disoient  etait    souvent    trissyllabe: 


334  Miscellen. 

Fabl.  VII,   18  10),  montaignes  et  dddaignes  (Ronsard)11),  cigoigne  et 

c'est  que  ent  comptait  pour  une  syllabe.  Mais  le  vers  ne  prouve  rien  pour 
la  prononeiation  de  la  bivocale  o  i. 

Comme  la  fixation  de  la  prononeiation  moderne  ne  s'est  pas  faite  d'un 
seul  coup,  mais  n'a  dte  que  le  re"sultat  de  bien  des  efforts  et  des  combats 
dont  nous  ne  connaissons  pas  assez  tous  les  dätails;  nous  dirons  bien  juste- 
ment  que  les  rimes  suivantes  sont  fausses,  que  ce  ne  sont  que  des  rimes  pour 
l'ceil,  consid^rees  du  point  de  vue  de  la  prononeiation  d'aujourd'hui,  mais 
nous  ne  saurions  assurer  qu'elles  l'eussent  ete"  dejä  au  XVIIe  siecle,  encore 
moins  au  XVIe  siecle. 

P.  Corneille:  maladroit,  perdroit  Polyeucte  V,  1:  connoi,  toi  Le 
Ment.  II,  3;  connoi,  moi  HeYacl.  II,  4. 

J.  Racine:  exploit,  lisoit;  franeois,  exploits  Les  Plaid.  II,  3; 
aecroitre,  connoitre  Mithrid.  II,  6;  reconnois,  fois  Ibid.  IV,  5. 

Moliere:  connoi,  moi  Don  Gare.  I,  5;  joie,  monnoie  Le  Misanthr. 
I,  1 ;  Les  Fach.  I,  ?. 

Regnard:  envoie,  monnoie  Le  Joueur  III,  4. 

Boileau:  franeois,  lois   Art  po6t.  II;  franeois,  fois  Sat  IX. 

La  Fontaine  Fables:  endroit,  souffro  it  IV,  8;  sois,  franeois  VI,  8; 
franeois,  emplois  VII,  18;  monnoie,  joie  XI,  3;  disoit,  droit 
XII,   10.     Contes:    franeoise,    bourgeoise  IV,  8;    apereoit,    parloit 

rv,  9. 

Th.  Corneille:     arreteroit,  froid  Festin  de  P.  I,  1. 

Cette  rime  se  montre  encore  quelquefois  au  XVIIIe  siecle.  L.  Racine: 
reconnoitre,  croitre  Relig.  I;  Bernis:  franeois,  voix  (II.  Idel.  I). 

Rousseau:  exploits,  franeois;  endroit,  öcrivoit;  froid,  croi- 
roit.  Gresset:  cloitre,  connoitre.  Chaulieu:  franeois,  lois;  an- 
choi  s,  polonois. 

10)  La  bivocale  eu  provenant  d'un  o  latin  (au,  u,  i )  se  montre  tres 
rarement  dans  les  plus  anciens  monuments:  eile  est  plus  fre"quente  au  Xlle 
et  au  XHIe  siecle  (Ue  remplacant  o  latin  ne  semble  etre  qu'un  signe  or- 
thographique  pour  eu).  La  prononeiation  de  cet  eu  a  ete'  de  bonne  beure 
celle  du  francais  moderne,  comme  dit  Diez.  Mais,  pendant  assez  longtemps, 
cette  prononeiation  n'a  ete,  selon  mon  opinion,  ni  generale  ni  gdneralement 
adoptee.  Encore  Cre^tin  (1560)  fait  une  rime  dquivoque  la  plante  heu- 
reuse  et  plantureuse.  Cl.  Marot  rime  heureux  et  plantureux.  Theo- 
dore de  Beze  (1585)  dit:  „Tout  ce  qui  parle  bien  en  France  prononce  hu- 
re ux."  Beaucoup  de  mots  discordants  aujourd'hui  pouvaient  autrefois  etre 
accoupläs  par  la  rime,  comme  honneur  (honnur)  et  amour  (amur)  dans 
Marie  de  France  (Idel.  Einl.  II,  33),  müres  (ineures,  mora)  et  heures 
teures),  Du  Provoire  qui  menga  les  mores  (Herrig,  la  France,  p.  36);  de- 
meure  et  müre  (meure,  morum),  Villon  (Idel.  Einl.  II,  159).  Je  n'ose  d6- 
eider  si  Ton  prononcait  eu  ou  u. 

Eu  peut  aussi  resulter  de  la  suppression  d'une  consonne,  comme  dans 
j'eus  (habui),  meur  (mür,  maturus),  seu  (su,  saputum),  seur  (sür,  securus), 
veu  (vu,  vidutum").  Cet  eu  semble,  de  tout  temps,  avoir  sonne  comme  u. 
Coquillart  (1478)  rime  dicitur  et  seur,  Marot:  blessure  et  asseure. 
Pen  ä  peu  on  commencait  a  ne  plus  noter  e  par  l'ecriture.  Dans  quelques 
mots,  comme  seur,  e  a  6t6  conserve"  bien  longtemps;  dans  le  verbe  auxi- 
liaire  il  s'est  conservä  jusqu'a  nos  jours,  et  ce  fut  en  vain  que  Ba'if  (1572) 
tenta  d'introduire  l'orthographe  j'us,  j'usse.  Les  substantils  en  eur  dans 
lesquels  eu  resulte  d'une  contraction,  comme  dans  pdcheur  (peccator,  p^- 
cheor)  ont  suivi  la  regle  des  autres,  dans  lesquels  eu  remplace  tout  sim- 
plement  o  latin,  comme  dans  cröateur,  et  ont  pris  le  son  eu,  de  meme 
que  jeüne  (jejunium)  et  veuve  (vidua).   —   II  y  a  quelques  mots  dont  l'eu 


Miscellen.  835 

äloigne  (Du  Perron)12),  armes  et  termes  (Marot")13);  epouse  et  ar- 
rouse  (La  Font.  Fabl.  IV,  13)U);  nouds  et  doux  (Ronsard  p.  3) ,5). 

est  radical:  Eugene,  Eure,  Europe,  Eustache.  Une  prononciation 
populaire  donne  a  cet  eu  le  son  d'u.  -  Tous  les  trois  eu  pouvaient  ancien- 
nement  souffrir  la  die"rese.     Elle  est  rare  pour  le  premier  et  le  troisieme: 

Proiez  pour  nos,  Virge  bien  eür£e.     Thibaut  (Herrig,  p.  43). 
Ricliault  parla  ä  li;  uessur  l'eve  d'Eüre.     Wace,  Rou. 

Quant  au  second  eu,  la  die"rese  est  la  forme  reguliere: 
Pur  la  joie  qu'il  ot  eüe 
De  s'amie  qu'il  ot  veüe.  Marie  de  France  (Herrig,  p.  34). 

Le  premier  eu  et  le  second  eu  riment  entre  eux. 
La  mort  ne  douc  ne  grain  ne  peu  (paucum) ; 
Que  onques  mais  trouver  ne  peu  (pus,  potui). 

Herrig ,  Roman  de  la  Violette,  p.  32. 

II  est  probable  qu"on  prononcait  u  dans  les  deux  cas. 

Du  temps  de  Ronsard,  la  Separation  entre  eu  et  u,  selon  Quicherat,  etait 
d£jä  faite,  et  depuis  ce  temps,  la  rime  de  la  bivocale  eu  avec  eu  prononce" 
conirae  u,  serait  donc  deTectueuse,  comme  ne  satisfaisant  plus  que  l'oeil.  Ex.: 
Ronsard :  p  e u  (pu),  f e u  p.  47  ;  f e u ,  v e u  (vu)  p.  171;  feu,  beu  (bu)  p.  173. 
Ces  rimes,  tres  frequentes  dans  l'ecole  de  Marot,  deviennent  tres  rares  dans 
l'deole  de  Malherbe,  et  ne  paraissent  plus  dans  Corneille,  Moliere,  Boileau, 
Racine.  La  Fontaine,  qui  recherche  tout  ce  qui  est  vieux,  a  rime  dmeute 
(e"mute)  et  dispute.  Encore  Voltaire  rime  Eure  avec  nature  (La  Henr. 
VIII,  65)  et  avec  structure  (Ibid.  LX,  125). 

n)  Le  radical  latin  a  a  ete  tantöt  conserve"  (claritas,  clarte*),  tantöt 
change  en  ai  (clarus,  clair).  Au  commencement ,  les  deux  formes  exis- 
taient  souvent  ensemble  dans  le  meine  mot:  am  er,  aimer;  char,  chair. 
Beaucoup  de  mots  qui  ont  la  simple  voyelle  aujourd'hui  avaient  la  double  autre- 
fois.  On  öcrivait  au  XVIe  siecle  encore  montaigne,  compaigne,  Alle- 
mai gne,  etc.  Bien  des  rimes,  bonnes  autrefois,  sont  devenues  fausses, 
comme  celle  de  baigne,  Campaigne  (C.  Marot,  Epigr.  p.  405),  de 
Espagne,  bagne  (Id.  Eleg.  I),  de  accompaigne,  baigne  (Ronsard). 

12)  Les  finales  en  ogne  et  oigne  ddrivees  des  terminaisons  latines  — 
oneus,  onia,  undia,  qui  sont  distinctes  aujourd'hui,  ne  formaient  primi- 
tivement  qu'une  meme  desinenee.  L'i  fut  fort  anciennement  intereale':  Bo- 
loingne,  vergoingne  Bible  Guyot  (Idel.  Einl.  II,  37).  Au  XVIe  siecle 
encore,  on  eerivait  Bourgoigne,  Bourgogne,  Bourgoinge.  Le  verbe 
61oigner  (elongare)  pouvait  s'^crire  dlogner.  De  nos  jours,  la  termi- 
naison  ogne  l'a  empörte"  dans  les  substantifs,  mais  on  dit  eloigner,  t^- 
moigner  (testimoniare).  De  lä  des  rimes  deTectueuses  aujourdhui:  te- 
moingne,  Bourgoingne  (Chr.  de  Pisan)  ;  £logne,  Pologne  (Sarrasin); 
vergongne,  s'^longne  (Ronsard  p.  56). 

13)  La  prononciation  vicieuse  a  au  Heu  d'e  qui  s'est  conservde  dans 
quelques  campagnes  (farme  au  lieu  de  ferme),  et  dont  Moliere  a  fait 
usage  dans  quelques  scenes  du  Festin  de  Pierre  (renvarses,  dans  la  mar, 
un  varre  de  vin,  Piarrot,  etc.)  a  donne"  lieu  ä  beaucoup  de  fausses 
rimes.  J.  Marot  rime  armes,  termes;  vacarmes,  fermes;  dame, 
gemme.  Hier  et  soir  a  donne  le  compose'  arsoir,  harsoir.  II  y  u 
aussi  des  exemples  d'e  mis  a.  la  place  d'a:  lermes  (lavmes),  infermes 
Agnes  de  Bragelongne  de  Plancy  (Idel.  Einl.  II,  43);  tescb.es,  flesches 
Roman  de  la  Rose  (Ibid.  p.  248):  guiterre,  pierre,  Ronsard. 


336  Miscellen. 

Des  lettres  qui  suivent  la  partle  principale. 

§.  56.  Rimes  parfaites. 

Regle  generale.  Tont  ee  qui  suit  la  partie  principale  (consonnes,  e 
rauet)  doit  etre  egale  pour  l'oreille  et  pour  l'ceil:  Racine,  Messali ne; 
immortalites,  bontes16). 

1°  Les  rimes  suivantes  qui  satisfont  l'oreille,  sont  legitimes,  quoiqu'elles 
ne  satisfasseut  pas  l'oeil : 

a)  La  rime  dune  consonne  simple  avec  une  consonne  double:  Taxile, 
tranquille;  äme,  flamme  Rac.  Alex.  I,  3;  Pape,  echappe  La  Font. 
Fabl.  VII,  12;  Euphrate,  flatte  ]I,  2. 

b)  La  rime  d'une  consonne  avec  une  autre  consonne  qui  a  la  men.e 
prononciation:  dis-je,  oblige  La  Font.  Fabl.  IX,  1;  maison,  nom  Ibid. 
IV,  17;  coq,  roc  Flor.  La  Poule  de  Caux;  def'iances,  defenses  Rac. 
Alex.  II,  1  ;  Caucase,  gaze  Barthel.  Napol.  II. 

c>  La  rime  d'une  consonne  avec  deux  autres  qui  se  prononcent  de 
meine:  basse,  menace  Rac.  Alex.  I,  1;  philosophe,  Stoffe  ßerang. 
Les  Bohemiens. 


u)  Beaucoup  de  mots  oü  l'o  (au)  latin  s'est  conserve"  aujourd'hui,  s'e- 
crivaient  autrefois  par  ou.  (Le  dialecte  picard  substituait  souvent  ou  a  o). 
Pendant  une  grande  partie  du  XVIe  siede,  la  bivocale  ou  pr^dominait. 
Francois  I  ecrit  ouse  =  ose;  Meigret  ecrit:  pourtrait.  H.  Etienne  se 
moque  de  cette  maniere  de  prononcer: 

N'etes  -  vous  pas  de  tres  -  grands  fous 

De  dire  cbouse,  au  lieu  de  chose? 

De  dire  j'ouse,  au  lieu  de  j'ose? 

Dans  Rabelais,  nous  lisons,  entre  autres:  rousee,  gousier,  cour- 
beau,  cbouse,  pourte,  repous,  pentecouste,  houste,  propous, 
subourner,  expouse,  ouste  (üte).  Au  contraire,  troupe  s'eerivait 
trope.  De  la,  des  rimes  fautives  aujourd'hui:  approuche,  bouche  Rute- 
beuf  (fdel.  Einl.  II,  90);  approuche,  couche,  Ronsard  p.  33;  trope, 
Ethiope,  Id.  p.  79.  Au  XVIIe  siecle,  ces  rimes  disparaissent:  La  Fon- 
taine seul,  ce  fanatique  imitateur  des  anciens,  a  ose  exhumer  la  rime  epouse 
et  arrouse. 

15 )  II  y  a  une  affinite  entre  les  bivocales  eu  et  ou  (veux  et  vouloir, 
noeud  et  nouer,  coeur  et  courage).  Eu  est  le  renforcement  de  la  voyelle 
ou.  „Le  vieux  langage  diphthongue  les  anciennes  breves  devant  une  con- 
sonne simple  aussitöt  qu'elles  ont  raccent."  (Burguy  Gram.  I,  1i.)  Le  lran- 
cais  moderne  ne  reconnait  plus  cette  regle:  on  dit:  je  demeure  et  nous 
demeurons;  je  trouve  et  nous  trouvons.  Treuve  appartient  encore 
au  siecle  de  Louis  XIV.  Moliere  et  La  Fontaine  riment  veuve  et  treuve. 
Voici  des  rimes  qui  sont  impossibles  aujourd'hui:  decceuvre,  ceuvre 
C.  Marot  (Epp.,  p.  200),  nouds  (noeuds)  et  genoux  Id.  (p.  239);  nouds, 
doux,  Ronsard  (p.  3). 

1G)  De  tout  temps,  on  a  demande  la  correspondance  des  consonnes 
finales  muettes,  on  n'a  jamais  rime  p:  ex.  Maine  et  semaines,  je  por- 
tais  et  il  etait.  Cette  Observation  semble  etre  contraire  a  notre  asser- 
tion  que  les  anciens  ne  rimaient  que  pour  l'oreille.  Mais  ces  consonnes 
finales  n'etaient  probablement  pas  muettes  au  commencement  (nous  allons 
traiter  cette  matiere  §.  62).  Quand  elles  devinrent  muettes,  la  force  de  l'ha- 
bitude  etait  si  grande  que  ces  sortes  de  rimes  (celle  de  deux  consonnes 
muettes  difierentes,  et  celle  d'e  muet  avec  e  muet  suivi  d'une  consonne 
muette)  restaient  interdites. 


Miscellen.  337 

d)  La  rime  de  t  avec  th:  suite,  Scythe  Rac.  Alex.  II,  1. 

e)  La  rime    de    n  ou    nn  avec   nin:     Axiane,  condarane  Rac.  Alex. 

II,  5;  automne,  bonne  La  Font.  Fabl.  VI,  3. 

f)  La  rime  de  s  ou  de  t  avec  les  meines  lettres  prece"d£es  d'une  ou  de 
deux  consonnes  muettes:  pas,  ätats  Rac.  Alex.  I,  2;  e"pars,  etendards 
Roid.  II,  2;  Memphis,  fils  Barthel.  Napol.  I;  bois,  doigts  Niveru.  (II 
Idel.  2.),  bas,  almanachs  Regn.  Demoer.  1,2,  rit,  Jäsus- Christ  Hugo, 
Dieu  est  toujours  lk;  eclatants,  temps  Rac.  Alex.  III,  2.  —  Cette  licence 
n'existe  pas  pour  r:  venges  et  bergers  ne  riment  point.  17J 

g)  La  rime  de  d  avec  t,  celle  de  c  avec  g:  attend,  inconstant  Rac. 
Alex.  IV,  4;  flanc,  sang  La  Harpe  (II Idel.,  1.). 

h)  Les  mots  termines  par  s,  x,  z  riment  entre  eux  (x  =  cs,  gs;  z  = 
ds,    ts);    doux,    vous    Rac.    Alex.  I,  3;    preeipit^s,    souhaitez    Ibid. 

III,  1;    malheureux,    nceuds  Ibid.  IV,  2;    eux,   boeufs    La  Font.  Fabl. 

IV,  21. 

§.  57.  S  sourd  avec  un  s  qu'on  fait  sentir;  Monsieur  et  honneur. 

2°  Les  rimes  suivantes  qui  satisfont  bien  l'oeil,  mais  qui  ne  satisfont  pas 
l'oreille,  sont  consaerdes  par  l'usage  des  poetes : 

a)  La  rime  de  deux  terminaisons  masculines  dont  l'une  presente  un  s 
sourd  et  l'autre  un  s  que  la  prononciation  fait  sentir.  Corneille:  Carlos, 
mots  Don  Sanche  I,  3;  h£ros,  Carlos  Ibid.  II,  4.  —  Racine:  soldats, 
Menälas  Iphig.  IV,  6;  bras,  Pallas  Britann.  IV,  2;  confus,  Pyrrhus 
Androm.  I,  1;  plus,  Laius  Theb.  II,  1;  vous,  tous  Be"ren.  III,  3;  se- 
courus,  Porus  Alex.  IV,  2;  crus,  Porus  Ibid.  IV,  3.  —  Boileau:  ob- 
tenus,  Venus  Sat.  X.  —  Moliere:  acces,  Agnes  Ec.  d.  f.  IV,  6.  — 
Voltaire:  attraits,  Agnes  La  Puc.  VII.  —  Pousard:  pointus,  Sextus 
Lucrece  I,  1.  —  Lamartine:  nus,  angelus  Jocel.,  p.  221. 

b)  Dans  le  genre  l'amilier,  Monsieur  rime  souvent  avec  un  autre  mot 
termine  en  eur.  Racine:  Monsieur,  honneur  Les  Plaid.  II,  4.  Moliere: 
humeur,  Monsieur  L'e'c.  d.  f.  III,  2.  —  La  Fontaine,  Fables:  Monsieur, 
flatteur  I,  2;  IV,   1;  Monsieur,  rieur  VIII,  2. 

§.  58.  Rimes  vicieuses:  Rime  de  deux  consonnes  muettes  diffiSrentes. 
Les  rimes  suivantes  qui  satisfont  l'oreille,  mais  qui  ne  satisfont  pas  1'ceil, 
sont  vicieuses : 

a)  La  rime  de  deux  consonnes  muettes  differentes  (excepte"  s,  x,  z ;  d, 
t;  c,  g).  On  ne  rime  ni  embrassa  et  soldat,  ni  jamais  et  parfait; 
ni  je  dors  et  il  sort,  ni  disent  et  marchandise  s,  ni  coup  et  tout, 
ni  loup  et  courroux,  ni  paix  et  forfait,  etc.18; 

§.  59.   Rime  dune  voyelle  aecompagnee  d'une  consonne  muette  avec 
une  voyelle  finale. 

b)  La  rime  de  deux  mots  dont  Tun  finit  en  une  voyelle  et  l'autre  en 
une  consonne  muette.  On  ne  rime  pas  loi  et  voix;  ve>ite  et  m^ditez; 
homme  et  pommes;  change  et  berger19). 


17)  Volt.  Puc.  XIII  rime  reUvent    et    observeut,    chose   impossible 
sans  doute. 

"*)  Regnard:  mots,  sursaut  Epitr.  4;  sot,  trop  Ibid.  5 ;  consentit, 
fils  Sapor  I,   1;    rüt,    propos    Le  Bai  1;   dix,    lit  Voyage    de  Norm.  - 
Lamartine:  tout,  loup  Toussaint  V,  5;  coup,  debout  Jocel.,  p.   115.  — 
Ponsard:  coup,  gofit  L'honneur  IV,   10. 

19)  Regnard:  toi,  Louvois  Epitr.  5;  soül,  Ion  Democr.  I,  4.  —  Mo- 
liere: noeud,  peu  Le  Misanthr.   1,  2.  —  La  Fontaine,  Fables:    soül,  trou 
Archiv  f.  n.  Sprachen.  XXVIII.  22 


338  Miscellen 

§.  CO.  Rime  d'une  voyelle  nasale  suivie  d'une  consonne  avec  une 
voyelle  nasale. 

c)  La  rime  (Tun  raot  termine  en  une  voyelle  nasale  avec  un  autre  dans 
lequel  le  son  nasal  est  suivi  d'une  consonne  sourde,  ou  la  rime  de  deux 
mots  dans  lesquels  le  son  nasal  est  accompagne  de  deux  consonnes  muettes 
difterentes.  ün  ne  rime  ni  maintien,  vient  Regn.  Demoer.  II,  3;  ni 
etang,  autant,  camp  La  Font.,  Fabl.  II,  1420). 

§.  61.  La  Rime  d'ar,  er,  avec  ard,  art,  etc. 

d)  La  rime  d'un  mot  finissant  en  ar,  er,  or,  our  avec  un  autre  finis- 
santenard,  art,  ars,  etc.  La  Font,  Fabl.  I,  G :  encor,  fort,  d'abord21). 

§.  62.  Rime  d'une  consonne  muette  avec  une  consonne  qu'on  fait 
sentir,  ou  de  deux  consonnes  dift'erentes  qui  ont  une  prononciation  diffe'rente. 

Les  rimes  suivantes  qui  satisfont  bien  l'oeil,  mais  qui  ne  satislont  point 
l'oreille,  ne  sont  pas  permises: 

a)  La  rime  d'une  consonne  sourde  avec  une  consonne  que  l'on  fait  sentir 
(excepte  s  et  r  dans  Monsieur),  ou  de  deux  consonnes  diff&rentes  qui  ont 


II,  2;  beaueoup,  cou  III,  9;  coup,  cou  III,  12;  VIII,  9.  —  Barbier: 
coup,  soül  (IV  Idel.  p.  566).  —  Augier :  soi,  soit  La  Cigue  I,  1.  —  Gi- 
rardin:  Sappho,  defaut  Cleop.  II,  2.  —  Be"ranger:  ciseau,  eaux  Les 
Parques;  do,  tantöt  Ma  nourrice. 

20)  Ces  rimes  sont  tres  frequentes.     Racine:  donc,   pardon  Les  Plaid. 

II,  4;    seing,  main    Bajaz.  IV,  3.  —  Moliere:    nom,  repond  L'dc.  d.  m. 

III,  2.  —  Regnard:  comprend,  alcoran  Menechm.  II,  3.  —  La  Fontaine, 
Fables :  talon,  long  II,  12;  autant,  camp  II,  14;  croyez  m'en,  nul- 
lement  VIII,  21;  faon,  content  VIII,  27;  menton,  donc  IX,  4;  bon, 
bond  IX,  14.  —  Voltaire:  chre"tien,  souviens  Alz.  V,  7.  —  Grecourt: 
champ,  tremblant  (II  Idel.,  2). — Moncrif:  sang,  plaignant  (II  Idel., 
3).  —  Thomas:  rang,  grand  (II  Idel.  2).  Be"ranger:  l'an,  blanc  Le  Roi 
d'Yv. ;  gland,  blanc  Les  Gaulois;  Acoran,  Ferrand  La  sainte  All.; 
violon,  long  Le  Violon  brise;  bourdon,  donc  Le  pelerinage  de  Lis. — 
Hugo:  pardon,  donc  Ruy  Blas,  IV,  3;  passant,  sang  Pour  les  pau- 
vres.  —  Chenier:  sang,  mugissant  Le  Malade.  —  Delavigne:  sang, 
menacant  Louis  onze  II,  7;  compatiss  ant,  sang  Mar.  Fal.  I,  3.  — 
Barth eleiny  et  Mery,  Napol.:  canons,  nom  III.  —  Lamartine:  sang, 
tisserand  Toussaint  II,  8;  sang,  descend  Jocel.,  p.  120;  glissant, 
sang  Ibid.  p.  178;  nourrissant,  sang  Ibid.,  p.  206 ;  cliamp,  couchant 
Ibid.,  p.  221.  —  Dumas:  blanchissan t ,  sang  Christ.  IV,  7.  —  Augier, 
La  Cigue:  front,  poltron  II,  5;  libertin,  et  eint  II,  7.  —  Ponsard: 
camp,  rang  Lucrece  I,  1;  vacant,  camp  Ibid.  II,  2;  point,  poing 
Agnes  I,  3.  —  Ddsaugiers ,  L'Hötel  garni:  vraiment,  Maman  sc.  14; 
champ,  penchant  sc.  20. 

21)  Ces  rimes  sont  aussi  tres  -  frequentes.  Regnard:  essor,  d'aecord 
Epitr.  5.  —  Racine:  hasard,  car  Les  Plaid.  III,  3.  —  La  Fontaine,  Fables: 
fer,  couvert  V,  2;  hiver,  vert  V,  8;  encor,  d'aecord  VI,  6;  tresor, 
fort  X,  1;  encor,  port  X,  15;  fer,  s'en  sert  XII,  16.  —  Florian, 
Fables:  encor,  bord  I,  7.  —  Voltaire,  Tragedies:  eher,  ddsert;  enfer, 
entr'ouvert;  char,  rempart;  Ödes:  char,  hasard;  Luxembourg, 
jour.  —  Hugo:  Cesar,  hasard  Hern,  IV,  2.  —  Bdranger:  cour,  court 
Le  Carnaval  de  1818;  neetar,  lard  Ma  nourrice.  —  Dumas:  Cdsar,  ha- 
sard Calig.  prol  3.  —  Girardin:  or,  trdsors  Cldop.  I,  |.  —  Chateau- 
briand: l'or,  d'abord  Milton  et  Davenant.  —  Augier:  mort,  encor  La 
Cigue  I,  8. 


Miscellen.  339 

une  prononciation  diß'erente  :•-)  arre.ste  et  reste;  dextre,  estre;  pro- 
pice,  prolixe;  precepte,  faite;  sujet,  abject;  Corinne,  hyrane; 
croc,  hoc;  apprentif,  inventif;  fusil,  exil;  Alix,  paradis;  Christ, 
esprit;  Jacob,  trop;  David,  fini;  Abraham,  an;  benigne,  fe- 
minine. 


—)  II  est  probable  qu'au  commeneement  toutes  les  lettres  finales  etaient 
sonores.  Mais  la  tendance  du  Francais  a  ne  les  point  faire  sentir  semble 
etre  presque  aussi  vieille  que  la  langue.  Pendant  le  travail  de  la  formation, 
c'est  -  a  -  dire  jusqu'au  XVIe  siecle,  cette  tendance  est  alle"e  en  croissant. 
Enfin  la  prononciation  moderne,  qui  rend  leurs  sons  ä  plusieurs  consonnes 
sourdes  pendant  quelque  teinps,  sest  etablie.  Teile  est  la  theorie  que  les 
exemples  vont  prouver  et  qui  semble  etre  plus  naturelle  que  l'opinion  de 
Quicherat,  fondee  sur  le  livre  de  Genin.  Selon  lui,  „du  Xllle  ä  la  fin  du 
XVIe  siecle,  on  ne  faisait  generalement  pas  sentir  les  consonnes  finales." 
II  est  plus  vraisemblable  d'adopter  une  tendance,  conforme  au  genie  de  la 
langue  et  qui  n'exclut  pas  la  prononciation  de  quelques  -  unes  de  ces  con- 
sonnes qu'on  prononce  encore  de  nos  jours,  que  de  croire  ä  une  sorte  de 
Convention  aussi  inconcevablement  faite  qu'abrogee  dans  une  periode  oü  rien 
n'etait  encore  fixe  et  determine.  Matzner,  pour  refuter  l'opinion  de  Genin, 
it  que  rien  ne  ser  ait  plus  etrange  que  la  restitutio!!  des  sons  que  la  langue 
avait  abandonnes.  Les  exeinples  qu'on  va  lire  prouveront  que  quantite  de 
finales  qui  sonnent  aujourd'hui  n'ont  pas  sonne  pendant  quelque  temps.  Des 
les  premieres  annees  du  Xllle  siecle,  les  consonnes  c,  d,  i,  p  se  retiraient 
regulierement  devant  le  s  dupluriel:  les  chies  (chefs),  lesdus  (ducs),  etc. 
La  restitution  de  consonnes  muettes,  Strange  ou  non ,  s'est  donc  faite  assez 
souvent  en  francais :  mais  il  serait  sans  doute  un  peu  etrange  que  toutes 
les  consonnes  finales  ayant  äte  muettes  pendant  trois  siecles,  on  se  füt  avise 
d'en  faire  sonner  quelqnes  -  unes. 

I.     Deux  consonues  mediales. 

1)  C  se  negligeait  generalement  devant  t  (sujet,  objet):  faict,  in- 
fect  (Idel.  Einl.  II,  p.  356);  violette,  delecte  C.  Marot,  Eleg.  XXVII; 
infects,  contrefaits  Id.  l'Enfer;  sujet,  abject  Corn.  Nicom.  II,  1; 
projets,  abjets  Cinn.  IV,    4;  dicte,  depite  Regn.  Sat.  XV. 

2)  Mn  se  prononcait  toujours  nn  (condamner,  solemnel):  chre- 
tienne,  contemne  J.  Marot;  Corinne,  hymne  C.  Marot  Ep.,  193.  Gm 
se  prononcait  comme  m:  dragme,  äme  C.  Marot. 

3)  P  ne  se  prononcait  pas  devant  t  (bapteme):  precepte,  faite; 
eclipse,  embellisseRom.de  la  Rose;  croitre,  sceptre  J.  Marot;  re- 
cepte,  acccpte  Cl.  Marot;   Egypte,  petite  Rutebeuf. 

4)  St:  arreste  reste.  Cette  rime  a  pu  etre  legitime,  quand  on  pro- 
noncait le  s  dans  les  deux  mots,  et  quand  on  ne  le  prononcait  dans  aucun. 
Elle  est  fausse  depuis  le  XVIIe  siecle.  Prestre,  Silvestre  Cortebarbe 
(Idel.  Einl.  II,  p.  7t);  feste,  geste  Fabliau  (Ibid.  p.  76);  celestre, 
maistre  Mystere  (Ibid.,  p.  255)  ;  prestre,  terrestre  (Idel.  Einl.  I,p.214); 
estre,  terrestre  Cl.  Marot,  le  Temple  de  Cup.;  epistres,  registres  Id.  Ep., 
p.  128.  (Quelques-uns,  dit  l'Academie,  ecrivent  et  prononeent  regitres);  Ma- 
jeste,  este  LI.  Ep.,  p.  134;  6pitre,  tistre  Id.  Eleg.  XII;  brüte,  robuste 
J.  Marot;  depute,  j  uste  Coquillart;  ddsastre,  alba  stre  Ronsard  (p.  35). 

5)  La  lettre  x  prenait  le  son  de  s  dans  dextre  et  rimait  avec  les  mots 
en  estre:  destre  senestre  Rom.  du  Renart  (Idel.  Einl.  II,  p,  238); 
adextre,  estre  Cl.  Marot  Epitaph.,  p.  422.  Entre  deux  voyelles,  le  x  se 
prononcait  comme  ss  (Auxerre,  Auxonne,  Bruxelles) :  propice,  pro- 
lixe Marot. 

II.    Les   consonnes  finales  des  rimes  masculint  s  : 

1)  B.   Villon:    Jacob,  trop.  —  Coquillart:  Job,  trop. 

2)  C:  draps,   sacs  Coquillart;  arcs,  etendards;  Grecs,  discrets. 

22* 


340  Miscellen. 

§.  63.  La  rime  d'un  1  mouille'  avec  un  1  non  mouille\ 
b)  La  rime  des  diffgrents  1:  fille,  file23). 

Des  consounes  qui  pr^cedent  la  Partie  principale  dans 
la  meme  syllabe. 

§.  64.  Rime  des  monosyllabes  entre  eux. 

Pour  les  monosyllabes  on  ne  veut  pas  la  rime  riche;  car  un  mot  ne 
doit  pas  rimer  avec  lui  -  meme,  excepte  deux  cas  dont  nous  allons  parier 
§.  G8. 

II  est  temps  que  mon  cceur,  pour  gage  de  sa  foi, 
Montre  qiiil  n'a  pu  vivre  un  moment  apres  toi. 

Rac.  Alex.  IV,  1. 

§.  65.  Rime  des  monosyllabes  avec  les  polysyllabes. 

II.  Le  monosyllabe  peut  rimer  richement  avec  le  polysyllabe;  mais  on 
se  contente  ordinairement  de  la  rime  süffisante. 

D'un  odieux  amant  sans  cesse  poursuivie, 
On  pretend,  malgr£  moi,  m'attacher  a  la  vie. 

Rac.  Alex.  IV,  1. 
Je  tremble  pour  mon  frere,  et  crains  que  son  tr^pas 
D'un  ennemi  si  eher  n'ensanglante  le  bras. 

Ibid.  II,  1. 

§.  66.  Rime  des  polysyllabes  entre  eux. 

III.  En  g^neral,  deux  mots  polysyllabes   doivent  rimer  richement.     Plus 

J.  Marot;  6pars,  parcs  C.  Marot,  Eglogue  au  roi;  aspics,  pis  Id.,  l'En- 
fer;  roc,  croc  Ibid.;  las  et  lacs  Id.  Metam.  I,  p.  535;  Turcs,  durs  Le 
Maire;  croc,  hoc  La  Font.;  estomac,  sac  Flor.  Fabl.  II,  1. 

3)  D:  Wace,  Brut:  Davi  (David),  fini. 

4)  F:  serfs,  revers  Chr.  de  Pisan;  clef,  chef  C.  Marot;  gentils, 
craintifs  Id.  Ep.,  p.  106;  racourcis,  massifs  Id.  p.  107;  petits, 
craintifs  Id.  Compl.,  p.  457;  Juifs.  fuis  Id.  p.  499.  —  Regnier:  ennuis, 
j uifs  Sat.  VIII;  apprentif,  rätif  Sat.  IX.  —  La  Fontaine,  Contes:  ap- 
prentif,  inventif  IV,   13. 

5)  Gn  se  prononcait  comme  n  (signet)  J.  Marot:  signe,  mine.  — 
C.  Marot:  machine,  digne  Au  Roi;  benigne,  feminine  El£g.  XX; 
digne,  pelerine  Ep.,  p.  98.  —  Ronsard:  cygne,  Jaqueline.  —  La  Fon- 
taine, Fables:  maline  (maligne),  machine  VI,   15. 

6)  L:  Coquillart:  perils,  ris;  deux,  seuls.  —  Meschinot:  nuls, 
nuds,  retenus.  —  C.  Marot:  babils,  habits  Ep.,  p.  122;  cruels,  tue's; 
autels,  beautes.  —  Lamartine,  Jocelyn:  fusil,  exil  p.  71;  sourcils, 
eils  p.   114;  outils,  fils  p.  342. 

7)  Les  mots  h^breux  termines  en  m  ou  n  suivaient  autrefois  la  pronon- 
ciation  francaise  que  le  mot  Adam  a  retenue.  Guilleville:  Abraham, 
Adam.  —  Villon:  an,  Amen.  —  Marot:  Jerusalem,  en:  La  Fontaine: 
Abraham,  an. 

8)  T:  Coquillart:  sept,  scet  (sait).  —  Villon :  huit,  bruit. —  Lamar- 
tine,  Chute  d'un  ange:  L' II omine-  Christ,  esprit  Vlle  vision. 

9)  X.  Roman  de  la  Rose:  Denis,  phenis  (phdnix);  Marot:  Alix, 
lits;  Crätin:  perplex,  pledz.  La  Fontaine,  Contes:  Alix,  paradis 
III,  10. 

R  des  rimes  normandes  a  dejä  ete"  discute\ 

2S)  J.  Marot:  style,  fille.  —  Sarrasin:  villes,  quilles.  —  Ronsard: 


Miscellen.  341 

une  terminaison  est  frequente,  moins  le  poete  doit  se  contenter  de  la  rime 
commune;  plus  une  finale  est  rare,  plus  il  faudra  lui  pardonner  les  rimes 
süffisantes-'4).    Examinons  les  desinences  finales. 

1)  Les  finales  suivantes  doivent  rimer  de  l'articulation : 

a,  dans  les  verbes.    Ces  rimes  sont  du  reste  t res  -  rares  dans  le  style 

noble.     Ex.:  pilla,  habilla  C.  Marot,  au  Roi25). 
e,  es,  ee,    ees,   er,    ez.     Ex.:  inanime,    arme    Rac.  Alex.  II,   2; 
desesperes,  f'ourres    Regn.  De"mocr.  I,  6;    picoree,    egaree 
Ibid.  I,  5;    disputer,    öter   Rac.  Alex.  I,  1;    parlez,    voulez 
Regn.  Demoer.  I,  6  26). 
Quand  ces  finales  sont    precedees  de    deux  consonnes    dont    la  seconde 
est  une  liquide,   on  permet  de  ne  faire  entrer   dans   la  rime  que  la  seconde 
des  deux  consonnes.     Ex.:    troublee,   aveuglee    Com.  Cinn.  IV,  6;    de- 
solee,  troublee    Rac.  Bajaz.  V,   1.     La  memo    licence    est  aecordee  pour 
la  finale  gner,  qu'on  peut  faire  rimer  avec  uer:  confiner,  regner   Rac. 
Beren.  IV,  4. 

i,  is,  ie,  ies.     Ex.:  r affer mi,  ennemi  Rac.  Alex.  III,  2-7). 
u,  us,  ue,  ues.     Ex. :  combattu,  vertu    Rac.  Alex.  IV,  2 ;  c o n - 
nue,  nue  Ibid.  I,  2-8). 


fille,  file,  p.  38.  La  rime  de  style  et  gentile  (C.  Marot  p.  219)  etait 
juste,  le  dernier  mot  n'etant  pas  mouille  alors.  Corneille,  Don  Sanche  I,  3 
et  Le  Cid  II,  7  rime  Ca  stille  et  Seville.  Le  dernier  mot,  dit  Quicherat, 
devrait  etre  mouille.  Lamartine,  Jocelyn  p.  279:  epagneul,  cercueil.  — 
Voltaire,  Henriade  IV,  449:  Bayeul,  Longeuil. 

-1)  Dans  les  premiers  siecles,  on  etait  content  de  la  rime  commune. 
Marie  de  France,  le  Lai  du  Chevrefoil:  eungea,  ama;  sera,  haita; 
aler,  trespasser;  este,  surjurne;  chevachant,  pendant;  aperceut, 
conut;  arester,  reposer  (Herrig,  p.  33.).  Eustache  Deschamps:  con- 
vertie,  chevalerie;  enfant,.  amoureu  sement,  disant,  urgent;  ju- 
ment,  argent;  trouvee,  annee;  souris,  ennemis. 

2')  Rimes  vicieuses.  Moncrif:  pleura,  enferma  (II  Idel.,  3.).  —  La 
Fontaine,  Fables:  compta,  depeca  I,  6;  retourna,  arriva  IX,  2. 

26)  Rimes  vicieuses.  Racine:  frappee,  tombee  Tlieb.  V,  5  (l'auteur 
n'a  peche  que  cette  seule  fois  contre  la  regle:  c'est  dans  sa  premiere  piece). 
—  Regnard:  ABC,  ete  Le  Legat.  II,  11.  —  Grecourt:  damne,  grille 
(II  Idel.,  2.).  —  La  Fontaine,  Contes:  fee,  obligee,  cachee  III,  13. 
Fables:  feli  cite,  p  ele,  a  ttache,  I,  5;  deli  be'rer,  execut  er  II,  2;  vole, 
appele,  plaidc,  travaille,  embrouille,  conteste,  tempete  II,  3; 
eure,  naivete  VIII,  2;  dine,  cherche  VIII,  7;  enlever,  porter  IX,  1  : 
bigarree,  marquetee,  mouchetee  IX,  3;  empaqueter,  porter, 
trainer  X,  1  —  Quicherat,  p.  23  dit  que  le  mot  oser  ne  rime  pas  avec 
ren verser.  Pourquoi  pas? —  Racine,  Phedre  I,  1  rime  envoye  et  Pa- 
siphae.  Quicherat  cite  ce  vers,  ä  tort,  parmi  les  exemples  de  deux  e  de- 
tach^s. 

27)  Rimes  vicieuses.  Moncrif:  melancolie,  Armenie;  tragedie, 
cherie  (II  Idel.,  3.).  —  Racine:  reunis,  amis  Theb.  V,  3.  —  La  Fon- 
taine, Fables:  promis,  peris  I,  4;  Iris,  avertis  VI,  3;  logis,  soucis 
VIII,  2;  puni,  rempli  VIII,  14;  compagnie,  plaisanterie  VIII,  8; 
convie,  supplieIX,  1;  envi,  ainsi  IX,  14.  —  Lamartine,  Adieu:  Bissy, 
ami. 

-8)  Rimes  vicieuses.  Gresset:  inconnu,  perdu  (II  Idel.,  1.);  con- 
vaineu,  vertu  Ververt,  4.  —  Colardeau:  connu,  vc'cu  (II  Idel.,  2.).  — 
La  Fontaine,  Fables:  apparue,  reconnue  VIH,     14. 


342  Mise  eilen. 

ment.     Ex.:  ^loignement,  tourment    Kac.  Alex.  III,  l-'J). 
2)  Les  finales  suivantes  rinient  mieux  ou  riment  plus  generalement,  sur- 
tout  dans  le  style  noble,  de  toute  rarticulation : 

aire,  ere,  ant,  ent,  eur,  eux,  euse,  ir,  on30). 
3.  On  se  contente  de  la  rime  süffisante  pour  les  terminaisons  plus  rares, 
telles  que  age,    al,  at,  ais,    ait,  ebre,  es,    este,    ible,  ice,  ide,  ile, 
ime,  ique,  it,  onne,  or,  ours,  ure,  ut. 

§.  67.  Critique  du  Systeme  actuel  de  la  rime. 

La  plupart  des  critiques  francais  sont  d'avis  que  la  rime  n'a  pas  ete 
faite  pour  l'oeil,  mais  pour  roreille. ,  que  le  principe  de  Malherbe  de  rimer 
pour  l'oeil  a  eu  une  influenee  de*säslreuse  sur  la  poesie;  que  le  Systeme  ac- 
tuel est  im  melange  caprieieux  de  la  rime  pour  l'oeil  et  de  la  rime  pour 
l'oreille  31). 

Les  rimes  qui  ne  satisfont  que  l'oeil  devraient  etre  bannies  de  la  poesie: 
au  contraire,  nombre  de  rimes  qui  satisfont  l'oreille  sans  satisfaire  l'oeil,  de- 
vraient etre  permises. 

Ie  classe:  1°  Les  rimes  d'une  syllabe  breve  avec  une  syllabe  longue 
(couronne,  tröne)32). 

29)  Voltaire:  enfans,  sentimens. 

30)  Quicherat  se  contredit,  en  disant  p.  33  qu'on  met  bien  Valere, 
contraire  comme  desinence  peu  abondante,  tandis  que,  p.  34,  il  pretend 
qu'il  est  defendu  de  se  contenter  d'une  rime  süffisante  pour  les  finales  en 
aire  ou  ere.  —  Racine  a  mis,  dans  sa  premiere  piece:  enfans,  inno- 
c  e  n  s  Theb.  II,  2.  —  La  Fontaine ,  bien  que  reconnaissant  Fables  II,  1  la 
legitimite  de  la  regle,  la  viole  pourtärit  Fables  IX,  1:  pourtant,  enfant, 
pleurant.  —  Lamartine,  Jocelyn,  p.  162:  amant,  enfant.  —  Racine, 
Theb.  V,  2:  terreur,  vainqueur. -- Racine,  Phedre  I,  1:  dedaigneux, 
honteux.  —  Corn.,  le  Cid  II,  3  plaisirs-,  soupirs.  Rac.  Theb.  V,  3: 
desirs,  soupirs.  La  Harpe  bläme  dans  Voltaire  la  rime  de  repentir 
avec  souffrir.  —  Corn.  Nicom.  IV,  2:  Zenon,  raison;  V,  7:  maison, 
Zenon.     La  Font.,  Fabl.  VIII,  16:  dit-on,  maison. 

31)  Sibilet  approuve  dans  Marot  les  rimes  demets,  ja  mais  „et  autres 
tels,  plus  soutenus  par  le  son  de  roreille  (que  je  te  dis  encore  estre  le 
prineipal  du  College  de  la  rime)  que  rejetes  par  l'orthographe,  (jui  n'est  que 
le  ministre  du  son."  Voltaire :  „II  est  indubitable  que  la  rime  n'a  ete  in- 
ventee  que  par  Toreille."  —  „Nous  avons  toujours  ete  persuades  qu'il  fallait 
rimer  pour  les  oreilles,  non  pour  les  yeux  "  Marmontel:  „La  rime  doit  etre 
sensible  ä  roreille,  mais  ce  n'est  point  assez:  on  veut  aussi  qu'elle  frappc 
les  yeux.  Pourquoi?  pour  la  rendre  plus  difficile,  et  pour  ajouter  an  plaisir 
«jue  fait  la  Solution  de  ce  petit  probleme.  Je  n'en  vois  pas  d'autre  raison: 
c'est  im  defi  donne  aux  versificateurs."  La  Harpe:  „Voltaire  est  celui  qui 
a  insiste  le  premier  sur  la  necessite  de  rimer  principalement  pour  l'oreille. 
II  a  eu  raison."  Ste-Beuve:  „Malherbe  ne  s'est  pas  abstenu  de  l'exces. 
Oubliant  que  la  rime  releve  de  l'oreille  plutöt  que  des  yeux,  et  qu'il  est 
meme  piquant  quelquefois  de  rencontrer  deux  sons  parfaitement  semblables 
sous  une  orthographe  differente,  il  blämait  les  rimes  de  puissance  et  in- 
nocence,  de  conquerant  et  apparent,  degrand  etprend,  de  pro- 
gres  et  attraits."     Quicherat,  p.  378  —  386. 

32)  J.  dußellay,  Ulustr.de  la  1.  fr.  (1549):  „Garde -toi  de  rimer  des  mots 
manifestement  longs  avec  les  brefs  aussi  manifestement  brefs. "  Dict.  de  l'Aca- 
deniie;  Rime:  „on  ne  peut  faire  rimer  paume  avec  pomrae."  Voltaire:  „Je 
me  häte  ne  peut  rimer  avec  je  me  flatte,  parceque  flatte  est  bref  et  häte 


Miscellen.  348 

2°  Les  rimes  d'une  voyelle  simple  avec  nne  diphthongue  ( poursuivre, 
vivre). 

3°  Les  rimes  d'un  s  muet  avec  un  s  sonore  ( vertu s,  Titus). 

4°  Les  rimes  des  differents  sons  ouverts  de  e,  ai,  o,  oi  etc.  (lois, 
voix,  droits,  etroit  avec  bois,  noix,  poids,  trois). 

Ile  classe:  Les  rimes  des  consonnes  muettes  dißerentes  (raison,  Sai- 
sons; courais,  esperait;  aima,  an  imät;  viendra,  voudras;  berger, 
change,  obligez;  long  vallon;  cour,  accourt).  On  n'aurait  pas 
besoin  d'ecrire  pie,  cle;  pied  rimerait  avec  fie  p.  ex. 

D'autres  regles  sur  la  rime. 

§.  68.  Rime  d'un  mot  avec  lui  -  meme. 

En  suivant  exactement  toutes  les  regles  que  nous  venons  d'exposer,  on 
pourrait  encore  faire  bien  des  fautes. 

I.  La  rime  n'etant  pas  fondee  sur  une  ressemblance  du  sens,  mais  sur 
une  ressemblance  du  son, 

1°  un  mot  ne  peut  rimer  avec  lui  -  meme.  Ainsi  les  exemples  suivants 
sont  condamnables : 

Temoin  trois  procureurs,  dont  icelui  Citron 
A  de"chire  la  robe.     On  en  verra  les  pieces. 
Pour  nous  justiner  voulez -vous  d'autres  pieces? 

Rac.  Les  Plaid.  III,  3. 
Son  image  est  toujours  presente  a  ma  tendresse. 
Ali !  quand  la  pale  automne  aura  jauni  le  bois, 
()  mon  pere,  je  veux  promener  ma  tendresse 
Aux  lieux  oü  je  te  vis  pour  la  derniere  fois. 

Millevoye ,  l'Anniversaire. 

II  y  a  des  monosyllabes  qui,  plaees  ä  la  fin  de  certains  mots,  se  com- 
binent  avec  eux  de  maniere  a  n'en  former  qu'un.  La  rime  de  deux  mots 
termines  par  ces  monosyllabes  est  admise  dans  le  genre  simple.  Ex.: 

Aime  - 1  -  eile  quelque  autre?  —  Encor  moins.  —  Qu'obtiendrai  -  j  e?,— 
Je  ne  sais.  —  Mais  enfiü,  dis  -  moi.  —  Que  vous  dirai-je? 

Com.  Le  Ment.  V,  5. 
A  vous,  marquis!  pour  cette  epreuve  -  la 
Les  grosses  voix  sont  toujours  les  meilleures. 
Lors  le  Marquis  de  crier:  Es  -  tu  lä? 

Tons  de  Verdun,  I'Echo  merv. 

Quand  les  poetes  tächent  de  produire  un  efl'et  particulier  par  la  rime 
du  meine  mot,  il  faut  leur  permettre  de  s'ecarter  de  la  regele  generale.  C'est 
ce  qu'a  fait  le  poete  Le  Brun ,  pour  imiter  un  echo,  dans  la  traduction  d'un 
episode  de  Virgile: 

Sa  voix  disait  encore:  O  ma  chere  Eurydice! 
Et  tout  le  fleuve  en  pleurs  repondait:  Eurydice! 

est  long."  La  Harpe:  Renes  et  renn  es,  dont  Tun  est  tres-long  et  l'autre 
tres  -  bref,  riment  d'autant  plus  mal  que  les  deux  mots  sont  plus  ressem 
blans.  —  D'Olivet,  prosod.  frany-,  p.  131:  „Une  breve,  a  la  rigueur,  ne  doit 
rimer  qu'avec  une  breve,  et  une  longue  avec  une  longue."  Port -Royal:  „11 
faut  eviter  autant  qu'on  peut  d'allier  les  rimes  feminines  qui  ont  la  p^nul- 
tieme  longue  avec  Celles  qui  l'ont  brevo."  —  Marmontel  condamne  les  rnnes 
troinpette  et  tempete,  homme  et  Symptome,  boussole  et  pole, 
couronne  et  tröne. 


344  Miscellen. 

et  Chateaubriand,  La  Patrie: 

Helene  appuyait  sur  mon  coeur 
Son  cceur. 

2°  Quand  deux  mots,  s1ecrivant  de  memo,  ont  un  sens  diflerent,  ils  pen- 
vent  rimer  ensemble.  Souvent  l'egalite  du  son  n'est  que  fortuite.  On  dit  a 
cet  e"gard  que  la  rime  des  homonymes  est  recue.  Ex.: 

Contre  un  fier  ennemi  precipitez  vos  pas; 
Mais  de  vos  allids  ne  vous  separez  pas. 

Rae.  Alex.  I,  3. 
Notre  malheur  est  grand,  il  est  au  plus  haut  point. 
Je  l'envisage  entier,  mais  je  n'en  fremis  point. 

Com.  Hör.  II,  3. 
Tel  que  vous  me  voyez,  monsieur,  ici  present 
M'a  d'un  fort  grand  souiflet  fait  un  petit  present. 

Rac.  Les  Plaid.  II,  5. 
Belle  necessite'  d*interrompre  mon  somme! 

Le  sort,  de  sa  plainte  touche 
Lui  donne  un  autre  maitre;  et  l'animal  de  somme 
Passe  du  jardinier  aux  mains  d'un  corroyeur. 

La  Font.  Fabl.  VI,  11. 
Savez-vous  qui  je  suis 
Maintenant?  —  Monseigneur,  qu'importe!  je  vous  suis. 

Hug.  Hern.  I,  2. 

3°  Un  substantif  ne  peut  rimer  avec  son  verbe.  Ainsi,  Racine,  Les  Plaid. 
II,  11  a  eu  tort  de  mettre: 

N'en  sorte  d'aujourd'hui.  L'Intime,  prends  -  y  garde  — 
Gardez  le  soupirail.  —  Va  vite,  je  le  garde33). 

§.  69.  Rime  d'un  simple  avec  son  compose,  ou  de  deux  composes. 

Un  mot  ne  peut  rimer  avec  son  compose,  ni  deux  composes  ensemble, 
quand  ils  ont  conserve  une  grande  analogie  dans  leurs  acceptions,  comme 
jeter,  rejeter:  prudent,  imprudent:  juste,  injuste;  bonheur, 
malheur;  nom,  surnom;  faire,  defaire,  refaire;  ami,  ennemi; 
jours,  toujours.     Ainsi  l'on  condamnera  les  exemples  suivants: 

En  sais  -  tu  tant  que  moiV     J'ai  cent  ruses  au  sac. 
Non,  dit-1'autre,  je  n'ai  qu'un  tour  dans  mon  bis  sac. 

La  Font.  Fabl.  IX,  14. 
Ah!  —  J'entends  eclater  des  bravos  imprevus, 
A  mille  traits  d'esprit  que  je  n'avais  pas  vus. 

Delav.  Les  Comed.  V,  3. 


33)  Ces  rimes  sont  assez  frequentes  dans  Marot  et  encore  dans  Ronsard. 
Je  ne  sais  pas,  s'il  faut  condamner  Thomas  (II  Idel.,  \) 

Tandis  que  ton  pouvoir  m'entraine  vers  la  tombe 
J'ose,  avant  que  j'y  tombe. 

et  Lamartine,  Chute  d'un  Ange,  le  vision:    eile  brise  et  une  brise.     (Du- 
cheril  bläme  cette  rime  en  effet.) 

Diez  derive  la  tombe  de  tumba  (rvfißos)  et  tomber  de  tumbjan 
mot  anglosaxon;  il  derive  briser  de  brize  (eclat)  mot  allemand  et  dit  que 
lorigine  de  la  brise  est  obscure.  La  ressemblance  des  deux  mots  ne  se- 
rait  donc  que  fortuite  et  la  rime  excusable. 


Miscellen.  345 

Quicherat  bläme  aussi  dieux,  adieux  Rac.  Androm.  II,  2,  etre, 
peut- etre  Id.  Beren.  II,  43i>. 

La  rime  est  permise,    si    le  simple   et  le  compose,    ou    deux    coinposes, 
ont  une  signification  eloignee,   ou  si  deux  mots  presentent  une  ressemblance 
fortuite  de  lettres,   sans  que   l'un    soit   derive  de  lautre.     On   pourra  rimer: 
garder,  regarder;  conser ver,  observer ;  couri  r,  secourir;   lustre, 
illustre;  temps,  printemps;  soin,  besoin;  separe,  prdpare ;  fait, 
effet,   parfait;    perraettre,    promettre,    commettre,   soumettre; 
fort,  effort;  front,  affront;  naissance,  reconnaissan  ce35). 
Apprends  que  la  seule  sagesse 
Peut  faire  des  heros  parfaits: 
Qu'elle  voit  toute  la  bassesse 
De  ceux  que  la  faveur  a  faits. 

J.  B.  Rousseau  (II  Idel ,  2.). 
Son  visage  etait  ealme  et  doux  ä  regarder; 
Ses  traits  pacifies  semblaient  encore  gar  der. 

Lamart.  Jocel.  prol. 
Aux  premiers  lueurs  de  l'aube,  sur  la  rive 
Epuise  de  sa  course,  un  messager  arrive. 

Barth.   Napol.,  eh.  II. 
Dejä  les  Mamelucks,  lances  de  toutes  parts, 
Assiegent  des  Chretiens  les  mobiles  remparts. 

Ibid.,  eh.  III. 
On  trouve  quelquefois  en  rime  deux  substantifs  composes  et  derives  du 
grec:    eglogue,    prologue  Boil.,    Disc    au  roi :    bibliot  heque,    hypo- 
theque  Id.  Le  Lutrin,  eh.  IV;  paradoxe,  orthodoxe  Rousseau. 

§.  70.  Rimes  banales. 

II.  La  langue  francaise  ne  fournit  pas  de  rimes  pour  tous  les  mots:  il  n'y 
a  pas  de  rime  pour  triomphe,  perdre3'"').  II  n'est  pas  meme  permis  de 
faire  usage  de  toutes  les  rimes  qui  existent.  II  faut  eviter  les  rimes  ba- 
nales, les  rimes  bizarres,  les  rimes  desagreables. 

1"  Les  rimes  banales  sont  surtout  les  rimes  de  certains  mots  qui  trou- 
vent  tres  -  peu  de  terminaisons  homophones  (jui  leur  correspondent,  en  sorte 
que  la  presence  d'un  de  ces  mots  fait  deviner  eelui  qui  viendra  ensuite.  Ce 
pressentiment  nuit  au  charme  du  vers.     Parmi    ces    rimes  Quicherat,    p.  45, 

M)  Le  meme  critique  dit  qu'il  n'aime  pas  ä  voir  en  rime  sau  ver  et 
conserver  (Corn.  Cinn.  II,  6;  Rac.  Alex.  V,  3;,  deux  mots  dont  la  signifi- 
cation est  la  meme  et  retyinologie  si  voisine. —  De  Castres,  chefs  d'oeuvre, 
p.  26:  Du  temps  de  Marot,  cette  regle  n'etait  pas  encore  adoptee.  Sibilet 
assurait  meme  que  ceux  qui  blämaient  ces  sortes  de  rimes  n'avaient  aueune 
apparence  de  raison. 

3B)  Malherbe  ne  se  permettait  jamais  la  rime  du  simple  avec  le  compose, 
ni  celle  de  deux  composes.  Heureusement  son  autorite  n'a  pas  fait  loi  sur 
ce  point. 

36)  Scarron  se  plaint  de  Timpossibilite'  de  trouver  deux  mots  en  erdre: 

Dans  le  Cocyte  va  se  perdre 
(Rime  qui  peut  rimer  en  erdre, 
Je  le  laisse  ä  plus  fin  que  moi). 

La  langue  ancienne  possddait  cette  rime : 

Li  mauz  des  denz  vous  puist  a erdre 
Aincois  que  james  ne  puist  perdre. 

Barbaz.  T.  III,  p.  376. 


34G  Miscellen. 

eompte :  larmcs,  alarmes;  famille,  file;  prince,  province;  poudre, 
foudre:  juste,  auguste;  illustre,  lustre;  marque,  monarque; 
son^e,  niensonge;  sombre,  nmbre;  hommes  ,  n  ous  sommes;  Die  u, 
adieu,  lieu. 

§.  71.  Rimes  bizarres. 

2°  La  Harpe  accuse  dans  La  Motte  les  rimes  suivantes  d'etre  bizarres, 
burlesques,  heteroclites :  evoque,  e"poque;  Io,  Clio;  strophe,  apo- 
strophe;  enthousiasme,  pleonasme;  dans  Le  Mierre:  fleehe  et 
breche;  dans  Piron  boursoufle,  souffle,  maroufle;  bise,  Cambyse; 
outre,  poutr  e  ;  masque,  fantasque,  fr  as  que,  flasque,  bourrasque; 
demasque.  Teiles  sont  encore  les  rimes  en  ote:  denote,  cornpatriotu 
(Favart) ;  les  rimes  Zoroastre,  astre;  exaete,  acte;  secs,  Grecs. 
Voltaire  releve  dans  Boileau  (Ode  au  siege  de  Namur)  piques  et  briques, 
Quicherat  dans  La  Chaussee  sexe,  perplexe. 

§.  72.  Rimes  choquantes. 

3°  Quicherat  dit  que  les  rimes  de  quelques  terminaisons  verbales  sont 
desagreables  ä  l'oreille. 

a.  De  la  ffle  personne  du  singulier  du  detini  de  la  le  conjugaison : 
leva,  cultiva.  b.  De  la  le  et  de  la  Ile  personne  du  pluriel  du  detini: 
mites,  recütes,  vimes.  Ex.:  transmistes,  mistes  G.  Marot  Ep.  p.  1 39. 
c.  des  imparfaits  du  subjonctif:  f'lattasse,  recusse,  aimät,  aimassent. 
Ex.:  recherchasse,  enseignasse  Regn.  Sat.  XII;  s'ostassent,  sc 
boutassent  C.  Marot.  Ep.,  p.  137.  d.  Des  Illes  personnes  du  futur: 
aimera,  aimeront.  Ex.:  noircira,  blanchira  C.  Marot,  Ep.,  p.  130; 
louera,  desavoueraRegn.  Sat.XV;  blasmeront,  trouveront  Ibid.,  XII. 
e.  Des  participes  du  present:  regardant,  commandant  Com.  La  Mort  III, 2. 
La  raison,  dit  Quicherat,  qui  f'ait  prosirire  le  partieipe  de  la  rime,  est  moins 
une  raison  d'harmonie  qu'une  raison  de  logique:  un  mot  formant  phrase  in- 
cidente  ne  merite  pas  d'etre  mis  a  une  place  oü  il  frappera  l'oeil,  l'oreille  et 
l'intelligence. 

§.  73.  Rime  de  l'hemistiche  avec  la  fin. 
III.  La  rime  destinee  ä  marquer  la  fin  du  vers  ne  doit  pas  etre  eflacee 
pär  un  autre  mot    qui    rime    ou    qui    semble    rimer    dans    le  voisinage  de  la 
rime  principale,  de  sorte  que  l'oreille  puisse  etre   en  suspens    et  sur  la  rime 
principale  et  sur  la  longueur  du  vers. 

1"  L'liemistiche  ne  doit  ni  rimer  ni  sembler  rimer  avec  la  fin  du  vers. 
Cette  regle  est  due  a  Malherbe37).  Ex.: 

ünt  jadis  dans  mon  camp  tenu  les  premiers  rangs. 

Com.  Cinn.  V,   1. 
Je  tiens  mon  ennemi,  mais  je  n'ai  plus  de  f il s 

Id.  Heracl.  IV,  4. 
Sur  un  de  vos  coursiers  pompeusement  orne. 

Rac.  Esth.  II,  5. 
Ses  yeux,  coniuie  effrayes,  n'osaient  se  deto urner. 

Id.  Athal.  II,  2. 
Aux  Saumaises  futurs  preparer  des  tortures. 

Boil.  Sat.  IX. 
Cette  consonnance  vicieuse  a  ete  evitee  ä  dessein  dans  les  vers  suivants: 
Car  c'est  ne  regner  pas  qu'etre  deux  ä  regner. 

Com.  La  Mort  I,  2. 
N'aura  coule  jamais  que  pour  la  liberte.  Voltaire. 

:")  Au  XVIe  siecle,  cette  laute  etait  une  beaute  du  vers  et  s'appelait 
rime  renforcee. 


Mise  eilen.  347 

§    71.  Rime  dans  le  corps  d'un  vers. 

2°  En  general,  deux  mots  du  meine  vers  ne  doivent  ni  rimer  ni  avoir 
l'apparence  de  rimer: 

J'ai  b  esoin  de  tes  so  ins  dans  cette  conjoneture. 

Regn.  Les  Fol.  I,  3. 
De  sorte  qu'en  sortant,  nous  trouvant  tout  hilares. 

Dum.  Calig.,  prol.  3. 

§.  75.  Rime  de  l'hemistiche  avee  une  rime  voisine. 

3°  Malherbe  a  defendu  qii'un  hemistiehe  offrit  une  eonsonnanee  avec 
une  rime  voisine.38).     Ex.: 

Ce  Dieu  t'a  trop  longtemps  abandonne  les  siens. 
De  ton  heureux  destin  vois  la  suite  effroyable; 
Le  Scythe  va  venger  la  Perse  et  les  chretiens. 

Corn.  Poly.  IV,  2. 
Je  ne  t'aecuse  point,  je  pleure  mes  malheurs. 
Je  sais  ce  que  l'honneur,  apres  un  tel  outrage. 

Id.  Le  Cid  III,  4. 
Enfin  las  d'appeler  un  sommeil  qui  le  fuit, 
Pour  ecarter  de  lui  ces  images  funebres. 

Rac.  Esth.  II,   1. 
II  est  pour  le  village  une  autre  providenee, 
Quelle  obscure  indigence  eebappe  a  ses  bienfaits? 

Delille,  Le  eure  de  camp. 
Voltaire  s'est  evidemment  efibree  d'eviter  cette  faute: 

Et  que  de  votre  epoux  .  . .  Vous  ne  le  croyez  pas.  — 
Non,  je  ne  le  crois  point,  et  c'est  vous  faire  injure. 

Cette  rime  n'est.  pas  oft'ensante,  quand  le  poete  veut  produire  un  certain 
effet  par  la  repetition  de  terminaisons  pareilles: 

Et  revenant  toujours,  et  toujours  ecarte 

Et  moleste,  heurte,  porte,  presqu'insulte. 

Delav.  L'ec.  d.  Vieill.  II,   1. 

§.  76.  Rime  des  hdmistiches. 
4°  Les    hemistiebes    de    deux    vers    ne    doivent  pas  rimer    entre  eux  •''•'). 

Je  sais  ce  que  l'honneur,  apres  un  tel  outrage, 
Demandait  ä  l'ardeur  d'un  genereux  courage. 

Corn.  Le  Cid  III,  4. 
Qui  sait  si  cet  enfant  par  leur  crime  entraine 
Avec  eux  en  naissant  ne  fut  pas  eundamne? 
Si  Dieu  le  separant  d'une  odieuse  race  . . . 

Rac.  Athal.  1,  2. 
Mais  j'entends  au  harne  au  la  pauvrete  qöi  chante. 
La  beche  et  le  fuseau  viennent  a  leur  secours. 

Ducis,  le  liamcau  et  la  ville. 
L'enseignement  i'ut  long,  du  moins  i|u'il  nous  protege! 
Dans  cet  hötel,  suivons  un  plus  adroit  manege. 

Arag.  les  Aristocr.  I,  6. 

38)  Au  XVIe  siecle,  cette  rime  fut  recherchee.  Elle  se  nommait  rime 
batelee. 

3»)  Au  XVIe  siecle,  cette  rime  öteit  aflectee :  eile  B'uppelail  alöra  rime 
b  r  i  s  e  e. 


Ex. 


348  Miscellen. 

Cette  rime  est  permise  quand  le  poete  s'en  sert  pour  produire  un  effet 
determine.  C'est  ainsi  que  Moliere  ,  Le  Misanthr.  I,  1,  par  la  ressemblanee 
des  sons,  peint  la  ressemblanee  des  personnes  et  en  semble  augmenter  le 
nombre : 

De  tous  ces  grands  faiscurs  de  protestations, 
Ces  affables  donneurs  d'embrassades  frivoles, 
Ces  obligeants  diseurs  d'inutiles  paroles. 

La  repetition  du  meine  mot  n'est  pas  repiehensible. 

Je  Tai  vu,  dis-je,  vu,  de  mes  propres  yeux  vu, 

Ce  qu'on  appelle  vu.  Mol.  Le  Tart.  V,  3. 

Crom  well  de  ce  clinquant  veut  s'entourer  encor. 

Quand  je  dis  ce  clinquant,  c*est  bien  de  tres-bon  or. 

Hug.  Cromw.  V,  3. 

§.  77.  Retour  de  la  meme  rime. 

IV.  Une  loi  principale  de  la  beaute  c'est  l'unite  dans  la  vari^te  et  la  Va- 
riete dans  l'unite.  La  rime  qui  l'ait  sentir  l'unite  du  vers  dans  la  varieHe  des 
mots,  est  en  elle-meme  une  unite  qui  ne  doit  pas  etre  uniforme,  mais  variee. 

1°  Un  mot  qui  vient  d'etre  place'  a  la  rime  n'y  doit  pas  reparaitre 
avant  une  quinzaine  de  vers.  Ex. : 

Je  tiendrai  ma  parole  et  tu  n'en  doutes  pas. 
Meleriez  -  vous  du  sang  aux  pleurs  qu'on  va  repandre, 
Aux  llammes  du  bikher,  a  cette  auguste  cendre? 
Frappes  d'un  saint  respect,  sachez  que  vos  soldats 
Reculeront  l'honneur,  et  ne  vous  suivront  pas.  Voltaire. 

Mais,  quand  on  veut  repondre  ä  quelqu'un,  ou  qu'on  repete  ses  propres 
paroles,  le  retour  du  meme  mot  en  rime  est  permis.     Ex.: 

Malheureux  Polyeucte!  et  la  loi  des  chretiens 
T'ordonne  -  t-elle  ainsi  d'abandonner  les  tiens?  — 
Je  ne  hais  point  la  vie,  et  j'en  ahne  l'usage, 
Mais  sans  attachement  qui  sente  l'esclavage, 
Toujours  pret  ä  la  rendre  au  Dieu  dont  je  la  tiens; 
La  raison  me  l'ordonne  et  la  loi  des  chretiens. 

Corn.  Poly.  V,  2. 

2°  II  faut  prendre  garde  que  les  rimes  masculines  et  les  rimes  femi- 
nines dans  les  rimes  croisees  naient  le  meme  son.     Ex.: 

Vous  etes  le.  phenix  des  hötes  de  ce  bois. 

A  ces  mots  le  corbeau  ne  se  sent  pas  de  joie; 

Et,  pour  montrer  sa  belle  voix, 
II  ouvre  un  large  bec,  laisse  tomber  sa  proie. 

La  Font    Fabl.  I,  2 

3°  II  faut  se  donner  de  garde  que  les  rimes  masculines  et  feminines 
qui  se  suivent  dans  les  rimes  plates  naient  la  meme  consonnance.    Ex.: 

Je  voyais  les  moissons  du  soleil  eclairees, 
Ondoyer  mollement  sur  les  plaines  dorees; 
Des  forets  s'elever  sur  les  monts  ecartes, 
Des  arbres  couronner  les  bourgs  et  les  cites. 

St.  Lambert  (II  Idel.,  2) 

4°  Dans  les  rimes  plates,   la  meme  consonnance   ne  doit  pas  reparaitre 
deux  fois  de  suite  ä  une  rime  masculine  ou  a  une  rime  feminine.  Ex.: 
Soudain  Potier  se  leve,  et  demande  audience: 
La  rigide  vertu  faisait  son  eloquence. 


Mise  eilen.  349 

Dans  ce  temps  malheureux  par  le  crime  infectä 
Potier  fut  toujours  juste,  et  pourtant  respecte\ 
Souvent  on  l'avait  vu,  par  sa  male  constance, 
De  leurs  emportements  reprimer  la  licence, 
Et  conservant  sur  eux  sa  vieille  autorite 
Leur  uiontrer  la  justice  avec  impunite. 

Volt.  La  Henr.,  eh.  VI. 

Dans  Racine,  Iphig.  IV,  4,  nous  rencontrons  cette  suite  de  rimes:  re"- 
sist£,  atteste,  dire,  souscrire,  empörte,  sürete,  entr^e,  ren- 
conträe,  infortun£,  condamne,  puissance,  licence,  indiscret, 
regret,  arrive"e,  e"levee,  re9oi,  moi,  n£e,  condamn^e,  im  moler, 
couler.  Dans  le  meine  poete,  Bajaz.  I,  4,  toutes  les  rimes  de  quatorze 
vers  qui  se  suivent,  ont  la  finale  e  (e,  e)  :  opposer,  däsabuser,  formte, 
aimöe,  assez,  commences,  niere,  frere,  volonte^,  £cart6s,  plaire, 
taire,  defier,  associer.  —  Les  vers  a  rimes  mele'es  admettent  le  redou- 
blement  des  rimes. 

De  la  succession  des  rimes. 

§.  78.  Regle  generale  de  la  succession  des  rimes. 

Une  rime  masculine  ne  doit  pas  etre  suivie  immediatement  d'une  rime 
masculine  difl'eVente,  ni  une  rime  feminine  d'une  rime  feminine  diffiSrente. 
La  rime  masculine  doit  etre  suivie  ou  de  la  rime  masculine  correspondante 
ou  d'une  rime  feminine;  la  rime  feminine  ou  de  la  rime  feminine  correspon- 
dante ou  d'une  rime  masculine  Marmontel  dit:  „Les  vers  masculins  sans 
mälange  auraient  une  marche  brusque  et  heurtee ;  les  vers  fäminins  sans 
melange  auraient  de  la  douceur,  mais  de  la  mollesse.  Au  moyen  du  retour 
alternatif  ou  periodique  de  ces  deux  especes  de  vers,  la  durete"  de  l'un  et 
la  mollesse  de  l'autre  se  corrigent  mutuellement."  II  n'en  etait  pas  toujours 
ainsi :  les  anciens  poetes  melaient  les  rimes  a  leur  grei0).  Du  Bellay  et  Pas- 
quier  disent  que  Marot,  dans  ses  psaumes,  a  ete  conduit  par  les  exigences  de  la 
musique  ä  alterner  les  rimes.  Bien  anterieurement  la  meme  cause  avait 
du  produire  et  avait  produit  le  meme  rdsultat.  Nous  voyons  dans  beaueoup 
d'anciennes    chansons  les    rimes    se   suceäder  selon    la    regle  moderne.     Des 


i0)  Rutebeuf,    li  testament    de    l'asne    (Idel.  Einl.  II,  p.  87;    Herrig  La 
France,  p.  37). 

Qui  vuet  au  sie"cle  a  honeur  vivre, 

Et  la  vie  de  ceux  ensuyre 

Qui  beent  a  avoir  chevance, 

Mout  treuve  au  siecle  de  nuisance, 
5  Qu'il  at  mesdizans  davantage 

Qui  de  ligier  li  fönt  damage, 

Et  si  est  touz  plains  d'envieux; 

Ja  n'iert  tout  biaux  ne  gracieux, 

Se  dix  en  sont  chiez  lui  assis, 
10  Des  mesdizans  i  aura  six 

E  d'envieux  i  aura  nuef. 

Par  dernier  ne  prisent  un  oes, 

Et  par  devant  li  fönt  teil  feste, 
1 5  Cbascuns  1'encline  de  la  teste,  etc. 

Dans  le  livre  de  Herrig,  il  y  a  une  faute.  Le  copiste  cu  le  compositeur 
a  fait  un  des  deux  vers  10  et  11: 

Des  mesdizans  i  aura  nuef. 


350  Miscellen. 

disciples  <io  J.  Marot,  Ch.  Fontaine  et  J.  Beuchet,  s'imposerent  l'obligation 
de  faire  sucedder  les  rinies  masculines  aux  rimes  feminines:  vers  le  milieu 
du  XVIe  siecle,  on  voit  la  regle  s'etablir.  Konsard  ne  la  respecte  pas  encore 
dans  ses  Premiers  livres  d'Amours  (h  Marie);  mais,  plus  tard,  on  l'y  trouve 
toujours  fidele,  et  c'est  a  lui  que  doit  revenir  l'honneur  d'avoir  fait  passer 
la  loi  concernant  la  succession  des  rimes.  non  seulement  pour  les  vers  ä 
rimes  croisees,  mais  encore  pour  les  vers  ä  rimes  plates.  Jodelle  fut  le  seid 
qui  voulüt  marcber  dans  l'ancienne  voie  plutot  que  de  se  soumettre  a  la 
regle.  Ce  fut  Granier  qui  l'observa  le  premier  dans  la  tragedie.  Richelet 
protesta  contre  la  reforme  encore  au  milieu  du  XVlIe  siecle. 

Dans  les  poetes  modernes,  cette  loi  a  ete  rarement  violee.  Dans  les 
dpigrammes,  les  impromptu,  les  Couplets  destines  ä  etre  chautes  (Beranger), 
on  trouve  quelquefois  deux  rinies  diflerentes  du  Dieme  genre  qui  se  suivent 
immediatement.  Malherbe  a  compose  des  chansons  dont  toutes  les  rimes  sont 
ou  masculines  ou  feminines. 

Qu'on  parle  mal  ou  bien  du  fameux  Cardinal, 
Ma  prose  ni  nies  vers  n'en   disent  jamais  rien; 
II  m'a  fait  trop   de  bien  pour  en  dire  du  mal, 
II  m'a  fait  trop  de  mal  pour  en  dire  du  bien. 

Corneille41). 

A.  Rimea  de  deux  consonnances  pareilles. 

§.  79.  1°  Rimes  plates. 

On  commence  une  piece  de  vers  indiileremment  par  une  rime  mascu- 
line  ou  par  une  rime  feminine.  La  premiere  rime  une  fois  etablie ,  voila 
les  diflerentes  combinaisons  qu'on  pcut  admettre: 

1°  Les  rimes  plates  ou  suivies,  appelees  autrefois  consonnantes,  sont 
Celles  qui  se  succedent  par  couples  de  deux,  alternativement  masculines 
et  feminines.  Ex: 

Quoi!  vous  allez  combattre  un  roi  dont  la  puissance 

Sembla  forcer  le  ciel  a  prendre  sa  defense, 

Sous  qui  toute  l'Asie  a  vu  tomber  ses  rois, 

Et  qui  tient  la  fortune  attacbee  ä  ses  lois! 

Mon  frere,  ouvrez  les  yeux  pour  connaitre  Alexandre: 

Voyez  de  toutes  parts  les  trönes  mis  en  cendre, 

Les  peuples  asservis,  et  les  rois  enchaines; 

Et  prevenez  les  maux  qui  les  ont  entraines. 

Rac.  Alex.  I,  1. 

§.  80.  2U  Rimes  croisees. 
2°  Les  rimes  croisees   presentent  alternativement  un   vers  masculin 


41)  Les  passages  de  Regnard: 

Et  mon  sort  de  tout  point  est  si  conforme  au  vötre 
Qu'il  semble  que  le  ciel  nous  ait  faits  Tun  pour  l'autre. 
Ilomme,  veuf  ni  gar9on!  —  Fille,  femme  ni  veuve.  — 
Le  cas  est  tout  nouveau.  —  L'aventure  est  tres  -  neuve. 

Demoer.  IV,  7. 
et:  Je  veux  sur  votre  front  mettre  le  diademe.   — 

Ne  va  pas  t'y  fier;  ce  n'est  qu'un  strafageme.  — 
Seigneur,  il  court  un  bruit  que  je  ne  saurais  croire. 

Ibid.  V,  4. 
doivent  etre  attribues,  je  crois,  ä  une  ndgligence  du  poete. 


Miscellen.  351 

et  un  vers  feminin.     On  .lonne  eneore  ce   nom  a  deus  rimes  maseulines  sd- 
parees  par  deux  rmies  feminines  suivies,  ou  reciproquement4-).  Ex.: 
Le  passe  n'est  rien  dans  La  vie, 
Et  le  preseut  est  moins  encor: 
Cest  ä  l'avenir  qu'on  se  fie 
Pour  nous  donner  joie  et  tresor. 

.  Chateaubr.,  Nous  verrons. 

lout  esprit  orgueilleux,  qui  s'aime, 
Par  mes  lecons  se  voit  gueri, 
Et  dans  mon  livre  si  cheri, 
Apprend  a  se  hair  soi  -  in  e  in  e. 

Boileau.  Epigr.  XLVIII. 
§.81.  3°  Rimes  melees. 

3°  Les  rimes  melees  sont  celles  dont  la  succession  n'est  soumise  qu'a 
la  regle  generale  donnee  ci-dessus.  Ex.: 

Travaillez,  prenez  de  la  peine: 

Cest  le  fonds  qui  manque  le  moins. 
Un  riebe  laboureur,  sentant  sa  mort  prochaine, 
Fxt  venir  ses  enfans,  leur  parla  sans  temoinS. 
Gardez  -  vous,  leur  dit  -  il,  de  vendre  l'heritage 

Que  nous  ont  laisse  nos  parens: 

Un  tresor  est  caehe  dedans. 
Je  ne  sais  pas  l'endroit;  mais  un  peu  de  courage 
Vous  le  fera  trouver:  vous  en  viendrez  ä  bout. 
Remuez  votre  cbamp  des  qu'on  aura  fait  l'oüt: 
Creusez,  fouillez,  bechez;  ne  laissez  nulle  place 

Oü  la  main  ne  passe  et  repasse. 
Le  pere  mort,  les  fils  vous  retournent  le  champ, 
De9ä,  delä,  partout;  si  bien  qu'au  bout  de  Tan 

II  en  rapporta  davantage. 
Dargent,  point  de  caehe.     Mais  le  pere  f'ut  sage 

De  leur  montrer,  avant  sa  mort, 

Que  le  travail  est  un  tresor. 

La  Font.  Fabl.  V,  9. 

B.    Rimes  redoubMes. 

§.  82.   1°  Rimes  suivies. 

Le  nombre  des  consonnances  pareilles  est  ordinairement  de  deux:  les 
rimes  redoubl  ees  ofl'rent  plus  de  deux  consonnances  pareilles. 

Le  Systeme  des    rimes    rcdoublees    dans    les    rimes    suivies    n'a   pas  6te 
admis.     Martin  Lefranc,   dans   une   piece  d'uhe  quarantaine  de  vers,    a  em- 
ploye  la  succession  de  rimes  procedant  regulierement  par  trois. 
O  bomme,  reconnois  ce  que  peux  et  que  vaulx; 
L'oail  en  terre  ne  mets,  ne  sur  monts,  ne  sur  vaux. 
Sans  priser  or,  argen t,  armures  ou  chevaux, 

■'■)  De  Castros,  Chefs  d'ceuvre,  etc.  p.  24:  „L'usage  des  rimes  croisdes 
est  fort  ancien,  mais  les  poetes  n'cn  distinguaient  pas  toiijours  deux  especes, 
conmie  on  peut  le  voir  dans  un  vieux  cantique  sur  Saint  Landry  citd  par 
l'al.b,-.  Lebeuf;  F 

Au  tans  Clovis,  fils  du  roi  Dagobert, 

Fu  saint  Lundrv,  evesque  de  Paris: 

Dien  fit  ppur  lui  maint  miracle  en  appeyt 

Sur  les  malades  qui  mmi  alloient  gueri.«. 


352  Miscellen. 

Regarde  vers  le  ciel:  rends  ton  devoir  a  eil 
Qui  note  tous  les  faits  jusques  un  poil  de  eil, 
Et  ne  fais,  comme  Adam,  condamner  en  exil: 
Qui  ne  voulant  user  de  sa  bonne  puissance, 
Fourfit  vers  son  Seigneur  par  d£sob£issance. 
Fiche  ton  coeur  en  Dieu,  car  tu  ne  peux  sans  ce. 

§.  83.  2°  Rimes  eroisees. 

Le  Systeme  des  rimes  redoublees  n'a  pas   non  plus   6t6  adopte-  dans  les 
rimes  eroisees.  Je  ne  connais  que  deux  auteurs  qui  l'aient  tente\ 
O  bouteille 
Pleine  toute 
De  mysteres, 
D'une  oreille 
Je  t'e'coute: 
Ne  diff^res.        Rabelais. 

Que  fit  CeVes, 

Que  fit  Isis, 

Que  fit  Araigne? 

L'une  les  bleds, 

L'autre  courtils, 

L'autre  la  laine.        J.  Marot. 

§.  84.  3°  Rimes  mele'es. 

Le  Systeme  des  rimes  redoublees  est  g^neValenient  admis  dans  les 
rimes  meines.  Ex. : 

Rions,  ehantons,  dit  cette  troupe  impie, 
De  fieurs  en  fleurs,  de  plaisirs  en  plaisirs, 

Promenons  nos  de'sirs. 
Sur  l'avenir  insense"  qui  se  fie! 
De  nos  ans  passagers  le  nombre  est  incertain 
Hätons  -  nous  aujourd'hui  de  jouir  de  la  vie; 

Qui  sait  si  nous  serons  demain? 

Rac.  Athal.  II,  9. 

Quelquefois  trois  rimes  pareilles  sont  placees  de  suite.  Ex.: 
Cieux,  ecoutez  ma  voix.     Terre,  prete  l'oreille. 
Ne  dis  plus,  6  Jacob,  que  ton  Seigneur  sommeille. 
Pecheurs,  disparaissez;  le  Seigneur  se  räveille. 

Rac.  Athal.  III,  7. 
Votre  fait 
Est  clair  et  net; 
Et  tout  le  droit, 
Sur  cet  endroit 
Conclut  tout  droit. 

Mol.  Pourceaugn.  II,  13. 

La  Fontaine  met  assez  souvent  trois  rimes  semblables  de  suite ;  rarement 
il  en  met  quatre;  une  fois  meine  cinq. 

II  ne  faut  pas  prolonger  ces  rimes  au  dela  de  la  periode:  ce  qui  a  ete 
reproche  a  Bernis.  Les  anciens  poetes  et  parmi  les  modernes,  Gresset, 
Chapelle,  Chaulieu,  Voltaire  ont  compose  des  pieces  de  vers  ou  ils  n'em- 
ploient  que  deux  rimes.  Les  poetes  s'imposent  meme  l'obligation  de  re- 
produire  non  seulement  les  meines  rimes,  mais  encore  les  meines  mots  ä  la 
fin  de  chaque  vers.  Ainsi  Du  Bellay  a  fait  un  sonnet,  c'est-ä-dire  qua- 
torze  vers  qui  finissent  tous  par  Tun  des  deux  mots  vie  et  mort.  Ces  jeux 
d'esprit  n'ont  guere    de  m^rite  que  celui    de    la  difhculte  vaineue      II  arrive 


Miscellen.  353 

aussi  que  l'une  des  deux  rimes  seulement  est  redoublee.  On  lit,  dans  La 
Fontaine,  une  dedicace,  de  22  vers,  dont  toutes  les  rimes  masculines  sont 
en  i  s.  Madame  Deshoulieres  a  fait  plusieurs  pieces  dont  les  rimes  femi- 
nines sont  en  ailles,  en  eilles,  en  ille,  en  ouille. 

§.  85.  Pieces  monorimes. 

On  trouve  meme  des  pieces  monorimes,  dans  lesquelles  les  poetes  n'ont 
fait  usage  que  d'une  seule  rime.  C'est  le  Systeme  des  anciens  poemes  h6- 
roiques.  Fauchet,  Recueil  de  l'origine  de  la  langue  et  de  la  poe"sie  fran- 
caise,  p.  554 :  „Ces  poetes  faisoient  la  lisiere  ou  fin  de  leurs  vers  toute  une, 
tant  qu'ils  pouvoient  fournir  de  syllabes  consonnantes,  afin,  comme  je  crois, 
que  celui  qui  touchoit  la  harpe,  violon  ou  autre  instrument,  en  les  chantant, 
ne  fust  pas  contraint  de  muer  trop  souvent  le  ton  de  sa  chaoson,  estans  les 
vers  masculins  et  feminins  mesles  ensemble  irr^gulierement.  Ideler  (Einl. 
II,  p.  260)  a  des  fragments  de  Berte  aux  grans  pies,  par  Adenez,  dont 
voici  un: 

Berte  la  debonaire  a  moult  grand  meschief  ere, 
Qua  l'ajorner  fist  temps  de  moult  froide  matiere: 
„Ha!  Diex,"  fait  -  ele,  „sire,  vrais  rois,  vrai  gouvernere, 
De  mon  cors  et  de  m'ame  soiez  vous  hui  gardere. 
Car  la  nuit  qu'ai  passee  ai  trouve  moult  amere; 
De  moi  faire  assoufrir  n'a  pas  este  avere: 
Ahi!  vieille,"  fait  -  ele,  „et  Tybers  mauvais  lere 
Vostre  grant  traison  convient  que  je  compere. 
Diex  doint  par  sa  pitie  que  encontre  vous  pere." 
Ainz  que  gueres  de  jour  la  endroites  apere 
S'en  depart  la  royne,  car  la  lune  luist  clere 

Ce  morceau  est  suivi  de  cinquante  vers  avec  la  finale  e;  de  soixante-un 
avec  la  finale  ee;  de  quarante  -  huit  avec  la  finale  ment,  etc.  Tous  ces 
vers  monorimes  ou  leonins,  selon  les  anciens,  sont  ou  vers  de  douze  ou  vers 
de  dix  syllabes.  On  ne  s'avisait  jamais  de  faire  des  vers  de  huit  syllabes 
monorime?:  ce  vers,  employe  aussi  dans  la  poesie  e"pique,  est  essentiellement 
a  rimes  plates  (Le  Roman  de  Brut  par  Wace,  la  Chronique  des  ducs  de 
Normandie  par  Benoist  de  Sainte  -  Morej.  La  succession  monorime  demeura 
bien  longtemps  une  loi  de  l'alexändfin.  A  la  renaissance,  on  vit  disparaitre 
tout  a  la  fois  les  romans  de  gestcs,  l'alexandrin  et  le  Systeme  monorime.  La 
proscription  dont  l'alexandrin  fut  frappe  venait  certainement  de  ce  qu'on 
s'imaginait  qu'il  demandait  essentiellement  une  succession  monorime.  Marot 
a  inscrit  quelques-uns  de  ses  poemes:  Vers  alexandrins  comme  pour 
annoncer  quelque  chose  d'extraordinaire,  de  nouveau.  Ce  fut  Ronsard  et  ses 
eleves  qui  le  rmirent  en  honneur. 

C'est  par  exception,  et  dans  des  morceaux  peu  etendus  du  XVe  siecle 
surtout,  que  le  Systeme  monorime  fut  applique  au  vers  de  huit  syllabe  s 
(Alain  Chartier,  Espdranee).  Ce  Systeme  est  reste  un  Jeu  d'esprit,  dans 
lequel  les  poetes  modernes  se  sont  quelquefois  exerces.  (Chapelle  et  Bachau- 
mont,  Le  Voyage;  Le  Franc  de  Pompignan,  Le  Voyage  de  Languedoc  et 
de  Provence;  Collin  d'Harleville,  La  bonne  journee.) 

§.  86.  Vers  blancs. 

II  n'est  pas  permis  de  laisser  un  vers  sans  rimes  (vers  blanc).  J'en  ai 
trouv^  un  dans  La  Font.  Fabl.  VII,  7,  21, 

Et,  flatteur  exessif,  il  loua  la  colere, 

un  autre  dans  Le  Franc  de  Pompignan,  Rois  et  sujets: 

II  depose  en  leurs  mains  sa  balance  et  sa  foudre, 
pourvu   que  le  texte  soit  pur. 


Archiv  f    n    Sprachen      XXVIII. 


2S 


854  Miscellen. 

Nous  en  rencontrons  aussi  dans  les  refrains  de  B^ranger,  par  exemple, 
La  Musique : 

Purgeons  nos  desserts 
Des  chansons  ä  boire, 
Vivent  les  grands  airs 
Du  Conservatoire. 

Bon! 
La  farira  dondaine. 

Gai! 
La  farira  donde\ 

La  traduction  de  Ce'sar,  tragädie  de  Shakespeare,  par  Corneille,  est 
äcrite  en  vers  blancs.  Les  vers  mesure's  (Chap.  XXI.)  sont  pour  la  plupart 
des  vers  blancs. 

Bromberg.  Gustave  Weigand. 


Südliche  Mundarten. 

Es  ist  eine  unschwer  wahrzunehmende  Erscheinung,  dass  eben  so  sehr, 
wie  die  jetzigen  Büchersprachen  von  Italien,  Spanien  und  Frankreich:  das 
Nordfranzösische,  das  Toskanische  und  das  Castilische  von  einander  ab- 
weichen ,  umgekehrt  einzelne  Mundarten  der  entsprechenden  drei  Länder 
sich  einander  nähern.  Das  Provenzalische  schwankt  zwischen  den  volleren 
südlichen  Endungen  und  den  verkürzten  hin  und  her,  so  z.  B.  heisst  es  in 
einem  und  demselben  provenzalischen  Gedichte: 
(chanto')ls  auzellos  und 
chanton  li  auzel, 
„die  Vögel  singen."  —  Nirgend  ist  wohl  der  Unterschied  in  den  Endungen 
jener  drei  Sprachen  grösser,  als  beim  Zeitworte.  Während  dort  im  Ita- 
lienischen ,  Spanischen,  Portugiesischen  meistens  der  weibliche  Tonfall  vor- 
herrscht, ist  beim  Französischen  das  Gegentheil  der  Fall,  dem  sich  das 
Provenzalische,  die  Mundarten  von  Valencia  und  Venedig  etc.  hierin  nähern. 
Die  drei  südlichen  Büchersprachen  haben  also,  dem  Augenschein  nach  zu  ur- 
theilen,  die  älteren  Bildungen  bewahrt,  da  es  die  längeren  sind. 

Man  vergleiche 
ital.  span.  u.  portug.  franz.  provenz.  valenc. 

amato  amado  ahne"  amat  amad 

amando  amando  aimant  amant  amant. 

So  bedeutet  im  folgenden  Gedichte  aus  Piemont  oder  Umgegend ,  vist : 
visto,  veduto. 

(Möge  es  vergönnt  sein ,  hier  gleich  einige  kleine  Stücke  Volksdich- 
tung etc.  mit  Umschreibung  folgen  zu  lassen.) 

Rivista    Contemporanea. 

Lezione  Canavese. 

L'Assedio  di  Verrua. 

Castello  de  Verüa  Castello  di  Verrua 

S'a  l'e  tan  bin  pi'antä  Sel'e  cosi  bene  pi'antato, 

Piantä  su  cule  röche,  Pi'antato  in  su  quelle  rocele, 

Ch'ai  passa  '1  Po  da  lä,  Che  lü  passa  '1  Po  da  lato, 

La  bela  a  la  fmestra  La  bella  alla  finestra 

An  bas  l'ha  risguardä;  In  giü  ella  ha  sguardato 

L'ha  vist  veni  na  barca  Ella  ha  visto  venir  una  barca 


Miscellen 


855 


Cariä  de  gent  armä, 
Con  j'arme  ch'ai  lürio, 

Ch'a  smiavo  andorä. 

La  bela  tira  napera, 
La  barca  le  sparfondä. 
Na  füssa  de  cula  pera, 

Verüa  saria  piä, 

Sarfa  piä  Verüa, 
Castel  de  Monfera. 


Carica(ta)  di  gente  armata, 
Colle  arme  che  h  rilucevano 

®»  {ESS»}  *"»-• 

La  bella  tira  una  pietra, 
La  barca  ella  e  sprofondata. 
(Se)  Non  fosse  (di)  quella  pietra, 

^errua   ( sarebbe  j  Presa' 
Sana  presa  Verrua 
Castel  di  Monferrat. 


.  Man  sieht  die  Annäherung  an's  Französische,  das  ja  schon  jenseits  der 
lpen  gesprochen  wird.  Das  ü  ist  sonst  dem  Italienischen  fremd;  durch 
"iese  Abwerfung  der  Endungen ,  die  diesen  Mundarten  und  dem  Franzö- 
sischen  nicht  allein  eigenthümlich  ist,  durch  die  auch  das  Deutsche  verkürzt, 
wenn  auch  wahrlich!  nicht  verschönert  ist,  scheint  das  Italienische  auf  den 
ersten  Blick  in  Beziehung  auf  den  Wörterfall  vermannichfacht  und  somit 
für  das  Lied  geeigneter  zu  sein ;  hat  es  auf  diese  Weise  aber  an  männ- 
lichem Wörterfall  gewonnen,  an  dem  es  ihm  sonst  fehlt  (während  im  Fran- 
zösischen das  Gegentheil  der  Fall  ist),  —  so  hat  es  doch  andrerseits  den 
Unterschied  der  Geschlechter  in  den  Mittelwörtern,  wie  risguardä,  armä  ein- 
gebüsst  (vgl.  auch  hierin  das  Französische  in  Bezug  auf  die  Endungen  e 
und  ee).  Das  1  in  pi'antä  ist  acht  italienisch ,  an  bas  dagegen  ist  durchaus 
untoskanisch  und  scheint  durch  die  Nachbarschaft  des  Französischen  ein- 
gedrungen. Das  F  deute  ich  durch  ella.  Das  j'arme  kann  auf  den  Ge- 
danken bringen,  als  sei,  wie  gli  für  li  (i),  das  noch  vor  dem  „unreinen  s" 
(s  impura)  gebraucht  wird,  auch  glie  für  le  gesprochen.  Mit  ai  vgl.  französ 
y,  smiavo  entspricht  sembiavano. 

Hier  folge  etwas  aus  dem  „befreiten  Jerusalem"  venezianischer  Gon- 
doliere leider!  vergangener  Zeiten,  wie  es  Byron  in  seinen  Anmerkungen 
zu  „Ritter  Harold's  Wallfahrt"  veröffentlichte: 


Mundart  von  Venedig. 
Lärme  pi'etose  de  cantar  gho  vogia, 
E  de  Goffredo  la  immortal  braura 
Che  al  fin  l'ha   lfbera  ea  strassia,    e 

dogia 
Del  nostro  buon  Gesü  la  Sepoltura 
De  mezo  mondo  unito,  e  de  quel  Bogia 
Misster  Pluton  no  l'ha  bu  mai  paura : 

Dio  l'ha  agiutä,  e  i  compagni    spar- 

pagnai 
Tutti  '1  gh'i  ha    messi    insfeme    i    di 

del  Dai. 

und  folgende  Wörter  und  Redensarten  in  der  Mundart  von  Valencia: 

Esta  manana  me  levante  a  las    cinco    y  media 

Este    mati      malsad      ä  las  cinq  y  micha   en  el  peuiament  en 

escribir     todo  hacer  media, 

te  ascriute  tot    lo  que  habiade  fer    hasta  meodia. 

Fer,  franz.  faire,   für  hacer,   facer    ist  auffallend,   das  c  fehlt  übrigens 
auch  im  italienschen  fare. 


Uebertragung. 
Le  arme  pi'etose  di  cantar  ho  voglia, 
E  di  Goffredo  la  immortal  braura 
Che  al   fin   l'ha  liberata   con  istrazio 

e  doglia 
Del  nostro  buon  Gesü  la  Sepoltura. 
Di  mezzo  mondo  unito  e  di  quel  Boja 
Signor  Pluton  non  egliba   avuto  mai 

paura : 
Dio  l'ha  ajutato  e   i   compagni  spar- 

pagliati 
Tutti    egli    vegl'ha    messi    insieme    i 

giorni  del  Dai  (?). 


23* 


356  Miscellen. 


Aus  der  niederdeutschen  mundart. 


Die  lutherische  Übersetzung  des  griech.  tiqos  y.iwzQa  Xaxri^siv  (apostel- 
geschichte  9,  5.  26,  14)  lautet:  wider  den  stachel  locken.  Von  dem  sonder- 
baren und  lächerlichen  misverstande,  zu  welchem  der  ungewohnte  ausdruck . 
veranlaßung  geben  kann  und  oft  gibt,  soll  hier  nicht  weiter  die  rede  sein; 
der  eigentliche  sinn  der  worte  pflegt  schon  im  Schulunterricht  hinreichend 
aufgedeckt  zu  werden.  Schwieriger  ist  es  mit  der  form  locken  ins  reine 
zu  kommen.  Zwar  hat  die  etymologie  längst  das  der  hochdeutschen  spräche 
unbekannte  wort  mit  dem  goth.  läikan  (prät.  läilaik),  angels.  läcan,  altn. 
leika,  mhd.  1  eichen,  worunter  springen,  spielen  verstanden  wird,  zu- 
sammengestellt; aber  dabei  ist  es  verblieben,  höchstens  noch  angemerkt 
worden,  daß  richtiger  lacken  geschrieben  werde. 

Ein  vergleich  mit  mhd.  leichen  lehrt,  daß  das  wort  auf  niederd.  stufe 
steht;  und  buchstäblich  entsprechend  der  mhd.  form  würde  die  niederd. 
leken  zu  lauten  haben  (vgl.  mhd.  u.  nhd.  zeichen,  bleich,  niederd.  teken, 
blek).  Das  mit  leichen  unmittelbar  zusammenhangende  subst.  leich,  in 
froschleich  erhalten,  heißt  auch  heute  lek  (poggelek)  im  niederd.,  und  man- 
chen gegenden  ist  leken  selbst  wolbekannt  (vgl.  archiv  XIV,  13G).  Der 
eintritt  des  ö  für  e  mag  wie  in  dörren,  löschen  u.  a.,  die  freilich  hochd. 
sind,  zu  beurteilen  sein ;  auch  kann  das  bestreben  abstand  von  „lecken"  zu 
erhalten  in  anschlag  gebracht  werden. 

Locken  d.  i.  leken  begegnet  übrigens  in  der  bibel  noch  ferner,  teils 
n  derselben  bedeutung  von  Xay.ii^eiv  (1  Sam.  2,  29),  teils  im  eigentlichen 
sinne  von  hüpfen  und  springen,  besonders  der  weidestiere  (Psalm  29,  6.  Jerm. 
50,  11.  Weish.  Salom.  19,  9). 


Dem  neuhochd.  adv.  immer  liegt  mhd.  iemer  zu  gründe,  ahd.  iomer, 
welches  aus  io  mer  (je  mehr)  zusammengestellt  ist;  vgl  franz.  jamais  aus 
jam  magis.  In  der  niederd.  form  jümmers  treten  j,  ü  und  s  hervor.  Der 
Kons,  j  erklärt  sich  wie  die  entwickelung  von  je  aus  mhd.  ie;  niederd.  jig- 
gens  (nhd  irgend)  entspringt  aus  mhd.  iergen.  Der  eintritt  von  ü  für  i 
gründet  sich  auf  die  noch  heute  lebendige  Vorliebe  der  niederd.  mundart  für 
diesen  Wechsel  (vgl.  hülp,  sülwer,  twüschen;  hochd.  hüte ,  silber,  zwischen); 
im  holländ.  gelten  ommers  und  immers  nebeneinander.  Der  anhang  des  s  end- 
lich ist  wie  in  dem  bereits  verglichenen  j  ig  gen  s,  in  blots  (bloß),  gliks 
(gleich),  förts  (sofort),  sowie  in  den  im  früheren  nhd.  üblichen  ferner s, 
weiters  im  dän.  ovrens  (überein)  und  manchen  anderen  Wörtern  nichts 
als  eine  unorganische  Verdeutlichung  des  adverbs. 


Mise  eilen.  357 


Die  bemerkung  Grimms  (gramm.  IV,  352):  „in  einigen  gegenclen  Nieder- 
deutschlands -wird  dem  höflichen  äe  (ihr)  der  anrede  noch  ein  s  e  vorgesetzt : 
dat  is  se  ae  tüffel  (das  ist  ihr  pantoffel,  oder  genau:  sie  ihr  pantoffel)  : 
hier  vertritt  nun  gar  den  dat.  der  acc."  ist  geeignet  bei  Nichtkennern  des 
niederd.  eine  folgerung  hervorzurufen,  welche  mit  der  weise  dieser  mundart 
nicht  zusammenstimmt.  Die  niederd.  rede  nemlich  kennt  einen  vom  accus, 
unterschiedenen  dativ  des  persönlichen  pronoms  überhaupt  nicht,  mithin  kann 
eine  dem  hochd.  ihnen  entsprechende  form  nicht  vorhanden  sein,  sondern 
se  trifft  für  alle  fälle  zu,  also  auch  z.  b  ik  hef  se  den  tüffel  gewen  (Ihnen 
den  pantoffel  gegeben).  Wie  nun  hier  se  als  dativ  zu  fassen  ist,  ebenso  in 
jener  Verbindung  se  äe  (anderswo  richtiger:  se  är).  Niederd.  Ihnen  ist 
allezeit  hochdeutsche  art  und  gilt  so  gut  vom  accus,  als  vom  dat.,  z.  b.  ik 
sali  Ihnen  gröten  (grüßen),  wie  häufig  aff'ektirt  gesprochen  wird. 


Allgemeinen  beifall  hat  die  ansieht  Schmellers  (wörterb.  II,  632.  III,  1  93) 
gefunden,  dal]  meß  er,  mhd.  mezzer,  ahd.  mezzirahs  (vgl.  mezziras,  me- 
zaras  und  andere  zwischenformen)  für  mezzisahs  (mazsahs),  mit  maz 
;  speise,  engl,  meat)  und  sahs  (angels.  seax,  kurze  seitenwaffe,  ursprünglich 
vom  lat.  saxum)  zusammengesetzt  sei,  und  also  eigentlich  eßmeßer  (vgl.  Gr. 
gr.  II,  435)  bedeute.  Verwandlung  von  s  in  r  zeigt  sich  auch  sonst  in  der 
spräche  sehr  häufig  (gr.  I-,  121).  Was  die  niederd.  formen  anlangt,  so  stellt 
sich  zunächst  die  beibehaltung  des  s  heraus:  vorherrschend  mes  oder  mest. 
Aber  beide  stehn  ziemlich  weit  ab  von  einem  im  alts.  anzunehmenden  me- 
tisahs  oder  metsahs.  Zur  vermittelung  dürften  indessen  die  in  anderen 
niederd.  gegenden  üblichen  formen  metser,  mets  (befier  so  als  mit  tz.  wie 
andere  tun,  geschrieben)  dienen;  nemlich  aus  mets,  das  aus  mets  er  gekürzt 
ist,  scheint  durch  assimilation  oder  erweichung  mes  (auch  niederländisch) 
hervorgegangen  und  diesem  wieder  t  angefügt  zu  sein  (vgl.  einst,  palast 
aus  mhd.  eines,  palas).  Umgekehrt  läßt  AYoeste  bei  Frommann  III,  421  und 
bei  Kuhn  IV,  177  mes  aus  mest  entstehen,  nimmt  aber  für  diese  Formen 
zugleich  einen  anderen  stamm  an. 


In  dem  hannov.  wörterverzeichniss  für  deutsche  rechtschreibung  befinden 
sich  die  wörter  boßeln  und  boßel  „von  bözen,  stoßen."  Natürlich  wird 
verstanden,  daß  ß  die  genaueste  folge  des  mhd  z  sei,  was  gleichwol,  näher 
betrachtet,  nicht  der  fall  sein  kann  Denn  jene  beiden  wörter  sind  ohne 
zweifei  niederdeutsch,  werden  auch  in  den  verschiedenen  Wörterbüchern  dieser 
mundart  erzeichnet:  Adelung  nennt  sie  gemein.  Zwar  bezog  sich  schon 
bas  mhd.  bözen  ausdrücklich  auch  auf  Kugel  und  Kegel  (vgl.  schiben  undc 
bözen)  und  noch  heute  wird  in  Baiern  boßen  in  diesem  sinne  gebraucht 
(Schmeller  I,  211);  aber  das  subst.  boßel  bedeutet  wie  im  mhd.  prügel  oder 
bleuel,  nicht  Kegelkugeln,  und  ein  verb  boßeln  ist  im  oberd.  gar  nicht  vor- 
handen. Allein  wie  kommt  es,  daß  im  niederd.  allgemein  boßel,  boßeln, 
nirgends  botel,  botein,  wie  nach  der  regel  das  Verhältnis  zum  hochd.  ver- 


358  Miscellen. 

langen  müste,  gesagt  wird?  Die  entwickelung  scheint  folgende  zu  sein. 
Dem  nihd.  bnzen  entspricht  ein  mittelniederd.  böten;  der  Holländer  braucht 
bötsen,  eine  form  welche  auch  in  niederd.  gegenden  heimisch  ist.  Darnach 
wäre  boßel  durch  assimilation  aus  botsei  hervorgegangen  (vgl.  Spessaet 
aus  Spehteshart),  und  erst  nach  dem  subst.  das  verb  gebildet  worden  (wir 
meißeln,  meißel,  meizen).  Mithin  begreift  es  sich ,  daß  ß  für  durchaus  un- 
organisch gelten  muß  und  nur  als  das  bequemste  mittel  der  ausspräche  zu 
genügen  behalten  werden  kann. 

Mülheim  a.  d.  Ruhr.  K.  G.  Andresen. 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Allgemeines.   - 

R.  Müller,  On  the  origin,  development,  peculiarities  and  destiny  of  the 
English  language.  (Gottingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht.)  8  Sgr. 

Stirling's  Literature  of  Proverbs    (London,  Quaritch.)  21  s. 

J.  B.  Meyer,  Gedanken  über  eine  zeitgeinässe  Entwicklung  der  deutscheu 
Universitäten.  (Hamburg,  Meissner.)  15  Sgr. 

Lexicographie. 

D.  Sanders,  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.     13.  Lieferung.    (Leipzig, 

Wigand.)  20  Sgr. 

Literatur. 

L.  v.  Lancizolle,  Geistesworte  ans  Goethe's  Werken.  2.  Aufl.  (Berlin, 
Nicolai.)  25  Sgr. 

—  —  Geistes worte   aus  Goethe's  Briefen   und  Gesprächen.  (Berlin,  Nicolai.) 

lVe  Rthlr. 

H.  Düntzer,  Goethe  und  Karl  August  während  der  ersten  15  Jahre  ihrer 
Verbindung.  (Leipzig,  Dyk.)  21/,,  Thlr. 

Vier  Jahreszeiten  von  Goethe.  Gedichtet  179G.  Gedeutet  1860  von  Martin. 
(Berlin,  Nicolai.)  1   Thlr. 

A.  v.  Keller,  Nachlese  zur  Schillerliteratur  als  Festgruss  der  Univ.  Tü- 
bingen zum  400.  Jahrestag  der  Stiftung  der  Univ.  Basel.  9  Sgr. 

R.  Gottschall,  Die  deutsche  Nationalliteratur  in  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrh.  2.  Aufl.  2.  Liefrg.  (Breslau,  Trewendt.)  12  Sgr. 

Deutsche  Dichter  und  Denker.  Die  Schätze  der  deutschen  Nationalliteratur 
in  Wort  und  Bild.  Herausgegeben  von  L.  Lenz.  (Hamburg,  Vereins- 
buchhandlung.) 1.  Bd.  1.  Liefrg.  10  Sgr. 

J.  W.  Schaefer,  Literaturbilder.  Darstellungen  deutscher  Literatur  aus  den 
Werken  der  vorzüglichsten  Literarhistoriker.    (Leipzig,  Brandstetter.) 

2'/2  Thlr. 

F.W  ernick,  Handbuch  der  Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur. 
(Leipzig,  Woller.)  1  Thlr.  20  Sgr. 

E.  Guion,  Rousseau  et  le  18.  siecle.   Essai  d'une  characteristique  litt£raire, 

philosophique  et  religieuse.  Strasbourg.  (These  pr.  a  1.  f.  tb.) 
Huon  de  Bordeaux,  Chanson  de  geste  publice  p.  Guessard  et  C.  Grand- 
maison.   (Paris,  Vieweg.) 


800  Bibliographischer  Anzeiger. 

Shakspere's  Werke.  Herausgegeben  und  erklärt  von  N.  Delius.  (Elberfeld, 
Friedrichs.) 

Pericles  16  Sgr. 

Poems  1  Thlr.  2  Sgr. 

Milton's  Comus   übers,  und  mit  einer  erläuternden  Abhandlung  begleitet  von 

Immanuel  Schmidt.  (Berlin,  Weidling.)  20  Sgr. 

Heilige  Lieder.  Aus  dem  Engl,  übertragen  von  J.  M.  Griem.  (Hadersleben, 

Griem.)  24  Sgr. 

E.  Götzinger,  über  die  Dichtungen  der  Angelsachsen,  Caedmon  und  deren 

Verfasser.  (Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht.)  8  Sgr. 

Hilfsbücher. 

A.    Bährens,     Kleine    leicht    fassliche    deutsche    Sprachlehre.       (Münster. 

Brunn.)  7]/2  Sgr. 

Auswahl    deutscher  Gedichte  für    die    mittlem    und    obern  Classen    von  Dr. 

C.  F.  Schmid.  2.  Tbl.  (Friedberg,  Bindernagel  &  Schirapff.)  17y2  Sgr. 
K.  A.  J.  Hoffmann,  Rhetorik  für  Gymnasien.  2.  Abthlg.  (Die  Lehre  von 

der  Erfindung,    von   der  Anordnung,    von  den  wichtigsten  Kunstformen 

der  pros.  Darleg.  (Clausthal,  Grosse.)  I  1  V-,  Sgr. 

F.  d'Hargues,  Method.  Lehrgang  für  den  Unterricht  in  der  franz.  Sprache. 

I.  Cursus.  3.  Aufl.  (Berlin,  Schneider.)  8  Sgr. 

L.  Noire.  Aufgaben  zu    franz.  Stilübungen    für  höhere  Unterrichtsanstalten 

in  4  Stufen.  (Mainz,  v.  Zabern.)  12  Sgr. 

Anthologie  de  litterature  francaise   publ.  p.  A.  G.  Lundehn.    vol.  I.  Cinna 

p.  Corneille.  (Stolp,  Kölling. )  7x/a  Sgr. 

G.  L.  Stadler,  Lehr-  und  Uebungsbuch  der  italienischen  Sprache.  (Berlin 

Haude  &  Spener.)  D/a  Thlr. 


Schiller' s 

historisches  Taschenbuch  für  Damen  für  das  Jahr  1792. 
Ein  Beitrag  zur  Feststellung  des  Schiller'schen  Textes. 


Die  Gedächtnisstage  unsres  Schiller  haben  dem  Vaterlande 
immer  unverkennbaren  Nutzen  gebracht.  Wie  der  achte  Mai 
des  Jahres  1839  neben  des  Dichters  ehernem  Standbilde  zu 
Stuttgart  eine  reiche,  der  Erforschung  seines  Lebens  und  Schaffens 
gewidmete  Literatur  hervorrief,  ebenso  ist  seine  Säcularfeier  die 
Geburtsstunde  einer  unendlichen  Fülle  von  Liebesgaben  geworden, 
die  das  deutsche  Volk  begeisterungsvoll  den  Manen  Schiller's 
opferte.  Manche  dieser  Gaben  mögen  als  Ergüsse  der  Festes- 
freude ,  als  Kinder  des  Augenblicks  nur  ein  flüchtiges  Dasein 
genossen  haben ;  viele  aber  werden  auch  noch  den  spätesten 
Geschlechtern  Zeugniss  ablegen,  dass  des  Deutschen  Liebe  zu 
seinem  Schiller  stets  mit  dem  Streben  nach  lauterer  Erkenntniss 
seines  Lebens  und  Dichtens  sich  paart.  Dass  unter  diesen  No- 
vemberfrüchten des  Jahres  1859  die  Säcularausgabe  der  Werke 
eine  der  vorzüglichsten  Stellen  einnimmt,  wird  Niemandem  zwei- 
felhaft erscheinen.  Ihren  Schöpfern ,  Männern ,  wie  Wendelin 
von  Maltzahn  und  Joachim  Meyer,  wird  die  ganze  Nation  um 
so  mehr  zum  wärmsten  Danke  sich  verpflichtet  glauben,  je  un- 
haltbarer anerkanntem! assen  die  Schwierigkeiten  ihrer  Arbeit 
sind,  je  lebendiger-  das  Bedürfniss  eines  unverkümmerten,  un- 
verdorbenen Schiller -Textes  schon  längst  aller  Orten  gefühlt 
wird.  Diesen  Männern  nach  besten  Kräften  zu  helfen,  möchte 
bei  der  schweren  Last,  die  sie  zu  tragen  übernommen,  bei  dem 
grossen  Dienste,  den  sie  der  Welt  zu  leisten  im  Begriff  sind, 
Pflicht  eines  Jeden  sein,  der  Schiller,  der  sein  Vaterland  liebt. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIU.  24 


362  Schiller's  Taschenbuch   für  Damen. 

Wenn  wir,  dieser  unsrer  Verbindlichkeit  eingedenk,  zunächst 
jenen  Männern  die  folgende  Untersuchung  zu  widmen  uns  er- 
lauben, so  befinden  wir  uns  mit  derselben  allerdings  nicht  in  der 
glücklichen  Lage,  aus  gänzlich  unbekannten,  handschriftlichen 
Urkunden  eine  verborgene  Wahrheit  an's  Licht  zu  fördern.  Wer 
könnte  wohl  ihnen  noch  zeigen,  was  sie  nicht  längst  mit  eigenen 

Kennerauo-en  o-eschaut!     Wir  möchten  indessen  ihren  Forscher- 
es        ö 

blick  auf  ein  Feld  lenken,  das,  von  der  grossen  Heerstrasse 
weit  abgelegen,  von  Gestrüpp  umwuchert,  Jahre  lang  vernach- 
lässigt und  vergessen,  dem  Dichter  wunderbarer  Weise  Früchte 
trug,  die  nicht  sein  waren.  Als  Beitrag  zur  Feststellung  des 
Schiller'schen  Textes  geben  wir  daher  nur  ein  Scherflein ;  wir 
bringen  jenen  beiden  Männern  und  allen  Freunden  unsres  Dich- 
ters dies  Scherflein  mit  der  Bitte  dar ,  die  folgenden  Worte 
einer  geneigten  Aufmerksamkeit  nicht  unwerth  zu  erachten. 

Für  ein  kleines  Buch  nämlich  wünschen  die  nachstehenden 
Zeilen  des  Lesers  Interesse  in  Anspruch  zu  nehmen,  so  wie  für 
eine  kleine  kritische  Untersuchung.  Das  kleine  Buch  ist  Schiller's 
historisches  Taschenbuch  für  Damen  für  das  Jahr  1792  (Leipzig 
bei  Göschen),  und  die  daran  sich  knüpfende  Untersuchung  be- 
trifft drei  in  demselben  unter  dem  Namen  von  „Bildnissen"  sich 
findende  Abhandlungen.  Dieser  Damenkalender  enthält  bekannt- 
lich ausser  einer  längeren  Vorrede  Wieland' s  und  einem  kurzen 
Bruchstück  aus  der  Geschichte  des  dreissigjährigen  Krieges, 
dem  Anfange  des  dritten  Buches ,  vier  sogenannte  Bildnisse 
denkwürdiger  Personen  aus  der  Zeit  jenes  grossen  Kampfes: 
der  Landgräfin  Amalie  Elisabeth  von  Hessen -Kassel  (f  1651), 
des  Kardinals  Richelieu,  des  Kurfürsten  Maximilian  von  Baiern 
und  des  Kanzlers  Oxenstierna. 

Obwohl  die  drei  ersten  dieser  Lebensgemälde,  um  die  es 
sich  hier  namentlich  handelt,  nur  eine  verhältnissmässig  geringe 
Anzahl  der  kleinen  Kalenderseiten  ausfüllen,  so  können  wir  den- 
noch dem  Leser  die  Mühe  nicht  ersparen,  die  Schicksale  der- 
selben bis  in  die  neueste  Zeit  in  kurzem  Umrisse  sich  zu  ver- 
gegenwärtigen. Lange  Jahre  hatten  sie  mit  vielen  andern  Auf- 
sätzen und  Gedichten  Schiller's  dasselbe  Loos;  sie  waren  ver- 
gessen. HofFmeister  gebührt  das  Verdienst,  in  seinem  grösseren 
Werke  über  den  Dichter  (Schiller's  Leben,  Geistesentwicklung 


Schiller's  Taschenbuch  für  Damen.  363 

und  Werke.  1838,  Bd  3,  S.  183)  zum  ersten  Male  an  sie  er- 
innert zu  haben.  Nach  seinem  Vorgänge  wurden  diese  Bild- 
nisse  von  den  Kennern  der  Schiller-Literatur  bis  auf  die  Gegen- 
wart unbedenklich  dem  grossen  Meister  selbst  zugeschrieben 
und  daher  auch  von  Hoffmeister  und  Boas  in  die  Supplemente 
zu  seinen  Werken  aufgenommen.  S.  Hoffmeisters  Nachlese  zu 
Sch.'s  W.  Bd  4.  S.  474  und  folg.,  Boas'  Nachträge  Bd  2.  S. 
196  und  folg.  Mit  derselben  Uebereinstimmung  erkannte  man 
in  dem  vierten  Lebensabriss,  in  dem  des  Kanzlers  Oxenstierna, 
gestützt  auf  eine  Aeusserung  Schiller's  in  dem  Damenkalender 
von  1793,  wo  der  Dichter  S.  644  denselben  eine  „vortreffliche 
Schilderung"  nennt,  um  so  mehr  die  Hand  eines  andern  Ver- 
fassers ,  als  ein  so  scharfsinniger  Kenner  der  Schiller'schen 
Schreibart,  wie  Hoffmeister,  schon  dem  ersten  Satze  der  Bio- 
graphie es  angesehn,  dass  sie  nicht  aus  des  Dichters  Feder  ge- 
flossen sein  könnte.  Da  seine  Ansicht  über  die  drei  ersten 
Bildnisse  für  die  folgenden  Jahrzehende  im  Allgemeinen  mass- 
gebend blieb  und  keine  Widerlegung  hervorrief,  so  sind  wir 
verpflichtet,  die  Gründe  dieses  Forschers  zu  hören.  Er  findet 
(Schiller's  Leben.  Bd  2.  S.  184)  das  Bild  der  Landgräfin  le- 
bendig, anziehend  und  mit  Neigung  geschrieben,  das  Leben 
des  Kurfürsten  Maximilian  in's  Allgemeine  zusammengezogen 
und  nur  dem  Verstände  zugänlich,  die  Skizze  Richelieu's  durch 
scharfe  Hiebe  gegen  Priester  und  Höflinge  charakterisirt  — 
zum  Zeichen,  dass  damals  beide  in  der  Gunst  bei  Schiller  noch 
nicht  gestiegen  waren.  Bei  dem  nach  seiner  Ansicht  entschei- 
denden Gewicht  dieser  inneren  Gründe  forschte  Hoffmeister 
nicht  weiter  nach  einer  äusseren  Unterstützung  seiner  Annahme; 
das  Dasein  der  Bildnisse  in  Schiller's  Kalender  sprach  ja  ent- 
schieden für  ihre  Abfassung  von  des  Dichters  Hand.  Ausser- 
dem glaubte  dieser  Gelehrte  in  dem  Lebensgemälde  Richelieu' s 
eine  nicht  näher  bezeichnete  Stelle  gefunden  zu  haben,  in  welcher 
der  Schreiber  sich  selbst  den  Verfasser  des  dreissigjährigen 
Krieges  nennt.  Somit  schien  durch  Schiller's  eigne  Worte 
jeder  nur  mögliche  Zweifel  für  immer  beseitigt  zu  sein.  Indem 
wir  uns  in  Betreff  dieses  letzten  Punktes  gleich  hier  die  Bemer- 
kung erlauben,  dass  in  dem  ganzen  Aufsatze  über  Richelieu 
nirgends  eine  Stelle  sich  findet,   welche   eine  derartige  Deutung 

24* 


364  Schiller's  Taschenbuch   für  Damen. 

zulassen  könnte,  haben  wir  nur  noch  zu  erinnern,  dass  Boas  in 
den  Nachträgen  (Bd  2,  S.  505)  ganz  an  Hoffmeister's  Ansicht 
sich  anschliesst  und  zu  den  Beweisen  dieses  Forschers  im  We- 
sentlichen nichts  Neues  hinzufügt.  Nach  Hoffmeister's  gewich- 
tigem Worte  erschien  die  Frage  über  die  drei  Bildnisse  nun  ein 
für  alle  Mal  als  erledigt. 

Dies  möchte  im  Allgemeinen  auch  noch  der  gegenwärtige 
Stand  einer  für  des  Dichters  Freunde,  sowie  für  die  Feststel- 
lung des  Schiller'schen  Textes  nicht  ganz  unwichtigen  Unter- 
suchung sein;  denn  die  Angelegenheit  des  Damenkalenders  hat 
in  den  letzten  Jahrzehenden  eine  eingehende  Besprechung  nicht 
hervorgerufen  und  Hoffmeister's  Ansicht  bis  in  die  neueste 
Zeit  keinen  entschiedenen  Gegner  gefunden.  Den  bedeutenderen 
literaturhistorischen  Werken  lagen  die  kleinen  Anhänge  des 
dreissigjährigen  Krieges  natürlich  zu  fern ;  auch  Emil  Palleske 
konnte  sie  nach  der  ganzen  Anlage  seines  Buches  nicht  berück- 
sichtigen. Leise  Andeutungen  einer  entgegengesetzten  Ansicht 
sind  mir  nur  an  zwei  Orten  aufgestossen.  Karl  Goedeke  führt 
nämlich  in  seinem  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen 
Dichtung  (Bd  II.  S.  1023)  bei  dem  Taschenbuch  für  das  Jahr 
1792  zwar  auch  die  Bildnisse  auf;  an  einer  andern  Stelle  aber 
(a.  a.  O.  S.  1128)  nennt  er  den  Verfasser  des  heimlichen  Ge- 
richtes, Ludwig  Ferdinand  Huber,  als  Mitarbeiter  bei  Schiller's 
Kalender.  Julian  Schmidt  endlich  spricht  sich  (Schiller  und 
seine  Zeitgenossen.  S.  240)  bei  der  Betrachtung  der  Behand- 
lungsweise  des  dreissigjährigen  Krieges,  gestützt  auf  das  Dasein 
der  vier  Bildnisse,  dahin  aus,  Schiller  habe  zuerst  die  Idee  ge- 
habt, das  Ganze  in  Biographien  zu  zerbröckeln,  wie  denn  auch 
Maximilian  von  Baiern ,  Amalie  von  Hessen  und  Richelieu 
wirklich  ausgeführt  seien.  An  einer  anderen,  für  unsere  Zwecke 
nicht  unwichtigen  Stelle  (S.  242)  sagt  derselbe  Gelehrte:  „Mit 
Körner  gemeinschaftlich  wollte  er  (Huber)  eine  Geschichte  der 
Fronde  schreiben,  und  die  Charakteristik  des  Kardinals  Retz 
erschien  auch  wirklich  in  Schiller's  historischem  Kalender  auf 
das  Jahr  1792  (derselbe  enthielt  von  Huber:  Kurfürst  Ma- 
ximilian von  Baiern)."  Abgesehn  davon,  dass  die  Charak- 
teristik des  Kardinals  Retz  in  jenem  Kalender  nirgends  sich 
findet,    wird  im  Verlauf  unsrer  Betrachtung   sich  unzweifelhaft 


Schiller's   Taschenbuch  für  Damen.  365 

herausstellen,  dass  eine  solche  Idee  über  die  Behandlungsweise 
des  dreissigjährigen  Krieges,  die  Fülle  der  Stoffes  in  eine  An- 
zahl Biographien  zu  zerbröckeln,  dem  Verfasser  keineswegs  zu- 
geschrieben -werden  kann. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  vereinzelten  Spuren  einer  von  Hoff- 
meister's  Behauptung  abweichenden,  die  Frage  aber  durchaus 
nicht  erschöpfenden  Ansicht,  - —  den  einzigen  Spuren,  die  uns 
bisher  begegnet  sind  —  erklären  die  in  neuster  Zeit  über 
Schiller  erschienenen  bibliographischen  Werke  sämmtlich  den 
Dichter  für  den  Verfasser  der  drei  Bildnisse,  welche  in  dem 
Kalender  bis  Seite  XXVIII  reichen.  So  Saupe  (Schiller's 
Leben  und  Werke,  1855.  S.  54),  Wenzel  (Aus  Weimars  gol- 
denen Tagen,  1859.  S.  210)  und  das  Wiener  Schiller-Buch 
(Marg.  1627).  Unter  solchen  Umständen  möchte  eine  Unter- 
suchung über  den  Damenkalender  für  das  Jahr  1792  den  Vor- 
wurf einer  ganz  überflüssigen  Arbeit  nicht  verdienen,  und  wenn 
auch  bei  der  Darlegung  dessen,  was  in  Zukunft  als  wohl  be- 
gründete Wahrheit  zu  erachten,  das  sonderbare  Ergebniss  an's 
Licht  treten  sollte,  dass  die  drei  kurzen  Biographien  oder  we- 
nigstens zwei  derselben  aus  Schiller's  Werken  zu  streichen  und 
ihrem  eigentlichen  Verfasser  zurückzugeben  seien,  so  glauben 
wir,  selbst  mit  einem  solchen  Resultate  unsrer  Bemühung  dem 
Lorbeerkranz  des  grossen  Mannes  nicht  ein  Blättchen  zu  ent- 
winden. 

Es  ist  übrigens  eine  auffallende,  der  Schiller -Forschung 
gerade  nicht  zur  Ehre  gereichende  Erscheinung,  dass  Hoff- 
meister's  Ansicht  über  die  vier  genannten  Bildnisse  so  lange 
Zeit  unangetastet  eich  erhalten  konnte,  da  die  Unrichtigkeit  der- 
selben keineswegs  etwa  aus  neu  eröffneten ,  handschriftlichen 
Quellen,  selbst  nicht  aus  dem  an  diesem  Orte  sehr  lückenhaften 
Briefwechsel  Schiller's  mit  Körner  allein  sich  ergiebt,  und  da 
ihr  erster  Vertreter  die  zur  Entdeckung  des  wahren  Sachver- 
hältnisses nöthigen  Schriftstücke  zum  grossen  Theil  in  Händen 
gehabt  und  zu  wiederholten  Malen  benutzt  hat.  Wir  stützen 
uns  nämlich  bei  unsrer  Beweisführung  theils  auf  ein  unten  mit- 
zuteilendes Schreiben  Wieland's  an  Schiller's  Gattin  und  auf 
die  Briefe  desselben  an  seinen  Verleger  Göschen  (S.  Wieland's 
Leben   von    Gruber,    1828.  Bd  4,  S.  225  und  folg.),  theils  auf 


366  Schiller's  Taschenbuch  für  Damen. 

den  Briefwechsel  Schiller's  mit  Körner  und  auf  die  Briefe  Hu- 
ber's  an  Letzteren,  enthalten  in  L.  F.  Huber's  sämmtlichen 
Werken  seit  dem  Jahre  1802,  Tübingen  1806,  Bd  I,  S.  247 
und  folg.  Während  Hoffmeister  die  Schiller  -Körner'sche  Cor- 
respondenz  bei  der  Abfassung  seines  Werkes  natürlich  nicht  in 
Anwendung  bringen  konnte,  haben  ihm  die  angeführten  Schreiben 
Wieland's  sämmtlich  vorgelegen;  aber  unsere  letzte  Quelle  hat 
er  leider  unbeachtet  gelassen.  Diese  veranlasst  uns  zu  einer 
kleinen ,  vielleicht  nicht  ganz  unnöthigen  Bemerkung.  Die 
Hälfte  des  ersten  Bandes  von  Huber's  Werken  füllen  nämlich 
seine  Briefe  an  einen  ungenannten  Freund  aus  den  Jahren 
1783  bis  1792.  Dass  dieser  ungenannte  Freund  Niemand  an- 
ders als  der  Appellationsrath  Körner  in  Dresden  war,  wussten 
die  gleichzeitigen  Recensenten  des  Buches  genau;  nur  unsere 
Zeit  hat  es  vergessen  bis  auf  den  Herausgeber  der  neuesten 
Ausgabe  von  Theodor  Körner's  Werken  (Berlin  1858.  Bd  4,  S. 
76).  Jene  Huber'schen  Briefe  nun,  mochten  sie  auch  bei  der 
beklagenswerthen  Verkürzung  und  Verstümmelung,  in  der  sie 
uns  leider  noch  immer  vorliegen ,  vor  der  Erscheinung  der 
Schiller-Körner'schen  Correspondenz  vielleicht  von  geringerer 
Bedeutung  sein,  haben  nach  der  Veröffentlichung  derselben  je- 
denfalls an  Interesse  und  Wichtigkeit  gewonnen,  da  Huber  der 
Dritte  in  dem  Freundesbunde  war,  welcher  einst  in  Leipzig 
unter  dem  Klange  silberner  Becher  geschlossen  wurde,  und  da 
seine  Schreiben  die  der  beiden  andern  Männer  eine  Reihe  von 
bedeutungsvollen  Jahren  hindurch  begleiten. 

Nach  diesen  Vorbereitungen  können  wir  auf»  die  Erörterung 
unsrer  Frage  näher  eingehen  und  vergegenwärtigen  uns,  um 
den  Damenkalender  in  seinen  einzelnen  Bestandtheilen  vor  un- 
sren  Blicken  sich  entfalten  zu  lassen,  Schiller's  Schaffen  und 
Leiden  während  des  Jahres  1791,  in  dessen  Verlauf  die  Arbeit 
vollendet  werden  musste.  Der  Dichter  erkrankte  bekanntlich 
im  Januar  dieses  Jahres  während  eines  Aufenthaltes  in  Erfurt 
so  bedenklich  und  wurde  in  den  folgenden  Monaten  so  oft  von 
beängstigenden  Brustkrämpfen  befallen,  dass  seine  Freunde  und 
Verehrer  nah  und  fern  mit  der  ernstesten  Besorgniss  um  das 
Leben  des  theuren  Mannes  erfüllt  wurden.  Mitten  unter  diesen 
wiederholten    Krankheitsanfällen ,    die    ihn    nöthigten ,    für    den 


Schiller's   Taschenbuch   für   Damen.  367 

Sommer  seine  Vorlesungen  auszusetzen,  quälte  ihn  die  Anhäu- 
fung unabwendbarer  schriftstellerischer  Arbeiten  und  besonders 
die  Sorge  um  die  Erfüllung  seiner  gegen  Göschen  übernom- 
menen Verpflichtungen ,  die  Sorge  um  die  Fortsetzung  des 
Damenkalenders.  Je  unerwarteter  und  gewaltiger  das  Glück 
war ,  welches  der  Verleger  mit  diesem  neuen  Producte  der 
Schiller'schen  Muse  im  ersten  Jahre  gemacht  hatte ,  um  so 
mehr  musste  ihm  an  der  ununterbrochenen  Fortsetzung  eines 
Werkes  liegen,  bei  dem  er  für  das  Jahr  1792  auf  einen  Absatz 
von  mehr  denn  siebentausend  Exemplaren  mit  Bestimmtheit 
rechnen  zu  können  glaubte.  Es  hatten  ja  diese  jüngsten  Kinder 
der  Literatur,  die  Taschenbücher  und  Kalender,  die  im  letzten 
Drittel  des  vorigen  Jahrhunderts  zum  ersten  Male,  Nutzen  und 
Vergnügen  spendend,  meist  an  die  Herzen  der  Damen  zunächst 
appellirend,  in  reicher  Fülle  von  den  ernsten  Gipfeln  des  deut- 
schen Parnass  hernieder  gestiegen  waren,  mit  überraschender 
Schnelligkeit  die  Gemüther  für  sich  gewonnen.  Was  die 
Wissenschaft  in  rastloser  Arbeit,  in  gründlichster  Forschung 
erbeutet,  das  brachten  die  Taschenbücher  und  Kalender  ohne 
den  Staub  der  Gelehrsamkeit  in  geschmackvollster  Form  auf 
den  heiteren,  Allen  zugänglichen  Markt  des  Lebens;  dabei  er- 
schienen diese  niedlichen  Musenkinder  in  zierlichen  Gewändern 
von  Sammet  und  Seide,  mit  Blumen  und  Gold  reich  geschmückt, 
und  überall  waren  sie  gern  gesehen,  in  der  Actenwelt  der  Be- 
amten wie  im  Prunkgemach  der  Damen.  Wer  damals  zum 
grossen  Publikum  mit  dauerndem  Erfolge  reden  wollte,  musste 
die  unwiderstehliche  Gnomengewalt  dieser  Kalender  zur  Bundes- 
genossin seines  Strebens  sich  erwerben.  Diesen  Einfluss  eines 
Almanachs  auf  die  grosse  Menge  der  Gebildeten  kannte  Wie- 
land sehr  wohl,  als  er  auf  seines  Freundes  Göschen  Veranlassung 
mit  Archenholz  im  Jahre  1789  das  historische  Taschenbuch  für 
Damen  gründete,  welches  von  1790  an  überhaupt  fünf  Mal  er- 
schienen ist;  diesen  Einfluss  kannte  der  Verleger  selbst  sehr 
wohl,  als  er  Schiller's  Feder  für  seine  Zwecke  gewann,  und 
Schiller's  dreissigjähriger  Krieg  ist  es  auch  einzig  und  allein, 
der  das  Gedächtniss  dreier  Bändchen  des  Kalenders  in  alle 
Zukunft  erhalten  hat,  während  die  Jahrgänge  1790  und  1794 
jetzt   längst  vergessen    und   fast    gänzlich    untergegangen   sind. 


368  Schiller's  Taschenbuch  für  Damen. 

Schiller  selbst  endlich  wusste  die  periodisch  wirksame  Allge- 
walt der  Kalendergenossenschaft  auf  das  bildungsbedürftige 
Vaterland  am  besten  zu  würdigen.  Er,  der  in  jeder  Weise  zu 
seinen  Deutschen  geredet,  auf  dem  Katheder  wie  auf  den  Bret- 
tern der  Bühne,  in  dem  engen  Gelehrten -Zirkel  der  deutschen 
Gesellschaft  zu  Manheim  wie  auf  der  breiten  Heerstrasse  der 
Journalistik;  —  er  redete  durch  die  kleine  Zunge  der  Kalender- 
muse, um  durch  ihre  Vermittelung  auf  dem  damals  für  das 
grössere  Publikum  noch  wenig  erschlossenen  Gebiete  der  Hi- 
storiographie Allen  zu  genügen  und  Alle  zu  gewinnen.  Sobald 
er  die  Kalenderarbeit  übernahm,  gab  er  sogleich  die  Idee  seiner 
Vorgänger  auf  und  betrat  —  das  kann  uns  nicht  auffallen  — 
auch  hier  seine  eigene  Bahn.  Wieland  und  Archenholz  hatten 
nämlich  den  Inhalt  des  Kalenders  von  1790  unter  sich  getheilt, 
der  Erstere  die  Geschichte  der  Königin  Elisabeth  von  England 
in  gefälliger,  prunkloser  Manier  erzählt,  der  Letztere  zunächst 
die  pythagoreischen  Frauen  geschildert  und  dann  mit  feiner  und 
gewandter  Hand  eine  Apologie  der  Aspasia  und  der  Julie,  des 
Augustus  Tochter,  entworfen.  Auch  in  einer  solchen  Zerrissenheit, 
auch  mit  diesem  deutsches  Leben  so  wenig  berührenden  Inhalt 
fand  der  Kalender  nicht  ungünstige  Beurtheilung,  und  der  Ab- 
satz des  Buches  rechtfertigte  vollkommen  die  Erwartungen  seines 
Verlegers.  Trotz  dieses  Erfolgs  war  Schiller,  als  er  dem  Iva- 
lender  seine  Feder  widmete,  in  Bezug  auf  Inhalt  und  Form 
durchaus  gegen  den  Plan  seiner  Vorgänger.  Auf  den  ersteren 
Punkt  haben  wir  hier  nicht  näher  einzugehn ;  aber  welch'  ein 
Unterschied  zwischen  seinem  tief  in  das  nationale  Leben  des 
Volkes  eingreifenden  dreissigjährigen  Kriege  und  den  meist 
leichtfertigen  Aufsätzen  des  Kalenders  von  1790!  Der  zweite 
Punkt,  die  Form,  ist  für  uns  wichtiger.  Die  Idee  nämlich,  den 
dreissigjährigen  Krieg  in  einzelne  Biographien  zu  zerbröckeln, 
lag  ihm  durchaus  fern.  Er  hat  dies  nicht  allein  durch  den  Ka- 
lender von  1791  bewiesen,  der  ganz  seine  und  nur  eine  Arbeit 
war ;  sondern  er  hat  sich  auch  über  die  Verkehrtheit  einer  solchen 
Behandlungsweise  in  folgenden  klaren  Worten  an  seinen  Freund 
Körner  ausgesprochen  (B.  mit  K.  II,  S.  349):  „Ich  bin  gar 
nicht  für  ein  Quodlibet  von  mehreren  Verfassern.  Das  ruinirt 
Göschen;  denn  kein  Mensch  wird  es  kaufen.  Es  muss  ein  Ver- 


Schiller's  Taschenbuch  für  Damen.  369 

fasser  und  eine  fortlaufende  Geschichte  sein,  wenn  das  Publi- 
kum sich  darauf  einlassen  soll."  Diesen  Grundsätzen  gemäss 
übernahm  Schiller  den  Kalender  für  1791  allein  und  lieferte 
ohne  den  überflüssigen  Schmuck  der  Bildnisse  eine  zusammen- 
hängende Arbeit,  und  diese,  sein  dreissigjähriger  Krieg,  wurde 
vielleicht  das  belesenste  historische  Buch  der  damaligen  Zeit. 

Nach  dem  glänzenden  Erfolge  des  ersten  Jahrgangs  seiner 
Arbeit  war  Schiller's  Lage  um  so  peinlicher,  als  er  im  Früh- 
ling und  Sommer  1791  durch  die  unaufhörlichen  Krankheits- 
anfälle sich  fast  in  die  Unmöglichkeit  versetzt  sah,  den  Anfor- 
derungen Göschen' s  zu  genügen.  Wohl  mahnten  die  Freunde, 
namentlich  Körner,  zur  Ruhe,  zur  Erholung ;  die  Brustkrämpfe 
kehrten  wieder  und  mit  ihnen  die  täglich  sich  steigernde  Sorge 

D  OD 

um  den  „verwünschten"  Kalender.  Unter  solchen  Verhältnissen 
ist  der  folgende  Brief  Wieland's  an  Schiller's  Gattin,  datirt 
Weimar  den  17.  Juni  1791,  ein  wichtiges  Dokument;  denn  er 
sagt  in  klaren  Worten,  dass,  da  Schiller  für  seine  Person  zum 
Schweigen  verurtheilt  sei ,  Andere  für  ihn  eintreten  müssten. 
Diesen  Brief  hat  Hoftmeister  in  dem  grösseren  Werke  benutzt 
und  zum  Theil  abdrucken  lassen  (Bd  2,  S«  268),  nur  gerade  die 
Stelle ,  welche  ihn  auch  ohne  die  Körner'sche  Correspondenz 
auf  die  richtige  Spur  hätte  leiten  können,  nicht  weiter  zu  Rathe 
gezogen.  Das  Schreiben  Wieland's  befindet  sich  in  der  Aus- 
wahl von  Briefen  berühmter  Personen,  veröffentlicht  in  dem  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Trier  vom  Jahre  1829.  Da  eine 
solche  Gelegenheitsschrift  schwer  zu  erreichen  ist,  so  lassen 
wir  die  betreffende  Stelle  folgen.  Wieland  schreibt  nämlich  an 
Schiller's  Gattin  (A.  a.  O.  S.  23):  „Ich  bin  überzeugt,  dass 
Ruhe  des  Geistes  und  gänzliche  Enthaltung  von  aller  auch  nur 
mit  einiger  Anstrengung  verbundener  Beschäftigung  nothwen- 
dige  Bedingungen  zur  Erhaltung  eines  Ihnen  und  uns  und  mit 
uns  vielen  Tausenden  so  theuren  und  wichtigen  Lebens  sind,  — 
und  ich  kann  daher  nicht  bergen,  dass  ich  nicht  eher  ruhig 
seyn  kann,  bis  ich  weiss,  dass  Ihr  1.  Gemahl  sich  wenigstens 
für  dieses  Jahr  von  dem  Engagement  gegen  das  Publikum 
und  Herrn  Göschen  wegen  Fortsetzung  und  Beendigung  der 
Geschichte  des  dreissigjährigen  Krieges  losgemaeht^habe.  Ge- 
wiss  —  gewiss  wird   das  Publikum    ihn    dieser    Verbindlichkeit 


370  Schiller's  Taschenbuch  für  Damen. 

mit  der  grössten  Bereitwilligkeit  entbinden ,  so  bald  es  erfährt, 
wie  theuer  es  seine  bäldere  Befriedigung  zu  erkaufen  Gefahr 
laufen  könnte.  Gewiss  wird  es  sich  allenfalls  gerne  an  einem 
oder  zwei  Bogen  der  Fortsetzung  —  als  blossem  Be- 
weise des  guten  Willens  mehr  zu  geben,  wenn's  möglich  ge- 
wesen wäre  —  begnügen  lassen,  und  Herr  Göschen  wird  leicht 
Mittel  und  Wege  finden,  den  leeren  Raum  durch  andere, 
freilich  nicht  aequivalirender,  aber  doch  wenigstens  im 
Nothfall  unser  so  leicht  zu  vergnügendes  Publikum  contenti- 
render  Aufsätze  auszufüllen.  Mich  dünkt,  so  soll  und  muss 
es  arrangirt  werden!  Denn  der  blosse  Gedanke,  dass  die  Ge- 
sundheit, geschweige  das  Leben  eines  Mannes  wie  Schiller  um 
des  historischen  Damen-Kalenders  willen  gefährdet  werden  sollte, 
empört  meine  ganze  Seele."   — 

Nach  diesen  Worten  Wieland's  ist  es  unzweifelhaft,  dass 
Schiller's  Theilnahme  an  dem  neuen  Kalender  nur  eine  be- 
schränkte sein  konnte.  Wer  aber  sollte  ihn  ersetzen?  Die  Auf- 
gabe war  schwer!  Es  galt  ja,  in  der  Kunst  der  Historiographie 
mit  einem  Meister  zu  wetteifern  und  zwar  nicht  in  den  engen 
Schranken  einer  gelehrten  Abhandlung,  die  das  Tageslicht  scheut, 
sondern  auf  der  weiten  Arena  eines  Kalenders,  wo  die  gesammte 
Damenwelt  und  hinter  ihr  das  ganze  gebildete  Publikum ,  so 
weit  die  deutsche  Zunge  reichte,  zu  Kampfrichtern  berufen 
waren.  Wer  schien  fähiger,  würdiger,  dieser  Aufgabe  zu  ge- 
nügen, als  Wieland,  der  Mitbegründer  des  Taschenbuchs?  Wer 
musste  durch  freundschaftliche  und  schriftstellerische  Verbindung 
mehr  zur  Uebernahme  einer  solchen  Arbeit  sich  verpflichtet 
fühlen,  als  er?  Das  Wagstück,  so  verführerisch  für  Manchen, 
lockte  indessen  den  vorsichtigen,  um  seine  schriftstellerische  Re- 
putation äusserst  besorgten  Wieland  keineswegs,  obgleich  drin- 
gende Aufforderungen  dazu  an  ihn  von  Göschen  oder  mittelbar 
von  Schiller's  Gattin  ergangen  sein  mögen.  Er  schreibt  am 
23.  Juni  an  Göschen  (a.  a.  O.  S.  225):  „Es  ist  zur  Erhaltung 
unsers  Schiller's  schlechterdings  nothwendig,  dass  er  wenigstens 
ein  halb  Jahr  von  aller  Arbeit  und  Anstrengung  des  Geistes 
sich  enthalte.  In  dieser  Ueberzeugung  hatte  ich  mir  vorgesetzt, 
Ihnen  mit  ehestem  über  diese  Sache  zu  schreiben  und  Ihnen  vor- 
zuschlagen ,    dass    Sie    den   Kalender    pro    1792    von    irgend 


Schiller's   Taschenbuch  für  Damen.  371 

einem  oder  mehreren  allezeit  fertigen  Beaux-E  sprits 
von  Ihrer  Bekanntschaft,  es  sey  womit  es  wolle,  ausfüllen  lassen, 
und  dem  Publikum,  welchem  gewiss  an  Schiller's  Leben  unend- 
lich mehr  gelegen  ist,  als  an  der  bäldern  oder  spätem  Vollen- 
dung des  dreissig jährigen  Krieges,  die  wahre  Ursache,  warum 
Schiller  diesmal  nicht  Wort  halten  konnte,  sagen  möchten.  Aber 
dass  Madame  Schiller  oder  Sie  darauf  fallen  würden,  dass  ich 
der  Heilige  seyn  könnte,  der  Ihnen  aus  dieser  Noth  helfen  sollte, 
das  fiel  mir  nicht  ein.  Bedürfte  es  indessen  nichts  dazu  als 
des  guten  Willens,  so  sollten  Sie  demungeachtet  keine  Fehl- 
bitte thun.  Aber,  mein  lieber  Freund,  was  Sie  von  mir  ver- 
langen, ist  mir  aus  mehreren  wichtigen  Ursachen  ganz  unmög- 
lich. Ich  kann  mich  jetzt  nicht  darüber  expliziren;  genug,  ich 
würde  Ihnen  versprechen,  was  ich  nicht  halten  könnte,  wenn 
ich  Ihren  Auftrag  übernehmen  wollte.  —  Mir  thut  es  herzlich 
leid,  dass  ich  die  Meinung,  welche  Sie  und  (wie  es  scheint) 
auch  Schiller  von  mir  gefasst  haben,  nicht  rechtfertigen  kann. 
Aber  ich  kann  nichts  dafür,  dass  meine  Kräfte  und  mein  Talent 
weit  engere  Schranken  haben ,  als  Sie  sich  vorstellen.  Und 
nun  kein  Wort  weiter  über  diese  Sache,  die  mir  mehr  als  Einen 
Tag  verbittern  wird."  —  Im  Anfange  des  folgenden  Monats 
befindet  sich  die  Angelegenheit  des  Damenkalenders  noch  ganz 
in  derselben  Lage.  Wieland  schreibt  nämlich  am  4.  Juli  an 
Göschen :  „Ich  hoffe  und  wünsche  sehnlich ,  dass  Sie  Mittel 
finden  mögen,  die  Lücke,  welche  durch  die  leider!  misslichen 
Gesundheitsumstände  unsers  theuren  und  unersetzlichen  Schiller's 
in  Ihrem  Historischen  Damenkalender  entstehen  muss,  auf  eine 
schicklichere  Art  auszufüllen,  als  ich  es  im  äussersten  Noth- 
fall  zu  thun  im  Stande  wäre.  Denn  ehe  ich  Sie  einen  so  em- 
pfindlichen Verlust  leiden  Hesse,  würde  ich  freilich  lieber  mit 
Aufopferung  meiner  schriftstellerischen  Reputazion  das  Mögliche 
und  Unmögliche  versuchen.  Indessen  wünsche  ich  um  Ihret- 
willen und  um  meinetwillen,  dass  es  dazu  nicht  kommen  möge." 
Wenn  nun  Wieland  nach  diesen  Stellen,  die  Hoffmeister 
sehr  wohl  kannte  (a.  a.  O.  Bd  2,  S.  270),  für  seine  Person  die 
Vollendung  des  Kalenders  eigentlich  ablehnte  und  nach  einem 
Briefe  an  Göschen  vom  25.  Juli  zunächst  nur  die  Vorrede 
übernehmen   wollte ,   und   wenn   der  Verleger  den  Erfolg  seines 


372  Schill  er'  s   Taschenbuch  für  Damen. 

Buches  einer  Arbeit  jener  allezeit  fertigen  Beaux-Esprits  von 
seiner  Bekanntschaft  nicht  anvertrauen  mochte:  wer  sollte  dann 
eintreten?  Schiller's  Freunde  waren  im  Jahre  1791  noch  nicht 
so  zahlreich  und  seine  literarischen  Verbindungen  noch  nicht  so 
innig,  dass  bei  der  Kürze  der  Zeit  mit  Zuversicht  auf  einen 
Helfer  in  der  Noth  gerechnet  werden  konnte.  Trotz  all  dem 
finden  wir  schon  Ende  Juli  die  Angelegenheit  vollständig  ge- 
ordnet und  die  Rollen  vertheilt.  Die  alten  Freunde  waren  die 
treusten ! 

Etwa  um  die  Mitte  Juli  reiste  nämlich  Schiller  nach  Karls- 
bad, traf  daselbst  mit  Göschen  zusammen  und  scheint  gleich  in 
den  ersten  Tagen  seines  dortigen  Aufenthaltes  die  Arbeiten  für 
den  Kalender  mit  seinem  Verleger  so  geordnet  zu  haben,  wie 
wir  es  nachzuweisen  im  Stande  sind.  Obwohl  der  Dichter,  wie 
wir  oben  gesehn,  im  Princip  gegen  ein  Quodlibet  von  mehreren 
Verfassern  und  Arbeiten  war,  so  musste  doch  für  das  Jahr 
1792  dieser  Grundsatz  aufgegeben  werden.  Die  Veränderung 
des  ursprünglichen  Planes  wurde  also  keineswegs  durch  eine 
Ansicht  des  Dichters  bedingt,  sondern  durch  seine  traurigen 
Gesundheitsverhältnisse  hervorgerufen.  Man  sah  sich  genöthigt, 
auf  die  Einrichtung  des  ersten  Jahrganges  (von  1790)  zurück- 
zugehen, und  entschied  sich  für  mehrere  Arbeiten  und  verschie- 
dene Verfasser.  Kern  des  Ganzen  blieb  Schiller's  Fortsetzung 
des  dreissig jährigen  Krieges,  zwar  nur  ein  Bruchstück,  aber 
ein  Aufsatz,  der  wider   alle  Erwartung    des  Verlegers    noch  im 

3  DO 

Laufe  des  September  auf  fünf  gross  gedruckte  Kalenderbogen 
angewachsen  war;  Wieland's  verheissene  Vorrede  musste  nach 
einem  ausgedehnteren  Plane  gearbeitet  werden.  Ausserdem 
wurden  einige  Bildnisse  berühmter  Zeitgenossen  beabsichtigt, 
zu  deren  Abfassung  geeignete  Männer  zu  gewinnen  waren. 
Die  desshalb  gepflogenen  Unterhandlungen  liegen  uns  wenigstens 
in  ihren  Resultaten  vor.  Anfänglich  wurde  sogar  auch  an 
Wieland  die  Aufforderung  gerichtet,  eine  Schilderung  des  Cha- 
rakters und  Lebens  des  Kardinals  Richelieu  zu  liefern;  aber  er 
lehnte  dies  Anerbieten  mit  den  Worten  ab:  „Dieser  Gedanke 
gefällt  mir  sehr  wohl,  —  nur  ich  tauge  nicht  zu  solchen  Schil- 
derungen." Körner  war  nun  der  erste,  der  trotz  aller  Berufs- 
arbeit einen  Theil  der  Last,  den  Oxenstierna,  übernahm.     An- 


Schiller's  Taschenbuch  für  Damen.  373 

fänglich  (in  den  ersten  Tagen  des  August)  schien  ihm  die  Ar- 
beit leicht  und  schnell  von  Statten  zu  gehn;  je  mehr  er  aber  in 
seinen  Gegenstand  sich  vertiefte;  je  mehr  er  sich  bemühte,  die 
individuellen  Züge  des  Miniaturbildes  zu  einem  schönen  Ganzen 
zu  gruppiren:  um  so  weniger  genügte   sich  selbst  der    beschei- 
dene   Mann.     Erst  am    12.    October   konnte    er   das    vollendete 
Manuscript,  nach  seinem  eigenen  Urtheil  einen  steifen  und  tro- 
ckenen Aufsatz,    an   den   Verleger  versenden  (Schiller's    Briefw. 
m.  K.  Bd  2,  S.  265).     Ludwig  Ferdinand  Huber,    seit  Ostern 
1788  kursächsischer  Legationssecretair   und    später  Resident  zu 
Mainz,  war  der  zweite  Helfer,    der   in  der  Kalendernoth    seine 
Unterstützung  zusagte.     Er  schrieb  am  31.  Juli  an  Körner    (a. 
a.  O.  S.  423):  „Göschen  hat  mich   gebeten,    an    Schiller's  Ka- 
lender eine  Arbeit  von  fünf  oder    sechs  Bogen  zu  machen,  die 
mir  sehr  beschwerlich  ist,  weil  ich  die  Quellen   ganz   von   vorn 
studiren   muss,    die    ich    aber    bei    Schiller's    Umständen    nicht 
wohl  ausschlagen  konnte."     Die  Nothwendigkeit  dieses  Quellen- 
Studiums   bezieht    sich    augenscheinlich    weniger   auf  Richelieu, 
als  auf  die  beiden    andern  Bildnisse;    denn   Huber   hatte    schon 
für  das  Decemberheft  des  neuen  deutschen  Museums  vom  Jahre 
1790   einen  Abschnitt   aus    den   Memoiren    des    Kardinals    Retz 
bearbeitet,  aus  welchem  Aufsatz  späterhin    eine  Stelle    als  Ein- 
leitung  in   die  Biographie   des  Kalenders  überging.     Noch    eine 
zweite  Aeusserung   in   der  Huber'schen    Correspondenz    ist   für 
unsre  Zwecke  von  Wichtigkeit.    Er  meldet  nämlich  dem  Freunde 
am  16.  August:  „Du  schreibst  mir,   dass  Du   den  Oxenstierna 
hast;  meine  Arbeit   kennst  Du,    mit    welcher   ich  bis  Michaelis 
fertig  sein  muss,  die  Special-Geschichte  von  Hessen  fehlt   ganz 
auf  der  hiesigen  Bibliothek,  auch  bei  Bekannten  finde  ich  nichts 
davon;  —  Du   wärst    ganz  erstaunlich  gut,  wenn  Du  Dich  mit 
der  Landgräfin   Amalia   von  Hessen    noch    chargirtest,    die   ich 
gar  nicht  die  Ehre  habe  zu  kennen,  und  vor  der  mir  sehr  graut. 
Den  Richelieu    und   Kurfürsten    Max    behielt'    ich;   aber 
von    der    Landgräfin   frei   zu    sein,    das   würde   mich   ordentlich 
aufathmen  machen"  (a.  a.  O.  S.  425).     Bei  Hubcr's  vielseitiger 
amtlicher   und   literarischer   Beschäftigung  wuchs    die    doppelte 
Arbeit  nur  langsam,  und  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  October 
konnten   Richelieu   und   Maximilian  an  den    Verleger    gelangen. 


374  Schiller's  Taschenbuch  für  Damen. 

Piquant  schien  dem  Verfasser  der  Erstere;  aber  der  Kurfürst 
war  in  Haltung  und  Sprache  sein  Stolz.  Er  selbst  glaubte  in 
diesem  Bilde  das  alte  Ideal  der  Freunde  von  der  erhabenen 
Ruhe  des  Geschichtsschreibers  verwirklicht.  (Merkwürdig  ist 
übrigens  Schiller's  Urtheil  über  diesen  Aufsatz.  Er  schreibt 
am  17.  November  1792  an  Körner:  „Huber  taugt  gar  nicht  zu 
historischen  Arbeiten,  cla  er  doch  nur  ein  Schwätzer  bleibt; 
sein  Maximilian  ist  nicht  zu  lesen."  Und  dieses  Bildniss  sollte 
nach  Hoffmeister's  Ansicht  unzweifelhaft  aus  Schiller's  Feder 
geflossen  sein !). 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich  also  Folgendes  als  Resultat 
unsrer  bisherigen  Untersuchung  über  drei  Biographien  des  Ka- 
lenders. Oxenstierna,  der  nie  Schiller  zugeschrieben  wurde,  ist 
von  Körner  verfasst,  eine  dem  neusten  Herausgeber  von  Theo- 
dor Körner's  Werken  (Bd  4,  S.  58)  und  auch  sonst  wohl  be- 
kannte Thatsache,  über  die  wir  nur  der  Vollständigkeit  wegen 
o-laubten  berichten  zu  müssen*);  Richelieu  und  Maximilian 
sind  von  Huber  geschrieben  und  daher  auch  in  den  ersten 
Band  seiner  1793  in  Berlin  erschienenen  vermischten  Schriften 
aufgenommen  worden.  Die  an  dieser  Stelle  S.  103  bis  131 
abgedruckte  Abhandlung  über  Richelieu  beginnt  mit  der  fünften 
Seite  des  Kalenderbildnisses;  die  vier  ersten  Seiten  sind  dort 
fortgelassen  worden,  weil  sie  schon  in  demselben  Bande  S.  20 
u.  folar.  in  dem  aus  den  Memoiren  des  Kardinals  Retz  ent- 
lehnten  Aufsatze  zu  lesen  sind.  Das  Bildniss  Maximilian's  steht 
a.  a.  O.  S.  132  bis  Seite  160  vollständig  so,  wie  in  dem  Ka- 
lender. **) 

Es  bleibt  uns  von  den  vier  Bildnissen  des  historischen  Ta- 
schenbuchs nur  noch  ein  einziges  über,  das  der  Landgräfin 
Amalie  Elisabeth  von  Hessen-Kassel.  So  wünschenswerth  es 
wäre,  auch  für  diese  kurze,    nur  wenige  Kalenderblätter,    fast 


*)  Oxenstierna  ist  auch  abgedruckt  in :  Körner's,  des  Aeltern,  Schriften. 
Herausg.  von  Barth.   1859.  S.   104—123. 

**)  Huber's  Gattin  Therese  brachte  schon  (a.  a.  O.  S.  56)  die  nicht 
ganz  unrichtige  Notiz :  „Huber  arbeitete  auch  die  beiden  Aufsätze  aus,  welche 
in  Schiller's  historischem  Kalender  vom  Jahre  1792  erschienen:  die  Charaktere 
des  Kardinals  von  Retz  und  des  Kurfürsten  Maximilian  von  Baiern;"  nur 
beging  sie  den  Irrthum,  „Retz"  und  „Richelieu"  miteinander  zu  verwechseln 
—  ein  Uebelstand,  der  Nachfolger  gefunden  zu  haben  scheint. 


Scbiller's  Taschenbuch   für  Damen.  375 

nur  zwei  Seiten  der  Hoffineister'schen  Supplemente  umfassende 
Biographie  die  Sache  zu  Ende  zu  führen,  so  müssen  wir  doch 
leider  bekennen,  dass  wir  dieser  Dame  gegenüber  ziemlich  in 
ähnlicher  Rathlosigkeit  uns  befinden,  wie  der  gute  Huber.  Zwar 
können  wir  nach  den  mitgetheilten  Verhandlungen  wohl  mit  der 
grössten  Bestimmtheit  die  Behauptung  aufstellen:  Amalie  Eli- 
sabeth ist  weder  von  Körner,  noch  von  Huber  geschrieben; 
wer  aber  der  eigentliche  Verfasser  sei,  ob  Schiller  vielleicht  doch 
selbst  dieses  Bild  entworfen,  zur  Entscheidung  dieser  Frage 
bleibt  bis  jetzt  fast  nur  der  Vermuthung  Raum.  Nach  Huber's 
oben  mitgetheilten  Bemerkungen  liegt  es  nahe,  vor  Allem  an 
einen  hessischen  Gelehrten  zu  denken,  der,  schon  im  Voraus 
mit  der  Quellenkunde  seines  engeren  Vaterlandes  genügend  aus- 
gerüstet, trotz  der  Kürze  der  Zeit  im  Stande  gewesen,  jenes 
Miniaturbild  zu  zeichnen,  und  in  dieser  Beziehung  sind  wir  in 
der  That  nicht  ganz  ohne  Rückhalt.  Schiller  machte  nämlich 
im  September  des  Jahres  1791  während  seines  Aufenthaltes  in 
Erfurt  die  Bekanntschaft  des  hessischen  Professors  Karl  Wil- 
helm Justi  (f  1846)  und  übergab  ihm  ein  am  18.  dieses  Mo- 
nats geschriebenes  Stammbuchblatt,  welches  noch  jetzt  uns  vor- 
liegt.*) Diesen  Professor  Karl  Wilhelm  Justi  möchte  man  für 
den  Verfasser  des  letzten  fraglichen  Bildnisses  um  so  eher  er- 
klären, als  er  nachweislich  zu  wiederholten  Malen  der  Land- 
gräfin seine  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet  hat.  Im  Jahre 
1799  Hess  er  zu  Marburg  als  Waisenhaus -Programm  Bruch- 
stücke aus  ihrem  Leben  drucken  und  gab  1812  zu  Giessen  den 
Versuch  einer  Darstellung  ihres  Lebens  und  Charakters  heraus. 
So  sehr  auch  diese  unsre  Vermuthung  den  Schein  der  Wahr- 
heit für  sich  haben  mag,  so  können  wir  dennoch  selbst  sie 
nicht  aufrecht  erhalten.  Ihr  steht  nämlich  ein  bestimmtes  Zeug- 
niss  Justi's  entgegen,  der  in  seinem  zweiten  Werke  über  Amalie 
Elisabeth  (S.  33)  eine  Stelle  aus  dem  Bildniss  des  Damen- 
kalenders citirt  und  zwar  als  Schiller's  eigenes  Urtheil  über  die 
Fürstin.  Allerdings  beweist  die  Art  der  Anführung  nur,  dass 
Justi  für  seine  Person  den  Dichter  für  den  Verfasser  des  frag;- 


*)  S.  Henke.  Memoria  Caroli  Guilielmi  Justi  etc.  Marburg!  1847.  p.  34. 
35.  J.  Meyer's  Beiträge  zur  Feststellung  des  Schiller'schen  Textes.  Nürnberg 
1858.  S.  19. 


370  Schiller's  Taschenbuch   für  Damen. 

liehen  Aufsatzes  gehalten  hat,  mehr  nicht.  Da  wir  unter  solchen 
Umständen  weder  für  die  Abfassung  der  kurzen  Biographie 
durch  Schiller,  noch  für  die  Autorschaft  eines  andern  Gelehrten 
irgend  ein  unzweifelhaftes  äusseres  Zeugniss  aufzuführen  im 
Stande  sind,  und  da  Hoffmeister' s  Beweisführung  bei  Huber's 
Arbeiten  genügend  dargethan,  wie  wenig  auf  diesem  Gebiete 
den  inneren  Gründen  allein  zu  trauen,  so  müssen  wir  in  dem 
einen  Punkte  die  Entscheidung  offen  lassen.  Die  Frage  nach 
dem  Verfasser  des  vierten  Kalenderbildnisses  sei  hiermit  ange- 
regt, obgleich  nicht  erledigt!  Möge  sie  bei  den  Freunden  des 
Dichters  bald  ihre  Beantwortung  finden! 

Wir  sind  am  Ziele  unsrer  Untersuchung.  Der  Wahrheit 
gemäss  haben  wir  das  Band  zerschnitten,  das  bisher  mehrere  Bild- 
nisse  des  historischen  Taschenbuchs  für  1792  an  Schiller's  Namen 
kettete.  Indem  wir  dem  Dichter  entzogen,  was  nicht  sein  war, 
haben  wir  die  Manen  des  grossen  Mannes  nicht  verunglimpft. 
Dafür  haben  wTir  zu  dem  Denkmal  des  Seelenbundes ,  der  in 
ereignissreichen  Jahren  die  drei  Freunde:  Schiller,  Körner  und 
Huber  zum  rüstigsten  Schaffen  begeisterte,  einen,  wenn  auch 
nur  geringen  Stein  hinzugefügt.  Kaum  ein  Jahr  später,  da  geht 
Huber  in  der  Ferne  seine  eigene  Bahn ;  der  Damenkalender 
des  Jahres  1792  ist  die  letzte  gemeinsame  Frucht  jenes  Freund- 
schaftsbundes. 

Dr.  Kuhlrney. 


In  dem  Aufsatze  „Ra ein e's  Athalia"  im  vorigem  Hefte  sind  folgende 
Fehler  zu  verbessern: 

Pag.  247  Z.  4  v.  u.  statt  meiner  1.  der. 

Pag.  249  Z.  3  v.  o.  statt  ein-  1.  vielfachen. 

Pag.  251   Z.  14  v.  o.  statt  verkündet  1.  verbündet. 

Pag.  254  Z.  2  v.  u.  statt  besehen  1.  bestehn. 

Pag.  255  Z.   12  v.  o.  statt  Triumph ge sänge  1.  Triumphgepränge. 


Zur    angelsächsischen   Literatur. 


In  der  Voraussetzung,  dass  die  vor  einigen  Jahren  in  dieser 
Zeitschrift  (XXI V,  p.  249  —  266.)  von  mir  gegebene  Uebersicht 
des  Studiums  angelsächsischer  Sprache  und  Literatur  in  Deutsch- 
land nicht  unwillkommen  gewesen  ist,  will  ich  im  Folgenden 
einige  Nachträge  und  Ergänzungen  dazu  bringen.  Die  damals 
ausgesprochenen  Wünsche  sind  ohnehin  noch  nicht  alle  in  Er- 
füllung gegangen  und  eine  erneute  Anregung  auf  einem  Gebiete, 
das  noch  immer  Vielen  zu  fern  zu  liegen  scheint,  wird  keiner 
Entschuldigung  bedürfen. 

Zunächst  mag-  Einiges  seine  Stelle  finden,  was  mir  damals 
ganz  entgangen  oder  wenigstens  nicht  aus  eigner  Ansicht  und 
Leetüre  genau  bekannt  war.     Von  einem  altern  Buche  weiss  ich 

© 

auch  heute  nur  den  Titel  zu  geben : 

„F.  Oelrich's  Angelsächsische  Chrestomathie.  4°.  Bremen 
1798."  Früher  noch  findet  sich  bei  Herder  eine  Hinweisung  auf 
den  Werth  der  angelsächsischen  Sprache  und  Literatur,  an  die 
ich  zu  erinnern  nicht  umhin  kann.  Derselbe  sagt  in  seiner  Ab- 
handlung: „Aehnlichkeit  der  mittleren  englischen  und  deutschen 
Dichtkunst."  Aus  dem  deutschen  Museum  1777.  Zur  schönen 
Literatur  und  Kunst  4,  49.  „Der  ungeheure  Schatz  der  angel- 
sächsischen Sprache  in  England  ist  mit  unser  und  da  die  Angel- 
sachsen bereits  ein  Paar  Jahrhunderte  vor  unserem  angeblichen 
Sammler  und  Zerstörer  der  Bardengesänge,  vor  Karl  dem  Grossen 
hinübergingen;  wie?  wäre  alles,  was  dort  ist,  nur  Pfaffenzeug? 
in  dem  grossen  noch  ungenutzten  Vorrath  keine  weitern  Frag- 
mente,  Wegweiser,  Winke?  endlich  auch  ohne  dergleichen,  wie 
wäre  uns  Deutschen  das  Studium  dieser  Sprache,  Poesie  und 
Literatur  nützlich!"  —  Hierzu  aber,  wo  sind  äussere  Anmun- 
terungen  und  Gelegenheiten?   Wie  weit  stehen   wir  in   Anlässen 

©  © 

der  Art  den  Engländern  nach!  Unsre  Parker,  Seiden,  Spelman, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXVIII.  25 


378  Zur  angelsächsischen  Literatur. 

"VVhelok,  Hickes,  wo  sind  sie?  wo  sind  sie  jetzt?  Stussens  Plan 
zur  wohlfeilem  Ausgabe  der  Angelsachsen  kam  nicht  zu  Stande; 
Lindenbrogs  angelsächsisches  Glossarium  liegt  ungedruckt. 

Unter  den  Deutschen ,  die  sich  nach  F.  Grimm  am  ersten 
und  wiederholt  mit  dem  Angelsächsischen  beschäftigten,  hätte 
nicht  vergessen  werden  dürfen:  Fr.  J.  Mone,  welcher  bereits 
1830  angelsächsische  Glossen    veröffentlichte   in    seinem   Buche: 

„Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte  der  deutschen 
Literatur  und  Sprache."  p.  310.  ss.  und  seine  Arbeit  fortsetzte 
im  „Anzeiger."  cf.  z.  B.  1839.  VIII,  233  —  47.  Man  vergl. 
darüber  Bouterwek  im  Caedmon  IL  p.  XV  ss.  und  Hoffmann 
von  Fallersieben  in  Pfeifer's  Germania  III,  221  —  24.  Aus  dem 
Jahre  1825  konnte  erwähnt  werden:  „Versuch  einer  Daratellung 
des   Angelsächsischen  Rechts  von   George  Phillips."    Göttingen. 

In  den  „Altdeutschen  Wäldern,,  II,  189  s.  Leipzig  1838 
erschien  der  Dialpg  zwischen  Adrian  und  Rithaeus. 

In  den  letzten  Jahren  wurden  ferner  von  hierher  gehörigen 
Werken  veröffentlicht : 

1858.  Screadunga.  Anglo-Saxonica  maximam  partem  inedita 
publicavit  C.   G.  Bouterwek. 

Der  Titel  bedeutet:  fragmente,  reliquiae,  nach  dem  als  Motto 
gewählten  Spruch  Joh:  6,  12.  somnias  tha  screadunga,  Sammelt 
die  Brocken.  Die  Schrift  enthält  Evangelien  blossen  als  Nach- 
träge  zu  den  vier  Evangelien  in  altnordhumbrischer  Sprache, 
die  Fragen  Alcuins  über  die  Genesis  von  Sigevulf,  die  Schrift 
Beda's  de  temporibus  anni  in  angelsächsischer  Sprache,  sowie 
ein  Glossar  dazu. 

1859  erschien  der  zweite  Band  von:  Grein,  Dichtungen  der 
Angelsachsen  stabreimend  übersetzt.  Es  finden  sich  darin  An- 
dreas, Juliane,  Guthlar,  Elene,  das  Kreuz,  die  Reden  der  Seelen, 
das  jüngste  Gericht,  das  Gemüth  der  Menschen,  Schicksale  der 
Menschen,  Alfreds  Metra  des  Boethius,  die  Räthsel,  Seefahrer, 
Wandrer,  Klage  der  Frau,  Botschaft  des  Gemahls.  Laut  der 
Vorrede  schliesst  dieser  zweite  Band  vorerst  die  Sammlung  ab 
und  es  bleibt  der  Zukunft  überlassen,  ob  dereinst  noch  ein  dritter 
Band  nachfolgen  werde.  Ueber  Bedeutung  und  Werth  dieser 
Arbeit  ist  bereits  früher  bei  Erwähnung  des  ersten  Bandes  das 
Nöthige  gesagt  worden.    Dort  wurde  auch  auf  die  verdienstliche 


Zur  angelsächsischen  Literatur.  379 

Art  hingewiesen,  in  welcher  Simrock  durch  seine  Uebersetzungen 
die  älteren  deutschen  Gedichte  dem  heutigen  Geschmacke  nahe 
zu  bringen  wisse,  ohne  dass  vorausgesehen  werden  konnte,  wie 
er  seine  Kunst  alsbald  auch  „an  der  bedeutendsten  angelsäch- 
sischen  Dichtung,    dem  Beovulf,   beweisen    wrerde." 

Ebenfalls   1859  nämlich  erschien: 

Beowulf,  das  älteste  deutsche  Epos,  übersetzt  und  erläutert 
von  Dr.  Karl  Simrock,  Stuttgart  und  Augsburg  bei  J.  G.  Cotta. 

Der  Verfasser  hat  seine  Aufgabe  vortrefflich  gelöst,  so  dass 
die  Arbeit  nicht  besser  charakterisirt  werden  kann  als  mit  den 
Worten  seiner  eignen  Vorrede:  „Eine  dritte  Uebersetzung  (neben 
denen  von  Ettmüller  und  Grein)  schien  mir  nicht  überflüssig, 
die  sich  an  ein  grösseres  Publicum  wendete,  und  ohne  mit  jenen 
in  wörtlicher  Uebertragung  wetteifern  zu  wollen,  mehr  auf  eine 
poetische  Wiedergeburt  des  alten  Gedichts  ausginge.  Geist  und 
Stimmung  einer  fernen  Heldenzeit  anklingen  zu  lassen,  und  doch 
dem  Ausdruck  die  frische  Farbe  des  Lebens  zu  verleihen  und 
der  Rede  die  ungezwungene  Bewegung,  vor  Allem  aber  den 
Wohllaut,  der  echter  Poesie  unzertrennlich  verbunden  ist,  das 
schien  mir  die  erste  Bedingung,  damit  der  Leser,  ohne  bei  jedem 
dritten  Worte  einer  Note  zu  bedürfen,  den  Sinn  ahne,  und  von 
der  Schönheit  des  Gedichts  ergriffen,  von  Blatt  zu  Blatt  getragen 
werde.  Nur  so  glaubte  ich  eine  tausendjährige  Kluft  überbrücken 
und  dieser  mit  Angeln  und  Sachsen  ausgewanderten  Dichtung 
neues  Heimatsrecht  bei  uns  erwerben  zu  können."  Die  bei- 
gegebenen Erläuterungen  sind  für  das  allgemeine  Verständniss 
werthvoll;  die  Uebersetzung,  welche  die  Alliteration  ebenfalls 
zeigt,  weit  freier,  aber  auch  weit  weniger  steif  und  fremdartig 
ist  als  die  frühern,  scheint  ganz  geeignet,  dem  Epos  auch  in 
weitern  Kreisen  Theilnahme  und  Freunde  zu  erwerben. 

Abhandlungen  geringeren  Umfangs,  aber  zum  Theil  von  be- 
deutendem Interesse  für  das  Studium  der  angelsächsischen 
Sprache  und  Literatur  wurden  theils  in  Zeitschriften,  theils  be- 
sonders mehrere  veröffentlicht. 

In  der  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  von  Haupt  XI, 
3.  p.  409  —  490.  lieferte  Dietrich  erstens  einen  Aufsatz  „Ket- 
tungen," mit  werthvollen  Beiträgen  für  Lexicon  und  Grammatik, 
Sicherstellung  und  Erläuterung  mancher  seltenen  und  schwierigen 

25* 


380  Zur  angelsächsischen  Literatur. 

Wörter;  sodann  eine  höchst  interessante  Arbeit  über  die  Räthsel 
des  Exeterbuchs,  worin  er  die  Lösung  derselben,  die  bisher  nur 
bei  wenigen  versucht  oder  gelungen  war,  mit  bewundernswerthem 
Scharfsinne  und  glücklichstem  Erfolge  zu  seiner  Aufgabe  machte. 
Sonst  möge  die  Erwähnung  genügen,  dass  in  der  Germania, 
sowie  in  dem  Ebert'schen  Jahrbuche  kleine  Mittheilungen,  Kecen- 
sionen  und  Anzeigen  von  Dietrich,  Hofmann,  Müllenhof,  Keller, 
Grein  über  die  neusten  Erscheinungen  auf  unsrem  Gebiete  vor- 
kommen.     Besonders  erschien  noch: 

Kynevulfi  poetae  aetas,  aenigmatum  fragmento  e  codice 
Lugdunensi  edito  illustrata  a  F.  Dietrich.   Marburgi  1859. 

Dietrich  führt  in  diesem  Programme  mit  grosser  Schärfe 
sowohl  als  Gelehrsamkeit  den  Beweis,  dass  Cynevulf  Verfasser 
nicht  nur  von  Elene,  Juliana,  Christ  und  den  Räthseln,  sondern 
auch  von  Andreas,  Guthlac,  Phoenix,  Physiologus  sei  und  in 
der  zweiten  Hälfte  des  achten  Jahrhunderts  geblüht  haben  müsse. 
Endlich  ist  neuerdings,  wie  in  Frankreich  von  E.  G.  Sandras, 
De  carminibus  Caedmoni  adjudicatis  disquisitio,  so  bei  uns 
Caedmon  zum  Gegenstande  einer  Untersuchung  gemacht  worden: 
„Ueber  die  Dichtungen  des  Angelsachsen  Caedmon  und 
deren  Verfasser  von  Ernst  Götzinger."     1860. 

Es  ist  ein  Versuch,  zu  erweisen,  dass  die  unter  dem  Namen 
Caedmon's  überlieferten  Stücke  (Genesis,  Exodus,  Daniel)  von 
verschiedenen  Verfassern,  ja  aus  verschiedenen  Zeiten  herrühren 
müssen. 

Man  sieht,  dass  es  dem  Studium  des  Angelsächsischen 
auch  in  den  letzten  Jahren  nicht  an  Freunden  gefehlt  hat,  und 
dass  diese  nicht  unthätig  gewesen  sind.  Wenn  früher  über  den 
verhältnissmässig  noch  allzugeringen  Einfluss  desselben  in  wei- 
teren Kreisen,  bei  Bearbeitung  des  Englischen  selbst  geklagt 
werden  musste,  so  kann  jetzt  auf  eine  höchst  erfreuliche  Er- 
scheinung hingewiesen  werden,  während  nach  einer  andren  Seite 
noch  immer  viel  zu  wünschen  bleibt.  Das  einst  von  Fiedler 
versuchte  und  trefflich  begonnene  Werk  einer  wissenschaftlich- 
historischen  Grammatik  der  englischen  Spräche  ist  nämlich 
nach  langem  Zwischenräume  wieder  aufgenommen  und  auf's 
beste  erneut  worden  von  Eduard  Mätzner  in  seiner  Englischen 
Grammatik.     Berlin,  1860. 


Zur  angelsächsischen  Literatur.  381 

Den  Erwartungen,  welche  man  von  dem  Verfasser  der 
französischen  Grammatik  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 
Lateinischen  hegen  durfte,  sind  in  dem  bisher  erschienenen 
ersten  Theile:  „Die  Lehre  vom  Worte"  vollständig  befriedigt 
worden.  Die  Lautlehre  sowohl  als  die  Formlehre  ist  mit  steter 
und  umfassender  Berücksichtigung  der  alten  Sprachstufen  dar- 
gelegt und  in  allen  den  einzelnen  Punkten  die  geschichtliche 
Entwicklung  des  heutigen  Sprachstandes  nachgewiesen.  Das 
Buch  wird  nicht  verfehlen,  Viele  in  die  früheren  Perioden  der 
Sprache  und  so  bis  zum  Angelsächsischen  zurückzuführen.  Um 
so  unerquicklicher  ist  der  Blick  auf  die  Darstellungen  der  angel- 
sächsischen Periode  in  den  Geschichten  der  englischen  Literatur, 
insbesondere  in  dem  neusten  Versuche  dieser  Art,  der  in 
Deutschland  gemacht  worden  ist.  Bekanntlich  fehlte  es  längst, 
bei  grossem  Vorrath  von  Monographien,  Vorarbeiten  und  Unter- 
suchungen an  einer  übersichtlichen,  weder  zu  flüchtigen,  noch 
rein  gelehrten  Geschichte  der  englischen  Literatur  für  uns  — 
ja  in  England  selbst.  Dem  allgemein  empfundenen  Bedürfnisse 
abzuhelfen  bestimmt,  erschienen  während  der  letzten  zehn  Jahre 
ausser  dem  in's  Deutsche  übertragenen,  sehr  lobenswerthen 
Werke  von  Spalding  die  Bücher  von  Scherr,  von  Büchner  und 
von  Gätschenberger.  Unter  diesen  hat  Büchner  seinem  ganzen 
Plane  nach  eine  besondere  Besprechung  der  angelsächsischen 
Literatur  von  vorn  herein  ausgeschlossen;  bei  Spalding  vermisst 
man  für  diesen  Abschnitt  das  rechte  Verständniss,  den  gehörigen 
kritischen  Sinn  und  eigentlich  selbständiges  Eindringen  in  den 
Geist  der  alten  Poesie  nach  ihren  Stoffen  und  Formen.  Was 
Scherr  bringt,  ist,  soviel  der  Umfang  seines  Werkes  erlaubte, 
vollständig  und  den  neusten  Forschungen  entsprechend;  nur 
selten  wird  der  Ausdruck  wohl  durch  Flüchtigkeit  unbestimmt 
und  unklar,  Avie  wenn  er  p.  20  sagt:  „Feststehende  Sylbenmasse 
gab  es  nicht,  Endreime  kamen  selten  vor,  dagegen  wurde  der 
vermittelst  doppelter  Hebung  und  Senkung  der  Stimme  in  zwei 
Hemistichen  getheilte  Vers  durch  den  Stabreim  (Alliteration) 
zusammengehalten  und  gerundet."'  Bei  dem  Buche  von  Gätschen- 
berger: „Geschichte  der  englischen  Literatur  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  politischen  und  Sitten- Geschichte  Eng- 
lands" etwas  länger  zu  verweilen,  wird  nicht  unangemessen  sein, 


382  Zur  angelsächsischen  Literatur. 

weil  es  erst  1859  erschienen,  auch  in  diesen  Blättern  bisher 
nicht  besprochen  worden  ist,  obschon  im  Ganzen  sich  ein  Ur- 
theil  über  dasselbe  sonst  bereits  mit  ziemlicher  Sicherheit  fest- 
gestellt haben  mag.  Das  Werk  ist  leider  wieder  ein  schlagender 
Beweis  dafür,  dass  Jemand  zwar  ein  dringendes  Bedürfniss 
sehr  wohl  herausfühlen,  eine  schöne  und  bedeutende  Aufgabe 
6ich  im  ganzen  richtig  stellen,  selbst  eifrig  an  der  Lösung  ar- 
beiten ,  dabei  auch  wohl  einzelnes  Dankenswerthe  leisten  kann, 
und  dennoch,  weil  die  erforderliche  Begabung  und  Kraft  ihm 
mangelt,  sein  Ziel  verfehlen,  die  selbst  rege  gemachten  und  bil- 
ligen Ansprüche  unbefriedigt  lassen  kann.  Es  kommt  hier  natür- 
lich nur  darauf  an,  dieses  allgemeine  Urtheil,  welches  Seite  für 
Seite  zu  begründen  nicht  schwer  fallen  wrürde,  in  Bezug  auf 
die  Abschnitte  als  gerechtfertigt  zu  erweisen,  die  von  der  angel- 
sächsischen Literatur  handeln  p.  33  —  50. 

Vor  allen  Dingen  fällt  es  auf,  einen  so  übermässig  grossen 
Einfluss  des  skandinavischen  Nordens  auf  die  angelsächsische 
Sprache  und  Literatur  angenommen  zu  sehn.  Die  Angelsachsen 
und  die  Dänen  werden  ausdrücklich  deshalb  nicht  getrennt  be- 
handelt „weil  sie  gleichen  Ursprung  und  nur  so  wenig  ver- 
schiedene Sitten,  Sprache  und  Religion  hatten."-  So  schief  diese 
ganze  Ansicht  ist,  nach  der  Dänen  und  Angelsachsen  als  gleich- 
berechtigte Factoren  in  der  Bildung  englischer  Sprache  und 
Literatur  erscheinen,  ja  geradezu  mit  einander  vermengt  werden, 
so  mangelhaft  und  selbst  verkehrt  sind  die  meisten  Bemerkungen 
über  die  einzelnen  Ueberreste  der  angelsächsischen  Poesie.  Es 
kann  und  soll  hier  nicht  weitläufig  erörtert  werden,  ob  kurzweg 
gesagt  werden  durfte,  „dass  das  Gedicht  Beovulf  unstreitig 
nicht  in  England  entstand,  sondern  aus  dem  Norden  dahin  ge- 
bracht wurde,"  „dass  der  Name  nicht  Bienenwolf  sondern  Wolfs- 
zähmer  bedeute,"  aber  jeder  Kenner  muss  erstaunen,  wenn  er 
liest  was  p.  33  über  den  poetischen  Kalender,  was  über  den 
„Tod  Byrhtnoth"  oder  was  weiter  über  den  Inhalt  des  Beovulf 
gesagt  ist.  Woher  in  aller  Welt  hat  Herr  Gätschenberger  einen 
Grund,  von  dem  ersten  Stücke  (er  kann  doch  kaum  ein  andres 
meinen  als  das  von  Bouterwek  besonders  herausgegebene,  bei  Grein 
II,  1.  abgedruckte  Menologium)  zu  sagen,  es  sei  „ein  poetischer 
Kalender  (Saxon  Menologe)  um's  10.  Jahi-hundert   verfasst  mit 


Zur  angelsächsischen  Literatur.  383 

Prophezeiungen  und  Sprüchwörtern  und,   wie   mir   scheint, 
Fragmente     verschiedener      zusammengewürfelter 
Gedichte,    die    in    keiner    innern    Beziehung    stehen."      Wie 
gehört    überhaupt   dieses  Gedicht  an    eine  Stelle,    wo   doch    die 
Reste  der   volksthümlichen  Dichtung   angegeben  werden    sollten 
und,  wenn  auch  unvollständig  genug,   aufgeführt  werden.     Und 
der    Tod    Byrhtnoths    soll    wie    die    Schlacht   bei   Finsbury   im 
nüchternen  Style   geschrieben,   Mythen   oder  Geschichte  vor 
dem  Schlüsse  des  fünften  Jahrhunderts  enthalten!  Wenn  zum 
Beweise,    wie    sehr    heidnische    Sitte  und  Anschauung   noch    in 
den   von  Christen   gedichteten   Werken   herrschen,    gesagt  wird, 
man  fincfe  selbst  den  Abimelech  und  Holofernes  mit  dem  Bei- 
namen Balder  bezeichnet,  so  zeugt  dies  von  einer  grossen  Un- 
kenntniss    der    Sprache    oder    von    einer   Ungeschicklichkeit   im 
eignen   Ausdruck,    welche    die    Sache    verkehrt    darstellt.     Am 
meisten  charakteristisch  aber  ist  eine  Stelle  über  Beovulf,  p.  36: 
„Auch     im      angelsächsischen     Gedichte     Beowulf 
(Wolfszähmer,  nicht  Bienenwolf),    dieser   merkwürdigen 
Zusammenfassung  ächter  nordischer  Tradition,   welches 
die    alle   Erfindungen   der   kühnsten   Romandichter   weit 
hinter    sich    zurücklassenden    Erlebnisse     dieses     edlen 
Dänen   aus    dem    königlichen    Stamme    der    Skyldinge 
und    insbesondere    seine   Kriege    mit    den    Königen 
von  Schweden  feiert,  ist  die  interessanteste  Stelle  eine 
Beschreibung  der  Kämpfe  des  Helden  mit  einem  männ- 
lichen und  weiblichen  Geiste,  die  jede  Nacht   die  grau- 
samsten  Zerstörungen   in   Hrothgar's  Halle    anrichteten. 
Grendel  hiess  der  männliche  Geist,    und  .der   weibliche 
war   seine    Mutter;    seine   Wuth,    der   Einhalt    zu    thun 
Hrothgar  vergebens  seine  Götter  angerufen,  war  durch 
den  Tod  eines  Onkels  hervorgerufen  worden.    Beo- 
wulf,  ein  Kämpfer,    der  schon  durch   seine  Siege  über 
Seeungeheuer  (nicors)    eine   grosse   Berühmtheit  erlangt 
hatte,    hört    davon   und    aus    blosser  Ruhmbegierde  und 
achtem  Berserkergeist   unternimmt    er    es,    Grendel    zu 
besiegen.      Der  finstere   Dämon    wird   zu    Boden   ge- 
worfen und  versinkt  in  einen  See,    wo  er  später  todt 
an  seinen  Wunden  gefunden  wird." 


884  Zur  angelsächsischen  Literatur. 

Wer  auch  nur  aus  den  Uebersetzungen  Ettmüllers,  Grein's 
oder  Simrock's  das  Epos  kennt,  wird  die  Flüchtigkeit  und  Un- 
genauigkeit  dieser  Inhaltsangabe  rein  unbegreiflich  finden.  Die 
Besprechung  des  Liedes  auf  den  Sieg  bei  Brunnanburg  leitet 
Herr  Gätschenberger  mit  den  Worten  ein:  „Wir  haben  nun 
(nämlich  nachdem  von  Beovulf  die  Rede  gewesen  ist)  noch  von 
dem  zweiten,  bedeutenderen  Ueberreste  angelsächsischer 
Dichtkunst  zu  sprechen,  von  der  Ode  auf  den  Sieg  König 
Athelstans."  Selbst  das  erste  Komma  in  diesem  Satze  für 
einen  Druckfehler  gehalten,  ist  derselbe  nur  bei  Jemand  zu 
entschuldigen,  der  die  angelsächsische  Literatur  seit  zwanzig 
Jahren  hat  aus  den  Augen  lassen  müssen.  Heut  zu  Tage  ver- 
dient doch  wahrlich  jenes  immerhin  interessante  Lied  nicht  als 
das  zweite  bedeutendere  Bruchstück  angelsächsischer  'Dichtung 
aufgeführt  zu  werden. 

Freilich  weiss  Herr  Gätschenberger  auch  in  dem  nächsten 
Abschnitte  „Christliche  Angelsachsen"  nur  sehr  Ungenügendes 
über  die  gewiss  nicht  unbedeutenden  Denkmäler  einer  reichen 
Literatur  zu  sagen.  Er  begnügt  sich  mit  trockner  Aufzählung 
der  herkömmlichen  Namen  eines  Gildas,  Nennius,  Columbanus 
u.  a.;  er  führt  die  beliebte  Erzählung  von  Caedmon  ohne  den 
Versuch  oder  nur  Andeutung  einer  Kritik  an,  er  weiss  Nichts 
von  Leo's  und  Dietrichs  Ermittlungen  über  Cynevulf;  ja  was 
für  ein  Buch,  wie  das  seinige,  das  Schlimmste  ist,  er  versteht 
auch  nicht  einmal  die  Bedeutung  und  das  Wesen  der  ganzen 
kirchlichen  Dichtung  jener  Zeit,  in  welcher  das  volksthümlich- 
Heidnische  noch  immer  durchbricht,  in  kurzen  und  treffenden 
Zügen  zu  schildern.  Alles  verräth,  dass  ihm  kaum  eine  Kennt- 
niss  der  neuern  Forschungen,  geschweige  denn  ein  selbständig 
eindringendes  Wissen  zu  Gebote  gestanden  hat.  Schon  eine 
gewissenhafte  Benutzung  der  hierhergehörigen  Stellen  aus  den 
leicht  zugänglichen  Werken  von  Ettmüller,  Spalding,  Scherr, 
Behnsch  würde  zu  einer  weit  tüchtigeren  und  für  den  all- 
gemeinern Zweck  vollständig  genügenden  Darstellung  der  angel- 
sächsischen Literatur  befähigt  haben.  Ein  selbständiges  Studium 
derselben ,  wenn  auch  seit  zehn  bis  fünfzehn  Jahren  unter  uns 
wesentlich  erleichtert,  hat  immer  noch  manche  Schwierigkeit  für 
Jeden,  der  nur  einen  massigen  Theil  von  Kraft  und  Zeit  darauf 
verwenden  kann.  Schon  deshalb  wird  die  von  der  Redaction 
dieser  Blätter  bei  Gelegenheit  des  frühern  Artikels  in  Aussicht 
gestellte  Herausgabe  eines  Handbuchs  der  angelsächsischen 
Sprache  und  Literatur  mit  Freude  begrüsst  werden. 

Köthen.  E.   Müller. 


Beiträge 

zur  englischen   Lexicographie. 


Die  folgenden  Bemerkungen  geben  sich  zunächst  als  Fort- 
setzung zu  den  in  Band  XXI,  XXII  und  XXIII  dieser 
Zeitschrift  unter  demselben  Titel  erschienenen  Mittheilungen, 
ohne  in  Gelehrsamkeit  oder  Belesenheit  sich  ihnen  gleichstellen 
zu  können  oder  zu  wollen.  Verglichen  sind  dazu  nur  die  Le- 
xica  von  Flügel  und  Lucas,  Büchmann's  genannte  Mittheilungen 
und  Strathmann's  „Beiträge,"  auf  welche  mit  Fl.,  L.,  B.  und 
Str.  verwiesen  wird,  und  kein  dort  zu  findender  Artikel  ist, 
wenigstens  wissentlich,  hier  wiederholt  worden,  wofern  nicht 
die  Meinung  war,  dass  etwas  Neues  zugesetzt  werden  könnte. 
Mit  Sl.  D.  wird  Bezug  genommen  auf:  A  Dictionary  of  mo- 
dern slang,  cant  and  vulgär  words  etc.  by  a  London  antiquary. 
London.    John  Camden  Hotten.     1860. 


A.  1.  to  stand  A.  1.  in  one's  estimation.  Anonym.  Guy  Living- 
stone,  auch:  this  wine  is  letter  A  number  one.  Von  Schiffen  herge- 
nommen, die  nach  Buchstaben  in  Klassen  getheilt  und  darin  numerirt 
sind. 

A.  —  he  does  not  know  a  great  A  from  a  bull's  foot,  übliche 
Redensart. 

about.  there  is  much  illness  about,  wir  etwa:  geht  umher,  to 
bring  somebody  about  (auch  round),  in's  Leben  zurück. 

a'bstract  of  title,  Auszug  aus  den  Grundacten.  Wegen  grossen 
Umfangs  der  letzten  muss  er  dem  barrister  eingereicht  werden,  um  eine 
kurze  Geschichte  des  Grundstücks,  des  Besitzrechts  und  der  Uebertra- 
gung  desselben  zu  geben. 


386  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

a  cademicals.     Cap  und  gown  der  Studenten. 

adhesive  envelopes.  Couverts  mit  Gummi,  die  das  Siegeln  er- 
sparen. 

adult  schools.     Fortbildungsanstalten  für  Erwachsene. 

aetat.  =  in  the  age  of  .  .  .,  von  Grabsteinen  hergenommen,  s. 
Reade,  Love  me  little  etc.  p.  59.  T.  cf.  Trollope,  Barch.  Tow.  (London 
1858),  314. 

the  air  smells  sweet,  es  riecht,  it  wäre  unenglisch. 

alien.      Was  bed.  she  smiled  with  alien  Ups  (wo?)? 

amontillado.    Die  feinste  Sorte  Sherry. 

angel's  visits,  few  and  far  between,  sprüchwörtlich  von  Dingen, 
die  selten  vorkommen. 

an  im  us ;  aufgenommen  in  der  Bedeutung:  Geist,  in  dem  etwas 
geschieht,  Gesinnung,  Tendenz,  z.  B.  the  animus  in  which  a  book  is 
w  ritten. 

an  n  u  al-poetry  ist  zum  stehenden  Ausdruck  geworden,  um  eine 
seichte  sentimental-phrasenhafte  Poesie  zu  bezeichnen.  Die  ann.  dienten 
besonders  als  Weihnachtsgeschenke ,  und  ihr  Hauptwerth  bestand  in 
einem  geschmackvollen  Einband  und  den  oft  glänzenden  Namen  der 
darin  figurirenden  Dichter-Dilettantinnen.  Darauf  spielt  Reade,  Love 
me  little  etc.  p.  2.  T.  an:  perhaps,  if  Adonis  had  stood  before  her  now, 
rolling  Ins  eyes,  and  his  phrases  hot  from  the  annuals  etc. 

the  apex,  the  base.     Spitze,  Grundlinie  eines  Dreiecks. 

applied  mathematics,  angewandte  M. 

arm.  to  make  a  long  _a.  for  .  .  .  mit  dem  Arm  weit  hinreichen 
nach  — . 

ask  my  fellow  whether  I  am  a  thief,  Sprüchw. 

a  ss  ize-sermon ;  damit  wird  in  der  Regel  die  Sitzungsperiode  er- 
öffnet, wenn  der  Richter  auf  dem  circuit  in  eine  Stadt  kommt.  Auch 
ein  assize-ball  schliesst  sich  oft  daran,  wegen  der  vielen  ihn  begleitenden 
heirathsfähigen  jungen  barristers.     Reade,  Love  me  1.  p.  28.  T. 

to  set  people  astride  their  topic,  Reade,  Love  m.  1.  p.  39,  An- 
spielung auf  hobby:  Leute  auf  ihren  Lieblingsgegenstand  zu  sprechen 
bringen. 

at.  to  speak  ata  person,  in  Jemandes  Gegenwart,  nicht  zu  ihm, 
(to  .  .)  so  reden,  dass  er  sich  die  Sache  annehmen  muss ;  anzuhören 
geben.  Dickens,  Sketches  p.  465.  Mrs.  Parsons  talked  toMiss  Lillerton 
and  at  her  better  half.  cf.   Trollope,   Warden   (London   1859)  p.  82  : 


Beiträge   zur   englischen   Lexicographie.  387 

from  that  day  to  this  he  has  not  spoken  to  me,  though  he  speaks  at 
me  often  enough.  to  point  at  .  .  .,  auf  einen  Punkt  zeigen;  —  to, 
nach  einer  Richtung. 

audit-ale  (Farrar,  Julian  Home),  ein  besonders  starkes,  in  der 
zu  Trinity-College  Cambr.  gehörenden  Brauerei  gebrautes  Bier.  Nur 
Studenten  haben  das  Recht,  gegen  Bezahlung  auf  Order  ihres  tutor 
drei  Dutzend  Flaschen  jährlich  zu  beziehen. 

a  back  of  grouse,  ein  Volk;  was  bei  partridges  covey  oder  bevy 
heisst. 

to  back-hand,  refüsiren  beim  Wein;  das  Glas  mit  dem  Rücken 
der  Hand  ablehnend  von  sich  weisen  (Guy  Liv). 

back,  to  put  (set)  one's  b.  up  against  a  person ,  sich  von  Jemand 
zurückziehen  —  seine  Abneigung  gegen  eine  Sache  zu  erkennen  geben. 
—  he  is  thoroughly  on  his  b.,  gänzlich  herunter. 

to  back  out,  Gegens.  zu  to  go  in  for,  q.  v.  Trollope,  Waiden 
(London  1859)  p.  123. 

back  ward,  the  spring  is  backward,  tritt  spät  ein. 

on  bare-backed  horse,  auf  ungesatt eitern  Pferde  (Dickens  Hard 
Times  p.  45.  T.). 

bad's  the  best  .  .  .  eine  Phrase  der  Herabwürdigung  in  Bezug 
auf  Andre ,  der  Bescheidenheit  in  Bezug  auf  den  Redenden.  Dickens, 
Two  Cit.  I,  154.  T.  to  the  best  of  my  understanding  —  and  bad's  the 
best  you'll  teil  me. 

a  baff  ler,  etwas  was  den  Andern  aus  der  Fassung,  zum  Schweigen 
bringt,  schlagender  Gegenbeweis. 

bang  up  to  the  day,  Bulw.,  What  will  he  etc.  I,  Cap.  l  =  sharp, 
wide  awake.    Dies  zur  Ergänzung  von  L. 

the  banker  poet,  der  Dichter  Rogers. 

to  beat.  I  will  give  him  15  in  20,  and  beat  his  old  head  off. 
(Thack.,  Newc.)  Das  Spiel  abgewinnen. 

to  beat  to  quarters,  um  Pardon  bitten.  That  beats  everything! 
Das  ist  noch  schöner!  ähnlich:  that  beats  cockfighting!  (alt).  —  the 
violin  beat  me  so,  Reade,  Love  me  1.  etc.  p.  103,  sie  machte  mir  grosse 
Schwierigkeit.  So:  that  beats  me,  dem  bin  ich  nicht  gewachsen,  da- 
gegen muss  ich  zurückstehen. 

b  e  e.  brisk  as  a  bee.  —  bee's  waxed  floors,  gebohnt. 

B  eiche r-neckerchief  (Dickens,  Sk.  170.):  zu  L.  und  Str.  kann 
nach  Sl.  D.  zugesetzt   werden ,   dass  B.  der  Name    eines   Preisfechters 


388  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie 

war.  v.  Macm.  Mag.  Nov.  1859.  p.  25.  Es  werden  dort  9  verschiedene 
Namen  für  verschiedene  Muster  der  Tücher  angeführt. 

bells,  Kinderklapper,  mit  den  corals  zum  Durchbeissen  der  Zähne 
zusammen:  he  began  his  Initiation  in  the  beau  monde,  before  he  had 
well  cast  aside  his  corals  and  bells  (Thackeray,  Newc.  ?). 

bellowings  of  passion ,  so  übertr.  in  Cornhill  Magazine,  1860. 
Juni :  The  portent. 

belt,  auch  ein  runder,  rings  von  Bäumen  eingeschlossener  Platz 
in  einem  Gehölz  (Guy  Livingst.). 

berry.  brown  as  a  berry. 

besotment,  Bethörung,  nicht  im  Lex.  (MyNovel,  IV,  478.  T.) 

a  bespeak,  eine  Bestellung,  bestellte  Sache. 

best,  she  is  bent  on  looking  her  best  to-day.  —  best  man.  Der 
Bedeutung  Brautführer  bei  Lucas  scheinen  Stellen  zu  wider- 
sprechen, in  denen  eine  entschiedene  Beziehung  auf  den  Bräutigam 
vorliegt,  z.  B.  Oliphant,  China  and  Japan  IL  p.  147.  He  has  col- 
lected  his  wife  and  family  to  see  how  a  hero  can  die:  his  dearest  friend 
—  he,  who  in  our  own  country  would  have  been  his  best  man  at  his 
wedding  —  Stands  over  him  with  a  drawn  sword.  Sollte  es  hier  so 
viel  sein,  wie  the  groom's  man,  der  genaue  Freund,  der  alle  mit 
der  Hochzeit  verknüpften  Geldgeschäfte  für  den  Bräutigam  besorgt? 

between  you  and  I  and  the  post,  unter  uns  gesagt,  nur  familiär, 
daher  mit  dem  Solöcismus  üblich.  —  Bulwer,  My  Nov.:  he  perceived 
the  chances  for  and  against  a  question  carried  within  a  certain  time, 
and  nicked  the  question  between  wind  and  water;  traf  sie  richtig  auf 
den  entscheidenden  Punkt,  between  w.  and  w.  wird  beim  Schiffe  der- 
jenige Raum  genannt,  der  beim  Schwanken  desselben  abwechselnd  in 
der  Luft  und  im  Wasser  ist.  Die  oberhalb  dieses  Raums  einschlagenden 
Schüsse  geben  ein  ungefährliches  trocknes  Loch ;  die  darunter  fallenden 
sind  durch  den  Widerstand  des  Wassers  gebrochen;  die  denselben  tref- 
fenden sind  die  gefährlichsten,  weil  das  Wasser  bei  der  nächsten  Schwan- 
kung sofort  eindringt.      Daher  die  Uebertragung. 

betweens,  halblange  Nähnadeln. 

bird.  Das  Spruch  wort  heisst  bei  Reade,  Love  melittleetc.  p.  63. 
T.  it  is  beasts  of  a  kind  that  in  one  are  joined,  and  birds  of  a  feather 
that  come  together. 

birth.  a  man  of  b.,  von  guter  Geburt. 

bite.  I  did  not  bite,  ging  auf  die  Sache  nicht  ein  (auch  wir  wol: 


Beiträge  zur   englischen  Lexicographie.  389 

biss  nicht  an).  —  the  screvv  does  not  bite ,  fasst  nicht  (Dickens,  Two 
Cit.  II,  48). 

my  bitterest  friend?  Guy  Livingst.  p.  142.  T. 

blazes.  like  blazes  und  like  beans,  Vergleiche  ohne  be- 
sondere Bedeutung,  cf.  brick.  (they  hate  each-other  like  blazes,  Guy 
Liv. ;  you  grind  away  for  a  month  like  beans,  Farrar,  Julian  Home.) 
Aehnlich  Dickens,  Two  Cit.  I,  S.  15  a  blazing  stränge  answer. 

blotting-pad.  Cornh.  Magazine  1860.  Jul.  „W.  Hogarth,"  ein 
Bausch  Löschpapier,  dient  als  Unterlage  und  Löschblatt. 

to  blow  out,  mästen,  dickfüttern ;  L.  hat  nur  das  Subst.  Dickens, 
Two  Cit.  I,  254.  T. :  it's  a  mother's  duty  to  blow  her  boy  out.  blowed, 
Dick.,  ib.  I,  87,  euphemistisch  für  blessed ,  damned.  So  blow  me 
als  Fluch,  Lever,  Davenp.  D.  II,  23.  ib.  257:  have  not  the  newspa- 
pers  'blown'  you?  ausposaunt.  —  blown,  ausser  Athem ,  Dickens, 
Little  Dorr.  I,  105.  T.  blown  kisses,  Kussfinger.  —  blow  auch 
subst.:  have  a  blow  at  your  flute  (Dickens,  Copperf.). 

blue.  It's  as  good  to  look  for  a  blue  moon  as  for  you  =  a  thing 
which  does  not  exist.  —  blue  ribbon  allgemein  =  Gegenstand  des 
höchsten  Ehrgeizes :  (these  fellowships)  were  the  blue  ribbon  of  the  Col- 
lege. (Farrar,  Jul.  Home).  —  blue  lights,  Leuchtkugeln  zum  Gebrauch 
im  Kriege.  (Dundonald,  Autob.  öfters). 

bone.  I  have  got  a  bone  in  my  back  (leg,  arm)  sagt  scherzhaft 
derjenige,  der  zu  bequem  ist  sich  selbst  zu  bemühen,  und  einen  andern 
bittet,  ihm  etwas  zu  reichen.  —  He  found  no  bones  in  the  jelly  leitet 
wol  auf  den  Ursprung  des  auch  von  L.  angeführten  to  make  no  bones 
about  .... 

to  bonnet  a  man,  Einem  den  Hut  antreiben. 

book.  to  be  booked  for  a  place,  a  fellowship :  so  gut  wie  gewiss 
haben. 

a  border-name  (A  life  for  a  life),  ein  Name  wie  er  sich  unter 
Familien  an  der  schottischen  Gränze  findet, 
bosh  s.  cobweb. 

bot  her,  eine  übliche  Verwünschung  in  verschiedenen  Formen, 
z.  B.  what  a  bother!  oder  bother  the  servants!  Reade,  Love 
me  1.  p.  97.  T. ,  auch:  bother  take  it!  —  bother  it  for  racing, 
Lever,  Davenp.  Dünn  1,  190.  T. 

bout.  to  'bout  ship.    Das  Schiff  so  wenden,   dass  es   den   entge- 


390  Beiträge   zur  englischen   Lexicograhpie. 

gengesetzten  Lauf  nimmt.  Reade,  Love  rae  I.  253  und  übertragen  p. 
38.  T. 

to  brace  up.  übertr.  to  br.  up  one's  will  to  a  task. 

to  bracket.  Nach  den  Examinationen  werden  in  Cambridge  die 
Studenten  entsprechend  ihren  Kenntnissen  nach  Klassen  und  in  diesen 
nach  Plätzen  rangirt  (letztres  nicht  in  Oxf.).  Der  Platz  eines  jeden 
wird  nach  marks  bestimmt,  die  für  die  Antworten  gegeben  werden. 
Fällt  es  dabei  vor,  dass  zwei  dieselbe  oder  Nummern  von  ganz  ge- 
ringem Unterschied  haben,  so  werden  sie  gleichgestellt ;  das  heisst  brack- 
eted,  weil  die  Namen  auf  der  veröffentlichten  Liste  mit  einer  Klammer 
(bracket)  verbunden  werden.  Sie  können  eine  neue  Examination  ver- 
langen (they  have  the  Option),  was  bei  erneutem  gleichem  Ausfall  zwei 
oder  drei  Mal  wiederholt  wird. 

a  brain-hampered   boy   r=  stupid,  blödsinnig  (Times). 

bref,  kurz!  Reade,  Love  me  1.  p.  203.  T. 

bree  ch  -  loading,  das  Laden  der  Kanonen  von  hinten;  b.-loader, 
eine  solche  Kanone. 

brick,  in  Cambr.  univers.  -  slang  ein  vortrefflicher  Mensch, 
ein  Hauptkerl.  Lever,  Davenp.  Dünn  II,  218.  T.  Soll  eine  Ueber- 
setzung  des  griechischen  rergaycovog  sein,  like  bricks  ist  dann  ein 
ähnlicher  Vergleich  wie  like  blazes. 

bridge.  don't  cross  the  bridge  tili  you  come  to  it,  sprüch wörtlich. 

to  bring  down  the  house,  donnernden  Applaus  vom  Publicum 
erringen. 

broach.  the  ship  had,  in  the  nautical  phrase ,  broached  to ,  and 
ehe  now  lay  on  her  beam-ends  (Dundonald,  Autobiogr.).  cf.  Reade, 
Love  me  little  etc.  p.  332  und  öfter.  Bedtg? 

b  r  o  a  d  farce,  niedrige  Posse. 

broker's  man  s.  distress. 

broom-girls.  Junge  Mädchen,  die  in  den  zwanziger  Jahren  dieses 
Jahrhunderts  aus  Südfrankreich  oder  Savoyen  kamen,  pittoresk  aufge- 
putzt England  durchzogen  und  unter  Absingung  eines  Liedchens  elegant 
geschmückte  kleine  Besen  zum  Verkauf  anboten. 

b  r  u  s  h ,  auch  substantivisch  von  einer  schnellen  Bewegung  :  let 
us  enjoy  a  brush  across  the  country,  Cornhill  Magaz.  Juni  1860. 
Schon  in  Fielding,  Tom  Jones  findet  sich :  to  make  a  bold  brush  (Er- 
zählung des  man  of  the  hill). 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  391 

bullfinch.  Ein  besonders  schwer  zu  nehmendes  Hinderniss  beim 
Jagdreiten,  eine  Art  Hecke  (?).  Guy  Livingst. 

bulldog,  Cant-Benennung  der  zwei  Conslabler,  die  dem  Proctor 
der  Universität  beigegeben  sind. 

to  bump  wird  es  genannt,  wenn  bei  den  boating-races  von  den 
Booten ,  die  in  gleichgemessnen  Distancen  aufgestellt  sind ,  eines  das 
vorhergehende  so  weit  einholt,  dass  es  an  dasselbe  mit  dem  Schnabel 
anstösst.  „Trinity  bumped  Cajus."  Das  berührte  Boot  verliert  da- 
durch. 

bumps,  die  Organe  in  der  Phrenologie. 

to  bündle  wird  es  genannt,  wenn,  wie  es  in  Nord-Wales  ge- 
schieht, die  Bauerburschen  mit  den  Dirnen  Sonntags  nach  Hause  gehen, 
und  in  ihren  Kleidern  auf  den  Betten  liegend  schäkern  (in  allen  Ehren, 
wie  man  sagt). 

bürden,  to  keep  up  the  bürden  of  the  discourse,  denselben  Ge- 
sprächsgegenstand fortführen. 

to  burke.  Zu  dem  Artikel  bei  L.  kann  zugesetzt  werden,  dass 
das  Wort  auch  übertragen  wird :  to  burke  over  the  whole  affair :  ver- 
tuschen, todt  machen. 

to  burst  upon  the  wing;  auffliegen  ,  von  Vögeln. 

bust  me,  statt  burst  me,  Fluch.  (Dickens,  Two  Cit.) 

button.  In  damn  my  buttons  ist  das  Wort  bedeutungslos;  stell- 
vertretend oder  beschönigend  steht  es  in :  he  has  not  all  his  buttons : 
es  mangelt  ihm  an  Hirn,  a  b.  bedeutet  nach  Sl.  D.  auch  „a  sham 
purchaser.  At  any  mock  or  sham  auctions  seedy  specimens  may  be  seen. 
Probably  from  the  connection  of  buttons  with  Brummagem ,  which  is 
often  used  as  a  synonyme  for  sham."  —  buttons  =  page,  von  der 
dichten  Doppelreihe  von  Knöpfen ,  mit  denen  seine  Jacke  regelmässig 
besetzt  ist.  Der  Ausdruck  ist  aus  Punch  in  den  allgemeinen  Gebrauch 
(natürlich  nur  scherzhaft)  übergegangen. 

cad.  oft  in  der  Bed.  Mensch  aus  niedriger  Klasse  und  von  pöbel- 
haftem Betragen ;  wol  Abkürzung  aus  cadger,  Vagabund,  arbeitsscheuer 
Mensch.  Dann  Omnibusconducteur;  doch  würde  ein  solcher  wegen 
der  ersten  Bedeutung  sich  ungern  so  nennen  hören.  Auf  Universitäten 
=  Nichtstudent,  Philister. 

calculated.  Dies  Wort  verliert  sehr  häufig  die  ursprüngliche 
Bedeutung  in  so  weit,  dass  dabei  an  die  Absichtlichkeit  eines  berech- 
nenden Subjects  nicht  mehr  gedacht  wird,  und  das  W.   nur  noch  „da- 


392  Beiträge   zur   englischen  Lexicographie. 

zu  geeignet,  so  beschaffen"  bedeutet.  So  Trollope,  Tuscany :  the  latter 
of  these  gentlemen,  though  one  much  calculated  to  give  cause  of  alarm. 
Dickens  Sketch.  70.  T.  a  closer  acquaintance  with  either  is  little  calcu- 
lated to  alter  one's  first  impression,  und  oft  sonst,  z.  B.  Lever,  Davenp. 
Dünn  I,  114.  T. 

cane.  as  lean  as  a  c. 

can  tankerous ,  Bulw.,  My  Novel,  und  catawampously  ib.  Zwei 
Amerikanismen ;  ersteres  bedeutet  nach  mündlicher  Mittheilung  nicht 
contentious  (L.),  sondern:  aus  Bosheit  malitiös ;  das  Letztere? 

can  t er,  Gallopp,  wogegen  gallop  Carriere.  to  win  in  a 
canter,  beim  Wettrennen  von  Jemand  gesagt,  der  den  Andern  so 
weit  voraus  ist,  dass  er  am  Ende  der  Bahn  nicht  mehr  Carriere  zu 
reiten  braucht;  häufig  auf  Examina ,  Spiel  und  dgl.  übertragen,  wie 
Bulw.,  My  Nov.  I,  90.  T.  he  wins  the  game  in  a  canter:  mit  der 
grössten  Leichtigkeit. 

cap.  Die  Redensart  she  sets  her  cap  at  him  scheint  von  den  wi- 
dow's  cap  hergenommen  zu  sein,  weil  man  junge  Wittwen  der  Schwäche, 
gern  Jagd  auf  Männer  zu  machen,  besonders  für  unterworfen  hielt:  sie 
setzen  das  Mützchen  zurecht,  wenn  der  Betreffende  erscheint.  Von 
Männern  wird  in  gleichem  Falle  gesagt:  he  hangs  his  hat  up  there. 

card -sharpers,  Betrüger  im  Kartenspiel.  Sie  scheinen  besonders 
gern  auf  Eisenbahnen  Andern  die  Zeit  zu  vertreiben,  da  auf  den  Bahn- 
höfen durch  Anschlag  vor  ihnen  gewarnt  wird.  Cornh.  Mag.  Oct.  1860 
p.  398:  shabby  Jews  and  blacklegs  prowl  about  race-courses  and  ta- 
vern-parlours,  and  now  and  then  inveigle  silly  yokels  with  greasy  packs 
of  cards  in  railroad - cars.  —  card- Castles,  Kartenhäuser.  —  the 
likeliest  thing  upon  the  cards:  nach  den  vorliegenden  Verhältnissen 
das  Wahrscheinlichste ;  entweder  vom  Kartenspiel  (die  wahrscheinlichste 
Chance  nach  den  Karten  in  der  Hand)  oder  vom  Kartenlegen,  cf. 
Trollope,   Barch.  Tow.  (Lond.   1858)  p.  256:  it  was  on  the  cards. 

to  carry,  that  is  carry ing  it  very  fine:  das  heisst  doch  die  Sache 
sehr  genau  nehmen. 

cart-track  (opp.  road),  Landstrasse  im  Gegensatz  zu  Chaussee 
(Kavanagh,  Seven  years). 

to  be  cast  in  Lstr.  30,  zu  ...  verurtheilt  werden.  Art.  in  Cornh. 
Mag.   Jul.   1860  über  Hogarth. 

cat.  I  am  a  cat  with  nine  lives  and  should  fall  on  my  legs  if 
thrown  out  of  a   garret  window,  Vereinigung  zweier   sprüchwörtlichen 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  393 

Redensarten  bei  Bulwer  (What  will  he  etc.  ?).  Trollope,  Barch.  Tow. 
(Lond.  1858)  p.  428:  they  always  fall  on  their  feet  like  cats.  Daher 
Redensarten  wie:  does  hefall  on  his  legs!  Lever,  Davenp.  Dünn.  III, 
327,  cf.  Dickens,  Little  Dorr.  IV,  282.  T.  Darauf  beruht  der  Name 
des  Geräths,  das  L.  einen  doppelten  Dreifuss  nennt:  es  besteht  aus 
dreien  Drahtstäben,  die  sich  kreuzen  wie  die  Axen  eines  regelmässigen 
Oktaeders,  und  steht  also  aufrecht,  man  mag  es  werfen  wie  man  will. 
Es  wird  namentlich  zum  Brotrösten  »gebraucht.  —  you  kill  my  cat 
and  I'll  kill  your  dog,  sprüch wörtlich;  scheint  aber  nicht  allgemein 
bekannt  zu  sein.  —  There  is  not  room  enough  to  swing  a  cat, 
auch  to  whip  a  cat  round,  von  engen  Zimmern  gesagt  (Dickens ,  Cop- 
perf.  öfters) ;  die  befragten  Engländer  waren  der  Meinung ,  dass  eine 
wirkliche  Katze  gemeint  sei.  Ob  an  die  cat  of  nine  tails  oder  dgl.  zu 
denken  ist?  —  you'll  see  with  half  an  eye  how  the  cat  jumps,  wie 
der  Hase  läuft,  Lever,  Davenp.  Dünn  III,  229.  T.  —  cat-and-dog 
days  spasshaft  nach  dog-days  mit  Anspielung  auf  to  live  like  cats  and 
dogs.  —  Bei  it  rains  cats  and  dogs  findet  sich  auch:  and 
pitchforks. 

to  catch,  it  catches  the  ear,  es  fällt  dem  Ohre  auf. 
catchweight,  ein  Ausdruck  beim  Wettreiten,  bezüglich  auf  das 
Gewicht,   das  dem  Reiter   zugefügt   wird,  um  ihn  schwerer  zu  machen. 
(Guy  Liv.) 

ceiling-plate.  Eine  Rosette  an  der  Zimmerdecke, 
chalk.  that  will  be  a  chalk  in  his  favour,  zu  seinen  Gunsten  sein. 
Chancery,  to  get  a  man's  head  into  C. ;  genauer  gesagt  als  bei 
Fl.  und  L.  bezeichnet  es  den  Griff,  durch  den  man  beim  Preisfechten 
den  Kopf  des  Gegners  unter  den  gebogenen  Arm  bekommt ,  wodurch 
jener  fast  wehrlos  den  empfindlichen  Schlägen  in's  Genick  Preis  gegeben 
ist.  Hergenommen  vom  court  of  Chancery,  wo  nicht  nach  common 
law,  sondern  nach  equity  gerichtet  wird,  und  aus  dem  selten  Jemand 
ohne  erhebliche  Schädigung  davonkommt. 

c hange  for  a  coach,  Relaispferde,  Dick.,  Sketch.  408.  T. 
charms,  Berloques  an  der  Uhrkette.     Lever,  Davenp.  Dünn  I, 
155.  T. 

Charterhouse,  entstanden  aus  chartreuse,  nicht  bloss  Stifts- 
schule (L.),  sondern  auch  Hospital  für  ehrenwerthe,  durch  unverschul- 
dete Schicksalsschläge  heruntergekommene  alte  Herren.  Oft  erwähnt  in 
Thack.,  Newc. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  20 


394  Beiträge  zur   englischen  Lexicographie. 

cheek  für  Unverschämtheit.  Reade,  Love  me  1.  354.  T.  whom 
do  you  think  he  had  the  cheek,  or,  as  the  French  say,  the  forehead  to 
try  and  win  over.  „Die  Stirn." 

Cheeks,  spasshafte  Benennung  eines  bausbäckigen  Bengels. 

cheeky,  cant,  die  Eigenschaft  kaltblütiger  Impertinenz,  cf.  cheek. 

to  ehest  a  rail  sagt  man  von  einem  Pferde,  wenn  es  mit  der 
Brust  gegen  eine  Barriere  rennt,  statt  sie  zu  nehmen  (Guy  Liv.). 

a  chestnut  horse  ist  ein  Fuchs,  ein  (kastanien)braunes  Pferd 
wäre  a  bay  horse. 

to  churn  crimson  foam,  eigenthümlich  von  dem  vor  den  Mund 
tretenden  Schaum  in  Guy  Liv. 

clack,  eine  Vogelscheuche,  L. :  aber  eine  solche,  die,  wie  eine  kleine 
Windmühle  durch  Klappern  scheucht.  Nur  so  wird  z.  B.  klar  Reade, 
Love  me  1.  etc.  86:  Mr.  Fountain  sat  at  breakfast  opposite  his  niece 
with  a  twinkle  set  in  his  eye  like  a  cherry  clack  in  a  tree. 

clear.  a  brook  16  feet  clear  of  water,  d.  h.  bloss  die  Breite  des 
Wassers  gemessen,  die  Ausbiegung  des  Randes  nicht  mitgerechnet,  wie 
deutsch:  „in  Lichten"? 

to  clench  one's  teeth,  die  Zähne  vor  Wuth  oder  dgl.  fest  zu- 
sammenbeissen.  Reade,  Love  me  1.  85  und  292.  T.  D.  Verb,  heisst 
auch  an  einem  eingeschlagnen  Nagel  die  durchgedrungene  Spitze  um- 
biegen, und  hiervon  erst  ist  to  clinch  an  argument  (bei  L.)  die  Ueber- 
tragung. 

cloak-room,  Garderobe. 

clock.  at  11,  30  o'clock  (Russell,  Diary  in  India),  nach  englischer 
Kurzrednerei  aus  dem  Ablesen  von  Fahrplänen  entstanden.  —  he  knows 
what  o'clock  it  is  =  was  die  Glocke  geschlagen  hat,  ist  klug,  Dick.,  Sk. 
451.  T. 

closely  ruled,  written. 

coaches  s.  B.  XXI,  162;  genauer:  private  tutors,  welche  den 
Studenten  durch  Repetitorien  und  dgl.  den  Weg  zum  Examen 
leichter  machen.  Auch  to  coach;  who  coaches  you?  Dick.,  Little 
Dorr.  I,  154  coached  or  crammed  the  statesmen  etc.,  cf.  ib.  III,  202: 
had  coached  him  up,  hatte  ihn  vorbereitet,  eingepaukt,  cf.  crammer 
und  grinder. 

to  coal,  der  übliche  Ausdruck  für:  Kohlen  einnehmen.  (Rüssel, 
Diary  und  sonst.) 

co b  web   and   moonshine,  Dinge  oder   Worte   ohne    allen    reellen 


Beitrage  zur  englischen  Lexicographie.  395 

Werlh  (Buhver,  My  Nov.).  Der  slang- Ausdruck  dafür  ist  bosh,  ein 
nach  dem  Sl.  D.  aus  dem  Türkischen  stammendes  Wort :  bosh  lakerdi  = 
empty  talk,  schon  1760  in  Gebrauch.  Dick.,  Little  Dorr.  IV,  259  und 
II,  237,  cf.  Cornh.  Mag.  Oct.  18G0,  519. 

coddle  auch  subst:  Jemand,  der  sich  sehr  verzärtelt,  sich  anzu- 
schmeicheln  versteht. 

to  coin  a  man,  ihn  verwerthen ,  seine  Fähigkeiten  zur  Geltung 
bringen,  Reade,  Love  me  1.  p.  233.  T. 

colour,  auch  Anschein  der  Wahrheit:  he  would  immediately 
abandon  this  preferment  at  R.,  of  which  it  might  be  said  with  so  much 
colour  that  he  had  bought  it.   Cornhill  Mag.  July  1860  p.  37. 

co lt.  as  sound  as  a.  c. 

combination-room,  in  Cambridge  der  Saal,  in  dem  die  fellows, 
nachdem  sie  gegessen,  sich  zum  Dessert  versammeln.  (Farrar,  Julian 
Home.) 

to  come  in  for  .  .  .,  nicht  bloss  einkommen  um,  Anspruch  machen 
auf,  wie  Fl.  und  L.  geben,  sondern  wirklich  seinen  Antheil  erhalten, 
Avie  z.  B.Dickens,  Hard  Times  p.  6.  T.  zeigt:  and  Sissy,  being  at  the 
corner  of  a  row  on  the  sunny  side  came  in  for  the  beginnig  of  a  sun-. 
beam,  oder  (the  actor)  came  in  for  his  portion  of  the  applause  (Bulw., 
What  will  he  etc.).  —  to  come  off,  sehr  gewöhnlich  bei  Wettrennen 
und  dgl.,  also  wenn  es  von  andern  Dingen,  wie  Heirathen  und  ähn- 
lichen, gesagt  wird,  mit  komischem  Beigeschmack,  wie  unser  „losgehen." 
Lever,  Davenp.  Dünn  III,  2  T.  —  N.  N.  is  coming  out  strongly  as 
a  political  writer.  Lever,  Davenp.  Dünn  1 ,  344.  T. :  and  the  descrip- 
tive  fellows  would  come  out  strong  about  the  way,  in  which  etc. 
Trollope,  Barch.  Tow.  280:  on  such  occasions  Mr.  P.  came  out 
strongly.   —  That's  coming  it   too  strong,  das    ist  doch  zu  stark! 

compartment,  der  einzige  englische  Ausdruck  für  Coupe  auf 
der  Eisenbahn. 

confined  in  one's  body  =  costive. 

constitutional,  eigentlich  studentisch,  doch  in  heitrem  Gespräch 
sehr  üblich :  ein  längerer  Spaziergang  zur  Verdauung. 

construe  auch  substantivisch:  our  construe  (Farrar,  Jul.  Home.), 
Präparation  oder  Uebersetzung. 

continuat  ion  s  nicht  =  trousers,  wie  B.  XXL  p.  163  will, 
sondern  —  gaiters;  dass  erstres  nicht  möglich  ist,  zeigt  Dickens,  Sketches 
p.  413:  in  drab  shorts  and  continuat ions. 


396  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

contradiction  in  terms:  contradictio  in  adjecto. 

conversation  auch  =  guter,  gesellschaftlicher  Ton:  when  such 
an  inflexible  integrity  is  a  little  softened  and  qualified  by  the  rules  of 
conversation  and  good  breeding.  (Addison  on  politeness.) 

conventionalism.  Ungerechtfertigte  Gefügigkeit  und  Nach- 
giebigkeit gegen  die  herrschenden  Verhältnisse  (Trollope,  Tuscany). 

convertible  terms,  Synonyme,  die  man  für  einander  setzen  kann, 
Lever,  Davenp.  Dünn  I,  223.  T. 

cornice  auch  Gardinenstange  oder  -halter. 

countenance.  Dick.,  Sketch.  437.  T.  Mr.  Tottle  stared  vacancy 
out  of  countenance,  drolliges  Gemisch  aus  to  stare  into  vacancy  und  to 
stare  out  of  countenance. 

to  counter,  von  B.  XXIII.  p.  376  mit  ?  erwähnt,  bed.  das  Pa- 
riren beim  Boxen.  Zu  der  von  ihm  citirten  Stelle  vgl.  aus  Guy  Li- 
vingst. :  he  stopped  and  countered  as  coolly  as  if  his  adversary  had  only 
the  gloves  on.  cf.  auch  Dickens,  H.  T.  p.  8.  T. 

court-guide,  nicht  Adels  -  Lexicon  ,  wie  B.  will,  sondern  der 
nicht  commercielle  Theil  des  londoner  directory.  Er  enthält  die  Woh- 
nungen natürlich  der  adligen  Familien,  aber  auch  der  Beamten,  Militärs, 
Gelehrten,  Lehrer  u.  dgl. 

Coventry.  to  send  a  man  to  C,  Dick.,  Hard  T.  183.  Zu  dem  von 
L.  Gesagten  diene  als  Erklärung,  was  d.  Sl.  D.  unter  dem  Artikel  sagt : 
„Coventry  was  one  of  those  towns  in  which  the  privilege  of  practising 
most  trades  was  anciently  confined  to  certain  privileged  persons,  as  the 
freemen  etc.  Hence  a  stranger  stood  little  chance  of  custom ,  or  coun- 
tenance, and  ,to  send  a  man  to  Coventry'  came  to  be  equivalent  to 
putting  him  out  of  the  pale  of  society." 

cover- hack.  (Guy  Liv.)  Kein  Besitzer  eines  Vollblutpferdes  würde 
dasselbe  dadurch  ermüden,  dass  er  vor  Beginn  der  Fuchsjagd  auf  dem- 
selben bis  zum  Revier  (cover)  reitet.  Dazu  wird  ein  gewöhnlicher 
Gaul  (hack)  genommen,  der  deshalb  c.  h.  heisst.  Das  Verbum  ist  to 
hack  to  cover.  to  break  c. ,  vom  Fuchs,  Lever,  Davenp.  Dünn  II, 
216.  T. 

cow.  he  grows  down  ward  like  a  cow's  tail ,  von  Kindern  gesagt, 
die  nicht  wachsen  wollen.  —  the  tune  the  old  cow  (auch  my  aunt's 
cat)  died  of  (Reade,  Love  me  1.  etc.  p.  59),  von  weinerlichen  Melodien 
üblich. 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  397 

cracky,  verdreht  im  Kopfe,  nur  burschikos;  auch  als  Ausruf: 
cracky  !  what  is  that ! 

to  cram ,  Jemand  in  einem  „Paukkolleg"  zum  Examen  vorbereiten: 
auch  in  der  Schule :  Jemandem  etwas  weis  machen  (Times). 

cram m er,  der  vorbereitende  tutor  =  coach  (Farrar,  Jul.  Home, 
cf.  Dick.,  Little  Dorr.  I,  153.  T. :  a  coach  or  crammer). 

to  crane  steht  in  der  von  B.  XXI.  p.  163  angegebenen  Bedtg 
auch  von  Pferden,  wenn  sie  gewaltsam  mit  dem  Kopf  vorangehen,  ohne 
dem  Zügel  zu  gehorchen  (the  horse  tries  to  get  his  head).  So  Guy 
Livingst. :  it  was  a  clear  case  of  craning ;  H.  was  hauling  nervously 
at  the  reins  etc. 

to  creep,  von  dem  was  wir  Gänsehaut  nennen:  my  flesh  began 
to  creep  all  over  from  head  to  foot :  Kavanagh ,  Seven  years.  d. ,  cf. 
Trollope,  Warden  (Lond.  1859)  p.  98. 

crocheteer?  Reade,  Love  me  1.  p.  20.  T. 

to  cross  a  fight  (Guy  Liv.)  unbekannt.  — a  crossed  and  recrossed 
letter,  ein  Brief,  in  dem  man  um  Papier  zu  sparen  quer  über  die  Zeilen 
weg  geschrieben  hat.  cf.  Trollope,  Barch.  Tow.  (Lond.  1858)  p.  125. 
cf.  Lever,  Davenp.  Dünn.  III,  125. 

a  cross,  ein  Diebsstück,  Betrug,  any  piece  of  sharp  practice,  s. 
Lever,  Davenport  Dünn  I,  189  und  öfter. 

crow.  six  miles  as  the  croAv  flies  (opp. :  as  the  train  jogs ,  seven 
m.).  Times:  in  grader  Linie;  cf.  Reade,  Love  me  1.  251.  T.:  David 
was  going  as  the  crow  flies  across  some  meadows  half  a  mile  ahead. 
Lever,  Davenp.  Dünn  III,  45.  T. :  I  go  usually  as  the  crow  flies  and 
as  nearly  as  I  can. 

cry.   Auch  :  more  cry  than  -wool  in  the  business. 

customer,  a  tough ,  a  rum ,  bes.  an  ugly  customer,  Einer  mit 
dem  schwer  fertig  zu  werden  ist  (schlimmer  Kunde  auch  jetzt  bei  uns). 

to  cut.  Eigenthüml.  Vergleich  bei  Thack.,  Newc. :  she  cut  me  as 
dead  as  a  stone.  Das  Verb  hat  die  Bedeutung  auch  in  Beziehung  auf 
Sachen :  I  vote  we  cut  the  theatre  to-day  (aufgeben) ,  I  advise  you  to 
cut  Horace  (bei  Seite  liegen  lassen);  so:  cut  it,  Dick.,  Little  Dorr. I,  109. 
Auch:  sich  davon  machen  (Dick.,  Hard  T.)  —  to  cut  in,  in  die  Rede 
fallen.  —  to  cut  out  wird  namentlich  von  dem  bei  den  englischen 
Seeleuten  beliebten  Bravourstück  gesagt,  dass  bei  Blokade  eines 
Hafens  oder  dgl.  ein  bemanntes  Boot  still  an  die  feindlichen 
Schiffe  hinanfährt,  plötzlich  eins  derselben  durch  Ueberraschung  nimmt 


398  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

und  damit  fortfährt.  —  that's  cutting  it  rather  fat  (Dickens,  Sk.  92. 
T.)  =  Coming  strong,  q.  v. ,  doch  mit  der  Nebenbedeutung  des  Auf- 
schneidens. —  a  man  cuts  up  rough,  ist  grob  und  kurz  angebunden: 
Dickens,  H.  T.  49.  T.,  cf.  Reade,  Love  nie  1.  388.  T.  the  more  genteel 
we  takes  'em,  the  rougher  they  cuts.  cut  up  difficult,  Dick.,  Little  Dorr. 
IV,  131.  T.  -Anders  Trollope,  Warden  (Lond.  1859)  p.  155:  when 
dying,  he, was  said  to  cut  up  exceeding  Avell:  hinterliess  viel,  weil  die 
Hinterlassenschaft  von  den  Erben  getheilt  wird.  —  he's  a  nicish  cut 
of  a  horse.      Cornh.  Mag.  1860.  Framley  Parsonage. 

cu  tt  i  n  g-  whip,  eine  Hetzpeitsche  (Guy  Liv.). 

dagger.  to  be  at  daggers  drawn  with  .  .  .,  auf  dem  Fusse  der 
äussersten  Feindseligkeit  stehen. 

d  a  i  s  y  -  picker.  Der  kleine  Bruder  oder  sonstige  Begleiter,  der  mit 
dem  Liebespaare  geht,  damit  der  Anstand  gewahrt  ist.  Natürlich  wird 
er  nach  Kräften  entfernt:  er  möge  gehn ,  sich  Blumen  suchen  u.  dgl., 
daher  der  Name,  to  play  d.  p.,  der  lästige  Dritte  sein. 

d  an  ger-  lights,  die  auf  Eisenbahnen  zur  Warnung  aufgestellten 
Laternen  (Dickens,  H.  T.). 

dark  horse,  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  330:  inracing  phraseology 
a  horse  whose  chance  of  success  is  unknown ,  and  whose  capabilities 
have  not  been  made  the  subjeet  of  comment.  Sl.  D. 

Davy  Jones.  Seemannsausdruck  für  den  Teufel,  Reade,  Love 
nie  1.  p.  329.  T.  to  go  to  Davy's  locker,  ertrinken,  cf.  B.  XXI,  164. 

day.  my  father's  day  was  that  of  Cavendish,  Black  etc.  Capt. 
Dundonald,  Autob.:  Zeit,  Zeitalter;  so:  thestatesmen  of  our  day,  Reade, 
Love  ine  1.  186.  T.  —  come  and  dine  with  us  to-morrow,  the  next 
day  —  your  own  day  (Thack.,  Newc  ?),  bestimmen  Sie  selbst  einen  Tag; 
so  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  51.  T.  always  asking  him  to  name  his 
day.  cf.  Dick.,  Little  Dorr.  II,  136.  T.  —  a  good  day's  wage  for  a 
good  day's  work  ,  sprüch wörtlich  geworden.  Cornh.  Mag.  1860.  Jul. 
p.  116. 

de  ad.  Der  Uebergang  dieses  Adjectivs  in  die  Bedeutung  voll- 
kommen oder  vollständig  ist  in  den  Wörterbüchern  nicht  gehörig 
verfolgt.  Er  scheint  sich  aus  der  Bedeutung  todt  =  ohne  Verän- 
derung und  Bewegung  zu  entwickeln.  Den  Weg  zeigen  Beispiele, 
wie  dead  drunk,  to  come  to  a  dead  lock  oder  stop,  sowol  eigentlich  von 
Pferden,  Wagen  u.  dgl.,  wie  übertragen  von  der  Rede,  wenn  man  stockt, 
dead   short,  Reade,    Love  me  1.    414.  T. :  he   did  not  check  her  weak- 


Beitrage  zur  englischen  Lexicographie.  399 

ness  dead  short.  a  dead  pause,  Trollope,  Barch.  Tow.  (Lond.  1858) 
203.  —  a  dead  calm ,  a  dead  swoon  (==  total,  wie  ein  Todter), 
dann  in  tlie  dead  of  winter,  of  night  —  Begriffe,  in  denen  an 
sich  schon  eine  Negation  der  Lebensbewegung  liegt,  und  zu  denen  dead 
gewissermassen  nur  als  Verstärkung  tritt ;  dagegen  hat  es  ganz  die  an- 
dere Bedtg  in :  the  ship  had  the  wind  dead  against  her  (daher  mit 
Auslassung  des  against :  a  dead  wind,  conträr)  und  übertragen :  it  went 
dead  against  my  experience  (widersprach  dir e et),  all  appearances  are 
dead  against  us;  ferner  dead-level,  vollkommen  horizontal,  a  dead  bar- 
gain  (da  I  bought  it  a  bargain  =  billig),  äusserst  wohlfeil,  a  dead  fai- 
lure,  und  das  von  Str.  citirte  a  dead  shot,  und  deadly  necesary;  dead 
certainty,  cf.  Lever,  Davenp.  Dünn  III,  7.  T.  a  duel  is  meant  to 
be  a  hazard,  not  a  dead  c. ;  dead  weight,  volle  Last,  Dick.,  Little 
Dorr.  I,  264;  III,  98.  T.  —  Saucy  Sal  is  a  dead  break-down,  Lever, 
Davenp.  Dünn  II,  266.  T.  Auch  gehört  wol  hieher  das  oben  citirte  she 
cut  me  as  dead  as  a  stone  aus  Thack.,  cf.  mortal.  ■ —  the  book  feil  dead 
from  the  press ,  ohne  Erfolg ,  von  todtgebornen  Kindern  hergenommen, 
so  wie  auch  still  born  von  beiden  gesagt  wird.  —  They  will  not 
be  dead  to  the  justice  of  these  remarks  bildet  den  Gegensatz  zu  dem 
üblichen  alive  to  a  danger,  an  injury.  cf.  Lever,  Davenp.  Dünn  LT, 
1 3 :  what  a  deal  of  delightful  affliction  might  we  enjoy  that  w  e  are 
now  dead  to.  —  dead  beat,  vollständig  herunter,  erschöpft. 

deed  statt  damned  (d — d),  Reade,  Love  me  1.  etc.  p.  31.  T. 

to  de  grade,  den  Namen  des  Studenten  wegen  ungenügenden  Exa- 
mens in  der  Liste  unter  die  von  einem  Jahre  später  setzen.  (Farrar, 
Jul.  Home.) 

demented  fehlt  im  Lexicon.  (every  living  creature  there  held 
life  as  of  no  aecount  and  was  demented  with  a  passionate  readiness  to 
sacrifi.ee  it,  Dickens,  Two  Cit.  II,  28.  T.)  verrückt,  doch  immer  mit  iro- 
nischer oder  sehr  prägnanter  Bedtg  ,  so  dass  es  in  gewöhnlicher  Rede 
nicht  gebraucht  wird. 

devil.  dient  gradezu  als  Negation  wie  in  devil  a  bit,  devil  a  far- 
thing,  devil  a  good  it  is,  Lever,  Davenp.  Dünn  1,  48.  T.  the  devil  a 
thing,  ib.  41,  u.  dgl.,  und  als  Steigerung  in  Ausdrücken  wie:  the  horse 
is  the  devil  to  pull.  —  the  devil  to  pay,  eine  häufig  falsch  verstandene 
Phrase,  der  Bedeutung:  ich  bin  in  grosser  Verlegenheil,  abgekürzt  au> 
der  vollständigem  Phrase :  there  is  the  devil  to  pay  and  no   pitch  hot, 


400  Beiträge  zur    englischen  Lexicographie. 

der  Teufel  kommt  und  will  theeren  und  wir  haben's  Pech  nicht  heiss 
gemacht!  cf.  Cornh.  Mag.  Sept.  1860.  p.  363. 

Dick  Tom  and  Harry  gebraucht  wie  Hans  und  Kunz,  oder 
Cajus  und  Titius  bei  den  Juristen ,  um  beliebig  verschiedene  Personen 
zu  bezeichnen. 

dip.  to  have  a  coat  dipped,  sich  einen  Rock  färben  lassen. 

direction.  Gegend:  are  you  often  in  this  direction? 

distress,  das  Lexicon  sollte  das  Wort  Executionsverfahren  geben, 
cf.  über  das  Verfahren  Dickens,  Sketches  p.  25.  ff.  T.  to  put  in  a  d., 
Execution  vollstrecken;  das  Recht  dazu  giebt  der  Warrant  ofd.,  Exe- 
cutionsmandat ;  die  Extrahirung  eines  solchen  to  levy  a  d.  In  das  be- 
treffende Haus  wird  ein  Mensch  geschickt,  der  darauf  zu  achten  hat, 
dass  keines  der  vorhandenen  Möbel  verschleppt  wird  (he  is  put  in 
possession)  ;  er  steht  gewöhnlich  mit  einem  Trödler  in  Verbindung  und 
wird  daher  the  broker's  man  genannt;  er  muss  von  dem  Schuldner 
gefüttert  werden,  bis  der  Anspruch  befriedigt  ist  (the  execution  is  paid 
out,  d.  h.  man  wird  durch  Bezahlung  ihrer  los).  Die  Gerichtskosten 
the  co st  of  levy. 

to  do,  auch  Jemand  abfertigen  ;  a  do  =i  a  trick,  (I  thought  it  was 
a  do  to  get  rid  of  me,  Dick.,  Sk.  28.  T.).  cf.  Reade,  Love  me  1.  90.  T. 
und  von  Menschen:  he  is  a  regulär  do.  —  to  do  Venice,  abmachen, 
Alles  darin  besehen,  to  do  over  Agamemnon ,  repetiren  (Farrar,  Jul. 
Home),  to  do  for,  aktivisch,  Dick.,  Little  Dorr.  III,  169.  T.  (L.  nur: 
to  be  done  for.) 

dodge  auch  als  Subst.  neben  dem  gleichlautenden  Verbum  =  a 
trick.  Oft  bei  Dickens,  doch  auch  in  ernstrer  Sprache  nicht  mehr  un- 
gewöhnlich, dodger,  einer  der  sich  darauf  versteht.  —  a  master  dodges 
his  class,  fragt  die  Schüler  ausser  der  Reihe. 

dog.  Ein  modernes  Synonym  zu  to  go  to  the  dogs  ist  to  go  to 
the  bad;  cf.  unter  go.  —  to  slink  off  like  whipped  dogs.  —  to  run  off 
like  a  dog  with  a  kettle  at  his  tail.  —  bread  thrown  to  a  dog,  von  ver- 
ächtlich gespendeten  Wohlthaten.  —  to  dog  nachfolgen ,  auch  übertr. : 
the  terrible  ennuy  which  dogs  the  shadow  of  wasted  time  (Farrar, 
Jul.  Home). 

dogfancier,  pr.  a  man  who  has  a  fancy  for  dogs;  dann  der  mit 
solchen  handelt,  was  zu  den  niedrigsten  Gewerben  gehört  (Farrar,  Jul. 
Home;  cf.  Macm.  Mag.  Nov.  1859,  p.  30).  so  auch  birdfancier,  Dickens, 
Sk.  70  und  179.  T. 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  401 

dons,  auf  der  Universität  die  masters,  lecturers ,  deans,  tutors, 
auch  fellows.  the  dons  in  Downing-Street,  die  Minister,  Lever,  Davenp. 
Dünn  III,  229.  Auch  das  Adjectiv  donnish  ist  üblich  im  Sinne  von: 
Einer,  der  den  Grossen  spielt. 

done!  topp!  abgemacht!  häufig,  z.  B.  Dickens,  Little  Dorr.  I, 
204.  T. 

donkey.  I  am  so  hungry  that  I  could  eat  a  donkey  with  a  hamper 
of  greens.  —  a  donkey-engine,  eine  zweite  Maschine,  die  nicht  mit  zur 
Fortbewegung  des  Schiffes  dient. 

a  doubl e-first,  ein  Student,  der  bei  der  Examination  sowol  in 
classics  als  in  mathematics  in  die  erste  Klasse  kommt.  Trollope,  Barch. 
Tow.  148,  398,  436. 

doubled  ealing  adjectivisch,  Cornhill  Mag.  1860  p.  149:  a  dou- 
bledealing  parson. 

dow,  eine  Art  arabisches  Fahrzeug,  oft  erwähnt  in  Russell,  Diary. 

d  o  w  n  y.  the  downiest  cove  to  be  met  with  any  where,  Lever, 
Davenp.  Dünn  I,  54.  T.   der  verschlagenste  Bursche. 

dress.  Reade,  Love  me  1.  p.  9.  T.  She  is  not  pretty,  but  she  is 
eighteen ;  so  I  can't  afford  to  dress  her,  durch  meinen  Anzug  dem  Ein- 
drucke ihrer  Jugend  gleichkommen,  wol  gebildet  nach   to  dress   a   part. 

drawn-in  features,  zusammengekniffne  Züge.  —  we  do  not  draw 
well  together  (vom  Zugvieh  hergenommen),  wir  passen  nicht  zusammen. 
—  to  draw  a  cover  (von  einem  Netz  oder  dgl.  hergenommen)  heisst 
es,  wenn  Jäger  und  Hunde  in  einer  Linie  durch  das  Gehölz  hinziehen, 
es  abzusuchen  (Guy  Liv.).  to  beat  a  c.  bei  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  41 
T.  in  derselben  Bedeutung.  —  to  draw  to  a  close,  sich  seinem  Ende 
nahen. 

dres  sers,  junge  Assistenzärzte,  die  unter  Anleitung  eines  sur- 
geon  in  Hospitälern  hauptsächlich  zum  Anlegen  von  Verbänden  und 
dgl.  verwandt  werden.  Dickens,  Little  Dorr.  III,  213.  T. —  In  anderer 
Bedeutung  Dickens,  Sk.  277:  what  a  magnificent  dresser  Mr.  Simpson 
is !  wie  herrlich  er  sich  anzuziehen  versteht! 

ducks,  Dickens,  Sk.  426.  Hosen  aus  einem  besondern  weissen 
Sommerstoff. 

dummy.  Reade,  Love  me  1.  p.  218.  T.  a  hair-dresser's  d.,  die  Wachs- 
puppe im  Schaufenster  eines  Friseurs. 

eat.  Bei  L.  würde  ein  Beispiel  gut  thun,  wie  Reade,  Love  me  1. 
p.  18.  T.  meat  and  potatoes  eat  better  hot  than  cold. 


402  Beiträge   zur   englischen   Lexicographie. 

•» 

eight.  Bei  boat-races  sind  8  die  übliche  Zahl  der  Rudrer  in  einem 
Kahne.  Jedes  College  auf  der  Universität  pflegt  seine  8  besten  Rudrer 
zu  bestimmen,  um  bei  den  jährlich  stattfindenden  Wettfahrten  zu  wett- 
eifern; sie  haben  einen  Capitain  an  der  Spitze  und  werden  nicht  bei 
ihren  Namen,  sondern  bei  ihrer  Nummer  gerufen:  he  was  „5"  in  the 
university  eight.  Guy  Liv.  p.  23.  T. —  figure  of  e.  (ib.)  eine  besondere 
Form  der  Rennbahn;  die  Figur  der  8  bietet  eine  grössere  Ausdehnung, 
als  wenn  man  einfach  im  Oval  um  denselben  Raum  herumritte. 

eirie  oder  eerie.  Cornh.  Mag.  1860.  Jul.  p.  75  the  wind  was  Coming 
from  the  sea  every  now  and  then  in  chill  eerie  soughs.  —  Farrar,  Jul. 
Home :  an  eerie  story ;  ein  schottisches  "Wort,  in's  Englische  hinüberge- 
nommen, weil  dort  ein  Wort  der  Bedeutung  „unheimlich"  fehlt;  wol 
dasselbe  mit  dem  von  Str.  ohne  Bedeutung  angeführten  eyry.  Jamieson 
Scot.  Dict.  giebt  ery,  eiry,  eerie;  affected  with  fear,  from  whatever 
cause  —  dann:  excited  by  wildness  of  Situation,  und:  denoting  the  fee- 
ling  inspired  by  the  dread  of  ghosts. 

eldrich. ?  an  e.  screech.  Reade,  Love  me  1.  p.  219.  T. 

enemy.   how  goes  the  enemy,  was  ist  die  Uhr? 

enfeofment  by  seisin,  die  Art,  Grundeigenthum  zu  übertragen, 
wobei  man  den  Käufer  zu  demselben  hinführt,  und  ihm  etwas  zu  dem- 
selben Gehöriges  ,  etwa  einen  Zweig  von  einem  Baume,  in  die  Hand 
giebt.  Jetzt  fast  ausser  Gebrauch,  und  ersetzt  durch  die  Uebertragung 
by  lease  andrelease. 

to  establish  a  marriage,  eine  Ehe  zur  öffentlichen  rechtsgültigen 
Anerkennung  bringen,  nachdem  sie  etwa  im  Geheimen  oder  im  Aus- 
lande geschlossen  ist.     Solly  Campbells. 

to  evaporate,  das  Zimmer  verlassen,  „verduften,"  verschwinden  ; 
öfters  z.  B.  Dickens,  Sk.  409.  T. 

even.  1*11  bet  an  even  fifty,  Guy  Liv.,  50  Pfund  gegen  50.  cf. 
Lever,  Davenp.  Dünn  I,  189:  l'll  stake  an  even  fifty,  on  either 
side. 

Exon.  The  Commander  of  the  royal  bodyguard  is  called:  „Exon 
of  the  household." 

eye.  up  to  one's  eyes  in  .  .  .,  bis  über  die  Ohren  in  .  .  .  —  to 
look  in  one's  face  with  all  on's  eyes. 

to  face.  Auch:  so  stellen  oder  legen,  dass  man  die  Vorderseite 
der  Sache   vor   sich  hat.    The   letters  are  faced  (Art.  in  Westm.  Rev. 


Beiträge   zur  englischen  Lexicographie.  403 

1860.  über  die  Post);  nachher  erklärt:  turned  with  their  directions  up- 
wards. 

to  fall  in,  ablaufen  von  Gontrakten:  he  offered  me  the  lease 
lately  fallen  in  of  your  cloth-mills  at  Enderly  (John  Halifax),  to  f.  out 
of  the  garae,  vorn  Spiele  zurücktreten,  Reade,  Love  me  1.  ,178.  T. 

to  fall  back  lipon ,  sich  an  etwas  halten,  einen  Rückhalt  haben 
an.   With  Prussia  to  fall  back  upon  in  a  case  of  need  ...  —  (Times). 

fancy-work,  feinere  weibliche  Handarbeiten,  wie  Sticken  ,  Häkeln 
und  dgl.,  zum  Unterschied  von  plain-work. 

fangled.    The  old-f.  banker.    Reade,  Love  me  1.  etc.  p.  1G7.  T. 

fast.  Slang,  aber  in  allgemeinem  Gebrauch,  ist  das  bezeichnende 
Adj.  für  fashionables  Leben ,  noble  Passionen  und  dgl.  Jeder,  der  so 
sein  Geld  gut  anzubringen  versteht,  ist  fast;  entweder  'because  he  goes 
fast  and  in  the  shortest  possible  way  through  bis  income,'  oder  because 
he  lives  too  fast  d.  h.  sich  nicht  conservirt.  Von  Damen  gebraucht  be- 
deutet es  etwas  Aehnliches  wie  emaneipirt ,  oder  auch  einen  luftigen 
Blaustrumpf,  cf.  rapid.    Als  opp.  erscheint  bisweilen  slow. 

feeler.  to  put  out  a  f.,  sich  vorläufig  orientiren. 

felon's  docks.     Die  Anklagebank  in  Criminalprozessen. 

fetlock.  Auf  diesen  Theil  wird  zum  Zweck  der  Beurtheilung, 
namentlich  des  Temperaments  der  Pferde,  besondere  Aufmerksamkeit 
gerichtet,  wie  der  alte  Vers  zeigt:  one  white  foot,  buy  him  —  two 
white  feet,  try  him  - —  three  w.  f.,  doubt  him  —  four  w.  f.,  scout  him. 

figure-head,    Gesicht.   Reade,  Love  me  1.  p.  37.  T. 

to  file  an  Information.  Dies  ist  der  erste  Schritt  in  einer  ge- 
wissen Art  von  Prozessen ,  die  Aufstellung  des  ersten  Schriftsatzes. 
Auch  to  file  a  bill,  im  Court  of  Chancery,  cf.  speeif.  perf. 

fine,  medium,  broad.  Die  drei  Grade  der  Schärfe  von  Stahl- 
federn. 

finial,  ein  gothischer  Giebel  mit  Krabbenverzierungen  (Bulw., 
What  will  he  etc.). 

fire:  Reade,  Love  me  1.  etc.  p.  18.  T.  she  missed  fire,  übertragen 
grade  wie  ..abblitzen"  von  Scherzen  und  dgl.,  worauf  der  Andre  nicht 
eingeht. 

a  first,  a  second,  wer  nach  "der  Examination  in  Cambridge  einen 
Platz  in  der  ersten  oder  zweiten  Klasse  erhält,  cf.  double -f.  Das 
Wort  wird  auch  auf  den  Platz  bezogen  :  to  get  a  first.  —  bis  hopes 
were  crowned  by  a  first  or  second  (Guy  Liv.). 


404  Beiträge   zur  englischen  Lexicographie. 

fish.  All  is  fish  that  comes  to  net,  sprüchw.  Man  muss  jeden 
Vortheil  mitnehmen.  —  fish-tail  burners,  die  gewöhnliche  Form  der 
Gasflamme  (tulpenförmig). 

flats  und  flies,  Namen  für  Theaterdecorationen.  Dickens,  Sk.  p. 
425.  T.  flats  s.  Str.;  flies  müssen  die  von  oben  herabhängenden  sein 
nach  ib.  434. 

flats  nicht  bloss  Stockwerke,  L.,  sondern  überhaupt  Theile  eines 
Hauses ,  die  einzeln  vermiethet  werden ,  also  am  genausten  dem  ent- 
sprechend, was  wir  Wohnung  oder  Quartier  nennen:  besonders  so  für 
Comptoire  und  dgl.  abgelassen.  Cornh.  Mag.  1860.  Jul.  (The  House 
that  John  built) :  gorgeous  merchant's  houses  in  Fenchurch  and  Leaden- 
hall,  now  let  out  in  flats  as  offices  and  Chambers. 

let  the  flea  stick  in  the  wall,  Reade,  Love  me  1.  p.   277.  Bed.  ? 

a  fleck  on  one's  character  findet  sich  in  Farrar,  Jul.  Home. 

flight  nennt  man  die  (zufälligen)  Abtheilungen  oder  Gruppen, 
in  denen  sich  beim  Wettreiten  die  stärksten  oder  die  schwächeren 
Reiter  zusammenhalten :  he  took  the  lead  of  the  second  flight,  er  war 
der  erste  von  den  zweit-besten  Reitern  (Guy  Liv.). 

flimsy,  eine  Banknote,  cant.  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  158.  T. : 
when  a  man  sends  you  the  flimsy,  he  spares  you  the  flourish. 

to  floor,  pr.  im  Ringkampf  zu  Boden  werfen,  und  davon  auf 
das  Unterliegen  in  jedem  Wettstreit  übertragen ,  auf  Wettreiten ,  Exa- 
mina und  dgl.  In  letztrer  Beziehung  sagt  man  auch  umgekehrt:  I  floored 
the  paper  (d.  h.  das  Blatt,  das  vor  dem  Examen  vertheilt  wird  und  die 
Aufgaben  enthält),  ich  löste  glänzend  alle  Aufgaben.  Lever,  Davenp. 
Dünn  II,  337.  Dick.,  Little  Dorr.  IV,  153.  T. 

to  flop,  wird  von  Dick.,  Two  Cities  im  Munde  einer  bestimmten 
Person  fortdauernd  als  verächtliche  Bezeichnung  des  Betens  und  frommer 
Gesinnung  überhaupt  angewandt,  z.  B.  I,  87:  If  you  must  go  flop- 
ping  yourself  down,  flop  in  favour  of  your  husband  and  child.  Vom 
Aufschlagen  der  Knie  auf  den  Boden  beim  Niederknieen  zum  Beten. 

floss-silk  lose,  ungesponnene  Seide  ,  Reade,  Love  me  1.  p.  31.  T. 
Dick.,  Little  Dorr.  I,  210.  T.  Trollope,  Barch.  Tow.  (Lond.  1858)63. 

flourish.  how  do  you  fl.  ?  scherzhaft  statt  do. 

fluffy,  Dick.,  Hard  T.  152.  T.  faserig,  auch  in  der  Bedeutung 
schäbig,  da  es  vom  Tuch  gesagt  wird ,  von  dem  sich  Stückchen  der 
Wolle  loslösen. 

flunkey.  Nach  Jamieson,  Diction.  ist  das  Wort  schottisch. 


Beiträge  zur  englischen  Lexic  ographie.  405 

fly-whisk,  Fliegenwedel.  —  f  1  y  -  catch  er,  Maulaffe.  Dickens, 
Little  Dorr.  I,  183.  T.  —  to  shoot  flying,  den  Vogel  im  Fluge  schiessen. 
—  f  1  y  ,  verschlagen,  Lever,  Davenp.  Dünn  III,  256.  T. 

to  follow  the  hounds,  ein  Jagdliebhaber  sein. 

to  follow  suit,  eigentlich  vom  Kartenspiel  (s.  L.).  Dann  über- 
haupt nachfolgen,  nachahmen;  doch  nur  scherzhaft,  z.  B.  Cornh.  Mag. 
1860,  Aug.,  p.  242.  then  Justice  .  .  .  girds  herseif  for  a  Walking  tour 
half  way  over  Europe,  with  a  pipe  in  her  mouth.  The  Exchange  quickly 
follows  suit;  cf.  Reade,  Love  me  1.  p.  101.  T.  she  even  developed  a 
feeble  sense  of  fun  ,  followed  suit  demurely  when  Eve  came  out 
sprigthly  etc. 

fool.  —  Tbat  is  but  a  fool's  reason ,  ein  schlechter  Grund,  und 
Aehnliches.  —  he  who  is  his  own  counsel,  has  a  fool  for  his  client, 
sprüchwörtlich.  —  he  is  not  such  a  fool  as  he  looks,  nicht  so  dumm 
wie  er  aussieht.  —  all  fool's  day,  der  erste  April,  komisch  nach  all 
Saint's  day. 

for.  I,  for  one,  have  never  etc.  Ich,  z.  B. ,  oder  ich:  für  mein 
Theil.  —  Auf  Einladungen :  at  half  past  four ,  for  five  o'clock ,  d.  h. 
man  bittet  um  halb  fünf  zu  kommen,  der  Anfang  ist    präcis   fünf  Uhr. 

to  force  water,  Wasser  heben,  in  die  Höhe  treiben. 

fore  substantivisch:  are  there  not  soldiers  still  to  the  fore,  etc. 
Soldaten,  die  stets  voran  sind  (Guy  Liv.).  cf.  Davenp.  Dünn  I,  45.  T. : 
if  you  are  not  to  the  fore. 

fore  lock,  to  pull  one's  f.,  eine  Art  der  Begrüssung  bei  Bauern; 
sie  fahren  sich  an's  Haar,  als  ob  sie  einen  Hut  aufhätten  ,  und  ziehen 
an  der  Locke  den  Kopf  herunter.  Aehnliches  bedeutet  wol  die  einer 
Persönlichkeit  in  Hard  Times  fortdauernd  beigelegte  Pantomime,  die 
Dickens  mit  „he  knuckled  his  forehead"  bezeichnet.  Trollope,  Barch. 
Tow.  332.  —  to  take  time  by  the  f.,  schnell  handeln,  Dick.,  Little 
Dorr.  III,  237.  T. 

foreparted  oder  new  fronted,  vorgeschuht. 

foresters.  Eine  zu  Geselligkeits-  und  Unterstützungszwecken 
gestiftete,  äusserst  zahlreiche  Gesellschaft  durch  ganz  England.  Sie 
haben  ein  dem  Namen  entsprechendes  phantastisches  mittelalterliches 
Jagd-Costüm. 

freezer.  Reade,  Love  me  1.  p.  57.  T.  erklart  als  one  of  those 
men  who  cannot  shine  but  can  eclipse.  They  darken  all  —  by  Casting 
a  dark  shadow  of  trite  sentences  on  each  luminary. 


406  Beitrüge   zur  englischen  Lexicographie. 

friends.  „you  may  write  to  your  f.",  eine  umschreibende  Redens- 
art für  sterben,  wie  wir:  Du  kannst  Dein  Testament  machen  (Guy 
Liv.)- 

front,    ein  falscher  Scheitel  bei  Damen.     Dick.,  Sketch.  439.  T. 

a  füll  length,  subst. ,  ein  lebensgrosses  Bild.  —  a  füll  private, 
spasshaft,  wie  wenn  wir  sagten:  „ein  ganz  gemeiner  Soldat"  (Times), 
to  come  füll  uporJ  somebody,  grade  auf  Einen  loskommen. 

gage,  broad  and  naiTow,  schmale  und  weite  Spur  bei  Eisenbahn- 
wagen, the  war  of  the  gages,  der  im  vorigen  Jahrzehnd  geführte  Streit, 
ob  die  alte  schmale  Spur  (4'  10")  oder  die  breite,  von  Brunei  auf  der 
Great-Western  Bahn  zuerst  angewandte  (7')  allgemein  einzuführen  sei. 

gall  and  worin wood  öfters  so  verbunden,  um  etwas  äusserst 
Bitteres,  Herzkränkendes  zu  bezeichnen. 

g  a  m  e ,  wahrscheinlich  hergenommen  vom  game-cock,  bedeutet  als 
S.  Muth,  als  A.  muthig,  bereit  zum  Unternehmen.  Trollope,  Waiden 
78.  Dick.,  Sk.  458.  T.  Bei  Dieben  heisst  to  die  game,  sterben  ohne 
bekannt  zu  haben.  Lever,  Davenp.  Dünn  II,  218.  T. 

g  a  p  i  n  g '  s  catching ;  hanging's  stretching. 

gas-fitter.  Ein  besonderer  Gewerbszweig:  sie  machen  Gaseinrich- 
tungen und  Alles,  was  in  das  Fach  schlägt ,  Wasserleitungen  und  dgl. 

gate.  pi-oselytes  ofthe  g.  sind  eine  besondere  Art  Convertiten  vom 
Heiden-  zum  Judenthum ,  die  in  ein  inneres  Thor  des  Tempels  nicht 
eingelassen  wurden.  (?) 

gateway.  It  seemed  that  some  obstruetion  in  the  gateways  out- 
ward prevented  her ,  in  her  waking  hours ,  from  being  able  at  all  to 
utter  herseif,  Cornh.  Mag.  Jul.  1860  p.  76:  seine  Wege  der  Wahrneh- 
mung und  Aeusserung.  Aehnlich  nennt  Reade,  Love  me  1.  p.  236.  die 
Ohren  an  avenue  ofsense. 

their  geese  are  always  swans  sagt  man  in  Bezug  auf  Prahler. 
cf.  Trollope,  Barch.  Tow.  (Lond.  1858),  152:  he  observed  that  one 
person's  swans  were  very  offen  another  person's  geese. 

germanified  letters,  Reade,  Love  me  1.  p.  94.  T.  schnörklig, 
schwer  zu  lesen. 

get.  —  to  g.  something  in  =  into  the  bargain,  als  Zugabe  bei 
einem  Kauf  bekommen.  A  lady  very  much  got  up,  sehr  herausgeputzt; 
auch  the  g et -u p  ,  die  äussere  Erscheinung,  Lever,  Davenp.  Dünn  III, 
196.  T.  —  I   wish  you   may  get  it,  sehr  übliche  Phrase  der  Verhöh- 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  407 

nung  gegen  Jemand,  der  eine  Forderung  gestellt  hat,  die  man  nicht  ge- 
sonnen ist  zu  bewilligen.  —  a  got-up  affair,  besonders  angestiftet. 

Gills,  spasshafte  Bezeichnung  für  Jemand,  der  sehr  hohe  Vater- 
mörder trägt.    Dies  gibt  Antwort  auf  Str.'s  Fragezeichen. 

the  gist  (of  a  criticism) ,  der  eigentliche  Gehalt,  die  Seele  (Fl. 
und  L.  geben  nur  Hauptgrund  der  Anklage). 

to  g  i  v  e  a  horse  Ins  gallops,  ein  durchgehendes  Pferd  in  vollem 
Carriere  davon  rennen  lassen  (Guy  Liv.).  —  to  g.  the  wall.  Die 
Sitte  ist  picht  mehr,  denn  Murray's  neustes  Fremdenbuch  giebt  die 
Weisung :  Take  the  right  hand  side  of  those  you  meet  in  Walking  along 
the  streets.  —  „Give  a  chimney-sweep  the  wall,"  eine  Vorschrift  wie 
unser:  Einem  Betrunknen  und  einem  Fuder  Heu  muss  man  aus  dem 
Wege  gehen.  —  to  give  tongue,  anschlagen,  vom  Hunde  (Dick.,  H.  T. 
p.  36.).  to  g.  mouth  (ib.  p.  42),  viel  über  etwas  reden  (vulg.). 

glazing  speciell  auch  das  Firnissen  von  Gemälden. 

to  gloat,  auch:  neidisch  oder  hämisch  scheel  sehen.  The  world 
is  always  eager  to  gloat  OArer  the  detected  vice  of  a  clergyman.  Cornh. 
Mag.  1860  p.  39. 

to  take  the  gloss  (oder  shine)  off,  pr.  vom  Tuche,  das  den 
Glanz  verliert;  dann  mit  einer  üblichen  Uebertragung:  Jemandes  zu 
hohe  Hoffnung  dämpfen,  ihm  die  zu  hohe  Meinung  von  sich  selbst  be- 
nehmen. When  matters  went  smoothly,  she  itched  to  torment  and  take 
the  gloss  off  David.  Reade,  Love  me  1.  p.  141.  T. 

gloves.  —  she  had  laid  half  a  point  more  —  not  in  gloves  — 
on  the  heavy-weight  (Guy  Liv.).  Wetten  mit  Damen  werden,  um  ihnen 
den  Anschein  der  Leidenschaft  oder  Gewinnsucht  zu  benehmen,  so  ge- 
schlossen, dass  ihnen  der  Gewinn  nicht  in  Geld,  sondern  in  Handschuhen 
gezahlt  wird.  Die  betreffende  Dame  erscheint  also  hier  als  besonders 
„fast." 

glutton.  —  he  took  bis  punishment  like  a  glutton  (Guy  Liv.). 
Der  Vergleich  ist  im  ring  heimisch  ;  als  wenn  er  nicht  genug  bekommen 
könnte;  er  hielt  so  standhaft  aus,  als  machte  es  ihm  Vergnügen. 

go.  —  to  espress  an  opinion  without  good  grounds  to  go  upon, 
fussen  —  he  would  certainly  be  on  her  side  as  far  as  opinion  went ; 
so  weit  es  auf  —  ankam,  oder  was  —  anbetraf  (Cornh.  Mag.  1860. 
June);  ähnlich  I  believed  them  honest  men,  as  times  went,  sehr  üblich 
so :  nicht  nach  dem  strengen  Begriff,   sondern  in  Anbetracht  der  allge- 


403  Beiträge   zur    englischen   Lexicographie. 

meinen  Un Vollkommenheit  der  menschlichen  Natur,  no  bad  thing,  as 
times  go,  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  58.  T.  —  well  read,  as  times  go, 
Cornh.  Mag.  Sept.  1860,  274.  —  Here  we  go  again ;  da  haben 
wir's  schon  wieder  (Dick.,  Hard  T.  p.  41).  —  that  goes  very  well 
with  cake,  schmeckt  zu  .  .  . ,  auch:  wine  and  walnuts  go  particularly 
well  together.  —  to  let  go  towards  .  .  .  zugeben,  dass  etwas  wozu 
verwendet  wird :  this  five  pounds  will  go  towards  paying  that  debt.  — 
she'll  let  that  picture  go  towards  .  .  .  (Opposite  neighbours,  Comedy). 
to  go  in  for  ...,  eigentlich  slang,  aber  im  Gespräch  äusserst  üblich; 
häutig,  z.  B.  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  118.  T.  etwas  unternehmen,  sich 
darauf  legen ;  z.  B.  to  go  in  for  an  examination,  for  a  place.  Von  Je- 
mand, der  in  einer  Gesellschaft  viel  Gefrorenes  vertilgt,  sagt  man  wol: 
he  goes  furiously  in  for  ices ;  a  lady  goes  in  for  dress ;  to  go  in  for 
cameis,  eine  Reise  in  den  Orient  machen,  was  sich  bei  Dick.,  Hard.  T. 
p.  298.  T.  findet.  —  to  go  to  grief=to  thc  dogs :  some  adult  gambler 
gone  to  grief,  Cornh.  Mag.  Jul.  1860  p.  109.  —  to  go  out  at  a  salary 
(Dick.,  Hard.  T.  54.  T.),  sich  in  einen  Dienst  vermiethen.  —  the  bells 
go  three  (ib.),  schlagen  Drei.  —  Als  Subst.  ist  bekannt:  there  is  no  go; 
all  action  and  no  go,  von  einem  Pferde;  here's  a  pretty  go,  Dick.,  SL 
431.  T. ;  a  great  go,  „ein  grosser  Witz'"  nach  berliner  Redeweise.  — 
little  go.  Wenn  L.  erklärt:  „Das  erste  Examen  der  Candidaten  der 
Theologie,  wonach  sie  zu  deacons  promoviren ,  dagegen  the  great  go, 
das  zweite  Examen  derselben,  wonach  sie  zu  priests  werden,"  so  ist 
daran  so  gut  wie  Alles  falsch.  Erstens  gilt  das  Examen  allen  under- 
graduates ,  sie  mögen  Theologen  werden  oder  nicht.  Das  Ordiniren 
zu  deacons  und  priests  liegt  zwar  auch  in  der  Regel  um  ein  Jahr  aus 
einander;  dass  aber  Niemand  darauf  deacon  werden  kann,  ergiebt  sich 
schon  aus  den  geforderten  Gegenständen;  diese  sind,  wie  Farrar,  Jul. 
Home,  erklärt:  „Paley's  Evidences ;  a  little  Greek  Testament,  some 
easy  classic,  Scripture  History  and  a  sprinkling  of  arithmetic  and  al- 
gebra."  Es  ist  nur  eine  previous  examination  (in  Cambr.  little  go,  in 
Oxf.  the  smalls  genannt) ,  die  zu  Ende  des  zweiten  Studienjahres  ge- 
halten wird,  und  hat,  da  viele  junge  Leute  die  Universität  nur  zum 
Vergnügen  besuchen,  den  Doppelzweck,  einmal,  ein  gewisser  Zwang 
für  jene  zu  sein,  sich  in  der  Mitte  des  Trienniums  doch  etwas  wissen- 
schaftlich zu  beschäftigen,  dann  für  die  ein  Jahr  darauf  folgende  exa- 
mination for  honours  die  ganz  Unfähigen  auszusondern.  Das  Durch- 
fallen ist  dabei  also  besonders  schimpflich.    Es  kann  beiläufig  bemerkt 


Beiträge  zur  englischen  Lexicograpbie.  409 

werden,  dass  ein  undergraduate  vor  diesem  Examen  junior  Soph  (so- 
phister), nach  demselben  senior  Soph  im  Cambr.  university-slang  genannt 
wird. 

Golgotha,  der  Hut  (sl.):  „Schädelstätte;"  auch  der  Platz  für 
die  masters  of  the  Colleges  in  der  Kirche  in  Cambrigde  vor  der  Kanzel. 

good.  so  far  so  good,  Reade,  Love  me  1.  etc.  141.  und  338.,  etwa: 
bis  hierher  hat  uns  der  Herr  geholfen !  Wird  auch  gebraucht ,  nach 
einem  Abschnitt  der  Auseinandersetzung  auf  Andres  überzugehen ; 
„gut  also." 

goose.  you  cannot  sarse  the  goose  and  not  the  gander,  Dick., 
Two  Cit.  2,  180.  T. ;  sarse  ist  nur  aus  vulgärer  Ausprache  von  sauce 
entstanden,  und  die  Phrase  danach  umgeformt ;  denn  sie  heisst  eigent- 
lich :  what  is  sauce  for  the  goose ,  is  sauce  for  the  gander  d.  h.  eines 
ist  so  gut  wie  das  andere ;  was  dem  Einen  recht  ist,  ist  dem  Andern 
billig. 

goose step.     Der  erste  Theil   des   Exercirens   bei  Soldaten,  bei 
dem  dieselben  die  Beine  langsam  nach  vorn  und  hinten  werfen  müssen ;: 
so  to  perform   a    perpetual   goosestep     im   Juniheft   des   Cornh.  Mag. 
nicht  vorwärts  kommen.   Fl.  giebt  Gänsemarsch:   dies  giebt  einen   fal- 
schen Begriff;  bei  L.  fehlt  das  Wort. 

gospel.  to  receive  one's  words  as  gospel-truth. 

Gown-boy  (Thack.,  Newc),  Schüler  von  Christ's  hospital  in 
Newgate  Str.  London.  Sie  tragen  eine  höchst  absurde  Kleidung :  einen 
blauen  langen  Rock  mit  faltigen  Schössen,  gelben  Unterrock  und  gelbe 
Strümpfe,  einen  Ledergürtel  und  keine  Kopfbedeckung.  Der  Philologe 
Jos.  Barnes,  Markland,  der  Dichter  Coleridge,  Ch.  Lamb,  Leigh  Hunt 
u.  A.  kamen  aus  dieser  Schule. 

grandmother.  teil  that  to  your  gr.  =  to  the  marines;  es  wird 
auch  bloss  gerufen:  ah,  Granny! 

gray  mare,  zur  Erklärung  der  bei  Lucas  erwähnten  Phrase  diene 
die  landläufige  Geschichte,  dass  irgendwo  der  Frau,  die  ein  ganzes  Jahr 
ihrem  Manne  nicht  widersprochen,  ein  schönes  Ross  verheissen  wurde. 
Nach  Ablauf  der  Frist  ging  Jemand  mit  mehreren  Pferden  umher,  sie 
zur  Auswahl  zu  bieten.  Nur  eine  Frau  fand  sich,  die  Anspruch  zu  er- 
heben wagte.  Als  nun  aber  ihr  Mann  ein  schönes  schwarzes  Pferd  aus- 
wählte, trat  sie  mit  den  entschiednen  Worten  dazwischen:  „No,  no,  the 
gray  mare  is  the  better  horse,"  und  verlor  so  auch  ihren  Preis. 

Archiv  f.   n.  Sprachen.    XXVIII  27 


410  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

green.  In  Bezug  auf  die  bekannte  Bedeutung  existirt  die  übliche 
Phrase :  do  you  perceive  any  green  in  the  corner  of  my  eye  ? 

griff,  „we  were  griffs  at  school  together."  Dundonald,  Autob.  ab- 
gekürzt aus  griffin,  ein  Neuling  in  indischem  Leben.  Ist  aber  so  über- 
tragen nicht  eben  üblich. 

to  grind,  s.  B.,  in  der  Schule,  unser  „büffeln",  grinder  auch  = 
crammer,  q.  v.  (Farrar,  Jul.  Home  oft.) 

grotto.  Der  1.  August  ist  der  Anfang  der  Saison  für  Austern- 
esser. Kinder  bauen  an  diesem  Tage  kleine  Grotten  von  Austernschalen, 
setzen  auch  wol  ein  Licht  hinein,  und  betteln  unter  den  Worten:  „re- 
member  the  grotto." 

ground.  to  take  up  high  gr.,  sich  auf's  hohe  Pferd  setzen;  aber: 
taking  up  higher  g. ,  wenn  man  die  Sache  von  einem  höheren  Stand- 
punkt betrachtet,  Trollope,  Barch.  Tow.  2  92.  the  project  feil  to  the  g., 
frz.  tomber  dans  l'eau. 

guard,  die  Parade  beim  Faustkampf,  die  linke  Hand,  welche  quer 
vor  die  Brust  gehalten  wird  (Guy  Liv.). 

gulf,  die  vierte  Klasse  bei  dem  mathematical  tripos  in  Cambridge, 
oder  vielmehr  diejenigen,  deren  Leistungen  zu  schwach  waren,  sie  in 
die  Klassen  der  wranglers,  senior  und  junior  optime  zu  rangiren,  die 
aber  doch  promovirt  werden.  Sie  durften  das  Ex.  in  classics  nicht 
machen.    Die  Sache  ist  jetzt  geändert.     Auch  to  be  gulfed. 

gullible,  leichtgläubig.  Fl.  und  L.  geben  nur  das  abgeleitete 
Subst. 

gumption;  für  dies  Wort  giebt  das  Sl.  D. :  from  gaum,  to  com- 
prehend;  „I  canna  gauge  it,  and  I  canna  gaum  it,"  as  a  Yorkshire 
exciseman  said  of  a  hedgehog. 

gun.  great  guns,  Leute,  von  denen  viel  gemacht  wird,  Notabili- 
täten,  Cornh.  Mag.  1860.  Aug.  p.  256.  Dick.,  Little  Dorr.  IV,  115.  T. 

gyps,  nicht  gips  ist  das  von  B.  XXI,  167  beigebrachte  Wort 
zu  schreiben,  da  es  griechisch  sein  soll;  yvnsg  aber  werden  sie  wegen 
der  Habsucht  genannt,  mit  der  sie  die  Studenten  ausplündern,  s.  Farrar, 
Jul.  Home  oft,  auch  L.  In  Oxford  scout,  s.  Macm.  Mag.  Nov.  1859 
p.  26. 

gypseying.  to  go  a  g.  bei  Farrar,  Jul.  Home,  von  einer  Land- 
partie gesagt,  wo  man  im  Walde  auf  dem  Rasen  speist, 
half  bound  neben  half  calf,  halbfranz. 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  411 

Hällowe'en,  Allerheiligenabend,  an  den  sich  in  Schottland  aller- 
hand Geisterspuk  knüpft. 

halyard,  eine  besondere  Art  Seile  im  Tauwerk  eines  Schiffes, 
Reade,  Love  me  1.  p.  34.  T. 

hand.  Nicht  genügend  geordnet  und  hervorgehoben  sind  in  den 
Wörterbüchern  die  von  hand  =  Arbeiter  abgeleiteten  Bedeutungen  für  den 
Mann,  insofern  man  seine  Geschicklichkeit  oder  Eigenheit  betrachtet : 
so  wird  nicht  bloss  von  äussrer  Fertigkeit  gesagt:  she  is  a  good  hand 
in  making  coffee,  sondern  ebenso  :  an  old  hand  in  making  love;  cf.  Lever, 
Davenp.  Dünn  I,  156:  the  older  hands,  fellows  versed  in  all  acts  and 
ways ;  Dick.,  Little  Dorr.  III,  48.  T.  I  am  a  man  of  few  words,  and 
a  bad  hand  at  an  explanation ;  Trollope,  Warden  (Lond.  1859)  212: 
a  good  hand  at  a  lawsuit;  he  is  either  a  cool  hand  or  a  simple  one 
(Cornh.  Mag.  1860.  Jul.)  nichts  weiter  als:  er  ist  kaltblütig  oder 
dumm;  he  is  a  cool  hand  that  B.,  Reade,  Love  me  1.  p.  224.  TV, 
alles  von  bloss  geistigen  Eigenschaften.  —  a  man  who  never  shows 
his  hand,  der  immer  verdeckt  handelt,  (v.  Kartensp.)  —  hand  =  Besitz  : 
the  property  changes  hands,  kommt  in  andre  Hände;  ihe  p.  will  be  on 
his  hands  again,  nachdem  es  vermiethet  war.  —  the  copies  still  in 
hand,  die  noch  nicht  ausgegebenen  oder  verkauften  Nummern  einer 
Schrift.  —  Gewalt:  the  strong  hand  will  never  do  it ,  in  Dick.,  Hard 
T.  —  bound  hand  and  foot  to   .   .    .  (ib.),  unauflöslich. 

handle  to  one's  name.  Thack.,  Newc. :  I  don't  care  to  wear  the 
handle  to  my  name:  ein  Titel,  cf.  Trollope,  Barch.  Tow.  365. 

to  hang  as  high  as  Haman  scheint  als  Redensart  gäng  und  gäbe 
zu  sein. 

to  hang  out,  wohnen,  s.  L.,  hergenommen  von  dem  aushängenden 
Schilde  mit  dem  Namen.  Zur  Erhöhung  des  Spasses  fragt  man  auch 
mit  dem  Synonym :  where  do  you  suspend  ? 

hare.  Mrs.  Glass's  recipe:  „First  catch  your  hare"  (Farrar,  Jul. 
Home).  Sie  hatte  in  einem  von  ihr  herausgegebenen  Kochbuch  den 
Artikel,  „how  to  jug  a  hare"   mit   den  angeführten    "Worten   begonnen. 

Harry;  bei  the  Lord  H.  (Sherid.,  Rivals  und  sonst,  z.  B.  Lever, 
Davenp.  Dünn  I,  263.  T.)  ein  entstellter  Schwur,  to  play  old  H.  = 
Old  Nick. 

ha  s  sock  auch  ein  Kissen,  auf  das  gichtkranke  Personen  den 
Fuss  legen,  ihn  zu   ruhen.  —  tea  and  hassocks,   sagt  man  spasslml'i. 

Ü7' 


412  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

werden  bei  prayer-meetings  gereicht,  weil  in  ihnen  nur  Thee  getrunken 
und  dann  gebetet  wird  (Farrar,  Jul.  Home). 

he  ad.  to  speak  in  the  head,  mit  lauter,  angestrengter  Stimme 
sprechen.  —  a  race  lost  by  a  head,  um  eine  Kopflänge.  —  to  leave  a 
horse  eating  his  head  off,  unbenutzt  stehen  lassen  (Framley  parsonage 
in  Cornh.  Mag.  1860.  Juni).  —  My  Juniors  were  put  over  my  head: 
mir  vorgezogen  bei  einer  Anstellung.  —  h.  heisst  auch  de^r  überragende 
Schaum  auf  dem  Glase  Bier;  to  make  a  h.  to  it:  so  eingiessen.  Cornh. 
Mag.  Oct.  1860  p.  395.  —  the  head  boy,  der  Primus. 

heart  of  flesh  (can't  stand  it)  opp.  dem  heart  of  stone.  —  it  gives 
me  double  h.,  macht  mir  doppelten  Muth,  Reade,  Love  me  1.  337. 

to  hear  the  pupils  their  task,  überhören. 

a  heavy  subscriber,  einer  der  viel  subscribirt.  — heavy-wei  gh  ts, 
Boxer  die  durch  die  Schwere  und  Kraft  der  Schläge,  light  w.,  die  durch 
Geschwindigkeit  und  Behendigkeit  wirken.  Nach  denselben  Namen  werden 
Pferde  unterschieden,  je  nachdem  sie  vor  dem  Rennen  von  ihren  Herrn 
als  solche  nach  ihrem  Alter  und  sonstigen  Eigenschaften  declarirt  sind 
(proposed).  Sie  haben  danach  einen  schwerern  oder  leichteren  Reiter 
zu  tragen. 

helot,  Helot,  findet  sich  in  der  allgemeinen  Bedeutung  Trunken- 
bold (Art.  in  Cornh.  Mag.  Juni). 

here  and  there,  in  vulgärer  Sprache  oft  nach  this  und  that,  z.  B. 
you  have  no  more  nat'ral  sense  of  duty  than  the  bed  of  this  here  Thames 
river  has  of  a  pile  etc.,  Dick.,  Two  Cit.  I,  259.  und  tausendfältig  sonst. 
—  Mary  here  and  Mary  there  and  Mary  every  thing:  Marie  vorn  und 
Marie  hinten. 

High  Jinks  (Cornh.  Mag.  1860.  Oct.  p.  393;  Macm.  Mag. 
Nov.  1859  p.   15.),  übermüthige  Spässe. 

hobs,  zwei  hervorragende  Theile  des  Kamins  zu  beiden  Seiten 
der  bars,  die  die  Kohlen  halten ;  benutzt  zum  Hinaufsetzen  von  Kesseln 
(Dick.,  Little  Dorr.  I,  49.  T.)  und  dgl.  Ungebildete  stellen  auch  wol 
die  Füsse  darauf  (Fl.  Herd  wand). 

hookey  (Dick.,  Sk.  p,  24).  Wenn  an  old-f ashioned  game 
bei  B.  XXI.  p.  168.  bedeuten  soll,  dass  das  Spiel  nicht  mehr  in  Ge- 
brauch wäre  ,  so  dürfte  dies  nicht  richtig  sein ;  es  wird,  namentlich  auf 
Schulen,  noch  eifrig  getrieben.  Die  Spieler  sind,  wie  bei  unserm  Par- 
tieball ,  in  zwei  Parteien  getheilt ,  deren  jede  einen  durch  eine  Linie 
(base)  markirten  Standpunkt  hat.     Jeder  Spieler  hat  einen  am  Ende 


Beiträge  zur  englischen  Lexicographie.  413 

umgebogenen  Stock  wie  unsere  Hakenstöcke,  den  er  aber  am  spitzen 
Ende  fasst.  Jede  Partei  sucht  den  auf  der  Erde  liegenden  Ball  über 
das  Mal  der  anderen  vermittelst  der  Stöcke  hinauszutreiben.  Zu  dem 
Zwecke  rücken  sie  nach  der  Mitte  vor,  und  stehen  oft  in  dicht  ge- 
drängtem Knäuel  um  den  Ball,  in  grossem  Eifer  und  Aufregung. 

holiday-captain  (Rpderick  Random),  ähnlich  wie  wir  Sonntags- 
reiter  sagen:  einer  der  sich  nur  Capitain  nennt.  (?) 

to  hold  sticks  with  able  competitors?  Reade,  Love  me  1.  132.  T. 
der  Sinn  ist:  sich  gegen  sie  behaupten,  die  Rivalität  aushalten. 

hop,  skip  and  jump.  So  wird  das  Ueberspringen  eines  bestimm- 
ten Raumes  in  zwei  Sätzen  bezeichnet ;  h.  ist  das  Absetzen  mit  dem 
linken  Fuss  diesseits;  skip  das  Aufsetzen  mit  dem  rechten  in  der  Mitte, 
jump  das  Aufspringen  mit  beiden  Füssen  jenseits.  Wird  oft  um  die 
Wette  als  Spiel  geübt. 

hornet's  nest,  wird  in  der  Bedeutung  unsres  „Wespennest"  so 
angewandt:  you  will  oblige  me  by  not  bringing  a  hornet's  nest  about 
my  ears  (Kavanagh,  Seven  Years),  von  Erregen  vielen  Gezänks  mit 
Andern,  cf.  Trollope,  Barch.  Tow.  (Lond.  1858)  101,  290. 

that  horse  is  ridden  to  death,  von  verbrauchten  Gedanken,  Kniffen, 
und  dgl.  —  I  don't  like  to  look  a  gift-horse  in  the  mouth.  Dick.,  Cop- 
perf.  cf.  Trollope,  Barch.'Tow.  369. 

horse flesh  wird  professionell  oft  statt  horses  gesagt,  z.  B.  con- 
noisseurs  in  horseflesh.  Lever,  Davenp.  Dünn  II,  174  a  consummate 
jugde  of  h. 

hot  water.  this  man  and  Nena  Sahib  had  always  been  in  hot 
water  together  (Hist.  of  Cawnp.) ,  sehr  üblicher  Ausdruck  für  einen, 
der  in  fortwährendem  Zank  und  Streit  lebt,  cf.  Reade,  Love  me  1.  etc. 
418.  T. :  So  D.  was  often  irritated  and  worried  and  in  hot  water.  Trol- 
lope, Barch.  Tow.  he  would  get  himself  in  h.  w.;  ib.  3G5  :  keep  him 
out  of.  h.  w. 

Hue  and  Cry.  Eine  Art  polizeiliches  Intelligenzblatt  für  Wieder- 
erlangung verlorner  Gegenstände.  (?)  Reade,  Love  me  1.  p.  248.  T. 

hu m drum.  Ueber  den  Ursprung  sagt  das  Sl.  D.:  a  Society  of 
gentlemen,  who  used  to  meet  near  the  Charter-House,  or  at  the  king's 
Head,  St.  John's  street.  Thcy  were  charakterized  by  less  mystery  and 
more  pleasantry  than  the  Frcemasons.  (Bacchus  and  Venus,  1737.) 

idea'd,  unidea'd  words,  gewagt  von  Reade,   Love  me  1.   94.  T. 

i  f  i  t  is  .  .  .  So  eingeleitete  abgekürzte  Sätze  dienen  oft  zur  Ver- 


414  Beiträge  zur  englischen  Lexicographie. 

sichrung  der  annäherungsweisen  Genauigkeit  einer  Zahlenangabe;  a 
cabin  1'  3.  to  6'  4,  if  it's  an  inch  (Solly,  Campells),  eigentlich:  so 
sicher,  wie  sie  doch  einen  Zoll  wenigstens  breit  ist;  oder  a  person  se- 
venty  years  old,  if  he  is  a  week.  —  not  if  I  know  it ,  meines  Wissens 
nicht. 

imperial,  die  Art  Bart,  wo  ein  kleiner  Zipfel  nach  unten  stehen 
bleibt,  das  übrige  Kinn  glatt  geschoren  ist ;  wol  nach  Louis  Napoleon 
so  benannt. 

ins  and  outs.  Die  von  L.  s.  v.  out  gegebne  Bedeutung  ist  nicht 
die  einzige;  man  hört  von  engen  und  verwickelten  Strassenverbindungen 
sagen:  there  are  so  many  ins  and  outs  here.  —  oder:  he  knows  all 
the  ins  and  outs  of  this  neigbourhood. —  in  at  the  death  ist  beim  fox- 
hunting  der  Reiter,  der  als  der  erste  beim  erlegten  Thiere  ankommt, 
und  dem  der  brush  als  Preis  zufällt  (Guy  Liv.).  —  who  is  in?  beim 
Cricket  und  anderen  Spielen  (s.  Dick.,  Sk.  441.  T.  „go  in",  cf.  id., 
Little  Dorr.  IV,  154.  T.)  wie  wir:  wer  ist  dran,  oder:  wer  ist 
Schläger?  —  Eigentümlich  ist  der  Gebrauch  der  Präposition  in  der 
Verbindung :  the  case  was  in  ejectment  =:  es  war  eine  Klage  auf  ej. ; 
oft  in  Gerichtsverhandlungen  zu  lesen.  — 

i  nch.     within  an  inch,  um  ein  Haar,  Dick.,  *Hard  T.  p.  140.  T. 
in  no  cents.  s.  the  slaughter  oder  murder  of  the  i.,  der  betlehemi- 
tische  Kindermord,  cf.  Dick.,  Hard  T.,  Cap.  II.  Ueberschr. 

iro  n.  too  many  irons  in  the  fire ,  von  vielerlei  Geschäften,  die 
Jemand  zu  gleicher  Zeit  unternimmt,  und  durch  die  er  seine  Kraft  zer- 
splittert (the  old  adage  of  too  m.  i.  i.  the  f.,  Dundonald,  Autob.  cf. 
Trollope,  Barch.  Tow.    97.). 

issue.  Ausgabe  oder  Nummer  einer  Zeitung,  d.  h.  die  Gesammt- 
heit  aller  unter  einer  Nummer  gedruckten  Exemplare,  the  newspaper  in 
its  issues  n°.  2.  3.  4. 

je  ss  am  ine  ist  nicht,  was  wir  Jasmin  nennen,  sondern  ein  häufig 
an  den  Wänden  gezogenes  rankendes  Gewächs  mit  kleiner  weisser,  nur 
schwach  duftender  Blüte.  Trollope,  Barch.  Tow.  414:  what  is  the  turret 
whithout  its  ivy,  or  the  high  garden-wall  without  its  j.  ? 

Jim  Crow.  Gegenstand  eines  noch  jetzt  in  London  populären 
jig;  das  bei  B.  Gegebene  ist  dann  secundär. 

John  Company,  übliche  Personification  der  ostindischen  Com- 
pagnie,  s.  Cornh.  Mag.  1860.  Jul.  p.  114  sqq.:  the    house  that  John 


Beiträge   zur  englischen  Lexicographie.  415 

built ;  auch  Reade,  Love  me  1.  p.  370.  T. :  I  have  gone  to  leeward  of 
John  Company's  favour. 

j  u  g-department ,  häufig  an  Schildern  von  public  houses  ange- 
schrieben, um  zu  bezeichnen ,  dass  Privatleute  sich  dort  ihren  jug  mit 
Bier  können  füllen  lassen.  Auch  bottle-dep. ,  wholesale-dep. ,  s.  Dick., 
Sk.  178.  T. 

keen.  —  the  wild  Irish  women ,  keening  over  their  dead,  Guy 
Liv.  p.  134.  T.  in  der  Bedeutung  des  sonst  davon  üblichen  Wortes  to 
wake  the  dead. 

to  keep.  he  kept  us  going  in  sherry.  —  put  one  small  lump  on 
the  fire,  just  to  keep  it  in,  brennend  zu  erhalten.  —  I  don't  keep  that, 
den  Artikel  führe  ich  nicht.  —  In  Cambridge  cant  ist  es  =  to  live:  I 
keep  on  the  same  staircase  (Farrar,  Jul.  Home). 

Jack  Ketch,  der  Henker,  L.;  Macaulay  hist.  of  E.  II,  194.  T. 
He  (Monmouth)  then  accosted  John  Ketch  the  executioner,  a  wretch 
who  had  butchercd  many  brave  and  noble  victims,  and  whose  name 
ha?,  during  a  Century  and  a  half,  been  vulgarly  given  to  all  that  have 
succeeded  him  in  his  odious  office. 

kettle  of  fish.  Zu  Str.  diene  als  Ergänzung:  the  whole  kettle- 
of-fish  of  school,  Dick.,H.  T.  22.  T.  die  ganze  confuse  Schulwirthschaft. 

to  kick  against  the  pi  ick ,  gegen  den  Stachel  löken.  - —  to  kick 
the  bücket,  in's  Gras  beissen,  Fl.  Das  Sl.  D.  giebt  nach  E.  S.  Taylor 
folgende  Erklärung:  The  allusion  is  to  the  way  in  which  a  slaughtered 
pig  is  hung  up,  viz.,  by  passing  the  ends  of  a  bent  piece  of  wood  be- 
hind  the  terdons  of  the  bind  legs,  and  so  suspending  it  to  a  hook  in  a 
beam  above.  This  piece  of  wood  is  locally  teimed  a  bücket,  and  so 
by  a  coarse  metaphor  the  phrase  Cime  to  signify  to  die.  Compare  the 
Norfolk  phrase  „as  wrong  as  a  bücket."  —  to  k.  up  a  shindy,  a  noise, 
vulg.,  -etwa :  Lärm  aufschlagen.  —  to  k.  the  stool  from  under  one,  sich 
selbst  der  Mittel  berauben,  sich  selbst  schaden. 

kindness.  to  have  a  k.  for  .  .  .,  wird  gewöhnlich  in  der  zartem 
Bedeutung  verstanden:  eine  Neigung  oder  stille  Liebe  haben  für  .  .  . 

kindred.  to  claim  k.  with  ...,  Verwandtschaftsansprüche  geltend 
machen  auf .  .  .,  Goldsmith,  Desert.  Vill. ;  cf.  Lever,  Davenp.  Dunn  I, 
61.  T.  Das  Subst.  Lever,  Davenp.  Dunn  I,  61.  T. 

king's  boys  oder  scholars,  40  Freischüler  in  der  mathematischen 
Schule  von  Christ's  hospital  (cf.  gown-boys),  deren  Stellen  1672  von 
Karl  IL  gegründet  wurden. 


416  Beiträge  zur  englischen  Lexicographi e. 

kiss  in  the  ring,  Gesellschaftsspiel,  ähnlich  unserem  „Fuchs  in's 
Loch." 

kitcher-kitcher,  gebraucht,  wenn  man  kleine  Kinder  zum 
Scherz  kitzelt ;  bei  uns  hört  man  wol :  kille,  kille. 

the  k night  of  the  woeful  (sorrowful)  countenance,  Don  Quixote. 

knit.  a  muscular  and  well-knit  frame,  fest  gebaut. 

to  knock  off,  der  schon  alte,  noch  jetzt  übliche  terminus  technicus 
der  Arbeiter  für  „Feierabend  machen,"  auch  fertig  machen,  abmachen: 
we  may  as  well  knock  this  off  first.  —  to  —  the  wind  out  of  .  .  .,  beim 
Boxen  der  ungesetzliche  Schlag  vor  den  Leib,  wonach  dem  Gegner  der 
Athem  vergeht,  Dick.,  Hard  T.  p.  8. :  to  knock  the  wind  out  of  common 
sense.  —  I  shall  knock  you  into  the  middle  of  next  week,  scherzhafte 
Androhung  einer  Ohrfeige. 

to  k  n  o  w.  he  knows  a  thing  or  two :  er  ist  ein  geschickter  Bursche, 
cf.  Lever,  Davenp.  Dünn  I,  152  und  193:  up  to  a  thing  or  two. 

Berlin.  Dr.  A.  Hoppe. 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 
für    das    Studium    der  neueren    Sprachen. 


44.  Sitzung  am  20.  November  1860.  —  Herr  Büchsenschütz 
berichtet  über  die  neuesten  Nummern  der  Zeitschrift  ,,die  Schweiz." 

Ueber  den  darauf  folgenden  Vortrag  des  Herrn  Mahn  verweisen 
wir  auf  Archiv  Bd.  XXVIII,  pag.  152  —  159,  eben  so  über  den  des 
Herrn  Leo  auf  Archiv  Bd.  XXVIII,  pag.  233  —  244. 

Demnächst  trug  Herr  T  r  a  c h  s  e  1  eine  Corola  in  französischem  Schwei- 
zerpatois  (Dialect  von  Gruyere,  mit  französischen  und  savoyischen  Ele- 
menten) :  Sur  le  prince  de  Savoie,  Lausanne,  1842,  vor.  In  fran- 
zösischer Sprache  gab  der  Vortragende  Erläuterungen  zum  Verständniss 
des  Liedchens.  Alsdann  las  Herr  Stadler  eine  allegorische  Auffassung 
der  Gerusalemme  liberata  des  Tasso ,  welche  einer  älteren  Ausgabe  des 
Gedichts  (Urbino  1735)  beigegeben  ist.  Danach  bedeutet  das  Kreuz- 
heer mit  seinen  verschiedenen  Führern  den  Menschen  mit  seinen  ver- 
schiedenen Tugenden,  Jerusalem  die  himmlische  Seeligkeit,  die  Zauberer 
und  bösen  Geister  die  Laster  und  Irrthümer  des  Menschen,  die  ihm 
die  Erreichung  jenes  Jerusalems  erschweren. 

Schliesslich  sprach  Herr  Herr  ig  über  ältere  orthographische 
Schriften.  Er  setzte  aus  einander,  dass  die  von  Francis  Wey  aus- 
gesprochene Behauptung,  nach  welcher  Jean  Salomon ,  gen.  Montflory 
oder  Florimond,  der  Erfinder  orthographischer  Zeichen  (Accent,  Cedille, 
Apostroph)  sein  solle,  auf  Irrthum  beruhe.  Der  Vortragende  vindicirt 
dem  Geofroy  Tory  aus  Bourges  die  Priorität,  der  schon  1523  den  Druck 
zu  seinem  Champ  Fleury  begonnen  habe,  in  welchem  sich  die  neuen 
Zeichen  bereits  vorfinden,  und  dann  in  der  4.  Auflage  der  Adolescence 
Clementine  (1533)  von  Cl.  Marot  auf  dem  betretenen  Wege  weiter- 
gegangen sei.  Schliesslich  wird  im  Einzelnen  nachgewiesen  ,  dass  alles 
von  Tory  Herrührende  bis  auf  die  neueste  Zeit  beibehalten  worden  ist, 
und  man  bei  ihm  nur  den  Accent  noch  nicht  findet,  welcher  über  Wörter 
von  einem  und  demselben  Klange  (ou  und  oü  ,  du  und  du,  notre  und 
nötre)  gesetzt  wird. 


418  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

45.  Sitzung  am  4.  Deceraber  1860.  —  Herr  Pröhle  sprach  über 
die  Unzweckmässigkeit  der  den  öffentlichen  Schulnachrichten  beigege- 
benen wissenschaftlichen  Abhandlungen  und  legt  einen  Plan  vor,  wie 
beim  Wegfall  dieser  Programmschriften  die  also  erübrigten  Geldsummen 
zu  dem  Zwecke  verwerthet  werden  könnten,  die  Lehrerschaft  auch  ferner 
zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  anzuregen.  Aus  den  Anwesenden  trat 
Niemand  als  Fürsprecher  für  die  Programmarbeiten  auf.  Dagegen 
wurde  die  Frage  aufgeworfen,  ob  der  Gegenstand  überhaupt  vor  das 
Forum  der  Gesellschaft  gehöre. 

Herr  Lasson  knüpfte  an  die  Besprechung  zweier  neuer  Faust- 
commentare,  eines  französischen  von  Blanchet  und  eines  deutschen  von 
Köstlin,  einen  Abriss  der  Entstehungsgeschichte  des  Goethe'schen  Faust 
von  dem  1790  herausgegebenen  Fragment  bis  zum  Abschluss  der  Dich- 
tung durch  den  wenige  Jahre  vor  Goelhe's  Tode  erscheinenden  zw-eiten 
Theil.  Er  theilt  darauf  die  Commentare  in  philosophische  und  philo- 
logische, von  denen  die  ersteren  den  Faust  zu  einer  Darlegung  der 
philosophischen  Systeme,  denen  sie  anhängen,  benutzend  ,  die  Dichtung 
im  Allgemeinen  als  Allegorie  fassen,  wobei  manche  in  wunderliche 
Ausschreitungen  abirren,  wogegen  die  letzleren,  zugleich  die  besseren 
Erklärer,  das  historische  Verfahren  anwenden  und  das  Verhältniss  des 
Dichters  zu  seinem  Gegenstande  und  umgekehrt  uniersuchen.  Von  den 
beiden  in  Rede  stehenden  Commentaren  ,  die  der  Vortragende  für  be- 
achtungswerthe  Leistungen  erklärt ,  gibt  er  dem  des  französischen  Ver- 
fassers den  Vorzug,  der  jedoch,  wie  seine  Landsleute  überhaupt  zu 
thun  pflegen ,  den  zweiten  Theil  sowohl  dem  Inhalt  wie  der  Sprache 
nach  hoch  über  den  ersten  stellt ;  zu  bemerken  ist  übrigens,  dass  Blanchet 
allzugetreu  nach  der  Uebersetzung  von  Blaze  gearbeitet  und  dessen  Irr- 
thümer  nicht  berichtigt  hat.  Köstlin  deute  zu  wenig  und  so  käme  es, 
dass  ,  wo  Goethe  ersichtlich  Allegorie  getrieben  ,  er  auch  an  solchen 
Stellen  nur  jene  Lust  am  "Widersinn  sähe,  aus  der  sich  gewisse  Theile 
des  Gedichtes  allerdings  nur  erklären  Hessen.  —  Herr  Hahn  debattirt 
mit  dem  Vortragenden  über  die  Aeusserung ,  der  Inhalt  des  ersten 
Theils  sei  überhaupt  keine  Idee,  sondern  ein  Charakter. 

Herr  Mahn  hält  einen  etymologischen  Vortrag  über  den  Namen 
des  Brockens.  Siehe  Archiv  Bd.  XXVIII,  pag.  160  —  164.  Im 
Anschluss  daran  erwähnt  Herr  Pro  hie,  dass  er  eine  Abhandlung 
„De  Bructeri  nominibus  et  de  fabulis,  quae  ad  eum  montem  pertinent" 
geschrieben  habe,  die  auch  1855  bei  Angerstein  in  Wernigerode  im 
Buchhandel  erschien.  Er  sagt  darin  ,  dass  Namen  von  Bergen  über- 
haupt sehr  selten  früh  vorkommen  (häufig  die  von  Flüssen),  und  dass 
der  Name  des  Brockens  erst  um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts vorkomme,  wo  er  Brockisberg,  Pruckelbergund  Brückeisberg 
laute.  Hieraus  lasse  sich ,  wie  man  bisher  angenommen  habe,  wenig 
schliessen.  S.  8  der  Schrift  werden  jüngere  Formen  des  Namens  bis 
1724    zusammengestellt.      S.   8  —  12    handelt   ausführlich   über    den 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  419 

Namen  rb  MrjXi 'ßoy.ov  oqog.  S.  26  wird  auch  noch  erwähnt,  dass  nach 
Behrens'  Hercynia  curiosa  der  Berg  zuweilen  Blocksberg  genannt  werde. 
S.  12  —  13  bandelt  über  den  Namen  Bructerus ,  den  der  Verfasser 
nur  als  lateinisch  in  seiner  lateinisch  geschriebenen  Arbeit  gebraucht. 
S.  14  —  24  handelt  über  den  Namen  Brocken.  S.  17  wird  auf  das 
mittelhochdeutsche  Wort  broge  (attollo  me,  erigo  me)  aufmerksam  ge- 
macht, doch  hält  der  Verfasser  in  der  Abhandlung  für  das  Wahr- 
scheinlichste, dass  der  Name  Brocken  Sumpfland,  Bruchberg  be- 
deutet. Aus  Grimm's  Wörterbuch  wird  angeführt:  ,.ob  man  auf  ein 
hochdeutsches  brochen  schliessen  und  den  Namen  aus  den  Brüchen 
oder  Absätzen  der  Felsen  deuten  darf?  Auch  in  Blocksberg  liege  Fels- 
block." Für  die  Ableitung  des  Namens  von  den  Felsen  werden  gleich- 
falls die  nöthigen  Stellen  beigebracht.  S.  19  wird  aus  Behrens'  Her- 
cynia curiosa  die  Stelle  angeführt:  „Der  Name  Brocken  soll  nach 
Etlicher  Meinung  davon  herrühren,  dass  solcher  Berg  bei  dem  Tode 
Christi  nebst  anderen  Bergen  zerspalten ,  und ,  wie  die  an  den  Bergen 
wohnenden  Niedersachsen  reden ,  te  brocken ,  d.  i.  zubrochen ,  wäre, 
welche  Derivation  von  Vielen  nicht  will  zugegeben  werden,  warum  ich 
mich  doch  wenig  bekümmere."  S.  20  wird  aus  Schröder's  Buche  über 
den  Brocken  angeführt,  dass  der  Granit  (von  granum)  in  der  Graf- 
schaft Wernigerode  Brockenstein  genannt  werde.  S.  24  beginnt  die 
Besprechung  des  1588  zuerst  vorkommenden  Namens  Blocksberg  (Bloc- 
cenbergus).  Dieser  Name  sei  wahrscheinlich  durch  Erweichung  des 
r  in  1  entstanden.  Er  sei  jünger  und  werde  in  der  Literatur  nur  ver- 
ächtlich gebraucht.  An  ihm  hätten  sich  die  Mythen  hauptsächlich 
krystallisirt. 

Herr  Schmidt  gab  eine  kurze  Charakteristik  der  von  Barham 
unter  dem  Namen  Thomas  Ingoldsby  herausgegebenen  komischen  Le- 
genden und  Erzählungen ,  sowohl  dem  Inhalt  als  der  Form  nach ,  und 
theilte  aus  diesem  Werke  eine  Parodie  des  Gedichtes  The  burial  of  Sir 
Henry  Moore  von  Charles  Wolfe  mit,  nachdem  er  das  Original  vorge- 
lesen und  einige  Bemerkungen  daran  geknüpft  hatte.  Von  einem  andern 
Gedichte  der  Ingoldsby  Legends  „The  jackelaw  of  Rheims"  trug  er  bei 
Tische  eine  Uebersetzung  vor. 

46.  Sitzung  am  18.  December  1860.  —  Herr  Leo  spricht  über 
die  Ausgabe  des  Coriolan  von  Delius.  Der  Vortrag,  gegen  den  Herr 
Strack  Einsprache  erhob,   wird  im  Archiv  abgedruckt  werden. 

Herr  Hahn  überreicht  sein  „Handbuch  der  poetischen  Literatur 
der  Deutschen"  und  trägt  nach  einigen  einleitenden  Bemerkungen  drei 
Lieder  des  Barden  Gwenchlan  in  deutscher  Uebersetzung  vor. 

Herr  Wollenberg  liest  ein  von  ihm  aus  einem  Manuscript  des 
14.  sec.  zu  Tours  copirtes  mittelalterliches  Gedicht  in  lateinischen 
Alexandrinern  gegen  die  Ehe. 

Herr  Athen  stedt  spricht  darauf  über  alteastilianische  Dichtung. 
Pidal    bekämpft  Raynouard's   Ansicht  von    der  Universalität  der  pro- 


420  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

venzalischen  Sprache  und  behauptet,  dass  die  lengua  romana  (romance) 
die  denteren  Bewohnern  des  römischen  Reiches  gemeinsame  Sprache 
gewesensei ,  die  sich  nach  den  verschiedenen  Landschaften  des  euro- 
päischen Südens  in  romance  castellano,  rom.  portugues ,  rom.  frances, 
rom.  catalan  etc.  gespalten  habe.  Im  neunten  Jahrhundert  entstand 
gleichzeitig  mit  der  castilianischen  Volkssprache  auch  die  castilianiche 
Volkspoesie ,  Ende  des  zehnten  Jahrhunderts  stand  diese  Spracheais 
eine  besondere  da,  vom  Autor  der  lateinischen  Chronik  Alfons  VII. 
als  lingua  nostra  anerkannt.  Derselbe  Autor  erwähnt  in  seinem  Gedicht 
über  die  Eroberung  von  Almeria  die  Cid  -  Romanzen ,  die  in  der  Crö- 
nica  general  Alfons  d.  W.  bereits  als  monumentos  respetables  de  an- 
tigua  tradicion  bezeichnet  weiden.  Diese  Chronik,  der  Ticknor  (History 
of  Spanish  literature)  und  die  allgemeine  Annahme  die  Priorität  vor 
der  Crönica  del  Cid  zuertheilt ,  hält  Pidal  für  späteren  Ursprungs ,  da 
sich  in  ihr  keine  Reste  von  Romanzenversen,  die  in  der  Crönica  del 
Cid  nicht  zu  verkennen  sind  ,  befinden.  Das  Poema  del  Cid  hält  Pida, 
der  Ansicht  Tapia's  (Historia  de  la  civilisacion  de  Espana  1840)  foll 
gend,  für  eine  Compilation  von  mindestens  zwei  Balladen,  weil  der  au- 
den  Vers 

Las  coplas  de  este  cantar  aqui  s'van  acabando 

folgende  zweite  Vers : 

En  Valencia  seye  Mio  Cid  con  todos  sos  vasallos 

mit  einem  grossen  verzierten  E ,  das    den  Raum   von  fünf  Versen  ein- 
nimmt, beginnt,  während  eine  andere  Stelle  desselben  Gedichtes  lautet: 
Aqui  s'empieza  la  gesta  de  Mio  Cid  de  Bibar. 

Ticknor  nennt  diese  Theilung,  die  sich  auch  im  Inhalt  fühlbar  macht, 
a  somewhat  formal  division  und  findet  Tapia's  Behauptung  unwahr- 
scheinlich,  da  das  poema  del  Cid  für  Balladen  zu  künstlich  gebaut  sei. 
Letztere  Bemerkung  steht  übrigens  mit  seiner  einige  Seiten  früher  ge- 
gebenen Beurtheilung  dieses  Gedichtes  im  Widerspruch. 

Das  Poema  del  Cid,  die  Crönica  rimada  del  Cid,  la  Vida  de 
Santa  Maria  Egipciaca ,  la  Adoracion  de  los  Santos  Re)res,  el  libro 
de  Apolonio,  Berceo's  Dichtungen,  das  Tesoro  Alfons  d.  W.  und  el 
Poema  de  Alesandro  von  Lorenzo  Legura  sind  die  einzigen  uns  in  ihrer 
Ursprünglichkeit  überlieferten  Denkmäler  castilianischer  Poesie  vor 
1300,  da  alle  übrigen  poetischen  Producte  dieser  Zeit,  so  wie  die  Volks- 
poesien der  folgenden  zwei  Jahrhunderte  vor  1511  nie  niedergeschrieben 
wurden.  Erst  1511  erschienen  siebenunddreissig  Balladen  im  Can- 
cionero  general  Ferdinands  von  Castilien,  doch  wusste  man  nur  von 
neunzehn  derselben  die  Autoren,  die  sämmtlich  in  der  Zeit  von  1450 
bis  1500  gelebt  haben.  Um  1550  erschienen  dann  der  Silva  de  Ro- 
mances  von  Nagera  in  Saragossa  und  ein  Romancero  in  Amberes,  end- 
lich 1605  —  1614  der  Romancero  general  mit  1000  Balladen,  die 
aber  meist  von  den  ciegos,    den  Nachfolgern   der  juglares,  der  eigent- 


für  das   Studium  der  neueren  Sprachen.  421 

liehen  Autoren  der  Balladen,  überliefert  waren.  Diese  juglares 
waren  anfangs  sowohl  Dichter,  wie  Sänger,  als  sieh  aber  die  unter- 
richteten und  gelehrten  Poeten  Ende  des  dreizehnten  Jahrhunderts  eben- 
falls der  Volkssprache  zu  bedienen  begannen,  sangen  sie  fortan  nur  die 
Gedichte  der  trovadores.  Sie  sanken  bald  so  schnell,  dass  bereits  durch 
die  Siete  Partidas  Alfons  d.W.  „die  juglares,  welche  dem  Volke  nach- 
laufen, um  von  ihm  durch  Gesang  und  Spiel  Geld  zu  erlangen,"  für 
enfamados  erklärt  wurden. 

Die  gelehrten  und  Hofpoeten  des  vierzehnten  und  fünfzehnten 
Jahrhunderts  suchten  sich  durch  Benutzung  classischer,  provencalischer 
und  italienischer  Vorbilder  zu  bilden  und  über  die  Volkspoeten  zu 
erheben.  Diese  beherrschten  ausschliesslich  das  epische  Gebiet  und 
bedienten  sich  nur  des  Romanzenverses ,  jene  das  lyrische  und  philo- 
sophische und  nahmen  alle  jetzt  gebräuchlichen  metrischen  Formen, 
mit  Ausnahme  des  Pomanzenverses ,  an.  Von  den  dem  Volke  ent- 
stammten Dichtern,  die  in  der  Weise  der  Hofpoeten,  deren  Gunst  sie 
erstrebt,  zu  dichten  versuchten,  sind  vornehmlich  zu  nennen:  Anton 
Montoro  (el  Repero),  Juan  (Poeta)  de  Valladolid,  Jerena,  Juan  el  Tre- 
pador,  Martin  el  Tanedor,  Mondragon  u.  A. 

Von  der  bedeutenden  Zahl  der  Dichter  der  eigentlichen  Hofschule 
erwähnen  die  verschiedenen  Ausgaben  des  Cancionero  general  200,  der 
von  Baena  55,  und  die  ungedruckten  mindestens  eben  so  viele,  die  in 
den  gedruckten  meist  nicht  genannt  sind.  Die  Cancioneros,  welche  die 
Poesien  einzelner  Dichter  enthalten,  entstanden  zwei  Jahrhunderte  vor 
den  Romanceros ;  die  ersten,  welche  die  Dichtungen  mehrerer  umfassen, 
sind :  der  Cancionero  de  Ramon  de  Llabia  und  die  Guirlanda  esmaltada 
de  Fernandez  de  Constantina,  dann  in  der  Mitte  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts der  Cancionero  de  Baena  und  de  Stuniga  (so  benannt,  weil 
er  mit  den  Gedichten  des  Ritters  Lope  de  Stuniga  beginnt);  schliesslich 
1511  der  bedeutendste,  der  Cancionero  general  Ferdinands  von  Castilien. 

Herr  Trachsel  untersucht  in  englischer  Sprache  die  Herkunft 
des  Wortes  Porcellan. 

Schliesslich  gibt  Herr  Buch  mann  einige  Betrachtungen  über 
Citate.  Nach  der  Erklärung  des  Begriff's  zeigt  er,  wie  der  Schatz  der 
Citate  eines  Volks  im  Verhältniss  zu  seiner  Gelehrsamkeit  und  zu 
seiner  Kenntniss  der  auswärtigen  Literaturen  steht,  an  Engländern, 
Franzosen  und  Deutschen ,  welche  letzteren  am  meisten  citiren ,  und 
zwar  nicht  bloss  aus  den  eigenen  Schriftstellern ,  sondern  aus  dem 
Griechischen,  Lateinischen,  Englischen  (meist  in  deutscher  Uebersetzung), 
Französischen,  selbst  Italienischen.  (Lasciate  ogni  speranza  voi  ch'en- 
trate.)  Die  Franzosen  seien  im  Citiren  aus  modernen  Sprachen  arm- 
selig. In  dem  geistreichen  Buche  Fournier's :  l'Esprit  des  Antares,  heisse 
es  pag.  67  der  ^5.  Auflage:  „Quant  ä  l'anglais ,  on  en  est  encore  au 
poiut    oü   etait  Voltaire.    Comme  lui,  dans  sa  lettre  a  M.  Hamilton, 


422  Sitzungen  der   Berliner  Gesellschaft 

du  17.  juin  1773,  on  va  bien  jusqu'ä  citer  ce  vers  du  monologue 
d'Hamlet : 

To  be  or  not  to  be  that  is  the  question, 

rnais  c'est  tout."  Von  deutschen  Citaten  ist  in  dem  Buche  überhaupt 
nicht  die  Rede.  Er  zeigte  dann  ferner,  wie  sehr  sich  oft  der  Autor 
eines  Citates  verstecke,  an  mehreren  Beispielen,  unter  anderen  an  dem 
auch  in  populärer  deutscher  Fassung  vorkommenden  französischen : 
revenons  ä  nos  moutons,  das  seinen  Ursprung  im  Avocat  Pathelin  habe, 
und  an  dem  Verse :  Habent  sua  fata  libelli ,  der  allen  möglichen  latei- 
nischen Schriftstellern,  dem  Juvenal,  Persius,  Martial ,  vor  allen  Dingen 
gern  dem  Ovid  zugeschoben  wird ,  aber  dem  Terentianus  Maurus ,  De 
syllabis.  Carmen  heroicum  v.  258 ,  angehört.  Er  geht  dann  zu  den 
Entstellungen  und  Travestien  der  Citate  über,  zeigt,  wie  die  grössere 
Mehrzahl  von  der  Bühne  her  in  den  Mund  des  Volks  kommt,  wobei 
der  Citate  aus  Operntexten  Erwähnung  geschieht,  und  schliesst  mit  der 
Erörterung,  in  wie  weit  die  grössere  oder  geringere  Menge  der  in  einer 
Dichtung  enthaltenen  Citate  einen  Schluss  auf  die  Volkstümlichkeit 
derselben  gestatte. 

47.  Sitzung  am  8.  Januar  1861.  Nachdem  Herr  Kannegiesser 
die  im  neuen  Jahre  zum  ersten  Male  zusammentretende  Gesellschaft 
mit  einem  Gedicht  begrüsst  hatte,  zählte  Herr  Beauvais  die  haupt- 
sächlichsten Fehler  auf,  in  welche  die  Deutschen  bei  der  Aussprache 
des  Französischen  zu  verfallen  geneigt  sind.  An  der  Discussion  bethei- 
ligen sich  die  Herren  Wollenberg,  Kleiber,  Trachsel,  Weisser  und  Strack. 

Dann  schreitet  Herr  Leo  zu  einer  kurzen  Charakteristik  des  dä- 
nischen Dichters  Johann  Heiberg,  des  Schöpfers  des  dänischen  Vau- 
devilles,  den  er  als  einen  Dilettanten  mit  den  Fähigkeiten  eines  grossen 
Geistes  darstellt.  Eine  eigentümliche  Liebhaberei  desselben  für  poe- 
tische, aus  dem  Reiche  des  Uebernatiirlichen  schöpfende  Kunststücke 
legt  er  zuerst  an  einem  vor  längerer  Zeit  von  ihm  in's  Deutsche  über- 
tragenen epischen  Gedichte,  die  Hochzeitsreise,  und  dann  an  einem 
anderen  Werke,  Eine  Seele  nach  dem  Tode  „apokalyptische  Komödie,'' 
dar.  Die  Besprechung  derselben  bildet  den  Hauptiheil  des  Vortrags. 
Durch  eine  ausführliche  Analyse  dieses  sarkastischen  und  übermüthig 
geistreichen  Gedichts  und  durch  Mittheilung  zahlreicher  metrischer 
Uebersetzungen  der  hauptsächlichsten  Theile  gibt  er  ein  lebendiges 
Bild  des  Inhalts.  Das  Gedicht  selbst  schildert  das  Suchen  der  Seele 
eines  guten  Menschen  vom  allergewöhnlichsten  Schlage  nach  ihrem 
Ruheort.  Von  Petrus  am  Eingang  des  Himmels,  eben  so  spater  von 
Aristophanes  am  Eingang  zum  Aufenthalt  der  Vorchristlichen  abge- 
wiesen, geräth  sie  endlich  an  das  Portal,  welches  zur  Hölle  führt.  Hier 
wird  ihr  von  Mephistopheles  die  ganze  Einrichtung  der  Hölle  beschrie- 
ben und  annehmbar  gemacht,  deren  Hauptmerkmal  ist,  dass  sich  in 
ihr   das  ganze  Erdentreiben  wiederholt.    Nachdem  die  Seele  auf  Me- 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  423 

phistopheles'  Veranlassung  noch  einer  episodischen  Abführung  eines 
Schauspielers  durch  den  Tod  beigewohnt,  tritt  sie  endlich  freudig  in  die 
Hölle,  da  ihr  in  Aussicht  gestellt  ist,  sich  an  dem  allgemein  nützlichen 
Werke  der  Füllung  des  lecken  Fasses  der  Danaiden  betheiligen  zu 
können.  Ein  Chor  der  Hinterbliebenen,  der  das  Andenken  des  wackern 
Dahingeschiedenen  besingt,  öffnet  und  schliesst  das  Drama. 

Herr  Tr  ach  sei  zeigt  eine  Kupfermünze  jenes  schlechten  Geldes 
vor,  das  Jakob  II.  in  Irland  prägen  Hess  und  schliesst  aus  der  Jahres- 
zahl 1690,  dass  sie  aus  dem  Metall  der  alten  abgenutzten  Kanone  ge- 
prägt sei,  die  Ludwig  XIV.  zu  dem  Zweck  nach  Irland  schickte.  Der 
Vortrag,  erläutert  durch  bezügliche  Stellen  aus  Macaulay  Bd.  V,  pag. 
247  Tchn.  Edit.  und  andere  Stellen,  war  in  englischer  Sprache. 

Herr  Pro  hie  spricht  über  den  aussergewöhnlichen  Gebrauch 
deutscher  Präpositionen.  Nachdem  der  Inhalt  des  von  Grimm  in  der 
deutschen  Grammatik  IV,  765  —  886  über  Präpositionen  Gesagten, 
so  weit  es  hierher  gehörte,  kurz  entwickelt  war,  fuhr  Herr  Pröhle  fort : 

Dennoch  heisst  es  in  Schiller's  Wilhelm  Teil  am  Schlüsse  des 
vierten  Aufzuges: 

Rasch  tritt  der  Tod  den  Menschen  an; 

Es  ist  ihm  keine  Frist  gegeben. 

Es  stürzt  ihn  mitten  in  der  Bahn, 

Es  reisst  ihn  fort  vom  vollen  Leben. 

Bereitet  oder  nicht,  zu  gehen, 

Er  muss  vor  seinen  Richter' stehen. 

Gerade  die  letzte  Zeile  ist  tief  poetisch  durch  den  Gebrauch  der 
Präposition. 

Goethe  in  der  meisterhaften  Sesenheimer  Kleiderscene  (Dichtung 
und  Wahrheit.  Goethe's  Werke  Bd.  XXI,  S.  275.  1840)  sagt:  „Ich 
hatte  schon  seine  hübschen  Kleider,  wie  sie  über  den  Stuhl  hingen, 
längst  beneidet."  Die  Kleider  werden  hier  gleichsam  belebt  gedacht, 
als  hingen  sie  sich  über  den  Stuhl.  Auch  heisst  es  wohl  falschlich: 
Gott  waltet  über  die  Erde. 

In  der  von  Andersen  geleiteten  Uebersetzung  von  „Aus  Herz 
und  Welt"  heisst  es  S.  28:  „Ein  Friede  war  über  Alles  ausgebreitet." 

Man  hört  ferner:  Ich  halte  mich  an  den  König.  Ich  stosse  mich 
an  den  und  den,  besonders:   Ich  stosse  mich  an  den  Namen  N.  N. 

In  allen  diesen  Fällen  dient  die  Anwendung  des  Accusativs  als 
des  Casus  für  das  H  i  n  zur  Vergeistigung  und  Belebung  des  Sinnes, 
gleichsam  zum  Ausmalen. 

48.  Sitzung  am  22.  Januar  1861.  —  Nachdem  Herr  Lasson 
über  das  Rednertalent  Friedrich  Wilhelm  IV.  gesprochen,  belegte  Herr 
T  räch  sei  in  englischer  Sprache  die  Herkunft  des  Wortes  drawing- 
room  aus  withdrawingroom  durch  verschiedene  Stellen  aus  Walter  Scott. 

Dann  theilte  Herr  Herr  ig  eine  Reihe  seltsamer  und  wunderlicher 


424  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  etc. 

deutscher  Wörter  und  Redeformen  aus  österreichischen  Schulprogrammen 
des  vorigen  Jahres  mit. 

Darauf  beendete  Herr  Athenstedt  seinen  Vortrag  über  die 
castilianische  Poesie  des  zwölften  und  dreizehnten  sec.  Er  zog  den 
Einfluss  anderer  Literaturen,  der  provenzalischen  ,  italienischen  ,  portu- 
giesischen und  arabischen  auf  die  castilianische  in  Betracht ,  und  tritt 
namentlich  der  Ansicht  Pidal's  entgegen ,  der  den  Eintiuss  des  Proven- 
zalischen zu  hoch  veranschlage.  Dem  Inhalt  und  der  Form  nach  sei 
die  castilianische  mit  wenigen  Ausnahmen  frei  von  solcher  Einwir- 
kung, was  auch  dem  gesellschaftlichen  Zustande  der  beiden  Völker 
entspreche.  Zuletzt  spricht  er  über  den  ästhetischen  Werth  der  casti- 
lianischen  Poesie  und  über  die  Bedeutung,  die  sie  für  die  Entwicklung 
und  Ausbildung  der  Sprache  gehabt  habe. 

Herr  L  o  wen  t hall  sprach  über  die  englische  Aussprache,  nament- 
lich über  die  Mundstellung  beim  Lauten  der  englischen  Vocale. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Praktisches  Handbuch  für  den  Unterricht  in  deutschen  Stil- 
übungen von  Ludwig  Rudolph,  Oberlehrer  an  der 
städtischen  höhern  Töchterschule  in  Berlin.  Drei  Ab- 
theilungen.    B.  Nikolaische  Buchhandlung  1859. 

Vorstehendes  "Werk  ist  für  die  Bedürfnisse  der  Mittelschule,  die  ihre 
Zöglinge  aus  gebildeten  Häusern  empfängt,  namentlich  der  höheren  Töchter- 
schule berechnet.  Doch  wird  es  auch  zum  Unterrichte  in  höheren  Bürger- 
schulen und  in  den  unteren  und  mittleren  Klassen  der  Gymnasien  und  Real- 
schulen sich  mit  Nutzen  gebrauchen  lassen.  Das  Ganze  soll  vier  _  Ab- 
teilungen umfassen,  von  denen  uns  drei  vorliegen.  Die  erste  Abtheilung 
ist  für  das  Alter  von  7  —  10  Jahren,  die  zweite  von  10  —  12,  die  dritte  von 
12  —  14  Jahren,  die  vierte  für  das  reifere  Jugendalter  bestimmt.  Der 
Verf.  giebt  den  Zweck  seines  Buches  selbst  dahin  an,  dass  er  „dem  Lehrer 
ein  möglichst  vollständiges  Material  für  Stilübungen,  nicht  bloss  eine  tro- 
ckene Aufgabensammlung ,  sondern  Alles  das,  was  zur  Besprechung  des 
deutschen  Aufsatzes  mit  den  Schülern  nothwendig  sei,"  darbieten  wolle. 
(S.  XII.)  Diesen  Zweck  hat  der  Verf..  dem  eine  zwanzigjährige  Er- 
fahrung in  diesem  Unterrichtszweige  zur  Seite  steht,  in  höchst  anerkennens- 
werther  Weise  erreicht  und  in  seinem  Buche  dem  Lehrer  an  den  bezeichneten 
Schulen  ein  sehr  brauchbares  und  gewiss  willkommenes  Material  für  die 
Stilübungen  geliefert. 

Jede  Abtheilung  zerfällt  in  mehrere  Abschnitte.  So  enthält  die  erste 
Abtheilung,  die  für  das  Alter  von  7 —  10  Jahren  bestimmt  ist,  zuerst  Vor- 
übungen, in  reicher,  trefflicher  Auswahl  und  practischer  Anordnung,  dann 
20  Fabeln,  CO  Erzählungen,  30  Gedichte  zum  Wiedererzählen  in  Prosa, 
Briefe  und  endlich  Beschreibungen.  Jedem  Abschnitte  sind  Bemerkungen 
vorangestellt,  die  practische  Winke  für  die  rechte  Behandlungsart  enthalten. 
Der  Abschnitt  Beschreibungen  enthält  namentlich  eine  Fülle  passenden  und 
trefflichen  Materials.  Nur  will  uns  bedünken,  als  ob  Manches  von  dem  Ge- 
botenen, sowohl  der  Form  als  besonders  dem  Inhalte  nach,  dem  Gesichts- 
kreise der  bezeichneten  Altersstufe  zu  fern  liege.  Das  gilt  besonders  bei 
den  Fabeln  und  Erzählungen.  Es  scheint  uns  überhaupt  bedenklich ,  dem 
Kinde  nach  den  ersten  Vorübungen  sogleich  Fabeln  zum  schriftlichen 
Wiedergeben  vorzulegen.  Es  müssten  wenigstens  dann  nur  ganz  kurze  und 
einfache  sein.  Die  hier  gebotenen  sind  aber  zum  grossen  Theile  verhältniss- 
jnässig  ziemlich,  lang  und  complicirten  Inhalts.  Noch  mehr  liegen  viele  der 
Erzählungen  ihrem  Inhalte  nach  dem  Standpunkte  des  7  —  lojährigen 
Kindes  zu  fern,  z.  B.  Nro.  2,  3  und  4,  welche  Anecdoten  aus  Friedrichs  IL, 
Sokrates'  und  Alexanders  Geschichte  enthalten.  Nro.  1&,  Feter  Gassendi. 
Doch    trifft    dies    mehr    oder    weniger    fast    alle    Erzählungen.     Wir  würden 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     XXV11I.  28 


426  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

diese  Uebungen  für  eine  spätere  Stufe  aufsparen.  Indessen  wird  schon  der 
Lehrer,  der  das  Buch  benutzt,  beurtheilen,  was  davon  er  seinen  Schülern 
vorlegen,  was  für  spätere  Stufen  zurückstellen  soll. 

Die  zweite  Abtheilung  bietet  fast  denselben  Stoff  in  derselben  An- 
ordnung dar,  wie  die  erste.  Nur  treten  hier  einige  neue  Abschnitte  hinzu. 
Wir  finden  Fabeln,  Erzählungen,  Parabeln  in  zweckmässiger  Auswahl  des 
für  diese  Stufe  Passenden,  Mythen  und  Sagen,  unter  welchen  Nro.  8,  die 
Lycischen  Bauern  nach  Ovid  wohl  kaum  für  diese  Stufe  geeignet  sein  dürfte, 
Erzählungen  nach  Gedichten,  Erzählungen  aus  der  Weltgeschichte,  Briefe, 
Beschreibungen,    Erklärungen  synonymer  Ausdrücke,   Auseinandersetzungen. 

Die  dritte  Abtheilung  enthält  mit  Ausnahme  der  Fabeln  dieselben  Ab- 
schnitte wie  die  zweite,  nur  dass  noch  Betrachtungen  und  Abhandlungen 
hinzutreten.  Ueberall  ist  manches  Brauchbare  und  Passende  dargeboten. 
Nur  in  den  beiden  letzten  Abschnitten  finden  sich  nicht  wenige  Themata, 
gegen  deren  Anwendbarkeit  sich  einige  Bedenken  erheben.  So  z.  B.  S.  175: 
Was  und  wie  soll  man  lesen;  S.  292:  Gedanken  beim  Erwachen  des  Früh- 
lings. Gedanken  über  die  Erndte,  Abschiedsgruss  an  den  Winter;  S.  317: 
Warum  verlangen  die  Lehrer  vollkommene  Ruhe  während  des  Unterrichts; 
Warum  verbieten  die  Lehrer  den  Schülern  alle  Beschäftigungen  mit  Neben- 
dingen u.  a.  m.  dgl. 

Das  Buch  ist  besonders  solchen  Lehrern  zu  empfehlen,  welche,  noch 
Anfänger  im  deutschen  Unterricht,  oft  um  den  rechten  Stoff  verlegen  sind, 
oder  welche  mit  Arbeit  überhäuft,  wenig  Zeit  haben,  sich  den  Stoff  zu  Stil- 
übungen mit  Mühe  zu  suchen. 

Hülsen. 


Die  Schweiz.  Illustrirte  Monatsschrift  des  Bernischen  literarischen 
Vereins.  Herausgegeben  von  Ludwig  Eckardt  und  Paul 
Volmar. 

Von  dieser  Schrift,  über  welche  bereits  früher  unter  Angabe  ihres  Pro- 
gramms in  diesem  Blatte  Bericht  erstattet,  will  Ref.  zunächst  die  erfreuliche 
Thatsache  bemerken,  dass  dieselbe  einen  unverkennbaren  Fortschritt  gemacht 
hat,  sowohl  was  die  äussere  Ausstattung,  als  auch  was  den  Inhalt  betrifft. 
Die  Illustrationen  sind  seit  dem  Uebergange  der  Zeitschrift  in  einen  andern 
Verlag  unvergleichlich  besser  geworden. 

Ehe  Ref.  zu  dem  dritten  Jahrgange  übergeht,  muss  noch  mitgetheilt 
werden,  dass  die  Zeitschrift  das  Novemberheft  unter  dem  Titel  Schillernummer 
ausgegeben  und  in  derselben  eine  Beschreibung  des  Festes  veröffentlicht  hat, 
mit  welchem  das  hundertjährige  Geburtsfest  Schillers  von  dem  literarischen 
Verein  in  Bern  begangen  wurde.  Diese  Thatsache  bildet  einen  neuen  Be- 
weis dafür,  dass  auch  bei  den  Schweizern,  die  man  fast  nicht  mehr  als  zu 
Deutschland  gehörig  anzusehen  pflegt,  eine  lebendige  Theilnahme  für  den 
Dichter  herrscht,  der  so  acht  deutsch  war  und  so  als  acht  deutsch  anerkannt 
wird,  wie  wohl  kein  zweiter  neben  ihm.  War  in  Deutschland  die  Schiller- 
feier nicht  ohne  politischen  Anflug  geblieben,  so  war  der  politische  Charakter 
derselben  in  der  Schweiz  stark  hervortretend,  indem  sie  sich  namentlich  an 
das  Werk  des  Dichters  anlehnte,  welches  die  Glanzzeit  der  Schweizer- 
geschichte verherrlicht  hat.  Mitgetheilt  sind  in  derselben  Nummer  auch  die 
beim  Feste  gehaltenen  Reden,  so  wie  einige  zu  demselben  gehörenden  Ge- 
dichte. — 

Wenn  wir  nun  den  Inhalt  der  bis  jetzt  erschienenen  Hefte  des  dritten 
Jahrganges  nach  dem  aufgestellten  Programm  durchmustern,  so  finden  wir 
von  Charakteristiken  des   Landes   und   Volkes   die   Beschreibung   einer   im 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  ■  427 

Graubündner  Oberland  altherkömmlichen  Belustigung  zur  Fastnacht,  ebenso 
des  in  Luzern  ehemals  üblichen  Landsknechtsumzugs.  Zu  bedauern  ist  es, 
dass  dieser  in  vieler  Hinsicht  interessante  Theil  nicht  weit  starker  vertreten 
ist.  Dagegen  ist  diesmal  die  auch  für  Sprachforschung  wichtige  und 
zur  Charakteristik  des  Volkes  viel  beitragende  Sammlung  von  Sprichwörtern 
und  Inschriften  ziemlich  reichhaltig.  'Wir  finden  in  derselben  Volksreime 
aus  dem  Frickthale  und  dem  Hauensteinischen  Schwarzwalde,  Sprichwörter 
und  Redensarten  aus  dem  Ober -Simmenthai,  aus  dem  Aargau  und  aus  der 
französischen  Schweiz,  welche  letzteren  namentlich  in  sprachlicher  Hinsicht 
interessant  sind.  Den  Lesern  dürfte  die  Angabe  der  nachfolgenden  Sprüche 
nicht  unwillkommen  sein. 

II  ne  faut  pas  chaouta  dau  prä  ä  la  tzerreire. 
Man  soll  nicht  aus  der  Wiese  in  den  Karrweg  springen. 
II  fau  que  Fevrei 
Fasche  schon  devei. 
Februar  muss  seine  Pflicht  thun. 
Dou  jevi  väliont  me  tie  ion 
D'apri  le  cothemi  de  Moudon. 
Zwei  Meinungen  sind  besser  als  nur  eine, 
Sagt  das  Milden  er  Landesrecht. 
11  ne  fau  pas  vueiti  l'herba  ä  la  rojä,  et  la  Alle  a  la  tsandela. 
Das  Gras  soll  man   nicht   im  Morgenthau,    noch  das  Mädchen  beim  Kerzen- 
licht anschauen. 
La  chevre  ä  la  chandelle 
Semble  une  damoiselle. 
Die  Ziege  beim  Kerzenlichte  scheint  ein  Fräulein  zu  sein. 

L'ie"  on  bi  loji  tie  l'agache,  rna  trü  Tinnoüie ! 

Die  Elster  ist  zwar  ein  schöner  Vogel,  aber  zu  viel  ist  langweilig. 

Quand  l'iet  bon,  lie  prau. 

Wenn  es  gut  ist,  ist's  genug. 

Le  fü  l'iest  on  bon  dierson,  ma  on  crou'iou  maitre. 

Das  Feuer  ist  ein  guter  Diener,  aber  ein  schlechter  Meister. 

La  pliodze  a  la  St.-Meda: 
La  pliodze  scheischenanne  schein  plieka. 
Regen  am  Medardustage,  Regen  sechs  Wochen  ohne  Aufhören. 

N'est  rin  d'ishre  fou  schon  le  fa,  pä  veire. 
Es  schadet  nichts  ein  Narr  zu  sein,  wenn  man's  nur  nicht  merken  lässt. 

Le  pan  nure  bin  dey  schoarte"  de  dzin. 
Brod  nährt  gar  mancherlei  Leute. 

De  pou  sehe"  mehlie,  de  pou  la  a  fere. 
Wer  sich  in  Wenig  mischt,  hat  auch  Wenig  zu  verantworten. 

Quand  le  mo  l'iest  feit,  ld  javi  schon  prei. 
Wenn  das  Unglück  gescheh'n,  ist's  aus  mit  Rath  fragen. 

Mariade"  vo,  rnariade"  vo  pä; 
Mo  le"  motzd,  mö  le  tavans. 
Heirathet,  heirathet  nicht;  bös  sind  die  Fliegen,  bös  die  Bremsen. 
Dzalojie  pasche"  voudejie. 
Eifersucht  ist  böser  als  Hexerei. 
Tö  te  me  fä,  tö  te"  fari, 
Dejei  la  tschivra  ou  tsevri. 
Was  du  mir  thust,  werd'  ich  dir  thun,  sagte  die  Ziege  dem  Zicklein. 

28* 


428  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Intre  Mä  et  Avri 

Tsanta,  coueou,  sehe  te  vi. 

Zwischen  März  und  April,  singe  Kukuk,  wenn  du  am  Leben  bist. 

Grosch'oura  et  ville  fdna  n'an  djiame  correi  po  rin. 

Starker  Wind  und  altes  Weib  sind  nie  umsonst  gegangen. 

Le  pertot  que  \6  pierre  schon  dure. 

Ueberall  sind  die  Steine  hart. 
Quand  le  molle"  van  contre  Planfayon. 
Frin  ta  lena  et  ton  taecon, 
Quand  le  niolle  van  contre  le  vallei, 
Frin  ta  faux  et  ton  covei. 
Wann  der  Nebel  gen  Plafeyen  zieht,  nimm  den  Pfriemen  und  Tuchlappen 

(zum  Ausbessern); 
Wann  der  Nebel  gen  Wallis  zieht,  nimm  die  Sense  und  den  Wetzstein. 
Bije  de*  mä,  vin  d'evrie', 
Fan  le  retseshe  dou  pa'i: 
Vin  de  mä,  bije  d'evri, 
Fan  la  rina  dou  pa'i. 
Märzbise,  Aprilwind,  sind  der  Reichthum  des  Landes; 
Märzwind,  Aprilbise,  sind  das  Unglück  des  Landes. 

Plianta  te  tsou  k  la  plianete  dou  rahlion 

Et  cuet  le  ä  la  plianete  dou  bacon. 
Pflanze  deinen  Kohl  unter  dem  Himmelszeichen  des  Mistes 
Und  koche  ihn  unter  dem  Sternbilde  des  Speckes. 

A  la  St.-Adietta,  l'ivue  avo  la  tzerreiretta ; 

A  la  St.-Mathias,  bouna  fena,  djita  te  ja; 

A  la  St.-Martin,  la  vatse  ou  lin. 
Am  St.  Agathastage  rieselt  das  Wasser  den  Weg  herunter; 
Am  Mathiastage  lass,  gutes  Weib,  deine  Bienen  heraus; 
Am  Martinstage  die  Kuh  an  den  Ort  (in  den  Stall). 

Vö  mi  schu  la  courtena  dou  pi  de*  nei 
Tie"  oun  homo  schin  mandze  in  fevrei. 
Im  Februar  ist  besser  zwei  Schuh  tiefen  Schnee  auf  dem  Miste  zu  sehen, 
als  einen  Mann  in  Hemdsärmeln. 
Grans  d'aveina  et  pey  perheii 
Sehe  rincontront  volontii. 
Haferkörner  und  angefressene  Erbsen  finden  sich  leicht  zusammen. 
Chi  que  mode"  quemin  vi 
Ey  revint  quemin  modzon. 
Wer  als  Kalb  geht,  kömmt  als  Rind  zurück. 
L'ey  a  bin  die-s-anou  ä  l'ombrou 
Quand  le  schelä  l'iest  muchii. 
Es  stehen  viele  Esel  im  Schatten,  wenn  die  Sonne  untergegangen. 

A  Tsalande  le  muchillon 

A  Pätie"  le  liechon. 

Zu  Weihnachten  die  Mücken,  zu  Ostern  das  Eis. 

Le  fille  et  le  tsavau 

Ne  schävont  pas  io  schere  lou  oshau. 

Mädchen  und  Pferde  wissen  nicht,  wo  ihre  Wohnung  sein  wird. 

Vin  que  dzald, 
Bije  que  dedzale", 
Fena  que  pou  parlä, 
Schou  tre  tsouje  gaüä  rare. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  429 

Wind  mit  Frost,  Bise  mit  Thauwetter,  Weib  das  wenig  spricht,  sind  drei 
gar  seltene  Dinge. 

Mouä  de  fena,  ia  de  tsavau, 
Tinque  le  bouneu  de  Toshau. 
Weibertod,  Pferdesleben,  ist  Reichthum  des  Hauses. 

Decousche  le  grö  et  le  riö 
Ne  beta  pas  ton  oshau. 
Neben  dem  Grossen  (Reichen)  und  dem  Bache,  baue  nicht  dein  Haus. 

Sehe  ton-nes  schu  le  bou  niu. 
Ey  nevesre  schu  le  bou  folliu. 
Wenn  es  über  das  entlaubte  Gehölz  donnert,   schneit  es  über  das  belaubte. 
Le  devindro  l'amerey  mi  crevä, 
Tie  ey-s-autrou  dzoua  reschimbliä. 
Freitag  würde  lieber  krepiren,  als  den  andern  Tagen  gleichen. 
Dejo  le  gros  l'andain 
Iyannäie  dou  tschertin. 
Bei  anhaltendem  Ostwinde,  Theurungsjahr. 
An  de  fin,  an  de  rin. 
Heujahr,  Nichtsjahr. 
A  la  St.  Adietta 

Demi  schon  fin  et  demi  scha  pailletta. 
Am  Agathentage  die  Hälfte  Heu  und  die  Hälfte  Stroh. 
Da  dzenille  ne  dey  pas 
Tzantä  devan  le  pu. 
Die  Henne  soll  nicht  vor  dem  Hahne  gackern. 
Revi  de-s-anhian,  Revi  de  tukan; 
Revi  de  dzoune  dzin,  Revi  de  rin. 
Als  Mann  Sprichwort,  Dummkopf  Sprichwort; 
Jüngling  Sprichwort,  schlecht  Sprichwort. 
Schin  que  vin  de  rin 
On  le  prin  po  rin. 
Was  von  Nichts  kömmt,  wird  auch  für  Nichts  gehalten. 
De  beyre  ley  a  pas  tant  de  mau, 
Porvu  qu'on  schätze  retorna  ä  l'oshau. 
Zu  trinken  hat  nicht  so  sehr  Böses  für  sich,  wenn  man  nur  nach  Hause 
zu  gehen  weiss. 
Chi  que  l'a  prou  fille  et  prou  tey 
Djieme  dzoüio  ne  sehe  vey. 
Wer  viele  Töchter  und  Dächer  hat,  hat  auch  nie  Freude. 
Bin  tsantä  et  bin  danhii 
Ne  grävon  pas  d'avanhii. 
Tüchtig  singen  und  tüchtig  tanzen,  hindern  nicht  vorwärts  zu  kommen. 
La  rejon  l'iet  bouna  pertot. 
Die  Vernunft  ist  gut  überall. 
Quand  on  a  fey  trinta,  ey  fau  fere  trint'  yon. 
Wer  dreissig  sagt",  muss  auch  einunddreissig  sagen. 
Quand  on  a  queminbii  la  danshe 
Ey  fau  la  danhii. 
Ein  Tanz  angefangen,  muss  auch  ausgetanzt  werden. 
Chi  (lue  pe  schon  bin, 
Pe-  schou'  eschien. 
Wer  sein  Vermögen  verliert,  verliert  seinen  Verstand. 


430  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Quand  on  a  iu  tre  bi  mei  d'Avri, 
On  a  gros  tin  de  muri. 
Wenn  man  drei  schöne  Aprilmonate  gesehen,  ist  es  hohe  Zeit  zu  sterben. 

Unter  die  Charakteristiken  einzelner  Persönlichkeiten  ist  zunächst  ein 
längerer  Aufsatz  von  Zehender  Ueber  die  Entstehung  von  J.  v.  Müllers 
Schweizergeschichte  zu  rechnen,  der  ein  anziehendes  Bild  von  dem  Schaffen 
des  berühmten  Historikers  giebt;  ein  Aufsatz  von  Eckardt  über  den  Kari- 
katurenzeichner Disteli  ist  noch  nicht  über  die  Einleitung  hinaus  vorgerückt. 
Ausserdem  finden  wir  noch  einige  Worte  über  Philipp  Bridel,  einen  Volks- 
schrift steller  der  romanischen  Schweiz,    und  über  den  Maler  Friedrich  Kurz. 

Bei  weitem  am  reichhaltigsten  ist  der  eigentlich  belletristische  Theil  der 
Zeitschrift,  welcher  Erzählungen  und  Gedichte  bringt.  Unter  den  ersteren 
finden  sich  diesmal  einige  grössere,  und  abgesehen  von  ihrem  künstlerischen 
Werth,  in  sofern  interessante,  als  sie  zur  Kenntniss  der  Schweiz  und  ihrer 
Bewohner  manchen  schätzenswerthen  Beitrag  liefern.  Näher  kann  Ref.  hier 
auf  dieselben  nicht  eingehen,  ebenso  wenig  wie  auf  die  Gedichte,  die  eine 
nothwendige  Beigabe  von  Zeitschriften,  wie  die  vorliegende,  bilden.  Dagegen 
darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  einzelne  derselben,  die  im  Dialekte  ver- 
schiedener Gegenden  der  Schweiz  verfasst  sind,  für  das  Studium  schwei- 
zerischer Dialekte  nicht  unwichtig  genannt  werden  müssen. 

Die  dramatische  Literatur  ist  diesmal  nur  schwach  vertreten ,  denn 
ausser  einer  dramatischen  Scene  von  L.  Eckardt:  Savoyen-schweizerisch,  die, 
in  Folge  der  neuesten  politischen  Verhältnisse  entstanden,  der  augenblick- 
lichen Stimmung  des  Volkes  entsprochen  haben  mag,  ist  nur  der  Anfang 
eines  grösseren  Dramas  von  demselben  Verfasser:  Elisabeth  von  Scharnach- 
thal, mitgetheilt,  dessen  Fortsetzung  in  der  Zeitschrift  nicht  erschienen  ist, 
da  dasselbe  besonders  abgedruckt  wird. 

Einen  anziehenden  Abschnitt,  endlich  bildet  die  Sammlung  von  Volks- 
sagen und  Volksliedern,  die  zum  Theil  in  dem  eigenthümlichen  Dialekt 
ihrer  Heimat,  eine  Sammlung,  die  ja  auch  schon  anderweitig  Anerkennung 
und  Benutzung  gefunden  hat. 


Deutsche     Weihnachtslieder.      Eine    Festgabe    von 
Karl    Simrock.     Leipzig,     T.    O.    Weigel.     1859. 

Der  wackere  deutsche  Poet,  dessen  Namen  das  aufgeführte  Sammelwerk 
trägt,  gibt  zunächst  eine  sehr  ausführliche  gelehrte  Einleitung.  Er  theilt 
seine  Schrift  in  zwei  Bücher.  Das  erste  Buch  enthält  das  Weihnachtslied 
der  altern  Kirche,  „so  weit  es  dem  volksmässigen  Charakter  wenigstens 
noch  darin  entspricht,  dass  es  keinen  bekannten  Verfasser  hat.  —  Das 
zweite  Buch  ist  dem  evangelischen  Kirchenliede  gewidmet,  dessen  Verfasser 
bekannt  sind ,  das  auch  sonst  schon  zur  Kunstpoesie  neigt,  ob  es  gleich  die 
Einfachheit  und  Herzlichkeit  des  Volksgesangs  noch  keineswegs  verläugnet. 
Das  dritte  Buch  gehört  dem  Weihnachtslied  neuerer  Dichter  an." 

Die  Zusammenstellung  ist  höchst  löblich.  Wie  es  aber  nicht  anders 
sein  konnte,  so  ist  dem  Verfasser  gar  Manches  entgangen. 

Besonders  machen  wir  den  Herausgeber  der  deutschen  Weihnachtslieder 
auf  die  „Kirchlichen  Sitten"  (Berlin,  Hertz;  1859)  aufmerksam.  Dort  findet 
er  nicht  nur  _  ein  Volkslied,  das  ihn  interessiren  wird,  sondern  auch  Nach- 
weisungen, die  wir  uns  deshalb  hier  ersparen  können. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  431 

Milton's  Comus,  übersetzt  und  mit  einer  erläuternden  Abhandlung 
begleitet  von  Dr.  Immanuel  Schmidt.  Berlin,  1860,  im 
Verlag  der  Haude  und  Spenerschen  Buchhandlung. 

Der  Verf.  hielt  am  ersten  Stiftungsfeste  der  Berliner  Gesellschaft  für 
das  Studium  der  neuern  Sprachen  einen  kürzeren  Vortrag  über  Milton's 
Maskenspiel  (s.  den  Bericht  im  Archiv,  Band  XXVI,  p  397  f.),  und  ver- 
sprach denselben  etwas  erweitert  in  diesem  Blatte  abdrucken  zu  lassen. 
Da  er  jedoch  inzwischen  die  Verpflichtung  übernommen  hatte,  das  vorjährige 
Programm  des  Friedrich -Wilhelms -Gymnasiums  zu  schreiben,  und  zu  einer 
umfassenden  Analyse  des  Miltonschen  Stils,  welche  ursprünglich  beabsichtigt 
war,  nicht  die  nötbige  Müsse  fand;  so  bat  er  den  Herausgeber,  ihn  jenes 
Versprechens  zu  entbinden,  damit  er  die  Arbeit  über  den  Comus  für  das 
Programm  verwenden  könnte.  Natürlich  ward  es  ihm  bereitwillig  gestattet; 
die  Uebersetzung  des  Miltonschen  Werks  und  der  grössre  Theil  der  Ab- 
handlung wurde  als  Programm  ausgegeben.  Jetzt  ist  das  Ganze,  um  drei 
Bogen  vermehrt,  im  Verlag  der  Haude  und  Spenerschen  Buchhandlung  er- 
schienen. Um  dem  Verfasser  nun  zu  zeigen,  wie  wenig  wir  ihm  wegen  Nicht- 
erfüllung seines  Versprechens  grollen,  werden  wir  seine  Schrift  einer  Be- 
sprechung unterwerfen. 

Was  zunächst  die  Uebersetzunp  betrifft,  so  scheint  dabei  das  Bestreben 
obgewaltet  zu  haben,  den  eigenthümlichen  Schwung  der  Miltonschen  Verse 
wiederzugeben,  und  die  Cäsuren  derselben  möglichst  treu  zu  bewahren.  Ja 
wir  möchten  behaupten,  dass  der  Uebersetzer,  wenn  auch  nicht  im  Einzelnen, 
doch  im  Grossen  und  Ganzen  förmlich  nach  den  Cäsuren  gearbeitet  habe. 
Ebenso  hat  er  fast  durchgehends  die 'Alliteration  nachzuahmen  versucht, 
auch  dem  Leser  eher  etwas  zugemuthet,  als  dass  er  die  Eigenthümlichkeit 
der  Bildersprache  der  Forderung  einer  möglichst  fliessenden  Uebersetzung 
aufgeopfert  hätte.  Freilich  musste  er  wohl  bei  der  Prägnanz  der  Miltonschen 
Diction  und  der  verhältnissmässigen  Kürze  des  Englischen  im  Vergleich  mit 
unserer  Muttersprache  einzelne  Epitheta  aufgeben ;  doch  wo  dies  geschehen 
ist,  hat  eine  Abwägung  des  Wesentlicheren  gegen  das  leichter  zu  Entbehrende 
stattgefunden.  Der  Uebersetzer  hat  sich  seine  Aufgabe  nicht  leicht  machen 
wollen.  Dass  er  die  Freiheiten  des  Miltonschen  Versbaues,  den  Trochäus 
und  Anapäst  statt  des  lambus ,  für  sich  beansprucht  hat ,  darf  man  ihm  um 
so  weniger  verargen,  da  ja  auch  bei  unsern  besten  Dichtern  Beispiele  dieser 
Licenz  vorkommen.  Um  dem  Leser  einen  Begriff'  davon  zu  geben,  wie  weit 
es  der  Uebersetzung  gelungen  sei,  in  Stellen,  wo  der  Reim  die  Schwierigkeit 
noch  vermehrt,  dem  Original  nachzukommen,  wählen  wir  den  Gesang  an  die 
Nymphe  Echo  (Com.  v.  230  ff.): 

O  holde  Echo,  unsichtbar  am  Fels 
In  luftigem  Gemach, 
Wo  durch  ein  Thal  voll  Blütenschmelz 

Ein  lieblich  Bächlein  lässig  schlängelnd  fliesst, 
Wo  die  Nachtigall  ergiesst 

Lieder  des  Leids,  bei  Nacht  in  Liebe  wach; 

Kannst  du  von  einem  holden  Paar  vielleicht 
Mir  künden,  das  Narcissus  gleicht? 

O  hieltest  du 
Geborgen  sie  in  süsser  Buh, 
Sag',  wo  sie  sind, 

Der  Bede  Königin,  du  Sphärenkind; 

Dann  bet'  ich,  dass  du  hoch  am  Sternenzelt 

Im  Nachhall  feiern  mög'st  die  Harmonie  der  Welt. 

Was  der  Verfasser  unter  dem  ziemlich  anspruchslosen  Titel  einer  er- 
läuternden Abhandlung  gibt,  besteht  theils  aus  literarhistorischen,  theils  aus 


432  ßeur theilungen  und  kurze  Anzeigen. 

kritisch -exegetischen  Erörterungen.  In  den  ersteren  geht  er  von  einer 
kurzen  Charakteristik  der  englischen  Maskenspiele  aus,  bei  denen  er  nicht 
zu  verweilen  brauchte,  da  er  vor  nicht  langer  Zeit  in  diesem  Blatte  eine 
Schilderung  der  Ben  Jonsonschen  Hoftnasken  gebracht  hat.  Er  knüpft 
daran  folgende  vorläufige  Bemerkung:  „Die  Eigenthümlichkeit  des  Milton- 
schen  Comus,  um  es  gleich  kurz  zu  sagen,  besteht  darin,  dass  der  Dichter 
mit  Aufgabe  des  naiv -humoristischen  Elements,  welches  besonders  in  Ben 
Jonson's  Masken  stark  hervortritt,  ohne  das  .^üjet  durch  strenge  Durch- 
führung von  Situationen,  oder  gar  durch  bestimmte  Zeichnung  der  Charaktere 
kunstgemäss  zu  gestalten,  in  die  dürftige  äussere  Form  einen  tiefern  Inhalt 
gelegt  und  denselben  durch  die  prachtvollste  Lyrik  der  Sprache  aus- 
geschmückt hat." 

Nachdem  wir  mit  der  äussern  Veranlassung,  wodurch  Milton  zur  Ab- 
fassung seines  Comus  bestimmt  wurde,  bekannt  gemacht  und  darauf  hin- 
gewiesen sind,  dass  die  Unbestimmtheit  der  „scenischen  Landschaft"  in 
diesem  Werke  vollkommen  passe  „zu  dem  phantastisch  märchenhaften  Cha- 
rakter des  ganzen  Stücks  und  der  Hauptperson  darin,  welche  ihr  zügelloses 
und  unheimliches  Treiben  in  nächtlichem  Waldesdunkel  birgt,"  erhalten  wir 
eine  ziemlich  ausführliche  Schilderung  dieser  Persönlichkeit,  deren  Summe 
nach  dem  Verf.  in  den  Worten  des  Philostratus  (Imag.  I.  2.) :  O  Sai/tcov 
o  Kcöfios,  nag  ov  tö  xcofia^eiv  toTs  av&QcuTiois  zusammen gefasst  ist.  Auf 
das <t vom  griechischen  Schriftsteller  entworfne  Bild  näher  einzugehen,  weist 
er  von  der  Hand:  da  Milton  sich  ganz  und  gar  an  die  Schilderung  gehalten 
hat,  welche  von  Erycius  Puteanus  nach  dessen  Vorgange  geliefert  worden 
ist.  Die  Schrift  des  letztern  kommt  weiterhin  zu  einer  ausführlichen  Be- 
sprechung. Dass  der  Verfasser  abweichend  vom  gewöhnlichen  Gebrauch  zu- 
nächst den  Hauptcharakter  des  Miltonschen  Stücks  geschildert  und  dann 
erst  eine  Inhaltsübersicht  desselben  gegeben  hat,  war  wohl  insofern  noth- 
wendig,  als  er  eine  genaue  Bekanntschaft  mit  jenem  nicht  allgemein  vor- 
aussetzen durfte.  Freilich  trägt  die  ganze  Arbeit  einen  gemischten  Charakter; 
der  erste  Theil  scheint  wie  die  Uebersetzung  für  das  grössere  Publicum 
bestimmt,  während  die  letzten  Bogen  nur  Gelehrten  vom  Fach  zusagen 
möchten.  Doch  um  auf  die  Charakteristik  des  Comus  Zurückzukommen, 
worin  der  Verfasser  alle  einzelnen,  im  Maskenspiele  zerstreut  auftretenden 
Züge  vereinigt  und  zugleich  dasjenige  hervorgehoben  hat,  was  nach  seiner 
Ansicht  mit  dem  Totaleindruck  des  Miltonschen  Bildes  nicht  stimmt  (v.  111 
ff.)  —  und  wir  müssen  ihm  hierin  Recht  geben  — ,  so  zeichnet  sich  dieselbe 
einmal  durch  fortwährende  Beziehung  auf  Mythen  des  klassischen  Alterthums, 
andrerseits  durch  eine  Parallele  mit  dem  Satan  des  verlornen  Paradieses  aus. 
In  der  nun  folgenden  sehr  ausführlichen  Inhaltsübersicht  (p.  19  —  23)  tritt 
als  eigenthümlich  die  Benutzung  der  Bühnenanweisungen  (Stage-directions) 
im  Manuscripte  Milton's  hervor,  worin  Masson,  auf  dessen  bedeutendes  Werk 
The  Life  of  John  Milton  etc.  Vol.  I.  Cambr.  1859  sich  der  Verfasser  wieder- 
holt bezieht,  schon  in  einzelnen  Fällen  vorangegangen  war.  Diese  Bühnen- 
anweisungen werden  vom  Verf.  zu  der  U/ntersuchung  benutzt,  welche  Theile 
des  Maskenspiels  nach  der  Absicht  des  Dichters  als  Gesänge  oder  als  Re- 
citativ  vorgetragen  werden  sollten.  Ein  solches  vermuthet  er  z.  B.  in  den 
Versen  867  —  889.  Sonst  heben  wir  noch  folgende  Stelle  hervor,  p.  20  f. 
„Die  Jungfrau  sieht,  gleichsam  als  ein  vom  Himmel  ihr  gesandtes  Zeichen, 
eine   dunkle   Wolke    sich   mit   silbernem   Lichte   säumen.*)     Die   Worte   des 


*)  In  Schmidt's  Uebersetzung  lautet  die  Stelle: 

Irrt'  ich  mich?  Oder  zeigt  ein  schwarz  Gewölk 
Des  Mantels  innern  Silbersaum  der  Nacht? 
Ich  irre  nicht,  dort  zeigt  ein  schwarz  Gewölk 
Des  Mantels  innern  Silbersaum  der  Nacht, 
Ein  Abglanz  trifft  die  Wipfel  dieses  Hains. 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  433 

Dichters  (I  did  not  err,  tlirre  does  etc.  vs.  233.)  lassen  uns  nicht  zweifeln, 
dass  man  dies  wirklich  tiargestellt  habe,  zumal  da  Ben  Jonson  einen  solchen 
scenischen  Effekt  genau  beschreibt.  The  Masque  of  Blackness  p.  546, 
Gifford's  ed.  Lond.  Moxon  1838.  At  this  the  Moon  was  discovered  in  the 
upper  part  of  the  house,  triumphant  in  a  silver  throne,  made  in  figure  of 
a  pyramis.  Her  garments  white  and  silver,  the  dressing  of  her  head  antique, 
and  crowned  with  a  luminary,  or  sphere  of  light:  which  striking  on  the 
clouds,  and  heightened  with  silver,  reflected  as  natural  clouds  do  by  the 
splendor  of  the  moon.  The  heaven  about  her  was  vaulted  with  blue  silk, 
and  set  with  stars  of  silver,  which  had  in  them  their  several  lights  burning. 
Der  letzte  Satz  bestätigt  unsre  oben  ausgesprochene  Vermutbung,  dass  auch 
das  Glänzen  der  Sterne  scenisch  nachgeahmt  sei." 

Den  eigentlichen  Schwerpunkt  der  Miltonschen  Dichtung  bildet  das  Ge- 
spräch zwischen  Comus  und  der  Jungfrau,  welches  der  Verfasser  der  Ab- 
handlung in  folgenden  Worten  charakterisirt:  „Beide  (Comus  und  die  Jung- 
frau) fechten  in  der  nun  folgenden  Scene  (v.  fi69  —  813)  gleichsam  einen 
Rechtsstreit  aus  zwischen  Sinnenglück  und  Sittengesetz,  welcher  mit  den 
eigenthümlichen,  processartigen  Erörterungen  von  Gegensätzen  (Stoacoi' 
loycov  ayojves)  in  den  Tragödien  des  Kuripides  eine  unverkennbare  Aehn- 
lichkeit  darbietet.  Die  widerstreitenden  Principien  sind  scharf  aus  einander 
gehalten;  Hedonismus  und  puritanische  Strenge  (vgl.  v.  766  f.)  treten  sich 
schroff  gegenüber.  Zugleich  entdecken  -wir  hier,  so  zu  sagen,  den  ersten 
Ansatz  zu  den  republikanisch -socialistischen,  mit  unerbittlicher  Consequenz 
durchgreifenden  Ansichten  Milton's  in  den  Versen  7G8  —  774.  Diese  Verse 
haben  insofern  Bedeutung  für  die  Biographie  des  Dichters  und  lassen  sich 
parallelisiren  mit  der  bekannten  Prophezeiung  vom  Untergang  der  verderbten 
anglicanischen  Geistlichkeit  im  Iycidas,  v.   113 — 131." 

Die  Keurtheilung  des  ganzen  Werkes  seinem  ästhetischen  Werthe  nach 
hat  der  Verf.  an  eine  Besprechung  der  von  den  namhaftesten  englischen 
Literarhistorikern  darüber  geäusserten  Ansicht  angeschlossen.  Nach  dem 
Gesammteindrucke,  den  seine  Arbeit  auf  uns  gemacht  hat,  hegt  er  eine  ge- 
wisse Abneigung  gegen  lang  ausgesponnene  ästhetische  Erörterungen  und 
wendet  sich  lieber  der  Betrachtung  des  Einzelnen  zu.  Wir  glauben  jedoch 
unsern  Lesern  einen  Dienst  zu  erweisen,  indem  wir  gleichsam  das  Gewebe 
wieder  auflösen  und  die  Bemerkungen,  wodurch  jene  Kritiken  theils  erläutert, 
theils  eingeschränkt,  und  berichtigt  werden,  in  Zusammenhang  bringen..  Da- 
bei wollen  wir  die  Ausdrucksweise  möglichst  treu  beibehalten.  Unsre  Ver- 
legenheit, sagt  Schmidt,  mit  welchem  Masse  wir  den  Comus  messen  sollen, 
ist  die  beste  Kritik  desselben.  Der~  äussre  Zuschnitt  des  Werks  ist  der 
eines  Maskenspiels;  allein  für  ein  solches  ist  es  doch  zu  ernst  gehalten,  um 
als  ein  bloss  arabeskenartiger  Entwurf  gelten  zu  dürfen.  Aber  andrerseits 
fehlt  es  ihm,  um  als  wirkliches  dramatisches  AVerk  betrachtet  zu  werden, 
auch  abgesehen  von  den  eingelegten  Tänzen  und  lyrischen  Partien,  an 
eigentlicher  Handlung,  an  bestimmter  Zeichnung  der  Charaktere,  endlich  am 
speeifisch  dramatischen  Stil.  Von  den  wüsten  Ausschweifungen  des  Comus 
erhalten  wir  kein  deutliches  Bild,  und  die  Charakteristik  leidet  unter  dieser 
Unbestimmtheit.  Comus  und  sein  Schwärm  hätten  einer  derberen  Zeichnung 
bedurft,  und  um  wieder  unser  sittliches  Gefühl  damit  zu  versöhnen,  wurde 
sich  eine  humoristische  Behandlung  als  geeignetes  Auskunftsmittel  dargeboten 
haben.  (Vgl.  S.  31  der  Abh.)  Comus  ist  ein  nebelhaftes  Wesen,  und  die 
Darstellung  desselben  zeigt  ein  Schwanken  von  Seiten  des  Dichters.  Bei 
seinem  ersten  Auftreten  wird  er  besonders  nach  seiner  dämonischen  Seite 
hin  als  Sohn  der  Circe  geschildert:  allmälig  aber  wird  er  zun»  blossen  heuch- 
lerischen und  heimtückischen  Verführer,  der  allerdings  Zauber  übt  und  mit 
dem  äussern  Apparat  desselben  umgeben  ist,  sich  sonst  aber  wenig  von 
menschlichen  Charakteren  der  bezeichneten  Art  unterscheidet,  paneben 
macht    ihn   Milton    zum    Träger    künstlich    zusammengesetzter    sophistischer 


434  B  eurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Argumente.  Auch  die  andern  Charaktere  sind  nur  Gefässe,  um  die  Ansichten 
des  Dichters  aufzunehmen.  Der  ganze  Stil  ist  lyrisch;  doch  vergleiche  man, 
was  S.  40  über  die  Stiehomythie  (v.  277  ff.)  gesagt  ist. 

Zehn  Seiten  der  Abhandlung  (p.  27  —  37)  sind  dem  Vergleich  des  Comus 
mit  ahnlichen  Werken  gewidmet.  Die  unbekannteren  und  weniger  zugäng- 
lichen unter  diesen  werden  ausführlich  analysirt,  so  zunächst  die  kleine  halb 
in  Prosa,  halb  in  Versen  verfasste  Schrift  des  Erycius  Puteanus  (Hendrik 
van  der  Putten),  welche  zuerst  1608  zu  Löwen  unter  folgendem  Titel  er- 
schien: Eryci  Puteani  Comus,  sive  Phagesiposia  Cimmeria,  somnium.  Wir 
wissen  dem  Verf.  um  so  mehr  Dank  für  die  Inhaltsübersicht ,  als  die  An- 
gaben der  englischen  Biographen  und  Commentatoren  Milton's  meistens  zu 
falschen  Vorstellungen  über  dieselbe  Anlass  geben.  Die  Nachweise  der  An- 
klänge im  Miltonschen  Comus  an  den  des  modernen  Latinisten  sind  um  ein 
Bedeutendes  vermehrt;  doch  liegt  es  in  der  Natur  solcher  Sammlungen  von 
Parallelst  eilen,  dass  auch  manche  mit  angeführt  werden  müssen,  bei  denen 
ein  Zweifel  in  Betreff  der  wirklichen  Benutzung  staltfinden  kann.  Eine  Ver- 
gleichung  des  Ben  Jonsonschen  Maskenspiels  „Pleasure  reconciled  to  Virtue" 
bietet  Gelegenheit  dar,  die  verschiedene  Behandlung  derselben  untergeordneten 
dramatischen  Kunstgattung  von  Seiten  der  beiden  Dichter  zu  charakterisiren, 
wobei  die  Vermuthung  aufgestellt  und  durch  den  Ausdruck  der  Bühnen- 
anweisung zu  v.  93  gestützt  wird,  dass  Milton  ursprünglich  beabsichtigt  habe, 
nach  der  Weise  Ren  Jonson's  im  Schwärme  des  Comus  eine  sogenannte 
Antimaske  einzuführen,  dass  er  jedoch  eine  solche  mit  dem  Charakter  seines 
Werkes  unverträglich  fand.  Nachdem  dann  George  Peele's  Komödie  „The 
Old  Wives  Tale"  besprochen  ist,  mit  Herbeiziehung  mehrerer  bisher  über- 
sehenen Reminiscenzen  daraus,  folgt  eine  Zusammenstellung  analoger  Stellen 
im  Comus  und  in  John  Fletcher's  „Faithfu!  Shepherdess".  Wir  erlauben  uns 
den  Schluss  der  Vergleichung  mitzutheilen:  „Obgleich  dieFaithful  Shepherdess 
dem  Comus  ungleich  mehr  ebenbürtig  zu  nennen  ist  als  irgend  eins  der 
Werke,  welche  wir  als  Quellen  bezeichnet  haben;  so  weht  uns  doch  aus  der 
Milton'schen  Dichtung  ein  ganz  andrer  Geist  entgegen.  Hier  ist  alles  ernst 
und  feierlich  gestimmt,  während  dort  bei  anscheinendem  Ernste  mit  dem 
Gegenstande  doch  nur  getändelt  wird.  Bei  Milton  ist  die  Lehre  vom  heiligen 
Zauber  der  Jungfräulichkeit  mit  den  ethischen  Ansichten,  die  das  ganze 
Stück  durchziehen,  auf  das  engste  verwachsen;  bei  Fletcher  zeigen  schon  die 
spielenden  Uebertreihungen,  dass  wir  es  mit  einer  conventioneilen,  dem  Stücke 
angepassten  Fiction  zu  thun  haben,  ganz  von  derselben  Natur  wie  die  reine 
Quelle,  die  alle  Wunden  heilt.  Ich  kann  auch  den  Kritikern  nicht  beipflichten, 
welche  den  Comus  ohne  Weiteres  zu  einem  Schäferspiele  machen  wollen. 
(Jos.  Warton  bei  Todd  p.  177  und  dieser  selbst,  p.  179.)  Der  ganze  äussere. 
Zuschnitt  vom  hakchantischen  Tanze  des  Fackeln  schwingenden  Thiasos  an 
bis  zum  Schlüsse,  wo  sich  das  Stück  in  die  Tänze  eines  geselligen  Festspiels 
auflöst,  ist  der  einer  Masque.  Pastorale  Episoden  mit  charakteristischen 
Zügen  der  Virgil'schen  Idyllen,  wohin  ich  besonders  die  Einführung  be- 
stimmter Persönlichkeiten  unter  fingirten  Hirtenamen  rechne  (v.  619  f^.  vgl. 
p.  21  dieser  Abh.;  v.  822,  s.  Keightley's  Anm),  Hessen  sich  bei  der  Ver- 
wandtschaft der  Masken-  und  Schäferspiele  leicht  einfügen.  Doch  die  Ver- 
tiefung des  Inhalts  rückt  den  Comus  aus  der  Sphäre  beider  Dichtungsformen. 
Zu  einem  Pastoral  fehlt  ihm  vor  Allem  das  ganze  Lebenselement,  die  Liebe, 
deren  idyllisch  Conventionelle  Auffassung  gewisse  schablonenartige  Charaktere 
fordert  und  unendliche  Variationen  der  beiden  Themen ,  Keuschheit  und 
Zärtlichkeit,  mit  der  ermüdenden  Wiederholung  von  Gelübden ,  so  wie  eine 
entsprechende  Naturanschauung  in  sich  schliesst,  eine  Bewirthung  mit  lauter 
süssen  Tränken  bis  zum  Ueberdruss.  Doch  der  Stil  im  weitesten  Sinne  des 
Wortes  enthält  die  Eigenthümlichkeiten,  welche  ich  nach  der  englischen 
Modification  eines  griechischen  Ausdrucks  wohl  als  paraphernalia  des  Hirten- 
spiels bezeichnen  darf." 


B  eurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  435 

Der  Verf.  berührt  dann  noch  eine  Scene  in  Ben  Jonson's  komisch  sa- 
tirischem Drama  Cynthia's  Revels  unr]  geht  sodann  dazu  üher.  die  Platonischen 
Elemente  im  Ideenkreise  der  Dichtung  nachzuweisen.  Die  englischen  Er- 
klarer hatten  ihm  zwar  auf  diesem  Felde  vorgearbeitet;  doch  vergleicht  man 
ihre  Anmerkungen  mit  dem  von  .Schmidt  Dargebotnen,  so  muss  man  diesem 
das  Verdienst  zuerkennen,  dass  er  nicht  nur  die  Nachweise  vermehrt,  sondern 
auch  die  Vergleichung  bestimmter  durchgeführt  und  den  Einfluss  auf  die 
Diction  dargethan  hat.  Wichtig  ist  besonders,  dass  er  zu  Com.  v.  379  ff. 
eine  Schilderung  des  Phädrus  (p.  248.  b)  herbeizieht  und  das  Zeitwort  to 
plume,  welches  nach  den  Herausgebern  mit  to  prune  verwechselt  sein  soll, 
im  Sinne  von  plumare,  plumas  emittere  mit  dem  ttteqovv  des  genannten 
Dialogs  zusammenhält.  Bei  den  mancherlei  Latinismen  des  Miltonschen  Stils, 
von  denen  die  im  Comus  vorkommenden  S.  46  f.  der  Abhandlung  durch- 
gegangen, zugleich  aber  andre  noch  schlagendere  Beispiele  erwähnt  werden, 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  Dichter  die  Bedeutung  jenes  Wortes  im  An- 
schluss  an  das  Lateinische  geändert  habe. 

Wir  können  auf  die  einzelnen  Reminiscenzen  aus  Euripides  und  Homer 
so  wie  aus  andern  Dichtern  und  Prosaikern  des  klassischen  Alterthums. 
welche  der  Verf.  theils  aus  den  weitschichtigen  Sammlungen  der  Engländer 
entlehnt,  theils  selbstständig  im  Comus  aufgezeigt  hat,  nicht  näher  eingehen 
und  wiederholen  nur  das  schon  oben  Gasagte,  dass  man  in  Bezug  auf  manche 
Punkte  abweichender  Meinung  sein  kann;  doch  wird  man  jedenfalls  dem 
Fleispe  des  Sammeins  seine  Anerkennung  nicht  versagen  dürfen.  Interessant 
waren  uns  folgende  Angaben  (p.  45.) :  „Was  den  Ausdruck  „Thetis'  tinsel- 
slippered  feet"  (v.  877.)  anlangt,  so  ist  derselbe  keineswegs  für  eine  blosse 
Paraphrase  von  äQyvQ07iet,n  Oertg  zu  halten,  geschweige  denn  dass  wir  gar 
nach  Keightleys  Vorschlag  annehmen  sollten,  Milton  hätte  das  Homerische 
Beiwort  missverstanden.  Dieser  Herausgeber  hat  in  einem  Excurse  p.  12G  f. 
dargethan,  dass  tinsel  eine  Art  Gold-  und  Silberbrocat,  somit  dasselbe  war, 
was  im  P.  L.  V.  592  durch  glitt ering  tissues  bezeichnet  ist.  Also  die 
eigentliche  Bedeutung  von  tinsel -slippered  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Zu- 
gleich dürfen  wir  nicht  vergessen ,  dass  tinsel  zu  den  Lieblingsausdrücken 
der  Spenser'schen  Schule  gehört;  dies  ergibt  sich  aus  Keightley's  Citaten, 
Chapman  übersetzt,  wie  Todd  angemerkt  hat,  silver-footed  Thetis,  und  das 
Epitheton  wurde  von  den  gleichzeitigen  und  unmittelbar  auf  ihn  folgenden 
Dichtern  adoptirt.  Ich  füge  zu  Todd's  Citaten  noch  hinzu  silver-fleet,  B. 
Jons.  The  M.  of  Beauty  p.  550.  Nept.  Triumph,  p.  642.  Handelte  es  sich 
nicht  um  Thetis,  so  käme  yovaoTrcSiXos  dem  Milton'schen  Adjectiv  näher  als 
noyvQ07isL,a\  vgl.  TToiv.tXooävdaXog.  Die  Herausgeber  haben  übersehen  silver- 
buskined,  Are.  33,  und  El.  III.  55.  Vestis  ad  auratos  defluxit  Candida  talos. 
Wie  jenes  Adjectiv  gehört  auch  tinsel- slippered  zu  der  Klasse  freier  Nach- 
ahmungen. Wenn  tinsel  wirklich  mit  scintilla,  etincelle  zusammenhängt  (vgl. 
ticket  von  etiquette,  e*tiquette,  Mätzner,  Engl.  Gramm,  p.  156),  so  mochte 
allerdings  in  Milton's  Zeit,  als  das  Wort  noch  nicht  zu  der  gegenwärtigen 
Bedeutung  von  nachgemachtem  Flittergold  herabgesunken  war,  so  viel  vom 
ursprünglichen,  der  Etymologie  entsprechenden  W'ortsinn  vorherrschen,  dass 
der  Leser  durch  tinsel-slippered  die  Anschauung  lichten  Schimmers  bekam,  sich 
also  das  Bild  der  Thetis  im  Silberglanz  der  blitzenden  Wellen  ausmalen  konnte. 
Cf.  Trench,  English  Past  and  Present,  p.  130  f.  Allein  die  Ableitung  steht  nicht 
fest;  vielleicht  ist  es  das  mittelhochdeutsche  zendäl.  zindcl.  eine  Art  Seidentaffent, 
dessen  romanische  Nebenformen  Diez,  Etvm.  Wörterbuch,  p  376,  angibt.  — 
Die  Namen  der  Sirenen,  Parthenope  und  Ligea  (neben  Leukosia),  kommen 
nicht  bloss,  was  Keightley  wohl  irgend  einem  Andern  nachgeschrieben  hat, 
in  Tzetze's  Scholien  zum  Lykophron,  sondern  bei  diesem  Dichter  selbst  vor, 
v.  713—728.  Ich  bemerke' beiläufig,  Milton  kaufte  sich  im  Jahre  1(134,  in 
welchem  der  Comus  entstand,  ein  Exemplar  des  Lykophron  für  3  Shilling, 
so   wie   er  auch  Paul  Stephanus'  Ausgabe   des   Euripides   erstand.     Masson, 


430  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

1.  c.  p.  531.  Doch  haben  weder  die  Biographen  auf  vorliegende  Stelle  Rück- 
sicht genommen,  noch  die  Erklärer  jene  Notiz  damit  combinirt." 

Von  dem  letzten  Herausgeber  der  Miltonschen  Dichtungen  (Thomas 
Keightley)  spricht  der  Verf.  nicht  allein  hier,  sondern  auch  an  andern  Stellen 
der  Arbeit  in  einem  ziemlich  geringschätzigen  Tone,  und  nach  den  mancherlei 
Absurditäten  und  geschmacklosen  Urtheilen  desselben,  die  gelegentlich  zur 
Sprache  kommen,  kann  man  es  ihm  in  der  That  nicht  verdenken.  Wenn 
uns  nicht  alles  trügt,  so  wird  jener  auch  in  seinem  Vaterlande  für  einen 
Bücherfabrikanten  gehalten.  Doch  lässt  sich  seiner  Ausgabe  das  Verdienst 
nicht  absprechen,  dass  unter  den  zum  Theil  ungehörigen  Noten  der  früheren 
Editoren  eine  verständige  Auswahl  getroffen  ist,  was  übrigens  auch  von 
Schmidt  keineswegs  bestritten  wird.     Vgl.  p.  49. 

Das  klassische  Element  der  Diction  im  Comus  bildet  in  unsrer  Ab- 
handlung eine  compacte  Masse  (bis  S.  47).  Diesem  gegenüber  steht  im  poe- 
tischen Stile  Milton's  der  Theil  der  Sprache,  welcher  aus  der  Bibel  entlehnt 
ist.  Jedoch  tritt  derselbe  im  Comus  dem  Inhalt  und  der  ganzen  Anlage 
des  "Werkes  gemäss  weniger  hervorragend  auf.  Vgl.  S.  48  f.  der  Abh.  Auf 
eine  Besprechung  der  Reminiscenzen  aus  italiänischen  Dichtern,  bei  denen 
es  oft  schwierig  ist  zu  entscheiden ,  ob  sie  den  Originalwerken  oder  Ueber- 
setzungen,  wie  z.  B.  der  Bearbeitung  des  Tassp  von  Fairfax,  entnommen  sind, 
hat  sich  der  Verf.  nicht  eingelassen,  offenbar  aus  dem  Grunde,  weil  ihm 
dazu  die  Kenntniss  der  Sprache  mangelt.  Sehr  ausführlich  geht  er  einen 
andern  Bestandtheil  der  Diction  durch ,  den  er  gewöhnlich  als  Arkadischen 
Stil  bezeichnet.  Er  fasst  unter  dem  Namen  der  Arkadischen  Dichter  die- 
jenigen zusammen,  welche  der  Spenserschen  Schule  angehören,  charakterisirt 
ihren  Stil  ziemlich  kurz  (S.  49  f)  —  wir  gestehen,  eine  ausführliche  Schil- 
derung wäre  uns  erwünscht  gewesen  — ,  und  stellt,  diesmal  im  engen  An- 
schluss  an  die  Sammlungen  der  Commentatoren ,  die  Verse  des  Comus  zu- 
sammen, welche  von  Schilderungen  oder  von  einzelnen  Ausdrücken  jener 
Dichter  abhängig  sind.  Wenn  er  auch  in  diesem  Theile  der  Arbeit  wenig 
neue  Stellen  herbeigezogen  hat,  so  bestrebt  er  sich  dagegen,  das  schon  vor- 
handene Material  zu  sichten  und  einzelne  Verse  des  Comus  kritisch  zu  be- 
leuchten. Seine  eigenen  Studien  auf  diesem  Gebiete  waren,  so  scheint  es, 
hauptsächlich  den  Spenserschen  Werken  gewidmet,  aus  denen  er  mancherlei 
bisher  nicht  Beachtetes  herbeigezogen  hat.  Das  letzte  Kapitel  beschäftigt 
sich  mit  einem  vierten  „Factor"  der  poetischen  Sprache  Milton's,  den  An- 
klängen an  Shakespearesche  Verse.  Der  Verfasser  hat,  trotzdem  dass  so 
viele  Engländer,  die  ihren  Shakespeare  wie  die  Bibel  auswendig  wissen,  auf 
diesem  Felde  gearbeitet  haben,  noch  eine  erträgliche  Nachlese  zu  halten 
vermocht,  namentlich  hat  er  manche  Stelle  aus  Lucrece  und  Venus  and 
Adonis  zu  seinem  Zwecke  benutzt.  Zu  loben  ist  es,  dass  er  Shakespeare, 
der  Bequemlichkeit  wegen  nach  der  neuen  Ausgabe  von  Dyce  citirt,  wie  er 
denn  überhaupt  in  seinen  Anführungen  genauer  verfährt  als  die  englischen 
Herausgeber.  Die  Abschnitte  der  Abhandlung  über  die  Reminiscenzen  aus 
Shakespeare  und  aus  den  Spenserianern  enthalten  manche  dankenswerthe 
Beiträge  zur  Exegese  und  Textkritik  des  Miltonschen  Werks.  Wir  machen 
beispielsweise  aufmerksam  auf  die  ausführlichen  Erörterungen  folgender 
Stellen  im  Comus,  v.  863,  thy  amber- dropping  hair  (p.  5b),  die  schon  im 
Obigen  erwähnten  Verse  22! — 225  (p.  57  f.),  die  Beschreibung  des  Morgens 
v.  138  ff  (p.  CO),  die  Kritik  der  Varianten  drowsy-flighted  und  drowsy- 
frighted  v.  553  (p.  63  f.)  u.  s.  w.  Das  Resultat  seiner  Untersuchung  gibt 
der  Verf.  am  Schluss  folgendennassen:  „Milton  musste  vermöge  seiner  ge- 
nauen Bekanntschaft  sowohl  mit  klassischen  als  mit  englischen  Dichtern  un- 
willkürlich allerlei  Reminiscenzen  aus  ihren  Werken  aufnehmen  und  wieder- 
geben, er  hatte  seine  Phantasie  vor  Allem  mit  den  Bildern  der  Arkadischen 
Schule  gesättigt,  aber  er  bethätigte  auch  in  der  Reproduction  seine  eigne 
Productivität."  —  — 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  437 

„Gleich  den  plastischen  Künstlern  und  gleich  den  Dramatikern  der 
Griechen  stand  er,  so  zu  sagen,  in  einem  naiven  Verhältniss  zu  seinen  Vor- 
gängern; er  verschmähte  es  keineswegs,  mit  Benutzung  des  vorliegenden 
Materials  etwas  Vollendeteres  zu  schaffen.  So  wie  er  als  Dichter  die  Natur 
subjectivirt  und  ihre  Scenen  zu  seinen  Zwecken  umgestaltet,  so  entlehnt  er 
von  andern  Dichtern  nicht  nur  die  Technik,  sondern  auch  das  Material  ihrer 
Bildersprache,  um  frei  damit  zu  schalten.  Die  poetischen  Gedanken  er- 
scheinen gleichsam  umgegossen,  indem  sie  bestimmten  Charakteren  zu  eigen 
werden;  die  einfachen  Vergleiche  werden  zu  Situationen  erweitert.  Dazu 
kommt,  dass  Milton  häufig  auf  die  Grundbedeutung  der  Wörter  zurückgeht 
und  so  die  poetische  Sprache  zu  vertiefen  weiss."  —  —  «Die  bildliche 
Sprache  im  Comus  ist  vorzugsweise  dem  Reiche  des  Lichtes  und  Farben- 
glanzes entnommen.  Mit  Vorliebe  weilt  der  Dichter  auf  dem  Schmelz  der 
Wiesen,  oder  schildert  die  klaren  Wellen  des  Stroms  und  die  Juwelen, 
welche  er  in  seiner  Tiefe  birgt;  er  malt  den  lichten  Saum  am  Gewände 
schwarzer  Wolken,  durchmisst  das  breite  Aetherfeld  und  folgt  dem  Beigen 
der  himmlischen  Sterne.  Die  Welt  des  Lichtes  strahlt  uns  um  so  heller 
entgegen,  da  ibr  eine  Sphäre  des  Dunkels,  der  nächtigen  und  unheimlichen 
Schatten,  des  alten  Chaos  entgegentritt.  Auch  das  Leben  des  Geistes  steht 
unter  dem  Einfluss  dieser  Mächte.  Die  Keuschheit  kleidet  sich  in  Sonnen- 
strahlen, lichte  Engel  schweben  vom  Himmel  herab  und  die  Tugend  strahlt 
durch  das  Licht  in  ihrem  Busen,  während  der  Geist  des  Frevlers  von  der 
finstern  Nacht  seines  hinein  Kerkers  umfangen  ist.  Die  Bilder,  welche  aus 
dieser  Doppelwelt  des  Lichtes  und  der  Schatten  stammen,  hängen  nicht  nur 
mit  dem  Sujet  und  der  Scenerie  des  Comus  auf  das  Innigste  zusammen, 
sondern  bezeichnen  geradezu  das  Wesen  der  Miltonsclien  Poesie.  Wir 
sprechen  gern  von  dein  Fluge  der  Phantasie,  lassen  den  Dichter  sich  zum 
reinen  Aether  des  Göttlichen  aufschwingen.  Milton's  Dichterrlug  möchte  ich 
mit  dem  weisser  Tauben  vergleichen,  die  wir  oftmals  im  hellen  Sonnenschein 
hoch  in  den  Lüften  kreisen  sehen.  Bald  blenden  uns  ihre  flimmernden 
Silberschwingen;  dann  aber,  wenn  ihr  Flug  sich  gewendet,  treten  sie  in 
scharfen  Schatten  am  blauen  Himmel  hervor,  und  während  unser  Auge  eben 
noch  diesen  Schatten  folgt,  wandeln  sie  sich  wieder  gaukelnd  in  lichten 
Schimmer." 

H. 


Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  Organ 
des  Germanischen  Museums  zu  Nürnberg.  Jahr- 
gang 1860,  Nro.  5  —  8. 

Zusätze  zur  Reihenfolge  der  Aebte  des  Cistercienserklosters 
Schönau.  Von  E.  O.  Mooyer  in  Minden.  Vervollständigung  des  Ver- 
zeichnisses der  Aebte  des  genannten  Klosters  nebst  Verbesserungen  des 
schon  früher  Bekannten. 

Konrad  Meit,  ein  Bildhauer  des  IC.  Jahrhunderts.  Von  Dr. 
v.  Hefner-Alteneckjn  München.  Besprechung  einer  Statue  dieses  Künstlers, 
der  mit  Albrecht  Dürer  eine  auffallende  Verwandtschaft  hat. 

Zur  Frage  nach  dem  Alter  der  frühesten  Papierurkunden. 
Herr  Dr.  Roth  von  Schreckenstein  macht  auf  ein  Akten.stuck  auf  starkem 
Papier  ohne  Wasserzeichen  aufmerksam,  welches  sich  im  Germ.  Museum  zu 
Nürnberg   befindet   und   vermuthlich   aus   dem  Ende  des    13.  Jhdts.   .stammt. 

Zur  Geschichte  der  Musikinstrumente.  Von  R.  v.  Rettberg 
in  München.     Nach  einer  früheren  Aufforderung  im  Anzeiger  wird  hier  eine 


438  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

kurze,   aber  sehr  dankenswerthe  Uebersicht  der  musikalischen  Instrumente 
von  der  Karolingerzeit  an  gegeben. 

Ueber  alte  Gewichte.  Von  Dr.  Müller.  Verzeichniss  alter  im 
Germ.  Museum  befindlicher  Goldgewichte  aus  dem  16.  Jahrhundert. 

Noch  einmal  über  Hans  Felber  von  Ulm.  Von  Ed.  Mauch. 
Weitere  Notizen  zu  den  Mittheilungen  über  denselben  Gegenstand  in  Nro. 
8  und  9,   1858. 

Ein  Brief  des  Grossmeisters  des  Johann iter-Ordens  an  den 
König  Gustav  Adolf  von  Schweden.  Von  Gust.  Häuser  in  Nörd- 
lingen.  Ausser  dem  Abdruck  dieses  lateinisch  geschriebenen  Briefes  wird  noch 
manche  interessante  Einzelheit  über  die  Art  und  Weise  beigefügt,  in  welcher 
Gust.  Adolf  und   die  Schweden   überhaupt  mit   den  Ordensgütern   verfuhren. 

Ein  zu  Passau  aufgefundenes  Bruchstück  einer  Inschrift. 
Von  Dr.  J.  Sighart  in  Freising.  Die  bei  der  Restauration  der  uralten 
Klosterkirche  Niedernburg  zu  Passau  aufgefundene  Inschrift,  welche  sich 
auf  Friedrich  Barbarossa  zu  beziehen  scheint,  wird  hier  in  möglichst 
treuer  Copie  mitgetheilt.  Sie  ist  am  Schlüsse  verstümmelt  und  lautet : 
Fridericus  imperator  Aquisgranensibus  justitiam  dedit,  quam 

Ueber  eine  Urkunde  Friedrichs  II.  Von  J.  Zahn  in  Presburg. 
Nachdem  auf  Hormayr's  Unzuverlassigkeit  und  absichtliche  Fälschung  von 
Urkunden  hingewiesen,  wird  eine  Urkunde  Friedrichs  IL,  gegeben  zu  Ulm 
d.  21.  Dec.  1219,  mitgetheilt  und  die  Fälschung  Hormayrs  näher  dargethan 
und  an  anderen  ähnlichen  Fällen  nachgewiesen. 

Steinkreuze,  von  Todtschlägern  zur  Sühne  errichtet.  Von 
Walthierer  in  Beilngries.  Aus  zwei  Originalurkunden  der  Stadt  Beilngries 
aus  den  Jahren  1436  und  1463  wird  zur  Sühne  eines  Todtschlags  gefordert, 
Seelenmessen  lesen  zu  lassen,  Rom-  und  Achfahrt  zu  thun  und  an  der  Stelle 
des  Todtschlages  ein  Steinkreuz  setzen  zu  lassen. 

Cella  und  Hoven,  zwei  östreichische  Propsteien.  Von  E.  F. 
Mooyer  in  Minden.  Nachträge  und  genauere  Bestimmungen  zu  den  von 
Meiller  im  19.  Bde.  des  Archivs  für  Kunde  östreichischer  Geschichtsquellen 
gegebenen  Auszügen  und  ungedruckten  Nekrologien  der  Benedictiner- Klöster 
St.  Peter  in  Salzburg  und  Admont  in  Steiermark. 

Zur  Geschichte  Eppelins  von  Gailingen.  Von  J.  Baader  in 
Nürnberg.  Im  königl.  Archiv  zu  Nürnberg  befindet  sich  eine  Urkunde  v.  J. 
1381,  in  welcher  die  Kosten  verzeichnet  sind,  die  Nürnberg  auf  die  Ge- 
fangennehmung, den  Prozess  und  die  Hinrichtung  des  berüchtigten  Räubers 
Eppelin  und  seiner  Spiessgesellen  verwendet  hat.     Dieselbe  wird  mitgetheilt. 

Urkunden  aus  Oberschwaben.  Verzeichniss  von  80  Pergament- 
urkunden, welche  das  Germanische  Museum  an  sich  gebracht  hat.  Ein  Auf- 
suchen und  Erwerben  von  Urkunden  gehört  mit  zu  den  Aufgaben,  die  sich 
das  germ.  Museum  gestellt  hat,  um  so  mehr,  da  sich  noch  eine  grosse  An- 
zahl zum  Theil  sehr  werthvoller  Urkunden  in  den  Händen  von  Händlern 
befinden,  und  die  Goldschläger,  Buchbinder,  Orgelbauer  u.  s.  f.  jährlich  ein 
der  Wissenschaft  entzogenes,  reichliches  Material  verarbeiten. 

Lebensbedarf  im  15.  Jahrhundert.  Von  Jos.  Mar.  Wagner  in 
Wien.  Verzeichniss  von  Lebensmitteln,  welche  „ein  Mann  und  sein  Weib 
und  Dirne"  zu  Passau  in  einem  Jahre  bedurften,  aus  einem  Wiener  Codex 
mitgetheilt. 

Kartoffeln  und  Taback.  Von  Prof.  Reuss  in  Nürnberg.  Nach 
einer  Schrift  v.  J.    1626    wurden  Kartoffeln  bereits   1588,   Taback     1601  zu 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  439 

Nürnberg  angebaut.     Auch  das  Tabackrauchen  war  dort  in   letzterem  Jahre 
allgemein  gebräuchlich. 

Das  Siegel  der  Stadt  Aschaffenburg.  Siegel  der  Stadt  Aschaffen- 
burg, die  sich  im  Germ.  Museum  befinden,  werden  beschrieben. 

Humpelschützen.  Im  Archiv  des  Museums  befindet  sich  eine  dem 
15.  Jhdt.  angehörende  Aufzeichnung,  in  welcher  der  Ausdruck  Humpel- 
schütze vorkommt.  „Humppelschuizen"  könnten  schlechte  Schützen  sein. 
Vielleicht  ist  das  Ganze  eine  scherzhafte  Einladung  zu  einem  Armbrust- 
schiessen. 

Ein  wichtiges  Manuscript  zur  Geschichte  Laibachs.  Von  Dr. 
Costa  in  Laibach.  Ein  in  der  Bibl.  des  Laibacher  Domcapitels  aufbewahrtes 
Manuscript  von  Thalbergs  enthält  wichtige  Nachrichten  über  die  Geschichte 
Krains  überhaupt,  dann  für  die  Städtegeschichte  und  namentlich  für  die 
Geschichte  Laibachs.     Der  Inhalt  desselben  wird  kurz  mitgetheilt.  — 

Albrecht  Dürers  Haus.  Mittheilung  über  eine  vor  Kurzem  dem 
Museum  einverleibte  Urkunde,  nach  welcher  das  älterliche  Haus  Albrecht 
Dürers  (der  Name  ist  immer  Thurer  geschrieben)  durch  eine  an  seinen 
Bruder  gezahlte  Summe  ganz  von  ihm  erworben  wird. 

Herr  Hans  von  Wichsdorf,  Ritter.  Von  Dr.  Lochner.  Dieser 
Herr  von  Wichsdorf  war  ein  Genosse  Pirkheimers  in  dessen  Schweizerkriege; 
er  war  aus  schlesisehem  Geschlechte,  war  schon  vorher  in  der  Stadt  Dienste 
und  Schultheiss  daselbst  bis  1503. 

Verschiedenes  zur  deutschen  Culturges  chichte.  Von  J. 
Baader  in  Nürnberg.  1)  Mittheilung  aus  einem  Schreiben  d.  J.  1504  über 
einen  muthwilligen  Streich,  den  Pfalzgraf  Ruprecht  auf  dem  Reichstag  zu 
Augsburg  vor  der  Wohnung  seines  Gegners,  des  Herzogs  Albrecht  von 
Überbaiern,  verübte:  Newe  zeittung  Ist  bey  unns  die  sag,  wie  hertzog  Rup- 
recht kurtzlich  bey  nacht  zu  Augspurg  auff  der  gassen  gefaren  und  ein  vass 
mit  zweihundert  klainer  messiner  püchslein  zugericht  und  meinem  gnedigen 
herrn  hertzog  Albrechten  für  die  Herberg  kommen,  und  daselbst  die  pücbssen, 
so  mit  Bappir  geladen  gewest ,  anzinden  lassen.  2)  Kaiser  Maximilians  I. 
Gärtner  nimmt  Unterricht  bei  den  Gärtnern  zu  Nürnberg,  vom  J.  1505. 
"3)  der  Rath  zu  Nürnberg  schickt  dem  Herzog  Albrecht  von  Baiern  zwei  Holz- 
und  Feldmesser,  v.  J.  1507.  4)  Wein  und  Brod  als  Urkunde,  v.  J.  1507. 
Hanns  Peck  der  pot  (hat)  ainer  urkund  begert,  darauf!'  ime  derselb  pfleger 
geanntwortet  hab,  sein  Herr  sei  nit  vorhanden,  wol  Im  den  zufügen,  unnd 
Im  ein  pecher  mit  wein  unnd  ein  prot  darfür  zu  urkund  geben.  Actum  der 
ansag  am  pfintztag  nach  Egidy  1507. 

Die  Schlacht  von  Lepanto.  Von  E.  Weller  in  Zürich.  Vrr- 
zeichniss  von  6  Berichten  in  Prosa,  theils  aus  d  J.  1571.  theils  ohne  Zeit- 
angabe und  von  zwei  Gedichten  aus  demselben  Jahre. 

Das  Kirchenportal  der  Abtei  Petershausen.  Von  von  Krieg- 
Hochfelden.  Das  Gegebene  ist  ein  Auszug  einer  im  Jabre  1852  in  nur 
wenigen  Exemplaren  erschienenen,  nicht  in  den  Buchhandel  gekommenen 
Druckschrift  und  betrifft  die  in  den  Jahren  983  —  992  von  Bischof  Gebhard  II. 
von  Constanz  erbaute  Kirche  zu  Petershausen.  Das  in  einer  Abbildung 
beigefügte  Portal  ist  aus  d.  J.   11G2. 

Anzeigen,  Recensionen,  Mittheilungen,  Chronik  des  Museums  n.  dgl.  m. 

Berlin.  Dr.  Sachse. 


440  Beurtbeilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Zeitschrift   für    Stenographie    und    Orthographie   von   Michaelis. 
Berlin  1860. 

Von  obiger  Zeitschrift  liegt  der  achte  Jahrgang  (190  Seiten  in  6  Heften) 
vollständig  vor  uns,  und  wir  ergreifen  diese  Gelegenheit,  um  von  Neuem 
auf  die  werthvollen  Beiträge  hinzuweisen,  welche  für  die  allgemeine  Gram- 
matik und  die  der  neueren  Sprachen,  vorzüglich  aber  für  die  Orthographie 
und  die  Lautlehre  in  den  hier  gesammelten  Aufsätzen,  namentlich  in  den 
Arbeiten  des  verdienstvollen  Herausgebers  selbst,  zu  finden  sind.  Wir  heben, 
indem  wir  das  Stenographische  bei  Seite  lassen,  Folgendes  hervor:  S.  1  —  11. 
„Ueber  die  neueste  Gestalt  der  Pitmanschen  Phonograph)"  (wichtig  für  die 
Vocallehre).  S.  12  —  72.  „Ueber  das  th  in  der  deutschen  Rechtschreibung" 
(Diese  Abhandlung  wurde  zuerst  in  der  „Gesellschaft  für  das  Studium  Uer 
neueren  Sprachen"  vorgetragen  und  ist  auch  in  einem  besonderen  Abdrucke 
veröffentlicht  worden.  Der  Herausgeber  hat  jenem  Vortrage  hier  noch  einige 
Zusätze  beigefügt  und  den  Gegenstand  wissenschaftlich  wohl  ohne  erhebliche 
Widerrede  erledigt.  Dass  das  gewonnene  Ergebniss,  die  unbedingte  Ver- 
urteilung des  th  in  deutschen  Wörtern,  nun  auch  zu  praktischer  Geltung 
gelange,  wird  nicht  zum  kleinsten  Theile  in  der  Hand  gerade  unserer  Leser 
liegen.)  S.  72  —  85.  „Zur  orthographischen  Rundschau."  (Die  „Vorschläge" 
von  Kratz  und  Bezzenberger  zur  Herstellung  einer  Einheit  in  der  deutschen 
Rechtschreibung  werden  geprüft,  wobei  der  Herausgeber  von  dem  gewiss 
richtigen  Gedanken  ausgeht,  dass  diese  Einheit  weder  durch  Unterhandlungen 
der  verschiedenen  deutschen  Staatsbehörden,  noch  durch  staatlich  angeordnete 
Commissionen  von  Sachverständigen,  überhaujjt  nicht  durch  Befehl  von  oben, 
sondern  einzig  und  allein  dadurch  zu  gewinnen  sei,  dass  „die  Macht  der 
Wissenschaft  durch  sich  selbst  das  Richtige  zur  Anerkennung  bringe.)  S. 
97  —  99.  Dr.  R.  Hoppe  empfiehlt  V.  Giimm's  „Programm  zur  Bildung  einer 
allgemeinen  Sprache"  der  Beachtung  und  stellt  einige  allgemeine  Sätze 
hinsichtlich  der  zu  lösenden  Aufgabe  und  der  nöthigen  Vorarbeiten  auf.)  — 
Auch  in  den  der  Stenographie  gewidmeten  Aufsätzen  findet  sich  für  die 
Sprachlehre  viel  Bemerkenswerthes  und  manches  Neue  (z.  B.  in  der  Kritik 
des  Arendsschen  „Leitfaden  einer  rationellen  Stenographie,"  S.  154  —  17t?). 
was  zu  erwähnen  wir  nicht  für  überflüssig  halten,  da  der  Name  der  „steno- 
graphischen" Zeitschrift  einer  weiteren  Verbreitung  derselben  ausserhalb  der 
stenographischen  Kreise  im  Wege  zu  stehen  scheint,  obwohl  die  Stenographie 
selbst,  namentlich  das  Stolzesche  System,  überall  auf  dem  Grunde  der  Sprach- 
wissenschaft ruht. 


Jahrbuch    für    romanische    und    englische   Literatur.      2.    Band. 

Inhalt:  L'Eneide  de  Henri  de  Veldeke  et  le  Roman  d'Eneas,  attribue  ä 
Benoit  de  Sainte-More  par  Alex.  Pey.  —  Die  spanischen  Sprichwörter  von 
Jose  Amador  de  los  Rios.  — -  Le  dit  du  Magnificat  von  Jean  de  Conde  von 
Adolf  Tobler.  — 

2.  Heft:  Zur  Geschichte  der  romantischen  Poesie  von  Felix  Liebrecht. 
—  Virue's  Leben  und  Werke,  vom  Freiherrn  von  Münch.  —  Der  erste 
historische  Roman  im  spanischen  Süd-Amerika  von  Ferd.  Wolf.  —  Das 
Neueste  zur  Ossian- Frage,  von  Dr.  Heller. 

3.  Heft:  Zur  Geschichte  der  catalanischen  Literatur  von  Adolf  Ebert. — 
Der  catal.  Canconer  d'amor  der  Pariser  Bibliothek  von  Karl  Bartsch.  — 
Guicciardini's  unedirte  Werke  von  Enrico  Cornet.  —  Die  Quellen  der  Bar- 
Iaain  und  Josaphat  von  Felix  Liebrecht.  —  Inedita  aus  dem  Breviari  d'amor 
von  Dr.  Sachs.  — 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  441 

4.  Heft:  Die  englische  Nationalliteratur  im  Jahre  1859  von  Dr.  H.  Beta. 
—  Die  Nationalliteratur  der  vereinigten  Staaten  von  Nord -Amerika  in  den 
Jahren  1858 — 59  von  F.  A.  March.  —  Die  italienische  Nationalliteratur  im 
Jahre  185  9  von  Justus  Grion.  —  Die  spanische  Nationalliteratur  im  Jahre 
1858  —  59  von  Jose  Amador  de  los  Rios.  —  Bibliographie  des  Jahres  1859. 

In  Bezug  auf  das  Jahrbuch  können  wir  nur  die  anerkennenden  Worte 
wiederholen,    die  wir   in   diesem  Blatte   dem   ersten  Bande  gewidmet   haben. 


Les  anciens  poetes  de  la  France. 

Gui  de  Bourgogne.  —  Otinel.  —  Floovant.  1.  Band.  1859.  — 
Doon  de  Mayence.  2.  Band.  1859.  —  Gaufrey.  3.  Band. 
1859.  —  Paris.    Viesveg.     Maison  A.  Franck. 

Durch  kaiserliches  Dekret  vom  12.  Februar  1856  wurde  die  Ver- 
öffentlichung einer  Sammlung  altfranzösischer  Dichter  anbefohlen.  Der  vom 
damaligen  Minister  Fortoul  entworfene  Plan  zur  Ausführung  dieses  Unter- 
nehmens wurde  von  seinem  Nachfolger  Rouland  modificirt,  und  es  wurde 
beschlossen,  die  Herausgabe  zunächst  auf  die  Dichter  des  karlovingischen 
Cyclus  zu  beschränken.  Der  Buchhändler  Jannet,  der  verdienstvolle  Be- 
gründer der  Bibliotheque  Elzevirienne,  wurde  mit  der  Veröffentlichung  be- 
auftragt. Umstände  verhinderten  Jannet's  Mitwirkung,  und  es  ging  demnach 
die  Sammlung  in  den  Viewegschen  Verlag  über,  aus  dem  bereits  die  oben 
bezeichneten  drei  Baude  in  dem  bekannten  handlichen  Format  und  mit  den 
Charakteren  der  Bibliotheque  Elz.,  die  nun  zu  erscheinen  aufgehört  hat, 
hervorgegangen  sind.  Die  wissenschaftliche  Leitung  ist  einer  vom  Minister 
ernannten  Commission  anvertraut,  die  aus  folgenden  6  Mitgliedern  besteht: 
Marquis  de  la  Grange,  Präsident,  Gustave  Rouland,  F.  Guessard,  Francis 
Wey,  Henry  Michelant,  Servaux,  Schriftführer.  Guessard  leitet  speciell  die 
Publikation.  40  Bände  sind  dieser  Sammlung  bestimmt,  von  denen  zwei  der 
Bibliographie  und  der  Aufzählung  sämmtlicher  mittelalterlicher  chansons  de 
geste  gewidmet  sein  werden,  während  die  übrigen  38  die  stattliche  Anzahl 
von  57  Poemen  enthalten  werden. 

Ein  jeder  Band  wird  5  Franken  kosten;  nur  bei  einigen,  die  längere 
Gedichte  enthalten,  wird  der  Preis  auf  6  Franken  gesteigert  werden.  Es 
wird  hier  absichtlich  hervorgehoben,  dass  jeder  Band,  der  ein  oder  mehrere 
Gedichte  umschliesst,  so  wie  ein  jedes  Gedicht,  das  mehrere  Bände  erfüllt, 
auch  besonders  verkauft  wird,  da  in  einem  viel  gelesenen,  der  ausländischen 
Literatur  gewidmeten  Blatte  irrthümlich  behauptet  wurde,  es  wurden  nur 
öffentliche  Bibliotheken  und  reiche  Privatleute  an  dem  Unternehmen  käuflich 
sich  zu  betheiligen  im  Stande  sein.  Hoffentlich  werden  gerade  durch  den 
Einzelverkauf  recht  viele  von  den  zahlreichen  Kennern  und  Freunden  des 
Französischen  in  Deutschland  angeregt  werden,  dem  Altfranzösischen  ihre 
Neigung  zuzuwenden.  Die  epischen  altfranzösischen  Gedichte  sind  einmal 
viel  leichter  zu  verstehen  als  die  lyrischen,  von  denen  wir  zwei  schone 
Sammlungen  von  Mätzner  und  Wackernagel  besitzen.  Zweitens  waren  aber 
die  epischen  Gedichte,  sowohl  das  Wenige,  was  Deutsche  herausgaben  .  wie 
die  französischen  Ausgaben,  bisher  theuer  und  wenig  zugänglich.  Die  Massig- 
keit des  Preises  eines  Einzelbandes  dieser  Sammlung  hilft  diesem  l  ebelstand 
ab.  Auch  sollte  es  jedwede  Lehrerbibliothek  einer  preussisehen  Realschule 
oder  andrer  höherer  Schulen,  die  Speciallehrer  des  Französischen  haben,  1  iir 
ihre  Pflicht  halten,  die  ganze  Sammlung  zu  erwerben. 

Wie  dem  Unternehmen  an  und  für  sich,  das  uns  reiche  Fundgruben 
altfranzösischer    Dichtung    und    Sprache    erschliessen    wird,    die    lebhafteste 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  29 


442  Beurthcilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Theilnahme  nicht  versagt  'werden  kann,  so  kann  man  auch  der  Art  und 
Weise  der  Ausführung,  wie  sie  in  den  jetzt  publicirten  Bänden  vorliegt, 
den  aufrichtigsten  Beifall  schenken.  Wenn  man  an  die  Unbefangenheit  denkt, 
mit  der  sonst  höchst  beachtenswerthe  Werke,  in  denen  altfranzösische  Texte 
mitgetheilt  wurden,  von  deutschen  Herausgebern  in  dem  ganzen  Wüste  der 
handschriftlichen  Irrthümer  edirt  worden  sind,  so  stechen  dagegen  die  hand- 
lichen Octavgaben  unsrer  einen  verbesserten  Text  bietenden  Sammlung  auf 
das  Freundlichste  ab.  Da  der  Druck  auf  starkem  Papier  und  sehr  leserlich 
ist,  da  die  Lücken  der  Handschrift  durch  die  in  Parenthese  gestellten,  aber 
mit  dem  Texte  fortlaufenden  Conjecturen  der  Herausgeber  ergänzt  sind,  so 
kann  auch  der,  den  nur  die  literarische  Seite  der  Gedichte  anzieht,  das  Ge- 
dicht mit  Leichtigkeit  lesen ,  während  der  Philologe  die  zur  Erhellung  der 
Lesarten  und  der  Redaction  dienenden  Noten  am  Ende  hinter  dem  Gedichte 
rindet.  In  einer  literarischen  Einleitung  wird  über  die  Stellung  des  Gedichts 
zu  den  übrigen  des  Cyclus,  über  Abfassungszeit,  Quellen,  Bearbeitungen  des 
vorliegenden  Stoffes  in  andern  europäischen  Literaturen  und  Manuscripte 
gehandelt.  Daran  schliesst  sich  ein  an  der  Spitze  des  Gedichts  stehendes, 
recht  ausführliches  sommaire,  das  namentlich  denjenigen,  die  einen  Band 
dieser  Sammlung  als  einleitendes  Studium  in  die  Kenntniss  des  Altfran- 
zösischen benutzen  wollen,  wesentliche  Dienste  leisten  wird,  da  es  ihnen  oft 
als  Glossaire  dienen  kann.  Ein  wirkliches  Glossaire  ist  keinem  Gedicht  bei- 
gefügt; der  Herausgeber  stellt  in  Aussicht,  ein  solches  nach  Herausgabe  der 
ganzen  Sammlung  zu  liefern;  ein  Specialglossaire  jedem  einzelnen  Bande 
anzuhängen  würde,  sagt  er,  zu  ewigen  Wiederholungen  Anlass  geben.  Wir 
theilen  diese  Ansicht ;  nichts  destoweniger  möchte  es  wünschenswerth  scheinen, 
seltenere  Wörter  und  Formen  gleich  unter  dem  Texte  auf  der  entsprechenden 
Seite  zu  erklären;  denn  so  sehr  man  sich  auch  mit  der  Herausgabe  be- 
schleunige, zehn  Jahre  werden  mindestens  hingehen,  bevor  das  versprochene 
Glossaire  auch  nur  begonnen  werden  kann.  Wir  erwähnen  noch ,  dass  die 
Zahl  des  Bandes  auf  der  Kehrseite  des  ersten  Titelblatts  unten  etwas  zu 
versteckt  angegeben  ist. 

Das  Hauptverdienst  der  ganzen  mühseligen  Arbeit  fällt  auf  Guessard, 
unter  dessen  bewährter  Leitung  die  Mss.  abgeschrieben  werden.  Die  Namen 
der  sonst  Betheiligten  werden  unten  bei  Gelegenheit  der  einzelnen  Gedichte 
mitgetheilt  werden. 


Gui  de  JBourgogne.  Chanson  de  Geste.  Publiee  pour  la  pre- 
miere  fois  d' apres  les  manuscrits  de  Tours  et  de  Londres 
par  M.  M.    F.  Guessard   et  H.  Michelant.     (4304  Verse.) 

Der  Stoff  dieses  Gedichts  findet  sich  weder  in  der  französischen  noch 
einer  andern  Literatur  wieder.  Es  geht  jedoch  aus  zwei  Versen  des  dit  des 
deux  bordeors  ribaus: 

Si  sai  de  Guion  d'Aleschans 
Et  de  Vivien  de  Borgoigne 
durch  die  von  dem  satyrischen  Inhalt  des  Gedichtes  bedingte  Umstellung 
der  Namen  hervor,  dass  man  das  Gedicht  zum  repertoire  eines  ordentlichen 
Jongleurs  zählte.  Karl  der  Grosse  ist  bereits  27  Jahre  in  Spanien,  wo  ihn 
die  Belagerung  von  Luiserne  aufhält.  In  Frankreich  ist  Verwirrung.  Zur 
Abstellung  derselben  wird  ,.das  Kind"  Gui  de  Bourgogne  zum  König  erwählt. 
Dieser  aber  befiehlt  sofort  den  andern  „Kindern"  sich  zu  rüsten  und  ihren 
Vätern  in  Spanien  zu  Hülfe  zu  eilen.  „Als  die  Kinder  es  hören,  sind  sie 
erschrocken.     Da  verflucht  jeder  die  Stunde,  wo  er  gekrönt  ward." 

Quant  li  anfant  l'entendent,  es  les  vos  esfrees. 

Lors  maudit  chaseuns  Teure  que  il  fu  queronez. 


Beurtheilungen  und   kurze  Anzeigen.  ■443 

Dieser  Vers  wiederholt  sich,  sobald  Gui,  statt  gerade  auf  Luiserne  zu- 
zugehen, vorher  sein  Heer  vor  verschiedene  andere  Städte  führt,  um  sie  ein- 
zunehmen, bis  er  zuletzt  auch  Karl  erlöst. 

Die  chansons  de  gestes  fallen  in  die  Zeit  der  Kreuzzüge,  alte  in  Ver- 
gessenheit gerathende  Traditionen  in  eine  Zeit,  die  bereits  von  andren  In- 
teressen auf's  Tiefste  bewegt  wurde.  Und  so  wird  man  unwillkürlich  durch 
diesen  Zug  der  Kinder  nach  dem  Lande  der  Heiden  und  Sarracenen  an  den 
Kinderkreuzzug  erinnert.  Der  Dichter  legt  Beziehungen  seiner  Gegenwart 
in  die  alte  Sage;  ja  er  baut  vielleicht  das  ganze  Gedicht  auf  dieser  Grund- 
lage erst  auf, 

Das  Gedicht  ist  in  den  bekannten  einreimigen,  zwölfzeiligen  Versen. 
Der  Reim  ist  in  diesem  Gedichte  oft  nur  Assonanz.  So  reimen  sich  denn 
in  der  ,Tirade  S.  3  dire,  contralie,  biche,  conquise,  Gile,  dites,  mire,  so 
dass  der  Consonant  zwanglos  geändert  wird. 

Vers  31  und  sonst  schreiben  die  Herausgeber.  E[n]  nom  Dieu.  Da  die 
Formel  jedoch  häufig  wiederkehrt,  so  wäre  doch  wohl  einfach  E  nom  Dieu 
beizubehalten,  sei  es  dass  man  sie  sich  aus  dem  durch  häufigen  Gebrauch 
abgeschwächten  En  nom  Dieu  hervorgegangen  denkt,  sei  es  dass  man  E  dann 
als  Interjektion  fasst.  Vers  1169  Chascuns  selon  sa  puissance  et  selonc  sa 
bontes  ist  wohl  falsch.  Statt  puissance  ist  ein  zweisilbiges  Wort  zu  setzen. 
"Wäre  nicht  Vers  1348,  1354,  2855  und  sonst  anprist  statt  an  prist  zu  schreiben? 
Vers  1482  steht  verdruckt  oiant  für  ioiant  Vers  3350  erfordert  die  Caesur 
Estout  [de  Lengre]  ausi,  nicht:  ,ausi.  Ebenso  Vers  3915:  Par  tel  air  les 
brochent,  . 


Otinel.  Chanson  de  Geste.  Publice  pour  la  premiere  foie, 
d'apres  les  manuscrits  de  Roine  et  de  Middlehill.  Par  M.  M. 
F.  Guessard  et  H.  Michelant.  (2133  Verse.) 

Das  römische  Manuscript,  unvollständig,  n°  1616  im  Katalog  der 
Bibliothek  der  Königin  Christine  von  Schweden,  ist  in  Keller's  Romwart 
nicht  erwähnt.  Die  Handschrift  von  Sir  Thomas  ist  von  Dr.  Sachs  (in 
Brandenburg)  auf  seiner  im  Auftrage  Fortoul's  nach  England  unternommenen 
Reise  copirt  worden;  sie  ist  vollständig,  aber  so  incorrect,  dass  die  Heraus- 
geber das  römische  ms.  zu  Grunde  gelegt  und  aus  dem  englischen  ms.  er- 
gänzt haben. 

Das  Gedicht  ist  aus  der  Zeit  des  Verfalls  der  alten  Epik.  Es  behandelt 
einen  Zug  Karls  des  Grossen  gegen  den  König  Garsile  in  der  Lombardie, 
als  er  nach  der  Einnahme  Pampelona's  aus  Spanien  zurückgekehrt  ist.  In 
Paris  fordert  ihn  Otinel,  ein  Abgesandter  des  heidnischen  Königs  auf,  diesem 
zu  huldigen;  der  Abgesandte  selbst  aber  bekehrt  sich  bald  und  wird  der 
heftigste  Feind  Garsile's.  —  Die  Verse  sind  zehnsylbig. 

Vers  47  wird  Karl  le  viel  redois  qui  ait  maleicon  genannt.  Danach  be- 
währt sich  nicht,  was  Burguy  ini  Glossaire  zur  Stelle  des  Sachsenliedes 

Lor  cheval  sont  tuit  las,  escauchie  et  redois 
unter  redois  sagt:  Ce  mot  a  ete'  change  dans  sa  forme  pour  ja  rime.  Vers 
109  vielleicht,  um  des  Verses  willen,  statt:  Un  chevaler  i  sist  qui  fn  ma, 
senez  zu  lesen:  qui  par  fu  mal  senez.  Vers  122  En  halt  sesene:  Haruns 
ne  vos  remuez,  wird  durch  Weglassung  von  vos  richtig.  Ebenso  Vers  13  rd 
Vers  137  wird  jo  zu  streichen,  139  u.  40  statt  Espanie  Espaine,  statt  Sidonie 
Sidoine  zu  lesen,  Vers  178  jus  zu  streichen  sein.  Vers  473  kann  es  nicht 
II  poins  heissen,  da  Roland  eine  Hand  braucht,  seinen  Schild  zu  fassen 
(Vers  474). 

29* 


444  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Floovant.  Chanson  de  geste.  Publiee  pour  la  premiere  fois 
d'apres  le  manuscrit  unique  de  Montpellier  par  M.  M. 
F.  Guessard  et  H.  Miehelant.     (2533  Verse.) 

Floovant,  nach  dem  Dichter  Chlodwig's  ältester  Sohn,  wird  auf  7  Jahr 
von  seinem  Vater  aus  Frankreich  verbannt,  weil  er  seinem  Hofmeister  den 
Bart  abgeschnitten.  Die  Geschichte  dieser  7  Jahre  wird  im  Gedicht  erzählt. 
Die  Herausgeber  bestimmen  auf  Grund  von  Urkunden  der  Stadt  Metz  den 
Dialect  als  lothringisch.  Es  wäre  wünschenswerth  gewesen,  dass  sie  dabei 
zu  einer  Darstellung  dieses  Dialektes  geschritten  wären  Das  Gedicht  ist  in 
den  gewöhnlichen  12zeiligen  Versen.  Vers  530  lautet:  Far  la  cite  s'adobent 
mentem  communemant.  Das  Wort  mentem  heisst  nichts.  Die  Herausgeber 
sagen:  Ce  mot  nous  paroit  avoir  le  sens  de  maint;  il  n'en  differe,  selon 
nous,  que  comme  certain  differe  de  cert,  par  la  simple  addition  d'une 
terminaison.  Es  ist  dies  die  einzige  Note  in  den  drei  Bänden,  bei  der  man 
den  Kopf  schütteln  muss.  Mir  nichts  dir  nichts  eine  Endung,  die  sonst 
nicht  weiter  vorkommt,  keine  Analogien,  kein  Etymon  hat,  —  denn  ain  in 
certain  geht  doch  auf  anus  zurück  —  einem  Worte  deutschen  Stamms,  maint, 
das  an  und  tür  sich  gar  keine  Nöthigung  zu  einer  Endung  bietet,  hinzu- 
fügen zu  wollen,  widerspricht  doch  allem  etymologischen  Gebrauche! 


Doon  de  Maience.  Chanson  de  Geste.  Publiee  pour  la  pre- 
miere fois  d'apres  les  manuscrits  de  Montpellier  et  de  Paris 
par  M.  A.  Pey.  (11,505  Verse,  wovon  die  ersten  6036 
die  jeunesses  Doolin  besingen.) 

Herr  Pey  hat  bereits  im  Jahrbuche  für  romanische  und  englische  Lite- 
ratur. I.  p.  320  —  49  eine  ausführliche  „Notice"  über  dieses  namentlich  in 
seinem  ersten  Theile  höchst  anziehende  Gedicht  gegeben,  so  dass  wir,  in 
der  Voraussetzung,  dass  das  Jahrbuch  in  jedes  modernen  Philologen  Hand 
ist  oder  sein  müsste,  hier  nur  einige  Bemerkungen  anzufügen  haben.  AVaruiu 
haben  die  Herausgeber  nicht  statt  des  falschen  Titels  Doon  de  Mayence 
sich  entschlossen,  den  richtigen  Do  de  Mayence  zu  setzen.  Wenn  in  unsrem 
Gedichte  selbst  der  Nominativus  und  Accusativus  gelegentlich  verwechselt 
werden,  so  ist  im  Ganzen  doch  Do  für  den  Nominativus  so  vorwiegend, 
dass  daraus  hervorgeht,  der  mittelalterliche  Gebrauch  sei  der  richtigen  Form 
zugeneigter  gewesen.  Wenn  aber  jener  für  das  Richtige  war,  warum  sollte 
dann  die  moderne  Gelehrsamkeit  für  das  Falsche  sein  wollen? 

Die  für  den  Namen  auftretenden  Formen  sind  Do,  Doon,  Doet,  Doolin, 
Doonnet.  Die  drei  letzten  sind  Diminutivformen,  Doet  von  Do,  Doonnet 
von  Doon,  auch  Doolin  für  Doonin  von  Doon.  Die  Form  Doonnet  glaubt 
Referent  in  Do(on)  de  Mayence  nicht  einmal  gefunden  zu  haben,  dagegen 
kommt  sie  häufig  im  Roman  Gaufrey  von  einem  Sohne  Do's  vor,  so  dass 
Doonnet  mit  Absicht  gewählt  scheint,  um  der  Verwechselung  mit  Doolin, 
das  an  allen  Stellen  am  Passendsten  mit  „der  kleine  Do"  übersetzt  wird, 
vorzubeugen.  Die  Form  Doolin  ist  die  eigentliche  Form  des  ersten  Theils 
unsres  Gedichts  Jennesces  Doolin,  um  so  zutreffender  mit  „Des  kleinen  Do 
Jugendfahrten"  zu  übersetzen,  als  im  zweiten  Theile  der  Name  Doolin  nicht 
einmal  vorkommt.  Doet  ist  dagegen  eine  gleichgültigere,  in  den  beiden 
Theilen  des  Do  wie  im  Gaui'rey  vorkommende  Form.  Aus  Vers  10,385  und 
10,428,  wie  aus  Gaufrey  v.  4918,  4948,  9G07  ist  die  eigentümliche  Form 
quiex  für  cbies  (chez_)  anzumerken. 


Beur theilungen  und  kurze  Anzeigen.  445 

Gaufrey.  Chanson  de  geste.  Publiee  pour  Ja  premiere  fois 
d'apres  le  manuscrit  unique  de  Montpellier  par  Mm. 
F.   Guessard  et  P.  Chabaille.     (10,731  Verse.) 

Enthält  die  Geschichte  der  zwölf  Söhne  Do's,  nach  deren  ältestem  Gaufrey 
es  betitelt  ist.  Das  Hauptinteresse  gebührt  jedoch  dem  riesenstarken  Robastre, 
dem  Mann  mit  der  Axt,  dem  Sohn  eines  Kobolds,  einer  ungemein  humo- 
ristischen Gestalt.  Plump  und  gutmütbig,  von  ungeheurer  Körperkraft  und 
treuer,  aufopfernder  Ergebenheit,  seltsam  in  seinem  ganzen  Gebahren,  bildet 
er  eine  charakteristische  Figur,  wie  sie  in  solcher  Ausgeprägtheit  wohl  selten 
in  den  alten  Epen  zu  finden  sind. 

Vers  28  war  vom  Herausgeber  eine  Lücke  anzudeuten.  Es  fehlt  ein 
Satz,  in  dem  G.  seinen  Vater  um  Schiffe  bittet.  Vers  1306  wäre,  um  den 
Vers  herzustellen,  statt  il  se  desperera  zu  schreiben:  desesperra  oder  se  aus- 
zulassen; v.  1879  u.  81  sind  zwei  Druckfehler  anzumerken;  nach  vostre  que- 
mant  fehlt  fesons,  nach  souspecho  das  u.  Vers  1938  statt  sei  zu  lesen  les, 
v.  2950  statt  n'eu  zu  lesen  j'eu,  v.  3966  statt  on  zu  lesen  ou.  In  Vers  4133 
ist  das  Komma  zu  tilgen  und  zu  construiren  Et  a  fet  trousser  par  dessus 
1.  Franc  ochis.  Vers  4199  statt  ton  zu  lesen  son.  Vers  4470  stimmt  entour  nicht, 
da  die  Heiden  nicht  ringsumher,  sondern  im  Thurme  sind;  vielleicht  also  en 
tour,  wobei  man  freilich  den  Artikel  ungern  vermisst.  Der  heillose  Wirrwarr 
Seite  142,  der  auch  in  den  Noten  vermerkt  ist,  geht  mit  den  auffallend 
schlechten  Reimen  4  701  —  9,  mirable,  mirable,  fablez,  avenable,  sage,  avenable, 
sage,  Kalles  parallel,  die  deswegen  von  ungeschickter  Hand  eingeschoben  zu 
sein  scheinen.  Vers  5074  statt  III  zu  lesen  II.  Vers  5159  statt  obeir  vielleicht 
otreir  statt  otreer?  Vers  6850  statt  li  zu  lesen  il.  Die  Verse  7419  —  i'5 
können  nicht  gut  als  unverdächtig  erscheinen.  Es  wird  angekündigt,  dass 
von  Robastre  gehandelt  werden  wird,  von  dem  aber  fürs  Erste  nicht  die 
Rede  ist.  Seite  240  u.  41  stimmen  die  angeführten  Zahlen  der  Lastthiere 
und  Treiber  nicht.  Vers  8928  werden  die  Berruier,  ganz  wider  die  gewöhn- 
liche Auffassung,  in  einer  Reihe  mit  dem  Lombarden  als  feige  Leute  auf- 
geführt. Sollte  deswegen  Berruier  hier  falsch  sein?  Vers  9841  statt  huchie 
zu  lesen  hauchie. 

Wir  schliessen  das  Referat,  indem  wir  den  Herausgebern  für  die  Mühe 
und  Sorgfalt,  die  sie  dieser  trefflichen  Sammlung  widmen,  aufrichtig  danken 
und  mit  dem  Wunsche,  dass  die  von  ihnen  veröffentlichten  Quellen  aucli  bei 
uns  dem  Studium  des  Altfranzösischen  zahlreiche  Freunde  zuführen  mögen. 

G.   Büchmann. 


Italienische  Sprachlehre  in  Kegeln  und  Beispielen,  für  den  ersten 
Unterricht  bearbeitet  von  Adolf  Mussafia,  Docenten  der 
ital.  Sprache  und  Literatur  an  der  k.  k.  Universität  zu 
Wien,  1860;  Wilh.  Braumüller,  k.  k.  Hofbuchhändlcr;  gr.  8. 

Der  Massstab  für  die  Beurtheilung  dieser  Sprachlehre  ist  in  dem  Aus- 
druck gegeben,  dass  sie  für  den  „ersten  Unterricht"  bestimmt  i-t. 
Unter  erstem  Unterricht  ist  hier  im  Allgemeinen  zu  verstehen,  dass  der  zu 
Unterrichtende  von  der  italienischen  Sprache  noch  keine  Vorkenntnisse  be- 
sitze; weiter  aber  ist  zu  unterscheiden,  ob  er  gleichzeitig  noch  überhaupt 
ohne  Sprachkonntnisse  sei,  oder  ob  er  deren  nicht  etwn  Schon  an  andern 
Sprachen  erworben  habe.  Denn  es  bedarf  kaum  der  Erinnerung,  dass  Rinder, 
die  noch  überhaupt  keine  fremde  Sprache  kennen,  anders  in  eine  solche 
eingeführt   werden   müssen   als   Vorgerücktere,    die   bis    auf   einen    gewissen 


446  Beur  theilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Grad  z.  B.  schon  mit  dem  Französischen  oder  Lateinischen  bekannt  geworden 
sind.  Bei  Ersteren  kommt  es  darauf  an,  die  Wortformen  und  wesentlichsten 
Wortfügungen  einzuüben  und  dadurch  vorerst  das  äusserliche  Material  herbei- 
zuschaffen; bei  Letzteren,  die  sich  dessen  mit  Hülfe  der  sonst  schon  ge- 
wonnenen Sprachkenntnisse  leichter  und  schneller  bemächtigen,  ist  es  dagegen 
von  Wichtigkeit,  von  vorn  herein  ein  Verständniss  und  Bewusstsein  der  neu 
hinzutretenden  Sprache  zu  erstreben  und  auf  ein  etwaniges  späteres  Studium 
derselben  vorzubereiten.  In  unserm  nördlichen  Deutschland ,  wo  das  Ita- 
lienische überhaupt  seltner  betrieben  wird,  kommt  dasselbe  erst  in  den  ober- 
sten Klassen  höherer  Schulen  und  Gvmnasien  an  die  Reihe,  so  dass  es  erst 
mit  dem  vierzehnten  Lebensjahre  oder  noch  später  begonnen  wird.  Hier 
ist  also  nur  die  zuletzt  angedeutete,  schon  mehr  wissenschaftliche,  jedenfalls 
nicht  mehr  bloss  elementare  Unterrichtsweise  zu  fordern.  In  den  östreichischen 
Staaten  mag  dies  anders  sein.  Die  näheren  Beziehungen  zu  Italien  mögen 
dort  bei  einer  grösseren  Verbreitung  der  italienischen  Sprache  auch  einen 
früheren  Anfang  des  Unterrichtes  in  derselben  bedingen.  So  viel  ist  klar, 
dass  die  vorliegende  Sprachlehre  nicht  für  eine  schon  vorgerücktere  und 
entwickeltere  Bildungsstufe,  sondern  für  den  „ersten  Unterricht"  in  dem 
Sinne  berechnet  ist ,  dass  noch  überhaupt  keine  oder  nur  wenige  fremde 
Sprachkenntnisse  vorhanden  oder  vorauszusetzen  sind.  Sie  will  nur  erst  das 
Material  herbeischaffen. 

Die  Einrichtung  des  Buches  ist  demnach  folgende.  Nachdem  das 
Notwendigste  über  Aussprache,  Accent  etc.  vorgebracht  worden,  ist  S.  6 
von  den  Geschlechtsformen  der  Haupt-  und  Beiwörter  und  des  bestimmten 
Artikels  die  Rede,  womit  sogleich  eine  Anzahl  einfacher,  nur  vermittelst  d^s 
Zeitwortes  e,  ist,  gebildeter  italienischer  und  deutscher  Sätze  (II  padre  e 
buono.  Das  Haus  ist  klein.)  verbunden  ist,  welche  beziehungsweise  ins 
Deutsche  und  ins  Italienische  übersetzt  werden  sollen;  die  dazu  gehörigen 
Vocabeln  sind  vorangestellt.  In  gleicher  Weise  folgen  dann  die  entsprechenden 
Pluralformen  mit  allmäliger  Heranziehung  des  unbestimmten  Artikels,  der 
demonstrativen  Fürwörter  questo  und  quello  und  der  possessiven  mio, 
tuo,  suo  etc.;  die  Uebungssätze  erhalten  dabei  zugleich  das  plurale  sono, 
sind.  S.  12  werden  die  Praesentia  der  Hülfszeitwörter  avere  und  essere 
nebst  den  persönlichen  Fürwörtern  io,  tu,  egli  etc.,  S.  15  die  Infinitive 
und  regelmässigen  Participien  der  drei  Conjugationen  angegeben;  die 
Uebungssätze  verbinden  das  Particip  mit  jenem  Präsens  der  Ilülfsverba. 
S.  18  flg.  werden  die  Besonderheiten  der  Pluralbildung  der  Haupt-  und 
Beiwörter  auf  ca,  ga  —  co,  go  —  cio,  gio  etc.  etc.  nachgeholt,  S.  21  die 
Substantiva  mobilia,  S.  V4  flg.  die  Casuszeichen  di,  a,  da  und  deren  nebst 
anderer  Präpositionen  (con ,  in,  su,  per)  Zusammenziehungen  mit  den  ver- 
schiedenen Formen  des  bestimmten  Artikels  hinzugefügt.  S.  31  flg.  kommen 
die  Hauptwörter,  welche  den  Pluralis  auf  a  bilden,  und  die  Zahlwörter  an 
die  Reihe;  S.  36  flg.  die  Eigennamen,  insofern  sie  mit  oder  ohne  Artikel 
stehen;  S.  39  das  Präsens  der  ersten  Conjugation,  S.  43  der  Gehrauch  des 
Infinitiv  mit  den  Partikeln  di,  a,  da,  S.  44  das  Präsens  der  zweiten  und 
dritten  Conjugation  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Verba  dire  und 
con  dürre  (tradurre  etc.)  und  Angabe  des  Particips,  S.  46  das  Particip  auf 
so  der  Zeitwörter  auf  dere  oder  ndere,  S.  47  das  Particip  auf  to  (tto) 
derer  auf  gere  (ggere)  und  das  von  coprire,  offrire  etc.,  S.  50  das 
Präsens  auf  isco,  S.  51  wie  die  deutschen  zusammengesetzten  Hauptwörter 
im  Italienischen  wiedergegeben  werden,  S.  53  der  Theilungsartikel ,  S.  55 
Bildung  der  Adverbien  auf  mente,  S.  57  wie  die  Stunden  der  Uhr  aus- 
gedrückt werden,  S.  58  Bildung  des  Futurs,  S.  62  das  Präsens  von  andare 
und  Gebrauch  der  Präpositionen  in  und  a  zur  Angabe  des  Ortes,  S.  64  Prä- 
sens, Futurum,  Particip  von  tenere,  venire,  porre,  rimanere,  S.  65 
Passivum  mit  essere  und  venire,  S.  67  persönliche  Fürwörter,  S.  69  Prä- 
positionen,  welche  sich  mit  di  verbinden  lassen,   S.  70  fernere  persönliche 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  447 

Fürwörter,  S.  76  einige  unregelmässige  Präsentia  der  zweiten  und  dritten 
Conjugation,  S.  81  reflexive  Zeitwörter,  S.  83  noch  andre  Fürwörter,  S.  87 
Zusammenziehung6n  zwischen  Fürwörtern,  S.  90  die  höfliche  Anrede,  S.  93 
der  Imperativ,  S.  101  der  Comparativ  etc.,  S.  116  das  relative  Fürwort  etc. 
In  einer  zweiten  Abtheilung,*)  welche  S.  119  beginnt,  werden  in  derselben 
Art  und  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  verschiedenen  unregelmässigen 
Verba  die  Bildungs-  und  Gebrauchsweisen  des  Imperfects,  des  Perfects,  des 
Conditionalis,  des  Conjunctivs,  des  Infinitivs,  des  Gerundiums  und  der  noch 
übrigen  Fürwörter  gelehrt  und  durchgängig  in  zahlreichen  italienischen  und 
deutschen,  stets  mit  ihren  Vocabeln  versehenen  Sätzen  aufgewiesen  und  ein- 
geübt. Sehr  zahlreiche  Sätze  mit  den  Präpositionen  di,  a,  da,  con,  in  etc. 
machen  den  Beschluss.  Verschiedenes  Einzelne  ist  noch  überall  gelegentlich 
eingestreut,  zum  Theil  in  Noten  hinzugefügt. 

Das  Gesetz  dieser  Anordnung  ist  leicht  zu  erkennen.  Es  ist  das  der 
pädagogischen  Zweckmässigkeit.  Der  Herr  Verfasser  hatte  sich,  wie 
aus  der  Vorrede  zu  ersehen,  die  „strenge  Durchführung  des  Grundsatzes" 
vorgenommen,  „dass  keine  Form,  keine  t  ügung  dem  Schüler  geboten  werde, 
welche  er  auswendig  lernen  muss,  ohne  sich  über  dieselbe  Rechenschaft 
geben  zu  können."  Unter  „Rechenschaft"  ist  hier  augenscheinlich  keine 
wissenschaftliche  zu  verstehen ;  es  ist  nur  gemeint,  dass  der  Schüler  die  dar- 
gebotenen Formen  und  Fügungen  immer  sogleich  in  ihrer  Anwendung  sehen 
und  sich  in  ihrer  Anwendung  üben  solle.  Dabei  ist  allerdings  höchst 
wünschenswerth,  dass  nirgend  Etwas  von  ihm  gefordert  werde,  worüber  er 
noch  nicht  belehrt  worden.  Dieser  Grundsatz  darf  gewiss  auf  allgemeine 
Zustimmung  rechnen.  Zu  untersuchen  wäre  jedoch,  ob  derselbe  eine  An- 
ordnung nöthig  mache  wie  die,  welche  der  Herr  Verf.  getroffen  hat.  Es 
geht  da  doch  etwas  gar  zu  bunt  her.  Wenn  ein  Schüler,  der  bereits  zu  den 
späteren  Uebungen  vorgedrungen  ist,  Etwas  aus  den  früheren,  das  er  ver- 
gessen, wieder  aufzusuchen  und  nachzulesen  wünscht:  so  dürfte  ihm  das 
schwer  werden,  zumal  da  weder  ein  Register  noch  ein  Inhaltsverzeichniss 
noch  auch  nur  hinreichende  Ueberschriften  der  einzelnen  Abschnitte  gegeben 
sind.  Diese  könnten  nun  freilich  hinzugefügt  und  so  der  Schwierigkeit 
einigermassen  abgeholfen  werden.  Ernster  und  gerechter  aber  ist  das  Be- 
denken, dass  der  Weg,  den  das  Buch  verfolgt,  den  Schüler  nicht  dazu  führen 
wird,  von  der  grammatischen  Gliederung  des  Sprachstoffes  eine  Vor- 
stellung zu  gewinnen.  Von  dieser,  von  dem  organischen  Bau  der  Sprache, 
wird  hier  so  wesentlich  abgewichen,  dass  sich  statt  eines  klaren,  übersicht- 
lichen Ganzen  nur  ein  zusammenhangloses  Durcheinander  in  der  Vorstellung 
des  Schülers  festsetzen  wird,  und  wenn  auf  diesen  „ersten  Unterricht"  nach- 
mals ein  andrer  folgt:  so  wird  er  Mühe  haben,  Licht  und  Ordnung  da  hinein 
zu  bringen.  Die  Kritik  kann  sich  mit  der  Art  und  Weise,  wie  der  obige 
Grundsatz  hier  zur  Ausführung  gebracht  ist,  schwerlich  einverstanden  er- 
klären. 

Was  nicht  nur  den  Herrn  Verf.,  sondern  auch  Andere  dazu  verleitet 
hat,  der  grammatischen  Gliederung  des  Sprachstoffes  in  dieser  (»der  ähnlicher 
Weise  Gewalt  anzuthun,  ist  eine  irrige  Auffassung  des  gedachten  Grund- 
satzes. Wenn  Herr  Mussafia  die  vorhandenen  auf  denselben  Zweck  gerich- 
teten Uebungsbücher,  wie  er  in  der  Vorrede  andeutet,  ungenügend  findet: 
so  liegt  die  Ursache  davon  nicht  sowohl  in  der  verfehlten  Ausführung 
diese  muss  immer  verfehlt  sein,  wo  das  Princip  verkannt  ist  —  als  vielmehr 
in  dem  Missverständniss  dessen,  was  ihnen  zur  Richtschnur  dient  und  oben 
pädagogische  Zweckmässigkeit  genannt  worden.  Der  pädagogische  Zweck 
fordert  keinesweges  eine  Zerreissung  des  Sprachstoffes  und  Zersplitterung 
seiner  Elemente,  sondern  nur  Beschränkung  und  Vereinfachung  des- 


*)  Die  Angabe  „erste  Abtheilung"  findet  sich   nicht  vor;   sie   wird   auf 
Seite  6  zu  setzen  sein. 


448  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

selben.  Das  jugendliche  Fassungsvermögen  (dieses  ist  doch  das  Massgebende) 
bedingt  nur,  dass  ihm  die  grammatischen  Formen  und  Verhältnisse  zugänglich 
und  fasslich  gemacht  werden;  dies  aber  werden  sie  nicht  durch  Umstellung 
und  Durchbrechung  der  in  ihrem  Wesen  begründeten  Ordnung,  sondern 
durch  eine  richtige,  d.  h.  wiederum  ihrem  Wesen  entsprechende  Be- 
handlung. Der  Sprachlehrer,  der  sich  seiner  Aufgabe  bewusst  ist,  wird 
schon  beim  „ersten  Unterricht"  darauf  Bedacht  nehmen,  dass  aus  den  Theilen, 
die  er  einzeln  und  jeden  für  sich  überliefert,  schliesslich  doch  ein  wohl- 
geordnetes ,  organisch  gegliedertes  Ganze  in  der  Vorstellung  des  Lernenden 
hervorgehe  —  ein  Ganzes  nämlich,  in  welchem  die  Theile  auch  wirklich 
ihre  Einheit,  ihren  Zusammenhang  und  ihre  Berechtigung  finden.  Nur  so 
wird  alsdann  auch  der  Lernende  etwas  Rechtes  gelernt,  sich  seines  Gegen- 
standes wirklich  bemächtigt  haben. 

Ein  zweiter  Irrthum.  der  mit  dem  so  eben  besprochenen  vielfach  ver- 
flochten und  eigentlich  die  Ursache  desselben  ist,  ist  dieser,  dass  man  meint, 
man  müsse  schon  die  einzelnen  Formen,  näher  die  Flexionsformen,  von 
Hause  aus  innerhalb  des  Satzes  zeigen  und  einüben.  Möge  der  Lehrer 
bei  den  Formen -Uebungen,  die  er  mit  seinen  Schülern  anstellt,  nach  Ge- 
legenheit und  Belieben  immerhin  auch  kleine  Sätze  bilden  lassen;  nur  zum 
Princip  muss  man  das  nicht  erheben.  Es  ist  allerdings  richtig,  dass  die 
Flexionsformen  zum  Ausdruck  syntaktischer  Verhältnisse  dienen;  aber  es 
wird  nicht  minder  richtig  sein,  dass  diese  syntaktischen  Verhältnisse  an  sich 
noch  etwas  Andres  sind  als  jene  Formen,  durch  welche  sie  ausgedrückt 
werden,  und  dass  jene  Formen  eben  so  ihrerseits  noch  einen  andern  Werth 
haben  als  ihren  syntaktischen.  Die  Mannichfaltigkeit  in  der  Pluralbildnng 
der  Haupt-  und  Beiwörter  z.  B.  ist  zum  Theil  eine  bloss  orthographische, 
die  mit  den  Satzverhältnissen  Nichts  zu  schaffen  hat.  Dasselbe  ist  mit  ge- 
wissen Eigentümlichkeiten  der  Präsens-  und  Futurbildung  (cerco,  cerchi ; 
cercherö;  truovo,  troviamo  u.  dgl.  m.)  der  Fall.  Die  Bildung,  sowohl  die 
regel-  wie  die  unregelmässige,  der  Zeitformen  überhaupt  ist  eine  schlechthin 
formale,  von  den  syntaktischen  Beziehungen  ganz  verschiedene  und  unab- 
hängige. Wird  nun  dieser  Unterschied  des  Formalen  und  des  Syntaktischen 
übersehen  und  der  Schüler  genöthigt,  die  Formen,  die  ihm  eben  erst  in  An- 
sehung ihres  Daseins  und  ihrer  unmittelbaren  Beschaffenheit  vorgelegt 
werden,  ohne  Weiteres  auch  schon  in  syntaktischen  Zusammenhängen  zu 
üben:  so  enthält  seine  Aufgabe  sogleich  zwei  Elemente  statt  eines,  und  er 
muss  seine  Aufmerksamkeit,  anstatt  sie  auf  den  eigentlich  gemeinten  Punkt 
zu  concentriren,  gleichzeitig  noch  auf  einen  ganz  andern  hin  ablenken. 
Dass  dies  nicht  förderlich,  sondern  nur  störend  und  verwirrend  für  ihn  sein 
kann,  leuchtet  so  sehr  ein,  dass  es  unerklärlich  ist,  wie  dieser  Versuch  immer 
aufs  Neue  wiederholt  werden  kann.  Die  Formen  sind,  so  lange  es  sich  um 
ihre  Bildung  handelt,  für  sich  allein,  ausserhalb  ihrer  syntaktischen  An- 
wendung, zu  üben;  treten  sie  innerhalb  des  Satzes  auf:  so  ist  es  dieser,  der 
mit  seinen  mannichfaltigen  Verhältnissen  und  Beziehungen  die  Aufmerksamkeit 
zu  beschäftigen  hat,  und  jene  Formen  müssen  dann  schon  so  geläufig  sein, 
dass  ihre  Bildung  keine  Schwierigkeiten  mehr  macht.  Kurz,  Formlehre  und 
Satzlehre  müssen  principiell  streng  unterschieden  und  aus  einander  gehalten 
werden,  besonders  beim  ersten  Unterrichte. 

Man  mache  nicht  geltend,  dass  die  isolirte  Einübung  der  Formen,  wie 
sie  hier  gefordert  wird,  langweilig  sei  und  den  Gedanken  nicht  beschäftige. 
In  den  Formen  liegt  die  Technik  der  Sprache,  und  alles  Technische  erseheint 
im  Verhältniss  zur  höheren  Gedankenthätigkeit,  wenn  man  so  will,  langweilig. 
Nichts  desto  weniger  ist  die  Uebung  darin  nothwendig;  sie  kann  auf  dem 
Sprachgebiete  so  wenig  entbehrt  und  erlassen  werden  wie  auf  jedem  andern. 
Uebrigens  wissen  die  Kinder  Nichts  von  dieser  Langweiligkeit.  Sie  haben 
ür  die  Fertigkeit,  die  sie  erwerben  sollen,  so  viel  Eifer,  und  an  der  er- 
worbenen so   viel  Freude  als  wir  Alten  an  unsern  Beschäftigungen,  und  die 


Beurtbeilungen  und  kurze  Anzeigen.  449 

Anwendung,  welche  sie  zunächst  davon  machen,  ist  die,  dass  sie  es  darin 
einander  zuvor  zu  thun  Sachen.  Langweilig  ist  ihnen  der  Unterricht  nur 
dann,  wenn  ein  ungeschickter  Lehrer  nicht  weiss,  was  er  mit  ihnen  an- 
fangen soll. 

Mit  zur  Sache  gehört  es ,  hier  noch  die  weiteren  Folgen  zu  betrachten, 
die  jenes  missverstandene  Princip  nach  sich  zieht.  Sätze  sollen  nun  einmal 
überall  sein.  Da  sie  nun  mit  dem  Einen,  worauf  die  Uebung  gerade  ge- 
richtet ist  —  es  sei  z.  B.  das  Präsens  von  essere  und  avere  (S.  12)  —  zu 
einförmig  ausfallen  würden :  so  werden  sie  gelegentlich  noch  mit  manchem 
Andern  ausgestattet,  oder  umgekehrt  als  willkommene  Gelegenheiten  benutzt, 
manches  Andere  daran  anzuknüpfen.  Die  Aufmerksamkeit  des  Anfängers 
wird  dadurch  in  noch  vermehrtem  Grade  getheilt  und  zerstreut.  Das  ist 
dann  vollends  übel,  wenn  der  Zusatz  einen  subtileren  Fall  betrifft,  wie  z.  B. 
die  Anwendung  oder  Nichtanwendung  des  unbestimmten  Artikels  nach  essere 
(suo  fratello  e  medico,  e  im  medico  valente,  S.  14).  Die  Angabe,  dass  es 
darauf  ankomme,  ob  das  Hauptwort  „allein  stehe"  oder  „ein  Beiwort  bei 
sich  habe,"  ist  nicht  durchgreifend,  denn  sonst  dürfte  man  weder  „Austerlitz 
e  un  vilaggio"  noch  mit  Boccaccio  „il  giudeo,  il  quäle  verainente  era  savio 
uomo"  sagen.  Der  Schüler  wird  sich  damit  ein  unrichtiges  Urtheil  einprägen. 
Es  ist  immer  misslich,  da,  wo  es  auf  eine  Gedankenbestimmung  ankommt,  ein 
bloss  äusserliehes  Merkmal  anzugeben,  wie  Herr  Mussana  nur  allzu  oft  thut. 
Wenn  sich  ein  Fall  nicht  bis  zu  derjenigen  Einfachheit  und  Klarheit  bringen 
lässt,  welche  der  Einsicht  des  Anfängers  gemäss  ist:  so  lasse  man  ihn  beim 
ersten  Unterricht  lieber  ganz  weg  und  behalte  ihn  einem  späteren  vor. 
Der  erste  Eindruck  ist  hartnäckig  und  in  der  Folge  schwer  zu  tilgen  und 
zu  berichtigen.  Weil  ferner  solche  Zusätze  eben  nur  als  „Zusätze,"  als  ge- 
legentliche und  beiläufige  Hinzufügungen  behandelt  werden,  die  ihren  Gegen- 
stand nirgend  zu  einer  vollständigen  und  allseitigen  Erörterung  bringen:  so 
fallen  sie  nur  allzu  leicht  mehr  oder  weniger  einseitig  und  ungenau  aus,  was 
einen  neuen  Uebelstand  abgiebt.  So  heisst  es  z.  B.  S.  1 1  :  „Die  zueignenden 
Fürwörter  (Beiwörter  ist  offenbar  ein  Druckfehler)  haben  immer  (?)  den 
Artikel  vor  sich,  il  mio  libro;  ausgenommen  ist  nur  (?)  der  Fall,  wenn  ein 
Verwandtschaftsname  in  der  Einzahl  ohne  Beiwort  darauf  folgt,  mio  fratello." 
Man  sagt  doch  auch:  questo  libro  6  mio,  egli  puö  diventare  tuo  nemico,  in 
casa  sua  u.  dgl.  Fben  so  wird  S.  116  gelehrt,  das  Relativum  welcher  werde 
im  Nom.  mit  che,  im  Acc.  mit  che  oder  (deutlicher)  cui,  „nach  Vorwörtern 
immer  (?)  mit  cui"  übersetzt.  Die  Verbindungen  di  ehe,  a  che,  in  che,  con 
che  sind  doch  eben  so  gebräuchlich  und  unangefochten,  und  nur  da  che  und 
per  che  vermeidet  man  gern,  um  nicht  Verwechslungen  mit  dacchc  und  perche 
zu  veranlassen.  Man  kann  sich  nicht  genug  davor  hüten,  ein  Gesetz  allzu 
sehr  zu  verallgemeinern  oder  es  allzu  ausschliessend  zu  fassen,  besonders 
dem  Anfänger  gegenüber,  der  sich  dann  mit  den  abenteuerlichsten  Vor- 
stellungen darauf  beruft  und  damit  die  Lehrer  zu  dem  Geständnisse,  wenig- 
stens zu  der  Einsicht  nöthigt ,  die  Sache  nicht  recht  ausgedrückt  zu  haben. 
Auf  der  andern  Seite  kann^es  Einem,  indem  man  nur  so  gelegentlich  auf 
Dies  und  Jenes  zu  sprechen  kommt,  begegnen,  dass  man  gerade  das  *\\  nö- 
tigste vergisst.  Die  Methode,  auch  die  einfachsten  Formen,  selbst  bloss 
orthographische  Eigenheiten  derselben,  durchaus  in  vollen  Sätzen  zu  zeigen 
und  zu  üben,  sollte  doch  wohl  Gelegenheit  nehmen,  eben  auch  vom  Satze 
zu  reden.  Man  sucht  vergebens  danach.  Nirgend  ist  vom  Satze,  nirgend 
von  Subject  und  Prädicat,  den  Bestandteilen  desselben,  die  Rede,  noch 
weniger  von.  dem  Unterschiede  zwischen  Haupt-  und  Nebensatz  oder  von 
den  Verbindungsweisen  der  Nutze.  Und  doch  muss  allerdings  aueh  der  erste 
Unterricht  hierauf  Rücksicht  nehmen.  Aber  freilich,  wie  soll  maus  machen? 
Denn  eigentlich  müsste  man  damit  anfangen.  Man  meiste  zuerst  sagen, 
dies  (z.  B.  il  padre  e  buono  ,  das  Hans  ist  klein,  8.  1)  sei  ein  Satz,  dies 
seien  seine  Bestandteile  und  so  verhalten  sie  sich  zu  einander.     Dazu  aber 


450  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

würde  gehören,  dass  der  Anfänger  mindestens  mit  den  Haupt-,  Bei-  und 
Zeitwörtern  —  mit  den  Elementen  des  Satzes  —  und  deren  Formen  schon 
bekannt  sei,  und  doch  sind  es  gerade  diese  Elemente,  diese  Formen,  mit 
welchen  man  ihn  im  Gegentheil  eben  erst  bekannt  zu  machen  vorhat.  Man 
kommt  so  in  den  Fall,  umgekehrt  und  stillschweigend  vorauszusetzen,  der 
Anfänger  sei  schon  mit  dem  Satze  bekannt,  und  es  handle  sich  nur  noch 
um  die  einzelnen  Elemente  desselben.  Man  fängt  voraussetzungsweise  mit 
dem  an,  womit  man  scbliessen  sollte,  und  findet  schliesslich  keine  Gelegenheit 
mehr,  ausdrücklich  davon  zu  reden,  weil  ja  schon  Alles  beiläufig  und  implieite 
dagewesen.  Wenn  irgend  Etwas  geeignet  ist,  die  Verkehrtheit  dieser  Me- 
thode anschaulich  zu  machen,  so  ist  es  eben  dies. 

Was  hiernach  das  Einzelne  betrifft:  so  ragt  besonders  das  Bestreben 
hervor,  die  fremden  Ausdrücke,  deren  sich  die  Grammatik  bedient,  durch 
deutsche  zu  ersetzen.  Dies  Bestreben  ist  an  sich  lobenswerth,  aber  es 
hat  auch  seine  Grenzen,  die  nicht  ungestraft  überschritten  werden.  Die  Be- 
nennungen Hauptwort,  Beiwort,  Zeitwort,  Fürwort,  Bindewort,  Empfindungs- 
wort, Zahlwort  sind  untadelhaft  und  anerkannt;  statt  Vorwort  und  Neben- 
wort, die  der  Herr  Verf.  gebraucht,  ist  Verhältnisswort  und  Umstandswort 
treffender  und  üblicher.  Artikel  hat  sich  bei  den  Versuchen,  die  damit  ge- 
macht worden,  als  unübersetzbar  erwiesen;  auch  hat  Herr  Mussafia  dies 
Wort  beibehalten.  Die  Zeitformen  mit  Gegenwart,  Vergangenheit,  Zukunft 
oder  gegenwärtige,  vergangene,  zukünftige  Zeit  zu  benennen,  ist  für  das 
Verständniss  derselben  sehr  gefährlich;  wem  diese  Ausdrücke  angewohnt 
worden,  ist  einer  richtigen  Erkenntniss  der  Zeitformen  so  lange  unfähig, 
bis  er  sie  sich  gründlich  wieder  abgewöhnt  hat,  weil  sie  ihn  beständig  ver- 
anlassen, den  Moment  der  Handlung  (dass  sie  nämlich  eine  geschehende, 
abgeschlossene  oder  bevorstehende  ist)  mit  dem  Zeiträume  zu  verwechseln, 
dem  sie  an  und  für  sich  angehört  und  mit  welchem  die  Zeitform  Nichts  zu 
thun  hat.  Die  Ausdrücke  Abwandlung,  unbestimmte  Art,  anzeigende  Art, 
verbindende,  gebietende  Art,  Mittelwort  werden  erst  verständlich,  wenn  man 
sieht,  dass  Conjugation,  Infinitiv,  Indicativ,  Conjunctiv,  Imperativ,  Particip 
damit  gemeint  sind.  Jene  Ausdrücke,  obschon  sie  deutsch  sind,  lassen  das, 
was  mit  den  alten  gemeint  ist,  nicht  unmittelbar  erkennen;  sie  bedürfen  der 
Erklärung  so  gut  wie  diese  und  stören  durch  die  Nebenbeziehungen,  die  der 
heutigen  Sprache  beiwohnen.  Geradezu  abenteuerlich  ist  der  meines  Wissens 
von  Fornasari  aufgebrachte  Ausdruck  Endung  stntt  des  allgemein  bekannten 
und  gebrauchten  Fall  (Casus);  jener  Ausdruck  ist  um  so  wunderlicher,  als 
das,  was  er  eigentlich  bezeichnet,  im  Italienischen  gar  nicht  vorhanden  ist. 
Anderes  dieser  Art  lässt  vermuthen  ,  dass  Herr  Mussafia  kein  Deutscher  ist, 
und  verdient  deshalb  Entschuldigung.  Er  übersetzt  z.  B.  das  franz.  son 
mouille  mit  „Wasserlaut"  (S.  2),  parole  piane  und  tronche  mit  „ebene  und 
zugestutzte"  Wörter  (S.  3),  wie  er  sich  denn  andrerseits  z.  B.  so  ausdrückt: 
Männliche  Wörter  auf  c  etc.  gehen  (im  Plur.)  auf  i  (S.  7),  statt  enden 
auf  i,  oder:  das  weibliche  Geschlecht  übergeht  in  das  männliche  (S.  28), 
statt  geht  in  das  männliche  über.  Dergleichen  soll  hier,  wie  gesagt,  nur  er- 
wähnt, nicht  gerügt  werden. 

Ausserdem   mögen   folgende   Einzelheiten   hier   noch   Erwähnung   finden. 

S.  4.  „Zwei  Selbstlaute  in  einer  Sylbe  bilden  einen  Doppellaut.  Ihre 
Aussprache  bietet  nichts  Bemerkens wertlies."  Bemerkenswert!)  ist  doch  wohl, 
wenigstens  für  deutsche  Schüler,  dass  die  einen  Doppellaut  bildenden  Vocale 
im  Italienischen  stets  getrennt  zu  sprechen,  nicht  nach  deutscher  (auch  nicht 
nach  französischer  Weise)  zu  einem  einfachen  oder  gemeinsamen  Laute  zu- 
sammenzuziehen'  seien.  WTas  heisst  übrigens:  zwei  Selbstlaute  in  einer 
Sylbe?  Wenn  sie  wirklich  Selbstlaute  sind:  so  stehen  ihrer  zwei  niemals  in 
einer  Sylbe,  sondern  jeder  von  ihnen  begründet  eine  besondere.  Es  wären 
also  die  Bedingungen  anzugeben,  unter  welchen  zwei  Vocale  zu  einer  diph- 
thongischen   Einheit   zusammentreten.     Seltsamer    Weise    befindet    sich   die 


Beurtheilungen   und  kurze  Anzeigen.  451 

italienische  (überhaupt  romanische)  Grammatik,  der  antiken  gegenüber,  bis 
auf  den  heutigen  Tag  über  diesen  Punkt  in  einer  Art  von  Erblosigkeit,  die 
auch  Herr  Mussafia  theilt,  wie  ich  aus  seiner  mir  gleichzeitig  vorliegenden, 
übrigens  vortrefflichen  und  gründlichen  Recension  der  ital.  Grammatik  von 
Wiggers  ersehe.  Es  sei  mir  erlaubt,  deshalb  auf  mein  so  eben  in  zweiter 
Auflage  erschienenes  Lehr-  und  Uebungsbuch  der  italienischen  Sprache 
hinzuweisen. 

S.  5.  „Mehr  als  zwei  Consonanten  können  in  der  Regel  nicht  auf  ein- 
ander folgen,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  1  und  r  nach  einem  Consonanten 
nicht  als  solche  gezahlt  werden."  Dies  Letztere  ist  unverständlich.  Die 
gegebenen  Beispiele  Costantino  etc.  gehören  nicht  hierzu.  Man  kann  nur 
an  acclamare,  apprendere  und  Aehnliches  denken;  darin  aber  sollen  1  und  r 
nicht  als  Consonanten  gelten?  —  Ausserdem  wird  hier  die  Note  hinzugefügt: 
„Wenn  von  zwei  Wörtern,  die  auf  einander  folgen,  das  erste  mit  einem  Mit- 
laute endigt  und  das  zweite  mit  zwei  solchen  anfangt,  so  wird  am 
Anfange  des  zweiten  "Wortes  ein  i  hinzugefügt:  non  iscrivo,  per  istrada  " 
Auch  non  icredo,  per  icriticare?  Es  soll  heissen:  wenn  das  zweite  mit  un- 
reinem s  anfangt.  —  Ebendaselbst  befindet  sich  die  Note,  dass  die  Elision 
(quesf  uomo)  nur  dann  Statt  finde,  „wenn  die  zwei  Wörter  in  einem  innigen 
syntaktischen  Verhältnisse  zu  einander  stehen."  Das  ist  richtig,  hätte  aber 
auch  auf  die  unmittelbar  vorher  besprochene  Apokope  (buon  padre)  aus- 
gedehnt werden  sollen. 

S.  6.  „Die  Namen  männlicher  Personen  oder  Thiere  sind  männlich,  die 
Namen  weiblicher  Personen  oder  Thiere  sind  weiblich."  Wie  verhält  es 
sich  demnach  mit  la  volpe  (Fuchs),  la  tigre  (Tiger),  la  colomba  (Taube) 
u.  s.  f.?  Oder  wenn  Jemand  z.  B.  eine  Stute  besässe,  dürfte  er  dann  nicht 
von  seinem  cavallo  reden? 

Ebend.  „Der  Ausgang  e  ist  beiden  Geschlechtern  gemeinschaftlich,  und 
den  Unterschied  lehrt  bloss  (?)  die  Uebung  erkennen,"  doch  bloss  für  den 
Anfänger,  der  sieh  allerdings  vorläufig  darauf  beschränken  mag. 

S.  8.  „Non  wird  stets  (?)  vor  das  Zeitwort  gesetzt."  Nur  gewöhnlich 
oder  in  den  meisten  Fällen,  ma  non  sempre. 

S.  20.  „Die  Hauptwörter  auf  io  mit  unbetontem  i  haben  in  der  Mehr- 
zahl i."  Man  pflegt  studj  u.  dgl.  zu  schreiben,  auch  studii;  studi  scheint 
eine  gewagte  und  wenig  empfehlenswerthe  Neuerung. 

S.  24.  Warum  zählt  der  Herr  Verf.  „da"  nicht  mit  zu  den  Casuszeichen? 
Von  Casus-Formen  lässt  sich  im  Italienischen  allerdings  nicht  reden,  aber 
die  Casus- Verhält nisse  sind  doch  vorhanden,  und  unter  diesen  das  durch 
da  bezeichnete  Ablativ-  Verhältniss  so  gut  wie  das  durch  di  und  a  bezeichnete 
des  Genitiv  und  Dativ. 

S.  46.  „Man  sieht,  dass  viele  Zeitwörter  auf  dere  ein  unregelmässiges 
Mittelwort  auf  so  haben  (ridere,  riso),  und  dass,  wenn  sich  vor  dem  d  der 
unbestimmten  Art  ein  n  findet  (difendere),  dieses  vor  dem  s  des  Mittelwortes 
(difeso)  wegfällt."  Die.<-e  Ungenauigkeit  ist  dahin  zu  berichtigen,  dass  vor 
dem  s  der  Participial- Endung  so  (auch  vor  dem  der  Perfeet-  oder  besser 
Aorist -Endungen  si ,  se,  sero)  der  Charakter  d,  und  wenn  diesem  ein  D 
vorangeht,  gleichzeitig  auch  dieses  wegfalle.  Ueberhaui>t  ist  hierbei  die  von 
dem  Herrn  Verf.  beiolgte  Bezeichnungsweise  der  Infinitive  auf  dere,  gere, 
rire  u.  s.  f.  zu  rügen.  Die  Infinitiv- Endungen  sind  einfach  are,  ere,  irr,  und 
wenn  der  Anfänger  doch,  wie  nicht  anders  sein  kann,  genöthigt  wird,  auf 
den  diesen  Endungen  vorangehenden  Consonanten  (den  Charakter  des  Zeit- 
wortes) zu  achten:  so  kann  er  auch  dazu  angehalten  werden,  ihn  ausdrücklich 
davon  zu  unterscheiden.  Er  gewinnt  hieran  den  grossen  Vortlieil,  deutlich 
den  Punkt  zu  erkennen,  an  welchem  die  Unregelmässigkeit  haftet  oder  von 
welchem  sie  bedingt  wird. 

S.  55.  „Die  (?)  Nebenwörter  werden  vom  weiblichen  Geschlechte  der 
Beiwörter  gebildet,   indem  man   diesem   die  Endung  mente  anhängt."  ^Soll 


452  Beurtbeilungen  und  kurze  Anzeigen. 

heissen:  Beiwörter  werden  in  Nebenwörter  umgewandelt,  indem  man  der 
weiblichen  Form  derselben  die  Endung  (eigentlich  das  Wort)  mente  anhängt. 
Denn  ove,  onde,  oggi  etc.  sind  auch  Nebenwörter.  —  Das  ebendaselbst  an- 
geführte parimenti  statt  parimente  ist  nicht  nachahmenswerth ;  nur  altrimenti 
(st.  altrimente)  ist  allgemein  gebräuchlich. 

S.  61.  „Die  Zeitwörter  der  2.  Abwandlung,  welche  das  e  in  der  vor- 
letzten Sylbe  der  unbestimmten  Art  betont  haben,  werfen  in  der  künftigen 
Zeit  dieses  betonte  (!)  e  weg."  Dies  thun  nur  diejenigen,  welche  einen  Halb- 
vocal  (ausser  m)  und  einige  von  denen,  welche  ein  v,  p  oder  ein  d,  t  zum 
Charakter  haben,  insbesondere  also  dolere,  valere,  volere,  rimanere,  tenerej 
parere  nebst  avere,  dovere,  sapere,  vedere,  potere.  Nicht  aber  thun  es 
temere,  persuadere,  giacere,  piacere,  tacere;  nicht  durchaus 
cadere,  calere,  selten  und  nicht  nachahmenswerth  sedere,  godere, 
natürlich  auch  nicht  bere.  Herr  Mussafia  hält  aber  an  seiner  Behauptung 
so  strenge,  dass  er  sich  S.  77  mit  den  Worten  darauf  beruft:  „In  der  künf- 
tigen Zeit  muss  (!)  das  e  (von  volere,  potere,  dovere),  weil  (!)  es  in  der 
unbestimmten  Art  betont  ist,  wegfallen ;"  er  wiederholt  dies  Weil  auch 
S.  110  (bei  sapere)  und  kommt  auch  S.  126  darauf  zurück.  Man  staunt  mit 
Recht  darüber,  dass  gerade  die  Betonung  eines  Vocals  die  Ursache  seiner 
Wegwerfung  sein  solle.  So  lange  ein  Vocal  den  Accent  des  Wortes 
trägt,  kann  er  in  keinem  Falle  weggeworfen  werden.  Dies  ist  erst  dann 
möglich,  wenn  er  den  Accent  an  einen  andern  Vocal  abgegeben  hat  und  für 
sich  tonlos  geworden  ist.  Hierin  liegt  der  Grund  jener  synkopirten  Futur- 
lormen.  Nicht  das  betonte  e  des  Infinitivs,  sondern  das  im  Fut.  tonlos 
gewordene  ist  da  verschwunden,  und  zwar  wird  sein  Verschwinden  gerade 
durch  die  Halbvocale,  in  denen  es  verstohlen  fortklingt,  und  durch  das 
gleichfalls  intonationsfähige  v  motivirt,  wogegen  nach  d,  t,  p  die  Ausstossung 
des  e  schon  mit  Härte  verbunden  und  darum  nur  bei  wenigen  Verben  zu 
allgemeiner  Geltung  gekommen,  nach  c  aber  geradezu  unmöglich  ist. 

S.  83.  „Bei  Nr.  12  wurde  gesagt,  dass  egli,  ella,  eglino.  elleno  sich  nur 
auf  Personen  beziehen;  eben  so  werden  lui,  lei,  loro  nur  von  Personen  ge- 
braucht" —  soll  heissen  vorzugsweise;  die  Beziehung  auf  Sachen  kommt 
häufig  vor  und  lässt  sich  nicht  verbieten.  „Statt  dieser  Fürwörter  wird  esso, 
a,  Plur.  essi,  e  gesetzt,  das  nach  Vorwörtern  unverändert  bleibt  —  di  esso, 
a;  di  essi,  e."  Hierin  steckt  wohl  ein  unglückliches  Versehen.  Erstlich  hat 
Herr  Verf.  wohl  sagen  wollen:  „Statt  dieser  Fürwörter  wird  esso,  essa  etc. 
gesetzt,  wenn  von  Sachen  die  Rede  ist,"  wobei  freilich  dieselbe  Be- 
schränkung zu  wiederholen  wäre,  dass  dies  nur  vorzugsweise  geschehe: 
denn  auch  auf  Personen  findet  sich  esso  so  gut  bezogen  wie  egli  etc.  auf 
Sachen.  Zweitens  hat  es  wohl  heissen  sollen:  „das  vor  persönlichen 
Fürwörtern  unverändert  bleibt,"  denn  allerdings  sagt  man  esso  lui,  esso 
lei,  esso  loro. 

S.  101  flg.  ist  der  Unterschied  zwischen  che  und  di  (als)  nach  dem 
Comparative  nicht  ausreichend  oder  eigentlich  gar  nicht  bestimmt. 

S.  104.  „Die  dritte  Vergleichungsstufe  wird  dadurch  gebildet,  dass  man 
der  zweiten  den  bestimmenden  Artikel  vorsetzt."  Das  hätte  Herr  Mussafia 
seinen  Vorgängern  nicht  nachsprechen  sollen.  II  piü  prudente  heisst  nur  der 
Klügere,  worunter  jedoch  nach  italienischer  Auffassung  nicht  nur  der  ver- 
standen wird,  der  klüger  ist  als  ein  Andrer,  sondern  auch  der  klüger  ist  als 
jeder  Andre.  Im  Deutschen  kann  für  die  letztere  Beziehung  die  Form 
der  Klügste  eintreten;  dies  ist  ein  wirklicher  Superlativ,  aber  nicht  ver- 
möge des  Artikels,  womit  er  sich  zufällig  verbindet,  sondern  vermöge  der 
(häufig  zu  blossem  st  abgekürzten)  Endung  est,  (klügester,  klügster).  Die 
solchem  Superlativ  entsprechende  Form  fehlt  dem  Italienischen;  denn  die 
Form  auf  issimo  (prudentissimo)  bedeutet  nur:  sehr  klug.  —  Was  Herr  M. 
auf  S.  108  und  109  weiter  über  diesen  Gegenstand  sagt,  namentlich  dass 
„bei  Relativsätzen  (auch  in  andern)  die   zweite  Vergleicbungsstufe  der  Ad- 


Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen.  453 

verbien  (auch  der  Adjective)  mit  der  Bedeutung  der  dritten  gebraucht" 
werde,  hätte  ihn  bei  ernsterer  Verfolgung  auf  den  rechten  Weg  führen 
können. 

S.  127.  „Die  zwei  oben  angeführten  Zeiten  (Conditionalis  und  Conjunctiv- 
Imperfect)  sind  ihrem  Ursprünge  nach  gleich  (?),  indem  das  Condizionale 
nur  eine  spätere  (umschreibende)  Form  der  vergangenen  Zeit  der  verbindenden 
Art  ist."  Letztere  Zeitform,  das  Conj.-Imperfect  ^amassi  etc.)  ist  aus  dem 
lat.  Plusquamperfectum  Conjunctivi  (amassem  etc.),  der  Conditionalis  dagegen 
aus  dem  Infinitive  mit  afligirtem  Aorist  von  avere  (wie  das  Futurum  aus  dem 
Inf.  mit  afiigirtem  Fräs.  v.  avere)  gebildet.  Beide  haben  somit  ganz  ver- 
schiedenen Ursprung. 

S.  j 33.  „Im  Deutsehen  wird  das  Bindewort  dass  häufig  weggelassen; 
im  Ital.  darf  dies  nie  (?)  Statt  finden.  Es  ist  allerdings  erlaubt,  wenn  auch 
seltner  als  im  Deutschen  von  dieser  Erlaubniss  Gebrauch  gemacht  wird. 

Doch  ich  will  dies  Register  nicht  weiter  fortsetzen,  um  für  die  er- 
freulichere Bemerkung  Raum  zu  erübrigen,  dass  sich  Herr  Mussafia  durch 
manche  andre  Bestimmungen  sehr  vortheilhaft  vor  seinen  Vorgängern  aus- 
zeichnet. Dahin  gehört  z.  B.,  dass  er  fare  und  dire  nicht  zur  1.  und  J3., 
sondern  zur  2.  Conjugation  rechnet;  dass  er  bevo  acqua  und  bevo  dell'acqua 
(S.  53)  nach  qualitativer  und  quantitativer  Beziehung  des  Inhaltes  unter- 
scheidet; dass  er  für  den  Conditionalis  (S.  127)  stets  eine  bedingende  Vor- 
aussetzung annimmt,  auch  wenn  sie  nicht  ausdrücklich  gesetzt  oder  anders  als 
durch  einen  Satz  ausgedrückt  ist;  dass  er  dem  Gerundium  (S.  144)  ausser 
der  temporalen  auch  eine  causale  und  conditionale  (er  hätte  hinzusetzen 
können  auch  eine  instrumentale  und  concessive)  Bedeutung  vindicirt  etc.  etc. 
Namentlich  legt  seine  schon  erwähnte  gründliche  und  gediegene  Recension 
der  ital.  Grammatik  der  Gebrüder  Wiggers  ein  acbtungswerthes  Zeugniss 
von  seiner  treß'üchen  und  selbst  gelehrten  Kenntniss  der  ital.  Sprache  ab, 
die  sich  bei  etwas  grösserer  Sorgfalt  und  bei  veränderter  Methode  selbst 
für  den  „ersten  Unterricht"  künftig  gewiss  noch  besser  wird  verwerthen 
lassen  als  bei  dem  gegenwärtigen  „ersten  Versuche"  (Herr  M.  bezeichnet 
ihn  selbst  als  solchen)  gelungen  ist. 

Zum  Schluss  ist  zu  bemerken,  dass  von  S.  193  an  unter  der  Bezeichnung 
„Esercizi  di  lettura  e  dt  traduzione"  ein  Lesebuch  hinzugefügt  ist,  welches 
kleine  Erzählungen,  Sprichwörter  und  Sentenzen,  Fabeln,  Legenden,  Briefe 
und  zwei  Biographien  enthält.  Zuletzt  folgt  ein  Yerzeichniss  der  unregel- 
mässigen  Zeitwörter,  doch  mit  Ausschluss  derjenigen,  welche  nur  im  „Definito 
und  im  vergangenen  Mittelworte"  abweichen;  diese  sollen  in  dem  „allgemeinen 
Wörterverzeichnisse"  nachgesehen  werden,  das  sich,  in  Bezug  auf  die  deut- 
schen Uebungssätze,  am  Ende  des  Buches  befindet  und  worin  die  bezüglichen 
Seitenzahlen  angegeben  sind.  Da  dies  Wörterverzeichniss  jedoch  deutsch- 
italienisch ist:  so  wird  der  Anfänger  wohl  in  einiger  Verlegenheit  sein,  wo 
er  z.  B.  assolvere  oder  strignere  suchen  soll,  wenn  er  nicht  weiss,  unter 
welcher  deutschen  Bedeutung  es  dort  aufgeführt  ist. 

Prof.  Dr.  Staedler. 


Lehr-  und  Uebungsbuch  der  Italienischen  Sprache,  zum  Schul-, 
Privat-  und  Selbstunterrichte,  von  Dr.  Gustav  Leopold 
Staedler,  Professor.  Berlin,  Haude-  und  Spener'sche  Buch- 
handlung (F.  Weidling).     1800.     II.  AuHage. 

Dies  ist  die  zweite  Auflage  eines  Buches,  dessen  Zweckmässigkeit  und 
Gediegenheit  sich  bereits  bewahrt  hat.  Nichtsdestoweniger  können  wir  nicht 
umhin,  alle  Freunde  der  Italienischen  Sprache  auf  diese  zweite  Autlage  des- 


454  Beurtheilungen  und  kurze  Anzeigen. 

selben  aufmerksam  zu  machen,  bei  deren  Bearbeitung  der  Verfasser  den 
SprachstofF  zunächst  nicht  nur  vollständiger  dargelegt  und  eingehender  be- 
handelt, sondern  auch,  zur  Erläuterung  der  Wort-  und  Flexionsformen  das 
Lateinische,  das  man  bei  Erlernung  der  romanischen  Sprachen  nicht  ganz 
ignoriren  kann,  mit  in  den  Gesichtskreis  gezogen;  bei  den  unregelmässigen 
Zeitwörtern  hat  er  die  Bedingungen  scharf  hervorgehoben ,  auf  welchen  die 
Unregelmässigkeiten  beruhen,  der  Syntax  aber  eine  ganz  besondere  Auf- 
merksamkeit zugewandt,  namentlich  da,  wo  es  sich  um  Eigentümlichkeit 
italienischer  Auffassungs-  und  Ausdrucksweise  handelt,  wie  z.  B.  bei  dem 
substantivischen  Infinitive,  dem  Comparative,  dem  Gerundium  und  der  Par- 
ticipial  -  Construktion.  —  Dadurch  ferner,  dass  er  den  praktischen  Theil 
dazu  benutzte,  nicht  nur  der  Grammatik  überhaupt  neue  und  treffende  Bei- 
spiele zuzuführen,  sondern  nach  Seiten-  und  Zeilenzahl  auch  die  Stellen  zu- 
gänglich zu  machen,  wo  dieselben  in  ihrem  jedesmaligen  Zusammenhange 
nachgesehen  und  geprüft  werden  können,  hat  er  die  Lernenden  in  den  Stand 
gesetzt,  sich  von  dem  eigentlichen  Sinne  des  Beispiels  und  von  dem  Falle, 
den  es  darstellt,  ein  sicheres  Urtheil  und  individuelles  Verständniss  zu  bilden; 
er  hat  aber  hierdurch  auch  Grammatik  und  Lesebuch  in  ein  engeres  Ver- 
hältniss  gebracht,  ein  Verfahren,  das  nur  gerühmt  werden  kann. 

Es  ist  dieser  zweiten  Auflage  ferner  ein  mit  Rücksicht  für  das  Lesebuch 
zusammengestelltes  ital. -deutsches  Wörterbuch  beigefügt  worden,  welches 
von  grosser  Genauigkeit  und  Sachkenntniss  zeugt. 

Der  Verfasser  hat  sich  der  Einführung  aller  blossen  Redensarten  und 
sonstigen  Gedächtnissstoffes  sorgfältigst  enthalten,  da  es  ihm  mehr  darum 
zu  thun  war,  dem  Lernenden  zu  einer  eindringlichen,  dem  gegenwärtigen 
Stande  der  neueren  Sprachwissenschaft  entsprechenden  Erkenntniss  der 
Sprache,  als  zu  einem  nur  äusserlichen  Anlernen  derselben  zu  verhelfen. 
Das  Buch  zeichnet  sich  zugleich  durch  Correktheit  und  Schönheit  der  Aus- 
stattung aus  und  verdient  die  wärmste  Empfehlung. 

Prof.  A.  Boltz. 


M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Themata  aus  Vossens  Idylle:     „Der    siebzigste  Geburtstag."*) 

Der  Sohn  des   Schulmeisters. 

Zacharias  war  der  einzige  Sohn,  mit  welchem  die  Mutter  ihren  geliebten 
Gatten,  den  Schulmeister  Tamm  in  dem  Dorl'e  Stolp,  wahrend  ihrer  langen 
Ehe  beschenkte.  Der  biblische  Name,  welchen  der  Knabe  in  der  heiligen 
Taufe  empfing,  war  gewissermassen  eine  Vorbedeutung  des  frommen  Berufs, 
zu  dessen  Verwaltung  Zacharias  von  der  Vorsehung  bestimmt  war.  Aber 
der  Sohn  zeigte  auch  selbst  schon  frühzeitig  eine  entschiedene  Neigung  zu 
dem  geistlichen  Stande.  Denn  wenn  er  mit  ernsthafter  Haltung  von  dem 
Schemel  herab  predigte,  schien  er  trotz  des  zarten  Alters,  in  welchem  der 
Knabe  stand,  im  Innern  zu  fühlen,  dass  er  zum  Predigtamte  berufen  sei. 
Mit  "Wohlgefallen  bemerkten  die  Eltern  dies  Treiben,  denn  nach  Art  solcher 
Dorfschulmeisterfamilien  konnten  sie  sich  keine  grössere  Freude  denken, 
als  wenn  sie  einstmals  ihren  lieben  Zacharias  im  priesterliche.n  Amtsrock 
erblicken  könnten.  Doch  wagten  sie  nicht  eher  mit  der  Wahl  der  theolo- 
gischen Laufbahn  für  ihren  Sohn  hervorzutreten,  als  bis  der  Pfarrer  des 
Orts ,  welcher  dem  Gebahren  des  Knaben  ebenfalls  mit  Verwunderung 
zugesehen  hatte,  die  feste  Ueberzeugung  aussprach,  dass  der  Junge  einmal 
ein  rüstiges  Werkzeug  der  Kirche  werden  würde.  Freilich  verhehlten  sich 
die  Eltern  die  Kostspieligkeit  der  langen  Ausbildung  des  Sohnes  nicht.  Aber 
der  Vater,  welcher  ein  unerschütterliches  Vertrauen  auf  den  Beistand  des 
allmächtigen  Gottes  besass,  schickte  den  Knaben  getrost  in  die  Stadt  auf 
die  lateinische  Schule.  Hier  nun  wurde  es  zwar  dem  Gymnasiasten  Tamm 
schwer,  sich  durchzuschlagen,  aber  wenn  ihm  auch  die  Nahrung  knapp  genug 
zugemessen  war  und  die  Kleidung  armselig  aussah,  so  machte  er  doch  durch 
Fleiss  und  gutes  Betragen  seinen  Eltern  und  Lehrern  grosse  Freude  und 
solche  Fortschritte,  dass  er  bald  mit  den  besten  Zeugnissen  versehen  von  der 
Schule  entlassen  werden  konnte.  Wahrend  der  Schulzeit  hatte  er  Gelegen- 
heit, eine  Eigenschaft  zu  zeigen,  welche  als  der  hervorragendste  Zug  in 
seinem  Charakter  zu  betrachten  ist:  die  Beharrlichkeit,  vermöge  deren  er 
das  vorgesteckte  Ziel  nicht  aus  den  Augen  liess,  sondern  fest  und  unyer- 
rückt  verfolgte.  Jetzt  bezog  der  hoffnungsvolle  Jüngling  die  Universität, 
auf  welcher  er  wieder  dem  Studium  mit  Eifer  oblag  und  sich  durch  seine 
ernste  Haltung  die  Liebe  und  Achtung  der  Professoren  erwarb.  So  konnte 
ihm  Jeder,  der  den  wackern  Studenten  kannte,  die  gewisse  Aussicht  stellen, 
dass  er  sehr  bald  mit  einem  Pfarramte  betraut  werden  würde.     Und  so  ge- 


*)  Vgl.:     „Die    höhere   Bürgerschule"    Jahrgang    1857.    S.  158   —  1C1. 
Der  Schulmeister. 


45C  Miscellen. 

schab  es:  denn  als  er  das  theologische  Examen  bestanden  hatte,  wurde  der 
Caudidat  in  dem  Dorfe  Herlitz  durch  einstimmige  Wahl  der  Gemeinde  zum 
Pfarrer  berufen.  Jetzt  nun  war  auch  die  Zeit  gekommen ,  wo  er  an  einen 
eigenen  Heerd  denken  konnte.  Er  heirathete  also  die  wirtschaftliche  Tochter 
des  seligen  Pfarrers,  welcher  sein  Vorgänger  im  Amte  gewesen  war,  und 
begründete  sich  so  ein  dauerndes  Familienglück.  Aber  der  liebende  Sohn 
vergass  die  alten  Eltern  nicht,  und  besonders  jetzt  zeigte  sich  eine  will- 
kommene Gelegenheit,  wo  er  seine  kindliche  Liebe  recht  deutlich  an  den 
Tag  legen  konnte.  Denn  der  alte  Schulmeister  wollte  seinen  siebzigsten 
Geburtstag  feiern.  Da  beeilte  sich  denn  Zacharias,  zur  Verherrlichung  dieser 
Feier  seinem  Vater  schon  vorher  mit  der  Fracht  edlen  Taback  und  stär- 
kende Weine  zu  senden,  indem  er  durch  diese  Geschenke,  welche  den  Nei- 
gungen des  alten  Tamm  entsprechen,  seinen  Vater  zu  überraschen  gedachte. 
Doch  noch  eine  grössere  Freude  wollte  er  ihm  bereiten,  er  versprach  nämlich 
in  dem  Briefe,  mit  welchem  er  die  Geschenke  begleitete,  dass  er  mit  seiner 
freundlichen  Gattin,  wenn  nicht  Hohlwege  und  verschneiete  Gründe  die 
Durchfahrt  hemmten,  sicherlich  kommen  würde,  um  das  Fest  mit  dem  Vater 
zu  feiern  und  von  ihm  und  der  würdigen  Mutter  den  Segen  zu  seiner  ge- 
schlossenen Verbindung  zu  empfangen.  Denn  dem  Hochzeitsfeste  hatten  die 
bejahrten  Leute,  weil  sie  nicht  mehr  rüstig  genug  waren  zu  einer  so  weiten 
Reise,  nicht  beiwohnen  können.  Wie  gerührt  waren  die  alten  Eltern,  als 
sie  diesen  neuen  Beweis  der  kindlichen  Liebe  ihres  Sohnes  erfuhren!  Daher 
kann  man  sich  nicht  wundern,  dass  sie  am  Geburtstagsfeste  beim  Mittags- 
mahl mit  einem  gewissen  Stolze  die  Gesundheit  ihres  Sohnes  ausbrachten, 
welcher,  des  wirbelnden  Schneegestöbers  und  des  stürmenden  Ostwinds  nicht 
achtend,  noch  vor  Tagesanbruch  sich  auf  den  weiten  Weg  gemacht  hatte. 
Es  dauerte  nun  nicht  lange  mehr,  so  kam  Zacharias  mit  seiner  Gattin  auch 
wirklich  in  einem  Schlitten  angefahren,  welcher  vom  Berge  in  das  Dorf 
herabklingelte  und  dann  in  den  Hofraum  einlenkte,  wo  die  Wohnung  des 
Schulmeisters  stand.  Der  junge  Pfarrer  lebte  in  leidlichen  Verhältnissen, 
was  man  daraus  ersehen  kann,  dass  er  ausser  einem  solchen  Fahrzeug  mu- 
thige  Rosse  mit  blankem  Geschirr  besass.  Doch  wir  sind  begieriger  zu  er- 
fahren, wie  sich  der  Sohn  bei  der  Ankunft  benahm.  Der  Schlitten  war  noch 
nicht  ganz  an  der  Thür  angelangt,  als  der  junge  Mann  schon  den  Verdeck- 
stuhl halb  öffnete,  weil  er  ungeduldig  war,  zu  den  alten  Eltern  zu  gelangen. 
Als  er  nun  die  Mutter  vor  der  Hausthür  ihnen  gegenüber  stehen  sah,  wollte 
er  es  nicht  dulden,  damit  sie  sich  nicht  bei  dem  scharfen  Winde  eine  Er- 
kältung zuzöge.  Dann  entsprang  er,  sobald  die  dampfenden  Renner  schnau- 
bend anhielten,  in  rüstiger  Jugendkraft  rasch  dem  fechlitten,  dessen  Sorge 
jetzt  dem  Gesinde  überlassen  wurde.  Nun  ward  er  von  der  Mutter  an  der 
linken  Hand  eilig  in  das  Haus  gezogen,  während  seine  Gattin  an  der  rechten 
Seite  ging.  Es  war  dem  liebenden  Sohne  gleich  aullällend ,  dass  sich  der 
alte  Vater  noch  nicht  sehen  liess;  er  fragte  daher  mit  besonderer  Ange- 
legentlichkeit nach  seinem  Befinden.  Doch  wurde  er  darüber  sehr  bald  be- 
ruhigt von  der  Mutter,  welche  nunmehr,  nachdem  sie  ihre  Kinder  zum  Ab- 
legen der  beschneiten  Wintervermummung  in  das  heute  von  der  lernenden 
Jugend  nicht  besuchte  Schulzimmer  geführt  hatte ,  ihren  Sohn  mit  Freuden 
ans  Herz  drückte  und  ihm  die  innigsten  Segenswünsche  darbrachte.  Welche 
Freude  hatte  er  seiner  Mutter  durch  den  Besuch  gemacht!  Denn  es  gab 
für  sie  keine  grössere  Wonne,  als  ihren  Zacharias  im  Amtsrock  zu  erblicken 
und  ihn  mit  einer  wackeren  Frau  vermählt  zu  sehen.  Auch  zeigte  sich  deut- 
lich, dass  die  junge  Frau  ihren  Gatten  von  Herzen  liebte,  denn  sie  dankte 
der  Mutter  noch  besonders  dafür,  dass  sie  so  einen  trefflichen  Sohn  geboren 
und  erzogen  hatte.  Aber  auch  Zacharias  war  stolz  auf  sein  Weib,  welche 
ihm  in  ihrer  schlanken  Zartheit  mit  Leib  und  Seele  vom  edelsten  Kerne 
der  Vorwelt  zu  sein  schien.  Wie  er  ihr  unbedingtes  Vertrauen  schenkte, 
so  konnte    er    sie    auch  ihrer  Schwiegermutter  vorstellen    mit    den  Worten: 


Miscellen.  457 

..Mütterchen,  nehmt  sie  auf  Glauben!"  Bei  dieser  Gelegenheit  zeigte  er, 
dass  er  nicht  etwa  die  feierliche  Amtsmiene  auch  in  den  Familienverkehr 
übertrug,  sondern  dass  er  auch  einen  schalkhaften  Scherz  zu  machon  ver- 
stand, indem  er  die  Befürchtung  aussprach,  dass  seine  Gattin  vielleicht  der 
Mutter  das  Herz  des  Vaters  abschwatzen  könnte.  Doch  jetzt  ging  man  in 
das  Wohnzimmer,  wo  die  junge  Pfarrersfrau  der  Verabredung  gemäss  ihren 
Schwiegervater  mit  einem  Kusse  aus  dem  Schlaf  erweckte.  Zacharias  aber 
war  von  seiner  Frau  an  der  Hand  hineingeführt  und  schloss  nun  gerührt 
seinen  geliebten  Vater  in  die  Arme.  — 

Der  Ort  der  Handlung. 

Um  den  weiteren  Schauplatz  zu  erkennen,  auf  welchem  sich  die  Re- 
gebenheit in  dem  gelungensten  Idyll  Vossens  bewegt,  muss  man  sich  an  die 
Sitten  oder  auch  bloss  an  gewisse  Ausdrücke  des  Gedichtes  halten,  welche 
deutlich  die  niederdeutsche  Heimath  des  Dichters ,  also  eine  nördliche 
Provinz  unseres  grossen  deutschen  Vaterlandes  verrathen. 

Lassen  wir  unsere  Phantasie  walten,  so  erblicken  wir,  auf  einem  Berge 
innerhalb  dieser  Landschaft  stehend,  unter  uns  in  einem  fruchtbaren  Thale 
das  Dorf  Stolp,  welches  mit  seinen  stattlichen  Häusern  einen  wohlhabenden 
Eindruck  macht.  Lässt  man  das  Auge  bis  an  den  tieferen  Hintergrund 
schweifen,  so  gewahrt  man  ein  Gewässer  mit  Fischkasten.  Im  Dorfe  selbst, 
das  wir  jetzt  betreten,  fällt  uns  das  ansehnliche  Rittergut  in  die  Augen; 
aber  wenn  sich  auch  mit  ihm  das  Patronatsrecht  über  Kirche  und  Schule 
verknüpfen  mag,  so  dürfen  wir  doch  den  gesegneten  Ort  für  ein  Freidorf 
halten,  welches  dem  Herrenhause  keine  Frohndienste  zu  leisten  oder  Ab- 
gaben zu  zahlen  braucht.  Im  Weitergehen  sehen  wir  das  Gotteshaus  mit 
hervorragendem  Glockenthurm.  Sollte  der  Ort  wohl  ein  blosses  Kirchdorf 
sein  ?  Doch  halt !  Hier  steht  ja  das  Pfarrhaus,  in  welchem  der  für  das 
Seelenheil  der  Freisassen  sorgende  Ortsgeistliche  wohnt. 

Nicht  weit  von  dem  Hause  des  Landpredigers  ist  die  Wohnung  des 
Dorfschulmeisters,  welche  wir  heute,  wo  er  den  siebzigsten  Geburtstag  feiert 
in  näheren  Augenschein  nehmen  wollen.  Man  gelangt  zu  ihr  durch  eine 
Hofthür,  neben  welcher  sich  ein  Thor  befindet,  dessen  breite  Flügel  heute 
zur  festlichen  Einfahrt  des  Merlitzer  Pfarrschlittens  geöffnet  werden.  Wir 
können  nunmehr  den  ganzen  Hofraum  mit  den  angränzenden  Gebäulichkeiten 
bequem  überschauen,  wobei  sich  uns  die  wohlthuende  Bemerkung  aufdrängt, 
dass  für  alle  Bedürfnisse  des  schulmeisterlichen  Hausstandes  ausreichend 
gesorgt  ist.  In  der  Mitte  des  Hofes  ragt  ein  Taubenhaus  empor,  dessen 
buntgefiederte  Rewohner  der  Familie  besonders  im  Sommer  einen  malerischen 
Anblick,  aber  auch  oft  willkommene  Speise  gewähren  müssen.  Von  hier 
aus  kann  man.  wenn  man  den  Schlag  mit  Hülfe  einer  Leiter  ersteigt,  jedes 
Gefähr,  welches  vom  Rerge  herabkommt,  mit  scharfem  Auge  erspähen. 
Das  Taubenhaus  umgibt  in  angemessener  Entfernung  ein  Kranz  von  Ge- 
bäuden und  Räumen.  Dahin  gehört  eine  Scheune,  wo  der  rüstige  Knecht 
Thoms  gerade  Häckerling  schneidet,  mit  einem  Thor  zur  Einfahrt  für  die 
Getreide-  und  Heuwagen,  da  mit  der  Schulstelle,  der  Niessbrauch  von  Fel- 
dern und  Wiesen  verbunden  ist.  Weiter  unten  sieht  man  den  Garten, 
welcher  das  Hauswesen  mit  dem  nöthigen  Obst  und  Gemüse  versotgt.  An 
ihm  befindet  sich  das  Backhaus,  aus  welchem  uns  die  Wärme  von  dem 
frischen  Gebäck  des  fesfliehen  Brotes  anweht.  Auch  in  den  Viehstall  weilen 
wir  einen  Blick,  wo  wir  den  Stolz  Mariens,  der  geschäftigen  Magd,  die  glän- 
zenden wohlgenährten  Kühe  und  Kälber  bewundern,  aus  denen  die  wntli- 
liche  Hausfrau  manchen   willkommenen   Gewinn  zieht. 

Doch  treten  wir  jetzt  in  das  Schulgebäude  seil. st  ein.  da  ohnehin  «bis 
Schneegestöber  draussen  zur  Flucht  in  das  gastliche  Haus  mahnt.  Die  Ein- 
richtung der  Amtswohnung   ist   bald   erkannt.     Wir  treten  von  dem   Estrich 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    XXVIII.  30 


458  Miscellen. 

der  Hausilur  zunächst  in  das  Schulzimmer,  welches  zwar  an  dem  heutigen 
Feste  die  lernbegierige  Jugend  des  Dorfes  nicht  einschliesst,  aber  durch 
Tische  und  Stühle,  Schreibzeuge,  bezifferte  Tafeln  und  Pflöcke  seine  Be- 
stimmung deutlich  verräth  und  diesmal  noch  besonders  im  Schmucke  einer 
grundlichen  Säuberung  prangt.  Ein  rummelndes  Geräusch  wie  von  einer 
Winde  lockt  uns,  einen  Blick  in  ein  anderes  Zimmer  zu  thun,  welches  wir 
sogleich  als  die  Gesindestube  und  den  Schauplatz  der  spulenden  Thätigkeit 
Mariens  erkennen.  Hieran  schliesst  sich  die  Küche  mit  einem  steinernen 
Heerde,  von  welchem  der  Rauch  des  Feuers  unmittelbar  in  den  Schornstein 
aufsteigt.  An  dem  Schornstein  läuft  ein  russichtes  Gesims  hin.  denn  man 
braucht  in  der  Nähe  des  Heerdes  einen  erhöhten  Raum,  um  allerlei  Dinge 
wegzustellen  oder  wegzulegen,  wie  wir  denn  hier  auf  ihm  die  Kaffeemühle, 
das  Beil  und  den  maschigen  Karpfenbeutel  bemerken.  Auch  sieht  man  neben 
dem  Heerde  in  der  Wand  eine  mächtige  durch  eine  Eisenthür  verschliess- 
bare  Oeffnung,  in  welcher  von  Neuem  l-euer  angemacht  ist,  um  die  Wohn- 
stube, deren  Öfen  in  die  Küche  mündet,   tüchtig  zu  heizen. 

Wir  verlassen  nunmehr  die  Küche,  um  endlich,  die  Hand  auf  den  Drücker 
legend,  unsere  Neugier  auf  das  Zimmer  der  Hausfrau  zu  befriedigen,  wo 
das  greise  Ehepaar  von  den  Geschäften  der  Schule  auszuruhen  pflegt.  Wir 
müssen  aber  darauf  verzichten,  Alles  auf  einmal  übersehen  zu  können,  denn 
gar  Manches  vereinigt  sich  hier  auf  einem  Sammelplätze,  was  sonst  in  wohl- 
habenden Bürgerhäusern  auf  verschiedene  Räume  vertheilt  wird. 

Wir  wollen  deshalb  jedes  Einzelne  verweilend  betrachten.  Da  fällt  uns 
zuvörderst  der  Stubenthür  gerade  gegenüber  eine  andere  Thür  in's  Auge, 
welche  wohl  den  Eingang  zum  Schlafzimmer  der  alten  Leute  bildet.  Richtig: 
denn  wir  brauchen  nur  die  Gardinen,  mit  welchen  die  in  der  Mitte  der  Thür 
eingesetzten  Glasscheiben  verhängt  sind,  ein  wenig  emporzuheben,  um  so- 
gleich den  Alkov  zu  erkennen,  dessen  einziges  Wandfenster  jetzt  gerade 
offen  steht,  um  die  frische  Luft  in  das  Gemach  dringen  zu  lassen. 

Zur  Seite  des  Schlafzimmers  an  einer  von  den  Wänden  bemerken  wir 
mit  besonderem  Wohlgefallen  ein  grünes ,  durch  einen  bebilderten  Deckel 
ausgezeichnetes  und  unten  noch  mit  einem  Pedal  versehenes  Ciavier,  welches 
uns  ein  günstiges  Vorurtheil  für  den  alten  Schulmeister  erweckt,  da  er 
gewiss  manche  Mussestunde  der  holden  Tonkunst  weiht  und  sich  durch 
das  Spielen  auf  dem  Instrumente  einen  der  edelsten  Genüsse  bereitet.  Bei- 
nahe hätten  wir  in  dieser  befriedigenden  Wahrnehmung  übersehen,  dass 
auf  dem  Pulte  des  Claviers  noch  ein  offnes  Choralbuch  liegt:  der  fromme 
Greis  wird  also  wohl  schon  am  Morgen  des  Festes  aus  innigem  Dankgefühl 
gegen  Gott  eins  von  den  alten  kräftigen  Kirchenliedern   angestimmt  haben! 

An  der  andern  Seite  des  Alkovs  ragt,  die  ganze  Breite  der  Wand  ein- 
nehmend, ein  mächtiger  eichener  Schrank  empor,  der  wegen  seines  altmo- 
dischen Aussehens  wohl  ein  vor  langen  Jahren  zum  Brautschatz  gekauftes 
Möbel  sein  mag.  Es  gewährt  ein  besonderes  Vergnügen,  so  ein  altfrän- 
kisches Prachtstück  mit  seinen  geflügelten  Köpfen  und  Schnörkeln,  schrau- 
benförmigen Füssen  und  messingenen  Schlüsselschilden  näher  zu  betrachten. 
Oben  stehen  auf  Stufen  sogar  noch  einige  ausnehmende  Zierden:  zwei  Gips- 
figuren, einen  Hund  und  einen  Löwen  mit  herausgestreckter  Zunge  dar- 
stellend; schöne  Trinkgläser  mit  eingeschliffenen  Bildern;  irdene  Tassen 
und  Aepfel,  sowie  zinnerne  Theekannen,  welche  eine  gemüthliche  Erinnerung 
an  die  erwärmende  Kraft  des  würzigen  Getränks  unter  dem  nordischen 
Himmel  hervorrufen. 

Noch  einladender  sieht  der  ungefähr  in  der  Mitte  des  Zimmers  ste- 
hende, ebenfalls  aus  unvergänglichem  Eichenholze  zusammengefugte  Klapp- 
tisch aus,  auf  dessen  Tritte  gerade  jetzt  auch  eine  Katze  in  Erwartung 
kommender  Gäste  behaglich  schnurrt,  immer  von  Neuem  das  Ptötchen  sich 
leckt  und  mit  dem  Putzen  ihres  Bartes  und  Nackens  beschäftigt  ist.  Dann  auf 


Miscellen.  459 

dem  grossen  rothblumigen  Teppich,  mit  welchem  die  gastliche  Tafel  stattlich 
behangen  ist,  liegt  an  der  oberen  Ecke  eine  glanzende  Tischdecke  von  fein 
gemodeltem  Drillich  ausgehreitet.  Die  auf  ihr  stehenden  Kaffeetassen  harren 
des  winterlichen  Labetrunks,  neben  ihnen  prankt  eine  blecherne,  heute  ein- 
mal mit  grossklumpigem  Zucker  gefüllte  Dose,  deren  verführerischer  Inhalt 
jetzt  schon  von  einigen  sumsenden  Fliegen  umschwärmt  wird.  Für  den 
alten  Tamm  und  seine  Gäste  liegen  daneben  auch  Thonpfeifen,  welche  theils 
mit  grünen,  theils  mit  rothen  Posen  als  Spitzen  versehen  sind,  um  Arn 
Lippen  der  Raucher  den  harten  Biss  zu  ersparen,  und  mit  dem  auf  dem 
zinnernen  Teller  befindlichen  edlen  Taback  gestopft  werden  sollen. 

An  der  unteren  Ecke  des  Tisches  liegt  —  ein  ehrwürdiger  Anblick!  — 
auf  einer  Postille,  in  welcher  der  fromme  Alte  mit  Hülfe  der  ihm  jetzt  ent- 
glittenen Brille  erst  gelesen  haben  muss,  das  silberhaarige  Haupt  des  seinen 
Mittägsschlumjqaer  haltenden  Schulmeisters  niedergebeugt.  Neben  ihm  be- 
wundern wir  die  entfallene  Mütze  von  violettenem  lammet,  welche,  mit 
Fuchspelz  verbrämt  und  mit  goldener  Troddel  geschmückt,  gewiss  als  die 
Staatskappe  zu  Ehren  des  Tages  aufgesetzt  war.  Ueberhaupt  scheint  sich 
Tamm,  dessen  übriger  Kürper  in  einem  Lehnstuhl  ruht,  heute  mit  seinem 
sonntäglichen  Hauskleide  herausgeputzt  zu  haben:  wie  festlich  prangt  nicht 
der  Greis  in  gestreifter  Jacke  vun  kalmankenein  Zeuge!  Doch  vergessen 
wir  nicht,  den  Lehnstuhl  selbst  in  näheren  Augenschein  zu  nehmen!  Er  ist 
in  der  That  umerer  Bewunderung  würdig,  da  er  sich,  nach  dem  Geschmack 
jener  Zeit  mit  Schnitzwerk  und  braunnarbigem  Juchtenleder  geziert,  als  das 
zweite  stattliche  Prachtmöbel  des  Zimmers  darstellt.  Auf  seinem  schwel- 
lenden Polster  lassen  wir  den  schlafenden  Haushe.rn  gemüthlich  ruhen  und 
wärmen  uns  jetzt  ein  wenig  an  dem  zur  Seite  des  Lehnstuhls  aus  der  Wand 
hervortretenden  Steinofen,  während  uns  ein  hinter  demselben  grünender 
Korb  Maililien  erfreut.  In  der  Nähe  des  Ofens  bemerken  wir  auch  eine 
Wanduhr,  deren  Dasein  uns  nicht  entgehen  konnte,  da  wir  das  Tiktak  des 
Pendels  vernehmen.  Es  fällt  aber  auf,  dass  die  Schnur  des  Schlaggewiehts 
an  den  Nagel  gehängt  ist,  was  gewiss  die  Frau  Schulmeisterin  gethan  hat, 
damit  das  klingende  Glas  und  der  Kuckuk  den  Mittagsschlaf  des  Vaters 
nicht  störe.  Ist  durch  die  Schwarzwälder  Uhr  der  Pünktlichkeit  im  Ge- 
brauche der  Zeit,  welche  eine  für  einen  Schulmeister  unerlässliche  Tugend 
ist,  Vorschub  geleistet,  so  fehlt  doch  auch  „des  Spiegels  kleine  Nothdurft" 
nicht,  welcher  zwischen  den  Fenstern  hängt.  Wenn  die  schmucke  Greisin 
manchen  zufriedenen  Blick  bei  dem  wichtigen  Geschäfte  der  Ankleidung  in 
ihn  werfen  mag,  so  wird  sie  doch  hierauf  gewiss  nicht  zu  viel  Zeit  verwenden, 
denn  in  der  Nähe  steht  ja  ein  Spinnrad,  um  dessen  schnurrende  Spindel 
die  emsige  Hausfrau,  auf  dem  binsenbefloehtenen  Stuhle  sitzend,  schon 
manchen  Faden  gedreht  hat,  während  sich  die  Blumenliebhaberin  des  spa- 
nischen Pfeffers  und  Goldlacks,  der  knospenden  Rosen  und  Levkojen  tun 
sonnigen  Fenster  erfreute.  Zuletzt  betrachten  wir  mit  Verwunderang  ein 
oben  an  den  Wänden  entlang  laufendes  Gesims,  auf  welchem  sich  sonder- 
barerweise eine  Unmasse  von  Gegenständen  der  Haushaltung  belinden.  So 
fallen  neben  einigen  Thonpfeifen  besonders  eine  stattliche  Reihe  von  zin- 
nernen Tellern  und  Schüsseln  in  die  Augen.  Auch  hängen  an  Pflöcken  ein 
Paar  im  Geschmacke  der  Zeit  blaugeblümte  stettinische  Bierkrüge,  ein  mes- 
singener Feuertopf  zur  Erwärmung  der  Füsse,  ein  Mangelholz,  eine  Waage 
und  eine  zierliche  Elle  von  Nussbaum. 

Ueberschauen  wir  nun  die  Stube  noch  einmal  im  Ganzen,  so  können  wir 
ihr  mit  vollem  Rechte  das  Lob  einer  recht  freundlichen  Behausung  ertheilen. 
Denn  nirgend  sieht  man  ein  Spinngewebe  an  den  Wänden,  oder  ein  Stauli- 
chen auf  den  Gewächsen  ;  die  Dielen  sind  heute  mit  feinerem  weissem  Sande 
bestreut;  die  blinkenden  Zinngeräthe ,  das  schimmernde  ('lavier,  der  mit 
glänzendem  Wachse  gehöhnte  Schrank,  die  weisse  Tischdecke  machen  einen 

30* 


460  Miscellen. 

erheiternden  Anblick ,  und  die  reinen  Gardinen  am  Fenster  und  Alkov 
vollenden  den  Eindruck  einladender  Sauberkeit  und  Behaglichkeit,  welcher 
dem  ganzen  Wohn-  und  Gastzimmer  eigen. 

Crefeld.  Dr.  Niemeyer. 


Die  Nibelungenstrophe  als   das    epische  Maass 
der   neudeutschen  Sprache. 

Diess  ist  der  Titel  eines  dem  Jahresberichte  von  1857  über  die  hie- 
sige Königsstädtische  Realschule  beigefügten,  von  Dr.  Dollen,  Oberlehrer 
dieser  Anstalt  verfassten  Aufsatzes,  in  welchem  aus  einander  gesetzt  wird, 
wie  die  alte  Nibelungenstrophe  zu  verbessern  sei,  und  dass  ihr  für  das 
jetzige  Bedürfniss  mehr  Freiheit  eingeräumt  werden  müsse.  Er  scheint  mir 
aber  die  Grenzen  zu  sehr  zu  erweitern. 

Die  alte  Nibelungenstrophe  besteht  aus  vier  je  zwei  gereimten  Zeilen 
mit  sechs  Hebungen  (die  vierte  oder  Schlusszeile  darf  auch  sieben  haben), 
das  heisst,  betonten  Sylben,  deren  jede  mit  einer  oder  zwei  unbetonten  Sylben 
oder  Senkungen  begleitet  sein,  also  einen  Jambus,  einen  Anapäst,  oder 
einen  Trochäus,  einen  Daktylus  bilden  muss.  Das  jambische  Zeitmaass  herrscht 
aber  vor,  z.  B.  gleich  im  Anfang  der  Nibelungen: 

Uns  ist  in  alten  mären  wunders  vil  geseit 
Von  neiden  lobebären,  von  grosser  arebeit, 

wo  nur  die  zweite  Hälfte  des  ersten  Verses  trochäisch  ist.  Jede  Zeile  theilt 
sich  nämlich  in  zwei  Hälften  oder  Halbzeilen  mit  dem  Einschnitt  nach  der 
Senkung  der  dritten  Hebung,  auch  wenn  die  vierte  Zeile  sieben  Hebungen 
hat,  so  dass  also  nicht  ihre  erste,  sondern  ihre  zweite  Hälfte  um  eine  He- 
bung vermehrt  ist,  z.  B. : 

von  chuner  rechen  striten  |  muget  ir  nu  wunder  hören  sagen. 

Bisweilen  steht  aber  auch  eine  Hebung,  eine  einzige  lange  Sylbe  allein  ohne 
vorhergehende  oder  nachfolgende  Senkung,  z.  B.  in  der  zweiten  Hälfte  des 

Verses: 

Danchwart  der  vil  snelle,  von  Metzen  Ortavin 

die  Sylbe  Ort.  Indess  geschieht  diess  nur  selten,  in  der  ersten  A venture 
von  7G  Zeilen  nur  etwa  sechsmal,  also  ausnahmsweise  wie  der  Spondeus  in 
dem  fünften  Fusse  des  homerischen  Hexameters. 

Der  Verbesserer  des  Nibelungenverses  stellt  dagegen  die  Regel  auf: 
„Ausfallen  darf  jede  Senkung."  Hienach  dürfte  nun  die  Zeile  aus  blossen 
liebungen  bestehen,  und  so  würden  die  sechs  Wörter: 

Wald,  Baum,  Strauch,  Ast,  Zweig,  Blatt  — 

oder  die  Zahlwörter: 

Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs  — 

einen  Nibelungenvers  bilden.  Solch  einen  Vers  hat  denn  freilich  der  Ver- 
fasser in  den  beigegebenen  Proben  nicht  vorzulegen  gewagt.  Die  Nibe- 
lungenzeile bedarf,  wie  gesagt,  ausser  den  Hebungen  oder  betonten  Sylben 
auch  Senkungen  oder  unbetonte  Sylben,  und  die  wesentlichste  derselben  ist 
die  nach  der  dritten  Hebung  des  ersten  Halbverses,  so  dass  dieser  mit  einem 
Trochäus  schliesst.  Solche  Halbverse,  drei  Hebungen  mit  einer  unbetonten 
Sylbe  nur  nach    der  dritten  hat   der  Verfasser  gebildet,    z.  B.    „Tiefaufath- 


Miscellen.  461 

mend,"  und  auch  einen  noch  schlimmeren,  wahrscheinlich  verderbten  aus 
den  Nibelungen  beigebracht,  nämlich:  „Torst  ich  dir'n,"  wo  sogar  die  un- 
betonte Sylbe  nach  der  dritten  Hebung  fehlt,  und  die  zweite  liebung  „ich" 
eigentlich  gar  keine  ist;  ja,  er  hat  sogar  den  folgenden  ganzen  Vers  ge- 
dichtet : 

„Drum  diess  Opfer,  unfruchtbar« 

der,  die  einzige  Senkung  der  zweiten  Sylbe  des  Wortes  Opfer  ausgenommen, 
nur  aus  Hebungen  besteht. 

Wenn  nun  Halbverse  und  ganze  Verse  dieser  Art  zu  missbilligen,  oder 
doch  nur  als  Gerippe  zu  betrachten  sind,  so  kann  ich  mich  doch  nicht  gegen 
die  Aufeinanderfolge  von  zwei  betonten  Sylben  ohne  Dazwischcnkunft  einer 
unbetonten  Sylbe  erklären,  und  billige  daher  Halbverse  wie  „mächtig  auf- 
athmend"  oder  „die  Landgrafen  kamen,"  oder  „Gott  sprach  zu  Adam,  " 
weil  sonst  viele  deutschen  Wörter,  besonders  zusammengesetzte  wie  „anf- 
athmen,  Landgrafen,  frühmorgens ,  kleingläubig"  im  Nibelungenmaass  gar 
nicht  zu  brauchen  wären.  Der  Fehler,  der  dabei  stattfindet,  dass  die  unbe- 
tonte lange  Sylbe,  die  zweite  in  den  zuletzt  angeführten  AVörtern,  betont, 
und  die  vorhergehende,  eigentlich  betonte,  häufig  nicht  betont  wird,  nämlich 
in  den  Zusammensetzungen,  ist  schon  längst  herrschend  geworden,  beson- 
ders durch  Voss,  wenn  es  z.  B.  in  seiner  Uebersetzung  der  Ilias  heisst: 

„Gegen  ihn  rief  antwortend  der  Völkerfürst  Agamemnon" 

wo  man  antwortend,  statt  antwortend  lesen  muss.  Wie  hier  der  Ton  von 
der  ersten  auf  die  zweite  Sylbe  übergeht,  so  behält  aber  in  dem  vorher  an- 
geführten Halbverse  „mächtig  aufathmend,  auch  die  erste  Sylbe  „auf4* 
den  Ton,  ohne  dass  ihn  die  zweite  „ath"  verliert.  Eben  so  hat  der  Ilalb- 
vers  „dicLandgrafen  kamen,"  zwei  Hebungen  in  „Landgrafen,"  wahrend 
eigentlich  nur  die  erste  betont,  und  in  gewöhnlicher  Aussprache  Land- 
grafen zu  lesen  ist.  Aber  ohne  eine  solche  Behandlung  der  Längen  würde 
es  unmöglich  sein,  den  Bau  mancher  griechischeu  Verse  nachzuahmen,_  oder, 
wenn  es  doch  gelänge,  z.  B.  bei  den  Hexametern,  diese  sowohl  wie  die 
Nibelungenverse  zu  einförmig  würden. 

Hinlängliche  Mannichfaltigkeit  lassen  aber  letztere  zu,  wenn  wir  die 
Grundbedingungen  festhalten,  wonach  der  Vers  jambisch  (anapästisch)  oder 
trochäisch  (spondeisch)  anfängt,  zwei  Hebungen  in  der  Regel  durch  eine 
oder  zwei  Senkungen  getrennt  sind,  der  erste  Halbvers  durchaus  mit  einer 
Senkung  schliesst,  die  zweite  Hälfte  der  vierten  Zeile  auch  vier  Bebungen 
haben  kann,  und  nächstdem  der  männliche  Reim,  besonders  in  dm  beiden 
ersten  Zeilen  vorherrscht.  Ausnahmsweise  können  auch  zwei  Hebungen 
auf  einander  folgen,  ohne  durch  eine  oder  zwei  Senkungen  getrennt  zu  sein, 
der  erste  Halbvers  daktylisch  statt  trochäisch  schliessen  und  eben  bo  der 
Reim  kindlich  sein.  Gefahrlich  ist  es,  den  Vers  mit  einer  unbetonten  langen 
Sylbe  anzufangen  (und  dasselbe  findet  bei  der  zweiten  Hallte  statt)  weil 
diese  lange  Sylbe  leicht  betont  wird  und  der  Ilalbvcrs  dann  vier  Hebungen 
haben  würde.  Der  Halbvers  „Wacht  auf,  mei'nc  Freunde"  hessc  sich  da- 
her noch  billigen,  insofern  der  Leser  „wacht"  nicht  betont.  Aber  in  dein 
Halbvers  „Laut  schnauben  die  Stürme"  würde  man  mit  Recht  geneigt  sein, 
die  Sylbe  laut  zu  betonen,  und  dann  vier  Hebungen  haben.  Doch  dar! 
man  wohl  mit  dem  Verfasser  sagen:  ..Solche  Verstärkung  ist  so  lange  er- 
laubt, als  der  Vers  übersichtlich  bleibt. 

Wenn  ich  so  die.  Grenzen  der  Nibelungenzeile  und  Vierzellen,  wie  aus  dem 
Gesagten  erhellt,  nicht  zu  sehr  erweitern  möchte,  stelle  ich  zugleich  anheim, 
ob  man  nicht  diesen  Vers  noch  bestimmteren  Gesetzen  unterwerfen  wolle, 
nämlich  ohne  Ausnahme  die  ersten  beiden  Zeilen  männlich,  die  letzten  beiden 
weiblich  oder,  nur  selten,  wie  sich  von  selbst  ergibt,  bmUlcn  rennen  und 
zugleich  die  erste  Hälfte  der  beiden  letzten  männlich,  d.  h.  mit  der  dritten 


462  Miscellen. 

Hebung  ohne  Hinzufügung  einer  Senkung  schliessen.  Das  wäre  allerdings 
eine  wesentliche,  aber  Mannichiältigkeit  und  Wohlklang  befördernde,  auch 
von  einigen  Dichtern  schon  versuchte  Veränderung  z.  B. : 

Am  herrlichen  Maienmorgen  sitzen    wir  vereint 
Gesund    und  ohne  Kummer,  die  goldne  Sonne  scheint, 
Der  grüne,  belaubte  Hain,  die  Berge,  Thäler  und  Auen 
O  lieblicher  Aufenthalt,  wie  schön  sind  sie  zu  schauen! 

Die  ersten  Hälften  zu  reimen,  wie  bekanntlich  in  dem  ersten  Gebinde 
des  Nibelungenliedes,  ist  nicht  zu  rathen.  Der  Vers  zerfällt  dadurch  zu 
hörbar  in  zwei  Hälften,  und  erhält  ein  lyrisches  Gepräge,  wie  wenn  die 
obigen  Zeilen  etwa  so  verändert  würden: 

Am  herrlichen  Maien  morgen  sitzen  wir  vereint, 
Gesund  und  ohne  Sorgen,  die  goldne  Sonne  scheint, 
Der  grüne,  laubige  Wald,  die  Berg'  und  Thäler  und  Auen, 
O  lieblicher  Aufenthalt,  wie  schön  sind  sie  zu  schauen! 

Endlich  darf  ich  wohl  auf  Zustimmung  rechnen,  wenn  ich  als  Regel 
aufstelle,  —  eine  freilich  auf  alle  Verse  anwendbare  —  dass  der  Nibelun- 
genvers nur  auf  Eine  Weise  zu  lesen  sein  müsse.  Der  von  Dr.  Dollen  ge- 
Dildete  S.  20: 

„Arbeite  mutig  fürder,  du  Vielgetreuer" 

lässt  sich  aber  hinter  mutig  oder  hinter  fürder  theilen.  Im  erstem  Falle 
sind  die  Hebungen  folgendermassen  zu  bezeichnen: 

Ar'bei'te  mu'tig  |  für'der,  du  Viel'getreu'er, 
im  zweiten : 

Arbei'te  mu'tig  für'der,  |  du'  Viel'getreu'er. 

Auch  folgender  Vers  lässt  sich  doppelt  lesen: 

Al'kibi'ades  schie'ne  |  und  wä're,  den  E'cho  beklagt', 
Alkibi'ades  schie'ne  und  wä're,  den'  E'cho  beklagt'. 

Mehr  Freiheit  wünsche  ich  übrigens  nicht  nur  der  Nibelungenstrophe, 
sondern  andern  Versen,  z.  B.  dem  fünffüssigen  Jambus  (dem  reimlosen 
dramatischen),  der  sich  bereits  den  trochäischen  oder  choriambischen  Anfang 
erobert  hat  z.  B.  in  Schlegel's  Uebersetzung  des  shakspearischen  Hamlet : 
„Auf  der  Terrasse"  oder  „Muss  ich  gedenken?"  und  der  sich  auch  den 
Anapäst  erlauben  sollte,  z.  B. : 

Ich  grüss'  euch,  meine  verehrten  Vettern  alle. 

Und  diese  Freiheit,  die  der  Knittelvers,  der  echtdeutsche  Vers,  von  jeher 
gehabt  hat,  sollte  den  gereimten  Jamben,  und  daher  den  italienischen  Acht- 
zeilen, dem  Sonett,  dem  Trimeter  und  der  Terzine  auch  gestattet  sein. 
Aber  diese  Freiheit  bleibe  immer  eine  gemässigte !  Der  von  dem  Verfasser 
gebildete  Nibelungenvers : 

Gott  sprach:  Es  werde  Licht!   und  es  ward  Licht  — 

scheint  mir  ihn  ganz  unkenntlich  zu  machen.  Da  wären  ja  die  freien 
Rhythmen,  wie  in  Goethe's  „Mahomet's  Gesang,"  oder  —  Prosa  vorzu- 
ziehen. 

Räumen  wir  denn  unserm,  auch  mit  den  von  mir  gewünschten  Beschrän- 
kungen noch  immer  selbst  den  Hexameter  an  Mannichfaltigkeit  übertreffenden 
Nibelungenmaasse    nicht    zu  viele  Freiheit    ein,    und    ahmen    wir  darin  den 


Miscellen.  463 

weisen,  kunstsinnigen  Griechen  nach,  die  den  Wechsel  der  Versfüsse  im 
Hexameter  auf  den  Daktylus  und  Spondeus  begrenzten ,  und  die  übrigen, 
welche  sie  früher  auch  dazu  benutzten,  z.  B.  den  Tribrachys  und  den  Änti- 
bacchius  mehr  und  mehr  daraus  verbannten! 

Berlin.  K.  L.  Kannegiesser. 


Die  göttliche  Komödie, 

ein  Gemälde  des  Professors  Vogel  von  Vogelstein. 

Dante  Alighieri's  divina  Commedia  ist  von  jeher  nicht  nur  ein  Gegen- 
stand der  Forschung  und  Erklärung  der  Gelehrten  gewesen,  auch  die  ein- 
zelnen Künste  haben  an  ihrer  Verbreitung  und  Verherrlichung  theilgenommen 
und  sie  als  Quelle  für  ihre  Darstellungen  benutzt,  am  mindesten  jedoch  die 
Tonkunst  und  Bildnerei,  geschweige  die  Baukunst.  "Wenigstens  sind  in  der 
bibliotheca  Dantesca  von  Batines  (Prato  1845)  nur  vier  Tonstücke  dieser 
Art  angeführt,  und  alle  betreffen  dieselbe  Person,  den  Ugolino  im  33.  Ge- 
sänge der  Hölle.  Das  erste,  il  lamento  betitelt,  ist  ein  Werk  des  Vaters 
des  grossen  Galilei,  die  übrigen  sind  zwar  neueren  Ursprungs,  aber  theils 
ungedruckt,  theils,  wenn  auch  gedruckt,  unbekannt  geblieben.  — 

Nicht  viel  mehr  hat  sich  die  Bildnerei  mit  Dante  beschäftigt.  Ausser 
Büsten  des  Dichters,  Schaumünzen,  ihn  selbst  oder  Personen  aus  seinem 
Gedichte  betreffenden  erhobenen  Arbeiten,  und  einer  Marmorgruppe  des 
Paolo  und  der  Francesca  von  der  Signora  Eelicitä  de  Fauveau,  ist  das  be- 
deutendste grössere  neuere  Werk  das  1829  errichtete  Grabdenkmal  Dante's 
von  M.  Stephano  Ricci  in  der  Kirche  S.  Croce  zu  Florenz,  welches  Artaud 
de  Montor  in  seiner  Geschichte  Dante's  beschreibt.  Auf  einer  breiten  Un- 
terlage erhebt  sich  die  einfache  Graburne,  über  ihr  der  Dichter  sitzend,  halb 
ernster,  halb  freudiger  Miene,  auf  der  einen  Seite  das  Standbild  Italiens, 
auf  der  andern  das  der  Dichtkunst.  —  Auch  in  Ravenna  ward  ihm  schon 
14ö3  ein  prächtiges  Denkmal  errichtet. 

Zahlreicher  haben  Dichter  den  Dante,  aber  doch  mehr  ihn  selber  als 
sein  grosses  Gedicht,  oder  doch  nur  Einzelnes  aus  demselben  besungen  oder 
zum  Gegenstande  eigener  Schöpfungen  gemacht,  ausser  Italienern  besonders 
Engländer,  Franzosen  und  zumal  Deutsche,  und  es  wäre  der  Mühe  werth, 
diese  Dichtungen  zu  sammeln,  da  sich  einige  werthvolle  darunter  befinden, 
z.  B.  Byron's  „the  prophecy  of  Dante,"  Victor  Hugo's  „apres  une  leetare 
de  Dante,"  Giacomo  Leopardi's  „sopra  il  monumento  di  Dante,  che  si  pre- 
parava  in  Firenze,"  Unlands  „Dante"  betiteltes  Gedicht,  Lebrecht  Fromm's 
„die  Höllenstrafe  der  Frömmler"  u.  s.  w.  Unter  diesen  Gedichten  sind  auch 
Bühnenstücke.  Eines  derselben  von  Gerstenberg  hat  den  Hungertod  des 
Ugolino  zum  Gegenstand,  und  das  Conversationslexicon  von  Brockhaiis  sagt 
von  dem  ersteren:  „Den  grössten  Ruhm  erwarb  sich  Gerstenberg  durch 
sein  1768  in  Hamburg  erschienenes  Trauerspiel  Ugolino,  das  durch  Beine 
freie  Bewegung,  geniale  Haltung  und  energische  Sprache  alle  übrigen  mit- 
zeitigen  Dramen  überragte,  und,  obschon  bis  zum  Crossen  gesteigert,  ooefa 
jetzt  als  eine  bedeutsame  Erscheinung  angesehen  werden  darf.  -  Gerstenberg's 
Trauerspiel  veranlasste  noch  einige,  aber  unbedeutende,  desselben  Inhalts. 
Siehe  Jördens  Lexicon  deutscher  Dichter  und  Prosaisten.  Leipzig,  1807. 
II,  107.  —  Zwei  andre  betreffen  das  Schicksal  der  FVanceSCa  von  Kiniini. 
von  denen  das  eine  den  Italiener  Silvio  Pellico,  das  andre  nnsern  PantHeyse 
zum  Verfasser  hat.     Das  gediegenste  ist  wol  das  dänische  „Dante"   betitelte 


464  Miscellen. 

von  Molbeg,  welches  das  Priorat  Dante's,  seine  Liebe  zu  Beatrice  und  seine 
Verbannung  behandelt  und  in  den  Blättern  für  literarische  Unterhaltung 
(Nro.  24,   1^55)  von  mir  besprochen  ist. 

Die  Malerei  dagegen  und  besonders  die  Wand-  und  Oelmalerei  hat  sehr 
früh  Personen  und  Vorgänge  der  göttlichen  Komödie  zur  Darstellung  ge- 
wählt. Es  sind  deren  so  viele,  dass  ich  mich  begnüge,  die  vor  etwa  vierzig 
Jahren  erschienenen  Umrisse  von  Flaxmann  ,  sowie  die  späteren  von  Koch 
und  Genelli  (siehe  Petzholdt's  catalogi  etc.  specimen  nonum,  Dresdae  1855) 
hervorzuheben,  um  sodann  bei  einem  Bilde  des  jetzt  in  München  lebenden 
Malers,  Prof.  Vogel  von  Vogelstein,  zu  verweilen,  eines  Mannes,  der  sich 
vorzugsweise  der  Erforschung  der  göttlichen  Komödie  und  der  Darstellung 
derselben  durch  seine  Kunst,  und  auf  eigentümliche  und  erfolgreiche  Weise 
gewidmet  hat.  Das  Gemälde,  welches  er  zuerst  vor  etwa  zwanzig  Jahren 
entwarf  und  in  Oel  ausführte,  zehn  und  eine  halbe  Palme  hoch  und  acht 
breit,  ziert  einen  der  Säle  des  Palastes  Pitti  in  Florenz,  und  ein  Kachbild 
desselben  in  verjüngtem  Maassstab,  zugleich  mit  einem  den  ersten  Theil  des 
Faust  von  Goethe  darstellenden  Seiten-  oder  Gegenbilde,  den  Palast  delle 
Crociette  daselbst;  ein  drittes  Bild  behandelt  die  Äeneis  auf  gleiche  Weise. 
Von  diesem  kleineren  Gemälde  der  göttlichen  Komödie  liegt  mir  eine  etwa 
drei  Viertelelle  hohe  und  etwas  schmälere  Lithographie  vor.  Die  Eigen- 
thümlichkeit  des  Bildes  besteht  darin,  dass  es  das  Gedicht  durch  eine  Anzahl 
von  einzelnen  Darstellungen  zu  umfassen  sucht,  wie  man  in  neuern  Zeiten 
eine  Gegend,  etwa  den  Harz,  oder  eine  Stadt  behandelt  hat,  indem  das 
Hauptbild,  welches  das  Ganze  darstellt,  z.  B.  der  Harz,  in  der  Mitte  von 
den  kleineren  Bergen  und  Ortschaften  der  Harzes  umringt  wird.  Vogel's 
Bild  hat  freilich  schon  durch  seine  Gestalt  eine  künstlerische  Eig'enthümlich- 
keit.  Es  ähnelt  der  dreigegliederten  Vorderseite  einer  gothischen  Kirche, 
und  zwar  des  Doms  von  Orvieto;  der  untere  Theil  enthält  drei  Räume  oder 
Felder  für  die  Hölle,  der  mittlere  etwas  schmalere  fünf,  nämlich  je  zwei 
über  einander  auf  beiden  Seiten,  und  zwischen  den  Paaren  das  gleich  hohe 
aber  breitere  Mittelbild,  der  obere  abermals  drei  aber  giebelförmige  Felder, 
von  welchen  die  beiden  äusseren  und  niedrigeren  Spitzen,  rechts  vom  Be- 
schauer das  Standbild  des  römischdeutschen  Kaisers,  links  das  des  Papstes, 
und  die  mittlere  höhere  Spitze  das  Kreuz  tragen. 

Das  Mittelbild,  um  von  diesem  anzufangen,  enthält  nicht  etwa,  wie  man 
nach  der  vorhergehenden  Vergleichung  erwarten  dürfte,  eine  Uebersicht  des 
ganzen  Gedichtes,  sondern  den,  seinem  bekannten  Bilde  aber  unähnlichen 
Dichter  selbst  in  grösserem  Maass  als  alle  übrigen  in  den  kleinen  Räumen 
befindlichen  Personen.  Dante  sitzt  in  begeisterter  Stellung  auf  einem  in 
einer  Blende  stehenden  erhöhten  Thron  oder  Lehnsessel,  dessen  Arme  in 
schlangenumwundene  Köpfe  auslaufen,  und  dessen  Seitenlehnen  zwei  Engel 
bilden,  das  unbedeckte,  lorbeerumkränzte  Haupt  und  die  Augen  gen  Himmel 
gewandt,  in  der  Linken  eine  Schreibtafel,  in  der  erhobenen  Rechten  eine 
Schreib feder,  wie  mit  der  Aufzeichnung  seines  Gedichtes  beschäftigt.  Unter 
seinen  Füssen  sieht  man  die  Leiche  der  Beatrice  im  offenen  Sarge  und  die 
ihr  vorausgehenden  und  nachfolgenden  Begleiter;  und  im  Hintergrunde  zu 
beiden  Seiten  das  an  seinen  Gebäuden,  besonders  dem  alten  Palast  und 
dem  Dom,  kenntliche  Florenz. 

Von  den  drei  unteren  der  Hölle  gewidmeten  Feldern  zeigt  uns  das 
erste  linke  Eckbild  den  Dichter,  wie  er  im  Walde,  von  drei  wilden  Thieren 
verfolgt,  den  Virgil  erblickt,  der  auf  das  Höllenthor  hinweist,  das  mittlere 
seine  Fahrt  über  den  Styx  auf  dem  Boote  des  Phlegyas  zu  der  flammenden 
Höllenstadt,  im  achten  Gesänge,  indem  ihn  die  Zähzornigen  umringen,  das 
rechte  Eckbild  den  Dis  oder  Lucifer  des  letzten  Gesanges,  den  König  der 
Hölle  im  Mittelpunkte  der  Erde.  In  dem  unteren  rechten  Eckbilde  der  vier  mitt- 
leren Felder  tritt  Dante,  dem  Schlussverse  der  Hölle  gemäss,  aus  dem 
Schlünde  der  Erde  hervor,  wo  er  den  Berg  der  Reinigung  erblickt  und  von  dessen 


Miscellen.  465 

Wächter,  dem  älteren  Cato,  angeredet  wird,  im  unteren  rechten  Eckbilde, 
das  den  zweiten  Gesang  des  Fegefeuers  darstellt,  findet  er  unter  denen, 
welche  erst  in  der  Todesstunde  ihre  Sünden  bereut  haben,  seinen  Freund 
Casella,  den  Tonkünstler,  in  dem  oberen  rechten  Eckbilde  steht  er,  laut 
neunten  Gesanges  am  Thore  des  Fegefeuers  vor  dem  dasselbe  bewachenden, 
auf  einem  Throne  sitzenden  Engel,  der  ein  Schwert  und  zwei  Schlüssel  in 
Händen  hat,  in  dem  oberen  Eckbilde  zur  Rechten  sieht  man  ihn  vor  dem 
Feuer,  das  ihn  von  Beatrice  trennt,  im  siebenundzwanzigsten  Gesänge.  — 
Das  linke  Eckbild  der  oberen  drei  Felder  gehört  noch  dem  Purgatorium : 
Beatrice  erscheint  dem  Dante  als  Stellvertreterin  des  verschwindenden  Virgil, 
im  dreissigsten  Gesänge,  und  macht  ihm  Vorwürfe  wegen  seiner  Fehltritte. 
Die  beiden  andern  erläutern  den  zehnten  und  dreiunddreissigsten  Gesang 
des  Paradieses,  und  Dante  erblickt  in  dem  ersteren,  dem  Eckbilde  zur 
Rechten  den  Kranz  der  Gottesgelehrten  in  der  Sonne,  unter  Andern  den 
Thomas  von  Aquino,  und  im  letzteren  in  der  Mitte  den  dreieinigen  Gott 
selbst.     Unter  jedem  Bilde  steht  der   darauf  bezügliche  Vers  des  Gedichtes. 

Mit  diesen  elf,  oder  eigentlich  nur  zehn  Bildern,  denn  das  in  der  Mitte 
ist  abzurechnen,  hat  der  Maler  freilich  nur  einen  kleinen  Auszug  aus  dem 
reichen  Inhalt  der  göttlichen  Komödie  geliefert.  Einmal  ist  er  auch  von 
dem  Gedichte  ahgewichen,  nämlich  in  der  Darstellung  der  Dreieinigkeit  am 
Schlüsse,  wo  Dante  nur  von  drei  Kreisen  und  drei  Farben  in  Einem  Lichte 
spricht,  der  Maler  aber,  der  gewöhnlichen  Vorstellung  gemäss,  Gott  den 
Vater  und  Sohn,  und  über  ihnen  die  Taube  abgebildet  hat,  wogegen  Flax- 
mann  es  nicht  verschmähte,  die  freilich  wenig  malerischen  drei  Farbenkreise 
mit  dem  menschlichen  Ebenbilde  wiederzugeben.  Aber  theils  ist  die  Aus- 
wahl für  die  kleineren  Bilder  nicht  zu  tadeln.,  theils  ist  das  Möglichste  ge- 
schehen, das  Fehlende  im  Hintergründe,  neben  unten  und  oben  bei  den  ein- 
zelnen Bildchen  hinzuznthun.  Und  wenn  dies  in  dem  Steindrucke  wegen 
der  Kleinheit  des  Maasses  bisweilen  undeutlich  und  fast  unkenntlich  ge- 
worden ist,  so  muss  man  bedenken,  dass  die  Ausführung  in  grösserem  Maass- 
stabe aufwänden  oder  Glasfenstern  diese  Unvollkommenheit  ganz  oder  doch 
grossentheils  wegräumen  würde;  und  in  der  That  wäre  für  die  Darstellung 
der  gewaltigen  Gegenstände  der  göttlichen  Komödie  eine  riesenhafte  Grösse 
zu  wünschen. 

Wenn  der  Maler  so  des  fast  uneingeschränkten  Lobes  würdig  erscheint, 
das  ihm  Giambattista  Giuliani  in  seinem  1844  zu  Rom  erschienenen  discorao 
ertheilt  hat,  so  drängt  sich  die  Fr;ige  auf,  ob  diese  Art  der  malerischen 
Darstellung,  ich  meine  die  Zersplitterung  des  Ganzen  in  mehrere  Theile 
als  Einfassung  eines  grösseren  Mittelbildes  durchaus  befriedigend  sei.  Flax- 
mann's  111  Umrisse,  je  38  für  die  Hölle  und  das  Fegefeuer  und  34  für  das 
Paradies  nebst  einem  Titelbilde  genügen  freilich  nicht.  Aber  Giuliani  selbst 
beschliesst  seine  Abhandlung  mit  dem  Wunsche,  dass  ein  Fürst  den  Künst- 
lern Gelegenheit  geben  möge,  nach  dem  trefflichen  Beispiele  VogePs,  die. 
göttliche  Komödie  in  Marmor  oder  in  einem  grossen  Frescobilde  auszufuhren 
(al  nobile  esempio  offertoci  scolpire  un  marmor  o  dipingere  im  grande  af- 
fresco).  Dann  erst  werde  der  Dichter  ein  Denkmal  erhalten  ,  das  man  sich 
kaum  grösser  und  würdiger  werde  denken,  vergebens  wünschen  können. 
Die  Worte  al  nobile  esempio  offertoci  dal  Vogel  sind  entweder  im  allge- 
meinen Sinne  (wenn  Jemand  irgend  ein  Bild)  oder  im  besondern  zu  nehmen, 
wenn  Jemand  ein  solches  Bild  wie  Vogel's,  das  heisst  eine  Vereinigung  von 
mehreren  einzelnen  Bildern  in  Marmor  oder  al  Fresco  ausführte.  Im  letz 
tern  Falle  würde  ich  der  Aedsserurig  nicht  beipflichten,  sondern  ein  einziges 
Marmor-  oder  Frescobild  vorziehen,  etwa  in  der  Art,  wie  in  dem  palaZZO 
Massimi  Schnorr  Ariost's  ,  Overbeck  Tasso's  und  Cornelius  Dantes  grosses 
Gedicht  behandelt  hat.  Indess  würden  mich  auch  diese  drei  Bilder  nur  be- 
friedigen, wenn  jeder  der  drei  Künstler  das  ganze  Gedieht  EU  Einem  grossen 
Ganzen  verarbeitet  hätte.  —  Kleinere  Gedichte  lassen  sich   auf  diese   \\  eise 


466  Mise  eilen. 

leichter  behandeln,  wie  z.  B.  der  bekannten  Marmorgruppe  Laokoon's  mit 
seinen  beiden  Söhnen  die  Beschreibung  Virgil's  im  zweiten  Buch  der 
Aeneide  zum  Grunde  liegen  soll.  Und  dennoch  hat  der  unbekannte  Bild- 
hauer, wie  Lessing  in  seiner  Abhandlung  gezeigt  hat,  nur  dadurch  ein  so 
vortreffliches  Kunstwerk  hervorgebracht,  dass  er,  sofern  er  später  lebte  als 
Virgil  und  dessen  Aeneide  kannte ,  diesem  keineswegs  durchaus  folgte,  son- 
dern so  weit  von  ihm  abwich,  als  es  seine  Kunst  erforderte.  Ob  eine  solche 
einzelne  umfassende  Darstellung  der  göttlichen  Komödie  einem  Maler  oder 
Bildhauer  möglich  sei,  getraue  ich  mir  weder  zu  verneinen  noch  zu  bejahen. 
Oder  wie,  wenn  die  Bildnerei  und  Baukunst  sich  verbänden,  die  letztere  ein 
Gebäude  errichtete,  dessen  unterirdisches  Gewölbe  die  Hölle,  der  mittlere 
Theil  den  Reinigungsberg  und  der  obere  Stock  das  Paradies  mit  den  Drei- 
einigkeitsringen an  der  inneren  Seite  des  Daches  darstellte,  die  Bildnerei 
es  mit  den  nöthigen  Gestalten  bevölkerte  und  die  Malerei  auch  an  ihrem 
Theile  mitwirkte!  Doch  nein,  das  möchte  mehr  eine  Nacbäflüng  als  ein 
Kunstwerk  werden ;  dem  schöpferischen  Geiste  ist  freilich  auch  das  Schwie- 
rigste nicht  unmöglich.  Dennoch  möchte  ich  behaupten,  dass  eine  andere 
Kunst  diese  Schwierigkeiten  eher  überwinden  dürfte,  obgleich  sie  es  noch 
nicht  versucht  hat,  ich  meine  die  Tonkunst.  Denn  sie  gehört  gleich  der 
Dichtkunst  zu  den  zeitlichen  Künsten,  die  Malerei,  Bildhauerei  und  Haukunst 
zu  den  räumlichen.  Letztere  können  nur  das  Miteinander  oder  in  gleiche 
Zeit  Fallende,  den  Moment  ausdrücken,  oder  höchstens,  wie  Schubart  in 
seiner  Zeitschrift  Paläophron  und  Neoterpe  (Berlin  18i'3,  I.  Heft),  von  dem 
Abendmahle  des  Leonardo  da  Vinci  rühmt,  drei  Momente,  Ursach,  Wirkung 
und  Folge,  oder  ausser  dem  Gegenwärtigen  das  Vorhergegangene  und  das 
Nachfolgende  anschaulich  dax-stellen,  ich  möchte  lieber  sagen,  ahnen  lassen. 
Die  Tonkunst  kann  aber  das  Gedicht,  das  kleinere  Vers  für  Vers,  das  grö- 
ssere doch  in  der  Folge  der  einzelnen  Ereignisse  und  Handlungen  begleiten, 
wenngleich  zu  besorgen  wäre,  dass  sie  für  die  Darstellung  eines  umfang- 
reichen Gedichtes  mehr  Zeit  fordern  würde,  als  man  der  Aufführuug  eines 
tonkünstlerischen  Werkes  einzuräumen  pflegt,  wie  ich  denn  auch  mehr  an 
eine  freie  Umbildung  und  neue  Schöpfung  denke,  etwa  in  der  Form  des 
Oratoriums  und  der  Oper.  Beide  würden  der  Zusammenziehung  des  dich- 
terischen Stoßes,  oder  der  Vertheilung  wenigstens  in  drei  Abschnitte,  in 
welche  ja  die  göttliche  Komödie  sich  selbst  theilt,  bedürfen,  das  Oratorium 
nur  das  Ohr  durch  Gesang  und  Tonbegleitung,  die  Oper  auch  das  Auge 
durch  die  Bühnenausstattung,  also  auch  die  Malerei  und  Bildnerei  in  An- 
spruch nehmen.  Hier  wäre  den  vereinten  Künsten  unter  Vortritt  der  Dicht- 
und  Tonkunst  ein  weites  Feld  geöffnet;  denn  ausser  der  Darstellung  des 
Ganzen  oder  der  Haupttheile  könnte  auch  Einzelnes  bearbeitet  werden,  und 
es  wäre  dann  mit  Giuliani  zu  wünschen,  dass  ein  reicher  Gönner  der  Kunst 
einen  hohen  Preis  für  ein  gelungenes  Werk  dieser  Art  aussetzte,  aber  nicht 
minder,  dass  die  würdigsten  Tonmeister,  gleich  Händl  und  Gluck,  als  Be- 
werber auftreten. 

Berlin.  K.  L.  Kannegiesse  r. 


Nachbildungen    englischer   Dichter. 
Matthew  Arnold. 


Neck  an. 
Wo  sich  das  Vorgebirge 
Hin  in  die  Ostsee  zieht, 
Sitzt  Neckan  mit  der  goldnen  Harf 
Und  singt  sein  Trauerlied. 


Miscellen.  4  67 


Grün  rollet  unterm  Berge, 
Grün  rollt  die  Wog'  im  Wind  — 
Und  drunter,  unter  Neckan's  Fuss, 
Sein  Weib  und  Kinder  sind. 

Er  singt  nicht  von  den  Wellen, 
Korall1  und  Ros'  im  Meer  — 
Von  Erden,  Erden  Neckan  singt, 
Er  hat  kein'  andre  Mahr. 

Er  sitzt  am  Vorgebirge 
Und  singt  mit  Ach  und  AVeh', 
Was  auf  der  Erd'  er  sah  und  fühlt', 
Fern  von  der  grünen  See. 

Singt,  wie  er  fuhr  als  Ritter 
Bei  Schloss  und  Fels  und  Stadt.  — 
Doch  härter  ist  des  Menschen  Herz, 
Denn  das  ein  Seekind  hat. 

Er  singet  seine  Brautfahrt, 
Pfaff",  Ritter,  Frau'n  zumeist.  — 
„Und  wer   bist  Du,"   hub   an  der  Pfaff, 
„Herr  Ritter,  der  Du  freist?" 

„Ich  bin,"  sprach  er,  „kein  Ritten 
Die  Wellen  sind  mein  Reich." 
Die  Ritter  zogen,  Frauen  schrie'n, 
Der  Pfaff  stand  stumm  und  bleich. 

Er  singt,  wie  von  der  Kirche 
Mit  seinem  Lieb  er  schwand 
Und  trug  sie  fort  zum  See  -  Palast 
Tief,  tief  im  Nixenland. 

Er  singt,  wie  sie  sitzt  weinend 
Mit  Muscheln  rings  umher. 
„Der  falsche  Neckan  theilt  mein  Bett, 
Kein  Christenmensch  ist  er." 

Er  singt ,  wie  durch  die  Wogen 
Zur  Erd'  er  stieg  zurück, 
Den  Priester  suchen,  der  ihm  sollt' 
Erfleh'n  des  Himmels  Glück. 

Er  singt,  wie  eines  Abends 
Er,  unter  Birken  bleich, 
Sass  spielend  seine  goldne  Harf 
An  einem  kühlen  Teich. 

Am  Teich  sass  Neckan,  Thränen 
Im  Auge  blau  und  kalt. 
Auf  weissem  Maulthier  von  der  Brück' 
Ritt  bei  ein  Priester  bald. 


468  Miscellen. 

„Was  sitzt  Du  da,  o  Neckan, 
Und  spielst  die  goldne  Harf? 
Mein  Stab  trägt  eher  grünes  Laub 
Eh'  ich  Dich  segnen  darf." 

Fort  ritt  der  Kupuziner 
Bis  er  und  Thier  verschwand, 
Und  Neckan  in  der  Dunkelheit 
Am  Teiche  weinend  stand. 

Wo  sich  das  Vorgebirge 
Hin  in  die  Ostsee  zieht 
Sitzt  Neckan  mit  der  goldnen  Harf 
Und  singt  sein  Trauerlied. 


R  e  q  u  i  e  s  c  a  t. 

Streut  auf  sie  Rosen,  Rosen, 
Doch  keinen  Eibenzweig.  — 
Ihr  Schlummern  stört  kein  Tosen  - 
Wollt1,  dass  ich  war'  ihr  gleich. 

Sie  sonnten  sich  gemeinsam 
In  ihrem  Freudenschein, 
Doch  ihr  Herz  war  einsam,  einsam; 
Und  nun  bleibt  sie  allein. 

Ihr  Leben  ist  vergangen 
In  wechselndem  Sturm  und  Braus, 
Doch  Ruh'  war  ihr  Verlangen  — 
Jetzt  ruht  sie  friedlich  aus. 

Ihr  grosser  Geist,  entsprungen 
Aus  Fesseln  und  aus  Noth, 
Hat  diese  Nacht  errungen 
Sich  Raum  im  weiten  Tod. 


Sehnsucht. 

Im  Traum  komm  zu  mir,  dass  mir  mag 
Recht  wohl  sein  wiederum  am  Tag, 
Denn  d:mn  bezahlt  die  Dunkelheit 
Mehr  als  des  Tages  Traurigkeit. 

Komm,  wie  Du  kämest  tausendmal, 
Ein  Bot'  umsonnt  vom  Freudenstrahl, 
Und  lächelnd  auf  Dein  neues  Reich 
Sei  andern  und  mir  hold  zugleich. 

Komm,  wie  Du  nie  Dich  botest  dar, 
Und  lass  mich  träumen,  es  sei  wahr ; 
Streichle  mein  Haar  und  küsse  mich 
Und  sprich:  mein  Lieb,  was  quälet  Dich? 


Miscellen. 


469 


Im  Traum  komm  zu  mir,  dass  mir  mag 
Recht  wohl  sein  wiederum  am  Tag, 
Denn  dann  bezahlt  die  Dunkelheit 
Mehr  als  des  Tages  Traurigkeit. 

George  Mac  Donald. 


Weisses  Lieb-Lielchen 
Sass  bei  dem  Stein, 
Schmachtend,  und  wartend 
Auf  Sonnenschein. 
Weisses  Lieb-Lielchen 
Trank  Sonnenlicht, 
Weisses  Lieb-Lielchen 
Ihr  Haupt  aulricht't. 

Weisses  Lieb-Lielchen 
Sprach:  Habe  Dank 
Für  weisses  Lieb-Lielchens 
Kleidung  und  Trank. 
Weisses  Lieb-Lielchen 
Geputzet  als  Braut, 
Die  Krön'  auf  dem  Haupte, 
Weiss  glänzend  die  Haut. 

Weisses  Lieb-Lielchen 
Härmet  sich  blass, 
Wartend  und  harrend 
Auf  Regen  nass. 

Bristol. 


Lieb  -  Lielchen. 


Weisses  Lieb  -  Lielchen 
Den  Kelch  aufhält, 
Schnell  kommt  der  Regen 
Und  drein  er  fällt. 

Weisses  Lieb  -  Lielchen 
Sprach:  o  wie  gut, 
Wenn  durstig,  zu  trinken 
Des  Regens  Fluth. 
Jetzt  bin  ich  stärker, 
Gekiihlet  und  wohl, 
Hitze  brennt  nicht  mehr, 
Meine  Adern  sind  voll. 

Weisses  Lieb-Lielchen 
Duftet  so  süss ; 
Das  Haupt  von  der  Sonne, 
Vom  Regen  die  Füss". 
Regen  kam  wechselnd 
Mit  Sonnenschein, 
Machten  Lieb-Lielchen 
Fröhlich  und  rein. 

L.  Meissner. 


La  Villemarqu^„Les  chants  populaires  de  la  Bretagne." 

(Tom  I.) 

La  Villemarque  führt  in  seinem  Werke  „les  chants  populaires  de  la 
Bretagne"  drei  bretonische  Volkslieder  auf  den  Barden  Gwenchlan  zurück,  — 
einen  Sänger,  dessen  Zeit  aus  allen  Gründen  umsichtiger  Kritik  in  das 
sechste  Jahrhundert  verlegt  wird. 

Um  die  Gedichte  ihrem  Werthe  nach  zu  würdigen,  ja,  um  sie  bis  ins 
Einzelne  verständlich  zu  machen,  erlauben  Sie,  dass  ich  in  einer  kurzen  Cha- 
rakteristik die  Zeit  vergegenwärtige,  der  sie  angehören. 

Das  armorikanische  Gallien  war  durch  seine  geographische  Lage,  seine 
Wälder  und  durch  das  Meer  —  bekanntlich  —  von  jeher,  mehr  als  die 
übrigen  Theile  Galliens,  vor  den  Einflüssen  des  Röinerthums  geschützt. 
Hier  war  es  auch,  wo  sich  der  Gesang  der  celtischen  Barden  längere  Zeit 
frei  und  unangefochten  erhalten  hatte.  Ja,  seit  dem  vierten  und  fünften 
Jahrhundert  hatte  die  Kraft  des  Bardenthuins,  durch  Einflüsse  von  aussen  her, 
sogar  Stärkungen  erfahren,  durch  celtische  Einwanderungen  von  England 
herüber.  Besonders  nachdem  im  sechsten  Jahrhundert  die  Sachsen  in  Eng- 
land siegreich  Fuss  gefasst  hatten,  wurde  Afmorika  ein  Land,  das  vom  eel- 
tischen  Stamme  gedrängt   erfüllt  war.     Und   der   sogleich   darauf  folgenden 


470  Miscellen. 

Zeit,  da  die  leidenschaftlichsten  Kämpfe  des  Christenthums  gegen  das  cel- 
tische  Heidenthum  hier  geführt  wurden,  gehören  die  Lieder  jenes  Barden 
an,  die  bis  auf  uns  gekommen  sind. 

Geschichte  und  Lebensverhältnisse  des  Barden  Gwenchlan  lassen  sich 
aus  seinen  Liedern  wenigstens  in  grossen  übersichtlichen  Zügen  zeichnen. 
Von  Jugend  auf  hatte  er  dem  Gesänge  gelebt.  Aber  sein  Leben  fiel  nicht 
in  eine  Zeit,  die  geeignet  war,  dass  auch  der  Gesang,  die  höchste  und  am 
meisten  erhebende  Kraft  der  Seele,  ihn  froh  machen  konnte.  Er  hatte  in 
dem  Kampf  seines  Stammes  gegen  die  christlichen  Feinde  wohl  die  Aus- 
dauer und  Leidenschaft  der  Seinen  erfahren  und  rühmen  können.  Aber  der 
Sieg  war  ihnen  nicht  immer  zu  Theil  geworden.  Und  selbst  musste  er  die 
Uebermacht  der  Feinde  an  einer  ihm  zugefügten  Grausamkeit  empfinden. 
Man  hatte  ihn  geblendet,  und  die  Jahre  des  Alters  brachte  er  hin,  um  in 
seiner  Seele  die  Stimmungen  des  Schmerzes  über  die  Niederlage  der  Seinen 
und  die  des  Hasses  gegen  den  feindlichen  Sieger  immer  wieder  zu  durch- 
leben. Ein  dunkles  Bild  aus  der  Zeit  eines  in  seiner  Reinheit  und  Natur- 
kraft, untergehenden   Stammes.   — 

Die  drei  Gedichte  bilden  in  der  Reihenfolge,  in  der  ich  sie  vortragen 
werde,  eine  natürliche  Stufenleiter,  —  sowohl  in  Bezug  auf  den  poetischen 
Werth,  den  sie  in  sich  tragen, —  wie  in  Bezug  auf  die  Kraft  der  Stimmung, 
die  sie  eingegeben   hat. 

Das  erste  Lied  ist  von  ganz  allgemein  lyrischer  Art.  Es  könnte  von 
jedem  Dichter  gesungen  werden ,  dessen  Klänge  einen  Kummer  vortragen, 
der  die  ganze  Seele  beherrscht  und  niederdrückt.  Aber  seine  charakteri- 
stischen Merkmale,  —  einerseits  eine  auffallende  Kürze,  andrerseits  eine 
grosse  Sicherheit  und  Präcision.  mit  der  es  die  ganze  Natur  und  das  Leben 
anschaulich  macht,  endlich  die  bis  auf  das  äusserste  Maass  gediehene  Ein- 
fachheit des  Wortes,  mit  dem  es  das  Geheimniss  des  Herzens  löst,  —  diese 
Merkmale  erheben  es  zu  einem  der  originellsten  Produkte  prunkloser  Na- 
turpoesie 

Das  zweite  Gedicht  ist  bedeutend  belebter,  —  em  Schlachtgesang  von 
hoher  Kraft,  ebenso  der  Phantasie,  wie  der  Empfindung.  In  poetischen 
Bildern  wird  Feind  und  Freund  vorgeführt.  Alles  ist  symbolisch  — 
aber  eine  Symbolik  der  Anschauung,  nicht  der  Reflexion;  eine  Sym- 
bolik des  selbstständigen  Lebens,  nicht  nach  matter  Berechnung;  eine 
Symbolik  des  Auges,  nicht  des  Verstandes,  —  ähnlich  so  gross  wie  die  in 
der  Vision  des  Propheten  Ezechiel.  Und  durch  die  kühnen  Bilder  des  Ge- 
dichts geht  der  Nerv  des  Lebens,  das  Feuer  leidenschaftlichen  Wollens. 

Das  dritte  Lied  endlich  ist  ein  wahrhaft  diabolischer  Ausdruck  heid- 
nischer Rachestimmungen.  Ich  versuche  nicht,  es  im  Voraus  zu  charak- 
terisiren. 

Das  erste  Lied  könnte  füglich  überschrieben  werden: 

Der  blinde  Barde  Gwenchlan. 

Wenn  die  Sonne  sich  senkt, 
Wenn  das  Meer  aufschwillt, 
Sing'  ich  auf  der  Schwelle  meiner  Thür. 

Als  ich  jung  war,  sang  ich; 
Nun  ich  alt  bin,  singe  ich  noch. 

Ich  singe  bei  Nacht,  ich  singe  bei  Tag, 
Und  ich  bin  kummervoll  dennoch.  — 


Miscellen.  471 

2.   Kriegsgesang  des  Barden  Gwenchlan. 

Ich  sehe  den  Eber, 
Der  aus  dem  Gehölz  kommt; 
Er  hinkt,  ist  verwundet. 
Sein  klaffender  Rachen  voll  Blut, 
Sein  Haar  ist  gebleicht  vor  Alter. 
Von  seinen  Jungen  ist  er  umschlossen, 
Sie  grunzen  vor  Hunger. 

Dort  aber  seh'  ich  das  Meerross, 
Ihm  zu  begegnen,  kommt  es ; 
Da  ziitert  vor  Schrecken  das  Ufer. 
Auch  das  Ross  ist  wei^s, 
Doch  wie  der  blitzende  Schnee ; 
Es  tragt  an  der  Stirne 
Hörner  von  Silber. 
Unter  ihm  brudelt  das  Wasser 
Beim  Feuer  des  Donners  seiner  Nüstern. 
„Bleibe,  fest! 
Meerross,  bleibe  fest ! 
Hau  ihm  auf  das  Haupt ! 
Schlage  stark,  schlage!" 

Die  nackten  Füsse  gleiten  im  Blut. 
„Stärker  noch  !  schlage  zu !  stärker  noch  !" 

Ich  sehe  bis  an  die  Kniee  das  Blut  ihm  steigen, 
Ich  sehe  das  Blut,  wie  eine  Lache. 

„Stärker  noch !  schlage  zu !  stärker  noch  ! 
Morgen  wirst  Du  Dich  ruhen." 

3.  Rachevision  des  geblendeten  Barden  Gwenchlan. 

In  meinem  kalten  Grabe, 
Als  ich  sanft  eingeschlafen  war, 
Hört'  ich  den  Adler  rufen 
Hin  durch  die  tiefe  Nacht. 
Er  rief  nach  seinen  Jungen, 
Nach  allen  Vögeln  des  Himmels. 
Und  wie  er  sie  rief,  da  sagte  er  ihnen : 
„Hebet  Euch  rasch  auf  Euren  beiden  Flügeln! 
's  ist  nicht  verfaultes  Fleisch  von  Hunden  und  Schafen, 
Christenfleisch  ist  es,  das  wir  brauchen!"  — 

„Alter  Meerrabe,  sage  mir, 
Was  hältst  Du  hier?" 

„Ich  halte  das  Haupt  des  Armeehäuptlings, 
Will  haben  seine  beiden  rothen  Augen. 
Ich  kratze  die  Augen  ihm  aus, 
Er  hat  ja  die  Deinen  ausgekratzt."  —  • 

„Und  Du,  Fuchs,  sage  mir, 
Was  hältst  Du  hier?" 


472  Miscellen. 

„Ich  halte  sein  Herz, 
Es  war  so  falsch,  wie  das  meine; 
Es  bat  Deinen  Tod  verlangt, 
Dich  umkommen  lassen  seit  langer  Zeit."  — 

„Und  Du,  sage  mir,  Kröte, 
Am  AVinkel  seines  Mundes, 
Was  machst  Du  dort?" 

„Ich  habe  mich  hierhin  gelegt, 
Seine  Seele  zu  erwarten,  wenn  sie  hindurchgeht. 
In  mir  wird  sie  wohnen,  so  lang'  ich  lebe, 
Zur  Busse  der  Sehandthat,  die  er  beging 
Gegen  den  Karden,  der  ehemals  wohnte 
Zwischen  Roch-Allaz  und  Porz-Gwenn. 


Werner  Hahn. 


Cor  aul  a. 


Une  chanson  satirique  sur  le  Prince  de  Savoie  assez  insignifiante  en 
elle-meme,  mais  qui  pourrait  peut-etre  interesser  maintenant  que  les  regards 
de  l'Europe  sont  diriges  sur  les  evenements  qui  se  passent  de  l'autre  cöte 
des  Alpes,  se  trouve  inseree  dans  une  collection  de  fragments  en  patois 
suisses  publiee  a  Lausanne  en  1842,  c'est  -  a  -  dire  longtemps  avant  que  les 
diplomates  les  plus  clairvoyants  eussent  pu  deviuer  le  role  que  la  Sardaigne 
etait  destinee  a  jouer  en  Italie  et  l'influenee  qu'elle  devait  avoir  sur  le  bon- 
heur  des  peuples  desunis  de  cette  terre  classique,  longtemps  avant  qu'une 
ancienne  maison  princiere  vendit  le  berceau  de  ses  a'ieux  ä  un  puissant  voisin. 

Cette  chanson  dans  le  recueil  est  intitulee  Coraula.  Le  compilateur 
la  fait  preceder  d'une  explication  dans  lttquelle  il  nous  dit  que  leCoraule 
ou  ronde  est  une  chanson  nationale.  Ce  mot  patois  derive  de  l'italien 
Carola,  ronde,  danse  en  rond,  Ringeltanz,  meistens  mit  Gesang  be- 
gleitet, selon  Filippi,  rappeile  le  mot  anglais  Carol,  a  joyful  song, 
selon  Webster,  mais  il  n'existe  pas  en  francais. 

II  serait  d'assez  mince  importance  de  vouloir  fixer  l'epoque  a  laquelle 
cette  chanson  fut  ecrite,  mais  il  est  evident  qu'elle  doit  son  origine  aux 
sentiments  de  joie  eprouves  par  les  Suisses  en  consequence  de  leurs  vic- 
toires  sur  leur  voisin  et  pour  justifier  le  ton  satirique  de  la  chanson  il  suffit 
de  se  representer  les  idees  (i'un  peuple  accoutume  a  triompher  d'un  cöte 
des  Autrichiens,  de  l'autre  des  Böurguignons  et  d'un  troisieme  des  Savoyards, 
idees  bien  naturelles  ii  un  peuple  qui  voit  encore  de  nos  jours  arriver  chaque 
annee  un  contingent  de  ramoneurs,  de  montreurs  de  marmottes  et  de  joueurs 
de  vielle  (Leier)  savoyards,  de  maquignons  et  de  chätreurs  de  coclions  de 
la  Bourgogne,  de  remouleurs  de  la  Lorraine  et  de  chaudronniers  ambulants 
de  l'Auvergne. 

Mais  afin  que  Ton  ne  se  meprenne  pas  sur  les  motifs  qui  m'ont  engage 
b,  communiquer  ce  petit  poeme,  j'ajouterai  que,  tout  en  respectant  since- 
rement  le  principe  de  la  legitiniite  et  tout  en  plaignant  le  malheur  d'un 
Prince  qui  se  voit  arracher  ce  qu'il  a  ete  habitue,  des  sa  naissance,  h.  con- 
siderer  comme  son  patrimoine,  on  ne  saurait  se  refuser  h  admirer  le  cou- 
rage  de  son  adversaire  et  le  service  signale  qu'il  rend  ä  l'humanite  en  resser- 
rant  dans  les  bornes  de  l'ordre  un  mouvement  irresistible  dont  L'eruption 
aurait  pu  produire  des  calamites  plus  sanglantes  encore  que  Celles  de  la  re- 
volution  francaise  ä  la  fin  du  siecle  passe. 


Miscellen. 


473 


Voici  la  chanson  qui  est  en  patois  de  Gruyeres  mele  de  fran9ais  et 
d'expressions  savoyardes,  teile  que  mardjuga,  ma  foi;  —  vertuchou, 
ventre  bleu. 


Noussbron  Prinschou  de  Schavoye 
Lie  mardjuga  on  boun  infan; 
Y  l'ya  leva  oun'  armee 
De  quatrouvans  paijans, 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare! 
O,  rantamplan,  garda  de*vant ! 

Y  l'ya  leva  oun1  armee 
De  quatrouvans  paijans, 
Et  pour  general  d'armee 
Christophliou  de  Carignan, 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare! 
O,  rantamplan,  garda  devant! 

Et  pour  general  d'armee 
Christophliou  de  Carignan. 
Oun  änon  tzerdzi  de  rave 
Por  nuri  le  regiment. 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare ! 
O,  rantamplan,  garda  devant. 

Oun  änon  tzerdzi  de  rave 
Por  nuri  le  regiment, 
Pour  toute  cavalerie 
Quatro  pitis  cayons  blians. 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare ! 
O,  rantamplan,  garda  devant! 

Pour  toute  cavalerie 
Quatro  pitis  cayons  blians, 
Et  pour  toute  artillerie 
Quatro  canons  de  fer  blian. 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare! 
O,  rantamplan,  garda  devant! 

Et  pour  toute  artillerie 
Quatro  canons  de  fer  blian. 
Quan  nou  fum'  sur  la  montagne, 
Grand  Dieu !  que  lou  monde  est  grand ! 
O,  vertuchou,  gare,  gare,  gare ! 
O,  rantamplan,  garda  devant! 

Quan  nou  fum'  sur  la  montagne, 
Grand  Dieu !  que  lou  monde  est  grand ! 
Fajin  vito  ouna  detzerdze 
E  pu  retornin  nojan. 
O,  vertuchon,  gare,  gare,  gare ! 
O,  rantamplan,  garda  devant! 


Notre  Prince  de  Savoie 
II  est  ma  foi  uu  bon  enfant; 
II  a  leve"  une  arme"e 
De  quatre  viugt  paysans, 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare! 
Oh  rataplan,  gare  devant! 

II  a  leve  une  armee 
De  quatre  vingt  paysans, 
Et  pour  general  d'armee 
Christophe  de  Carignan, 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare! 
Oh  rataplan,  gare  devant! 

Et  pour  general  d'armee 
Christophe  de  Carignan. 
Un  äne  charge  de  raves 
Pour  nourir  le  regiment. 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare! 
Oh  rataplan,  gare  devant. 

Un  äne  charge"  de  raves 
Pour  nourir  le  regiment 
Pour  toute  cavalerie 
Quatre  petits  cochons  blancs. 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare! 
Oh  rataplan,  gare  devant! 

Pour  toute  cavalerie 
Quatre  petits  cochons  blancs, 
Et  pour  toute  artillerie 
Quatre  canons  de  fer  blanc. 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare! 
Oh  rataplan,  gare  devant. 

Et  pour  toute  artillerie 
Quatre  canons  de  fer  blanc. 
Quand  nous  fümes  sur  la  montagne, 
Grand  Dieu!  que  le  monde  est  grand. 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare ! 
Oh  rataplan,  gare  devant. 

Quand  nous  fümes  sur  la  montagne, 
Grand  Dieu!  que  le  monde  est  grand  ! 
Faisons  vite  une  decharge 
Et  puis  retournons  nous-en, 
Oh  ventrebleu,  gare,  gare,  gare  ! 
Oh  rataplan,  gare  devant! 

Trachsel. 


Archiv  f.  n.  Sprachen.  XXVIII. 


31 


474  Miscellen. 


Einige  Worte  zur  Entgegnung  auf  die  Beurtheilung 

meiner  Programmschrift  im  Archiv  (XXVII.  4.  Heft  p.  465  u.  f.) 

von  Herrn  Dr.  Immanuel  Schmidt. 

Womit  der  geehrte  Herr  Recensent  schliesst,  damit  muss  ich  anfangen. 
Er  hat  nämlich  allerdings  „einen  falschen  Massstab  an  die  Arbeit  angelegt." 
Für  Gelehrte  und  das  müsste  doch  wohl  heissen  für  Sprachgelehrte  oder 
moderne  Philologen  war  sie  nicht  bestimmt.  Was  ich  bei  der  Arbeit  beab- 
sichtigte, war,  mich,  den  Ausländer,  als  mit  der  englischen  Sprache  und  ihrer 
Literatur  vertraut  zu  dokumentiren  und  das  Studium  beider  zu  empfehlen, 
wie  das  ja  auch  im  Titel  deutlich  genug  gesagt  ist.  Dass  ich  dabei  zunächst 
nur  denjenigen  Kreis,  für  welchen  eigentlich  allein  das  Programm  bestimmt 
ist,  nämlich  den  Vorstand  der  Lehranstalt  und  die  Eltern  der  Jünglinge, 
im  Auge  hatte,  versteht  sich  von  selbst.  Bei  einem  so  umfangreichen  Ge- 
genstande und  so  knapp  zugemessenem  Räume  musste  ich  natürlich  von 
einem  näheren  Eingehen  auf  die  verschiedenen  Punkte,  die  ich  zu  berühren 
hatte,  absehen.  Mit  dem  aber,  was  Herr  Dr.  Schmidt  p.  467  oben  rügt, 
hat  es  eine  andere  Bewandtniss.  Ich  hatte  nämlich  die  Absicht,  auf  manche 
Ungereimtheiten  in  der  französischen  Sprache,  wie  z.  B.  auf  den  Gebrauch 
des  männl.  pron.  possess.  für  eine  weibl.  Person  und  umgekehrt,  hinzuweisen, 
als  es  mir  einfiel,  dass  ich  damit  den  unsre  Anstalt  besuchenden  Franzosen 
zu  nahe  treten  könnte,  wie  ich  das  auch  im  Nachsatz  ausgedrückt  habe.  Da 
ich,  vielleicht  eigensinnigerweise  —  wedded  to  my  words,  wie  der  Engländer 
sagen  würde  —  den  einmal  hingeschriebenen  Satz  nicht  wieder  streichen 
wollte ,  so  half  ich  mir  mit  dem  Gedankenstrich  und  dachte  mir  dabei  sa- 
pienti  sat.  Die  sprachlichen  Berichtigungen  des  Herrn  Dr.  Schmidt  sind 
nicht  stichhaltig.  Wenn  er  p.  466  sagt,  „affecting  the  mind"  sei  kein  glück- 
lich gewählter  Ausdruck,  so  habe  ich  darauf  zu  erwidern,  dass  die  in  allen 
mir  zugänglichenWörterbüchern  zuerst  angegebene  Bedeutung  jenes  Wortes: 
„to  act  on"  ist.  Das  p.  4G7  nach  „as"  von  ihm  eingeschaltete  „of"  ist  ein 
Versehen  seinerseits.  „Historians"  etc.  ist  nämlich  nicht  von  walks,  sondern  von 
„shining  forth"  abhängig,  Also:  shining  forth  as  historians  etc.  Wenn  er 
am  Schlüsse  auf  das  einzige  Gute ,  was  er  von  der  Arbeit  zu  sagen  weiss, 
wieder  halb  zurückkommt,  so  erinnert  mich  das  an  eine  bei  einer  ähnlichen 
Veranlassung  gemachte  Bemerkung  meines  verstorbenen  Collegen  Mr.  Mo- 
nicke.  „They  are  nothing  if  not  critical,"  waren  seine  Worte,  die  Worte 
eines  Mannes,  der  wohl  urtheilsfähig  in  solchen  Dingen  war.  Uebrigens  er- 
laube ich  mir  schliesslich  noch  das  Urtheil  einer  andern  Autorität,  die  ja 
auch  Herr  Dr.  Schmidt  gelten  lässt,  hier  noch  hinzuzufügen:  „I  have  read 
Dr.  Asher's  Essay,"  so  schreibt  R.  C.  Trench,  „on  the  Study  of  the  English 
Language  with  profit  and  pleasure,  and  think  it  might  be  usefully  reprinted 
here.  It  would  open  out  to  many  English  students  of  their  own  language 
some  interesting  points  from  which  to  regard  it,  and  suggest  better  works 
hearing  upon  it,  which  otherwise  they  might  not  have  heard  of.  Any  weak- 
ness  which  it  has  in  respect  of  the  absolute  or  relative  value  of  English 
authors  does  not  materially  affect  its  value." 

Leipzig.  Dr.  David  Asher. 


Miscellen. 


475 


Schiller's  Ode  an  die  Freude, 

in    gereimte  lateinische  Verse   übersetzt   von   Fü  gl  ist  aller. 

(Aus  Ludwig  Eckart's  Monatsschrift :  Die  Schweiz.) 


Gaudium  divinum!  claris 

Genitum  Coelitibus! 
Adsumus,  en!  tuis  aris 

Pleni  sacris  ignibus. 
Vincula  disrupta  maus 

Moribus  tu  reparas. 
Regibus  sub  tuis  alis 

Mendicantes  socias. 

Chorus. 
Vos,  Milleni,  amplexamus, 

Sumite  haec  oscula! 

Ilüc  super  sidera 
Pater  est,  in  quo  amamus! 

Fida  quem  conjunxit  rara 

Sorte  amicitia; 
Cui  data  conjux  cara, 

Promat  sua  jubila! 
At,  qui  animam  nee  unam 

Suam  dicere  queat, 
Deflens  miseram  fortunam 

Lacrimans  hie  abeat. 

Chorus. 
Quidquid  habet  orbis  totus 

Sympathiae  serviat! 

Ad  superna  evocat, 
Ubi  habitat  Ignotus. 

Rebus  omnibus  natura 

Sua  prsebet  ubera, 
Probis  improbisque  cura 

Panis  pandit  gremia. 
Osculi  nos  suavitate, 

Vino,  amicitia; 
Vermes  beat  voluptate, 

Cherubos  ambrosia. 

Chorus. 
O  Milleni,  num  prostrati 

Creatorem  quaeritis  ? 

Sursum  in  sidereis 
Fulgent  sedes  Adorati. 

Gaudium  est,  quod  potentem 
Mundi  ciet  animam; 

Rotat  gaudium  ingentem 
Universi  machinam. 

Elicit  ex  coelo  soles; 
Florum  trudit  germina 


Et  sphaerarum  volvit  molea 
Per  ignota  Spatia. 

Chorus. 
Uti"  soles  exultantes 

Pervolant  sublimia; 

Sic  per  vestra  stadia, 
Fratres,  currite  certantes! 

Veritatem  indaganti 

Luce  ridet  flammea, 
Dux  praecedit  laboranti 

Ad  virtutis  ardua. 
Ejus  signa  gloriosa 

Fidei  irradiant 
Et  per  loca  tenebrosa 

Tumulorum  fulgurant. 

Chorus. 
Quis  non  fratrem  perdurabit! 

Manent  meliora  nos; 

Digna  inter  Superos 
Laurea  nos  coronabit. 

Diis  quid  retribuemus? 

Imitentur  Coelites  ! 
Nobis  lsetis  advocemus 

Ma?stos  atque  pauperes! 
Memor  ita  extinguatur, 

Hosti  detur  gratia; 
Neque  lacrimis  uratur, 

Neque  conscieutia! 

Chorus. 
Debita  sint  aboleta! 

Esto  pax  cum  omnibus! 

Deo,  quse  decernimus, 
Erunt  et  in  nos  decreta. 

Gaudii  divinitatem 

Spirat  fervens  poculum; 
Scytha?  dat  humanitatem, 

Desperanti  animum. 
Fratres!  sedibus  .surgamus, 

Qoando  ambit  amphoral 
Spumis  istis  salutamus 

Vos,  benigna  Numina! 

Chorus. 
Quod  est  stellis  celebratum ; 
Hymno  quod  seraphico    — 
31* 


476 


Miscellen. 


Numini  sidereo 
Merum  hoc  sit  propinatum] 

Vi  malorum  opponamus 

Animum  intrepidum ! 
Quod  vel  hosti  adjuramus, 

-Nulluni  solvat  sasculum ! 
Viri  mente  confidenti 

Stemus  coram  regibus! 
Laurea  sit  comnierenti!  * 

Perfido  interitus! 

Chorus. 

Vincla  sacrius  ligate! 
Vina  bsec  perrubea, 


Vota  vos  solemnia 
Pra?stituros,   conjurate! 

Ruat  Despotum  catena! 

Impius  resipiat ! 
Moribundos  spes  serena 

Facie  affulgeat ! 
Vivant  vita  restaurata 

Quosquos  habet  tumulus ! 
Mala  malis  sint  donata, 

Nee  sit  porro  tartarus ! 

Chorus. 
Levem  nobis  det  extreraum 

Diem;  dulcem  requiem! 

Mitern  nobis  judicem 
Praestet  Numen  se  supremum. 


Nachlese  vom  Schillerfeste. 

Das  Schillerfest  steht  in  seiner  Art  einzig  da.  So  wird  man  uns  einige 
Nachträge  zu  demselben  zu  liefern  wohl  gestatten. 

Am  Harze  lebt  bekanntlich  noch  der  Sohn  eines  von  Schillers  Leip- 
ziger Freunden:  V.  A.  Huber.  Aus  dem  Harze  ist  nur  von  einer  grossen 
Jagd  zu  Ehren  Schiller's  bei  der  Einhornshöhle  unweit  Scharzfetd  berichtet 
worden.  Schiller  habe  diese  Höhle  einst  besucht.  Wo  findet  sich  Näheres 
über  diesen  Besuch  und  was  ist  darüber  zu  ermitteln? 

Zufällig  wurden  wir  darauf  aufmerksam,  dass  der  Festfeier  des  Berliner 
Gymnasiums  zum  grauen  Kloster  nirgends  gedacht  ist.  In  den  grossen, 
von  Baukunst  und  Malerei  verherrlichten  Räumen  desselben  versammelten 
sich  die  Schüler  erst  am  11.  November.  Die  Festrede  hielt  Herr  Professor 
B ollmann.  Alsdann  pflanzte  man  unter  der  Klosterkirche  eine  Schiller- 
linde. Herr  Director  Bellermann  hielt  hier  eine  Ansprache.  Es  wurde 
neben  dem  Baume  gesungen: 

Lass  durch  Deiner  Zweige  Grün 
Dieses  Tags  Erinn'rung  bluhn. 
Denn  den  Enkeln  sollst  Du's  sagen, 
Wie  wir  ihn  geehret  heut', 
Wenn  sich  einst  in  späten  Tagen 
Dieses  Jubelfest  erneut. 

Möge  die  Schillerlinde  nach  hundert  Jahren  mit  der  Schule  zusammen 
grünen  und  blühen! 

An  Druckschriften  erwähnen  wir: 

Eine  Rede  von  Dr.  A.  Steudener:  „Ueber  Schiller's  Bedeutung 
für  die  heutige  Bildung.  (Programm  der  von  der  Familie  v. Witz- 
leben gestifteten  Klosterschule  zu  Rossleben.    Halle,  Druck  der 
Waisenhausbuchdruckerei.  1860.) 

Die  Rede  füllt  S.  3  —  12  des  Programmes.  Steudener  II,  der  Ver- 
fasser eines  vortrefflichen,    für   den  deutschen  Unterricht  sehr  brauchbaren 


Miscellen.  477 

Programines  über  Ludwig  Ufaland .  spricht  sich  in  derselben  über  die  ver- 
schiedensten Punkte  in  Betreff  Schillers  aus.  Im  Ganzen  ist  wohl  der  Ab- 
druck solcher  Arbeiten  in  Zeitschriften  und  die  Benutzung  der  Programme 
für  weniger  allgemeine  Gegenstande  zu  empfehlen. 

Ferner  erschien: 

Rede    zur    Schillerfeier   in  Halberstadt.     Von  Hermann  Masius. 
Glogau.     Druck  und  Verlag  von  Karl  Flemming.   1859. 

Der  treffliche  Masius,  jetzt  Realschuldireetor  in  Dresden,  hat  diese  Rede 
öffentlich  in  Halberstadt  gehalten.  In  diesem  einen  Druckbogen  starken 
Schriftchen  spricht  sich  der  bekannte  Verfasser  der  Naturstudien  mit  der 
glühendsten  Begeisterung  über  Schiller  aus. 

Wir  führen  noch  an : 

Festweihe  zur  Schillerfeier,  im  wissenschaftlichen  Kunstverein 
gesprochen  von  der  Königl.  Hof-  Schauspielerin  Frau  Orelinger. 
Berlin,   den  14.  November  1859.      Druck    von   G.   Bernstein  in 

Berlin. 

Umfasst  einen  Foliobogen  und  enthält  am  Schlüsse  die  Unterschrift 
Friedrich  Forster.  In  Forster's  Gedichte  wechseln  Pathos  und  Humor 
sehr  rasch.  Am  Schlüsse  reichten  sich  die  Künstler  nach  Art  der  Rütli- 
scene  die  Hände  und  sprachen:  ^'ir  wollen  sein  ein  einig  Volk  von  Brüdern, 
in  keiner  Noth  uns  trennen  und  Gefahr. 

Pröhle. 


Herr  Julius  Wollenberg  hat  Archiv  XXVII,  S.  264,  ein  altfran- 
zösisches  Marienlied  mitgetheilt ,  das  Wackernagel  in  den  Altfranzösischen 
Liedern  und  Leichen  S.  69  bereits  nach  einer  andern  Handschrift  edirt  hat. 
Beide  Texte  verbessern  sich  gegenseitig,  wenn  gleich  der  WolL  Text  der 
bessere  ist.  Bei  Woll.  ist  vielleicht  für  enheluez  zu  lesen  enherbez,  das  im 
Dolopathos  allerdings  Vergiftung  des  Getränks  andeutet,  seiner  Natur  nach 
aber  sehr  wohl  gewürzt  heissen  kann.  No  desfäut  bei  Woll.  ist  wohl  nur 
Druckfehler  für  ne  desfaut.  Statt  des  folgenden  Verses  empfiehlt  sich  der 
Wack.  Text: 

Et  Estelle  marine. 

Por  la  bonte 

De  ta  clarte 

Nos  cuers  tous  enlumine 

schon  des  Verses  halber.     Ebenso  ist  tu  es  li  tre.s  douz   paradis  bei  Wack. 
die  bessere  Lesart. 


478  Miscellen. 

Auffallendes  im  Gebrauch  der  deutschen  Sprache. 

„Das  Hohe  Unterrichtsministerium  hat  1  Exemplar  „Illustrirte  geogra- 
phische Bilder"  in  2  Bänden  zum  Schulprämium  herablangen  lassen."  (Progr. 
des  Gymn.  zu  Neusohl  1858,  p.  32)  —  „Unterrichtsministerium  hat  die  Ver- 
fügung getroffen,  dass  die  österreichische  Volkshymne  in  sämmtlichen  Lan- 
dessprachen bei  allen  Schulbücherverschleissen  loO  St.  p.  20  Kreuzer  er- 
halten werden  kann."  (Das.  p.  30.)  „Die  Ausfolgung  dieser  Bücher  an  die 
Schüler  besorgt  der  Gymnasiallehrer  Herr  Kriz."  (Das.  p.  27.)  „Die  Ob- 
sorge über  das  Cabinet  führt  der  Gymnasiallehrer  Herr  Zenger."  (Das.  p.  27.) 
„Alle  Gymnasialschüler,  welche  nicht  nach  Troppau  zuständig  sind,  haben 
sich  zu  ihrem  hierortigen  Aufenthalte  behufs  der  Fortsetzung  der  Studien 
mit  dem  Passe  zu  versehen."  (Progr.  des  Gymn.  zu  Troppau  1859,  p.  71.)  — 
„Einer  der  besten  Schüler  erblindete  auf  das  eine  Auge."  (Progr.  des  Gymn. 
zu  Czernowitz  1859,  p.  36.) —  „Desto  heller  strahlt,  weil  vom  dunkeln  Hin- 
tergrunde umgeben  und  von  demselben  um  so  greller  abstechend,  das  erste 
50jährige  Jubiläum,  welches  das  Gymnasium  beging.  Es  wäre  mehr  als 
Stumpfsinn,  es  wäre  der  schwärzeste  und  unverzeihlichste  Undank  gewesen, 
diesen  Tag  in  träger  Gleichgültigkeit  vorübergehen  zu  lassen."  (Das.  p.  36.) 
—  „Möge  der  Segen  dessen,  der  nichts  Gutes  unbelohnt  lässt,  und  wäre  es 
auch  nur  ein  einem  Durstenden  dargereichter  Trunk  Wasser  oder  gar  blos 
ein  guter  Gedanke,  auf  dem  frommen  Werke  des  Unterstützungs- Vereins 
auch  ferner  ruhen!"  (Das.  p.  38.)  —  „Geschenk  von  der  Frau  Rosa  Honig, 
Professors -Gemahlin."     (Progr.  des  Gymn.  zu  Pressburg  1859,  p.  26.) 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Allgemeines. 

H.  Steinthal.  Charakteristik  der  hauptsächlichsten  Typen  des  Sprachbaues. 
(Berlin,  Dümniler.)  2  Rthlr. 

F.  W.  Farrar,  An  essay  on  the  origin  of  language.  (London,  Murray.)  5  s. 

H.  Weber,  Etymologische  Untersuchungen  I.  (Halle,  Waisenhaus- Buch- 
handlung.) 15  Sgr. 

Lexicographie. 

Mittelhochdeutsches  Wörterbuch  v.  W.  Müller  u.  F.  Zarncke,  3  Bände, 
5.  Lieferung.  (Leipzig,  Hirzel.)  1  Rthlr. 

A.  Scbeler,  Dictionnaire  d'etymologie  francaise  d'apres  les  resultats  de  la 
science  moderne.  1  Livr.  (Bruxelles,  Muquardt.)  12  Sgr. 

Grammatik. 

A.  Schleicher,  Vergleichende  Grammatik  der  indogermanischen  Sprachen. 

(Weimar,  Böhlau.) 
Grammaire   comparee   des   langues   de  la   France  par   Louis  de  Baecker. 

(Paris,  Franck.)  l2/3  Thlr. 

Literatur. 

H.  Düntzer,  Würdigung  des  goetheschen  Faust,  seine  neuesten  Kritiker 
und  Erklärer.     (Leipzig,  L)yk.)  15  Sgr. 

H.  Düntzer,  Neue  Goethestudien.     (Nürnberg,  Bauer  &  Raspe.)  12'3  Thlr. 

San  Marte,  Parcival- Studien ,  1.  uud  2.  Heft.  (Halle,  Waisenhaus -Buch- 
handlung.) 5  Rthlr. 

Das  Nibelungenlied.  Uebersetzt  und  mit  einer  literarhistorischen  Einleitung 
und  Anmerkungen  versehen   von  Oswald  Marbach.    (Leipzig,  Lorck.) 

1   Rthlr. 

O.  Vilmar,  Zum  Verständnisse  Goethe's,  Vorträge.  2  Aufl.  (Marburg,  El  wert.) 

1    Rthlr. 

Le  roman  du  renard.  Mis  en  vers  d'apres  les  textes  originaux  p.  Ch.  Potvin 
(Leipzig,  Dürr.)  26'  .,  Sgr. 

Chateaubriand.  Etüde  historique  p.  L.  Figuier.  (Paris,  Hachette.)  3  fr.  50  c. 

Milton's  Comus.  Uebersetzt  und  mit  einer  erläuternden  Abhandlung  begleitet 
von  I.  Schmidt.   (Berlin,  Haude  &  Spener.)  20  Sgr, 


480  Bibliographischer  Anzeiger. 

Lord    Macaulay,    his    life    and    writings    by    G.    J.    Clements.     (London, 

Whittaker.)  2  s.  6  d. 

Political  Ballads  of  the   seventeenth   and  eigteenth  centuries.     Annotated  by 

W.  Waker  Wilkins.  2  Vols.   (London,  Longman.)  18  s. 

G.  Th.  v.  Radhart,   Rede   auf  Sir  Th.   B.  Macaulay,   den   Essayisten  und 

Geschichtsschreiber  Englands.   (München,  Franz.)  5  Sgr. 

W.  »Shakspeare,  Julius  Caesar  übersetzt  v.  A.  Kolb.     (Stuttgart,  Schaber.) 

10  Sgr. 
A.  Woyke,   Proben   neuerer  polnischer  Lyrik  und  Epik.     (Berlin,  Nicolai.) 

iy,  Thlr. 
L.  Wihl,   les  Hirondelles,   poesies   allemandes,   traduites   en   francais ;   avec 

un  essai  sur  la  litteYature  juive.     (Paris,  Hachette.) 

Hilfsbücher. 
A.  Pe schier,   Entretiens  familiers  a  1'usage  des   ecoles.     (Stuttgart,  Neff.) 

12  ssr- 

J.  H.  Schmick,   Sketches  f'roni  english  liistory.     (Bremen,  Müller.)     8  Sgr. 
Shakspeare's  Julius  Caesar;  erklärt  v.  Th.  Jancke.  (Cbln,  Dumont.)    12  Sgr. 


PB       Archiv  für  das  Studium 
3  der  neueren  Sprachen 

A5 

bd.28 


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