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ARCHIV
FÜR DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND UITE RA TÜREN.
HERAUSGEGEBEN
VON
LUDWIG HERRIG,
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XV. JAHRGANG, 28. BAND.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON GEORGE WESTERMANN.
18 60.
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Inhalts -Verzeichniss des XXVIII. Bandes.
Abhandlungen. Seite
Proben baskischer Dichtkunst. Von K. L. Kannegiesser . . . 1
Ueber Amadis von Gallien und die bedeutendsten Ritterromane der
Spanier. Von Dr. Herrni an n -Twiste 21
Ueber Was und Welches. Yon Haupt 53
Epitre de saint Paul aux Ephesiens et Histoire de sainte Susanne.
Par J. W 75
Deutsche Sprichwörter auf biblischem Grunde. Von C. Schulze. . 129
Etymologische Untersuchung der geographischen Namen. Von Dr. C.
A. F. Mahn. . • . . ' 149
Die Entwicklung der Lyrik in der klassischen Literaturperiode. Von
Dr. Schede r 165
Erklärung Uhlandischer Gedichte. Von Dr. R. Foss 1»7
Ueber die Gedichte Ludwig's des ersten Königs von Baiern. Von K.
L. Kannegiesser 209
Die Tieksche Uebersetzung des Coriolan und ihre Bearbeitung durch
T. Mommsen. Von F. A. Leo 233
Racine's Athalia. Von Dr. Schröder 24 5
Sur 1c soi-disant idiome bourguignon. Von J. Wollen berg. . . . 259
Sitzungen der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen. 285
Schillcr's historisches Taschenbuch für Damen für das Jahr 1792. Von
Dr. Kuhlmey 361
Zur angelsächsischen Literatur. Von E. Müller 377
Beiträge zur englischen Lexicographie. Von Dr. A. Hoppe. . . . 385
Sitzungen der Berliner Gesellschaft tür das Studium der neueren Sprachen. 417
ßeurth eilungen und kurze Anzeigen.
Wörterbuch der deutschen Sprache. Von C. F. L. Wurm .... 89
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 93
Germania. Herausgegeben von F. Pfeiffer. (Dr. Sachse.) . . . . 95
Erklärung schwieriger Ausdrücke in Jeremias Gotthelfs gesammelten
Schriften. Von A. von Rütte 97
Aufsatzschule. Von J. H. Möwing 97
Deutsche Aufsätze. Von J. Venn. (Dr. Sachse.) 98
Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache. Von C. Schulze (H.) 99
Elementarbuch der französischen Sprache. Von Dr. C. A. Witten-
haus. (B.) 99
Lehrbuch der französischen Sprache. Von Dr. C. Plötz. (O. Weiss.) 101
Vorschule der Dichtkunst. Von IL ViehofF. (Dr. E. Laas.) . . . 296
Lehrbuch der französischen Sprache. Von Dr. C. Plötz. (Dr. O. Weiss.) 305
Germania. Herausgegeben von Fr. Pfeiffer. (Dr. Sachse.) . . . . 305
Leitfaden zur Geschichte der deutschen Literatur. Von IL Kurz.
(Dr. Laas.) 308
Friedrich der Grosse. Von K. Biedermann. (Dr. Büchsen schütz.) 313
Abriss der deutschen Metrik. Von Dr. E. Niemeyer 313
Fragments du Faust de Goethe. Traduits par G. Braunhard. (Weigand.) 314
Praktisches Handbuch Air den Unterricht in deutschen Stilübungen.
Von Ludwig Rudolph. (Hülsen.) 425
Die Schweiz. Illustrirte Monatsschrift, herausgegeben von L. Eckardt
und P. Volmar 426
Deutsche Weibnachtslieder. Von K. Simrock 430
Milton'a Comus, übersetzt von Dr. I. Schmidt. (H.) 43 l
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. (Dr. Sachse.) .... 437,
Zeitschrift für Stenographic und Orthographie von Michaelis. . . . 440
Jahrbuch für romanische und englische Literatur 440
Les anciens poetes de la France. (G. Buch mann. ) 441
Italienische Sprachlehre, von A. Mussafia. (Prof. Dr. St aedler.) . . 445
Lehr- und Uebungsbuch der Italienischen Sprache, von Prof. Dr. G.
L. Staedlcr. (Prof. A. Boltz.) 453
Pro»; r a ramensc h a u.
Le Phormion de Terence et les fourberies de Scapin de Moliere. Par
C. Et. Ilumbert 103
Essai sur les principales analogies des langues francaise et anglaise.
Von Dr. Maass 104
Remarques grammatieales et litteraires sur deux traduetions de la
cloche de. Schiller. Von Dr. Maass. (Crouze.) 105
Ueber deutsche Orthographie. Von Dr. Pfefferkorn 3is
Kern: Etymologische Versuche 319
Das Epitheton ornans. Von Dr. H. Storch. . . ■ 320
Das Fest der Sonnenwende. Von Dr. Witzschel 3-21
Ernst: Grundlinien zu einer Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 321
Madiera: Vergleichende Charakteristik des Achilles aus der Iliade und
des Siegfried aus den Nibelungen - . . . . 322
Ueber den Charakter Kriemhildens in dem Nibelungenliede und der
Nibelungennoth. Von Ed. Dressel 322
Ueber die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Weimar. Von
Dr. Heiland 323
Ueber Gebrauch und Auffassung der griechischen Götter in Schillers
Gedichten. Von Dr. W. Grosser. ... 324
Shakspeare und unsere Schulen. Von Dr. L. Bernhard 325
Frau von Guion, die Freundin Fenelons 32 6
M i s c e 1 1 e n.
Seite 107 —126. 327 — 358. 455 — 478.
Bibliographischer Anzeiger.
Seite 127 — 128. 359--360. 479—480.
Proben baskischer Dichtkunst.*)
Um die Untersuchung der Geschichte der Basken, des im
Nordosten Spaniens und in dem daran grenzenden Westen Frank-
reichs zwischen dem Ebro und Adour noch vorhandenen, jetzt
auf 7 bis 800,000 Bewohner zusammengeschmolzenen, uralten,
von den weitverbreiteten Iberern abstammenden Volkes, und
zumal der in Wort- und Satzbildung höchst eigenthümlichen, von
den Basken selbst Euscara, Eskuara oder Esquera genannten
Sprache, sowie der schriftlichen Denkmäler derselben, haben
sich besonders Franzosen und Deutsche verdient gemacht,
namentlich Wilhelm von Humboldt in zwei Schriften, in den „Be-
richtigungen und Zusätze zu Adelung's Mithridates über die
cantabrische oder baskische Sprache, Berlin 1817" und in der
„Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens
vermittelst der baskischen Sprache, Berlin 1821," sodann Fran-
cisque Michel in „le pays basque etc. Paris 1857," und E. A. F.
Mahn in seiner kürzlich erschienenen, auch durch eine einlei-
tende umfassende Sprachenvergleichung sich auszeichnenden
Schrift, „Denkmäler der baskischen Sprache, Berlin 1857."
Aus beiden letzteren, besonders aus Michel's reichhaltiger,
Urschrift und Uebersetzung in das Französische enthaltenden
Blumenlese sind die Lieder entnommen, welche ich hier in einer
zumal der Form nach freien Uebersetzung mittheile. Es findet
in der baskischen Dichtkunst keine Sylbenmessung , sondern
nur Sylbenzählung statt, wie in den sämmtlichen westeuropä-
*) Vorgelesen in der Gesellschaft für das Studium der neuern Sprachen
etc. in Berlin den 5. April 1859.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 1
2 Proben baskischer Dichtkunst.
ischen Sprachen, der Reichthum an Reimen ist gross, aber es
wird häufig unrein und willkürlich abwechselnd gereimt.
Der Gesang der Cantabrer.
Das älteste auf uns gekommene dichterische Erzeugniss
der Basken ist ein Lied, oder richtiger der Anfang eines Liedes,
ein Rest der Kriegsgesänge der Cantabrer , eines vorzugsweise
kriegerischen Stammes der Basken, aus der Zeit ihrer Kämpfe
mit den Römern, von welchen sie unter Kaiser Augustus zwar
besiegt, aber nicht völlig unterjocht wurden. Wilhelm von
Humboldt sagt, dass es ihm im Lande selbst aus einer in mehr
als vierzehn Foliobänden bestehenden Manuskriptensammlung
mitgetheilt sei, welche ein gewisser Juan Ibannez de Ibarguen
machte, als er 1590 den Auftrag erhielt, die Archive von Simanca
und Vizcaya zu durchsuchen. Ibarguen fand dies Lied auf
einem alten, schon halb von Würmern zerfressenen Pergament,
es war sehr lang, er begnügte sich desshalb, sechszehn Sätze
oder Strophen abzuschreiben. Der Ueberrest ging unstreitig
nachher verloren. Die biscayschen Gelehrten schreiben diesem
Liede ein hohes Alter zu, und setzen es in die ersten Jahre
nach dem cantabrischen Kriege. Wie es jetzt vorliegt, mag es,
wegen des erst später vorkommenden Namens Biscaya, überar-
beitet sein. Humboldt fügt hinzu, dass der Ausdruck etwas
Eigenthümliches und das Gepräge der Rauheit eines ungebildeten
Volkes habe, und macht auf die Einfachheit der beiden in dem
Liede vorkommenden Gleichnisse aufmerksam. Auch in der
Form unterscheidet es sich. Alle späteren baskischen Gedichte
haben Reime und bestehen aus 2-, 4-, 8- und lOzeiligen Ge-
binden, dieses hat keine Reime, nur einige, wie es scheint, zu-
fällige Halbreime oder Assonanzen mit Ausnahme des je vierten
auf denselben Reim ausgehenden Verses , der nur drei oder
vier Sylben enthält, während die je ersten drei Verse mehrsylbig,
meistens fünfsylbig sind. Als Probe schreibe ich die vier ersten
Gebinde ab.
Lelo, il Lelo; Romaco aronac
Lelo! il Lelo; Aleguin, eta
Leloa! Zarac Vizcayac daroa
II Leloa. Cansoa.
Proben baskischer Dichtkunst. 3
Octaviano Ichasotatic
Munduco Jauna Eta leorrez
Leocobidy Ymini deuscu
Vizcaycoa. Molsoa.
Zum Verständniss der im Einzelnen nicht ganz aufzuhel-
lenden Dunkelheiten sagt Humboldt: „Als August die Canta-
brer besiegte, zogen sie sich auf einen hohen Berg zurück , auf
dem die Kömer sie durch Abschneidung aller Lebensmittel zur
Uebergabe zu zwingen suchten." Auf diesen Umstand spielt
die siebente Strophe an. Das in der vierzehnten verstümmelten
Strophe vorkommende Wort Uchin ist nach Ibarguen der Name
des cantabrischen Feldherrn, der nach dem Frieden sich in Ita-
lien niederliess und Stammvater des Geschlechts der Urbino's
wurde. Unmittelbar nach dem Frieden scheinen die Cantabrer
einen Anführer Lecobidi gehabt zu haben, der in dem dritten
Absätze genannt wird. „Die erste Strophe bezieht sich auf eine
Sage, welche gleichfalls Ibarguen, und, wie er versichert, nach
dem Zeugniss einer alten Schrift erzählt. Lelo war ein ange-
sehener Mann in Vizcaya. Während eines Feldzuges, den er
ausserhalb seines Vaterlandes zu machen genöthigt war, trieb
seine Frau Bulschaft mit einem gewissen Zara. Lelo kehrte
zurück und beide vereinigten sich, ihm das Leben zu rauben.
Der Mord gelang ihnen, aber die That wurde ruchtbar, und man
beschloss in einer Volksversammlung, in der die beiden Ehe-
brecher aus dem Lande verwiesen wurden, dass bei dem An-
fange jedes Gesanges immer zuerst des unglücklichen Lelo
erwähnt werden sollte. Das Sprichwort betico Leloa, d. h. das
ewige Lelo, womit man die zu häufige Wiederholung derselben
Sache bezeichnen will, scheint sich auf diese Erzählung zu be-
ziehen. Bemerkenswerth ist noch die Aehnlichkeit dieser Sage
mit der Geschichte Agamemnons. Allein auch in andern bis-
cayischen Volksmärchen kommen griechische Geschichten und
Mythen unter einheimischen, und selbst oft unter Heiligennamen
vor." — Ich habe dies meistens mit Humboldts Worten erzählt,
der auch eine, wie er selbst sagt, dem Sinne möglichst entspre-
chende Uebersetzung hinzufügt. In der meinigen bin ich der
Form ziemlich treu geblieben. Sie lautet mit Weglassung der
13., 14., und 15. verstümmelten und unlesbaren Strophe:
Proben baskischer Dichtkunst.
Lelo, todt Lelo !
Lelo, todt Lelo !
Lelo! durch Zara
Erdolcht ward er.
Wir beben mit nichten
Bei Waffen gleich heit;
Trog des Brots, du bist
Erkrankt und leer.
Die Fremden, die Römer
Entboten Kraft, und
Das Siegslied anstimmte
Biscaya's Heer.
3.
Octavianus
Und Lecobidi,
Weltherr ist Jener,
Biscaya's der.
4.
Octavianus
Umschloss uns, hernieder
Stieg er von den Bergen,
Er kam vom Meer.
Die Ufer der Flüsse,
Die Wälder und Haine,
Die Höhlen der Berge
Bedrängt' er sohwer.
6.
Wir treten ihm muthig
An günstigen Pässen,
Wir setzen entgegen
Ihm tapfere Wehr.
Schwer sind die Kürasse,
Die Jene tragen,
Wir tanzen in leichtern
Behend daher.
Wir haben nicht Ruhe
Bei Nacht noch bei Tage.
Der Krieg, fünf Jahre
Schon dauert er.
10.
Wenn Einen der Unsern
Die Feinde tödten,
Erschlagen wir ihnen
Fünf Zehnd' und mehr.
11.
Doch sind sie zahllos,
Und wir nur wenige,
Wir machten Vertrag drum,
Nun ruht der Speer.
12.
Dem Land der Feinde,
Wie unsern Marken —
Ohn' Band wird dem Saumthier
Die Last zu schwer.
16.
Die starken Eichen
Erkranken an Kraft,
Verlässt sie das Bohren
Des Spechts nicht mehr.
Der Gesang Altabiscars, wahrscheinlich des Namens
einer Landschaft in den Pyrenäen, der nächstälteste uns erhal-
tene, betrifft die Zeiten der Kriegszüge Karls des Grossen gegen
die Cantabrer, zumal den Untergang seines Heeres bei Ronce-
Proben baski scher Dichtkunst. 5
valles , und soll auch aus jenen Zeiten herrühren. Auffallend ist
der in dem Gesänge vorkommende Name Carlomano, scheinbar
Karlmann, aber wahrscheinlich mit Charlemagne zu vergleichen,
wesshalb ich ihn durch Karl übersetzt habe. Die Urschrift be-
steht aus willkürlich längeren und kürzeren, und, mit einer Aus-
nahme vor dem Schluss, reimlosen, meine Uebersetzung aus ge-
gereimten Zeilen:
Es erscholl ein Schrei
In der baskischen Alpen Reih.
Des Hauses Eigner tritt hervor,
Und spricht mit lauschendem Ohr:
„Was ist's? Es war, als ob es rief/'
Und der Hund, der zu den Füssen des Herren schlief,
Springt auf, Altabiscars Gauen erfüllend mit Bellen.
Ebanneta's Schluchten aufs neue gellen
Von der Rechten nieder,
Von der Linken wieder.
Nun dumpfes Gemurmel, es naht ein Heer,
Nun Antwort herab von des Berges Steile —
Es ist der Hörner Klang,
Es ist der Unsern Kriegsgesang. —
Der Hausherr schärft die Pfeile.
„Sie kommen, sie kommen! Wie ragen die Partisanen!
Welch ein Wald von Lanzen, wie flattern die Fahnen !
Wie blitzen die Waffen! Mein Bursch, schau, schau!
Wie viel sind's Banner? Zähle genau!"
— Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn,
Bis fünfzehn, bis zwanzig kann ich sehn. —
„Und mehr noch erscheinen, wir wollen's nicht hehlen;
Doch lass uns die Zeit nicht verbringen mit Zählen.
Fort, fort, wir sind ja stark und gewandt,
Zu schleudern Steine vom Klippenrand,
Felsstücke zu wälzen herab
Von den Almen,
Sie zu zerfleischen, zu zermalmen.
Sie sollen im Engpass finden ihr Grab.
Was wagten sie sich auf solchen Pfad?
Was wollen sie hier auf unsrem Grat ?
Die Berge, zu Grenzen ja sind sie gesetzt,
Weh Jedem, der sie mit Frevel verletzt!
Ha, sieh, sieh jetzt !
Die Blöcke, die Schollen, die Schrollen,
C Proben baskischer Dichtkunst.
Sie springen, sie stürzen, sie rollen.
Die Feinde, zerbrochen
Sind ihnen die Knochen,
Wir haben uns an den Frechen gerochen.
Flieht, flieht, was noch übrig, in wildem Lauf,
Mit dem rothen Helm und den schwarzen Federn darauf,
Flieh, Karl! Flieh du, sein Genosse,
Du, Roland, auf eiligem Rosse !
Mut ward euch zum Verderben verliehn.
Sie fliehn, sie fliehn!
Wo sind nun die Partisanen?
Wo der Wald von Lanzen? Wo flattern die Fahnen?
Wo blitzen noch Waffen ? 0 Bursch, schau, schau !
Wie viel sind der Banner? Zähle genau!
Sind es zwanzig, sind es fünfzehn, sind es zehn, sind es sieben?
Nicht vier, drei, zwei sind übrig geblieben.
Ich sehe nicht eins. —
Nein, keins !
Vorbei ist's. Geh heim, Hausherr, mit dem Hunde nun,
Mit Frau und Kindern in Frieden zu ruhn !
Nach Schlachtengebraus
Stelle fort die Waffen, und dann schlaf aus!
Indessen verzehren die Adler die Leichen,
Und der Feinde Gebeine werden bleichen.
Nach diesen beiden ältesten Gedichten, zwischen deren
Veranlassung und wahrscheinlich auch Entstehung ein Zeitraum
von achthundert Jahren liegt, finden sich in der Sammlung von
Michel noch einige ähnliche, hauptsächlich aus der neueren Zeit,
eines aber auch aus dem Mittelalter, das freilich nur noch in
Bruchstücken vorhanden ist, und sich auf die Schlacht von
Beotibar am 19. September 1321 bezieht, in welcher die Gui-
puzcoaner über die Biscayaner in einem Bürgerkriege den Sieg
davontrugen.
Der Vicomte von Belsunor, Bruchstück eines Volks-
gesanges, preist das ganze adliche Geschlecht der Belsunor
aus dem spanischen Navarra, besonders aber den Abkömmling,
welcher bei Hastenbeck den 20. Junius 1757 sich auszeichnete,
und 1764, von seinen "Wunden geheilt, nach seiner Heimath
zurückkehrte.
Das Lied zu Ehren des Grafen von Estaing,
Proben baskischer Dichtkunst. 7
eines französischen Seehelden, der, geboren 1729, zuerst in
Ostindien, dann nach einer längeren Gefangenschaft in Nord-
amerika sich als Krieger bewährte, 1783 die vereinigte Flotte
von Frankreich und Spanien befehligte, trotz seiner Freiheits-
liebe aber am 28. April sein Leben unter der Guillotine verlor,
ist dem vorigen, aber mit wenigem Glücke, nachgebildet.
Das Volksfest ist ein komisches Spottgedicht auf die
französische Revolution, welche die freiheitsliebenden Basken
dennoch nicht begünstigten.
Nationalfest.
Der Pfarr zu Sankt-Pe, zum preislichen Feste
Lud alle Welt er zusammen als Gäste,
Ein Nationalfest feierte man, —
Ich schildr' es, so gut ich nur immer kann.
Frühmorgens ein Trupp von alten Weibern
Zog mit herausstaffirten Leibern
Zum Marktplatz; da sie sich sahen allein,
In ein Wirthshaus gingen sie flugs hinein.
Sie sprachen zum Wirthe, die Weiber, die alten:
„Wir wollen ein wenig uns hier aufhalten,
Wir kamen zu früh, wir essen derweil,
Bring, Wirth, was Du hast, wir haben Eil.."
Sie essen, sie trinken, ein Liedchen, man singt es.
„Auf Deine Gesundheit. Frau Schwester!" so klingt es.
„Es lebe — so ruft man mit hohem Ton —
Es lebe, ja lebe die ganze Nation!"
Die Augen der Alten, — sie sprühen vom Glänze,
Sie heben die Beine zum baskischen Tanze,
Sie hüpfen, sie springen, mit keuchender Brust.
Heut gilt es zu feiern mit Freud' und mit Lust.
Drauf gingen sie wieder hinaus aus dem Hause,
Mit tobendem Lärm und mit wirrem Gebrause,
Und als man auf dem Platze sie schaut,
Da lacht man über ihr Wesen laut.
Der Pfarr blickt aus dem Fenster hinunter,
Und spricht: „Ei, Kinder, so recht, ihr seid munter.
Ihr tanzet, so tanzet nur fort, ich bitt', v
Ich komme hinunter, ich tanze mit."
8 Proben baskischer Dichtkunst.
Die Weiber, sie sprechen mit lallendem Schalle:
„So kommt denn, wir kennen als Tänzer euch alle,
Führt auf den Tanz, ihr lustiger Gauch,
Trotz eurem gemästeten, kuglichten Bauch!"
Und es kommt und dreht sich der Pfarr, der runde;
Da lachen die Weiber aus offenem Schlünde,
Die runzlichen Arm' in die Seite gesetzt;
Und der Volkshauf jubelt, weidlich ergetzt.
Die Alten, sie stehen nicht lang', sie umringen
Den Pfarr, und fassen beim Arm ihn, und springen.
Zu Haus' indess die Männer, traun,
Sind hungrig: „Wo bleiben denn unsre Fraun?" '
Sie machen sich auf, sie kommen, sie grollen,
Sie sehn ihre Frauen springen und tollen.
Als der Pfarr sie erblickt, tanzt weiter er nicht,
Steht still, geht freundlich zu ihnen und spricht:
„Dominique und Johann, hier gibt es Getöse,
Trinkt, thut mir Bescheid und seid nicht böse !
Es lebe die Nation, stimmt ein !
Heut gilt es zu tollen, und wacker zu schrein.
Ihr Männer, ihr Frauen, wer will es uns wehren?
Ein Jeder muss heute sein Gläschen leeren;
Dann gehn wir alle friedlich nach Haus'!"
Also geschah's und das Fest war aus.
Es folgen Gesänge auf den Abenteurer Muilagorri, der
Anhänger bald der Karlisten, bald der Christinos war.
Der Baum von Guernica, ein geschichtliches Lied,
dessen Verfasser unbekannt ist, besingt den Baum, unter welchem
die Junta von Alava mehrere Jahrhunderte ihre Versammlungen
hielt. Die Uebersetzung lautet:
Der Baum von Guernica,
Er sei gebenedeit!
Geliebt wird er vom Volk
Der Basken weit und breit. —
Verbreite deine Frucht
Nach jedem Ort und Raum !
Wir ehren höchlich dich,
Du lieber, heiiger Baum!
Probenba skischer Dichtkunst. 9
Wohl tausend Jahre sind
Vergangen bis an jetzt,
Seit hier in Guernica
Gott diesen Baum gesetzt.
Steh aufrecht immerdar !
Denn in dem Augenblick,
"Wo du fielst, traf auch uns
Ein gleiches Missgeschick.
Nein, nein, geliebter Baum,
Dein Stamm ist fest und steht,
Wenn's in Biscaya nur
.- Der Junta wohlergeht.
Wir lehnen uns an dich,
Denn uns gehörst du zu,
Damit der Basken Volk
In Frieden leb' und Ruh.
Ja, wachs' und grüne fort,
Und werd' uns untreu nie!
Wir bitten Gott darum,
Und werfen uns aufs Knie.
Wenn wir ihn angefleht,
Wie in vergangner Zeit,
Dann bleibst Du uns, o Baum,
Jetzt und in Ewigkeit.
An die bisherigen Lieder sind noch zwei aus der Zeit der
neueren Kriege der Spanier untereinander und gegen die Fran-
zosen anzuschliessen. Der Anfang des ersten Liedes ist fol-
gender :
Viel Leute wollen Donna Isabelle
Als unsre Königin nicht anerkennen :
Don Carlos müsse man an ihrer Stelle
Den Erben Spaniens und König nennen.
Indessen Einge diess,' das Andre meinen,
Wünsch' ich, dass weder Sie noch Er regire.
Die besten Könige, so will's mir scheinen,
Sind Brot und Wein nebst Bündlein Geldpapiere.
Das andre mag ganz hier stehen, es ist betitelt
Napoleon und Harispe.
Napoleon, Herr der Franzosen du,
Und grosser Held in Kriegeszügen!
10 Proben baskiä eher Dichtkunst.
General Harispe, du dazu,
Krieg, edler Baske, war dein Vergnügen.
Von Saragossa warst du einmal
Und aus Valencia gekommen.
Verwundet ward unser General
Der für Napoleon hell entglommen.
Wild ging's in Saragossa her,
Man schall des Weichbilds Unterfangen.
Harispe setzte sich zur Wehr ;
Wie sollt' ihm doch vor Räubern bangen !
Gross ist dein Ruhm, o General,
Und auch geheilt sind deine Wunden.
Zu zählen deiner Thaten Zahl,
Dazu gehörten viele Stunden.
Die Wunden sind — sie kennt die Welt —
Vernarbt, lasst Gott uns Dank abstatten!
Werd' hundert Jahr' alt, theurer Held,
Und deine Gattin mit dem Gatten !
Die Sammlung besteht ferner aus einer verhältnissmässig
bedeutenden Anzahl von Liebesliedern in verschiedener Form,
mehrere sind erzählend, einige auch gesprächlich, und noch
mannichfacheren Inhalts, freudvoll und leidvoll, hoffend und ver-
zweifelnd, bittend und klagend , warnend und spottend, und
nicht wenige den besten Troubadours- und Minneliedern an
Unbefangenheit, Innigkeit und Glut gleichzustellen, viele zu-
gleich bildlich oder allegorisch. Aus älterer Zeit scheinen die
beiden ersten elegischen zu sein: die Braut von Tardets
und die Geliebte im Kloster. Das erstere fängt bildlich an:
Zu Tardets gilben Citronen zwei,
Ongriagarath, der Spanier wirbt um die eine.
Man spricht, wann gereift das Pärchen sei,
Soll eine von beiden werden die seine.
Der Cretine ist ein Gespräch zwischen einem Hirten,
einem vermeintlichen Cretinen und einer Hirtin, seiner Geliebten,
welche er aber überzeugt, dass er es nicht ist. Er sagt:
Ob Jemand als Cretin geboren,
Das sieht man leicht an seinen Ohren.
Gross ist das ein', und ihm gepaart
Ein rundes, und das ganz behaart.
Proben baskischer Dichtkunst. 11
Sie wird dadurch zufriedengestellt, indem sie antwortet:
Dann bist du keiner, deine beiden
Sind, mein' ich, nicht zu unterscheiden.
Ich sag' es gleich dem Vater an,
Und andern Sinnes wird er dann.
Hier noch einige Liebeslieder.
Die Geliebte.
Ich seh' die Theure Die Eiche, die man
Wol nimmermehr. Gefällt allhier,
Ist sie ein Sternlein Die arme wähl' ich
Im Himmelsheer? Zum Bilde mir.
Dann wünscht' ich, dass ich Bald bin ich völlig
Ein Stern auch war. Vergleichbar ihr.
Doch ihr, der Theuern
Geliebten mein,
Ihr soll, es hegt sie
Mein Herzensschrein,
Mein letzter Seufzer
Gewidmet sein.
Klage und Weigerung.
Kein Stern am trüben Himmel lacht,
Es regnet, dunkel ist die Nacht ;
Doch regn' es, dunkl' es noch so sehr,
Mit froher Hoffnung komm' ich her.
Du bist mein Stern, bist Du zu Haus'?
O schau zum Fensterlein hinaus!
Ich steh schon lang' und warte hier,
Wie gerne plaudert' ich mit Dir!
„Hinausschaun? Nein das, geht nicht an,
Nachrede, schlimme, gab' es dann.
Du bist wie Alle, dünkt' es mich,
Und kein Vertraun setz' ich in Dich."
Vertrau mir, holde Schöne Du,
Ich füge Dir nichts Uebles zu.
Lass rühren Dich! Wüsst' ich nur wie!
Ich falle vor Dir auf die Knie.
„Nein nicht um Alles in der Welt!
Fall draussen hin, wenn's Dir gefällt.
12 Proben baskischer Dichtkunst.
Du wirst nicht beugen meinen Sinn,
Drum geh zu einer Andern hin.
Abendbesuch.
Die Wachtel schlug im Weizenfeld im Julius und August;
Als ich von Dir zurückgekehrt, vernahm den Schlag ich just.
Nun fenstr' ich hier, die Liebe will's, und so hab' ich gemusst.
Der Liebe, die es redlich meint, fehlt Gegenliebe nicht,
Und nie, ich liebe Dich so sehr, thu' ich auf Dich Verzicht ;
Nein, nimmermehr, ich schwör es Dir, bis mir das Auge bricht.
Sieh, wie der Vogel seine Brut im Loche speist am Ast.
All junge Bursche haben Fraun, was mir auch, dünkt mich, passt.
Das Alter, liebe Mutter, hab' ich ja zum Freien fast.
Wie lieblich ist das Veilchen doch in süsser Frühlingszeit !
Dass ich zuletzt mein Liebchen sah, ist eine Ewigkeit.
Her musst' ich, sonst fiel ich bei ihr ganz in Vergessenheit.
„0 nicht doch, ich vergass Dich nicht, ich denke täglich dran,
Um Dich erlitt ich schon so viel ein Mädchen leiden kann,
Und feuchte desshalb immerfort mein Brot mit Thränen an."
Die Nacht ist dunkel, weit der Weg und stürmisch weht der Wind,
So lass mich Dein Gesicht denn sehn, Du liebes, holdes Kind,
Und lass mich ein und öffne mir das Pförtchen ganz geschwind!
Und mag die Nacht auch dunkel sein, es fehlt an Lichte nicht,
Gleich einem hellen Sterne glänzt, mein Liebchen, Dein Gesicht;
Und bin ich in dem Kämmerlein, find' ich Dich ohne Licht.
Der Rosen strauss.
Im Februar schickt' einen Rosenstrauss
Ich einem jungen Herren zum Geschenke.
Gepflanzt hau' er den Strauch bei mir zu Haus';
Ich bat ihn, dass er mein dabei gedenke.
Ich glaubt' ihm zu bereiten Freud' und Glück,
Der Strauss war meiner ja nicht mehr als seiner;
Jedoch er wies und sandt' ihn mir zurück,
Und schwur, das er nicht denken wolle meiner.
Wolan, Du lieber Strauss, willkommen sei!
Ich achte Dich als Theil von meinem Leben.
Proben baskische'r Dichtkunst. 13
Ich schwöre Dir, dass ich mich ganz Dir weih,
Ich will den Namen jenes Herrn Dir geben.
Singt, Schwestern, immerhin ein frohes Lied!
Ich aber bin betrübt, betrübt zum Sterben.
Und jener jungen Herren Freundschaft flicht!
Ich that es nicht, und das ist mein Verderben.
Liebesabschied.
Kraft frischer Jugend schwing' ich
Mich wie die Schwalbe hin und her,
Und manche Nacht verbring' ich
Als ob ein Tag es war',
°'
Bei meinem holden Schatz.
„Solch wunderlich Geplauder
Muss mir fürwahr gehässig sein,
Und flösst mir minder Schauder
Als Mitleid mit Dir ein.
°»
Hinweg, hinweg mit Dir!"
Wie kannst Du doch ergrimmen!
Denn nur aus Lieb' ereifr' ich mich.
Weltmeere zu durchschwimmen
Bin ich bereit für Dich.
0,
Denn Du bist schön, sehr schön.
„Und wenn ich schön auch wäre,
Doch war' ichs nicht für Dich, es gibt
Ja Andre, die beehre,
Und werd' in sie verliebt!
Geh hin zu ihnen, geh!" —
Der dieses Lied gesungen,
Den schmerzte solch ein Abschied nicht,
Und auf sein Pferd geschwungen
That diesmal er Verzicht.
o,
Es gibt der Mädchen viel.
Die Liebeslieder beschliesse ein Lied auf den Ehestand.
14 Probdn baskischer Dichtkunst.
Eheleute, wie gefällt euch euer Leben ?
Soll auch ich dem Ehestande mich ergeben,
Oder bleib ich lieber, wie ich jetzo bin ?
Wollt' ich eine Schöne nehmen,
Müsst' ich, weil sie faul, mich schämen.
Wählt' ich die mit rother Nase,
Eänd' ich sie wol stets beim Glase.
Einer Bleichen sich vermählen
Heisst sich selbst die Bleichsucht wählen.
Eheleut', ihr habt kein neidenswerthes Leben,
Mich bewahrt vor eurem Loos mein frischer Sinn.
Den Liebesliedern gesellen sich die Trinklieder. Mit dem
Trank ist zwar hauptsächlich der Wein gemeint; dennoch haben
die Basken ein ziemlich langes von zwölf zehnzeiligen Gebinden,
in welchem Wein und Wasser um den Vorrang streiten. Das
Wasser sagt zum Beispiel:
Durch mich erfrischt wird Wies' und Feld,
Wenn Dürre sie gefesselt hält,
Sei es durch Thau nach Sonnenglut,
Sei es durch Regens milde Flut.
Damit nicht bloss Landkrämer handeln,
Lass auf dem Meer ich Schiffe wandeln.
Und o, der Täufling harret mein,
Zum Christenthum führ' ich ihn ein.
Darauf antwortet der Wein:
Auch hierin steh' ich Dir nicht nach ;
Denn als das Brot der Heiland brach,
Da fügt' er auch den Wein hinzu.
Der heiige Trank bin ich, nicht Du.
Nicht feiern könnte man das Mahl,
Glänzt' ich nicht itzt noch im Pokal ;
Und noch zuletzt, wenn nah das Ende,
Sehnt sich der Mensch nach meiner Spende,
Dass fromm, von mir die Lippe feucht,
Zu Gott empor die Seele fleucht.
Gegen den Schluss vergleicht sich das Wasser in folgenden
Worten mit dem Wein:
Du bist oft nützlich, oft auch schädlich,
Ich immer nützlich, immer redlich,
Proben baskischer Dichtkunst. 15
loh reize nicht, verführe nicht,
Der Wahrheit gleich' ich und dem Licht.
Das Lob des Weines wird in folgendem Liedchen gesungen :
Ein Mann, der Wein nicht hat,
Den acht' ich lebenssatt.
Nach Wein im Todesleide
Schrein seine Eingeweide.
Doch stärkt' ihn Weingenuss,
Und zwar im Ueberfluss,
Wer er auch immer sei,
Er gilt mir dann für zwei.
Die Liebe zum Weine und die Trunkenheit scheint übrigens
bei den Basken zu Hause zu sein, und nicht blos bei dem
männlichen, sondern auch bei dem weiblichen Geschlechte, und
fast in noch höherem Grade , denn die Sammlung bietet nur
ein Lied betitelt: der Trunkenbold, aber zwei auf Trinkerinnen,
und schon in dem früher mitgetheilten Liede „Nationalfest"
erschienen die Frauen zwar als Tänzerinnen, aber zugleich als
Schlemmeiinnen. Hier ist das kleinere, obgleich das grössere
noch komischer, und freilich auch derber ist.
Im Dorfe gibt es der Mädchen vier,
Die gehen gern in's Wirthshaus hier,
Wo jüngst ich des Abends sie sämmtlich fand,
Ein Glas mit Wein gefüllt in der Hand.
„O lieber, köstlicher Trank!" so rief
Die Erste — „schon sitzt mir die Mütze schief."
Die Zweite sprach: „Was kümmert Dich das?
Ich wollt' ich ertränk' in dem Glas, in dem Fass!"
Die Dritte sprach: „Gebt auf euch Acht,
Sonst werden wir von den Menschen verlacht."
Die Vierte sprach zur Wirthin: „Schenk' ein!
Wer denkt an Andres jetzt als an Wein?"
Ich gebe aus meinen Uebersetzungen nun noch eine Reihe
von Gedichten sehr verschiedenen Inhalts. Die beiden ersten
zeigen uns die Basken von zwei entgegengesetzten Seiten, als
ruhige und zufriedene Ackersleute und Dorfbewohner, die sich
mit den Städtern fast im Tone des Matthias Claudius vergleichen,
und als verwegene Schmuggler, in deren Liede die erste Zeile
IG Proben baskischer Dichtkunst.
an den Gesang von Altabiscar erinnert. Ein drittes Gedicht
bezeugt den Widerstand der Basken wegen der ihnen einge-
räumten Vorrechte, der sogenannten Fueros, gegen die Spanier
als ein mit ihnen nicht zu vermischendes Volk, und ihren An-
schluss an die Franzosen, und ist daher mit dem „Napoleon und
Harispe" betitelten zu vergleichen. Dann folgen drei kleine
Gedichte. Den Schluss machen drei ernste, ein Klagelied um
den Tod einer Mutter, einige Zeilen auf den Sonntag und auf
Christi Leiden und Sterben.
Der Ackersmann.
Glück und Heil dem Ackersmann!
Jhm verdanken wir das Leben;
Denn er strengt sich täglich an,
Dass die Felder Korn uns geben.
Seiner Amme pfleget sich
Gern der Säugling zuzuneigen.
Ackersmann ernähret Dich,
Dankbar musst Du ihm Dich zeigen.
Aber ihm, der stets sich müht,
Und der Allen dient zum Heile,
Ob es kalt, ist, ob es glüht,
Ihm wird Undank oft zu Theile.
Städter deckt sich Abends zu,
Und verschläft sogar den Morgen ;
Ackersmann hat wenig Ruh,
Früh und spät hat er zu sorgen.
Kümmert Zeitenwechsel ihn?
Nein, denn wachsen die Geschäfte,
Sind ihm Kräfte doch verliehn,
Und er schont nicht seine Kräfte.
Deinethalb gibt er sich Preis,
Städter, lässt vom Sturm sich beizen;
Er begnüget sich mit Mais,
Und Dir bringet er den Weizen.
"Was ein König einst versprach,
Wird's ihn Sonntags nie erlaben ?
Ja, er muss dann — sprecht es nach ! —
Auch sein Huhn im Topfe haben.
Proben baskischer Dichtkunst. 17
Der Schmuggler.
In Uhart, Arneguy, Altabiscar
Nehm' ich die Nacht heut meine Zeit wohl wahr,
Trotz Mauthnern hoff ich mich schon durchzufechten,
Wenn sie zur Linken gehn, geh' ich zur Rechten.
Die Mutter spricht: „Du bist dem Frosche gleich,
Den sein Gequak verräth im Wasserreich.
Dem Gemsbock ist das stille Springen eigen,
Der Bär pflegt stumm den Schafen sich zu zeigen."
Wenn ein Geweih am Kopf dem Gemsbock ward,
So dunkelt auf dem Kinne mir der Bart ;
Der Bär ist stumm, die Hirten nicht zu Avecken,
Mich soll ein Ruf den Zöllnern nicht entdecken.
Das Wild verführt man oft durch List und Trug;
So thun wir Mauthnern auch mit Recht und Fug.
Wir machen schwer es ihnen, uns zu treffen,
Und kennen alle Pfad', um sie zu äffen.
Die Gems liebt Höhn, der Maulwurf liebt die Kluft,
Der Fisch das Wasser, und der Aar die Luft.
Als Fisch, Aar, Maulwurf, Gems soll man mich kennen,
Man soll mich Rockelaure bald, bald Mina nennen.
Es dunkelt. Horch, die Eul' im Walde klagt!
Ich geh, und Du sei, Mutter, unverzagt!
Hätt' Acker mir und Wiese Gott gegeben,
Dem Landbau weiht' ich gerne dann mein Leben.
Die in der Ebne haben gute Zeit,
Wir oben mit den Zöllnern ewgen Streit.
Der Berg trägt wenig oder keine Aehren,
Schleichhandel muss uns Bergbewohner nähren.
Ade und gute Nacht, lieb Mutter Du,
Und auch dem Vater wünsch' ich sanfte Ruh.
Ich habe Mut. Thät Noth es, zeigen würd' ich,
Dass ich ein Spross bin, edler Abkunft würdig.
Spottlied.
Lebour und Soul und Kleinnavarra, alle
Zusammen lasst uns gehn mit Kriegesschalle
Zum Marktplatz in Madrid in Rang und Reih,
Und singt: „Franzosen stehn die Wege frei.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 2
Proben baskischer Dichtkunst.
Ihr Feinde, tanzt, wir singen euch ein Liedel,
Der Franzmann spielt den Tanz auf seiner Fiedel,
Die Bomb' ist Pauk', Karthaun die Flöte wohl,
Die Spanier führen auf die Carmagnole.
Die Spanier werden wie in alten Tngen
Mit den Franzosen schwerlich sich vertragen.
Das dauert wol im Himmel selbst noch fort,
Franzos' und Spanier schlagen sich auch dort."
Ein Priester Sanct Johann's liess diess erklingen,
Und durch ganz Baskenland mag man es singen
Dem Frankenherrscher und uns selbst zum Glimpf,
Jedoch den Spaniern zu .Spott und Schimpf!
Die Mitgift.
Mein Vater gab mir eine schöne Mitgift,
Ja Mitgift, Mitgift, Mitgift!
Die bunte Kuh, bubu,
Gluckhenn' und Küchlein, glugluglu,
Und einen grossen Sack und Zwiebeln drin.
Ach, wo, wo ist sie nun, die schöne Mitgift?
Ja Mitgift, Mitgift, Mitgift!
Ein Wolf zerriss die Kuh,
Der Fuchs die Hühner glugluglu,
Die Zwiebeln faulten, Alles ist dahin.
Unglück und Glück.
Ein Unglück war es zwar, es sei!
Doch mein ich, war ein Glück dabei.
Ein Bär biss eine reiche Maid,
Die reichste Erbin weit und breit.
Er biss und zauste sie, indessen
Aus Achtung hat er sie nicht aufgefressen.
Die armen Reisenden.
Geld, wenn wir das hätten,
Ja, Geld!
Gern ward' uns da betten
Die Welt.
Der Beutel zur Stunde
Ist leer,
Kein Bissen im Munde,
Proben baskischer Dichtkunst. 19
Kein Tröpfchen im Schlünde.
Woher ?
Wirthsmadchen, Du liebes,
Versteh
Mitleidigen Triebes
Solch Weh!
0 fülle den Becher
Mit Wein,
Lass gütig die Zecher,
Uns müdeste Schacher,
Hinein !
Klase um den Tod der Mutter.
Die Glocke von A-ussurucq
Wehklagt, als ob sie weine.
Ach, unsre theure Mutter starb
Beim ersten Morgenscheine.
Augustsachtzehnter Tag ist heut,
Tag voll von Kümmernissen:
Da ward die liebe Mutter uns
Um drei Uhr früh entrissen.
Im heissen Sommermond August
Vertrocknen oft die Quellen;
Doch unsrer Augen Quelle wird
Von ewgen Thränen schwellen.
August, Du böser, schlimmer Mond,
Dein Strahl ist pestentglommen.
Du hast die Herzensmutter uns
Durch Deine Glut genommen.
Ein früher Tod, ein traurger Tod !
Du bist, o helle Sonne,
Nicht minder oftmals Mörderin
Als unsre Freud' und Wonne.
Wenn Gute reisen, regnet es,
Hier regnet es schon lange.
Fleht Gott an, dass das Mütterlein
Er mild und hold empfange.
Jetzt thut der Himmel hell sich auf,
Ich seh die Engel schweben.
2*
20 Proben baskischer Dichtkunst.
Jetzt steigt ein Engel himmelwäts,
Indess wir jammernd leben.
Michel vergleicht den Schluss mit einigen Versen in der 2.
Canzone der vita nuova:
Ich hob die Augen, die in Thränen schwammen,
Und sah, dem Regen gleich von süssem Manna,
Die Engel schweben zu des Himmels Auen.
Der Sonntag.
Am Sonntag ist zu prüfen unsre Pflicht,
Wie oft wir in der Woche überschritten
Den Willen Gottes, und, wenn rein wir nicht
Uns fühlen, um Vergebung ihn zu bitten,
Die Seele reinigend gleichwie den Leib.
Christi Leiden und Sterben.
Betrachten wir die heiige Passion !
Blutrünstig sehn am Holz wir aufgehangen,
Durchlöchert Hand' und Füsse, Gottes Sohn.
Wer könnt' ihn anschaun ohne schmerzlich Bangen.
Man kreuzigt', einem Missethäter gleich,
Inmitten zweier Schacher ihn zum Hohne.
Wie starrt sein Blick, wie ist die Wange bleich,
Die Stirn umrankt von einer Dornenkrone !
Und als den theuren Sohn die Mutter sah,
Sein brechend Auge, seine Schmerzgeberde,
O welch ein Schwert durchfuhr die Brust ihr da,
Um ihn, den guten Hirten seiner Heerde.
K. L. Kannegiesser.
Ueber Amadis von Gallien
und
die bedeutendsten Ritterromane der Spanier.
Die hervorragendsten Gelehrten aller Nationen haben die
unerreichbaren Schönheiten des Meisterwerkes zu würdigen ge-
wusst, welches Don Miguel de Cervantes Saavedra in seinem
Don Quijote der Welt gegeben hat. Sie nennen den edlen
Spanier einen der ausgezeichnetsten Schriftsteller seines Jahr-
hunderts, und sein Buch eins der kostbarsten und reichsten in
Bezug auf Reinheit der Sprache, Philosophie und Wissen.
Ihrem Urtheile zufolge wäre es das Werk eines tiefen Denkers,
eines unvergleichlichen Redners, eines scharfsinnigen Geschicht-
schreibers und erfahrenen Politikers; geschrieben von einem
Kenner und Beobachter des menschlichen Herzens und semer
Zeit; von einem Gelehrten, bewandert in einheimischen und
fremden Literaturen: überhaupt von einem Manne, der die um-
fassendsten Kenntnisse aller Wissenschaften in sich vereinigte
und mit diesen den grössten Zauber der Darstellung verband.
So wurde denn der Name Cervantes in beiden Hemisphären
ein gepriesenes Gemeingut der Nationen, und sein Werk, die
grossartigste Erscheinung der modernen Literaturen, mannigfach
schon seit Jahren in alle gebildeten Sprachen übersetzt, be-
geisterte Dichter und Dichterlinge zu zahlreichen Nachahmungen,
Fortsetzungen und misslungenen Versuchen, die Geschichte des
Ritters Don Quijote dramatisch zu behandeln. Diese Unsterb-
lichkeit errang sich der geniale Cervantes — fast möchten wir
sagen — indem er durch den Mund eines Narren und eines
Tölpels redete. —
22 Ueber Amadis von Gallien
Mcht wenige Kritiker haben die „Thaten des sinnreichen
Junkers Don Quijote" ein episches Gedicht genannt. Und in
der That, sie sind der getreue Spiegel einer Epoche mit allen
ihren Ansichten, Meinungen und Sitten, mit allen ihren Be-
strebungen und Gefühlen, und geben uns gleichzeitig ein un-
erreichtes Bild von dem ewigen Kampfe zwischen der Idee und
der Materie, zwischen dem geistigen und dem physischen Leben,
zwischen dem Idealen und Positiven. Don Quijote also ver-
anschaulicht uns das Ringen der menschlichen Phantasie mit
der unbesiegbaren Trägheit der Dinge. Sancho Pansa erscheint
als das Symbol des Realen ; für ihn sind die sonderbaren Unter-
nehmungen und glänzenden Tugenden seines Gebieters uner-
forschliche, unbegreifliche Mysterien. Hieraus entsteht natürlich
der beständige Gegensatz zwischen dem Ernst und der Würde
des Ritters und der bäurischen Rohheit und Possenhaftigkeit
des Knappen. Daher stammt der bewunderungswürdige Con-
trast zwischen der Heiterkeit, welche das Gewebe der Erlebnisse
und Abenteuer hervorruft, und der Strenge in der Haltung der
Charaktere. In der Person des Ritters sehen wir die fort-
währende Thätigkeit des Heldenmuthes und die unaufhörlichen
Täuschungen der Tugend: erhabene Eigenschaften, die uns in
der Geschichte des Menschengeschlechts entgegen treten, Lieb-
lingsobjecte der Dichtkunst, welche den Cultus der edelsten
Gefühle zum Ziele hat. Gegenüber gestellt dem materiellen
Leben, dem vergänglichen Staube, aus dem wir bestehen, muss
dieser Heroismus, dieser erhabene Ideengang, diese wahrhaft
adelige Denkungsweise im Gegensatze zu der prosaischen Wirk-
lichkeit, welche erstickend und vernichtend auf jene einwirkt,
nothwendig einen unermesslichen Schatz von Lächerlichem dar-
bieten, weil der, welcher allenthalben edle Gesinnungen und
wahrhaft ritterlichen Heldenmuth zu finden glaubt, sich bei
jedem Schritte auf das Beklagenswertheste getäuscht sieht.
So geschieht dem sinnreichen Junker Don Quijote. Alle
die Jämmerlichkeiten des Lebens, alle die Täuschungen der
Welt, alle Unfälle seiner Ritterlauf bahn , die er ohne den ge-
hofFten Erfolg betreten hat, jeden Augenblick misshandelt und
verhöhnt, sind ebenso viele Quellen grotesker Situationen —
welche aber bei uns neben dem Lachen die Thräne der Weh-
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 23
muth hervorlocken — in dem Gewände der Jovialität, in welches
sich Cenvantes hüllt, um die Bitterkeit seines Herzens mit der
unnachsichtigen Hartnäckigkeit des Heldenmuthes zu bedecken,
welcher vergebens der Verwirklichung jener Ideen nacheilt, die
ihn begeistern und zu dem höchsten Fluge hinreissen. — Dieses
ist die Grundidee des Buches, eine zermalmende Idee, obgleich
sie uns im Gewände des Demokrit und unter der Maske des
Momus vorgeführt wird.
Der Ritter Don Quijote nahm sich vor, in seinen ritterlichen
Fahrten und Abenteuern besonders dem Amadis von Gallien
nachzueifern.*) So äussert er sich gegen seinen getreuen
Schildknappen: „Wenn ein Maler in seiner Kunst berühmt
werden will, so nimmt er sich die Originale der besten Meister
zu Mustern seiner Nachahmung. Amadis war der erste, vor-
nehmste und einzige Ritter, ja die Krone von Allen, welche zu
seiner Zeit die Welt durchzogen. Er war der Nordstern, Leucht-
thurm und die Sonne aller tapfern und verliebten Ritter, dem
wir Alle, die wir unter dem Panier der Liebe und Ritterschaft
streiten, billig nachahmen. Da dieses nun ausgemacht ist, so
muss auch derjenige fahrende Ritter, der ihm am meisten nach-
ahmt, der Vollkommenheit in seinem Stande am nächsten
kommen, u. s. w." (Siehe Don Quijote I, 25). Der edle Man-
chaner wählte sich dieses Vorbild also, weil er in ihm alles
vereinigt fand , was einem vollendeten Ritter Noth that ; denn
vor allen Andern bewahrte Amadis der Dame seines Herzens
die treuste, unwandelbarste Liebe; er war ferner edlen und leicht
bewegten Gemüthes, von lebhaftem Ehrgefühle, und allgemein
als der tapferste und berühmteste Ritter angesehen. Dieser dem
Amadis von Gallien eingeräumte Vorzug vor der übrigen Menge
der fahrenden Ritter veranlasst uns , den Verehrern des Don
Quijote einen kurzen Abriss der Geschichte dieses Helden und
seines Buches zu bieten. Zugleich werden wir der vorzüglichsten
Ritterromane gedenken, welche nach dem Erscheinen des Amadis
*) Der gelehrte Spanier Pellicer nennt den Don Quijote einen wahren
Amadis von Gallien im burlesken Style.
24 Ueber Amadis von Gallien
in Spanien dem eifrigen Publikum in so grosser Anzahl geboten
wurden. —
Unter sämmtlichen Ritterromanen macht keiner dem Amadis
von Gallien den ersten Rang streitig. Cervantes selbst sagt
bei Gelegenheit des Gerichtes, welches der Priester und der
Barbier über die Bibliothek des Don Quijote halten, dass die
vier Bücher des Amadis von Gallien der erste Ritterroman ge-
wesen, der in Spanien gedruckt sei, und dass alle übrigen nur
Nachahmungen wären. Daher entschlossen sich die beiden
Richter trotz ihrer Strenge, ihm das Leben zu lassen; hüteten
ihn daher vor den Händen der eifrigen Haushälterin, welche ihn
sehr bereitwillig durchs Fenster in den Hof auf den Scheiter-
haufen befördern wollten; denn „er sei das beste aller Bücher
dieser Gattung und einzig in seiner Art."
Dieser berühmte Roman ist — ein Beweis seines Werthes
— vielfach bestrittenen Herkommens, und sowohl über die Zeit
seines Entstehens herrschen Zweifel als wie über die Nation,
welche ihn den Ihrigen zu nennen berechtigt ist. Blühender
Styl machte dieses Buch nicht weniger anziehend, als der ehren-
werthe tapfere Degen, der Rächer verfolgter Unschuld, welcher
ihm den Namen gab, und die unmöglichen, durch die An-
schauungsweise des Zeitalters bedingten, abenteuerlichen Situa-
tionen, aus denen er sich durch die wunderbarsten Mittel zu
befreien verstand: obgleich Amadis in diesem Punkte doch nur
sehr wenig im -Vergleich zu andern Ritterromanen bieten kann.*)
Dieser Hauptketzer, wie Cervantes das Buch nennt, soll im 14.
Jahrhundert das Licht der Welt erblickt haben. Die Nieder-
länder betrachten ihn als ihr Eigenthum , und behaupten, dass
ihn ein gewisser Acuerdo de Oliva, und zwar möglichst will-
kürlich, in das Spanische übersetzt habe. Nach dieser Ueber-
setzung soll die erste französische entworfen sein, welche bald
in alle Schichten der Bevölkerung drang, und in der Bücher-
sammlung des Königs Heinrich III. zwischen Aristoteles und
Plato aufbewahrt wurde. Lope de Vega nennt eine portugiesische
Dame als Verfasserin, und andere Autoritäten stimmen für den
*) Ein unerschöpflicher Strom der Einbildungskraft zeigt sich auch in
den Ritterromanen der Araber, unter denen sich „Antar" durch Kunst und
Interesse auszeichnet.
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 25
Bischof Alonso de Cartagena, und für den Historiographen
Lopez de Ayala (f 1407). Doch dürfte seine Entstehung*)
nicht in den Anfang des 14. Jahrhunderts fallen, weil weder
Dante noch Petrarka ihn zu kennen scheinen, wenigstens seiner
bei ihrem Verdainmungsurtheile über die Kitterbühne nicht
gedenken.
Die Franzosen reclamiren den Amadis als Werk ihres
Genies und stützen sich hauptsächlich auf die Auctorität des
Grafen Tressan, welcher einen Troubadour aus der Zeit des
Königs Philipp- August als Verfasser annimmt. Der Spanier
Montalban zwar führt dieses Buch als den ersten Ritterroman
in Spanien ein, erklärt jedoch in der ältesten Ausgabe, die sich
erhalten hat — und zwar vorn Jahre 1521**) — ausdrücklich,
dass er ihn nur reformirt habe. Wenn die Spanier in diesem
berühmten Werke eine getreue Schilderung spanischer Sitten
und Gebräuche zu erkennen glauben, so dient ihnen dieser
Umstand als Beweis, dass nicht ein Franzose oder Niederländer
der Verfasser sein konnte, hebt aber die nachgerade unbestritten
anerkannten Rechte der stammverwandten Portugiesen durchaus
nicht auf. In der That betrachtet man den Portugiesen Vasco
de Lobeyra als den Vater dieses berühmten Buches, dessen
schnelle Verbreitung, schaale Nachahmungen und Fortsetzungen
von zum Theil unbekannten Händen bald eine Reihe der ab-
geschmacktesten Ritterromane hervorriefen, deren gänzliche Aus-
artung sie im Laufe der Zeit um allen Credit brachte, sodass
von der Kanzel und von dem Katheder herab gegen sie — frei-
lich erfolglos — geeifert wurde,***) bis endlich Cervantes durch
seinen Don Quijote der ganzen Sippschaft den Gnadenstoss gab.
Sie verschwanden von dem Schauplatze, den sie so lange wider-
rechtlich occupirt hatten, und sind jetzt in den Büchersammlungen
*) Auffallend genug wird auch die heil. Therese von Jesus für die Ver-
fasserin des Amadis gehalten ; freilich nur, weil sich diese Heilige — zufolge
der bestimmtesten Erklärung ihres Beichtvaters — von dem Zeitgeiste hin-
gerissen fühlte und einen unheiligen Ritterroman geschrieben hat.
**) Andere Ausgaben sind: Mit Bildern, Sevilla 1526, 1552; Salamanka
1575.
***) Gegner der Ritterromane : Juan Luis Vives, Mejia, Caro, Alejo
Venegas u. A.
26 Ueber Amadis von Gallien
eine Augenweide der Bibliomanen. Jedoch hat sich unter diesem
Haufen der berühmte Stammvater Amadis von Gallien bis auf
den heutigen Tag in der Gunst des Publikums erhalten, wie er
es nicht minder als das Product einer schöpferischen Phantasie,
denn als die würdigste Reminiszenz an die vergangene Herr-
lichkeit des Ritterthumes verdiente, nach dessen Verfall er ohne
Zweifel erst geschrieben wurde. Der Held tritt uns , zumal in
den sittlichen Beziehungen, als eine edle Erscheinung entgegen,
weit erhaben über die Masse seiner Nachkommen und Nach-
ahmer, welche sich z. B. durchaus nicht wie platonische Lieb-
haber geberden , und dem keuschen Don Quijote sicher nicht
als Vorbild bei seinem uneigennützigen Seufzen nach Dulcineas
Reizen dienen konnten.
Vasco de Lobeyra starb 1403 in Oporto, und die Original-
handschrift seines Amadis soll der herrschenden Ansicht zufolge
bei dem Erdbeben in Lissabon 1755 verloren gegangen sein;
zuletzt war sie im Besitze des Herzogs von Aveiro. Unter den
Amadisromanen, deren bis zu vierzehn, nach anderer Berechnung
vierundzwanzig Bücher aufgezählt werden, umfassen die vier
ersten das Leben des Amadis von Gallien.*) Sie sind uns in
der spanischen Uebersetzung oder Bearbeitung von dem schon
angeführten Garci Ordonez de Montalban erhalten und bis zum
Jahre 1505 im Drucke erschienen. Dieser fügte zugleich ein
fünftes Buch „Thaten des Esplandian, des Sohnes des Amadis
von Gallien" hinzu, und zwar um das Jahr 1492. Der zahl-
reichen Fortsetzungen und Nachahmungen der Spanier, welche
die grosse Begeisterung für diese Art Leetüre beweisen, ge-
denken wir später und erwähnen jetzt erst die Bemühungen
anderer Nationen, unter denen sich die Franzosen durch eine
Fortsetzung bis zu 24 .Büchern hervorthaten, welche neun Auf-
lagen erlebten. Nicolas d'Herberay gab 1540 — 48 die erste
Sammlung von acht Büchern heraus. Wie sehr man dieses
Phantasiegebilde schätzte , lehrt der Umstand, dass man es für
die passendste Leetüre zur Ausbildung junger Edelleute erklärte
und zu diesem Zwecke einen sehr selten gewordenen compen-
diösen Auszug entwarf, welcher die Quintessenz aller Schön-
*) Nur diese werden gerettet; alle andern Amadisromane werden dem
Scheiterhaufen überantwortet.
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 27
heiten des Romans enthielt und im Jahre 1582 in Lyon ver-
öffentlicht wurde. Gilbert Saunier schrieb einen „Roman des
romans" aller im ganzen Sagenkreise vollbrachter: Abenteuer,
und zwar in sieben starken Bänden. Die Dame de Lubert gab
im 18. Jahrhundert eine zeitgemässe Auswahl aus sämm trieben
Amadisen, und zur Zeit Ludwig XVI. verfasste der Graf Tressan
einen geistreich modernisirten Auszug in zwei Bänden 1779;
neu aufo-elest 1787. Wie einst Bernardo Tasso in seinem
„Amadigi" die Abenteuer des Amadis dichterisch behandelte
oder nachahmte (von 1545 — 1559), so lieferte Creuze de Lesser
im Jahre 1813 das epische Gedicht „Amadis' de Gaule, poeme
faisant suite aux Chevaliers de la table ronde." Früher schon,
und zwar im Jahre 1803, schrieb der Engländer William Stewart
Rose ein Epos „Amadis de Gaul, a poem in three books." —
Ohne der englischen, italienischen, holländischen Ueber-
setzungen und wiederholten Auflagen des Ganzen oder der ein-
zelnen Theile zu gedenken , führen wir an , dass Amadis kurz
vor 1569 nach Deutschland gebracht und bis zum Jahre 1570
von dem Buchhändler Feierabend in deutscher Sprache heraus-
gegeben wurde. Eine andere Ausgabe einer deutschen Ueber-
setzung ist vom Jahre 1583, und eine spätere umfasst 24 Octav-
bände. Im Laufe der Zeit hat sich diese Sammlung bis auf
30 Theile erweitert. Die letzte Ehre bei uns — es wäre denn,
dass er sich durch den spätem Wielandschen Namensvetter
„der neue Amadis" geehrt fühlte — widerfuhr dem ritterlichen
Amadis durch die Händeische Oper gleiches Namens, 1715.
Die grosse Schwärmerei der Spanier für die Ritterromane
im Allgemeinen und für Amadis von Gallien im Besondern
veranlasste zwei Versuche, den gepriesenen Ritter auf die Bühne
zu bringen. So schrieb 1532 der Portugiese Gil Vicente (f 1557)
in spanischer Sprache ein Auto über das Liebesverhältniss des
Amadis und der unvergleichlichen Oriana.*) Ferner dichtete
Micer Andres Rey de Artieda (f 1613) im Jahre 1581 eine
*) Dieses Werk wurde indessen 1559 von der Inquisition auf den Index
der verbotenen Bücher gesetzt, und ist uns nur noch in einer Gesammt-
ausgabe der Werke des Dichters vom Jahre 15C2 erhalten, welche in Lissabon
veranstaltet wurde.
28 Ueber Amadis von Gallien
Komödie „Amadis von Gallien," die uns aber gleich den übrigen
dramatischen Werken dieses Dichters nicht aufbewahrt ist.
Also ein halbes Jahrtausend hindurch hat dieser Ritterroman
eine Beachtung gefunden, welche das sprechendste Zeugniss für
seinen "VVerth ablegt. Er ist, wie schon erwähnt, nicht das
erste Buch seiner Art gewesen, welches Rittergeschichten be-
handelt und veröffentlicht hat; er war das erste und zugleich
beste dieser Gattung in Spanien, und ist durch den Don Quijote
für ewige Zeiten einem unverdienten Vergessenwerden entrissen,
welchem so häufig das Beste anheim fällt. — Wir beginnen
jetzt den kurzen Abriss seines Inhalts.
Liswarte, ein Bruder des grossbritannischen Königs Falangris,
befand sich am Hofe des Königs von Dänemark, mit dessen
Tochter Brisena er vermählt war, als sein Bruder, der König
von Grossbritannien, plötzlich das Zeitliche segnete. Zu dessen
Nachfolger ausersehen, schiffte er sich mit seiner Gattin und
seinen Töchtern Leonoreta und Oriana zur Heimkehr ein ; stattete
jedoch, bevor er in seine neuen Staaten zog, dem Könige von
Schottland, Languines, einen Besuch ab. Ein Aufruhr in Gross-
britannien erheischte indessen unbedingt seine Gegenwart daselbst,
weshalb er sich eilig zur Abreise entschloss , nachdem er der
Sorgfalt der Königin von Schottland seine Tochter Oriana, eine
Prinzessin in der Blüthe der Jugend und Schönheit, empfohlen
hatte. Die Königin glaubte diesem Wunsche auf das Beste zu
entsprechen, wenn sie den Junker del Mar, einen an ihrem Hofe
in allen ritterlichen Künsten erzogenen Jüngling, zum Beschützer
der jungen Dame ernannte. Der Junker war beinahe gleichen
Alters mit der seinem Schutze Anvertrauten, und das Herz der
Prinzessin entbrannte alsbald in leidenschaftlicher Liebe für den
Jüngling; dieser nicht weniger war bald sterblich in die unver-
gleichliche Oriana verliebt und fühlte sich durch diese Gluth
zu den grössten Heldenthaten angefeuert. Unter andern warf
er sich einst bei Gelegenheit einer Waldpartie unerschrocken
auf einen Löwen, der im Begriffe war, die Prinzessin zu ver-
schlingen , und erschlug die Bestie. Diese ausgezeichnete
Dienstleistung, das Ergebniss der heissen Liebe, fachte dieselbe
nur noch mehr an, während gerechte Dankbarkeit das Feuer in
Oriana's Busen mehr und mehr schürte. Ein anderes Mal
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 29
wurde die Königin, Oriana und deren Gefolge von einem der
ungeschlachtesten Riesen nebst vier anderen Unholden ver-
rätherisch überfallen. Der Junker ergriff mit Freuden diese
Gelegenheit, neue Beweise seiner Tapferkeit zu geben, be-
kämpfte alle jene Unholde, und tödtete den Riesen und dessen
Gesellen. Zum zweiten Male verdankte ihm Oriana das Leben,
ja noch mehr als das Leben; denn jenes Ungeheuer war ein
wilder Korsar von einer zwischen Grossbritannien und Irland
gelegenen Insel, welche ihm gehörte. Dahin wollte er die Prin-
zessin Oriana mit ihren Gefährtinnen bringen, um sie mit noch
andern hundert Jungfrauen in einem Harem zu vereinigen, den
er sich zur Erholung hielt.
Oriana und die Uebrigen kehrten nach diesem schrecklichen
Abenteuer dann erst und zwar in Begleitung des tapferen Be-
freiers nach der Stadt zurück, als sich der Tag schon zu Ende
neigte. Plötzlich sehen sie in einiger Entfernung hunderte von
brennenden Fackeln (Don Quijote I, 19), die ihnen entgegen
kommen, und eine anmuthige, höfliche Jungfrau, welche sich
naht, um die Königin nebst Fräulein Oriana einzuladen: „sie
möchte es sich bis zum folgenden Tage in dem nicht weit ent-
fernten Schlosse gefallen lassen, woselbst ihrer auch die Zauberin
Urganda*) harre. " Um die Zögernden zur Annahme der Ein-
ladung zu bewegen, setzte die Jungfrau hinzu, dass sie nichts
zu befürchten hätten, indem einer der berühmtesten und tapfersten
Könige über ihre Sicherheit wachen würde. Kaum hatte sie
dieses gesagt, als der König selbst, nämlich Perion, Beherrscher
der Gallier und zugleich Verwandter der Königin von Schott-
land, herankommt und die Damen nach der Behausung der
Zauberin geleitet.
Während die hohe Gesellschaft die von unzähligen Kerzen
erleuchteten Prachtgemächer des Schlosses bewunderte, standen
Oriana und der Junker del Mar einander gegenüber, ohne dass
die Ueberschwenglichkeit ihrer Gefühle eine Unterredung, ja
kaum einen verstohlenen Blick zuliess. Schliesslich brach der
Junker das Schweigen; aber nur um die Prinzessin zu bitten,
*) Urganda die Versteckte oder Heimliche fungirt in dem Romane als
der unverdrossene gute Genius oder Schutzengel der ganzen Familie.
30 Ueber Amadis von Gallien
dass sie seine Fürsprecherin beim Könige sein möge, damit
dieser ihm den Ritterschlag ertheile ; weil es ihm dann erst er-
laubt wäre, die Welt zu durchziehen und die schwierigsten und
gewagtesten Abenteuer zu bestehen. (I, 3, 20.)
Unterdessen naht Urganda, um ihre Gäste zu bewillkommnen ;
ebenso der anderweitig benachrichtigte König von Schottland.
Die beiden Könige sowohl als Urganda vernahmen die Helden-
thaten des Junkers mit Theilnahme und spendeten seiner Tapfer-
keit die verdienten Lobsprüche. Diesen günstigen Augenblick
benutzte Oriana, um von dem König Perion die Ertheilung des
Ritterschlages zu erbitten. Der König gewährt diese Bitte und
erfüllt sie sogleich. Nach Beendigung der üblichen Ceremonie
bereitete sich Perion zur Abreise vor. Denn er war nur in der
Absicht nach Schottland gekommen, den König, seinen Schwager,
um Beistand gegen den Avilden Abies, König Irlands und der
Orkaden, zu bitten, welcher mit einer Horde Barbaren seine
Staaten überschwemmt hatte. Dieser Beistand wurde ihm zu-
gesichert, und der neue Ritter, angestachelt durch Liebe und
Ehrsucht, wünschte dem Könige zu folgen. Zuvor nahm er
das kostbare Schwerdt, welches ihm der schottische Edelmann
Gandales, sein Erzieher seit der frühsten Jugend, gegeben hatte,
und andere werthvolle Sachen in einem Kästchen zu sich.
Unter diesen war ein äusserst kostbarer Ring und eine Kugel
von Wachs. Fräulein Oriana empfing diese Kugel als Andenken
von ihrem Ritter, und der Junker del Mar trat in Begleitung
seines Knappen Gandalin die Reise an. Gandalin war der Sohn
des edlen Gandales, mit ihm erzogen, ja sogar sein Milchbruder
und nicht weniger begierig, die Welt nach Abenteuern zu durch-
streifen, als der Junker selbst.
Dem König Perion nachfolgend begegnete der junge Ritter
auf seinem Wege bald einer ehrbaren Dame und einer Jungfrau.
Die erstere, Avelche ihm eine Lanze reichte mit der Bemerkung,
dass er mit dieser Waffe das Königshaus, von dem er abstamme,
von einem sichern Untergange retten würde, war die Zauberin
Urganda: sie entschwand sogleich wieder seinen Blicken. Die
Jungfrau dagegen war aus Dänemark und in Diensten der
Königin von Grossbritannien, an deren Hof sie im Begriff war
zurückzukehren. Jedoch erklärte sie dem Ritter, dass sie vorher
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 31
einige Tage bei ihm verweilen werde, um zu sehen, wie er sich
der magischen Lanze zu bedienen wisse. Den ersten Gebrauch
davon machte er, um den König Perion zu befreien, welcher
durch Nachstellungen einiger Unholde in der allergrössten
Lebensgefahr schwebte. Die Uebelthäter wurden alle mit der
Lanze durchbohrt oder mit dem Schwerdte in Stücke gehauen.
Der König voller Dankbarkeit umarmte seinen jugendlichen Be-
freier und konnte nun ungehindert die Reise in seine Staaten
fortsetzen, während der Junker, begierig nach neuen Abenteuern,
einen andern Weg als König Perion wählte. Die dänische
Jungfrau, Augenzeuge des Vorgefallenen und zufrieden mit des
Helden Tapferkeit, nahm Abschied von ihm und begab sich an
den schottischen Königshof, wo sie die gewaltigen Abenteuer
des Junkers erzählte und dadurch das Herz der unvergleichlichen
Oriana nicht wenig erfreute. Weil diese Prinzessin bald zu
ihrem Vater reisen musste und es dann nicht leicht war, Nach-
richten von ihrem Ritter zu bekommen, entschloss sie sich, die
dänische Jungfrau zu ihrer Vertrauten zu machen. Als solcher
theilte sie ihr desshalb ein wichtiges Geheimniss mit, nämlich,
dass sie in der Wachskugel, welche ihr der Junker hinterlassen,
ein Papier gefunden habe, auf dem sein eigentlicher Name ge-
schrieben stände, mit dem Zusätze, dass er der Sohn eines
Königs sei. Zugleich bat sie die Jungfrau, sich in ihrem Namen
mit diesen Kennzeichen zum Junker zu begeben, um über die
Beständigkeit seiner Zuneigung Gewissheit zu erhalten.
Als für Oriana die Zeit der Abreise nach Grossbritannien
gekommen war, holte sie die Zauberin Urganda in einem pracht-
vollen Schiffe ab und setzte die liebende Prinzessin während
der Ueberfahrt von den näheren Umständen der Geburt des
Junkers in Kenntniss. Er verdankte sein Dasein demselben
Könige Perion, welcher ihm den Ritterschlag ertheilte ohne ihn
zu kennen, und dem er das Leben gerettet hatte. Urganda
setzte hinzu, dass sich Perion in seiner Jugend, da er aus-
gezogen, um Ruhm und Ehre zu suchen, einst in Folge gewisser
Ereignisse im Schlosse des Grafen von Salandria aufgehalten
und mit dessen Tochter im Geheimen einen Sohn erzeugt habe,
welcher den Namen Florestan erhielt. Nachher habe sich Perion
nach Kleinbritannien begeben und daselbst Guirlanda undElisenda,
30 Ueber Amadis von Gallien
die Töchter des Königs Garinter, gesehen. Sterblich verliebt
in Elisenda vermählte er sich mit ihr, während einzig die Zofe
der Prinzessin um das Geheimniss wusste. Aus dieser Ver-
einigung entspross ein Sohn, der heimlich geboren wurde, und
Elisenda, um ihre Ehre vor der Welt zu retten, übergab das
Knäblein in einer Wiege von Cedernholz dem Meere. Neben
das Kind legte sie Perion's Ring und Schwerdt, welche er bei
seiner Abreise hinterlassen hatte, so wie eine Wachskugel, in
welcher sich der Name des Kindes und der Stand des Vaters
auf einem Zettel geschrieben befand. Später verheirathete sich
Elisenda öffentlich mit Perion und herrschte mit ihm über die
Gallier. Beide aber, setzte die Zauberin hinzu, beweinen noch
immer den Verlust des ersten Pfandes ihrer Liebe. Zufällig
an dem Tage, wo das Kind ausgesetzt wurde, fuhr Urganda
fort, erging sich ein schottischer Ritter Namens Gandales an
dem Ufer des Meeres und erblickte die Wiege. Sogleich liess
er sie auffischen und in sein Haus bringen, und nannte den
Knaben — durch den Namen auf den Ort anspielend, wo die
Wiege gefunden war — Junker del Mar (vom Meere). Der
Rest der Geschichte, welche beim Einlaufen des Schiffes in den
Hafen von Windilisora beendet wurde , war der Prinzessin
Oriana schon bekannt.
Unterdessen bestand der Junker noch mancherlei Abenteuer,
deren Aufzählung zu weit führen würde, und schiffte sich endlich
mit dem schottischen Prinzen Agrages ein, welcher die von
Languines dem König Perion zu Hülfe gesandten Truppen be-
fehligte und mit dem Junker einen Freundschaftsbund geschlossen
hatte. Sie landeten wohlbehalten in der Normandie und gelangten
bald zu der Stadt Baldam, in welcher sich Perion nach dem
Verluste verschiedener Schlachten vom Feinde eingeschlossen
sah und deshalb die Ankunft der beiden Ritter mit der grössten
Freude begrüsste. Der wilde Abies vereinigte seine Irländer
und zog vor die Stadt, um sie zu erstürmen. Perion, der Prinz
von Schottland und der Junker del Mar bereiteten sich zu einem
Ausfalle vor, um den Feind zurück zu drängen; fielen jedoch
in einen Hinterhalt. Der Junker traf bei dieser Gelegenheit
auf den wilden Abies und forderte ihn zu einem Zweikampfe
auf, der auch angenommen wurde und die Niederlage und den
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 33
Tod des Irenkönigs nach einem langen, wüthenden und niemals
gesehnen Kampfe zur Folge hatte.
Indem nun der Sieger im Triumphe zur Stadt geführt
wurde und der König von Gallien unumwunden nur ihm seine
und seines Reiches Erhaltung zuschrieb, langte die Jungfrau
von Dänemark an, die Vertraute der Prinzessin Oriana, um
den ihr gegebenen Auftrag zu erfüllen. Hierdurch erfuhr der
Junker seinen Namen und seine königliche Abstammung; aber
noch wusste er nicht, welchen König er Väter nennen durfte.
An demselben Tage fügte es der Zufall, dass das Herrscherpaar
von Gallien den Ring bemerkte, welchen der Junker am Finger
trug. Da die Gatten den Zusammenhang zu ahnen begannen,
verfügten sie sich Nachts in das Schlafgemach des jungen Helden,
den sie in tiefem Schlummer fanden. Der König nahm das
Schwerdt, welches zu Häupten des Schlafenden lag, und erkannte
es als dasselbe, welches er einst bei der erzwungenen Entfernung
von Elisenda dieser hinterlassen hatte; und dieses Schwerdt
nebst dem Ringe waren Zeichen, welche kaum noch einen Zweifel
aufkommen Hessen. Die Ausbrüche des Entzückens weckten
den Junker, aus dessen Munde sie nun erfuhren, wie er erst
heute Kunde erhalten habe, dass er nicht der Sohn des edlen
Gandales, seines Erziehers, 6ei, wie er bisjetzt geglaubt, sondern,
obgleich ein Königssohn, doch nur ein unglücklicher Jüngling,
den jener schottische Ritter gefunden habe, in einer Wiege von
Cedernholz der Willkür des Meeres überliefert. Nun waren
alle Zweifel beseitigt. Elisenda und Perion erkannten ihren
Sohn, und dieser führte von dem Tage an den Namen „Amadis
von Gallien." Ebenso wurde er auch „Ritter mit dem grünen
Schwerdte" ganannt (I, 19), und zumal in Deutschland kennt
man ihn nur unter diesem Namen. Die Schwerdtscheide, welche
diesen Beinamen veranlasste, bestand aus dem grünen Knochen
eines sehr seltenen Fisches, und war so dünn und durchsichtig,
dass die Klinge durchschien. (I, 18.) Der Zauber dieses
Schwerdtes bestand darin, dass es nicht aus der Scheide ge-
zogen werden konnte. Amadis indessen vermochte dieses in
einem Waffenspiele, das zu Ehren der Prinzessin Oriana, der
Gebieterin seines Herzens, veranstaltet wurde. Er führte noch
andere Namen, z. B. „Ritter vom Löwen," „Ritter vom Zwerge"
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 3
34 Ueber Amadis von Gallien
u. s. w., die er nach Brauch der fahrenden Ritter von ver-
schiedenen Abenteuern angenommen hatte. (I, 19; II, 17.)
Wenige Tage waren verflossen seit dem Ritter diese Ent-
hüllungen über das Geheimniss seiner Geburt gemacht wurden,
als er zu der unvergleichlichen Oriana zurückzukehren beschloss.
Dem Könige, seinem Vater, gegenüber versteckte er indessen
diese Sehnsucht hinter dem Vorwande, dass er die Welt durch-
ziehen wolle, um Ruhm und Ehre in neuen Wagstücken zu
suchen. Trotz seiner väterlichen Zärtlichkeit konnte Perion solch
edlen Vorsätzen nicht hindernd entgegentreten, und Amadis,
wie wir in seiner Geschichte lesen, „schickte sich an, nach
Abenteuern auszuziehen, damit er die verlorene Zeit wieder
einholen könnte, welche er schon zur grössten Schmälerung
seiner Ehre müssig verlebt hatte." (II, 53, 57.) Sobald Amadis
wieder in Grossbritannien angekommen ist, besteht er Abenteuer
über Abenteuer, ohne Unterbrechung.
Der König Perion und die Königin Elisenda hatten nach
ihrer Thronbesteigung noch einen andern Sohn gezeugt, den sie
Galaor nannten; aber er wurde von einem Riesen geraubt, wenn
auch diesmal in einer löblichen Absicht, um ihn nämlich der
Zauberin Urganda (I, 43) der Versteckten zu überliefern, welche
über das Geschick der beiden Brüder wachte und dem jüngsten
eine ihren Absichten entsprechende Erziehung geben wollte.
Sie war es denn auch, die ihn zum Amadis führte, damit er
von diesem zum Ritter geschlagen würde.
Die innige Liebe des Ritters und der Prinzessin Oriana
wurde auf lange und harte Proben gestellt und hatte die ver-
schiedenartigsten Hindernisse zu überwinden. Nicht minder
setzte sich Amadis durch das Interesse, welches er an seinem
Bruder nahm, grossen Gefahren aus; denn die Charaktere der
Brüder waren durchaus verschieden. Gleich an Schönheit und,
wenn man will, an Tapferkeit, waren ihre Herzen auch gleich-
massig für Liebe empfänglich. Aber Amadis hatte ein Herz
nur für Eine: die unvergleichliche Oriana war ihm alles. (I,
16, 30, 43; II, 44, 58, 59, 70, 72.) Galaor hingegen räumte
der ganzen weiblichen Welt Rechte über sein Herz ein, und
man konnte von ihm sagen, dass er zu jedem Frauenzimmer,
welches er nur sah, auch in Liebe erglühte. Alle Thaten des
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 35
Ritter Amadis waren im vollsten Sinne des Wortes ritterlich.
Er weihte den Frauen seine Dienste, indem er sie der Ge-
fangenschaft bei Kiesen, die sie geraubt hatten, entriss, und aus
den Händen unritterlicher Ritter, welche sie bedrückten, befreite.
(I, 8, 9, 14, 35, 52.) Er stand den Waisen bei, nahm sich
der Wittwen an und suchte nach Kräften jedem Unrecht zu
steuern, keinen andern -Zweck im Auge habend, als nur den
Pflichten des strengen Ritterordens zu genügen. (I, 4, 18, 22,
31, 52; II, 12, 22, 44, 56.) Galaor hingegen unterliess nicht,
inmitten seiner tapfern Thaten den Lohn für das, was er ge-
than, gleich hinzunehmen und in allen möglichen Genüssen,
welche die Gelegenheit bot, zu schwelgen. Da er weniger vor-
sichtig und wachsam war als sein Bruder, fiel er in alle ihm
gelegte Schlingen, aus denen ihn immer Amadis befreien musste.
Amadis war zu gleicher Zeit das Muster einer stets bewährten
Liebe, der reinsten Freundschaft und brüderlichen Zuneigung.
(I, 25.)
Die Zauberin Urganda wachte über Beiden und leitete
mittelst tausend Zwischenhandlungen und höchst gefährlichen
Abenteuern die so ersehnte Vereinigung des Ritters mit der
Prinzessin Oriana ein. Die Liebenden waren schon durch die
Ueberzeugung und Gewissheit gegenseitiger Zuneigung glücklich,
und in ihren geheimsten Gesprächen stand der gegenseitigen
Liebe eine gleiche Enthaltsamkeit nicht nach. Eines Tages
aber entsandte der Zauberer Archelor, ein Feind der Prinzessin
Oriana und ihres Vaters Liswarte, einige Unholde, welche Oriana
raubten. Amadis setzte ihnen nach, holte sie in einem Walde
ein, stürzte sich wie ein Blitz auf sie und rettete abermals die
Herrin und Gebieterin seines Herzens. Dankbarkeit, Liebe und
Wonne, sich nach solchen Gefahren glücklich wieder vereint zu
sehen; die Nacht, die Einsamkeit, der Wald: alles vereinigte
sich, um das Herz Oriana's zu bewegen und die Schüchternheit
des Ritter Amadis zum ersten Male zu überwinden. . . Doch
breiten wir einen Schleier über dieses Bild und eilen an den
Hof in Windilisora, wohin Amadis bald nachher seine Gebieterin
geleitete, in der Hoffnung, sein Glück durch Vermählung mit
der angebeteten Oriana für immer sichern zu können. Aber
3*
36 Ueber Amadis von Gallien
tausendfach traten Hindernisse, besonders verzehrende Eifersucht,
diesem Plane entgegen.
Die schöne und jugendliche Briolanja nämlich erflehte die
Hülfe des tapfern Amadis, um den Tod ihres königlichen Vaters
zu rächen, der von einem elenden Usurpator ermordet war. (I,
29, 37.) Die strengen Bestimmungen des liitterordens und die
eigene Hochherzigkeit befahlen dem Ritter Amadis, jener er-
lauchten Prinzessin Beistand zu leisten und dieses Abenteuer
zu unternehmen. (I, 29.) Hierdurch und durch andere Um-
stände glaubte Oriana überzeugt sein zu müssen, dass Briolanja
das Herz ihres Ritters gefesselt habe. Sich deshalb den grössten
Ausbrüchen der Eifersucht überlassend, schrieb sie ihm einen
Brief voll der heftigsten Klagen über seine vermeintliche Treu-
losigkeit und befahl ihm, nie wieder vor ihr zu erscheinen.
Der Anfang des Briefes, den sie durch den Junker Burin ab-
sandte, lautete: „Ich bin die Jungfrau mit der Spitze des
Schwerdtes im Herzen getroffen, und Ihr seid es, der mich traf."
Diese Epistel langte bei dem Ritter Amadis an, als er gerade
die Eroberung der festen Insel beendet hatte und die Einwohner
von Sobradisa sich anschickten, den tapfersten und edelsten
Ritter zu krönen, dessen Heldenanstrengungen es gelungen war,
die Prinzessin Briolanja wieder auf den bestrittenen Thron zu
setzen. Amadis empfing den Brief, las ihn und gab sich der
wildesten Verzweiflung hin, indem er ein starkes Geschrei er-
hob und reichlich Thränen vergoss. (I, 25.) Da er hinfort
auf Abenteuer verzichtete, nahm er beim Einbruch der Nacht
Abschied von seinem Schildknappen Gandalin, den er zu seinem
Bedauern mit nur geringen Gnadenbezeugungen belohnen konnte:
er Hess ihn als Statthalter der festen Insel zurück. (I, 10, 50;
II, 3, 4, 32, 44, 45, 49.) Amadis selbst, ohne Begleitung und
unbewaffnet, verliess die feste Insel und zog sich in ein Gebirge
zurück, um daselbst Busse zu thun unter Anleitung eines Ein-
siedlers Andalod, dessen Klause sieben Meilen von der Küste
mitten im Meere in einem steilen und schmalen Felsen an-
gebracht war. (I, 25,26.) Diese Klippe hiess der Armuthsfelsen.
Der desperate Amadis ersuchte den Klausner, ihm einen andern
Namen zu geben, weil er nicht erkannt sein wollte; und in Er-
wägung seines schönen Aeussern und seiner Seelenschmerzen
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 37
nannte ihn der Einsiedler Dunkelschön, welches die Schönheit
des Körpers und die traurige, melancholische und trübe Stim-
mung des Gernüthes andeuten sollte. Die Bussübungen des
Ritters bestanden darin, dass er bei der Vesper zugegen war,
dem Eremiten beichtete, die Messe hörte, Bussgebete hersagte
und andere fromme Uebüngen machte. (I, 26.) Vor allem aber
kasteite er sich mit Seufzen, Schluchzen und heissen Thränen-
strömen (I, 29) , hoffend durch solche Bussen bei seiner Ge-
bieterin Oriana wieder zu Gnaden aufgenommen zu werden.
Ausserdem verfasste der büssende Ritter unter seinen Thränen-
güssen noch verschiedene Gesänge, die er selbst anstimmte und
klagend sang. (I, 26; II, 46, 68.)
Nachdem sich Fräulein Oriana von der Grundlosigkeit ihrer
Eifersucht überzeugt hatte, sandte sie durch die Jungfrau von
Dänemark einen zweiten Brief, welcher den Ritter bewog, die
Klause zu verlassen und sich auf das Schloss Miraflores bei
London zu begeben. (I, 27, 31.) Hier angelangt hatte er Ge-
legenheit, den König des Landes wieder auf seinen Thron zu
setzen. Amadis befand sich dabei in der allerschwierigsten
Lage, in welcher jemals ein fahrender Ritter gewesen ist; denn
er unternahm den ungleichen Kampf mit Cildadano, dem Könige
von Irland, und mit einer Schaar von Riesenraufbolden, Avelche
er alle besiegte und über die Klinge springen liess.
Glorreich waren ebenso die andern Abenteuer, die er wäh-
rend seines Aufenthaltes am Hofe des Königs Liswarte glücklich
bestand, bis dieser hintergangen von neidischen Höflingen den
Ritter veranlasste, die reizende Wohnung, das Schloss Miraflores,
zu verlassen. Amadis zog nun nach dem Oriente, um neue
Abenteuer zu suchen. Wollten wir uns auf die Erzählung aller
seiner Thaten, die er in jenen Ländern ruhmvoll ausführte, ein-
lassen, so würden wir niemals fertig werden. Wir erwähnen
deshalb nur seiner Ankunft in Constantinopel, wo er seinen Ruf
als tapferster und höflichster Ritter von neuem bewährte. In
Micenas wurde er von Seiten der wunderschönen Prinzessin
Grasinda mit der grössten Auszeichnung empfangen. Dieser
Königstochter hatte sich übrigens eine höchst sonderbare Idee
bemächtigt. Da sie nämlich die Schönheit der Damen am
englischen Hofe vielfach rühmen gehört, ersuchte sie den Ritter
38 Ueber Amadis von Gallien
Amadis, sie mit sich nach London zu nehmen und dem ganzen
Hofe gegenüber zu erklären, dass es dort keine schönere Jung-
frau o-äbe, als die Prinzessin Grasinda. Natürlich sollte er in
Folge dieser Behauptung Alle zum Zweikampf fordern, welche
anderer Ansicht wären oder sich unterfingen, die Sache in Ab-
rede zu stellen. (I, 4; II, 64.) Amadis in grosser Verlegenheit
wusste kaum was er ervviedern sollte; doch alsbald fiel ihm bei,
dass er nur behaupten sollte, Grasinda sei die schönste aller
Jungfrauen, und nun war kein Grund vorhanden, diese Bitte
abzuschlagen; denn er wusste zu gut, dass seine Oriana nicht
mehr zu diesen gerechnet werden konnte. Beide begeben sich
also auf die Reise und kamen glücklich vom Oriente her in
London an, woselbst Amadis seinem Versprechen gemäss bei
einem grossen Turniere erschien, und zwar unter dem Namen
„der griechische Ritter." In diesem Waffenspiele überwand er
in Gegenwart des ganzen Hofes alle Ritter, welche zu behaupten
wagten, dass es eine schönere Jungfrau als Grasinda gäbe.
Diese empfing denn auch schliesslich in Gegenwart aller Zu-
schauer aus den Händen des griechischen Ritters die der
Schönsten bestimmte Krone.
Die Dame Oriana wurde durch diese Niederlage der bri-
tannischen Jungfrauen wenig compromittirt, denn sie war heim-
lich eines Knäbleins genesen, welches im Laufe der Zeit unter
dem Namen Esplandian eine grosse Berühmtheit erlangte.
Mittlerweile begehrte der Kaiser von Rom, unbekannt mit
dem Liebes verhältniss des Ritters Amadis und der Dame Oriana,
diese zur Gattin. Liswarte, der ebenso wenig von diesem Ver-
hältniss wusste, bewilligte ihm die Hand der Tochter, und es
kam eine grosse römische Flotte, um die Braut nach Rom zu
geleiten. Amadis, der sich auf seine feste Insel zurückgezogen
hatte, liess auf die erste Nachricht von dem, was vorging, in
grösster Eile ebenfalls eine Flotte herrichten, schiffte sich ein
und erwartete wohlversehen mit Soldaten und Matrosen das
feindliche Geschwader, welches bald im Angesichte der Insel
erschien. Er stürzt sich auf die römische Flotte, bemächtigt
sich der Dame Oriana und bringt sie auf der festen Insel in
Sicherheit. Nun entbrannte offen ein Krieg zwischen Amadis
und dem König Liswarte. Eines Tages, wo eine grosse Schlacht
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 39
geschlagen wurde, war es Amadis, der abermals dem Könige,
in welchem er stets den Vater seiner geliebten Oriana verehrte,
das Leben rettete. Die Feindseligkeiten wurden einstweilen
unterbrochen, und während des Waffenstillstandes gelang es dem
braven Einsiedler, welcher das Knäblein Esplandian erzog, den
Zorn beider Parteien etwas zu besänftigen. Er redete dem
Könige zu, in die Vereinigung der beiden Liebenden zu willigen,
indem er ihm zuvörderst das Familiengeheimniss des mannhaften
Amadis mittheilte, welches dem Monarchen durchaus unbekannt
war. Andere Ereignisse, welche den stets noch widerstrebenden
König in neue Gefahren verwickelten, aus denen ihn stets
Amadis befreite, bahnten den Frieden an, welcher denn auch
endlich geschlossen wurde. Liswarte, der keinen legitimen Sohn
besass, trat das Königreich London dem Ritter Amadis ab,
dessen Vermählung mit Oriana auf der festen Insel gefeiert
wurde, welche, entzaubert durch den Schutzengel Urganda, von
nun an der glückliche Aufenthaltsort des glorreichen Amadis
und seiner unvergleichlichen Oriana war.
So weit der Inhalt des berühmten Ritterromanes, welcher
Leben und Thaten des Amadis von Gallien erzählt. Der Tod
dieses mannhaften Helden wird uns in dem später zu erwähnenden
Buche „Liswarte II. von Griechenland" (dem achten der Amadis-
romane) mitgetheilt.
Tirante der Weisse oder Glänzende.
Einer ähnlichen, wenn auch weniger allgemeinen Berühmt-
heit als Amadis von Gallien erfreute sich Tirante der Weisse
oder Glänzende. Die Thaten und Abenteuer dieses Ritters
sind einfacher, nicht so unnatürlich wie die Erlebnisse jenes,
weshalb dieses Buch die Phantasie weniger in Anspruch nahm
und weniger gelesen wurde. Bei Gelegenheit des Gerichts über
die Bibliothek des sinnreichen Don Quijote wird es auf ehren-
volle Weise von dem Scheiterhaufen losgesprochen. „Glaubt
mir, Herr Gevatter, äussert der Pastor zum Barbier, es ist,
was seinen Styl betrifft, das beste Buch von der Welt. Hier
essen und schlafen doch die Ritter, sterben auf ihrem Bette,
machen fein ordentlich vor dem Tode noch ihr Testament und
thun tausend andere Dinge, davon andere der Art nichts wissen."
40 Ueber Amadis von Gallien
— Dieser berühmte und seltene Roman „Tirante der Weisse
von Roka Salada" (Salzfelsen) besteht aus vier Büchern und
erzählt die ritterlichen Thaten, vermöge deren Tirante die Prin-
zessin Carmesina, Tochter des Kaisers von Konstantinopel,
heirathete, viele Abenteuer bestand, welche der Nachwelt ewig
aufbewahrt zu werden verdienen und schliesslich Herr und
Kaiser des griechischen Reiches wurde. Ueber die Herkunft
des Ritters lautet die Geschichte folgendermassen. Es waren
zwei Brüder, von denen der eine Uther Pandragon hiess und
Vater des Königs Arthur von England war; der Name des
andern Bruders ist unbekannt. Diese beiden Brüder bemäch-
tigten sich eines festen Schlosses, welches auf dem Gipfel eines
Salzfelsens gebaut war und daher den Namen erhielt. Uther
Pandragon war zum Schwiegersohne des Königs von Frank-
reich ausersehen; aber der jüngere Bruder weiss sich durch
List und Täuschung die Verlobte anzueignen und auf den Salz-
felsen zu entführen, woselbst alsbald Tirante geboren wird;
indessen sich Uther Pandragon mit einer natürlichen Tochter
des Königs von Frankreich begnügen muss. Der Held des
Ritterromanes nannte sich Tirante, weil sein* Vater Herr der
Markgrafschaft Tirania war, die, so belehrt uns das Buch, ver-
mittelst des Meeres an England grenzt; und der Weisse oder
Glänzende oder Strahlende oder Hochachtbare ward er zube-
nannt, weil seine Mutter Blanka hiess.
Ob dieses Buch ursprünglich in spanischer, portugiesischer,
englischer oder limosinischer Sprache geschrieben ist, kann nicht
erwiesen werden; denn jede dieser Sprachen hat in dem Streite
darüber ihre Vertreter. Sicher ist, dass es im zuletztgenannten
Idiom 1490 in Valencia gedruckt wurde. Die Bibliotheken in
Paris und Madrid haben kein Exemplar dieses seltenen Buches
aufzuweisen; und die Büchersammlung der Sapienza in Rom
bewahrt eins — wahrscheinlich das Einzige der Welt — welches,
wie der Titel besagt, „zur Ehre Jesu Christi und der alier-
heiligsten Jungfrau Maria, seiner Mutter" von Joanot Martorell,
einem Cavalier Ferdinand's von Portugal, geschrieben ist. Den
Titel ziert rings ein gestochener Saum; das "Werk besteht aus
einem Bande in Folio, ohne Seitenzahl, und enthält 487 Ka-
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 41
pitel. *) In spanischer Sprache wurde Tirante 1511 in Valla-
dolid veröffentlicht. Wahrscheinlich schrieb Martorell uni's Jahr
1460 die drei ersten Theile ; den Rest ein gewisser Juan de
Gualba. Italienisch übersetzt von dem Doctor Lelio Manfredi
erschien dieser Roman 1538 in Venedig; zweite Auflage 1566.
Ans dem Spanischen in's Französische übertrug ihn 1740 der
Graf Caylus. —
Wie wir schon andeuteten besitzen die Spanier eine Reihen-
folge von Amadis- und andern Ritterromanen,**) wie keine
Nation eine ähnliche aufzuweisen hat, und alle vereinigt würden
eine stattliche Bibliothek bilden. Sie liefern den Beweis, wie
das klassische Zeitalter einer Literatur mit gleicher Ueppigkeit
Meisterwerke und Jammererscheinungen hervorbringen kann,
was das 16. Jahrhundert in Bezug auf die Heroen des spani-
schen Parnasses und in Bezug auf die vielen Ritterromane ge-
tnan hat.
In diesem Jahrhundert der Ritterromane wurde auch die
Chronik des Pseudo-Turpin in die spanische Sprache über-
setzt: jene Chronik, welche von den Thaten Karl's des Grossen
und seiner Helden handelt, die schon seit Jahrhunderten in
Liedern besungen Avaren. So erschien in Sevilla 1525 das Buch
von Roland, Rinaldo von Montalban und den übrigen Paladinen,
und 1528 in derselben Stadt die Geschichte Karls und der zwölf
Pairs. Zu allen Zeiten ein Lieblingsbuch der Spanier erfreut
es sich noch jetzt der allgemeinsten Theilnahme von Seiten der
niedern Klassen.
[Die Geschichte des heldenmüthigen Kaiser Karl entflammte
die Phantasie verschiedener Dichter, sowohl Spanier als Ita-
liener. Unter den Erstem erschien zuerst das „illustrirte
Spanien," ein Gedicht von 40 Gesängen, welches die letzte
Expedition Karl's des Grossen und seiner Pairs bis zur Schlacht
bei Roncesvalles besingt. Im Jahre 1585 schrieb Agustin Alonso
ein episches Gedicht, welches die Thaten des unbesiegbaren
Ritters Bernardo del Carpio feierte, und nachdem die Blüthe
*) Eine neue Ausgabe des Originals ist zufolge einer von P. Mendez
aufgestellten Behauptung 1497 in Barcelona erschienen.
**) In der Bibliothek des Ritters Don Quijote befanden sich über 300
Ritterromane. (D. Q. I, 21.)
42 Ueber Amadis von Gallien
der Rittergeschichten schon gewelkt, d. i. nach dem Tode des
grossen Cervantes, schrieb 1624 Bernardo de Valbuena ein
Heldengedicht, welches den eben erwähnten Bernardo del Carpio
verherrlicht. Die Niederlage der Franzosen in dieser Schlacht
hatte schon früher dem Valencianer Nicolas de Espinosa zu
einem Gedichte in 35 Gesängen den Stoff geliefert. Dieses
Epos, eine Fortsetzung des Orlando von Ariost, besingt die
Schlacht und den Tod der zwölf Pairs von Frankreich. (Zara-
goza 1555; Antwerpen 1557; Alcala 1579.) Ueber dasselbe
Ereigniss verfasste ebenfalls Francisco Garrido de Villena ein
Epos, welches 1583 in Toledo erschien.]
Nicht minder französischen Ursprungs, als die Karlssage,
und ebenfalls durch Uebersetzung in Spanien eingebürgert, ist
die Geschichte der „Neun Helden des Ruhmes." Die Thaten
und der Lebenslauf dieser neun Helden war seiner Zeit ein seljr
beliebtes Volksbuch, welches im Jahre 1530 von Antonio Ro-
driguez Portugal aus dem Französischen übersetzt und in Lissabon
gedruckt wurde. Das Original dieser spanischen Uebertragung
war 1507 in Paris erschienen. Eine neue Auflage erlebte die
Uebersetzung 1585 in Alcala.
Die wichtigsten Ritterromane, welche als Fort-
setzungen und Nachahmungen des Amadis von
Gallien zu betrachten sind.
Amadis von Gallien, der Stammvater, wird — wie wir
schon angegeben — in vier Büchern abgehandelt.
Esplandian. Die Thaten dieses würdigen Sohnes des
Amadis von Gallien lieferten den Stoff zu dem fünften Buche
der Amadisromane. Garci Ordoiiez de Montalban verfasste
dieses Buch und gab es 1526 in Sevilla heraus. Gleich vielen
andern Erzeugnissen, zumal Ritterromanen, jener Zeit, wird
auch bei diesem angegeben , dass es ursprünglich in einer
fremden Sprache geschrieben sei; denn Ordoiiez erklärt, das
Buch wäre von dem Meister Heiisabad in griechischer Sprache
verfasst. Der Sohn des grossen Amadis theilte bald, wie die
vielen Ausgaben und Uebersetzungen beweisen, den Ruhm des
Vaters. Mambrino Roseo übertrug das Buch italienisch, und
in dieser Sprache erlebte es bald vier Auflagen. 1543 wurde
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 43
in Paris eine französische Uebersetzung gedruckt. Spanische
Ausgaben erfolgten ferner in Zaragoza 1587 und in Alcala 1588.
Florisandus oder Flores von Griechenland, Sohn
Florestan's und Neffe des Stammvaters. Dieses sechste Buch
der Amadisromane schrieb Pelayo de Ribera.
Liswarte II. von Griechenland. Dieser Sohn Es-
plandian's und Enkel des Amadis von Gallien; ferner Perion
von Gallien, Bruder des Amadis; dann die Geburt des Amadis
von Griechenland, Sohn des genannten Liswarte — also Ur-
enkel des Stammvaters — und der Tod des gemeinschaftlichen
Ahnherrn werden in diesem siebten und achten Buche der Ama-
disromane abgehandelt. Der Verfasser ist Juan Diaz , Bacca-
laureus des kanonischen Rechts.
Amadis von Griechenland liefert den Stoff des neunten
Amadisbuches. Er wrar ein Sohn des Liswarte von Griechen-
land und der Prinzessin Onolaria, folglich — wie schon gesagt
— ein Urenkel des Stammvaters, und Ritter vom feurigen
Schwerdte zubenannt. Durch seine Thaten gelang es diesem
Helden, Kaiser von Konstantinopel, König von Rhodus u. s. w.
zu werden. Das Werk besteht aus zwei Theilen, und war der
Sitte gemäss aus der griechischen Sprache in die lateinische
und aus dieser in die spanische übertragen. Der grosse und
weise Zauberer Alquifa schrieb das Buch und widmete es dem
Altvater Amadis, König von Grossbritannien. Ausgaben er-
schienen in Burgos 1535; Sevilla 1542; Lissabon 1596.
Florisel von Nicea bildet das zehnte Buch der Amadis-
romane, und enthält den ersten und zweiten Theil von Flo-
risel's Thaten und die Abenteuer seines Bruders Anaxartes,
beides Söhne des Amadis von Griechenland, folglich Ururenkel
des Amadis von Gallien. Wie der Verfasser Feliciano de Silva
erklärt, verbesserte er den Originaltext, welchen die Königin
Zirfea von Argines geschrieben hatte. (Im zweiten Theile wird
erzählt, wie Florisel sich entschloss, hinfort ein Schäferleben zu
führen und idyllisch auf einem Dorfe zu wohnen. Zu dem
Zwecke verschaffte er sich einige Schafe und auch Hirtenkleider.
Diese Episode nachahmend lässt Cervantes den Ritter Don
Quijote (II, 67) dasselbe beschliessen.) Ausgaben dieses Ritter-
44 Ueber Amadis von Gallien
romanes erschienen in Burgos 1535; Zaragoza 1584; Lissabon
1596. ,
Die Fortsetzung von demselben Verfasser bildet das
eilfte Buch der Araadise und enthält im dritten Theile die
Abenteuer der Söhne des Florisel von Nicea und der Prinzessin
Helena, Tochter des Königs von Apolonien, also der Ururur-
enkel des gemeinschaftlichen Ahnherrn. Sie heissen Rogel von
Griechenland und Agesilaos von Kolkos. Zugleich werden die
Thaten der Söhne des Falanges von Astra abgehandelt. Das
vierte Buch erschien schon 1551 in Salamanka, und zerfällt
in zwei Theile, welche zufolge der Erklärung des Verfassers
Silva ursprünglich von Galerris griechisch verfasst und von
Filastres Campaneo lateinisch übersetzt waren. Im ersten Theile
lesen wir die Unternehmungen Rogel's, und im zweiten seine
LiebesafFairen mit der wunderschönen Archisidea, der Kaiserin
des Morgenlandes, einer Tochter des Grosskhan Aquilidon. Er
heirathete diese Dame und zeugte mit ihr einen Sohn Fara-
mund, den letzten Sprössling aus dem gallischen oder Amadis-
Heldenstamme, welcher mit ihm erlosch.
Der Ritter vom Kreuze oder Leopolem, Sohn des
Kaisers von Deutschland. Dieser Roman bildet das zwölfte
Buch der Amadise und wird — wie Cervantes dieselbe Quelle
für seinen Don Quijote angiebt — für eine Uebersetzung aus
dem Arabischen ausgegeben, welche ein Sclave in Tunis von
dem Originale lieferte, das ein Maure Namens Xarton auf Be-
fehl des Sultans Zuleraa verfasst hatte. Der eigentliche Ver-
fasser dieses Romanes ist jedoch Pedro de Lujan, wie er selbst
in einem andern Werke erklärt. Eine Ausgabe des Kreuzritters
erschien 1542 in Toledo; eine andere in Sevilla, jedoch ohne
Jahreszahl, vielleicht schon 1534.
Leander der Schöne bildet das dreizehnte Glied in der
Amadiskette und ist von dem Verfasser des vorhergehenden
Romans geschrieben, nämlich von Pedro de Lujan , der jedoch
— wie es der Brauch zu heischen schien — ein griechisches
Original aus der Feder des weisen Königs Artidor nur über-
setzt. Es erschien in Toledo 1543 und hatte gleich dem Kreuz-
ritter die Ehre, in die französische und italienische Sprache,
letzteres in Venedig 1580, übertragen zu werden.
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 45
Belianis von Griechenland, Nachkomme des Amadis
von Gallien, war ein Sohn des Kaisers Belanius und der Kaiserin
Clarinda. Seine Geschichte bildet das vierzehnte Buch der
Amadisromane , und besteht aus vier Theilen , als deren Ver-
fasser sich am Ende des vierten der Licenciat und Advokat
Geronimo Fernandez in Madrid nennt. Der Roman enthält die
höchst gefahrvollen Thaten des Belianis, seine Liebesabenteuer
mit der Prinzessin Florisbella, einer Tochter des Sultans von
Babylon, und erzählt ferner, wie die Prinzessin Polyxena, die
Tochter des Königs Priamus von Troja, aufgefunden wurde.
Dieses Buch ist ebenfalls nach einem griechischen Originale
bearbeitet, dessen Verfasser der weise Freston sein soll. Aus-
gaben erschienen in Estella 1564; in Antwerpen 1564: in Bur-
gos 1579; in Zaragoza 1580. In italienischer Sprache von
Mambrino Roseo 1586; in französischer von Gabriel Chapuys,
zugleich mit sämmtlichen Amadisromanen, in Lyon, Paris und
Antwerpen 1575 und 1577.
Der Ritterspiegel. Dieses Werk umfasst fünf Bücher.
Das erste Buch, aus zwei Theilen bestehend, ist von Diego
Ordonez de Calahorra geschrieben und dem Sohne des be-
rühmten Cortez gewidmet. Es enthält die Geschichte von den
Thaten des Grafen Roland und Rinaldo's von Montalban. Se-
villa 1533 — 36, 1550, 1562. In Zaragoza erschien 1580 ein
Fürsten- und Ritterspiegel, in welchem der Ritter vom Phöbus
und sein Bruder Rosicler (Söhne des grossen Trebaz, des
Kaisers von Konstantinopel) und die Liebesabenteuer des Ritter
Rosicler mit der wunderschönen Prinzessin Claridiana u. s. w.
verherrlicht werden. Das zweite Buch dieser Sammlung, eben-
falls zwei Theile umfassend, wurde von Pedro de la Sierra ge-
schrieben und 1580 in Zaragoza gedruckt. Der Licenciat
Marcos Martinez ist der Verfasser des dritten und vierten
Buches, jedes aus zwei Theilen bestehend (Alcala 1589) und
erzählt nebst andern Geschichten noch Thaten der Vorigen und
dann die Unternehmungen deren Söhne Cloridiano und Rosabel,
Enkel des Kaisers Trebaz. Ob die beiden Theile des fünften
Buches je gedruckt sind, ist ungewiss; sie existiren als Manu-
script in der königl. Bibliothek zu Madrid, und Feliciano de
46 Ueber Amadis von Gallien
Silva wird als Verfasser des ersten Theiles dieses letzten Buches
genannt.
Palmerin vom Oelbaum. Was die Geburt dieses be-
rühmten Ritters anbetrifft, so werden wir durch den Roman,
welcher seinen Namen trägt, belehrt, das3 ein macedonischer
König, Florendos geheissen, die Infantin Griana, eine Tochter
des Kaisers von Konstantinopel, wider den Willen ihres kaiser-
lichen Vaters liebte. Sie trug die Frucht dieser verbotenen
Liebe in einen Olivenwald und hing den Säugling; vermittelst
eines Korbes an einen Palm bäum , wo ihn der Bauer Geraldo,
herbeigelockt durch das Weinen des Ausgesetzten, fand und in
Erwägung des Baumes und Waldes Palmerin vom Oelbaum
nannte. Eine mitleidige Frau Namens Marcella, deren eigenes
Kind gerade gestorben war, nahm sich des Findlings an. In-
dessen wurde Griana gewaltsam mit Tarisius, der die Krone
Ungarns usurpirt hatte, vermählt; aber Florendos erschlug diesen
und setzte sich wiederum in den Besitz der geliebten Griana.
Palmerin zeigte schon in zarter Jugend einen ungewöhn-
lichen Muth und erfuhr bald, dass er nicht der Sohn des gut-
herzigen Landmanns sei. Daher sehnte er sich, die Welt nach
Abenteuern zu durchstreifen und seine Eltern aufzusuchen. So
wollte es der Zufall, dass er von seinem Vater, dem Könige
von Macedonien — ohne jedoch die gegenseitigen Beziehungen
zu ahnen — zum Ritter geschlagen wurde, als welcher er die
gefährlichsten Unternehmungen in den fernsten Gegenden glück-
lich ausführte. Weil er einst eine Schlange oder einen Lind-
wurm tödtete, der einen heilkräftigen Quell bewachte, so nannte
er sich auch Ritter von der Schlange. (D. Q. I, 21.) Da nun
ein Ritter nicht ohne Herzensdame sein durfte, versäumte er
nicht, sich eine Gebieterin seiner Gedanken in der Tochter des
deutschen Kaisers zu wählen, der wunderschönen Polinarda,
der zu Ehren er gewaltige Thaten vollbrachte und verschiedene
Kriege führte. Bei einem solchen Abenteuer hatte er Gelegen-
heit, Griana und Florendos aus dem Gefängnisse zu befreien
und den Thronräuber, der sie eingekerkert hielt, vom Throne
zu stossen. Dieses glückliche Ereigniss führte ihn übrigens in
die Arme seiner hocherfreuten Eltern, welche ihn als den lange
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 47
beklagten und zurückgewünschten Sohn erkannten. Der Kaiser
von Konstantinopel hatte endlich nichts mehr gegen eine Ver-
bindung seiner Tochter Griana mit dem Könige Florendos ein-
zuwenden, und der deutsche Kaiser gab ebenfalls »seine Ein-
willigung zu der Verbindung seiner Prinzessin Polinarda mit
dem ritterlichen Palmerin, welcher nach mancherlei Schicksalen
und höchst rühmlichen Thaten seinem Vater und Grossvater in
der .Regierung Macedoniens und Konstantinopels folgte, und —
wie uns der Roman belehrt — einer der berühmtesten Kaiser
wurde.
Palmerin hatte zwei Söhne, einen von seiner Gattin Poli-
narda, Primaleon geheissen, und einen andern von der Königin
von Tarsis, den er Polendos nannte. Primaleon, dessen Herzens-
dame Gridonia hiess, ward berühmt wie sein Vater, und be-
stand die unerhörtesten Abenteuer, um sich die Liebe der
schönen Gridonia zu erwerben. Vermählt mit ihr regierte er
auf Befehl seines Vaters als Statthalter in Griechenland und
führte siegreich die schrecklichsten Kriege. Schliesslich erbte
er den Thron und mit ihm den Ruhm seines unbesiegten Vaters.
Der Ritterroman Palmerin vom Oelbaum umfasst zwei
Theile, deren erster die gewaltigen Thaten des vaterlosen Find-
lings enthält und 1526 in Venedig, sodann in verschiedenen
Städten Spaniens und zuletzt 1580 in Toledo herausgegeben
wurde. Im zweiten Theile (Medina del Campo 1563) werden
die Fahrten der Söhne Palmerin's, nämlich Primaleon und Po-
lendos u. s. w. erzählt. Ausserdem erschien schon 1516 und
1518 eine Ausgabe, und 1598 eine solche in Lissabon, welche
dem Titel zufolge die Thaten Primaleon's, dessen Bruders Po-
lendos, des englischen Prinzen Duard und anderer trefflicher
Ritter vom Hofe des Kaisers Palmerin erzählt. Dieses be-
rühmte Buch wurde von einer spanischen Dame geschrieben,
deren Namen unbekannt geblieben ist. Der Italiener Ludwig
Dolce schrieb zwei epische Gedichte, Palmerin und Primaleon,
welchen er diesen Ritterroman zu Grunde legte.
Palmerin von England. Dieser Roman, der ehrenvoll
vom Scheiterhaufen losgesprochen wird, besteht aus sechs Theilen,
48 Ueber Amadis von Gallien
wurde wahrscheinlich in portugiesischer Sprache geschrieben und
1553 in die spanische übertragen. Eine Ausgabe, welche 1786
in Lissabon erschien, belehrt uns, dass der Portugiese Francisco
de Moraes «diesen Roman verfasst und 1567 in Evora veröffent-
licht habe. Cervantes dagegen nennt „einen weisen König von
Portugal" als Verfasser: welcher? ist nicht ermittelt. Im Jahre
1568 erschien in Toledo der erste und zweite Theil dieses
Romanes, wo sich ein Spanier Luis Hurtado als Verfasser
nennt. Sie enthalten die Erlebnisse und Thaten des Ritter
Palmerin von England, Sohn des Königs Duard, und seine
Liebesabenteuer mit einer Infantin Polinarda. Die übrigen
Theile erzählen die Geschichte von einem Bruder des Palmerin
von England, Florian, zubenannt „der Wüstenritter," und die
Abenteuer des Prinzen Florendos, eines Sohnes des schon ge-
nannten Primaleon. Der dritte und vierte Theil wurde von
Diego Fernandez de Lisboa, und der fünfte und sechste von
Baltasar Gonzalez de Labato, beides Portugiesen, geschrieben.
Der Ritter Platir, Sohn des Kaisers Primaleon, und
der Ritter Flotir, Sohn des Ritter Platir. Dieser Roman,
wahrscheinlich spanischen Ursprungs, wurde im Jahre 1533 in
Valladolid gedruckt. Gabriel Chapuys übersetzte ihn fran-
zösisch, und es erfolgten zwei Ausgaben in Lyon 1580 und
1618. Mambrino Roseo gab eine italienische Uebersetzung her-
aus, Venedig 1559.
Celidon von Iberien ist der Titel eines elenden Ritter-
gedichts in 40 Gesängen in gereimten Octaven, welches Gomez
de Luque zum Verfasser hat.
Cirongil von Thracien. Dieser Roman erzählt in vier
Theilen die Thaten des gewaltigen Cirongil, eines Sohnes des
edlen Königs von Macedonien Elesfron. Selbstverständlich war
er ursprünglich griechisch geschrieben, und zwar von Navarco,
dann lateinisch von Promusis und wurde schliesslich im Jahre
1545 von Bernardo de Vargas in Sevilla in spanischer Sprache
veröffentlicht.
Clarian von Landanis und dessen Sohn Floramant
von Köln, verfasst von Gerönimo Lopez.
und die bedeutendsten Ritterromane der Spanier. 49
Cristalian von Spanien, Fürst von Trapezunt, und die
ruhmvollen Werke seines Bruders Lucescan, geschrieben von
der Dame Beatriz Bemal.
Claribalt oder der Ritter vom Glücke, verfasst von
Gonzalo Fernandez de Oviedo.
Florismarte von Hirkanien. Diesen Roman schrieb
Melchor de Ortega unter dem Titel „Geschichte des Prinzen
Felixmarte von H.;" Valladolid 1556. Ueber die Geburt des
Prinzen theilt uns der Roman mit, dass die Prinzessin Marte-
dina, Gattin des Prinzen Floraran von Mysien, unter dein Bei-
stande einer milden Frau Namens Belsagina im Walde eines
Knäbleins genesen sei und dasselbe Florismarte benannt habe,
um die Namen der Eltern im Namen des Sohnes zu vereinigen.
Indessen sei ihr später der Name Felixmarte wohlklingender
vorgekommen, weshalb der Ritter bald so, bald Florismarte ge-
nannt wird.
Florand von Kastilien ist der Titel eines traurigen
Ritter<redichtes von Geronimo de Huerta.
Florambel von Lucea, Sohn des Königs Florisius\ 2
von Sehotttland. 1^5*
Felix- Magnus, Sohn des Königs Filangris von]
England.
Florand von England und seine Liebesabenteuer!
mit der Prinzessin Rosalinda, Tochter des Kaisers von Rom.
Liebetraut von Schottland, verfasst von Juan de
Cordoba.
Olivante von Laura. Dieser berühmte Roman, welcher
bei dem Gerichte über die Bibliothek des sinnreichen Junkers
als abgeschmackter Bengel zum Scheiterhaufen verdammt wird,
lehrt uns, dass besagter Olivante von Laura ein Prinz von
Macedonien war und durch seine wunderbaren Heldenthaten es
dahin brachte, Kaiser von Konstantinopel zu werden. Dieses
dem König Philipp II. gewidmete Buch besteht aus drei Theilen
und wurde nach dem Jahre 1520 von Antonio de Torquemada
verfasst, der es 1564 in Barcelona drucken Hess. Wie auch
der Pfarrer bei der Verdammung des Buches erklärt, war Tor-
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 4
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50 Uebcr Amadis von Gallien
quemada ausserdem noch Verfasser des „Blumengartens," ein
Werk ebenfalls in dem wunderliehen und verdrehten Geschmacke
der Kitterbücher geschrieben.
Polisman Florisius oder der Wüstenritter, geschrieben
von Fernando Bemal.
Der Kitter Clamades, Sohn des Königs von Kastilien,
und seine Liebesgeschichten mit der schönen Claramonda, Tochter
des Königs von Toskana. Autor unbekannt.
Die schöne Magelona, Tochter des Königs von Neapel,
ihr Leben und ihre Liebesabenteuer mit Peter von der Provence.
Verfasser unbekannt. Das französische Original dieser Ge-
schichte wurde bald nach 1524 in die spanische Sprache über-
setzt.
Die edlen Ritter Oliver von Kastilien und Arthur
von Algarbien. Autor unbekannt.
Der tapfere Graf Parti nuples und seine Helden-
thaten, welche ihm den Kaiserthron von Konstantinopel ver-
schaffen. Der Verfasser ist unbekannt.
Der Prinz Chrysokalus, geschrieben von Bernardo de
Vargas, Verfasser des schon genannten Romanes Cirongil.
Tablante von Reichenberg. Dieser wüste und weit-
schweifige Roman wurde von einem gewissen Garray geschrieben.
Eine nach des Cervantes Tode erschienene Ausgabe, Sevilla
1629, giebt sich für die Uebersetzung eines französischen Ori-
ginalromanes oder einer Chronik aus.
Der weise Merlin. Noch gedenken wir eines Buches,
welches allerdings kein Ritterroman ist, dessen angeblicher Ver-
fasser aber in den Ritterromanen eine bedeutend wichtige Rolle
spielt, und auch mehrfach im Don Quijote -(II, 22, 35 ff. ff.)
in seiner ursprünglichen Wichtigkeit erscheint. Merlin, der
grosse Zauberer und Genosse der Könige Uther und Arthur
von Grossbritannien, wurde in Wales geboren; seine Eltern waren
eine keusche Jungfrau und der — Teufel , welcher sich jener
ohne ihr Wissen während des Schlafes bemächtigt hatte.*) Von
*) Der Pater Martin del Rio, ein sehr gelehrter Jesuit, citirt die ge-
wichtigsten Auctoritäten zur Begründung der Ansicht, dass sein Namensvetter
und die bedeutendsten R itterromane der Spanier. 51
seinem Vater mit den mannigfachsten übernatürlichen Gaben
ausgerüstet, erlangte Merlin durch seine Zaubereien, durch seine
Abenteuer mit den britannischen Königen u. s. w. eine Berühmt-
heit, welche durch das angeblich von ihm selbst verfasste Buch
Jahrhunderte hindurch genährt wurde. Dieses Werk enthält
neben der Erzählung von Merlin's Geburt und andern schmutzigen
Geschichten und Thaten auch eine Reihe von Prophezeiungen,
welche nicht nur auf die englischen Verhältnisse Anwendung
fanden, sondern denen durch Uebersetzungen eine Ausdehnung
über die verschiedensten Länder eingeräumt wurde. Nach einem
langen und abenteuerlichen Leben ereilte den Zauberer ein
wunderbarer Tod. Gleich Simson enthüllte er in schwachen
Augenblicken auf vieles Drängen seiner Geliebten, der Hexe
Viviane, den Zauber, welcher alle seine eignen Künste und Mittel
an Stärke übertraf. Neugierde und Zweifel an der Wahrheit
dieser Enthüllungen trieben Viviane zu einem Versuche an;
aber der Zauber wirkte so stark, dass nichts ihn wieder zu
lösen vermochte: Merlin verschwand und wurde, selbst unsicht-
bar, in einen unsichtbaren Kerker gebannt, sodass nur seine
weissagende Stimme aus einer Grotte im Walde Breceliande in
England vernommen wurde. In Burgos erschien 1498 in spani-
scher Sprache dieses Buch, welches von dem weisen Merlin
handelt und dessen Weissagungen enthält. Ein höchst seltenes
Werk, wird das Exemplar auf der königl. Bibliothek in Madrid
für das Einzige der Welt gehalten.
Hier schliessen wir das Verzeichniss der Ritterbücher, ohne
es jedoch erschöpft zu haben. Noch viele Hessen sich auf-
zählen; aber die Angegebnen genügen unserm Zwecke, den wir
in Bezug auf den sinnreichen Junker Don Quijote im Auge
hatten. Die vielfachen Aurlagen und Ausgaben dieser Ritter-
romane beweisen hinlänglich die Leidenschaft der Spanier für
solche Bücher. Nicht nur erstreckte sich diese Manie auf die
Schichten einer zweifelhaften Bildung — denn deren Geschmack
Martin Luther der Sohn eines Ziegenbocks und eines Weibes sei, und ver-
sichert zugleich, dass im Jahre 1598 ein Geschöpf geboren wurde, dessen
Vater ebenfalls der Satan unter der Maske eines Ziegenbocks gewesen, der
mit einem irdischen Frauenzimmer verkehrte.
4*
52 UeberAmadis von Gallien etc.
hat sich wenig geändert — sondern sie umfasste die ganze
Nation: alle Classen des Volkes, und zwar, wie wir sahen, in
dem Zeitalter der grössten Blüthe der Literatur, wetteiferten im
Schreiben und Lesen dieser Ausgeburten einer kranken, irre-
geleiteten Phantasie. —
Dr. Herrmann-Twiste.
Ueber
Was und Welches.
Viele scheinen es sich zur Regel zu machen, statt des be-
züglichen Fürworts „welches," stets „was" anzuwenden,
wenn eine Beziehung nicht auf ein einzelnes Nennwort oder
Fürwort Statt findet, sondern auf einen ganzen Satz oder
ein zusammengesetztes Satzglied. Sie sagen z. B.
„Sein ältester Sohn brach sein rechtes Bein, was (nicht
„welches") mich mit innigem Bedauern erfüllt."
Sie gebrauchen hier „was" und nicht „welches," weil
das Fürwort sich nicht auf das rechte Bein bezieht, sondern
auf das Brechen des Beins. Ob diese Regel die richtige ist
oder nicht, mag sich aus Folgendem herausstellen.
Lassen wir uns zuvörderst die englische Sprache zum
Massstabe dienen in Absicht auf den Unterschied, welchen diese
zwischen „welches" und „was" macht; ich meine nämlich zwi-
schen which und what. Denn dass Letzteres (als dem platt-
deutschen „wat" so ähnlich lautend) dem deutschen „was" ent-
spricht, erscheint ausgemacht. Und prüfen wir hernach, ob der
von dem Engländer gemachte Unterschied der richtige ist. Der
Engländer wendet in dem angeführten Satze „welches" (which)
und nicht „was" (what) an. Er sagt also:
1. His eldest son broke his right leg, which (nicht
what) fills me with sincere compassion.
Der Engländer sagt ferner:
2. „Ich verstehe Alles, welches (oder „Alles, das,"
nicht „Alles, was") Sie sagen."
I understand all which (oder all that, nicht all what)
you say.
54 Ueber Was und Welches.
3. „Ich verstehe was (oder „das, welches," nicht
„das, was ") Sie sagen. "
I understand what (oder that which, nicht that
what) you say.
4. „Er achtete nicht auf was ich sagte" (oder Er
achtete nicht auf das, welches ich sagte," nicht „Er
achtete nicht auf das, was ich sagte").
He did not attend to what I said (He did not attend
to that which I said, nicht He did not attend to that
what I said).
5. „Er war nicht zufrieden mit was ich ihm gab." („Er
war nicht zufrieden mit dem, welches ich ihm gab,"
nicht „Er war nicht zufrieden mit dem, was ich ihm
, gab.")
He was not content with what I gave him (He was
not content with that which I gave him, nicht He
was not content with that what I gave him).
6. „Was Gott uns auferlegt, müssen wir tragen" (nicht
„Was Gott uns auferlegt, das müssen wir tragen").
What God inflicts upon us we must endure (nicht
What God inflicts upon us, that we must endure).
Ferner wendet der Engländer „was" noch in folgender
eigenthümlichen Weise an. Sätze wie:
„Ich hatte das Geld, welches ich bei mir hatte, aus-
gegeben."
I had given out the money which I had about me.
„Die wenigen Möbel, welche er hinterliess, wurden
von seinen Gläubigern in Beschlag genommen."
The few articles of furniture which he left were
seized upon by his creditors.
kann er auch in folgender Weise geben:
„Ich hatte was Geld ich bei mir hatte ausgegeben."
I had given out what money I had about me.
„ TV a s Avenige Möbel er hinterliess, wurden von seinen
Gläubigern in Beschlag genommen."
What few articles of furniture he left were seized
upon by his creditors.
Ueb er Was und Welches. 55
Aus den Beispielen 1 bis 5 ergibt sich, dass der Eng-
länder nie „was" (what) anwendet, wenn ein Wort, ein Satz
oder ein Satzglied vorhergeht, worauf es sich beziehen könnte.
Aus Beispiel 6 ergibt sich, dass er „was" auch nicht anwendet,
wenn ein Wort folgt, worauf es sich beziehen könnte. Letz-
tere Regel ist indessen insofern zu beschränken, als in der
Englischen Bibelübersetzung mitunter solche Sätze vorkommen,
wie z. B.
And what he hath seen and heard, that he testifieth.
„Und was er gesehen und gehört hat, das bezeugteer."
Einen Satz oder ein Satzglied, worauf „was" (what)
sich bezieht, lässt der Engländer jedoch zuweilen folgen; z. B.
His house was burned down, and — what (oder
which) fills me with sincere compassion — his eklest
son broke his right lej? on that occasion.
Er gebraucht in solchen Sätzen also beliebig „was" oder
„welches," während er, wie oben gezeigt, wenn der Satz nicht
als Parenthese eingeschoben wird, nur „welches" und nicht
„was" anwenden darf. Im Deutschen wendet man in der-
gleichen Parenthesen bekanntlich nur „ was" und nicht „welches"
an, obgleich in Luther's Bibelübersetzung sich auch Beispiele
mit „welches" finden:
„Denn ich habe Euch zuvörderst gegeben — welches
ich auch empfangen habe — dass Christus gestorben
sei für unsere Sünden nach der Schrift.
(1. Korinther 15 V. 3.)
Wenn ich nun der Meinung bin , dass auch der Deutsche
in der Wahl zwischen „welches" und „was" nach derselben
Regel verfahren sollte wie der Engländer, so möchte ich dies
durch Folgendes begründen:
Es liegt auf der Hand, dass „was" das Neutrum von „wer"
(Genitiv „wessen," Dativ „wem," Akkusativ „wen") ist, dass
also „was" sich zu „welches" verhält wie „wer" („wessen,"
„wem," „wen") zu „welcher" (Gen. „welches" oder „dessen,"
Dat. „welchem," Akkus, „welchen"). Insofern wie nun der
Engländer ein „was" (what) anwendet, wenn eine Beziehung
zu einem vorhergehenden Worte Statt findet, verfährt der Deutsche
56 Uebcr Was und Welches.
genau nach derselben Regel in der Wahl zwischen „wer"
u. s. av. und „welcher" u. s. w. Wir sagen:
„Wer das gesagt hat, hat gelogen,"
als gleichlautend mit
„Der, welcher das gesagt hat, hat gelogen,"
aber nicht
„Der, wer das gesagt hat, hat gelogen,"
so wie der Engländer sagt
„Was ich Dir sage, ist Wahrheit,"
als gleichbedeutend mit
„Das, welches ich Dir sage, ist Wahrheit,"
aber nicht
„Das, was ich Dir sage, ist Wahrheit."
Wir würden sagen können:
„Wessen Gott sich erbarmen will, erbarmt er sich,"
als gleichbedeutend mit
„Dessen, welches Gott sich erbarmen will, erbarmt
er sich,"
aber nicht
„Dessen, wessen Gott sich erbarmen will, erbarmt
er sich."
Ferner :
„Wem Gott gnädig ist, ist er gnädig,"
für
„Dem, welchem Gott gnädig ist, ist er gnädig,"
aber nicht
„Dem, wem Gott gnädig ist, ist er gnädig,"
ferner
„Wen Gott annehmen will, nimmt er an,"
für
„Den, welchen Gott annehmen will, nimmt etc."
aber nicht
„Den, wen Gott annehmen will etc.,"
so wie der Engländer sagt
„Ich verstehe, was Du sagst,"
als gleichbedeutend mit
„Ich verstehe das, welches Du sagst,"
aber nicht
Ueber Was und Welches. 57
„Ich verstehe das, was Du sagst."
Beim Analysiren dieser Sätze ist Folgendes zu bemerken:
In dem Satze „Wer das gesagt hat, hat gelogen," ist nicht „Wer,"
sondern das ganze mit „Wer" anhebende Satzglied („Wer das
gesagt hat") das Subjekt des ganzen Satzes. In dem Satze
„Wen Gott annehmen will, nimmt er an," ist „Wen" zwar das
rectum des Infinitiv „annehmen." Aber das Objekt des
ganzen Satzes ist das ganze mit „Wen" anhebende Satzglied
(„Wen Gott annehmen will").
In dem Bau der angeführten Sätze mit what („was") ver-
fährt der Engländer augenscheinlich nach folgender Regel:
Man vertauscht das bezügliche Fürwort „welches" (whieh)
mit dem Fragefürwort „was" (what), welches dann den Begriff
des Correlativums von which (nämlich that) i n v o 1 v i r t , so
dass dieses Correlativum weggelassen werden muss.
I understand that which you say.
I understand what you say.
He was not content with that which I gave him.
He was not content with what I gave him.
Mit Sätzen dieser Art hat es jedoch eine andere Bewandt-
niss als mit folgenden Sätzen:
I know what you hold in your hand.
„Ich weiss, was Du in Deiner Hand hast."
„Ich weiss, wer das gesagt hat."
„Ich weiss, wen Du meinst."
Denn Sätze letzterer Art haben wirklich eine Beziehung
zu einer Frage, und what, „was" „wer" und „wen"
behalten ganz die Natur eines Fragefürworts. Auch darf hier
nicht what mit that which, „was" mit „das, welches," „wer"
mit „denjenigen, welcher," „wen" mit „denjenigen, welchen"
vertauscht werden. In der Mitte zwischen Sätzen ersterer Art
und letzterer Art steht etwa folgender Satz :
Show me what you hold in your hand.
„Zeige mir, was Du in Deiner Hand hast,"
indem derselbe einerseits den Sinn zulässt: „Lass mich das
Ding, welches Du in Deiner Hand hast, näher betrachten!"
andererseits aber auch folgenden Sinn: „Ich weiss nicht, was
Du in Deiner (geschlossenen) Hand hast. Thu es mir dadurch
58 Ueber Was und Welches.
kund, dass Du es mir zeigst." Im ersteren, nicht aber im
letzteren Sinne, lässt what sich mit that which vertauschen.
Insofern wie der Engländer „was" (what) auch nie an-
wendet, wenn eine Beziehung zu einem im Satze nachfolgen-
den Worte Statt findet und z. B. nicht sag-en darf
What God inflicts upon us that we must endure,
sondern nur
What God inflicts upon us we must endure,
verfährt der Deutsche in der Wahl zwischen „wer" etc. und
„welcher" etc. freilich nicht nach derselben Regel, nach welcher
der Engländer in der Wahl zwischen what und which verfährt,
indem der Deutsche sehr oft zum Ueberflusse ein determinatives
Fürwort folgen lässt, z. B.
„Wer das gesagt hat, der hat gelogen."
„Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer
aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet." (Joh. 3
V. 18.)
„Wer von der Erde ist, der ist von der Erde." (Joh. 3.
V. 31.)
„Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und
wess ich mich erbarme, dess erbarme ich mich
(2. Mos- 33 V. 19) (statt „Wem ich gnädig bin, bin
ich gnädig; und wess ich mich erbarme, erbarme ich
mich" oder „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich
gnädig; und welches ich mich erbarme , dess er-
barme ich mich," wie es auch Römer 9 V. 15 steht),
„Wen Gott annehmen will, den nimmt er an."
Nicht überflüssig erscheint es, ein determinatives Fürwort
folgen zu lassen in folgenden Sätzen, wo die zu quasi -rela-
tiven Fürworter gemachten Fragefürwörter in einem anderen
Kasus stehen, als die Determinativa.
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus-
stossen."
„Wer an mich glaubet, von dess Leibe werden Ströme
lebendigen Wassers füessen."
„Wer anklopft, dem wird aufgethan."
„Wessen Gott sich erbarmet, der ist wohl berathen."
„Wem Gott gnädig ist, der ist wohl berathen."
Ueber Was und Welches. 50
„Wen Gott verschonen will, d e r ist und bleibt verschont.
„Den," „dess," „dem" und „der" dürfen hier nicht fehlen;
wohl aber könnte man die Fragefürwörter mit bezüglichen Für-
wörtern vertauschen und sagen:
„Welcher zu mir kommt, den werde ich nicht etc."
„ W e 1 c h e r an mich glaubt, von dess Leibe werden etc."
„Welcher anklopft, dem wird aufgethan."
„Welches Gott sich erbarmt, der ist wohl berathen."
„Welchem Gott gnädig ist, der ist wohl berathen."
„Welchen Gott verschonen will, der ist etc.,"
wie man ja, wenn man den Satz mit dem determinativen Für-
worte anheben würde, noth wendig die bezüglichen Fürwörter
anwenden müsste; z. B.
„Den, welcher (nicht „Den, wer") zu mir kommt,
werde ich nicht hinausstossen."
„Vom Leibe dessen, welcher (nicht „dessen,
wer") an mich glaubet , werden Ströme lebendigen
Wassers fliessen" u. s. w.
Die Anhebung eines Satzes mit einem bezüglichen Für-
worte ist dem modernen Ohr auffallend. In Luther's Bibel-
übersetzung finden sich aber manche Beispiele derselben, so
auch in dem angeführten Satze Römer 9 V. 15.
„Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und
welches ich mich erbarme, dess erbarme ich mich."
Wie man nun viele Sätze findet, wie die oben angeführten,
wo nach einem Fragefürworte das determinative Fürwort zum
Ueberflusse angewandt ist , findet man in Luthers Bibelüber-
setzung andererseits auch Sätze, in welchen in einer vielleicht
nicht zu rechtfertigenden Weise das determinative Fürwort
weggelassen ist, obgleich kein Fragefürwort, sondern ein
bezügliches Fürwort angewandt ist; z. B.
„So erbarmt er sich nun, welches er will, und ver-
stocket, welchen er will" (Römer 9 V. 18),
wo es wohl richtiger heissen müsste:
„So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt,
wen er will."
„Der von oben her kommt, ist über Alle" (Joh. 3 V. 31),
wo es wohl heissen müsste:
60 Uebcr Was und Welches.
„Der (Relativum) von oben herkommt, der (Deter-
minativ) ist über Alle." („Wer von oben her kommt,
ist über Alle" kann es freilich nicht heissen, da Jo-
hannes von Jesu spricht, also nicht von einer frag-
lichen, sondern von einer bestimmten Person.
Anders verhält es sich in dem Satze „Wer das ge-
sagt hat, hat selo^en." Statt des relativen Fürworts
mit dessen Korrelativ kann man ein Fragefürwort an-
wenden, wenn es sich nicht von bestimmten, sondern
von noch fraglichen Personen handelt. Diese Be-
merkung kann einen Fingerzeig abgeben auf den Ur-
sprung dieser Redeweise.)
Niemand fährt gen Himmel, als der (richtiger „der,
welcher") vom Himmel hernieder gekommen ist."
(Joh. 3 V. 12.)
Anders ist der Fall, wenn auf schon in Rede stehende
Personen oder auf eine abgeschlossene Anzahl Personen
Bezug genommen wird. Obgleich z. B. auf A.'s Frage:
„Wen soll ich senden?" (Whom shall I send?)
B.'s Antwort lauten würde:
„Sende, wen Du willst" (als gleichbedeutend mit „Sende
Jeglichen, welchen Du willst"),
Send whom you choose (oder Send whomsoever you
choose) (als gleichbedeutend mit Send any one whom
you choose oder altenglisch Send any one which you
choose),
80 würde doch auf A.'s Frage:
„Welchen soll ich senden? Ludwig? Wilhelm? oder
Franz?"
B.'s Antwort nur dann „Sende, wen Du willst," lauten, wenn
es ihm gleichgültig ist, ob A. einen der genannten drei
oder jeglichen Anderen sende. Wenn er aber will, dass A.
jedenfalls Einen der genannten drei sende, so wird er sagen
müssen:
„Sende, welchen Du willst" (als gleichbedeutend mit
„Sende Jeglichen derselben, welchen Du willst").
Send which you choose (oder Send Avhichsoever you
choose) (als gleichbedeutend mit Send of the three
Ueber Was und Welches. 61
any one whom you choose oder altenglisch Send
of the three any one which you choose).
In dem Satze „Sende, welchen Du willst" ist welchen nur
ein quasi- bezügliches Fürwort, d. h. ein Fragefürwort so an-
gewandt, dass es ein bezügliches Fürwort nebst dessen
Correlativ (welche Verbindung: „Sende Jeglichen derselben,
welchen Du willst" sich übel und schleppend ausnehmen würde)
ersetzt.
Vergleichen wTir parallele Sätze mit sächlichen Fürwörtern;
z. B.
A. „Was soll ich nehmen?"
What shall I take?
B. „Nimm, was Du willst."
Take what (whatsoever) you choose.
A. „Hier ist Salat, Spinat und Apfelmuss. Von welchem
soll ich nehmen?"
Here is salad, spinage, and apple-sauce. Of which
shall I take."
B. „Nimm, von welchem Du willst."
Take of which (of whichever) you choose.
Ich komme nun darauf zurück, dass „was" augenscheinlich
das Neutrum von „wer" ist.
Da wir nun „wer" nicht eigentlich als bezügliches
Fürwort anwenden, so ist es nicht der Analogie gemäss zu
sagen :
„Sein ältster Sohn hat sein Bein gebrochen, was mich
mit innigem Mitleid erfüllt."
Gegen meinen Vorschlag, hier „welches" anzuwenden,
möchte man einwenden:
„Welches" darf sich nur auf ein Nomen oder Prono-
men beziehen, nicht aber auf ein zusammengesetztes Satz-
glied. Wenn „welches" hier angewandt würde, so könnte
man verstehen, dass des ältesten Sohnes rechtes Bein, und
nicht der Verlust desselben, den Redenden mit Mitleid er-
füllte.
Ob dieser Einwand genügt, die Anwendung eines fragen-
den, statt eines bezüglichen Fürwortes zu berechtigen, lasse
ich dahingestellt sein.
62 Ueber Was und Welches.
Da wir nicht sagen:
,, Jeder, wer sich mir naht etc.,"
sondern:
„Jeder, welcher („Jeder, der") sich mir naht etc.,"
so ist es nicht der Analogie gemäss zu sagen:
„Alles, was Sie sagen etc."
Gegen meinen Vorschlag, hier „welches" oder „das"
anzuwenden, Hesse sich einwenden :
„Alles, welches Sie sagen" oder „Alles, das Sie
sagen" klingt etwas auffallend und ist gegen den Gebrauch.
Auch die Haltbarkeit dieses Einwandes lasse ich dahinge-
stellt sein. Uebrigens kommt in Luther's Bibelübersetzung
„Alles, das" mitunter vor; z. B.
„Ich faste zwier in der Woche und gebe den Zehnten
von Allem, das ich habe" (Lukas 18 V. 12),
obgleich dort auch in vielen Fällen „Alles, was" angewandt
ist; z. B.
„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn."
Da wir nicht sagen
„Der, wer das gesagt hat, hat gelogen,"
so ist es nicht der Analogie gemäss zu sagen
„Das, was ich sage, ist Wahrheit."
„Ich bestreite das, Avas Du behauptest."
Gegen meine Behauptung, dass „das" hier vollkommen
überflüssig ist, wird Avohl Nichts eingewandt werden, da es ja
schon geschmackvoller ist zu sagen
„Was ich sage, ist Wahrheit."
„Ich bestreite, was Du behauptest."
Selbst wo das Versmass das überflüssige „das" nöthig zu
machen scheint, kann der Dichter sich in manchen Fällen anders
helfen. So z. B. würde der erste Vers der 4. Strophe des
Schefflerschen Kirchenliedes „Mir nach, spricht Christus, unser
Held,"
„Ich zeig' euch das, was schädlich ist,
zu fliehen und zu meiden,"
richtiger lauten
„Ich zeige euch, was schädlich ist,
zu fliehen und zu meiden."
Ueber Was und Welches. 63
In ähnlichen Fällen das bezügliche Fürwort „welches"
oder „das" anzuwenden und z. B. zu sagen:
„Das, welches (oder „Das, das") ich sage, ist
Wahrheit"
würde freilich gegen den Geschmack Verstössen , ausser in
solchen Sätzen, in welchen das relative Fürwort nicht unmittel-
bar auf das determinative Fürwort folgt. Ganz richtig heisst
es also 2. Korinther 3 V. 11:
„Denn so das Klarheit hatte, das (nicht „was") da
aufhört, vielmehr wird das Klarheit haben, das da
bleibet."
Sollte hier „was " angewandt werden, so würde die Stelle
lauten müssen:
„Denn so, was da aufhört, Klarheit hatte, vielmehr
wird, was da bleibet, Klarheit haben."
In folgenden Lutherschen Sätzen scheint ein dem heutigen
Gebrauche oder Missbrauche entgegengesetzter Fehler ob-
zuwalten, nämlich „das" angewandt zu sein, wo „was" rich-
tiger gewesen wäre:
„Von Gottes Gnade bin ich, das (richtiger „was")
ich bin" (Rom. 15 V. 10).
„Wir reden, das (richtiger „was") wir gesehen
haben" (Joh. 3 V. 11).
„Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr sehet.
Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige
wollten sehen, das ihr sehet, und haben es nicht ge-
sehen, und hören, das ihr höret, und haben es nicht ge-
höret" (Lukas 10 V. 23 und 24).
Da wir nicht sagen:
„Ich bin nicht einverstanden mit dem, wer (sondern
„mit dem, welcher") dies behauptet."
„Ich werde schiessen auf den, wer (sondern „auf den,
welcher oder „auf den, der") mir entgegentreten
sollte,"
60 ist es nicht konsequent zu sagen
„Er war nicht zufrieden mit dem, was ich ihm gab."
„Er achtete nicht auf das, was ich sagte."
Gegen den Vorschlag zu sagen:
64 lieber Was und Welches.
„Er achtete nicht auf das, welches ich sagte."
„Er war nicht zufrieden mit dem, welches ich ihm gab,"
Hesse sich einwenden:
„Welches" darf nur dann in Beziehung auf „dem"
oder „das" gebracht werden, wenn „dem" oder „das" auf
ein schon in Kede stehendes Nomen zurückweiset; z. ß.
„Ich gab ihm auf sein Verlangen ein Messer, aber er
war nicht zufrieden mit dem (seil. Messer), welches
ich ihm gab,"
nicht aber wenn „dem" oder „das," wie in den fraglichen Sätzen,
einen substantivischen Charakter hat.
Gegen den Vorschlag, in Nachahmung der englischen
Sprache, zu sagen :
„Er war nicht zufrieden mit was ich ihm gab"
„Er achtete nicht auf was ich sagte"
Hesse sich einwenden :
Ein zusammengesetztes Satzglied zum rectum einer Prä-
position zu machen, ist ein Verstoss gegen den Gebrauch.
Auch die Haltbarkeit dieser Einwendungen lasse ich dahin-
gestellt sein.
Höchst fehlerhaft erscheint mir aber die Anwendung
des „was" nach dem Superlativ in folgender Weise:
„Dies ist das Merkwürdigste, was (statt „das") mir je
vorgekommen ist,"
zumal nach einem Gattungsworte, z. B.
„Dies war das erste englische Buch, was (statt „das")
ich las."
Die Fehlerhaftigkeit dieser Sätze springt in die Augen,
wenn wir ihnen folgende Parallel -Sätze gegenüberstellen:
„N. N. ist der seltsamste Mensch, wer (statt „der")
mir je vorgekommen ist."
„N. N. war der erste Mensch, wen (statt „den") ich
dort traf."
Fehlerhaft erscheinen mir auch Sätze wie folgender:
„Dies ist's, was Zwingli verkannt hat."
Dieses Satzes Hauptglied („Dies ist's") ist zweier Ana-
lysen fähig. Entweder „Dies" ist Subjekt, und „'s" ist
der prädikativische Nominativ , oder umgekehrt „'s" ist
Ueber Was und Welches. 65
Subjekt und „dies" der prädikativische Nominativ. In
ersterem Falle ist der Sinn:
„Dies ist dasjenige, welches Z. verkannt hat."
Will man nun „welches" mit „was" vertauschen, so
sollte man kein bestimmendes Fürwort (weder „das-
jenige," noch „das" noch „'s") voraufgehen lassen, sondern
sagen :
„Dies ist, was Z. verkannt hat,"
so wie der Engländer sagen würde:
This is what (This is that which) Z. has not duly
appreciated.
In letzterem Falle (und in diesem Sinne wird der Satz
wahrscheinlich gemeint sein) ist der Sinn:
„Dies (Dies eben) hat Zwingli verkannt,"
mit welchem Satze man, zur nachdrucksvollen Hervorhebung des
„Dies" eine Umschreibung vorgenommen hat, derjenigen
ähnlich, mit welcher man etwa den Satz
„Mit einem Messer verübte Tomlinson den Mord."
durch
„Mit einem Messer war's, dass Tomlinson den Mord
verübte."
umschreiben könnte — eine Umschreibung, welche in der eng-
lischen Sprache sehr viel, in der deutschen aber viel seltner
vorkommt. Diese Umschreibung sollte aber nicht lauten:
„Dies ist's, was Zwingli verkannt hat,"
sondern
„Dies ist's, das Z. verkannt hat."
This it is (oder It is this) which Z. has not duly
appreciated,
wenn man nicht sagen will:
„Dies ist's, dass Z. verkannt hat."
This it is (It is this) that Z. has not duly appreciated.
Die Richtigkeit der Sätze:
„Was er sagt, das ist Wahrheit."
„Was Du behauptest, das bestreite ich."
„Was vom Fleische geboren ist, das ist Fleisch und
was vom Geiste geboren ist, das ist Geist,"
Hesse sich zwar anfechten auf Grund des in der verwandten
Archiv f. 11. Sprachen. XXVIII. 5
66 Ueber Was und Welches.
englischen Sprache üblichen Verfahrens, nach welchem man
nicht sagen darf What he says that is truth (statt What he
says is truth) und auf Grund der augenscheinlichen Ueber-
flüssigkeit des „das" in diesen Sätzen; aber nicht auf
Grund des Umstandes, dass „was" das Neutrum von „wer"
ist. Denn mit „wer" bildet man, wie oben gezeigt, ähnliche
Sätze, wie z. B.
„Wer dies gesagt hat, der hat gelogen."
Auch hier ist freilich „der" augenscheinlich überflüssig.
Auf Grund des Gesagten wage ich die Vermuthung, ob
nicht vielleicht ursprünglich — d. h. vor der Zeit, um welche
Luther die Bibel übersetzte (da in der Bibel allerdings „was"
— wenngleich seltner als jetzt — als bezügliches Fürwort
vorkommt) — „was" ein bezügliches Fürwort war. Es gab
(so vermuthe ich) Sätze wie
„Ich verstehe, was (statt „das, welches") Du sagst,"
oder wie
„Nimm Dir, von was Du willst,"
auf die Frage „Von was soll ich nehmen?", in welchen Sätzen
„was" als ein quasi -relatives Fürwort erscheint. Diese An-
wendung des „was" als qua si-relatives Fürwort veranlasste
dann eine Begriffsverwirrung, wrelche Viele bewog, „was" durch
Bildung solcher Sätze wie die vorhin erwähnten (deren Rich-
tigkeit ich in Frage stellte) als wirklich relatives Fürwort
anzuwenden. Dieses ungrammatische Verfahren fiel Niemanden
auf, und so hat das Wort sich allmählich als relatives Für-
wort eingeschlichen. Ich wiederhole indessen, dass dies nur
eine Vermuthuno- von mir ist, deren Richtigkeit oder Un-
richtigkeit ich dahinstelle.
Eine andere Vermuthung drängt sich mir auf in Bezug
auf die englische Sprache, die Vermuthung nämlich, dass es
dem Engländer mit who ähnlich ergangen ist wie dem Deut-
schen mit „ w a s ". In älterem Englisch , auch noch in der
englischen Bibelübersetzung, im Common Prayer-book und im
Shakspeare, kommt who (Akkusativ whom, Genitiv whose)
nur als allgemein fragendes Fürwort vor. also als dem deUt-
sehen „wer" („wen") („wessen"), niemals als bezügliches
Fürwort, als dem deutschen „welcher" entsprechend. Als
Ueber Was und Welches. 67
bezügliches Fürwort wurde stets which angewandt, auch
in Bezug auf Personen: z. B.
Ihe man which brought me the books.
(„Der Mann, welcher mir die Bücher brachte.")
The men which brought me the books.
(„Die Männer, welche mir d. B. brachten.")
Dieses which ersetzte man, wenn man sich etwas nach-
lässig ausdrückte, oft durch das Bindewort that („dass"),
welches dadurch quasi zu einem bezüglichen Fürworte geworden
ist, und sagte:
The man that brought me the books.
(„Der Mann, dass mir die Bücher brachte.")
The men that brought me the books.
(„Die Männer, dass mir die Bücher brachten.")
Dieses Bindewort that ist nicht zu verwechseln mit dem
hinweisenden und determinativen Fürworte that („jener,"
„jene," „jenes," „derjenige," „diejenige," „das-
jenige"), welches im Plural sich in those verwandelt.
Im neueren Englisch hingegen gilt folgende Regel:
Auch als bezügliches Fürwort, dafern dasselbe einen
substantivischen Charakter hat, werde in Bezug auf Personen
stets who angewandt; und which werde, als bezügliches
Fürwort, nur in Bezug auf leblose Gegenstände angewandt.
Demgemäss sagt man heutzutage:
The man who (oder that) brought me the books.
The men who (oder that) brought me the books.
Auch in Bezug auf leblose Gegenstände wendet man das
Bindewort that an; z. B.
The books that (which) he brought me.
„Die Bücher dass (welche) er mir brachte."
Es leuchtet ein, dass dieses Bindewort that nie eine
Präposition vor sich leidet, dass man also nicht sagen darf
The books with that he provided me,
(„Die Bücher, mit dass er mich versorgte.")
sondern sagen muss:
The books with which he provided me.
„Die Bücher, mit welchen er mich versorgte."
Wohl aber darf man sagen:
68 Ueber Was und Welches.
The books that he provided me with.
(„Die Bücher dass er mich versorgte mit.")
Ferner darf man das relative Fürwort nur dann durch
das Bindewort that ersetzen, wenn das mit demselben anhebende
Satzglied zur näheren Bestimmung eines im Hauptgliede
enthaltenen Nomens dient. Wenn aber die mit dem relativen
Fürworte anhebende Wortverbindung nicht ein Satzglied,
sondern ein ganzer Satz ist, darf that nicht angewandt werden.
Nehmen wir z. B. folgendes:
„Er versorgt mich mit Wein, welcher schlechter ist
als Halbbier."
Der Sinn kann 1. sein:
„Der Wein, mit Avelchem er mich (wie Sie wissen)
versorgt, ist schlechter als Halbbier."
So aufgefasst, ist das Ganze ein Satz, aus zwei Gliedern
bestehend, und der Engländer darf that („dass") anwenden:
He provides me with wine that („dass") is worse
than small beer.
Der Sinn kann aber 2. sein:
„Er versorgt mich mit Wein; dieser Wein aber ist
schlechter als Halbbier."
So aufgefasst, bildet die mit dem bezüglichen Fürworte
anhebende Wortverbindung nicht ein Satzglied, sondern einen
zweiten Satz, und der Engländer sagt
He provides me with wine, which (nicht that) is
worse than small beer.
In ersterem Falle macht der Redende dem Angeredeten
nur eine Mittheilung, nämlich dass der ihm von N. N. ge-
lieferte Wein (dass N. N. ihn liefert, weiss der Angeredete)
von sehr schlechter Qualität ist. In letzterem Falle macht er
ihm zwei Mittheilungen, nämlich 1. dass N. N. ihn, den
Redenden, mit Wein versehe; 2. dass dieser Wein von sehr
schlechter Qualität ist. Zu bemerken ist noch, dass der Eng-
länder nur in letzterem, nicht aber in ersterem Falle ein
Komma hinter wine setzt.
Bei einigen englischen Schriftstellern findet man zwar mit-
unter that angewandt in Sätzen, welche dem so eben ange-
führten Beispiel, in letzterem Sinne genommen, entsprechen,
Ueber Was und Welches. 69
namentlich im Vicar of Wakefield, welchem überhaupt von
Manchen der Vorwurf gemacht wird, dass er nicht durchweg
Muster -Englisch enthalte. Diese Verstösse scheinen darin be-
gründet, dass es dem Bewusstsein selbst der Engländer ent-
schwunden ist, dass dieses that eigentlich das Bindewort
that („ dass") ist.
Diese Abschweifung erlaubte ich mir, um meine Ver-
muthung zu begründen, dass that, welches das relative Fürwort er-
setz, eigentlich das Bindewort that ist. Ich komme jetzt dar-
auf zurück, dass die Engländer heutzutage, als bezügliches
Fürwort, wenn es sich auf Personen bezieht, who (und nicht
which), anwenden, während in älterem Englisch, als rela-
tives Fürwort, auch in Beziehung auf Personen, which an-
gewandt wurde. Das Vaterunser beginnt demnach in der Bibel
und im Common Prayer-book:
Our father, which art in Heaven,
wie es denn auch noch jetzt sonntäglich in der Liturgie ver-
lesen wird. Einige wenige Prediger sagen auf der Kanzel, wo
sie ohne Buch beten, who art in Heaven.
Das adjektivisch angewandte relative Fürwort wird
freilich auch jetzt noch stets durch which gegeben; z. B.
He had two sons, Charles and William, who lived
(aber which two brothers lived) in perfect harmony.
Ueber den Ursprung dieser im Verlaufe der Zeit einge-
tretenen Veränderung in der Anwendung von who und which
hege ich folgende Vermuthung.
Obgleich who in älterem Englisch nur als Fragefürwort
vorkam , kamen doch jederzeit Sätze vor wie die oben ange-
führten :
Send whom (whomsoever) you choose. „Sende wen
Du willst." (Aber nicht Send any one whom you
choose, sondern Send any one which you choose.)
Let who (whosoever) choose oppose me. Es trete mir
entgegen, wer da will." (Für Let any one which
choose oppose me.)
In diesen Sätzen erscheinen whom und who als quasi-
relative Fürwörter. Dass sie keine wirkliche relative Für-
wörter sind, ergibt sich schon daraus, dass wir sie mit „wer"
70 Ueber Was und Welches.
und „wen" (nicht mit „welcher" und „welchen") ins
Deutsche übersetzen würden. Diese Anwendung des who und
whom als quasi- relative Fürwörter veranlasste dann eine Be-
griffsverwirrung, welche Viele bewog, who und whom überhaupt
auch als relative Fürwörter anzuwenden, bis es allmählich
zur Regel wurde, in Bezug auf Personen stets who und
whom anzuwenden. Es scheint also dem Engländer mit who
ero-angen zu sein wie dem Deutschen mit „was," indem Ersterer
who, Letzterer „was" aus einem fragenden Fürwort auch zu
einem bezüglichen gemacht hat.
In der Anwendung von what hingegen ist der Engländer
ßich, wie ich oben zeigte, konsequent geblieben; er hat es nie
zu einem relativen Fürworte gemacht. Nur gänzlich ungebildete
Engländer wenden what als bezügliches Fürwort an und zwar
auch in Bezug auf Personen. So z. B. gibt ein ungram-
matisch sprechender Küster in Bulwer's Eugene Aram folgende
Definition des Wortes vagrant („Vagabund"):
A vagrant is a man what (statt who) wanders, and
what has no money. „Ein Vagabund ist ein Mensch,
der umher irrt, und der kein Geld hat."
Ich lasse nun noch die Erklärung von Sätzen folgen, in
welchen what scheinbar als bezügliches Fürwort angewandt ist.
1. There was scarce a farmer's daughter but what
(„welche nicht") had found him successful and faithless.
Um zu erkennen, dass what hier kein relatives Fürwort
ist, müssen wir zuerst in's Auge fassen, dass but „ausser
(„ausgenommen") heisst. Nun nehmen wir den Satz:
What money I have (für The money which I have)
is fairly earned. „Das Geld, welches ich habe, ist
redlich erworben."
I have no money but what (für but such as oder
but t hat which) is fairly earned. „Ich habe kein Geld,
ausser solchem, welches redlich erworben ist" (mit
andern Worten: „Ich habe kein Geld, welches nicht
redlich erworben wäre").
What friends (für The friends whom; I have had
have forsaken me. „Die Freunde, welche ich gehabt
habe, haben mich verlassen."
Ueber Was und Welches. 7J
I have had no friends but Avhat (für but such as
oder but those wlio) have forsaken me. „Ich habe
keine Freunde gehabt ausser solchen, welche mich
verlassen haben." („Ich habe keine Freunde gehabt, die
mich nicht verlassen hätten.")
In dieser Weise hat but what die Bedeutung von „welche
nicht" erlangt. Dieses scheint dem Bewusstsein der Eno--
länder zum Theil entschwunden zu sein, da Einige es für pro-
vinziell' halten, in dergleichen Sätzen nach but (zum Ueber-
flusse, wie sie meinen,) noch what folgen zu lassen. Deshalb
haben einige Ausgaben des Vicar of Wakefield:
There was scarce any farmer's daughter but (ohne
what) had found him successful and faithless;
und allerdings kommt in heutigem Englisch das einfache but
sehr oft im Sinne von „welcher nicht" vor.
2. Is that what you call Ins generosity? „Ist das seine
von Dir gerühmte Grossmuth?"
Um diesen Satz richtig aufzufassen, müssen wir zuvörderst
Folgendes ins Auge fassen.
Sätze wie folgender:
„Wir nahten uns dem sogenannten Putziger Wyk."'
sind in folgender Weise ins Englische zu übersetzen:
We approached what (statt tbat which) is called
Putziger Wyk."
Demgemäss heisst what is called generosity „seine so ge-
nannte Grossmuth" und what you call his generosity „seine
von Dir gerühmte Grossmuth." In dem vorliegenden Satze Is
that what you call his generosity dient what you call his gene-
rosity also keineswegs zur näheren Definirung des Sub-
jekts (that), sondern es entspricht dem sogenannten prädi-
kati vischen Nominativ, der hier aus einem zusammenge-
setzten Satzgliede besteht; und dieses Satzglied zerfällt wiederum
in Subjekt (you) und Prädikat (what — call his generosity).
Wollte man in diesem Satze which anwenden, so würde man
ein zweites that anwenden müssen und sagen:
Is that that which you call his generosity?,
welches freilich übel klingen würde. Eben so ist Is this what
72 Ueber Was und Welches.
you call his generosity? gleichbedeutend mit Is this that which
you call his generosity?
3. Reinember that there is a local propriety to be ob-
served in all companies, and that what is extremely
proper in one Company may be, and often is, highly
improper in another.
Das dem what vorhergehende that ist aber das Binde-
wort („dass") und nicht das Fürwort („das"). Hätte
Chesterfield, statt des Fragefürwortes what, das relatire Für-
wort which anwenden wollen, so hätte er zweimal that ange-
wandt (and that that which is extremely proper etc.
4. I told them all what I knew.
Dass in diesem Satze what nicht, wie es scheinen möchte,
bezügliches Fürwort ist, ergibt sich daraus, dass der Sinn
nicht sein soll:
„Ich erzählte ihnen Alles, was ich wusste"
(in welchem Sinne jeder Engländer sagen würde I told them
all which oder all that — I knew), sondern
„Ich erzählte ihnen Allen, was ich wusste."
Die verschiedenen Arten der Anwendung des what lassen
sich in 5 Rubriken bringen.
1. What entspricht dem deutschen „was" im Sinne von
„Etwas"; z. B.
I '11 teil you what. „Ich will Dir was sagen."
Das Kompositum somew^hat entspricht dem deutschen Ad-
verbium „etwas"; z. B.
Iam somewhat better to-day. „Ich bin heute et-
was besser."
2. What ist ein Fragefürwort und zwar
a) substantivisch gebraucht; z. B.
What is this? „Was ist dies?"
Unter diese Rubrik gehören auch die meisten der vorhin
angeführten Beispiele, in welchen what als quasi -relatives
Fürwort erscheint; z. B.
He did not attend to what I said. „Er achtete nicht
auf was ich sagte."
b) adjektivisch gebraucht; z. B.
What book is this? „Was für ein Buch ist dies?"
Ueber Was und Welches. 73
Unter diese Rubrik gehören unter den Beispielen, in welchen
what als quasi- relatives Fürwort erscheint, alle die, welche
dem folgenden entsprechen:
1 had given out what money I had about me. „Ich
hatte das Geld , welches ich bei mir hatte , ausge-
geben."
3. What ist ausrufendes Fürwort. Dieses what hat,
wenn ein Gattungswort im Singular folgt, den Artikel a
nach sich; z. B.
What a book is this! „Was für ein Buch ist dies!"
What books are these! „Was für Bücher sind dies!"
Wenn aber ein dornen folgt, welches kein Gattungswort
ist, d. h. keines Plurals fähig ist, so ist es richtiger, den Ar-
tikel wegzulassen; z. B.
What impertinence ! „Welche Impertinenz!"
4. What, mehrmals wiederholt (oder auch, nicht wieder-
holt, in Verbindung mit and), ist zuweilen mit dem sich in
einem Satze wiederholenden „theils" zu übersetzen. In diesem
Sinne ist es als Adverb aufzufassen; z. B.
What with attending dinner-parties, what with visit-
ing exhibitions, what with calling on my friends, what
with making excursions to the places of public resort
(oder What with attending dinner-parties, visiting ex-
hibitions, calling on my friends, and making excur-
sions to the places of public resort), I contrived to make
a tight week of it. „Theils durch Theilnahme an
Mittagsgesellschaften, theils durch Besuch der Aus-
stellungen, theils durch Einsprechen bei meinen
Freunden, theils durch Ausflüge nach den Vergnügungs-
plätzen, wusste ich die Woche recht auszufüllen."
5. Not but what steht zuweilen statt des richtigeren not
but that („freilich"); z. B.
At this hour I am seldom at leisure; not but what I
am always at the Service of a voter. „Um diese Stunde
bin ich selten bei Müsse. Freilich stehe ich einem
Wähler stets zu Diensten."
In folgender Stelle im Vicar of Wakefield ist (wie es auch
richtiger ist) not but that angewandt:
74 Ueber Was und Welches.
Thns we lived several years in a state of much happi-
ness, not but that we sometimes had those little rubs
whieh etc. etc. „So lebten wir mehrere Jahre in einem
Zustande grosser Glückseligkeit. Freilich hatten
wir mitunter solche kleine Unannehmlichkeiten, welche
etc. etc."
Der Ursprung dieser Weise, „freilich" („zwar") durch
not but that auszudrücken, erklärt sich aus Folgendem.
Wenn but einem eine Verneinung enthaltenden Satze ein-
geschoben wird, so erlangt dieser Satz dadurch den entgegen-
gesetzten Sinn; z. B.
I could not smile. „Ich konnte nicht lächeln."
I could not but smile. „Ich musste lächeln" (konnte
mich des Lächelns nicht enthalten").
Frage: Have you seen the execution? „Hast Du die Hinrich-
tung mit angesehen?"
Antwort 1 : No, and I would not have seen it for 100 Thalers.
„Nein; und ich hätte sie auch nicht ansehen wollen,
wenn man mir gleich 100 Thlr. dafür geboten hätte."
Antwort 2 : Yes , and I would not but have seen it for 100
Thlr. „Ja, und die Erinnerung (sie angesehen zu haben)
ist mir 100 Thlr. werth."
I have a notion she will find many lovers. Not that
she is very handsome (für I do not mean to say that
she is very handsome) ; still however etc. etc.
„Ich glaube, sie wird viele Liebhaber finden. Ich will
nicht sagen, dass sie sehr schön ist; aber doch etc. etc."
I fear she will find no lover. Not but that she is
very handsome; still however etc. etc.
„Ich fürchte sie wird keinen Liebhaber finden. Freilich
(Zwar) ist sie sehr schön, aber doch etc. etc."
Stettin. Haupt.
Epitre de saint Paul aux Eph Asiens,
et Histoire de sainte Susanne,
en proven9al.
En fait de prose provencale, un des manuscrits les plus
curieux est celui qui est inscrit sous le n° 8086 au catalogue
de la bibliotheque imperiale de Paris. C'est un petit in -8° de
211 feuillets ä deux colonnes en parchemin, qui contient une
traduction du Nouveau Testament, faite sur la vulgata, mais
dont, par malheur, les premiers 31 feuillets, comprenant l'Evan-
gile selon saint Matthieu et les premiers 17 vers de l'Evangile
selon saint Marc, ont disparu. L'ecriture est du XHIIe siecle,
mais la langue etant d'une grande correction et la regle difficile
de l's final se trouvant presque partout bien appliquee, on pour-
rait merae croire cette traduction anterieure au XHIIe siecle.
En general le traducteur a suivi, avec une grande fidelite, le
texte de la vulgata: mais quelquefois il a omis, soit des vers,
soit des passages entiers , dont , ä ce qu'il parait , il croyait
pouvoir se passer, et ce n'est que bien rarement que la
traduction porte plus que son original. Sur les pages suivantes,
pour donner quelque chose de complet, je communique de cette
traduction dont j'ai pris une copie, l'epitre de saint Paul aux
Ephesiens. Mais pour faire voir, combien la langue de cette
traduction est superieure h celle d'une autre qui se trouve dans
le manuscrit n° 8086. 3. de la meme bibliotheque, j'ajoute l'hi-
stoire de sainte Susanne que j'en ai tiree. Ce deuxieme manu-
scrit est un grand in -8° de 366 feuillets, velin , d'une ecriture
du XV e siecle, qui, d'apres le catalogue, devrait comprendre la
traduction complete de la Sainte ßible, mais dont cette table
76 fipitre de saint Paul aux fiphesiens,
de matieres, inscrite sur le premier feuillet, decrit plus exacte-
ment le contenu:
Ayso es lo prologue del comensaraent del[s]. v. libre[s]
de moyses con dieu fes tot quant es ... I. — Ayso
es lo comensament del premier libre de moyses que
ha nom genesis e es lo premier dels. v. libres que el
fes . ♦ . III. — Aysi comensa lo libre que a nom ex-
hod(i)us . . . lvi. — Ayso es lo fers libre que s'apella
leuit[ic]us . . . lxxv. — Aysi comensa lo libre de las
generacions quant foron comtats al desert de sinay per
moyses e per aaron per que es apellat (libre) libre dels
nombres . . . Cvi. — Apres la mort de moyses regnet
profeta en israel josue filh de nuni e comenset son libre
per aital via . . . Cxxxn. — Aysi comensa lo libre dels
juges . . . [?]. — Aysi comensa lo libre dels reys . . .
CCxxi. — Ayso es lo libre de l'estoria e de la vida de
tobias, bon home e just . . . CCxlm. — Ayso es lo
libre de las profecias de daniel tot complit . . . CClvm.
— Ayso es lo libre de l'estoria de la sancta suzanna.
E es lo xvm. capitol . . . CClxxxvn. — Aysi comensa
lo libre de judich e de olofern primpce e maistre de las
osts de nabuchodonozor rey, al quäl la sancta donna
judich talhet la testa . . . CCxCnn. — Aysi comensa
lo libre de ester la reyna con desliura(r) de mort los
juzieus . . . CCCix. — Aysi comensa lo libre dels ma-
quabieus . . . CCCxvru. — Aysi fenis lo premier libre
dels maquabieus . . . CCClvra. — Ayso es la somma
de la trinitat e de la fe catholica e de los drechs que foron
fachs apres la mort de Jhesu Christ . . . CCClxm. —
Pour ce qui regarde la regle de l's, eile a ä peu pres dis-
paru dans ce deuxieme manuscrit, la langue, en discernant le
singulier et le pluriel, suivant l'usage moderne: c'est pourquoi,
ä mon avis, quand meme il y en aurait encore des traces, il
faudrait les effacer, pour donner au texte le meme coloris.
Quant ä cette regle penible, sur l'emploi de laquelle M. Ray-
nouard est en quelque desaccord avec les deux grammaires
provencales de Hugues Faidit et de Raymond Vidal de Be-
saudun, publikes pour la seconde fois par M. Guessard en 1858,
et Histoire de sainte Susanne. 77
meme l'autre inanuscrit, comrne l'on verra apres, a son caractere
propre: j'ai donc quelquefois ecarte" les s finaux qui n'y ^taient
entres que par une erreur de copiste, ä en juger par des cas
analogues dans le meme texte, comme, de l'autre cote, il m'en
a tres -souvent fallu ajouter. Pour mentionner encore deux
choses caractöristiques du ms. n° 8086, l's final est tres -souvent
supprime devant un mot comruencant par s, tandisque, quand
le mot suivant commence par 1 ou n, on a encore ajoute ces
memes consonnes au mot precedent. V. p. ex. l'^pitre aux
Ephes. eh. I, 18 . . cal sia la esperansa del-1'apella-
ment de lui, e cals sian las manencias de la heretat
d'el el santz; eh. vi, 12 car lucha non es a-n nos en-
contra la carn el sanc.
Mais voiei les deux textes en question.
Ad Ephesios.*)
I.
Pauls apostols de Jhesu Christ per la uoluntat de dieu a
totz los santz, li cal son ad Ephesi, et als fizels en Jhesu
Christ: (2) gracia sia a uos e pas de dieu lo paire et del senhor
Jhesu Christ. 3. sia beneses, lo cals benezic nos en tota bene-
dictio esperital, en las celestials cauzas en Christ, (4) si com
elegi nos e lui meteis denant l'establiment del mon, per ayso
que nos fossem sang e non laysat en l'esgardament d'el en ca-
ritat. 5. lo cals denant destinet nos en l'afilhament del filh
per Jhesu Christ en el meteis segon lo prepauzament del-la
sieua uoluntat, (6) e lauzor de gloria de la sieua gracia, e la
cal fes nos agradables el sieu amat filh, (7) el cal auem re-
dempeio per lo sanc d'el e redempeio de peccat segon las ma-
nencias de la sieua gracia, (8) la cal sobre aondet en nos en
tbta sauieza et en prouensa de dieu: (9) per ayso que el fes
conoyser a nos lo sagrament de la sieua uoluntat segon lo be
plazer de lui, lo cal prepauzet a el. 10. e l'aordenament del-la
planetat del temps restauret en Christ totas aycellas causas, las
cals son el cel e las cals son en terra en el meteis : (11) el
cal neis nos em apellat per sort, auant destinat segon lo pre-
*) Ms. n° 8086, fol. 164 v. — 168 v. — ms.: I 3 esperitals. 8 pre-
zencia de dieu; vg.: in omni sapientia et prudentia.
78 fipitre de Saint Paul aux fiphe'siens,
pauzament d'aycel, lo cals obra totas cauzas segon 16 concelh
de Ia sieua uoluntat: (12) per so que nos, li cal denant esperem
en Christ, siam en lauzor de Ja gloria de lui: (13) el cal uos
ancar, carisme, con aguesses auzida la paraula de ueritat de
l'auangeli del uostre salut, el cal uos neis crezent [es] ensenhat
el iorn de la promissio del sant esperit, (14) lo cals es heretiers
de la nostra heretat, en redempcio de conquerement, e la lauzor
de la gloria d'el.
15. Per aisso neis ieu auzent la uostra fe, la cal es el sen-
hor Jhesu, e l'amor en totz los santz, (16) non cessi fazent
gracias per uos, fazent renembransa de uos e las mieuas ora-
cions, (17) per aiso que dieus de gloria, paire de nostre senhor
Jhesu Christ, done a uos esperit de sauieza e de reuelacio
en la conoycensa d'el; (18) enlumenat los huuels de uostre cor,
per so que uos sapias, cal sia la esperansa del-1'apellament de
lui, e cals sian las manencias de la gloria de la heretat d'el el
santz. — 21. [Lo cals] sobre tot principat e poestat es eissau-
satz en senhoria e sobre tot nom, lo cals es nomnat non sola-
ment en aquest segle, mas neis en l'auenidor. 22. e sotzmes
totas cauzas sotz los -sieu9 pes, e donet el meteis cap sobre
tota la gleyza, (23) la cals es cors d'el [e] plenetat d'el, lo cals
adumpli totas cauzas en totz.
II.
• E uos con fosses mort als forfatz et als uostres peccats,
(2) eis cals uos anes a la uegada segon lo segle d'aquest mont,
segon lo prince de la poestat d'aquest aire, de l'esperit, lo cals
11 lo cal, mais, dans ce ms., le masculin du nom. sing, est a l'ordinaire
(V. v. 5) lo cals, du nom. plur. (v. 1) li cal; le feminin du nom. sing. (v. 8) la
cal, (pourtantla cals se trouve v. 23; III, 2, 7 et 20; IUI, 18; V, 4), du nom.
plur. (v. 10) las cals. 13 nos... aguessem, mais la vulg. (v. 9): et vos
cum audissetis el cal nos neis crezent ensenhant; vg. : in quo et
credentes signati estis. les vers de la vg. 19, 20: „et quae sit su-
pereminens magnitudo virtutis eius in nos, qui credimus se-
cundum operationem potentiae virtutis eius, quam operatus
est in Christo, suscitans illum a mortuis, et constituens ad
dexteram suam in caelestibus" ont ete" omis dans la traduction. Pour
^Carter l'incohdrence, j'ai intercale v. 21 lo cals. 23 ce qui se lisait entre
poestat et en senhoria, est efface\ 23 cors d'el, plenetat; vg. cor-
pus eius et plenitudo.
II. 1 morts (V. v. 5 con fossem mort).
et Histoire de sainte Susanne. 70
obra ara eis filhs de mescrezensa: (3) eis cals neis nos tug
conuersem a la uegada eis dezires de la nostra carn, fazent la
uoluntat de la carn e de las cogitacions , et eram fim d'ira per
natura si co neis li autre: (4) mas dieus, lo cals es manentz
en misericordia per la sieua mot granda caritat, per la cal nos
amet, (5) e con fossem mort eis peccats, ensemps uiuifiquet
nos en Christ, per la gracia del cal uos es saluat, (6) et en-
semps nos resuscitet e fes nos ensemps setis en las celestials
causas en Jhesu Christ: (7) per so que demostres sobre nos
las auondans riquezas de la sieua gracia el sobre uenent segles,
en bontatz en Jhesu Christ.
8. Car uos [es] saluat per gracias e per la fe; et ayso non
es de uos, car dons es de dieu; (9) e non de las obras, per
que alcus non se glorieie. 10. car nos em fazedura d'el meteis,
creat en bonas obras, las cals dieus auant apareihet, per ayso
que nos annem en ellas. 11. per la cal cauza siatz renembra-
dor, car uos li cal sias a la uegada en la carn paga, li cal sias
dig prepucis, d'aycella, la cals es dicha circumcisios , en carn
facha de ma: (12) li cal sias en aycel temps ses Christ, estren-
hat de la conuersacio d'I[s]rael et oste del testament d'el, non
auent l'esperansa de la remissio, e sias ses dieu en aquest mont.
23. mas uosv es ara en Jhesu Christ, uos, li cal sias a la ue-
gada lueng et es ara fag prop el sanc de Christ. 14. car el
meteis es li nostra pas, lo cals fes las unas e las autras cauzas
l'una cauza, e la meiaciera paret de la mazeria destrucnt, la
enemistat e la sieua carn: (15) enuanezent la ley des manda-
mens per los decretz, per so que el bastisca dos e si meteis,
fazent pas, en u nouel home, (16) [e] per zo que los reconsilie
ambedos a dieu per la cros en u cors, aucizent la enemistat e si
meteis. 17. e uenc e preziquet pas a uos, li cal fos lueng, e
pas ad aycel3, li cal eran prop. 18. Car amb el auem apro-
bencament per el meteis en u esperit al paire.
19. Doncas ia non es oste et es estrang, mas es cioutadan
dels santz e domesgue de dieu: (20) sobre hedificat sobre lo
5 peccat. G l'ecriture du ms. est a peu pres eßace'e. 7 riqueas
8 uos saluat; j'ai supplee es, car la vg. porte: estis salvati. 12 dirael.
14 lo cal car. 16 a cause de la lecon de la vg. : et reconciliet
j'ai suppige e. 19 cioutadan?.
80 fipitre de saint Paul aux fiphe'siens,
fundament dels apostols e dels prophetas, e meteis Jhesu' Christ
la sobeyrana peira anglar: (21) el cal tota edifications garnida
cris el sant temple el senhor: (22) el cal uos neis es ensemps
edificant en l'abitacle de dieu el sant esperit.
III.
Per la gracia d'aquesta cauza, ieu Pauls, liatz de Jhesu
Christ per uos gens, (2) si enpero uos auzist l'aordenament de
la gracia de dieu, la cals es donada a mi e uos: (3) car lo sa-
gramens es fachs connogut a mi segon reuelacio, si com eu de
sobre en breu escriossi: (4) aissi con uos legent podes entendre
la mia sauieza el menestier de Christ: (5) lo cals non fo cono-
gut a las autras generacions, als filhs dels homes, aici con es
ara reuelat als santz apostols de lui et als prophetas, (6) las
gens esser ensemps eretieras en esperit, et esser ensemps par-
coniers de la promissio en Jhesu Christ per l'auangeli: (7) del
cal ieu suy fait ministres, segon lo do de la gracia de dieu, la
cals es dada a mi segon la obra de la uertut d'el. 8. mas aquesta
gracia es donada a mi menre de totz los santz, prezicar en las
gens las non encercablas riquezas de Christ, (9) et enluminar
tots, cals sia l'aordenament del sagrament rescost dels segles en
dieu, lo cals crezet totas cauzas; (10) per so que sia connogut
als princes et als poestatz e las celestials cauzas, per la gleiza
de la mot formabla sauieza de dieu, (11) segon l'auant - adorde-
nament dels segles, lo cal fes el nostre senhor Jhesu Christ:
(12) el cal nos auem fizansa et aproismament en confizansa per
la fe de lui. 13. per la cal cauza queri que non defalhas en las
mias tribulacions per uos : la cals es uostra gloria.
14. Per la gracia d'aquesta cauza ieu flegezic los mieus
ginols al paire de nostre senhor Jhesu Christ, (15) del cal tota
Paternität es nomnada el cel et en la terra, (16) per aisso que
uos done uertut segon las riquezas del-la sieua gloria, esser
efforsat lo dedinzan home per l'esperit d'el, (17) habitar Christ
per la fe eis uostres cors: enraigat e fundat en caritat, (18) per
so que uos puscas conpenre am totz los santz, cals sian la lar-
gueza, la longeza, l'auteza e la pregondeza, (19) saber neis la
sobre -apareysent caritat de la sciencia de Christ, per so que uos
III. 3 faghz. 9 tot lo cal. 11 lo cals. 13 nostra gloria; vg.;
gloria vestra. 16 dedinza (V. IUI, 9).
et Histoire de sainte Susanne. 81
sias aumplit en tota la pleneza de dieu. 20. mas aycel, lo cals
es poderos de far totas cauzas sobre- aondozarnent que nos que-
rem o entendem segon la uertut, la cals obra en nos: (21) a el
nieteis sia gloria en la gleyza, et en Jhesu Christ, en totas las
geyeracions del segle des segles uerament.
IUI.
Doncas, fraire, ieu liatz el senhor pregui uos el senhoi',
que annetz dignament en l'apellament , el cal es appellat, (2)
am tota humilitat et am soaueza, am paciencia, sotzportant l'uns
l'autre en caritat, (3) eurios gardar la humilitat de l'esperit e
liam de pas. 4. uns cors et us esperitz, si con es apellat en
una esperansa del nostre apellament. 5. uns senher es, una fes
es, us babtisme es. 6. us dieus es el paire de totz, lo cals es
sobre totz e per totas cauzas et en totz nos.
7. Mas gracia es donada ad u cascu de nos segon la men-
sura de la donacio de Christ en una esperansa de nostre apella-
ment. 8. per la cal cauza dis Christ: poiant en aut menet la
preizo preza: donet dos als homes: (9) mas so que el puget,
cal cauza es, si no que el deycendet premierament en las de-
dinzanas partidas del-la terra? 10. aycel lo cals puiet, es neis
si el meteis, lo quals puget sobre totz los cels, per so que el
adumplis totas cauzas. 11. et el meteis certas donet alcuns
apostols, mais alcuns prophetas, mais los autres pastors e doc-
tors, (12) al-1'acabament dels santz en la obra de menestier,
en la hedificacion del cors de Christ: (13) entro que tug con-
tracorram en la humilitat de la fe e de la conoysensa del filh
de dieu, — (16) del cal totz lo cors es aiustatz et enlassat per
tota mesura d'aministrament , segon la obra e la mezura d'u
cascu menbre, fa acreysement d'el en caritat.
17. Doncas ieu die ayso e testimoni el senhor, que ia non
20 lo cal que nos non querem; vg.: quam petimus.
IUI. 1 appellatz. 5 senher s. 6localel sobre. 8menetlapreza
preio. 9 dedins sauas partidas (V. III, IG). 10 aycels local loqual.
13 — 15 le tradueteur a omis ces motslatins: „in virum perfectum, inmen-
suram aetatis plenitudinis Christi: ut iam non simus parvuli
fluetuantes, et ci rcum feramur omni vento doctrinae in nequi-
tia hominum, in astutiaad circum ventionem erroris, veritatem
autem facientes in charitate, ereseamus in illo per omnia, qui
est caput Christus".
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 6
82 fipitre de saint Paul aux fiph^siens,
annetz si co las gens uan en la uanetat de lor sen, (18) auent
escurzit l'entendement de tenebras, estrangnat de la uia de dieu,
per la desconoysensa, la cals es en eis per la ceguetat del cor
de lor; (19) li cal des es per an lur meteyses, lioureron se tug
a-n no-castitat, en obrament d'oreza, en auaricia. 20. mas uos
non aprezes enayci Christ, (21) si empero uos auzis el, et es
esseignat en el, aisi con es ueritat en Jhesu, (22) depauzar
uos lo uelh home segon la anciana conuersacio, lo cals es cor-
rumput segon I03 desiriers d'error.
23. Mas sias renouellat per l'esperit de la uostra pessa,
(24) e uistets lo nouel home, lo cals es criatz segon dieu en
drechura et en santitat de ueritat. 25. per la cal cauza depau-
zant mesonega, parlas us cascus ueritat am son prueme, car
nos em menbre Tuns de l'autre. 26. irayces uos e non uulhas
peccar: lo soley non morra sobre la uostra ira. 27. non uulhas
luoc donar al diable. 28. cel que panna, ia non panne; mas
maiorment laore obrant am las sieuas mans so que es be, per
so que aia don que done als sufrent la bezonha.
29. Nenguna mala paraula non iesca del-la uostra boca:
mas si alcuna cauza es bona a la hedificatio de la fe, per so
que done gracia als auzens. 30. e non uulhas contristar lo sant
esperit de dieu, el cal crezent es senhat el iorn de redempcio.
31. tota amareza [et ira] et endignacions e cridors e maldigz
sia tout de uos am tota maleza. 32. mas sias entre uos benigne,
misericordios, perdonant l'uns a l'autre, si con neis dieus per-
donet a uos en Christ.
V.
Doncas sias resemblador de dieu aysi coma filh car. 2. annas
en caritat, aysi con Christ amet nos e liouret si meteis per nos
ufrenda e sacrifici a dieu en odor de suauetat. 3. mas forni-
cations e tota oreza o auaricia non sia nomnada en uos, si co
coue los sants; (4) o lageza o folla paraula o cortezia, la cals
non aperte a cauza; mas maiorment fazement de gracias. 5. mas
uos entendes e sapias ayso, que tot fornicaire o non -netz o
19 li cal desprezan; vg.: desperantes. 22 los uelhs home
desiriers de lor; vg.: desideria erroris. 31 j'ai suppige* et
ira a cause de la lecon de la vg.
Y. I filhs cars. 2 sacrif...
et Histoire de sainte Susanne. 83
auars, la cal cauza es seruiment de las ydolas, non a heretat
el regne de dieu.
6. Nenguns non uos enganne am uanas paraulas, car la ira
de dieu uenc per ayso es filhs de mescrezensa. 7. doncas non
unlhas esser lurs parsoniers. 8. Car uos sias adonc en tenebras,
mas ara es lus el senhor: annas coma filh de lus: (9) car lo
fruc de lus es en tota bontat et en drechura et en ueritat: (10)
esplorant cal cauza sia ben plazers a dieu: (11) e non uos uul-
has acompanhar a las non fruchosas obras de las tenebras, mas
maiorment las reprennes. 12. car laia cauza es dire aquo que
es fach en rescost. 13. car totas aycellas cauzas son manifesta-
das, las cals son reprezas, de lum: car tot so que es mani-
festat, es lums. 14. per la cal cauza dis : leua tu, lo cals dormes,
e leua dels mortz e Christ alumenara tu.
15. Doncas, fraire, ueias, en cal maniera annetz sauiament,
no coma non- saui, (16) mas coma saui: rezement lo temps, car
los iorns son mal. 17. per ayso non uulhas esser non- saui,
mas entendent, cals sia la uoluntat de dieu. 18. e non uulhas
esser enebriat del[ui], el cal es la luxuria: ma3 sias adumplit
de sant esperit, (19) parlant a uos meteyces en salmes et en
hymnis et en cantz esperitals, cantant e salmeiant en uostres
cors al senhor, (20) fazent gracias tota ora per totz uos e nom
de nostre senhor Jhesu Christ a dieu et al paire, (21) sotzmea
l'uns a l'autre en la temor de Christ.
22. Las femnas sian sosmessas als homes si con al senhor;
(23) car l'ome es caps de la femna, si con Christ es caps de
la gleyza: el meteis es saluaire del cors de ley. 24. mas aysi
con la gleyza es sotzmessa a Christ, enayci neis las femnas a
lur maritz en totas cauzas. 25. baron, amats uostras molhers,
aisi con neis Christ amet la gleyza, e liouret si meteis per lei,
(26) ayso que sanctifiques lei, mundant lei am lo lauament de
l'aygua e la paraula de uida, (27) per so que el meteis dones
glorioza gleiza, non auent laysadura o alcuna cauza d'aquesta
maniera, mas per ayso que sia sancta e non-laysada. 28. en
13 als cals. 14 en Christ. 18 ui ne se lisait pas dans le ms.; vg.:
inebriari vino, in quo est luxuria. 21 sotzmesi. 22 son sos-
messas. 24 barons amat. 2G sanctifiques el. 27 gleia.
6*
84 Epitre ile saint Paul aux Ephesiens,
ayci neis li baro deuon amar Iure molhers coma lurs cors , car
el, lo cals ama sa molher, araa si raeteis. 29. car anc nengus
non ac en odi la [sieua] carn, mas la noiris e la pais, aysi con
Christ la gleyza: (30) car nos em menbre del cors de lui e de
la sieua carn e de sos osses. 31. per aisso laissara om son
paire e sa maire, et aiostaran duy en una carn. 32. aquest sa-
cramens es grans, mas ieu die el Christ et en la gleyza. 33. mas
uos us cascus arae sa molher coma si meteis, mas la molher
temia son marit.
VI.
E uos, filhet, obeze» a uostres paires el senhor, car ayso
es iusta cauza. 2. onra ton paire e ta maire, lo cals es pre-
miers mandamens en la repromissio: (3) per aisso que sia bens
a tu, e sias de longa uida sobre terra. 4. e uos, paire, non
uulhas escomoure uostres filhs ad ira, mas noires los en la dis-
ciplina et el castiament del senhor. 5. [sers], sias obezent als
uostres senhors carnals am tota temor et am paor en la simpli-
citat de uostre cor, aysi com a Christ, — (8) sabent que, cal
que be us cascus fara, aquest recebra del senhor, o sers, o
franx. 9. e uos, senhor, fatz aquellas meteissas [cauzas] a eis,
perdonant las menassas; sabent que neis lo senhor d'els e lo
uostre es el cel e que recebmens de personas non es endreg
dieu.
10. D'ayci endreg, fraire, confortas uos el senhor et en lo
sieu poder. 11. uistes uos l'armadura de dieu, per ayso que
puscas istar contra los agaitz del diable. 12. car lucha non es
a-n nos encontra la carn el sanc, mas encontra los princes del-
la poestat, contra los gouernadors del mont d'aquestas tenebras,
contra las esperitals cauzas de fellonia en las celestials. 13. per
ayso recebes l'armadura de dieu, per so que puscas contrastar
al mal iorn et istar perfiech en totas cauzas. 14. doncas istas
sotzeeng los uostres lumbes en ueritat, uestit l'aubert de dre-
chura, (15) e causat los pes el dauant - aparelhament de l'auangeli
de pas, (16) prenent en totas cauzas l'escut de la fe, el cal
28 lo cal. 29 j'ai supplee sieua; vg. carnem suam. 33 u cascu.
VI. 1 filhets. 4 paires. 5 j'ai supplee sers. 9 fatz aquellas
meteissas a el; vg. eadem facite 111 i s. 10 fraires.
et Histoire de sainte Susanne. 85
puscas estenher totz los dartz forgitat del fello: (17) e prenes
l'elme de salut el glazi d'esperit, lo cals es la paraula de dieu.
18. Per tota oracio e preguiera [preguant] totz los temps
en esperit, e uelhant en el en tot fazement de gracias [e] pre-
guiera per totz los santz; (19) e per mi, per so que paraula
sia donada a mi en Pubrement de la mia boca, far conoyser lo
menester de Tauaugeli am fizansa: (20) per lo cal ieu usi del-
la messaiaria en aquesta cadena , en ayci que ieu auze parlar
en el aysi co me coue. mas la paraula de dieu non pot esser
liada. 21. mas per so que uos sapias aquellas cauzas que son
uiro mi, cal cauza ieu fassa: Tychic, mon fraire cars e fizels
menistres el senhor fara conoiser totas eauzas a uos: (22) lo
cal ieu tramesi a uos en ayso meteis, que uos conoscas aycellas
cauzas que son enuiro nos e lo uostre cor sia consolat. 23. pas
sia als fraires e caritat am fe de dieu lo nostre paire e del
senhor Jhesu Christ. 24. gracia sia a totz cels, li cal aman
nostre senhor Jhesu Christ en non - corrupcio uerament.
Ayso es lo libre de l'estoria de la sancta Suzanna.*)
Un baron era habitant en Babilonia, e lo nom d'el era Joa-
quin: e pres molher per nom Suzanna, la filha d'En Alquias,
bella fortment e tement lo senhor, car los parents d'elleis com
eis fossan just, ensenheron la lur filha segon la ley de Moyses.
mas Joaquin, lo marit de luy, era ric fortment, e vergier era a '
luv prop de la sieua mayson: e los Juzieus si ajustauan a luy
meteys per ayso, car el era plus honrat de tots. mas dos vielhs
juges foron adordenat en aquel an, dels quals lo senher parlet: „car
la fellonia iysit de Babilonia dels plus vielhs juges, los quals eran vist
gouernar lo pobol". aquestos souenian en la mayson de Joaquin, 10
e totz aquels, los quals auian los juiaments, ajustauan si ad eis. mas
IG forgitant. 17 salutz. 18 j'ai supplee preguant; vg,: per omneni
orationem et o bs ecrationem orantes en totz fazement
gracias preguiera; vg.: instantia et obsecratione. 20 la plirase
rmas la paraula de dieu non pot esser liada" est due au traducteur,
car ilans lüriginal il ne se trouve rien de pareil. 21 tic mon fraire car
e fizel menistre. 23 en caritat.
') Ms. n° 8086. 3. fol. 286 vers. — 289 vers.
ms.: v. vg. : 2 filiam Heicia e. 3 los parents d'ellos; d'ellos, forme
du genitif pluriel qui, au lieu d'elleis, s'est encore glissde dans le texte
p. 12, w. 3 et 6.
86 Iilpitre de saint Paul aux ßphesiens,
com los pobols s'en fossan retornats a prop lo miech dia, Suzanna
intraua e anaua al vergier del sieu baron. e los vielhs vezent luy
per cascun jorn intrar e iysir, arderon en cobezissia d' eileis,
e trastorneron lurs sens e enclineron lurs huelhs, que non vissan
5 lo cel ni se recordessan del drechurier juiament. adoneas amdos
eran naflrats en 1'amor d'elleis, e non demostrauan la lur dolor
lo vn a l'autre, car eis auian vergonha fortment de demostrar
la lur nequicia, volent jasser am luy. e l'un dis a l'autre: „an-
nem a mayson, car hora es de maniar". e eis si departiron Tun
10 de l'autre, e com fossan retornat, vengron en semps, e enser-
quant entre ellos, demostreron Tun a l'autre la causa de la lur
cobezissia. adoneas adordeneron temps couenhable, que la po-
guessan trobar sola, mas fon fach, e com eis agardessan lo jorn
couenhable, Suzanna intret am sas doas donzellas al vergier del
15 sieu baron, enaysi comaj zo [yjer e a la vegada traspasset
tresdia, e uolc esser lauada, certas calor fazia. e hom non era
aqui si non los dos vielhs, los quals eran esconduts, regardant
la. ella dis a las donzellas: „aportas mi l'oli e los onhements,
que yeu sia lauada, e clauses la porta del vergier". e feron en-
20 aysi com ella auia comandat ad ellas , e clauseron la porta del
vergier, e iyseron per la posterla, que aportessan aquellas cau-
sas , las quals auia comandadas , e non sabia[n] los dos vielhs
que fossan esconduts de dints. mas quant las donzellas foron
iysidas, los dos vielhs si leueron e vengron ad ella e diyseron:
23 „ve ti que la porta del vergier es claus[a] e dengun non nos
vey e nos auem enueia de tu, per la quäl causa tu concent a
nos e sias mesclada am nos. mas si tu non voles, nos darem
testimoni encontra tu, que .i. jouencel fon am tu, e per aquesta
causa tramezist las donzellas foras de tu". Suzanna si esbait e
30 dis: „engoysa es a mi de sa e del-la, car si yeu fauc ayso,
mort es a mi, e si non o fauc, non escaparay de las vostras
mans: au ut mielhs es a mi cazer en las vostras mans sea
l'obra, que peccar al regardament del senhor". mas Suzanna
cridet am grant vouts e los vielhs escrideron encontra la vouts
33 d'ella, e. i. d'els correc e hubri la porta del vergier. mas com
3 arteron. 15 zoer. 22 sabia; vg.: nesciebantque. 2S claus.
engoysa a es a mi.
et Histoire de sainte Susanne. 87
los seruents, los quals eran en la mayson, aguessan auzit lo crit
del vergier, embriueron si per la posterla, que vissan qualque
causa, mas pueys que los vilhars parleron, los seruents agron
uergonha fortment, car hanc mays paraula d'aquesta maniera
non era stat dicha de Suzanna. mas fon fach en l'endeman: com 5
los pobols foron venguts al marit d'ella Joaquin, los dos pre-
ueyres vengron plens de las fellonias e cogitacions encontra Su-
zanna, que 1'aucizessan. e diyseron dauant lo pobol: „trametes
a Suzanna, la filha d'Alquias , la molher de Joaquin". e hom
trames viuassament ad ella. e venc am sos parents e am sos 10
filhs, e certas Suzanna era amorosa trop e bella per semblansa.
mas los fellons comanderon, que fos descuberta la cara d'ella,
car cuberta era, que los [lurs] huelhs fossan sadollats de la
beutat d'ella. adoncas los sieus plorauan e tots aquels, los quals
l'auian conoguda. mas los dos preueyres, leuant en miey del 15
pobol, empauseron las lurs mans sobre-lcap d'ella, la quäl plo-
rant regardet al cel, car lo sieu cor auia fiansa al senhor. e
los dos preueyres d[i]yseron: „com nos anauam sol yer al ver-
gier, aquesta intret am sas donzellas e claus la porta del ver-
gier e gitet las donzellas de si. e .i. jouencel, lo quäl era es- 20
condut, venc e jac amb ella. mas com nos fossem al canton
del vergier, vezent la fellonia, correguem ad eis e vim los en
semps mesclats egalment. e certas non lo poguem penre, car
el era plus fort que nos, e hubrit las porta s del vergier e iysit
s'en. mas com nos aguessem aquesta presa, demandem li, quäl 25
fon aquel jouencel e non o volc dire a nos: nos em testimoni
d'aquesta causa", mas la mouteza del pobol crezet en eis, enaysi
com a vielhs del pobol e a juges, e condampneron la a mort.
e Suzanna cridet am grant vos: „o dieu durable, lo quäl yest
conoysent de las causas escondudas, lo quäl conoguist totas las 30
causas enants que sian fachas, tu sabes que fals testimoni par-
leron encontra mi. e ve ti, que yeu mori, com yeu non ay fach
alcuna d'aquestas causas, las quals aquestos maliciozes com-
pauseron encontra mi". mas lo senhor eysausit la sieua vouts.
2 vergier e embriueron. 6 foron venguts lo marit d'ella
joaquin vic, los dos. 10 e hom li trames. 13 que los huelhs non
fossan sadollats; vg.: ut vel sie satiarentur decore eius. 17cors.
34 la mieua vouts; vg.: vocem eius.
88 Epitre ile suint Paul aux Ephesiens etc.
e com ella fos menada a mort, lo senhor suscitet lo sieu sant
sperit a [un] tozet joue , lo nom del quäl era Daniel, e cridet
am grant vos: „yeu fuy d'aquest sanc just!" e tot lo pobol
retornant ad el, dis: „quäl es aquesta paraula, la quäl tu par-
5 liest?" e el dis ad eis: „o filhs de Israel, est enaysi fols, non
juiant ni conoysent que convers condampnest la filha de Israel?
retornas al juiament, car fals testimoni parleron encontra ella".
e tot lo pobol retornet am cocha, e los vielhs diyseroD a luy:
„ven e sey en miech de nos e ensenha a nos, car dieu donet a
10 tu honor de vilheza". e Daniel lur dis: „departes los luenh Fun
de l'autre, e yeu juiaray los", e com ibssan departits, apellet
Tun d'ellos e dis li: „o envelheirfe] en mals jors , aras son ven-
guts los tieus peccats , los quals tu as hobrats premierament,
nofl juiant drechurier juiament , oppriment lo non nozent e
13 laysant lo nozent, lo senhor disent: non ausiras lo non nozent
el just! doncas si vist eis, digas aras, sots quäl albre vist eis
parlar en semps?" lo quäl dis: „sotz .i. cerier". mas Daniel
dis drechurierament : „as mentit en lo tieu cap; ve ti l'angel del
senhor, e receupuda sentencia de luy, talhara tu per miech".
20 e luy mogut, comandet [venir l'autre e li dis: „semensa
de Ghana an] e non de Juda, belleza ti deceup e la cobeesa
transtornet lo tieu cor. vos fazias enaysi a las filhas de Israel,
e ellas tement parlauan a vos ; mas la filha de Juda non sos-
tenc ra vost'ra fellonia. donc digas a mi: aras sots quäl albre
25 vist eis?" e el d\s: „sots .i. prunier". e Daniel dis ad el: „tu
as mentit drechurierament al tieu cap, car ve ti Tangel del sen-
hor per man auent glazi , que partira tu per miech e aussira
vos". e tot lo pobol cridet am grant vos, e beneziron dieu, lo
quäl fas salus los sperants a si. quant Daniel agues vencut
30 eis de la lur bocca auer dich fals testimoni, leueron si
encontra los dos- preueyres, que fezessan ad eis enaysi com eis
auian fach malament encontra lo pruesme. e aussiron los, e lo
sanc non nozent fon saluat en aquel jorn. e Daniel fon lach
grant dauant lo pobol en aquel jorn e daqui auant. mas Al-
35 quias e la molher de luy lauzai*an dieu per Suzanna, la lur
filha, am Joaquim, lo marit d'ella, car neguna causa de lageza
non fon trobada en ella. dieu de pas e d'amor permania tos-
temps en nostres corages etc.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Wörterbuch der deutschen Sprache von der Druck-
erfindung bis zum heutigen Tage von Christian Friedrich
Ludwig Wurm. 1. Band 1 — 6. -Lieferung. Freiburg im
Breisgau. Herdersche Verlagshandlung, 1858 — 1859.
Kurz nach dem Erscheinen der ersten Lieferungen der Wörterbücher
von Grimm und Sanders sind auch die ersten Hefte des Wörterbuches von
Wurm erschienen. Es ist, wie der Verfasser in der Vorrede sagt, „aus dem
gefühlten Bedürfnisse der Selbstunterrichtung in Deutscher Sprache und
Literatur" entstanden. Es soll aber, das ward zuletzt die eigentliche Auf-
gabe desselben, von der Gegenwart ausgehend, daher auch die lebendigen
Mundarten mitumfassend, „das der Anwendung vorzüglich förderliche Wörter-
buch Adelungs durch Ergänzung und Erweiterung mit dem heutigen Stand-
punkte der Sprachwissenschaft möglichst in Einklang setzen." Dennoch ajs
Grimms Wörterbuch erschien, schwankte der Verfasser nicht lange über die
dem Grimmschen Wörterbuch gegenüber „zu ergreifende Partie; er bot mit
Unterdrückung seiner Abneigung oder, wenn man will, Grille gegen das
äusserliche Gewand desselben seine Vorarbeiten Herrn Jacob Grimm," bereit
„sich als dienendes Glied einem Ganzen zu unterordnen." Warum indess
dieses Anerbieten von Jacob Grimm nicht angenommen worden, warum der
Verfasser selbst sich heftigst gegen die Gebrüder Grimm, wie er selbst saut,
in scharfer, selbst schroffer Manier ausgelassen habe, darüber liisst er uns
im Dunkeln. Docli versichert er, dass ohne die Arbeit der Gebrüder Grimm
seinem Werke ein gut Theil gediegenen Materials, Kenntnisse und Anregung
aller Art abgegangen sein würde.
Nächstdem verbreitet er sich über den geschichtlichen Ausgangspunkt
des Wörtörbuehs. Er findet, dass er etwas früher, als mit Luther und dessen
Zeit beginnen müsse, indem Hochdeutsch älteren Datums , als die Refor-
mation und die Lutherische Bibel sei Gewiss, denn Luther hat die Sprache
nicht erfunden und. gemacht, sie. ist auch nicht plötzlich und zugleich über-
all in die Erscheinung getreten, aber der eine Guss, das eine Gepräge, in
welches er die Bibel gebracht, hat doch durch das rasche und tiefe Ein-
dringen in die damalige Welt fast eine neue Sprachperiode hervorgerufen,
die freilieh erst nach Jahrhunderten den Gipfel der Classicitat erreichte. Dass
aber Luther altfränkische, ja gothische Wort formen absichtlich zurückführte,
wie der Verfasser behauptet, entbehrt jedes Beweises. Wenn nun der Ver-
lader nach seiner Ansicht von der Zweckmässigkeit der Sache in das 15.
Jahrhundert, ja zuweilen in frühere Jahrhunderte zurückgegriffen, so bat er
mehr dem wissenschaftlichen Standpunkte ein Genüge gethan , als dem Be-
dürihiss der Gebildeten. Denn diesen muss das Alles mehr störend als for-
dernd entgegentreten. Dasselbe gilt durchaus auch von der massenhaften
90 Beurth eilungen und kurze Anzeigen.
Aufnahme alles Mundartlichen. Es mag vollkommen so sein, wie er p. X
sagt: „Die Mundarten verheizen der gebildeten Sprache nicht allein einen
Zuwachs an bezeichnenden, körnigen und naturwüchsigen Ausdrücken, sie
geben häufig den Schlüssel der concreten Bedeutung, der geschichtlichen
Entwicklung und der ersten Abstammung." Für den Sprachforscher und
Philologen ist dies Alles sehr wahr und richtig bemerkt, aber für die Zwecke
eines allgemein gehaltenen Wörterbuchs , welches dem gebildeten Publicum
Aufschlüsse geben soll über die jetzige Sprache, ist es vom Uebel. Sollte
aber der Verfasser glauben, dass nach Mittheilung älterer, nach seiner An-
sicht besserer Wörter sich das Volk dergleichen aus dem Wörterbuch her-
aushole und zu alltäglichem. Gebrauch aneigne, so hat er sich , wie ich
glaube, nur einer trügerischen Vorspiegelung hingegeben. Gewiss kommt oft
ein älteres Wort wieder unversehens zum Vorschein und gewinnt wieder
neues Leben, bald in derselben, oftmals in veränderter Bedeutung, aber das
geht mehr aus zufälliger Notwendigkeit, als aus Absicht und Willkür her-
vor. Wie manches ältere Wort haben Göthe und Schiller wieder aufgenommen
und dem Volke wieder näher gebracht. Noch mehr hat dies Rückert ge-
than, wenn gleich nicht mit besondrem Erfolg. Der Verfasser hätte also
nach meinem Dafürhalten einen grossen Theil des Materials, viele ganze
Artikel fortlassen können, unbeschadet der Vortrefflichkeit oder Nützlichkeit
seines Buches. —
Sodann bespricht er sein Verhalten hinsichtlich der Etymologie und
Grammatik, die er streng in ihre Schranken zurückweist, um so mehr, da
das grosse Gebiet des Realismus dem Wörterbuch anheimfalle. Er führt
eine grosse Menge von Werken der realen Wissenschaften an und verspricht
sich von der Benutzung derselben für die Sprache selbst etwas Erkleckliches.
„Das Sprachbewusstsein scheint von dem real -praktischen Gebiete jenen
kräftigenden Einfluss erholen zu müssen, welchen der ringende Antäus aus
der Berührung mit dem Boden einsaugte; von dem festen Grunde der Rea-
lität losgehoben erstickt es in der Umarmung des buchstabischen Formalismus.
Nur durch ein enges Anklammern mit allen Organen an das Wirkliche, an
das Palpable wird die Sprachwissenschaft auf sicherem Pfade zur Abstraction
vorschreiten und dem Ziele ihrer Aufgabe sich annähern, welches darin be-
steht, die herkömmlichen Ausdrücke, welche, nach Göthes Ausspruch, einen
schädlichen Einfluss verüben, Ansichten verdüstern, den Begriff entstellen
und ganzen Fächern eine falsche Richtung geben, auf ihren wahren Inhalt
zurückzuführen und den allenthalben auftauchenden Wortdifferenzen ent-
gegenzuarbeiten." Wie dem auch sei, schon diese ungeheure, ja unerschöpf-
liche Masse dieses Materials konnte den Verfasser belehren , dass das An-
streben der Vollständigkeit immer nur relativ zu fassen sein könne. Die
eigentliche Aufgabe des Wörterbuchs fasst der Verfasser sowohl in der
ersten Ankündigung als auch in der Vorrede S. XXII so, dass er behauptet,
„das Wörterbuch habe nicht genug geleistet durch Rath und Anweisung zur
stilistischen Darstellungsbildung, es habe zu gleicher Zeit das Geschäft eines
fortlaufenden Commentars der gesammten neuhochdeutschen Literatur zu
vertreten." Diese Behauptung ist nun wohl nicht in gewöhnlichem Sinne
buchstäblich zu fassen, selbst wenn es sich bewähren sollte, dass jedem Ar-
tikel, wie der Verfasser S. XXVII. sagt, „diejenige Bearbeitung und Ab-
rundung gegeben, dass er von formaler und materialer Seite betrachtet ein
ganzes Bild in seinem Rahmen darstellen und als solches sich am füglichsten
betrachten lassen sollte."
Er nennt dennoch sein Wörterbuch kein kritisches (S. XXVI) wie
Adelung, weil ihn „ein Freund durch den Franklin'schen Hutmacherschild
davon abwendig gemacht" habe. Schliesslich (S. XXVII) erwähnt er noch,
dass er handschriftliche Sammlungen Schmellers habe benutzen dürfen, und
dass somit „das Wörterbuch den überaus glücklichen Beruf habe, die Er-
gebnisse einer Zusammenstellung des reichen und gerade an den geheimsten
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 91
Bildungen früherer Zeiten reichen Schmellerschen Schatzes, des Grimmschen
Füllhornsund des eigenen vieljährigen Ernte -Ertrages den Freunden unserer
Sprache darzubieten."
So weit aus der Vorrede, an der mir ausser einer gewissen zu grossen
Zuversichtlichkeit des Geleisteten und Ueberschwänglichkeit in der Forderung
des zu Leistenden neben einer gewissen Phrasenmacherei ganz besonders
eine von der allgemeinen hochdeutschen oder muss ich sagen norddeutschen
Darstellungsweise in Wörtern und Redensarten vielfach abweichende Sprache
aufgefallen ist. Sollte dies Absicht sein, würde ich es nicht schön finden;
sollte es die wirkliche Sprach- und Schreibweise des Verfassers sein , würde
ich darin ein für die Abfassung eines allgemeinen Deutschen Wörterbuches
der modernen hochdeutschen Sprache nicht günstiges Moment erblicken.
Nur einige der auffallendsten Wörter und Wendungen mögen hier Platz
finden: Missannahme ; der unbezirkte Rittergeist; ein bereites Werkzeug;
auf platter Hand ; dass Luther die vor ihm bearbeiteten Verdeutschungen
zu seinem Nutzen gezogen; als Luthers seine; Beispielhaftigkeit ; feinere und
abgezogenere Ausdrucksform; bei so gestalten Sachen; unwidertreiblich;
Vorerstigkeit; Reform (st. Reformation); von dieser Seite findet das Wörter-
buch seine Stelle genugsam ausgezeigt durch eine Bemerkung Wielands ^ in
meinen Nutzen zu verwenden; die jüngst abgeflossene Sprachperiode; die
Stellenbeischaffüng; Arbeitseligkeit; die allgemein gangen Compositionen; sti-
listische Darstellungsbildung ; mancherlei Unzukömmlichkeiten; ob ich wohl
fühle, dass brüsker Laconismus kein urbaner Atticismus sei; ich finde die
Gebrechen die lässlichsten; ein Publicum, welches mit den weltläufigen Sprach-
kenntnissen ausgestattet.
Eine solche Abweichung vom allgemein hochdeutschen Sprachgebrauch
schadet nicht bloss der Darstellung des Verfassers, sondern muss nothwendig
sein Urtheil in mancherlei Weise beschränken und beirren. Und so finden
wir in der That Bemerkungen, die dem hochdeutschen Sprackbewusstsein und
Sprachgebrauch, so wie dem bisher in grammatischen und lexicographischen
Werken als mustergültig Empfohlenen völlig widerstreiten. So, um nur
Einiges anzuführen, gleich im ersten Artikel, der weitschweifig Vieles dem
Wörterbuch gar nicht Angehörendes enthält, die Angabe von nie allgemein
vorhanden gewesenen, oder ganz unbekannten, oder nur der gewöhnlichen
Unterhaltungssprache angehörigen Pluralformen Mägen, Wägen, Schwane,
u. a., denen er ebenso gut Schafe, Rahme, Kästen, Gänse, Hahne und dgl.
hätte beifügen können. Mitten unter den Beispielen die nun folgen , die
aber jedenfalls für das Wörterbuch an dieser Stelle noch zu zahlreich sind,
findet dann folgende Regel ihren Platz: „Mit dem Umlaute verliert der Be-
griff an seiner Ganzheit, Grösse und Würde und der Wagen erscheint
in Wägen (sie) vereinzelt und verringert, wie er in Wägelchen und Wäg-
lein verkleinert erscheint." Ein anderes Beispiel, wo der Verfasser weniger
einem einseitigen Sprachgebrauch als einem ihm zur fixen Idee gewordenen
Theorema folgt, ist alles das, was er über den vermeintlichen Unterschied
von adelig und adelich sagt. Wie viel einfacher, kürzer und richtiger
hat dies Sanders in seinem vortrefflichen Wörterbuche dargestellt. Der
Lexicograph muss noch viel weniger Sprachmeister und Sprachschöpfer sein
wollen, als der Grammatiker. Auch andere speciell grammatische Ansichten
des Verfassers müssen Anstoss erregen. So z. B. findet sich unter acht
die Bemerkung: „der Plural acht von acht ist oberdeutsch." Den Luther-
schen Ausdruck „auf adelsch" erklärt er durch: „auf Adels (Weise); isch
ist das blosse Genitiv -s."
Selbst diese Fehlerhaftigkeit des Grammatischen und überhaupt Sprach-
lichen abgerechnet hat der Verfasser die Aufgabe, ein allgemeines Wörter-
buch zu schreiben, nach meinem Dafürhalten schlecht begriffen. Er giebt
bei jeder Gelegenheit eine Fülle von Notizen der speciellsten, aber für den
Gebildeten überflüssigsten und lästigsten Gelehrsamkeit. Oft füllt er Seiten
92 Bf ii r theilun ?cn i»nd kurze Anzeigen.
mit, Notizen, die für ein etymologisches Wörterbuch zu ausführlich wären ;
oft behandelt er der Grammatik Angehöriges mit grosser Sorgfalt und ver-
nachlässigt darüber das Lexicalisehe ; z. H. gleich der erste Artikel, wie un-
glaublich dürftig ist derselbe und gänzlich verfehlt ! Denn die ersten drei
Columncn sind für das Lexicon überflüssig, das Lexicalisehe aber ist in zwei
allbekannten Notizen enthalten. Viele Artikel sind mit zu vielen oft über-
flüssigen Citaten versehen, bei anderen fehlt jedes Citat Mehrere Beleg-
stellen sind angegeben, bei vielen oft wichtigen fehlt die Angabe der Stelle
oder des Schriftstellers. Eine zu grosse Menge von Citaten sind den Zei-
tungen oder Zeitschriften entnommen , und nicht näher als mit Z. unter-
zeichnet. Während der Verf. den Schriftstellern des 15. Jahrhunderts, den
Volksdialekten, älteren und neueren, besonders den Süddeutschen grosse Be-
achtung geschenkt hat, hat er die Schriftsteller der Gegenwart, selbst die
bedeutenderen fast gar nicht berücksichtigt. Endlich fehlen trotz des Prin-
zips, nach Möglichkeit alle Wörter zu geben, eine unglaubliche Menge von
Wörtern, sowohl echt deutsche als auch nicht deutsche, sogenannte Fremd-
wörter, die jedoch, ich darf wohl sagen, jedem Deutschen mundgerecht sind.
Es darf dies um so mehr befremden , da der Verf. in der Vorrede sowohl,
als auch sonst im Wörterbuche häufig Fremdwörter gebraucht, wie dies in
den oben gegebenen Sätzen und Sprachproben leicht zu ersehen ist. — Zu
diesen gerügten Mängeln kommt endlich noch einer hinzu, der sich bei
grösseren Artikeln besonders fühlbar macht. Das ist die geringe Sorgfalt,
für gehörige, nach irgend einem Prinzip vorgenommene Anordnung der Be-
deutungen eines Artikels. Bei manchen zumal grösseren Artikeln scheint der
Verf. ganz willkürlich seine Collectaneen nach zeitlicher oder räumlicher
Aufeinanderfolge des Sammeins ohne alles Prinzip dem Wörterbuche ein-
verleibt zu haben. Als Beispiel mögen die ersten Nummern des Artikels
Auge, der in 74. einzelne Theile zerfällt, hier Platz finden, l) Das Glied,
womit (!) gesehen wird; 2) die Raben hacken nach den Augen; 3) Künstliche
Augen; gläserne, porcellanene Augen; 4) Bei den Augen verbieten; 5) Einein
die Augen braun und blau schlagen; (!) Daher scherzhaft: Das schickt sich,
reimt sich, wie eine Faust aufs Auge 7) als zartes, besonders empfindliches
Glied. 8) Daher, Das ist ihm ein Dorn im Auge. 9) Wie Augapfel, der
Gegenstand der Sorgfalt und Liebe, lü) Die Augen, worin (!) der Blick
ruht, als Ausdruck des Gesichts und der Gebärde; 11) in anderen physischen
Erscheinungen: schwarze, blaue, blonde, helle, frische Augen, ein krankes,
blödes, schwaches, mattes Auge; 12) Natürlicher Weise tritt bei Auge, wie
bei allen paarigen (!) Gliedern die Bezeichnung der Dualität häufig hinzu;
13) Die Augen zuthun, zumachen, zudrücken, schliessen u. s. w. ; 14) Einem
Sterbenden die Augen zudrücken, schliessen. 15) Die Augen verdrehen,
verkehren. Starrende, stiere Augen. lfi) Weinende Augen, thränende
Augen; 17) Auge als Gesichtssinn, als wirkendes Organ; 18) Gesicht in
weiteren Verbindungen; 19) Das hängt mir über den Augen u. s. f. Genug
der Probe. Wo bleibt da die versprochene Abrundung, das Bild des Ganzen
in einen Rahmen gefasst? wo Uebersicht, Ueberschaulichkeit und leichtes
Auffinden des Einzelnen? Wie überhaupt das Wörterbuch dem gebildeten
Publicum die Erzeugnisse der deutschen Literatur und eine Anleitung zur
Bildung der Darstellungskunst, bieten soll, ist nach solcher Leistung erst
recht unverständlich und unbegreiflich. Ebenso wenig begreife ich, um end-
lich die letzte Ausstellung zu machen, wie das Wörterbuch bei dem un-
geheuren Umfange, den es dem Anschein nach bekommen muss, — die
ersten 60 Rogen reichen bis zum Artikel aushauen, während Sanders für
das gleiche. Gebiet nicht ganz 8 Bogen hat, — Käufer finden soll, die den
Kostenbetrag auch nur einiger Massen zu decken im Stande wären, noch
weniger, wie der Verf. Zeit und Müsse finden wird, eine so weitschichtige
Arbeit zu vollenden. — Nach allen diesen Ausstellungen kann ich nur der
Ansicht sein, dass, da das Sanders sehe Wörterbuch in so vorzüglichem
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 93
Grade den Bedürfnissen der Gebildeten und Gelehrten entspricht, das
Gr im in sehe und Weigand'sche dem gelehrten Interesse mehr oder
weniger vollkommen genügt, der Verf. Mühe und Fleiss lieher einzelnen
Partien der Sprachwissenschaft, etwa der süddeutschen Lexicographie , oder
der Lexicographie des 14 — 16 Jahrhunderts hätte widmen sollen, als ein
Werk liefern, welches mit den anderen Werken gleicher Art einen Vergleich
auszuhalten so wenig im Stande ist, dass es höchstens ein mit Vorsieht zu
benutzendes Material für spätere lexicographische Arbeiten abgeben dürfte.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ des Ger-
manischen Museums zu Nürnberg. 1860. Nro. 1 — 4.
Erläuterungen zu dem Nienburger Bruchstück zur Geschichte
der Lausitz. Von Freiherrn von Ledebur in Berlin. — Anknüpfend an
eine Urkunde des Kaisers Otto III. vom Jahre 1000 giebt der gelehrte
Kenner märkischer Geschichte einige wichtige Notizen zur Geschichte der
Markgrafschaft Lausitz im 11. und 12. Jahrhundert.
Gengenbach. Von Jos. Maria Wagner in Wien. Herr Wagner
vermuthet ein von Goedeke als noch nicht aufgefunden bezeichnetes Werk
Gengenbachs in einem Werke, welches Butsch in seinem 1857 in Augsburg
herausgegebenen Kataloge verzeichnet, und das um 1520 gedruckt sein soll.
Die Sammlung m u sikali scher Instrumente im Germ. Museum.
Nach kurzer Uebersicht über ältere musikalische Instrumente überhaupt folgt
ein Verzeichniss von 66 im Germ. Museum sich befindenden Instrumenten,
die dem IG. — 19. Jahrhundert angehören. Von einigen derselben ist eine
Abbildung beigefügt.
Alte historische Prophezeiungen. Von E. Weller in Zürich.
Mittheilung einiger Practica und Prognostica aus dem 16. Jahrhundert.
Ueber Dorfeinfriedigungen und Grenzwehren von Marken,
Gauen und Ländern. Von Fr. Thudichum, Privatdocent in Giessen.
Aus Caesar, Tacitus und Ammianus Marcellinus, so wie aus mittelalterlichen
Schriftstellern wird nachgewiesen , dass es uralter Gebrauch der deutschen
Völkergemeinden war, ihre gegenseitigen Gränzen durch grosse Erdaufwürfe
und Gräben, durch lebendige Hecken, zuweilen auch durch gesetzte Steine
zu bezeichnen und einzufriedigen. Derartige Einfriedigung wird meistens
Landwehr, Landgewehr, Langwehr , Langwohr auch Laudfriede genannt. In
anderen Gegenden ist auch der Name Snaat, Ileimschnat, Gebück, Heege
u. a. m. gebräuchlich.
Mittelalterliche Siegel mit Jahreszahlen. Von Mauch in
Gaildorf. Veranlasst durch den in Nro. 7. des Anzeigers von 1859 S. 251
ausgesprochenen Wunsch theilt der Verf. aus seiner Siegelsammlung mehrere
Siegel mit Jahreszahlen mit.
Die Ausstattung der Hoffräulein im Mittelalter. Vom Archiv-
rath Dr. Märcker in Berlin. Beispiele von einzelnen Ausstattungen und
testamentarischen Bestimmungen und Legaten für unverheirathet gebliebene
Jungfrauen (Hofdamen) und Dirnen (Kammerfrauen.)
Zur Geschichte des deutschen Gildenwesens im Mittelalter.
Von Dr. K aus ler in Stuttgart. Mittheilung einer im Besitz des Germ.
Museums befindlichen Urkunde, aus Petrikau vom 27. Jan. 1487, die zwar
nicht eigentlich deutsche Verhältnisse betrifit, aber ein offenbar deutsches
Gepräge hat und für das Gildenwesen des Mittelalters von einigem Werth ist.
94 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Ueber alte Gewichte. Von Dr. J. Müller. Nach einer allgemeinen
Bemerkung über die verhältnissmässig geringen Hülfsmittel für das Studium
der alten deutschen Münz- und Gewichtkunde theilt der Verf. eine Abbildung
eines Gewichts aus dem Jahre 1249 mit und sucht dasselbe nach seiner
Entstellung und Währung näher zu bestimmen.
Zur Geschichte der Gründung des Bisthums Bamberg. Von
Prof. Hefele in Tübingen. Da von Ussermann und Anderen ein Irrthum
über die Entstehungsgeschichte des Bisthums Bamberg in Umlauf gesetzt
worden ist, beweist der Verf. nach Darstellung des ga/izen Hergangs der
Gründung durch Heinrich IL, dass nur eine grosse Synode zu Frankfurt
und zwar am 1. November 1007 abgehalten worden. Kaiser Heinrich hatte
die Freude, schon im Mai 1012 der Einweihnung des Domes von Bamberg
beiwohnen zu können.
Ein Brief Melanchthons an den Magistrat der Stadt Krem-
nitz in Ungarn. Von Prof. Schröer in Pressburg. Empfehlungsschreiben
eines in Wittenberg ordinirten Geistlichen, Paulus Niccus von Namslau:
„er hat uleissig studirt und ist zuchtig, das ich hoffe ehr werde sich gebur-
lich halden."
Venusberg. Von Prof. Reuss in Nürnberg. Beispiel einer Dämono-
manie aus dem 17. Jahrhundert und Darstellung der Venus vor einem grünen
Berge aus einem Wappenbriefe des 17. Jahrhunderts.
Tympanon an der Altstädter Kirche zu Pforzheim. Von Dr.
Uli mann, Prälat zu Karlsruhe. Bildliche Darstellungen vielleicht schon
aus dem 12. Jahrhundert, die bis jetzt noch nicht enträthselt sind, wie es
an anderen Kirchenportalen vielfach deren ähnliche giebt.
Ein Weisthum aus dem .13. Jahrhundert. Das Germ. Museum
besitzt ein Bruchstück eines AVeisthums, das nach dem Elsass hinweist.
Ein Beitrag zur Geschichte des Bauernkrieges. Von Prof.
Voigt in Königsberg. Mittheilung eines Briefes des Grafen Wilhelm von
Henneberg an dei\ Herzog Albrecht von Preussen vom '_'. Februar 1525, der
nicht bloss über die Theilnahme des Grafen an den damaligen Ereignissen,
sondern auch von anderen Verhältnissen manches für die Zeitgeschichte
Interessante darbietet.
Bruchstück des Wilhelm von Orange von Wolfram von Eschen-
bach. Mitgetheilt von Jos. Maria Wagner in Wien. Ein Pergamentdoppel-
blatt in kl. 4. anscheinend aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts enthält
etwa 300 Verse aus dem Anfange des W7illehalm, die wenige Abweichungen
vom Lachmannschen Texte bieten. Die Mundart des Schreibers ist die bai
risch- österreichische.
Die ältesten Buchdrucker Nürnbergs. Von J. Baader, Con-
servator am Königlichen Archiv in Nürnberg. — Nach der Einnahme von
Mainz durch den Erzbischof Adolf im Jahre 14 62 zogen viele Druckergesellen
Schöffer's und Fust's aus der Stadt. Dass manche derselben nach Nürnberg
gezogen, lässt sich vermuthen. Erst 10 Jahre später erhält der ehemalige
Diener und Geselle Guttenbergs Heinrich Keffer das dortige Bürgerrecht;
es ist aber wahrscheinlich, dass derselbe schon längere Zeit vor diesen Jahren
sich in Nürnberg aufgehalten habe.
Einschreiben desRathszuSchlaggenwald anMelanchthon.
Mitgetheilt von Anton Kohl, Gymnasiallehrer, in Prag. Der Rath in
Schlaggenwald in Böhmen bittet um einen Lehrer und Cantor. „So langt
an E. u. W. unser freundtliches undt dinstliches hoehuleissiges bitten, die-
selben wollen uns einen gelertten gesellen, der ein gut christlich Schul-
regiment anzurichten, zu regieren und zu erhalten weste, do einer in Witten-
berg als uns nit zweiffeldt zu bekommen umb der ehre Gottes willen, gun-
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 95
stig zuweysen undt beferdern. Dergleichen auch einen guten Cantoren der
ein chor versorgen konntte."
Fränkische Gemeindeordnungen. Von Dr. Jul. Haudinger
in Nürnberg. Verzeichniss mehrerer Gemeindeordnungen, die abschriftlich
dem Germ. Museum einverleibt sind, nebst einigen allgemeinen Bemerkungen
über Entstehung und Inhalt derselben.
Notiz zur Erklärung der heidnischen Bronceringe. Abbildung
einer Reliefverzierung einer äusserst merkwürdigen bei Colchester in Eng-
land gefundenen römisch -britischen Graburne, welche ausser einigen Jagd-
thieren die Gruppe zweier Kämpfer enthält. Die vielen an der Rüstung an-
gebrachten Ringe dürften die Annahme rechtfertigen, dass die gedachten
Bronceringe nur Rüstungsstückchen sind, nichts Anderes.
Die Beilagen bringen in gewohnter Weise die Chronik des Germ. Mu-
seums, den Zuwachs zum Museum, Kritiken, Nachrichten, Auszüge aus hist.-
antiquarischen Zeitschriften und vermischte Anzeigen und Notizen der mannig-
fachsten Art.
Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Alterthumskunde.
Herausgegeben von Franz Pfeiffer. Vierter Jahrgang,
4. Heft. Wien 1859.
Die Insel der Nerthus, ein historisch -antiquarischer Versuch von
Karl Maak. Der Verf. fand bei seinen Studien über die Urgeschichte der
Schlesswig-Holsteinschen Lande ein von den bisherigen Ansichten und Hy-
fothesen ganz verschiedenes Resultat. Nachdem er zuerst die Localität der
nsel und die Wohnsitze der von Tacitus genannten bei der Verehrung der
Nerthus gemeinsam betheiligten sieben Völker im Allgemeinen bestimmt hat,
verbreitet er sich ausführlicher über die Ursitze der Angli, Varini, Eudoses,
Suiirdones, Nuithones, Reudigni, Aviones, gothische Völkerschaften in Süd-
skandinavien, bestimmt die Nerthusinsel näher und kommt schliesslich zu
folgendem Resultat: 1) Die Nerthusvölker waren Seeküsten und Seeinsel-
bewohner. 2) Die Nerthus -Insel lag in der Ostsee. 3) Die sieben Nerthus-
völker bewohnten die Küsten der südwestlichen Ecke der Ostsee und die
Dänischen Inseln. 4) Die Nerthusinsel, ungefähr im Mittelpunkte dieses
Völkerkreises liegend, war die einst von dem Festlande vollkommen ab-
gerissene Ostecke Holsteins, die damals mit der Insel Fehmarn zusammen-
hing. 5) Der lacus secretus des Tacitus war der See von Siggen. 6) Der
von Tacitus erwähnte Tempel der Göttin stand im vormaligen Dorfe Siggen,
dessen Name einem christlichen Pfaffendorfe entspricht. 7) Von dem Ein-
schiffungsorte des göttlichen Wagens, hleithra genannt, zeugt noch heutigen
Tages der Name der Stadt Heihgenhaven, wo einst ein Tulendorf bestand
d. h. das Dorf am dunklen, geheimnissvollen, heiligen Wasser. Talendorf ist
gleich Ueiligenhafen. 8) Der Cultus der 7 Nerthusvölker war wesentlich
verschieden von dem Frö-blöt der Dänen auf Seeland.
Der deutsche Parcival, der Conte del Graal und Chrestiens
Fortsetzer von Alfred Rochat. Nachdem Rochat den Inhalt des un-
geheuren Gedichtes Chrestiens von Troyes und seiner drei Fortsetzer in Paris
näher kennen gelernt und aufgezeichnet hat, theilt er das Ergebniss dieser
zweiten Untersuchung (vergl. Germania III, 81, ff.) im Gegensatze zu San
Martes Ansicht hier mit. Zugleich sucht er klarer, als bisher geschehen,
die Art darzustellen, wie der Conte del Graal in seiner abschreckenden Länge
und Weitschweifigkeit gedichtet wurde.
96 Beur theilungen und kurze Anzeigen.
Zum Nibelungenliede. Von Friedrich Zarncke. Gegen Müllen-
hofls Aufsatz in der Zeitschrift für deutsches Alterthum II, 262 fg., in
welchem jener Zarncke angegriffen und sich wegen ^vorgeworfener Schnitzer
und Flüchtigkeiten vertheidigt hat, polemisirend verbeitet sich der Verfasser
ausführlich über Gebrauch und Bedeutung des AVortes ruore und über die
Vertauschung des k mit ch in einer Handschrift des Nibelungenliedes. So-
dann giebt er Varianten zur Klage, die geeignet sein sollen, „das Vertrauen
zu Lachmanns Genauigkeit und Zuverlässigkeit wesentlich zu erschüttern"
und folgert aus dem Umstände, dass ein Halbvers in der Strophe 1896,
1. in den Handschriften fehlt, in Lachmanns Ausgabe oder Variantensamm-
lung aber steht, dass „Lachmanns Varianten apparat mit dieser
Enthüllung alles Recht auf Vertrauen verloren" habe. Es ist
nur zu sehr zu beklagen, dass derjenige, über den hier so thatkräftig ah-
geurtheilt wird, nicht darauf antworten kann. Es wäre dann vielleicht die
„Enthüllung" erspart worden. Diesem heftigen Erguss lässt Zarncke noch
„Weiteres" zu seinen Beiträgen folgen, in denen er schliesslich nachzuweisen
sucht, wie „schülerhaft Herrn Müllenhofs Kenntnisse in den
Realien sind" und wie die Schilderung des Saalbrandes in der Handschrift
A „eine einzige grosse Schwierigkeit, richtiger eine einzige grosse Albern-
heit" ist.
Sante Margareten marter. Herausgegeben von Karl Bartsch.
Dieses aus 680 Versen bestehende, in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts
in der Universitätsbibliothek zu Prag vorhandene Gedicht vindicirt He: r
Bartsch dem 12. Jahrhunderte. Ausser den Beweisen, die er dafür angiebt,
lässt er eine Anzahl erklärender und rechtfertigender Anmerkungen folgen.
Zu der Thüringer Chronik des Joh. Rothe von Reinhold
Bechstein. Der Verfasser verbreitet sich besonders über den Vocalismus
Rothes in dessen Thüringischer Chronik und in dem Leben der heiligen
Elisabeth mit Beziehung auf die neuesten Ausgaben Rückerts und von Lilien-
krons. Seine Arbeit ist so ein Beitrag zur Geschiebte der Thüringischen
Mundart und zur Vorgeschichte des Neuhochdeutschen.
Ueber Rosenblüts Disputaz einesFreiheits mit einem Juden.
Von Reinhold Köhler. Der Verfasser stellt nicht bloss aus den abend-
ländischen, sondern auch aus orientalischen Schriften diesen Schwank einer
Darstellung durch Zeichensprache zusammen. Ich glaube nicht zu irren,
wenn ich vermuthe, dass die S. 488, Anm. angedeutete Erzählung aus der
neuesten Zeit von Prof. v. Schubert herrühre. Ich erinnere mich wenigstens
eine solche in einem Kalender oder in den gesammelten Erzählungen Schu-
berts gelesen zu haben.
Zur Gudrun. Von Holland. Vergleichung einer Stelle der Gudrun
Str. 92S mit einer Stelle der altfranzösischen Chanson des Loherains.
Recensionen. Joh. Kelle's Speculum ecclesiae. Altdeutsch. Recens.
von Fedor Bech. — La vie de la vierge Marie, de Maitre W.ace
publiee d'apres un manuscrit inconnu aux premiers ^diteurs suivie de la vie
de Sainte George poeme inedit du nieme trouvere. Tours 1859. rec. von
K. Bartsch.
Berlin. Dr. Sachse.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 97
Erklärung der schwierigen dialektischen Ausdrücke in Jeremias
Gotthelfs (Albert Bitzius) gesammelten Schriften. Zu-
sammengestellt von Albert von Kutte, Pfarrer. Berlin,
Springer.
Ein für das genauere Verständniss der Gotthelfschen Schriften un-
entbehrliches Büchlein. Zwar hat Jer. Gotthelf in seinen späteren "Werken,
so wie in der zweiten Ausgabe derselben sich bestrebt, die specielle Färbung
des Schweizerdialectes im Emmerthale zu mildern und sich in Ausdrücken,
Redensarten und Satzbildung mehr dem allgemeinen Hochdeutschen an-
geschlossen ; allein es bleibt doch noch eine so grosse Menge von sprach-
lichen Eigenthümlichkeiten in Wort und Phrasen zurück, dass eine Sammlung,
wie die vorliegende, für Alle, die ein vollständiges Verständniss der Lectüre
erzielen, ein wahres Bedürfniss ist. Der Verfasser hat sich überall der mög-
lichsten Kürze befleissigt. Manche kleinere Abweichungen wie Abe für Abend,
Aff'licat für Advocat, oder Verdrehungen der "Wörter, die dem Einzelnen
in den Mund gelegt werden, nicht aber der Mundart angehören, hat er der
Raumersparniss wegen fortgelassen. Aus demselben Prinzip hat er zusammen-
gesetzte Wörter da und dort unter die Stammwörter gebracht. Ueber Ein-
zelnes in Betreff der Anordnung der Wörter und der Orthographie, über
nicht bernische und doch schweizer Wörter und Wortformen udgl. giebt die
Vorrede kurz aber ausreichend Auskunft. Und so wird das kleine Buch ge-
wiss dazu beitragen, die zum Theil so lesenswerthen Schriften von Bitzius,
dem liebenswürdigen Pastor zu Lützelfiüh, noch lange recht fruchtbar werden
zu lassen.
Aufsatzschule. Sammlung von Stoff zu Aufsatzübungen für
geübtere Schüler. Von J. H. Möwing. Langensalza 1858.
In dem ziemlich umfangreichen Material behandelt der Verf. 19 ver-
schiedene Arten von Aufsätzen, die sich etwa zu Aufsätzen für Quarta und
Tertia unserer gelehrten Schulen eignen möchten, in recht verständiger
Weise. In der Vorrede bespricht er kurz den Plan seines Buches und be-
gleitet die einzelnen Uebungen mit einigen erläuternden Worten. Es folgen
dann die Uebungen nicht in einer in der Praxis bestimmt zu befolgenden
Anordnung, sondern nur nach einem allgemeinen Plane vom Leichtern zum
Schwereren fortschreitend. Er überlässt ganz richtig das Herausgreifen der
einzelnen Aufgaben dem Ermessen des Lehrers. In den einzelnen Kapiteln
selbst gehen leichtere Uebungen den schwereren voran , so dass hier jeder
Zeit der Lehrer nach Massgabe des Standpunkts der Klasse oder des Schü-
lers wählen kann. Sehr zweckmässig hat der Verf., bevor er das Thema
stellt, mehrere Bearbeitungen desselben, entweder prosaische oder poetische,
voraufgeschickt. Das ganze Buch zeichnet sich durch Mannigfaltigkeit und
Fülle des Stoffes, so wie durch umsichtige und geschickte Behandlung im
Einzelnen aus. Es verdient daher jede Empfehlung und wird sich auch ohne
Zweifel längst in vielen Kreisen eines segensreichen Gebrauchs erfreuen.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII.
98 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Deutsche Aufsätze verbunden mit einer Anleitung zur An-
fertigung von Aufsätzen und Dispositionen vorzugsweise
für die oberen Klassen der Gymnasien und höheren Lehr-
anstalten von Joseph Venn. 2. Auflage. Düsseldorf 1859.
Der Verfasser dieses kleinen 151 Seiten umfassenden Buches „ging von
dem Gedanken aus, dass, wenn gleich dem studirenden Jünglinge die. vielen
ausgezeichneten Aufsätze unserer klassischen Schriftsteller ein vorzügliches
Mittel zur Bildung darbieten, es doch verhältnissmässig wenig Aufsätze gebe,
die den Schülern der Gymnasien unbedingt zur Richtschnur dienen könnten.
Bei vielen ist der Stoff", bei anderen die Darstellung dazu nicht geeignet."
Daher versucht er, diesem Mangel abzuhelfen und den Schülern eine Richt-
schnur und zugleich ein Hülfsmittel für die Anfertigung ihrer Aufsätze an
die Hand zu geben. Mit Rücksicht auf die fortschreitende Bildung der
Schüler werden im Anfange leichtere Themata behandelt, gegen Ende
schwerere. Ausserdem werden neben geschichtlichen Aufsätzen auch phi-
losophische gegeben in verschiedenen Formen; die allgemein abhandelnde
wechselt mit der Chrie, Characterschilderung und Rede. Bei den Aufsätzen
philosophischen Inhalts ist die Idee zu Grunde gelegt, dass das Glück des
Menschen in einem erfolgreichen Streben nach sittlicher Veredlung auf
Grundlage der Religion beruhe. Daher haben die Aufsätze dieser Art durch-
gehends eine religiöse Färbung, was auch theilweise darin begründet sein
mag, dass der Verfasser zur Zeit, als er einzelne dieser Aufsätze schrieb,
als Zögling eines geistlichen Instituts — alumnus seminarii puerorum Nove-
siensis — Alles mit der Religion in Verbindung bringen zu müssen glaubte.
Um den Nutzen der Aufsätze zu sichern, hat er die wesentlichsten Regeln
zur Anfertigung derselben in einer Anleitung zusammengefasst und den Auf-
sätzen vorangestellt. Am Schlüsse folgt eine Anzahl von Dispositionen.
Mit dem Wunsche, dass das Buch in den Händen der Schüler Nutzen
stilten möge, schliesst das Vorwort.
Mit diesem Wunsche kann ich mich am Wenigsten einverstanden erklären.
Ich will zugeben, dass für junge Leute Manches aus dem Buche zu lernen,
dass es allenfalls nützlich sei, wenn diese Aufsätze von jungen Leuten ge-
hört werden, aber nichts weiter. Denn einmal behandeln die gegebenen
Aufsätze die in Schulen mehr oder weniger regelmässig gestellten Themata.
Es würde also^ für träge Naturen die dauernde Benutzung des Buches nur
auf ein förmliches Abschreiben hinauslaufen. Sodann wird der Verfasser
zugeben müssen, dass seine Aufsätze eine gewisse Einseitigkeit und Ein-
förmigkeit verrathen, die keineswegs der Bildung junger, strebsamer Leute
förderlich sind. Es würde also dadurch, dass das Buch in den Händen der
Schüler, ein grosser Theil des Nutzens, den die Ausarbeitungen von Auf-
sätzen haben und haben sollen , ganz verloren gehen ; oder es dürften nur
Themata, die den gelesenen Aufsätzen ähnlich wären, gegeben werden. Das
ist aber nicht leicht thunlich, denn die bearbeiteten gehören gerade zu den
Aufgaben, die in der Schule, ich möchte sagen, unvermeidlich und stereotyp
sind, und die daher auch in jeder Aufgabensammlung zu finden sind.
Sollte das Erscheinen der 2. Auflage durch einen solchen Gebrauch von
Schülern veranlasst sein, wäre das sehr zu bedauern, und das Buch würde
in den Händen der Schüler sicher mehr Schaden als Nutzen gestiftet haben.
Es kann dasselbe Lehrern wohl von Nutzen sein, sicherlich aber Schü-
lern nicht anders, als wenn der Gebrauch desselben von einem Lehrer ver-
mittelt worden ist. Die übrigen Zuthaten, die Anleitung zur Abfassung von
Aufsätzen, so wie 50 Dispositionen sind kurz gehalten und geben, wie dies
nicht anders möglich ist, vielfach schon Bekanntes und praktisch Bewährtes.
Berlin. Dr. Sachse.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 99
Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache, herausgegeben
von Carl Schulze. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's
Verlag. 1860.
Der Verfassser liefert hiermit einen dankenswerthen, mit grossem Fleisse
zusammengestellten Beitrag für das Quellenstudium unserer deutschen Sprich-
wörter, die noch immer eines gründlichen Sammlers harren; denn die vor-
handenen Sammlungen erweisen sich leider nicht als ausreichend, und gar
manches Goldkörnchen von Sprichwort liegt noch heute ungesehen und un-
beachtet in den Schätzen unserer älteren Literatur verborgen. Unter den
Quellen, aus denen unsere Volksweisheit schöpfte, nimmt die Bibel unstreitig
eine der ersten Stellen ein. Nachdem der Verfasser in der Einleitung ein
kleines Verzeichniss der hier einschlagenden Schriften vorangeschickt hat,
dem wir noch „Mylius biblische Gleichnissreden und Sprüchwörter 1621. 8°.
(751 S.)" und „Sprichwörter und Redensarten deutsch -jüdischer Vorzeit,
von Tendlau, Frankfurt am Main, Keller 1860. (XII u. 425 S.)" hinzufügen
möchten, deutet er kurz die kritischen Gesichtspunkte an, die ihn bei Auf-
nahme von Sprichwörtern in die vorliegende Sammlung leiteten, giebt einen
Zusatz zu der bereits in der Zeitschrift für deutsches Alterthum von Haupt,
B. VIII. mitgetheilten Aufstellung von „Ausdrücken für Sprichwort" und
zuletzt Einiges über Verbreitung der biblischen Sprichwörter, über ihr Ver-
hältniss zu einander und über ihren Inhalt. Die Gesammtzahl der im vor-
liegenden Werke behandelten Sprichwörter beträgt 296, von denen 179 auf
das alte, 117 auf das neue Testament kommen. Wir möchten indessen die
Nummern 21. 47. 205. 256. 58. 59. 262. 274. 77. 292. gestrichen wissen, denn
die beigebrachten Beweisstellen gewähren durchaus keine Sicherheit. Ebenso
ist es fraglich, ob z. B. Nr. 172 und 179 Quellen für deutsche Sprichwörter
sind. Um die Sprichwörtlichkeit der verzeichneten Bibelworte zu beweisen,
stellt nämlich der Verfasser in chronologischer Reihefolge aus allen Schriften
unserer älteren deutschen Literatur die betreffenden Stellen unter dem Texte
der Vulgata und der Luther'schen Uebersetzung zusammen und giebt dadurch
ein treues Bild, in welcher Fassung sich ein Sprichwort durch Jahrhunderte
hindurch bewegt hat. Zugleich sind Nachweise gegeben, wo das auf diese
Weise erhärtete Sprichwort in den bekannten Sammlungen erscheint. Zwei
Register erleichtern das Aufsuchen der behandelten Sprichwörter. Ref. ver-
misst übrigens einen Anhang aller derjenigen Sprichwörter, die dem biblischen
Grund und Boden entwachsen sind, z. B. die Sprichwörter über Adam, Eva,
Moses, David, Hiob, Christus, Herodes, Judas, Petrus, oder Sprichwörter
wie: der Glaube macht selig (Marc. 16, 16), Gott ist mit im Schiffe (Matth.
8, 23), der Verräther schläft nicht (Matth. 2 6), u. s. w.
Wir empfehlen schliesslich das Buch allen Freunden deutscher Sprache
und Literatur angelegentlich, da es an vielen Stellen interessante Proben
des sprachlichen Ausdrucks und der Dialectverschiedenheit aus allen Jahr-
hunderten der vorlutherischen Zeit bringt.
H.
Elementarbuch der französischen Sprache für die ersten zwei
Stufen des Unterrichts. 3. Die Syntax der französischen
-Sprache. Von Dr. C. A. Wittenhaus, Rektor der höheren
Bürgerschule in Rheydt. Erfurt, Verlag von C. Villaret.
Die beiden ersten Theile des oben genannten Lehrbuches sind bereits
in früheren Jahrgängen dieser Zeitschrift besprochen und der Beachtung
ihrer Leser empfohlen worden. Wir äusserten damals den Wunsch, dass
der Verfasser auch die Syntax in zusammenhängender Darstellung bearbeiten,
100 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
und damit seinem Werke den nötliigen Abschluss geben möcbte. Das ist
nun geschehen; Herr W. hat vor Kurzem eine Satzlehre erscheinen lassen,
die, ohne darum den Character eines selbständigen Werkes zu verlieren, zu
den beiden Abtheilungen seines Elementarbuches den dritten ergänzenden
Theil bildet. „Auch sie zerfällt in zwei Abtheilungen, von welchen die erste
den einfachen Satz, die zweite das Satzgefüge behandelt, Jede dieser Ab-
theilungen wird für einen einjährigen Cursus hinreichenden Stoff enthalten,
sodass in den jetzt erschienenen drei Theilen das Material für den fran-
zösischen Unterricht in fünf aufsteigenden Classen einer Realschule oder
eines Gymnasiums vorliegt. Für die drei unteren Classen enthalten die beiden
ersten Theile dieses Material vollständig, für die beiden oberen Classen
jedoch enthält der dritte Theil nur das grammatische Pensum, nebst den
dazu gehörenden Uebungsbeispielen zum Uebersetzen. Den letzteren sind
möglichst viele hinzugefügt worden, sodass nicht in jedem Jahre dieselben
schriftlichen Ausarbeitungen gemacht zu werden brauchen. — Was die Me-
thode betrifft, so ging der Verf. von dem theoretisch längst anerkannten,
aber praktisch noch immer nicht zur allgemeinen Geltung gekommenen
Grundsatze aus, dass in einer Lehranstalt, die nicht als Fachschule bloss
materielle Zwecke verfolgt, also wie im Gymnasium, so auch in der Real-
schule jeder Unterrichtsgegenstand , zunächst und vorzugsweise geistiges
Bildungsmittel sein solle. Hierdurch und besonders auch dadurch, dass die
Resultate der wissenschaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiete der Schule zu-
geführt werden, ist der praktischen Brauchbarkeit des Buches hoffentlich
kein Eintrag geschehen." (Vorrede).
Der Verfasser hat sich unseres Erachtens in dieser Hoffnung nicht ge-
täuscht. Es ist ihm gelungen, die allerdings schwierige Aufgabe, den An-
forderungen der Wissenschaft wie des Unterrichts gleichmässig gerecht zu
werden, in recht befriedigender Weise zu lösen. Die systematische Anordnung
und Vertheilung des syntaktischen Lehrstoffes tritt in ihrer consequenten
Durchführung überall klar und übersichtlich heraus. Sie hindert indess nicht,
wie das gar oft der Fall ist, dass diejenigen sprachlichen Erscheinungen,
welche für das fremde Idiom vorzugsweise characteristisch, dem der Heimat
aber mehr oder weniger fremd sind, und eben darum beim Unterricht eine
ganz besondere Berücksichtigung verdienen, mit dem erforderlichen Nach-
drucke hervorgehoben werden. Die allgemeinen Bestimmungen, Definitionen,
Erklärungen etc. hat der Verfasser sehr mit Recht auf ein angemessenes
Mass beschränkt, und zugleich durch einen einfachen, leicht verständlichen
Ausdruck der Fassungskraft der in Frage kommenden Altersstufe augepasst.
Auch ist er mit Erfolg bestrebt gewesen, die einzelnen Regeln in eine prä-
cise und bündige Form zu fassen, sodass sie unschwer verstanden, und mit
Hülfe der zahlreichen und meist passend ausgewählten Uebungsbeispiele
mit Sicherheit eingeübt werden können. Uebrigens ist die Gliederung, welche
Herr W. dem Stoffe mit steter Rücksicht auf seinen doppelten Zweck ge-
geben hat, in ihren Grundzügen diese:
Erste Abtheilung. A. Der einfache Satz. — Erstes Kapitel: Das
Subject. — I. als Substantiv, IL als substant. Adjectiv, III. als substant.
Verb, IV. als subst. Partikel, V. als Pronomen (l.,als persönl. Pronomen:
pron. pers. conjoint u. absolu, il in unpersönl. Sätzen, il als grammat. Sub-
jekt mit nachfolgendem logischen Subj., das Pron. als pleonast. Subjekt, die
Frageform, Wiederholung des Pron. als Subjekt — 2. als demonstrat. Pro-
nomen: ce substant. gebraucht, Unterschied von ce und il, ce als pleonast.
Subjekt. — 3. als relat. Pron., 4. als interrogat. Pron., 6. unbestimmtes Pron.
als Subjekt. — Zweites Capitel. Das Prädikat (S. 15. — 33). I. als ein-
faches Verb, IL als abstractes Verb mit einer prädikativen Ergänzung (als
solche treten auf: Adjectiv, Substant., Infinitiv, Pronomen, Numerale, Adverb),
III. Die Formen des Zeitworts als Prädikat (1. die Zeit-, 2. die Modal-
formen). — Drittes Kapitel: Die adverbialen Satzbestimmungen ( — S. 77).
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 101
1. Die Kasus (der Genitiv wird z. B. a. als Orts- und Zeitbestimmung, b. in
seinem Gebrauche für die Präposit. von und aus, als instrumentaler Genit., als
Bezeichnung von Grund und Ursache, c. als partitiver Genitiv betrachtet;
Die Casus der persönlichen Pronomina werden für sich behandelt). — IL
Die Präpositionen. — III. Die Participialien (1. Der Infinitiv ohne und mit
Präpos. — 2. das Particip in einfacher (aetiver und passiver) und zusammen-
gesetzter Form. — IV. Das Adverb (Orts-, Zeit-, Modaladverb), Stellung der
Adv., Adv. mit adject. Form, Praepos. als Adverb, Adverb. Ausdrücke), Satz-
adv, (die Negation). — Viertes Capitel: die attributiven Satzbestimmungen
(— S. 93). I. Der Artikel, II. die attribut. Zahlwörter, III. die attribut.
Fürwörter, IV. das attrib Adjectiv, (Congruenz, Comparation, Stellung der
Aiij.), V. das attrib. Substantiv, (Genitiv, Dativ, Substant. mit Präposit),
VI. und VII. das attrib. Adverb, u. der attr. Infinitiv, VIII. die Apposition.
— B. der zusammengezogene Satz, C. der zusammengesetzte Satz ( — • S. 98).
— Angehängt sind grössere, zusammenhängende Uebungsstücke S. 11G. —
Zweite Abtheilung: Das Satzgefüge. A. das einfache Satzg. (S. 117
— 90) — Allgemeine Vorbemerkungen (Arten der Nebensätze, Verbindung
von Haupt- und Nebensatz, Gebrauch der Modal- und Zeitformen). — Erstes
Kapitel: der Nebensatz als Subjekt — S. 124, (der concrete und der ab-
stracte Nebens. als Subj., der Modus im subj. Nebens., die Verneinung, der
abgekürzte Nebens. als Subj.) — 2. Kap.: der Nebens. als prädicative Er-
gänzung — S. 12 5. — 3. Kap.: der Nebens. als adverbiale Satzbestimmung
— S. 177. I. Der Kasussatz (als Accus.-. Genitiv-, Dativsatz, Modus und Ne-
gation in diesen Sätzen, ihre verkürzte Form), IL der präposition. Nebens.
(in seiner ausgebildeten und verkürzten Form); III. Der Participial- Neben-
satz (Infinitiv und Particip als verkürzter Nebensatz); IV. der adverbiale
Nebens. (als Orts-, Zeitbestimmung, als eausale Satzbest.) — der Grundsatz
(eigentlicher Causal-,Conditional-, Concessivsatz) und der Folges. (Consecutiv-,
Finalsatz), als Bestimmung der Art und Weise (qualitativ und quantitativ
vergleichender Modalsatz). — 4. Kap. Der Nebensatz als attribut. Satzbest.
— S. 187. I. der adjectivische Attributivsatz (auf ein Subst. des Hauptsatzes,
auf den ganzen Hauptsatz bezogen, Verhältniss zum Haupts.), IL der sub-
stantivische Attributivsatz. — B. das mehrfach zusammengesetzte Satzgefüge
( — S. 203). Ein oder mehrere Nebens. auf einen Hauptsatz bezogen, Nebens.
einander untergeordnet. — Es folgen üebungen über den Gebrauch der
Modi und der Adverbien der Verneinung, und von S. 203-301 allgemeine
Hebungen (historische und Naturschilderungen, Briefe). g
Die 13. Auflage des
Lehrbuch der Französischen Sprache. Zweiter Cursus , oder
Schulgrammatik von Dr. Carl Plötz,
ist erschienen mit einigen Aenderungen, welche ohne Zweifel Verbes-
serungen zu nennen sind und welche daher die Brauchbarkeit dieses weitver-
breiteten Schulbuchs noch erhöhen werden. Zunächst ist die systematische
Grammatik, welche früher mehr als Anhang figurirte, diesmal an die Spitze
des Buches und vor den methodischen Theil getreten, eine an sich un-
wesentliche Aenderung, die aber Manchem lieb sein dürfte, welcher die
erstere zur Grundlage seines Unterrichts macht. Die Vortheile dieser Neben-
einanderstellung beider Methoden sind augenfällig. Der nach dem methodischen
Theil unterrichtete Schüler hat zugleich die systematische Uebersicht der
grammatischen Elemente, die er allmälig in sich aufgenommen, und so wird
diese Einrichtung z. B. bei Repetitionen gute Dienste thun. Wer andererseits
nach dem systematischen Schema lernt, hat gleich daneben eine vortreffliche
102 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Sammlung von Uebungsbeispielen, welche der Lehrer in allen Fällen, wo es
ihm gut scheint, benutzen kann. Es macht keinen Einwurf, dass jene Uebungs-
stücke für eine andere Methode bestimmt sind und dass daraus Schwierig-
keiten, besonders wegen des dort vorausgesetzten Wortschatzes für einen
Schüler erwachsen, welcher jene Vokabeln nicht gelernt. Theils verschlägt
es nichts, wenn der Lehrer ihm diejenigen sagt, welche er anderweitig nicht
finden kann, theils sind vom Verfasser, aus wohlerwogenen Gründen, schon
dagewesene Vokabeln und Redensarten wiederholt in das vocabulaire auf-
genommen worden.
Der methodische Theil, welcher offenbar das eigenthümliche Verdienst
dieses Buches ausmacht, hat vielfache Zusätze bekommen. Man vermisste
früher z. B. in Lektion 50, welche sämmtliehe Regeln über que mit dem
Subjonctif enthielt, die nöthige Fülle von Uebungsbeispielen. Diesem Mangel
ist in der genügendsten Weise abgeholfen: der Verfasser hat hier nicht
weniger als vier französische und acht deutsche Stücke hinzugefügt, nämlich
hinter jedem der vier Verbklassen, welche den Subjonctif regieren, stehn
immer gleich die entsprechenden Aufgaben, und am Schluss rinden wir als
zusammenfassende Uebung die bereits vorhandenen Exercitien. Es ist ferner
eine ganz neue Lektion (Lektion 76. a.) von der Konkordanz des Verb's mit
dem Subjekt hinzugekommen, während in den früheren Aufgaben die be-
züglichen Regeln sich hier und da zerstreut fanden. Natürlich ist dieser
besondere §. auch dem systematischen Theil einverleibt worden. Auch im
Einzelnen sind noch manche Abänderungen theils des Ausdrucks theils der
ganzen Fassung der Regel, welche dadurch mehr Klarheit und Präeision er-
hält. Dabei hat der Verfasser darauf Bedacht genommen, den Gebrauch der
älteren Ausgaben neben dieser leicht und bequem zu machen. Inhalt und
Zahl der Lektionen sind durchaus dieselben, natürlich mit Ausnahme des
oben erwähnten neu Hinzugefügten, dergestalt dass die Orientirung durch-
aus keine Schwierigkeiten macht. Es ist zu erwarten und zum Gedeihen
des französischen Unterrichts auf unseren Schulen zu wünschen, dass dieses
Lehrbuch in seiner jetzigen Gestalt immer mehr Freunde und eine immer
weitere Ausbreitung finden möge.
Dessau. O. Weiss.
Programmenschau.
Le Phorrnion de Terence et les fourberies de Scapin de Moliere
par C. H. Humbert, Dr. Programm der Realschule zu
Elberfeld. 1859.
Der Verfasser, der schon im XXHI. Bande des Archivs in zwei Ab-
handlungen: I. „Das Urtheil des Herrn von Schack über Moliere's femmes
savantes," und II. „Moliere und der conventioneile Standpunkt seiner Zeit,"
als Vertheidiger des französischen Dichters gegen die geringschätzenden Ur-
theile Schlegels und Anderer aufgetreten ist, macht es sich in diesem Auf-
satze zur Aufgabe, durch Vergleich der französischen Posse mit der latei-
nischen Komödie, aus der sie, ihrer Handlung und ihren Hauptcharakteren
nach, entsprungen ist, zu zeigen, dass Moliere nicht nur nicht in verschlech-
ternder, verflachender Weise sein Vorbild französirt, sondern es sogar durch
Beseitigung des unnützen und unsittlichen Beigefüges (Davus, Nausistrata),
dann durch Einführung edlerer Motive dem sittlichen Standpunkte seiner
Zeit angemessen umgearbeitet habe. Dem Vorwurf, dass diese Posse kaum
noch den Standpunkt der Posse behaupte, begegnet er durch den Hinweis
auf das Theaterpublikum damaliger Zeit, das bis dahin nur die Posse rohester
und gemeinster Art gekannt hatte, und das Moliere, der Schöpfer der fran-
zösischen Komödie, deshalb erst heranbilden musste.
Nach kurzer Anführung der Urtheile Boileau's, Voltaire's und Laharpe's,
von denen der erstere in seinem absprechenden Urtheile über diese Posse
noch von Schlegel übertroffen wird, giebt der Verfasser eine gedrängte
Inhaltsangabe des lateinischen und des französischen Stückes. In dem dar-
auf folgenden Hauptabschnitte der Arbeit knüpft der Verfasser an die ein-
zelnen Theile der Schlegelschen Kritik an, indem er die entsprechenden
Charaktere mit einander vergleicht. Bei diesem Vergleiche bemüht sich der
Verfasser, wie er sagt, zu zeigen, dass Moliere bei seiner Nachbildung des
Phormio nicht ungeschickt, sinnlos und wenig gewissenhaft copirt, sondern
frei nachgeahmt hat, und dass die Charaktere seiner Posse weit aehtungs-
werther, weil sittlicher, sind als die der Terenzischen Komödie; dass die
ganz sinnliche Liebe der Alten in eine makellose, gegenseitige, christliche
umgewandelt ist; dass Phormio, der die beiden jungen Leute in ihrer Lieder-
lichkeit aus reinem Eigennutz unterstützt, weit weniger zu rechtfertigen ist
als Scapin, der Alles, was er thut, ohne persönliches Interesse allein aus
Theilnahme für das Geschick der beiden Liebespaare thut; dass der Charakter
des Vaters Chremes - Gehonte bei Moliere weit weniger verächtlich als bei
Terenz dargestellt ist; dass die Rolle der Nausistrata als einer schaamlosen
Mutter und unwürdigen Frau, wie es sich geziemte, von Moliöre ganz be-
seitigt worden ist, ebenso wie die überflüssige, nichts komisches bietende
Rolle des Davus.
104 Programmenschau.
Es scheint dann (nach p. 5) noch ferner in der Absicht des Verfassers
felegen zu haben, ebenfalls im Anschluss an die Schlegelsche Kritik, über
ie Anbige des Stückes im Allgemeinen bei beiden Dichtern zu sprechen,
um besonders auf den Vorwurf Schlegels zu antworten, dass Moliere die In-
tripue des lateinischen Stückes nachlässig behandelt und zu ihrem Nacht heil
anders gestaltet habe. Aus Mangel an Raum ist dies nicht geschehen.
Essai sur les principales analogies des langues fraixjaise et an-
glaise. II. Partie, vom Dr. Maass. Programm des Gym-
nasiums zu Neu -Brandenburg. Michaelis 1859.
Der erste Theil dieser Abhandlung erschien in dem Programme derselben
Schule vom Jahre 1858. Es war darin die vergleichende Syntax der beiden
Sprachen in vier Kapiteln bis zum Fürwort geführt worden. Der vorliegende
'Abschnitt beginnt mit dem wichtigsten Kapitel, dem über das Verb, und
daran reiht sich endlich noch ein Kapitel über die Präpositionen. Der ur-
sprünglich angedeutete Plan des Verfassers, auch die Etymologie und die Phra-
seologie in seine vergleichende Betrachtung mit hereinzuziehen, kommt wegen
Mangel an Zeit noch nicht zur Ausführung. Dafür wird der Leser am
Schlüsse durch einige comparative Bemerkungen über zwei französische Ueber-
setzungen der Schillerschen Glocke entschädigt.
Was zunächst (Jen Haupttheil des Programms, und darin wiederum das
Kapitel über das Verb betrifft, so ist die Reichhaltigkeit und Gediegenheit
der Bemerkungen eine sehr schätzenswerthe ; aber man vermisst eine gewisse
Vollständigkeit oder vielmehr ein bestimmtes System, nach welchem zu
Werke gegangen wäre. So wird z. B. im Eingange gesagt, dass es in der
Syntax des Verbs besonders auf den Gebrauch der tempora und modi an-
kommt; da aber erstere sehr verschiedenartig in beiden Sprachen gebraucht
würden, so hätte man (der Verfasser) nur von den modis, und zwar vom
Indicativ und Conjunctiv zu sprechen. Ja, ist denn aber der Vergleich nur
dazu da, die Aehnlichkeiten aufzusuchen? oder kommt es nicht auch in
gleichem Masse darauf an, die Verschiedenheiten hervortreten zu lassen?
Und nun besonders auf sprachlichem Gebiete und in Bezug auf Lernende
kommt es doch, so will mir scheinen, am meisten darauf an, zu zeigen, wo
die verschiedenen Sprachen nicht denselben Weg gehen in der Darstellung
des Gedankens.
Beim Indikativ wird nur eine Bemerkung gemacht und zwar eine sehr
wichtige, die ich bisher in Lehrbüchern gar nicht, oder nur sehr wenig be-
tont gefunden habe, nämlich über die Verschiedenheit, die zwischen der
deutschen (lateinischen) Sprache einerseits, der englischen und französischen
andrerseits in Bezug auf die indirekte Rede besteht.
In dem Paragraphen, der den Infinitiv behandelt, findet sich folgende
Bemerkung: Un ordre est exprime d'une maniere plus obligeante par un
infinitif pre"cede du verbe avoir. Gegen die Richtigkeit des Satzes lässt sich
nichts sagen, doch passt das aus Regnard angeführte Beispiel schwerlich dazu:
Et tu crois qu'en effet
Je n'ai, pour en avoir, qu'ä donner mon billet?
Dass die englische und französische Sprache durch den häufigeren Ge-
brauch der Participien oft eine grössere Kürze vor der deutschen voraus-
haben, ist sehr richtig ; sehr oft aber auch erreichen wir dieselbe Kürze, nur
auf anderem Wege, indem wir nämlich Substantiva da anwenden, wo jene
die Participia gebrauchen, und nur diese gebrauchen können, wenn sie nicht
ebenfalls im Ausdruck breit werden wollen. In dem von dem Verfasser an-
geführten Satze: „Die Jonier verursachten jene denkwürdige Nebenbuhler-
Programniens chau. 105
schaft, welche, nachdem sie zwei Jahrhunderte gedauert hatte,
mit der Zerstörung des persischen Reiches endete." könnte man doch gewiss
ebenso gut sagen: „nach einer Dauer von 200 Jahren," oder „nach zwei-
hundertjähriger Dauer," wodurch die Kürze des französischen und englischen
Participialsatzes doch gewiss aufgewogen wird.
Unter den Bemerkungen über das Particip findet sich auch gelegentlich
eine Hinweisung auf den absoluten Nominativ, wie er z. B. in folgendem
Beispiele erscheint: L'homme taciturne et muet e*leve une fois la voix:
l'explosion faite, il retombe dans son etat naturel, le silence. In einer
Anmerkung zu einem andern ähnlichen Beispiel wird dann hinzugefügt, dass
etant in dem participe passif, welches damit gebildet wird, häufig wegfällt,
wie in folgendem Beispiel: Les langues, nees avec les societes, n'ont sans
doute d'abord ete qu'une collection assez bizarre de signes de toute espece,
wo es also nach der Meinung des Verfassers eigentlich heissen müsste: les
langues, etant jiees avec les societes etc. Meiner Meinung nach ist aber
etant ndes nur in folgender Construktion möglich: les langues etant nees
avec les societes, il faut les considerer etc. d. h. nur wenn les langues
grammatisches Subjekt des Participialsatzes wird, und der Hauptsatz sein
eigenes Subjikt hat, kann und muss diese zusammengesetzte Form des par-
ticipe passif angewendet werden : Ausnahme von dieser Kegel macht eben nur
der absolute Nominativ, in welchem allerdings Subjekt und Prädikat ohne
Kopula nebeneinander gestellt werden. Die Bedeutung des Particips an und
für sich bleibt allerdings dieselbe, ne heisst nichts anders als etant ne; um
so mehr fällt es aber auf, dass bei Angabe der Formen des Particips zwei
aktive: donnant, ayant donne, und zwei passive: etant donne, ayant ete
donne aufgeführt werden, und dass von der ursprünglich allein passiven:
donne gar nicht die Rede ist.
Ausser dem Gerundium wird dann noch die Stellung, die verschiedenen
Klassen und das Regime der Verben in Betracht gezogen. In dem letzten
Kapitel „über die Präpositionen" werden nur die vorzüglichsten nach alpha-
betischer Reihenfolge angeführt, und ihre verschiedenen Bedeutungen in
beiden Sprachen mit zahlreichen Beispielen belegt.
Mit besonderem Danke ist bei dieser Arbeit überhaupt anzuerkennen,
dass zu allen Bemerkungen eine grosse Anzahl von Belegen, und zwar nur
aus anerkannt guten Autoren gegeben wird. Zum Schluss seieD daher nur
noch einige fehlerhafte. Ausdrücke hervorgehoben, die sich in Beispielen be-
finden, die der Verfasser selbst bilden musste. Abuser quelqu'un heisst nicht,
wie auf p. 17 gesagt wird, schmähen, sondern täuschen (durch Missbrauch).
Ferner würde man nicht sagen: Pendant que nous etions a la table, ma
tante arrivait, sondern: pendant que nous e"tions a table ma tante arriva.
Endlich heisst es auch nicht: Ma tante croit en spectres et en mauvais
pr^sages, sondern : ma tante croit aux spectres et aux mauvais presages.
An diese Arbeit reiben sich ferner, wie schon oben angedeutet worden
ist, noch an:
Remarques grammaticales et litteraires sur deux traduetions de
la cloche de Schiller, von demselben Verfasser.
Sie beziehen sich auf die Uebersetzungen besagten Gedichtes von E.
Deschamps und Poyrelle. Emile Deschamps gehört mit seinem Bruder An-
toni der romantischen Schule an, und war einer der Begründer der „Muse
francaise," des literarischen Organs jener Schule. Beide haben spanische
und italienische Dichter bearbeitet, und dabei viel Ruhm geerndtet, wenigstens
bei ihren Anhängern. Povrclle's Name ist meines Wissens in der französischen
106 Programinenschau.
Literatur ganz unbekannt; er war docteur en droit und Advokat am Pariser
Apcllhofe, und lebt jetzt in Rostock als professeur de langue.
Von beiden Arbeiten werden nur einzelne Proben, Uebersetzungen der-
selben Stelle, gegeben. Deschamps, dessen Gedieht wohl allgemeiner bekannt
ist, hat sich durchweg des Alexandriners bedient, und dass mit diesem mo-
notonen Verse der Schwung des Schillerschen Gedichtes kaum angedeutet
werden kann, versteht sich wohl von selbst ; obgleich nicht zu verkennen ist,
dass der poetische Ausdruck im Einzelnen den deutschen oft erreicht. Poy-
relle hat sich bemüht, die Abwechselung in der Bewegung durch das Metrum
wiederzugeben, d. h. er hat Alexandriner mit anderen, kürzeren Versen ab-
wechseln lassen, er bedient sich sogar einmal eines dreizehnsylbigen, hyper-
katalektischen Alexandriners; hier ist er:
De celle qui l'a charme; heureux si sa demarche.
Aber es wird doch wenig dadurch erreicht, und wir können dem Verfasser
des Aufsatzes durchaus nicht beistimmen, wenn er sagt: Poyrelle est en
ge'neral plus fi Icle a l'allemand, et par consequent plus poetique. Sehr oft
sogar wird er gerade durch zu grosse fidelite recht abgeschmackt und höl-
zern. So z. ß. übersetzt er: „Vom Mädchen reisst sich stolz der Knabe."
L'adolescent plein d'arrogance
de la fillette fuit le regard.
und „durchmisst die Welt am Wanderstabe"
et de sa canne legere
D'un pas de"termine il mesure la terre.
Wieweit diese Treue gegenüber dem Originale führen kann, mögen noch
folgende Verse zeigen:
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
Du fruit de son amour les tetes innocentes
Sont lä pour le guider et sont toutes presentes.
Dass auch in dieser Uebersetzung einzelne Stellen gut wiedergegeben sind,
ist allerdings nicht zu verkennen, das hindert aber doch nicht, dass die ganze
Uebersetzung nur ein sehr schwacher Versuch ist, selbst vom rein-fran-
zösischen Standpunkte aus angesehen.
Für die Leser dieser Zeitschrift möge schliesslich noch gesagt sein, dass
der Verfasser der Bemerkungen, die in dem vorliegenden Programm nur bis
zu der zuletzt oben angeführten Stelle gehen, dieselben im Archiv fort-
setzen wird. Crouze.
Miscellen.
Fragments d'un Traite de vcrsification francaise.
Chap. I. Introduction.
§. 1. Poesie.
Ce qui approche de son ideal, ce qui, par sa forme, represente une
idee et ainsi, en quelque sorte, l'idee absolue, est beau. La beaute" existe:
1. dans la nature, 2. dans l'imagination de l'homme, 3. dans les productions
des artistes. Une partie des artistes travaillent en un materiel sensible a
l'oeil : les arehitectes , les sculpteurs , les peintres. Un autre art travaille
pour l'oreille: c'est la musique. La poesie est l'art le plus parfait, Le poete
s'adresse immddiatement ä l'imagination de l'auditeur; il commande toutes
les formes que Tarchitecte , le sculpteur, le peintre se partagent: voilä le
caractere plastique de la poesie. En donnant une forme rhythmique ä son
langage, il se sert aussi des moyens ä l'aide desquels la musique saisit
l'homme: voilä le caractere musical de la poesie. Tout mouvement continu,
soit celui des pieds en marchant, soit celui de la voix en parlant ou en chan-
tant, tend a la periodicite. Les elements du mouvement oral sont les in-
stants, les coups detachds de la voix. Si, dans des intervalles egaux, un coup
est toujours donne plus fort qu'un autre, dans la succession continue des in-
stants (syllabes) on etablit des moments, des groupes (pieds). Les coups
forts sont les syllabes longues dans les langues anciennes, les syllabes ac-
centuees dans les langues modernes.
§. 2. Rhythme des vers francais.
En posant pour principe que les vers francais, de meme que ceux des
autres peuples, ont un rhythme, c-ä-d. qu'ils sontcomposes d'une suite reglee
d'instants marques par la voix, nous nous inscrivons en faux contre la plu-
part des theoriciens qui pretendent que les vers francais ne se distinguent
de la prose que par un nombre limite" et regulier de syllabes, par 1'eVitation
de l'hiatus et de l'enjambement, par l'observation de la cdsure et de la rime.
Mais il y a une infinite de vers francais qui, tout en satisfaisant ä ces exi-
gences-lä, ne sont rien moins que beaux. Les critiques en ont releve" la dis-
cordance, sans rendre raison de ce qui leur manque. II y a d'autres vers
qui charment l'oreille ; la critique en a exalte la beaute. II faut donc que le
plaisir qu'on prend ä les lire, soit produit par autre chose que par l'observation
des regles eitles pre"c£demment. Disons la chose succinetement: la, le dd-
plaisir est cause par l'accumulation des temps forts ou des temps faibles;
lei, le charme provient de la relation proportionneue , de la succession har-
monieuse des syllabes accentuöes et des syllabes inaccentuees. Toutefois, le
rhythme n'etant pas aussi fortement marqud que dans les langues anciennes
ou dans la langue allemande ou il se rend sensible par une suite determinee
d'eldvations et d'abaissements de la voix, le dix-huitieme siecle s'dcoula avant
qu'on decouvrit le principe du rhythme des vers francais.
108 Mi so eilen.
Litauen Scoppa') fut le premier qui demonträt que la langue francaise
n'est pas depourvue de rhythme poetique; qu'il est iinpossiblc d'adnnttie au-
cune harmonie sans rhythme, ni aucim rhythme sans accent; que la sixieme
et la douzieme syllabe de l'alexandrin sont necessairement des syllahes ac
centuees.
Sans connaitre le livre de Scoppa, Quicherat, qui, par la remarque cent
fois faite qu'un Couplet d'un certain metre convenait tres-bien a un air, et
qu'nn autre couplet, ayant pre'cisement le merae nombre de syllabes, ne s'y
adaptait plus, avait reconnu que la mobilite de eertains accents exiges dans
les vers francais deplacait les temps forts, ecrivit, en IS-jC, son Traite de
Versii'ication latine, dans lequel il soutient que le vers alexandrin doit
avoir un nombre fixe d'accents, que tous les poetes pratiquent eette regle a
leur insu, que toutes les fois que la eritique releve quelque durete dans la
cadenee, le poete a viole cette regle. Dans son Traite de Versification
francaise (Paris, 1850), il applique cette theorie a tous les vers, et nous
dit combien d'accents chaque espece de vers doit avoir; mais il a oublie de
fixer la theorie de l'accent.
Teile est la täche dont s'est charge Faul Ackermann.2) Ce savant re-
monte a l'origine de l'accent francais: il distingue l'accent tonique et l'ac-
cent d'appui: il donne des regles generales sur les mots qu'il faut accentuer:
il decouvre non seulement des accents, mais encore des pieds dans les vers
francais.
H. Barbieux,3) apres avoir resume les idees confuses des grammairiens
les plus accreMites sur la prosodie et l'accent, dit „qu'ä en croire tous ces
jugements bien dignes de foi, force est de conclure que la langue francaise,
envisagee du point de vue de la prosodie, n'est encore aujord'hui qu'un idi-
öme denue de tout principe musical, et que les vers francais ne se compo-
sent que de mots cousus les uns aux autres sans ordre metrique ni egard ä
aucun rhythme organise decoulant d'un princi{)e fondamental." L'auteur essaye
d'expliquer ce phenomene. Dans les plus anciens monuments de la langue
du Nord, les terminaisons latines ne sont plus guere reconnaissables et rem-
placees, pour la plupart, par l'e muet. Les auxiliaires, les prepositions de
et ä, l'article y paraissent deja. Cet amas de mots tronques dut rendre im-
praticable tout arrangement harmonique des mots. De meine que la quan-
tite dans les dialectes du midi, l'accent qui predomine dans les langues
germaniques, se perdit ou s'affaiblit dans le Francais du Nord, les Francais
se bornerent ä la -culture du principe logique qui i*epresentait bien mieux
que tout autre le caractere national dont il etait le reflet. Pendant les cinq
siecles qui precedent le regne de Louis XI, la langue n'avait encore rien de
fixe. Sous Francois I paraissent les premieres grammaires francaises. Les
Grammairiens en adoptant les trois accents des Grecs prirent le signe pour
reffet. Apres avoir dit quelques mots sur Scoppa et Quicherat, l'auteur
passe au Traite de M. Ackermann dont il transcrit les passages les plus re-
marquables en resumant tellement: „De nos jours, faire revenir la nation au
Systeme quantitaire, serait peine inutile: il est trop tard; pour celui de
l'accent, il est encore trop tot; mais quand les grammairiens s'eman-
ciperont, quand, au lieu de vouloir marcher sur les traces d'Horace, ils sai-
siront le fil conducteur du genie national, le Systeme trace par M. Ackermannj
J) Traite de la Poesie italienne rapportee a la poesie francaise, etc.,
par Antonio Scoppa. (Paris, 1803). Beautes poetiques de toutes les langues,
par le meme. (Paris, 1815.)
2) Traite de l'Accent appliqu^ ä la theorie de la versification. (Paris et
Berlin, 1843.)
3) Du Principe rhythmique de la Langue francaise. Programme du Col-
lege de Hadamar, 1853.
Miscellen. 109
j)eut-etre modifie" par ses successeurs , sera, de notre avis, le seul qu'on
puisse espeYer faire adopter par un peuple qui a la conscience de sa natio-
nale.
§. 3. Division.
Comme, selon nous, les vers francais ne sont point depourvus de rhythme,
la division de notre traite ne pourra pas etre la division ordinaire des traite's
de versilication, Ce qui tient la le premier rang, comme la rime, la cesure,
devra descendre au second. Nous allons donc traiter dans le premier Livre
du principe du langage poetique Du rhythme des vers francais. A.
Des Syllabes. Chap. II. De la Mesure des Syllabes. Chap. III. De leur Va-
leur. rhythmique. ß. Chap. IV. Des Pieds. C. Des Vers. Chap. V. Partie
generale, a) Chap. VI. De la Rime. (Un appendice va traiter des anciennes
Rimes, c'est-ä-dire genres de vers Chap. VII.) b) Des differentes espeees
de vers. 1. des Alexandrins. Chap. VIII. Accents fixes: Accent de la Ce-
sure. Chap. IX. Accent de la rime. Enjambement. Chap. X. Accents mo-
biles. Pieds. Chap. XI. Emploi. 2. Chap. XII. Des Vers de onze syllabes.
3. Chap. XIII. Des Vers de dix syllabes. Accents fixes. Cesure. Enjambe-
ment. Accents mobiles. Emploi. 4. Chap. XIV. Des Vers de neuf syllabes —
9. Chap. XIX. Des Vers de quatre syllabes. 10. Chap. XX. Des Vers de
trois syllabes, de deux syllabes, d'une syllabe. (Un appendice va traiter des
Vers mesures, c'est-a-dire, adaptes au Systeme quantitaire des Grecs et des
Romains ou au Systeme de l'accent des Allemands et des Anglais. Chap. XXI.)
D. Des Srances. Chap. XXII. Partie, generale. Chap. XXIII. Des Tercets.
Chap. XXIV. Des Q.uatrains. Chap. XXV. Des Quintiis. Chap. XXVI.
Des Sixains. Chap. XXVII. Des Septains. Chap. XXVIII. Des Huitains.
Chap. XXIX. Des Nonains. Chap. XXX. Des Dizains. Chap. XXXI. Des
Onzains. Chap. XXXII. Des Douzains. Chap. XXXIII. Du Melange des
stances. Chap. XXXIV. De l'Emploi des differentes stances.
Le second Livre va traiter de l'Harmonie. La loi de la beaute de-
mande que tout ce qui off'ense l'oreille soit banni du vers. Donc, apres le
rhythme, dont l'observation constitue, pour ainsi dire, la partie positive du
vers, il sera necessaire de traiter les cacophonies, dont l'evitation en con-
stitue la partie negative. Les Francais taxent de cacophonie surtout l'Hia-
tus Chap. XXXV. Le XXXVIe chap. va discuter l'Elision, reniede contre
l'hiatus, le XXXVIIe chap. sera destine aux autres cacophonies.
Le troisieme Livre va traiter l'Harmonie imitative ou les cas dans
lesquels, pour produire un effet determine, le poete est autorise ä violer
les lois du rhythme et de l'harmonie.
La gene qu'il faut que les poetes se donnent pour observer toutes ces
regles, leur a fait demander et obtenir certaines libertes, anomalies du lan-
gage ordinaire qu'on appelle Licences poetique s. Chap. XXXIX. Des
Licences en general. Chap. XL. Des Licences d'orthographe. Chap. XLI.
Des Licences de phraseologie. Chap. XLII. Des Licences de grammaire.
Chap. XLIII. Des Licences de construction. Chap. XLIV. Des Licences du
style marotique.
Appendice: Chap. XLV. De la Lecture des vers.
§. 4. Diflerence des vers grecs et latins, allemands, francais.
Le vers des anciens Grecs et Romains montre une suite determinee de
syllabes longues et de syllabes breves. L'accent grammatical n'y est point
respecte, pour la plupart l'accent metrique et l'accent grammatical ne coin-
cident pas. Dans les vers allemands, les syllabes longues et les syllabes
breves sont remplacees par les syllabes accentuees et les syllabes inaccen-
tuees: il faut que l'accent du vers coincide avec l'accent tonique. En fran-
cais, la quantite des syllabes est bien faible et indifferente pour la formation
du vers (excepte larime). Mime l'accent tonique y est beaucoup moins sen-
110 Miscellen.
sible qu'en allemand ou en anglais. Les vers n'exigent pas un ordre fixe,
mais seulement une relation proportionnelle et une succession harmonieuse
de syllabes accentuees et de syllabes inaccentuees. 5) II y a quelque chose
de commun & la versification des Francais et ä celle des anciens: c'est l'eli-
sion pour eviter l'hiatus dont l'oreille allemande ne se soucie guere. La rime,
au contraire, presque un defaut dans la metrique des Grecs et des Romains,
est une partie indispensable des vers allemands et francais. Les Allemands,
il est vrai, peuvent s'en passer quelquefois: cela se voit principalement dans
l'imitation des metres anciens et dans le vers iambique de la tragedie. Mais,
ä l'dxception de quelques tentatives malbeureuses de poetes du XVIe siecle
pres, les Francais riment toujours. La cdsure est commune aux podsies an-
ciennes et ä la poesie allemande: ce qu'on appelle cdsure en francais, ce
n'est pas une to(irh caesura proprement dite, mais une öiaigeots.
§. 5. Apercu de l'histoire.
Quoique dans cliaque chapitre, nous allions exposer non seulement le
Systeme d'aujourd'hui, mais toutes les formes antdrieures dont la connaissance
est necessaire pour expliquer le Systeme moderne: il ne sera pas inutile de
jeter prealablement un coup d'oeil rapide sur les differentes phases de la
versification francaise. La quantite" des syllabes se pertlit vite dans les lan-
gues romanes. Au lieu de peser les syllabes on ne fit plus que les compter,
et la qnantite perdue fut remplacee par la rime, dont nous trouvons deja
quelques exemples chez les Grecs et les Romains, l'emploi prdinedite dans
la poesie arabe et dans la poesie latine du quatrieme siecle (hymne rimde
de St. Ambroise), et qui a toujours regne dans les vers francais. Mais , en
y rencontrant des le commencement le principe de compter les syllabes, la
rime, la formation des stances, nous n'y rencontrons pas tout d'abord l'evi-
tation de l'hiatus, l'observation de la regle sur la succession des rimes.
Comme la langue n'avait encore rien de fixe, les anciens poetes disposaient
assez arbitrairement des mots et se permettaient de leur donner les formes
les plus bizarres pour les faire rimer ensemble. Tel est le caractere de la
versification dans les restes de la langue romane, formee du latin, du franc,
du gaulois et qu'on parlait dans le premier millenaire de l'ere chretienne;
tel en est le caractere dans les premiers siecles de la literature francaise.
Tout le monde sait qu'en France deux dialectes tout-a-fait differents se
sont forme's: le roman provencal ou langue d'oc, le roman wallon ou langue
d'oil. Cette langue, souche du francais moderne, l'emporta peu-k-peu sur
la langue du midi. Ce ne fut qu'au seizieme siecle, epoque oü la langue
est fixde, que la versification ancienne se changea en versification moderne.
Tandisque l'ecole de Marot s'attache encore aux traditions anciennes; que
la muse de Ronsard, travaillant sur le modele de l'antiquite grecque et ro-
maine, insensible ä Tenjambement, s'efforce de donner de l'energie et de
l'elevation au langage poetique; que quelques poetes, etablissant un Systeme
de quantite assez arbitraire, fönt de soi-disant hexametres et pentametres:
Malherbe parait, le pere du Systeme moderne. La mesure des syllabes qui,
avec le temps, a subi de grands changements, est fixee; l'hiatus et l'en-
jambement sont bannis; la rime, traitde avec une trop grande sdveritd qui
n'atteint pas son but, ne doit pas seulement satisfaire l'oreille, mais encore
l'oeil; il se forme une espece de langage poetique, usant de quelques li-
cences qui sont interdites au prosateur. Ce Systeme fut suivi par les grands
5) Les Knittelverse (Schiller, Sermon du Capucin dans le Camp de
Walstein) et l'ancien Nibelungenvers en allemand offrent une certaine ana-
logie avec les vers francais: nombre fixe d'elevations, nombre incertain d'abais-
sements de la voix. En francais, la somme des arses et des theses est
deterniine'e, ainsi que le nombre des arses, mais la place en est variable.
Miscellen. 111
poetes du siecle de Louis XIV, mais on elargit un peu les regles me"ticu-
leuses sur la rime etablies par le fondateur. Le dix-huitieme siecle marcha
sur les traces du dix-septieme, en traitant la rime merae un peu noncha-
lamment. Le dix-neuvieme siecle engendra une nouvelle e"cole poetique,
l'ecole romantique. Elle affecte de se rapprocher de la nature, que les regles
de Boileau, strictement observees par les poetes classiques, avaient expulsäe
de la poesie. Les poetes romantiques ne fönt pas conscience d'employer des
expressions censees triviales et vulgaires; ils traitent la cesure plus l£gere-
ment: mais il faut avouer que la rime est plus soign^e chez eux qu'elle ne
l'avait e"te au siecle de Voltaire.*)
Chap. III. De la valeur rhythmique des syllabes.
§. 29. Accent tonique.
Pour le rhythme du vers, les syllabes se divisent en syllabes accentu^es
et en syllabes inaccentuees ou atoniques. ') II va sans dire que le mot ac-
cent ne signifie pas ici l'accent ecrit, c'est-adire une petite marque qui se
met sur une voyelle, soit pour faire connaitre la prononciation de cette
syllabe (sante, proces), soit pour distinguer le sens d'un mot d'avec celui
d:un autre qui s'ecrit de meme (a, a), soit pour indiquer la suppression
d'une lettre et la longueur de la voyelle (aage, äge; prierai, prirai;
teste, tete): mais la syllabe d'un mot sur laquelle on appuie-.
§. 30. Origine et place de l'accent tonique.
La quantite et l'accent, dans les langues de premiere formation, telles
que le Latin, l'Allemand, tendent au meme but, c'est-a-dire ä designer par
une marque distinctive les syllabes qui semblent avoir une plus grande im-
portance que les autres, ou qui contiennent la notion importante des mots,
en un mot de distinguer les syllabes radicales d'avec les syllabes de flexion
et de derivation.2) Mais dans les langues neolatines telles que l'Italien,
l'Espagnol, le Francais, toute evidence etymologique du mot fut effacee.
Chaque mot latin derive ou compose cessa d'etre une forme renfermant a
la fbis une notion generale et une notion subordonnde. Cbaque mot, en
bloc, fut en soi et isolement le representant d'une idee. La premiere pbase
de la langue accomplie, eile conimenca ä se faire une etymologie interne
par l'apposition et l'affixion. On put alors distinguer la racine et la parti-
cule francaises. Quant a la place de l'accent tonique, la langue francaise a
ordinairement garde l'accent des mots latins , en les raccourcissant de ma-
niere que les paroxytona perdirent une syllabe, les proparoxy tona
en perdirent deux (quinque-cinq; homines-hommes). 3) La plupart
des mots francais appuyant sur la derniere syllabe, la regle s'est etablie
que les mots francais appuient toujours sur la derniere syllabe, et sur l'a-
vant - derniere, quand la derniere est muette.4)
*) J'omets: §. 6. Ouvrages sur la versification francaise; §. 7. Catalogue
des poetes et ouvrages poetiques cite's dans mon Traite; Livre I. Du Rhythme
des vers francais. A Des Syllabes. Chap. IL De la Mesure des syllabes.
§.8 — §. 28. Ce chapitre precede le Programme du colle"ge moderne
(Realschule) de Bromberg, 1857. '
1) C'est ainsi que P. Ackermann, p. 30 et p. 39 nomme les syllabes qui ne
sont pas affectees de l'accent tonique. Le premier de ces mots ne se trouve
pas dans le Dictionnaire de l'Academie; le second y a une autre acception.
2) Bergmann, poemes tire"s de l'Edda. Paris, 1838, p. 109 — 110.
3) Mätzner, Grammaire, p. 49.
4) Regnier Desmarets , secretaire perpe"tuel de l'Academie, charge" par
eile de composer une grammaire, Grammaire francoise, 1706: „Notre Langue
112 Miscellen.
Teile est la seule theorie de l'accent tonique qui puisse etre appuye"e
sur l'histoire de la langue: eile est adoptde par la plupart des granimairiens
dont quelques-uns sont nientionnes ci-dessous. Dans la flexion et dans la
deVivation, l'influence de l'accent tonique reposant sur la derniere syllabe
se montre par l'affaiblissement de la syllabe radicale: meurs-mourons;
sais-savons; acquiers, acquerons: s eul-solitude; bien-benir;
ch aud- chaleur (Mätzner, französische Grammatik, p. 43 — 44). Cette
theorie est encore soutenue par la place de l'accent de la phrase, duquel
nous allons parier au §. suivant; eile est aussi confirmee par la place des ac-
cents fixes de l'alexandrin et du decasyllabe.
II y a deux accents toniques: l'accent tonique des finales masculines
(per du) est plus net, plus ramasse; celui des finales feminines (perdue) a
plus de Prolongation et de mollesse.
§.31. Accent de la phrase, accent oratoire, accent des dialectes.
L'accent tonique, il est vrai, est moins sensible en francais qu'en alle-
mand ou en anglais, consequence necessaire de l'affaiblissement de la quan-
tite. Les Fran9ais ont abaisse l'accent des mots detaches pour relever l'ac-
cent de la phrase, lequel se place toujours sur la derniere syllabe sonore
du dernier mot. Tout ce qui est etroitement lie par le sens, tout ce qui
se trouve, pour ainsi dire, entre deux virgules ou autres signes de ponctüa-
tion, se prononce comme un seul mot, tout d'une haieine, et l'accent tonique
du dernier mot est sensiblement eleve aux depens des autres accents toniques
de la phrase.
II faut encore distinguer l'accent tonique d'avec l'accent oratoire qui
sert a marquer les affections de l'äme. L'orateur peut relever, non seule-
ment tout un mot ou plusieurs mots mais une syllabe quelconque qui lui
semble contenir l'idee printipale: Oignez vilain, il vous poindra; poignez
vilain, il vous oindra. L'accent oratoire peut co'incider avec l'accent tonique
et le renforcer; il peut frapper des mots ordinairement inaccentues; il peut
paraitre a cöte de l'accent tonique.
L'accent tonique des dialectes francais se distingue, selon Mätzner, ou
par une elevation de l'accent ou par une inclination a appuyer sur la syl-
labe radicale,5) ou par une Prolongation ou un raccourcissement des syl-
labes. G)
n'a proprement d'accent que sur la derniere syllabe, dans les mots dont la
terminaison est masculine; et sur la penultieme, dans ceux dont la termi-
naison est feminine." Mablin: „On sait que tous les mots francais ont l'ac-
cent sur la derniere, ä l'exception des mots termines par un e muet qui
Tont sur la penultieme." Voltaire: „Nous appuyons toujours sur la derniere
syllabe." Quicherat, p. 12: „L'accent tonique existe dans toutes les lan-
gues: en francais, il se trouve toujours sur la derniere syllabe, etc." Acker-
mann, p. 14: „II (l'accent tonique) est toujours place sur la derniere syllabe
sonore." Borel, gramm. franc. §. 13.
5) Ackermann attribue l'accentuation de la syllabe radicale qu'il nomme
accent d'appui non seulement ä quelques dialectes, mais ä toute la lan-
gue , et la regarde comme un reste de l'element germanique a laquelle la
prddominance de l'element latin n'a pas permis de se developper en toute
liberte.
6) L'accent tonique etant si peu sensible en francais , il ne faut pas
s'^tonner qu'il y ait des grammairiens qui ont invente d'autres regles, comme
De Castres, Phonologie, p. 57 — 59. D'autres encore pretendent que la
prononciation francaise n'est point susceptible d'une accentuation reguliere
et que la valeur des sons n'y est pas sulfisamment caracterisee. D'Arnauld,
sur les Accents de la langue grecque, cite par Barbieux, dit: „II n'est
Miscellen. 113
§. 32. Mots naturellernent ou accentue's ou inaccentue"s.
Regles generales. 1° Tous les mots qui renferment une ide"e de sub-
stance, de qualite ou d'action, savoir le substantif, l'adjectif, le verbe, l'inter-
jection ont par eux-memes l'accent tonique et ne le perdent que par position.
2° Les petits mots de rapport et de determination, savoir larticle, le noni
numeral, le verbe auxiliaire, la preposition, la conjonction sont naturellement
prives de l'accent tonique et ne le recoivent que par position. 3° Les pro-
noms disjoints (personnels, possessifs, demonstratifs, interrogatifs, indefinis)
et le pronom relatif lequel ont l'accent tonique; les autres pronoms ne
l'ont pas. 4° Les adverbes ont, pour la plupart, l'accent, de meme que les
particules negatives (pas, point, rien, etc.) et les particules demonstra-
tives (9a, ci, lk). Quelques adverbes monosyllabes (si, plus, trop) qui
s'appuient sur le mot suivant et la particule negative ne ne l'ont pas.
point de langue qui n'ait ses accents plus ou moins ressentis ; il serait aussi
impossible de parier sur un ton de voix continuement le meme que de n'at-
tacher k toutes ces expressions que le meme sentiment ou la meme idee.
Mais, dans les langues modernes (?), et particulierement dans la nötre, ces
changements de voix ne different que par des nuances k peine sensibles ;
d'ailleurs ils ne sont affectes k aucune syllabe en particulier; rien enfin n'y
prescrit, dans les mots qui la composent, l'abaissement ou l'elevation d'une
syllabe plutöt que d'une autre." Lamennais, L'art d'ecrire (Herrig et Bur-
guy, la France litt., p. C57) ne semble reconnaitre que l'accent oratoire:
„De son inferiorite [il s'agit de la langue francaise] sous ce rapport [eile
n'a qu'une prosodie imparfaite et vague] resulte, il est vrai, une superiorite"
d'un autre genre, et dabord une clarte admirable (?), puis la facilite d'ex-
primer mille nuances fugitives et delicates, l'esprit placant a son gre l'ac-
cent sur les diff'erentes syllabes du meme mot, suivant ies modifications di-
verses de la pensee et du sentiment, que la voyelle muette aide encore k
rendre par l'effet harmonique qui lui est propre." Hamann (Leitfaden zur
Erlernung der französischen Aussprache. Zweites Heft. Potsdam, 1854)
donne deux regles sur la prononciation de la phrase francaise: „1. Man
spricht alle Wörter, welche in ihrer Folge einen ununterbrochenen Sinn bilden
sollen, wie ein Wort aus, sodass die letzte vokallaute Silbe den rhythmi-
schen Nachdruck und eine Tonsteigung erhält. 2. Man giebt dem Worte,
welches, ohne am Cäsurpunkte zu stehen , durch seine Bedeutung, nament-
lich durch den Gegensatz, einer Hervorhebung bedarf, die Hebung durch
Tonverstärkung und Tonerhöhung auf seiner letzten vokallauten Silbe ohne
Verweilung oder Pause. Indessen beim Ungestüm des Affekts wirft sich die
Hebung, gleichsam ungeduldig die letzte Silbe zu erwarten, auf eine frühere."
II n'y a donc, selon Hamann, que l'accent de la phrase et l'accent oratoire.
La place du dernier est ordinairement la derniere syllabe du mot.
Le fait meme que, pour beaucoup de the"oriciens, l'accent tonique, non
de quelques mots en particulier, mais de la langue en general, est le sujet
d'une contestation, doit nous avertir que, s'il y en a un, il doit etre faible.
En admettant donc bien volontiers que l'accent de la phrase a gagne" en
francais ce que l'accent tonique a perdu, nous repondons a ceux qui en nient
tout-k-fait l'existence, avec Ackermann p. 12: „L'accent est lie d'une ma-
niere si intime et si rationelle k l'organisme d'une langue que Tun ne peut
pas se concevoir sans l'autre," et avec Barbieux, p. 1: que ce serait un
phenomene inoüi dans les annales de la parole humaine que la langue eüt
perdu ce principe d'harmonie (la prosodie) inherent k tout idiörne cultive.
Le meme savant dit, p. 12, que ceux qui disent que toutes les syl-
labes sont dgales confondent la prolation vulgaire des enfants de Paris
avec la diction oratoire et poetique, fondde sur le principe vital commun k
toutes les langues romaines.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 8
114 Miscellen.
Exemples: Verbe, substantif, adjectif.
Abusant contre lui de ce profond silence. Rac. Ath. I, 2. (abusant,
profond, silence.)
Interjection.
Helas! de quel pe"ril je l'avais su tirer. Ibid. I, 2. (hdlas.)
L'interjection ö suivie d'un substantif peut perdre l'accent.
A leur reveil, (6 reveil plein d'horreur!) Ibid. II, 9.
Article, noms nume"raux.
(Quel spectacle d'horreur!) quatre - vingts fils de rois. Ibid. II, 7.
(quatre - vingts.)
Les inorts, apres huit ans, sortent-ils du tombeau? Ibid. I, 1. (le
huit, du.)
Ose des premiers temps nous retracer quelque o rubre. Ibid. I, 1.
(premiers.)
Conjonctions.
Voici, comme ce Dieu vous repond par ma bouche. Ibid. I, 1.
(comrae.)
II sait, quand il lui plait, faire eclater sa gloire. Ibid. I, 1. (quand.)
Prepositions.
Abusant, contre lui, de ce profond silence. Ibid. I, 2. (contre.)
Verbes auxiliaires.
Que les temps sont change's! Sitot que de ce jour. Ibid. I, 1. (sont.)
Pensez-vous etre saint et juste impunement. Ibid. I, 1. (etre.)
En des jours tendbreux a change ces beaux jours. Ibid. I, 1. (a.)
Qui sur tous mes perils vous fait ouvrir les yeux. Ibid. I, 1. (fait.)
Les feux vont s'allumer, et le fer est tout pret. Ibid. III, 3. (vont.)
Pronoms disjoints et lequel, pronom relatif.
Que sur vous son courroux ne soit pres d'e"clater. Ibid. I, 1. (vous.)
Elle que l'innocence a mes yeux sanctifie V. Hug. Marion I, 3. (eile.)
Son pere de vieux temps est grand ami du mien. Corn., le Ment.
II, 3. (mien.)
Celui qui met un frein a la fureur des flots. Rac. Ath. I, 1.
(celui.)
Mais ä qui de Joas confiez-vous la garde? Ibid. I, 2. (qui.)
Envoyer un präsent, mais je ne sais lequel. Dum. Christ. III, 5.
(lequel, pron. int.)
Oui, c'etait un enfant comme un autre; son äme. Dum. Calig.
prol. 5. (autre.}
O roi heureux sous lequel sont entres. (Marot, l'Enfer p. 42. Oeu-
vres, La Haye 1700) (lequel, pron. rel.)
Pronoms conjoints et relatifs.
Oui, je viens dans son temple adorer 1'Eternel. Rac. Ath. I, 1. (je, son.)
Du merite delatant cette reine jalouse. Ibid. 1, 1. (cette.)
Helas! de quel pdril je l'avais su tirer! Ibid. I, 2. (quel.)
Celui qui met un frein ä la fureur des flots. Ibid. I, I. (qui.)
Hdlas! Tetat horrible oü le ciel me l'offrit. Ibid I, 2. (oü.)
Je crains Dieu, eher Abner, et n'ai point d'autre crainte. Ibid.
I, 1. (autre.)
Adverbes; particules negatives, demonstratives.
Ou meme, s'empressant aux autels de Baal. Ibid. I, 1. (meme.)
Enfin, depuis deux jours la süperbe Athalie. Ibid. I, l. (enfin.)
Pres de leurs passions rien ne me fut sacre. Ibid. III, 3. (rien.)
Et, par la de son fiel colorant la noirceur. Ibid. I, 1. (la.)
D'un oubli trop ingrat a paye ses bienfaits. Ibid. III, 6. (trop.)
Les noms numeraux employes substantivement prennent l'accent:
Ciel! — Dans un des parvis, aux hommes rdserve. Ibid. II, 2. (un.)
Et tous, devant Taute 1 avec ordre introduits. Ibid. I, l. (tous.)
Miscellen. 115
§. 33. L'accent tonique passe d'un mot accentue" ä un mot inaccentue.
L'accent tonique est sujet ä des mouvements. 1° II passe d'un mot ac-
centue ä un mot inaccentue:
a. Dans les propositions imperatives, le verbe, suivi d'un regime, perd
son accent tonique qui se reporte alors sur le pronom : car le verbe et le
regime ne semblent former qu'un mot.
Croyez-moi, plus j'y pense, et moins je puis douter. Rac. Ath. I, 1.
Songez-y, vos refus pourraient me confirmer. Ibid. III, 4.
Gardez -en pour ailleurs l'incertaine monnaie. Aug., la Cigue. I, 3.
Quand il y a deux pronoms, c'est le second qui prend l'accent.
Je ferai deguerpir, tenez-vous-le pour dit. Pons. Agn. II, 1.
Qu'as-tu dit? — Est-il vrai? redis-le-moi, prolonge. Lamart.
Touss. IV, 5.
Les opinions de Quicherat et d'Ackermann difierent sur le. Le premier
pense que l'accent tonique se place sur ce mot, aussi bien que sur les autres
pronoms.
Laissez-le s'expliquer sur tout ce qui le touche. Rac. Ath. II, 7.
Ackermann accentue: Laissez-le. Les grammairiens ne veulent pas que le
soit precede d'une autre syllabe muette, comme dans
Si tu peux en douter, juge-le par la crainte. Com. Poly. I, 3.
Laisse-le sans remords m'approcher des couronnes. Id. Don S. II, 3.
Ramene-le fidele; et permets, en ce jour. Rac. Theb. I, 6.
b. Dans les propositions interrogatives, on fait ressortir le sujet en le
placant apres le verbe, et Timportance qu'il acquiert par lä appelle l'accent
tonique.
Abner, le brave Abner, viendra-t-il nous defendre? Rac. Ath. I, 2.
La meine chose arrive, quand on rapporte les propres paroles de quelqu'un.
Je crains Dieu, dites-vous, sa verite me touche! Ibid I, 1.
Les pronoms je, ce, dont l'e est muet, ne peuvent pas prendre l'accent;
il reste alors sur le verbe.
Ai-je besoin du sang des boucs et des genisses? Ibid. I, 1.
Dieu tout puissant sont-ce lä les premices. Ibid. III, 8.
c. L'accent tonique, au Heu d'avancer, fait quelquefois un pas en arriere.
„Ma soeur que j'ai vu peindre" signifie qu'elle etait peinte; dans ce cas la
liaison est intime entre vu et peindre. Au contraire, „ma soeur que j'ai
vue peindre" signifie qu'elle peignait, et il s'opere une legere Suspension
entre vue et peindre. i
§. 34. L'accent tonique disparait.
2° L'accent tonique disparait d'un mot accentu6:
a. Dans les phrases negatives, le verbe perd son accent.
Je crains Dieu, eher Abner, et n'ai point d'autre crainte. Rac.
Ath. I, 1.
Premiere remarque. L'accent tonique de la penultieme semble etre
conserve en poesie.
Ne lui donne point lieu d'attaquer ma vertu. Com. le Cid. III, 4.
Deuxieme remarque. Quand les particules negatives se placent avant
l'infinitif, l'accent du verbe ne se perd pas.
Respecter une reine, et ne pas outrag er. Rac. Ath. III, 5.
Troisieme remarque. Dans la forme mixte, le pronom perd l'accent, et
le verbe le reprend.
Ne descendez-vous pas de ces fameux l^vites. Tbld IV, 3.
b. Le verbe suivi des particules suffixes ca, ci, lä perd son accent.
Reine, Dieu m'est temoin Laisse lä ton Dieu, traitre. Ibid.
r V'. 5- .
La conjonetion donc semble quelquefois exercer la meme influence sur le verbe.
116 Miscellen.
Jurez donc avant tout sur cet auguste livre. Ibid. IV, 3.
Remarques: Dans les propositions interrogatives, le pronom perd son ac-
cent, et le verbe le reprend.
Et que faisais-tu la? — Monseigneur, j'ecrivais. Musset. Louis. I, 2.
Le substantif suivi de ci ou de la subit la meme influence que le verbe.
Que ces amities-la! C'est du Segrais tout pur. Hug. Mar. I, 1.
c. Tout monosyllabe qui en suit immediatement un autre auquel il est
intimement lie par le sens, tend ä absorber son accent tonique; sans cela,
le francais ayant tant de monosvllabes accentues, il se trouverait a tout in-
stant que deux syllabes accentuees se suivraient immediatement, sans l'inter-
valle meme d'une pause , ce qui serait contraire au principe general du
rhythme. (Le premier mot, dit Ackermann, prend en revanche l'accent d'ap-
pui, le ton grave, tandisque l'accent tonique a le ton aigu.)
En des jours tenebreux a change ces beaux jours Rac. Ath. I, 1.
Cependant je rends gräce au zele officieux. Ibid. I, 1.
Et, n' ayant de son vol que moi seul pour complice. Ibid. IV, 3.
d. La derniere syllabe sonore de la phrase tend ä absorber l'accent de
toute syllabe tonique qui la precederait.
Ne vous l'ai-je pas dit? nos pretres, nos levites. Rac. Ath. I, 2.
A quoi s'occupe-t-il? — 11 loue, il be"nit Dieu. Ibid. II, 7.
§. 35. Des mots inaccentues prennent l'accent.
L'accent parait sur un mot inaccentue".
a. L'inversion l'appelle p. e. sur le pronom relatif se'pare' de son verbe.
Qui, lorsqu'au Dieu du Nil le volage Israel
Rendit dans le desert un culte criminel,
De leurs plus chers parents saintement homicides,
Consacrerent leurs mains dans le sang des perfides. Rac. Ath. IV, 3.
sur si.
Comme si, dans le fond de ce vaste ddifice,
Dieu cachait un vengeur arme pour son supplice. Ibid. I, 1.
sur le verbe auxiliaire.
Qu'il soit comme le fruit en naissant arrache. Ibid. I, 2.
b. L'accent peut se placer sur une conjonction qui ne lie pas deux
mots, mais deux phrases.
Oii sur le mont Sina la loi nous fut donn^e. Ibid. I, 1.
Avant que son destin s'explique par ma voix. Ibid. I, 2.
Mais a qui de Joas confiez-vous la garde? Ibid. I, 2.
c. Les prepositions dissyllabes peuvent le prendre, quand il y a trop
peu d'accents dans un vers.
Parmi vos ennemis que venez-vous chercher? Ibid II, 5.
d. Les verbes auxiliaires, surtout les formes dissyllabes, peuvent prendre
l'accent, pour la meme raison.
Oü sont-ils? — Sur-le-champ tu seras satisfaite. Ibid. V, 5.
e. Aussi les noms numeraux polysyllabes.
Lorsque s'accomplira la deux i eine semaine. Pons. Agn. I, 4. •
f. L'accent oratoire peut affecter un mot inaccentue, comme dans : Cela
ne se trouve pas sous, mais sur la table.
§. 36. L'accent tonique est renforce.
L'accent tonique peut etre renforce par l'inversion :
Maitre corbeau, sur un arbre perche. Lafont. Fabl. I, 2.
par Pellipse;
L'issue en est douteuse et le pe"ril certain. Com. Hör. I, 1.
Quels voeux puis-je former,; et quel bonheur — attendre. Ibid. II, 1.
II est encore renforce, quand il coincide avec l'accent oratoire ou avec
l'accent de la phrase.
Miscellen. 117
Comme l'accent tonique ne peut pas affecter des mots t$ls que te, le,
Ackermann declare vicieux ces vers d'Athalie:
Je devrais, sur l'autel oü ta main sacrifie,
Te.... Mais du prix qu'on m'offre il faut me contenter. V, 5.
Chap. IV. B. Des Pieds.
§. 37. Pied.
Le vers est compose d'une progression reglee de syllabes accentue"es et
de syllabes inaccentuees. Les accents toniques constituent des temps forts
qui semblent porter les autres syllabes. 11 se forme ainsi un penchement
des syllabes faibles sur les syllabes fortes, et, par consequent, divers groupes
de syllabes, qui recoivent le nom de pieds.1) Chaque pied doit contenir
au moins un temps fort. Trop d'accents ou des accents qui se suivent ren-
dent le vers saccade; trop peu d'accents le rendent languissant et le fönt
retomber dans la prose. La fin du pied francais coincide toujours avec la
fin d'un mot. II y a des pieds masculins et des pieds feminins.
Un temps fort supposant un temps faible, on ne peut imaginer un pied,
ni, a plus forte raison, un vers de moins de deux syllabes. Dans les soi-
disant vers d'une syllabe suspendus entre des metres a plusieurs accents, la
pause qui suit la fin des vers remplace la syllabe atonique qui manque ä
ces vers.
§. 38. Pieds de deux, de trois syllabes.
Les meilleurs pieds dissyllabes sont:-~2) peine, etes, est-ce et^- |
avoir, est-il. Les pieds formes de deux syllabes accentue"es sont durs:
crains Dieu. Les pieds formes de deux syllabes inaccentuees sont impos-
sibles. Les meilleures formes des pieds de trois syllabes sont: -^- | adorer,
viendra-t-il; ~-~ | paraitre, de vivre; --- | peuple ingrat. Formes
dures: « — | je crains Dieu; — « I tous doivent; | vous peur
d'eux. Forme tres-rare et peu harmonieuse: -~w, laisse-le selon Acker-
mann (Quicherat accentue: «~-). Forme impossible: ~~~.
§. 39. Pieds de quatre syllabes.
Plusieurs pieds de quatre syllabes n'existent que dans une forme qui permet
de les consideVer aussi comme deux pieds de deux syllabes. Les meilleures
formes en sont: "— «- cejeune roi; -~-~ daigne, daigne C— « | -«);-««-
fils de David; «--« le roi l'aime (w- | -°). Les pieds suivants ap-
prochent de la prose, parce qu'ils ont trop de syllabes inaccentuees: w„^_
calamite; ~~-~ archipretre. Formes dures, parce qu'elles ont trop d'accents:
« bdlas Dieu voit («'- | — ); -->-- toi, soldat, toi; — -- doit,
mais sortons; v vous peur d'elles oui! bon! paix! quoi!
( — | — ) Ces deux pieds souffrent d'une distribution peu agrlable des ac-
cents: ~~ — je me sens pret, — ~^ mais laisse-le. Formes impos-
ßibles : w « « «,
§. 40. Pieds de cinq, de six syllabes.
Les pieds de cinq syllabes sont rares et peu recommandables. On les
trouve surtout dans le vers de huit syllabes:
Quoi! ce que le temps | nous amene
Laborieuse | liberte
Et que le lion | populaire. Hugo, A la jeune France.
!) La plupart des grammairiens francais appellent pied la reunion de
deux syllabes; quelques critiques se servent aussi du mot metre, et nom-
ment hexametre le vers de douze syllabes, pentametre celui de dix; t£-
trametre celui de huit.
2) - Marque des syllabes accentue"es; - signe des syllabes inaccentuees.
118 M i s c e 1 1 e n.
Si le pied de 5 syllabes doit etre generalement rejete, d'autant plus celui
de six, qu'on trouve assez souvent dans les alexandrins.
Et j'hdrite de tout j universellement Muss. Louis. I, 4.
Et de mes droits sentant | l'inferiorite. Aug. les Aristocr. II, 4.
O Philippe, sois-lui | misericordieux. Pons. Agn. I, 4.
L'impossibilite | disparait h son ame. Lafont. Fabl. VIII, 25. 3)
Dans Mol. Psyche II, 3 nous lisons un pied de huit syllabes:
De cetfce insensibilite\
C. Des Vers.
Chap. V. Des Vers en general.
§. 41. Vers de 12, de 10, de 8, de 7, de G, de 5, de 4, de 3, de 2, de 1 syllabes.
Le vers se compose d'un ou de plusieurs pieds dont la fin rime avec
une autre serie rhythtnique. Les vers les plus usites sont de 12, de 10,
de 8, de 7, de 6, de 5, de 4, de 3, de 2, de 1 syllabes. Voici un exemple
qui renferme toutes ces mesures:
A ce calme il pref'ere un des jours de detresse,
Oü, sous le fouet de l'onde qui le presse,
Le vaisseau, lance dans les airs
Monte au rayon des eclairs.
Sur le haut d'une lame,
Et du ciel en flamme,
Tombant le front
Sur le mont
Qui coule,
Rode. (Edouard Alletz).
§. 43. Vers de 9, de 11 syllabes.
Les vers de neuf syllabes et les vers de onze syllabes sont rares, sur-
tout ceux de onze. En voici des exemples:
Cher amant, je cede a tes desirs;
De Champagne enivre Julie.
Inventons, s'il se peut, des plaisirs,
Des amours epuisons la folie. Berang, la Bacch. p. 7 (Paris, 1843).
N'etouflbns, n'etouffons que de rire. Id. Les Gourm. p. 64.
Je veux bien, dit-il, que le diable m'emporte. Id., Le bon Dieu p. 259.
Gardez bien, gardez bien votre liberte. Id. Le Sacre p. 403.
§. 43. Vers de 13, de 14, de 16 syllabes.
Quelques vers de treize syllabes se trouvent dans les pieces lyriques
destinees ä etre chantees.1)
3) Ces pieds proviennent principalement de l'emploi des mots de cinq
et de six syllabes. Ronsard avertit dejä, les poetes de s'abstenir de ces mots:
„Tu te donneras de garde, si ce n'est par contrainte, de te servir des mots
termines en ion qui passent plus de trois ou quatre syllabes, comme abo-
mination, testification; car tels mots sont languissans et ont une trai-
nante voix, et, qui plus est, occupent languidement la moitie d'un vers."
l) Parmi les alexandrins, il se trouve dans Agnes de Meranie par Pon-
sard, V, 1 un vers de 13 syllabes:
Gauthier de Chätillon, Mathieu de Montmorency.
Dans Dum., Calig. prol. sc. 8, nous lisons:
% Le tonnerre a brille venant de droite et de gauche.
Ou il y a ndgligence de l'auteur, ou le second de n'est pas sorti de sa-
plume.
Miscellen. 119
Sobres, loin d'ici, loin a'ici, buveurs d'eau bouillie. Scarron, Chans, bacb.
Le peuple s'ecrie : Oiseaux , plus que nous soyez sages. Berang. Le
Sacre p. 403.
J'ai lu deux vers de 14 syllabes dans une traduction prosaique des livres
des Rois entremelee de vers (Idel. Einleitungsband I, p. 79).
Si hom peche vers altre, a Deu se purrad acorder,
Et s'il peche vers Deu, ki purrad pur lui preier?
et deux autres dans une ehanson baehique de Scarron :
II fait meilleur k Paris, oü l'on boit, avec la glace
Que d'aller au Pays-bas a cheval comme un Saint -George.
Fournel, dans la traduction du Löwenritt par Freiligrath, a fait des vers
de 16 syllabes:
Quand le Hon, roi des deserts, veut parcourir son vaste empire,
II s'avance vers la lagune et dans les roseaux se retire;
Pres de l'onde oü boit la girafe et dans les Jones il s'aecroupit:
Au dessus de son front terrible, avec bruit le palmier fremit.
Agamemnon, tragedie de Ch. Fontaine, poete du XVIe siecle, offre aussi
des ver§. de seize syllabes. Les vers soi-disant mesures, dont nous allons
parier plus tard, offrent beaueoup d'exemples de vers de plus de douze
ßyllabes* Gustave Weigand.
Ueber die Fügung von lehren mit dem Dativ oder Accusativ
der Person.
Die Fügung von lehren mit persönlichem Dativ bei sachl. Obj., — nament-
lich, wenn dies nicht durch einen Infinitiv ausgedrückt ist, — ist in der
neuern Sprache nicht selten. Die nachstehenden Belege sind alphabetisch
nach dem Namen der Schriftsteller geordnet.
Wir hätten ihnen wollen Mores lehren Alexis Hos. 1,2, 190. — Frommen
Kindern lehrt sie Lieder. Arndt Ged. 105; Lehren will ich die Liebe dem
Sohn. 162; Da hat er den Franzosen das Schwimmen gelehrt. 284; Der mir
AYahrheit gelehrt hat. Bericht 36. — Ich lerne Dir's ganz allein. Auer-
bach Dorf. 1, 13; Ein Lied, das ihm der Nazi gelehrt. 186; Wer hat dir
denn das so schön gelehrt? Barf. 77; 68. ff. — Sie wollte mir Philosophie
lehren. Bettine 1, 79. — Jungen Mädchen . . alles das zu lehren. Börne
3, 88; Kindern Moral in Beispielen zu lehren. 393 ff. — Wie Versuche ihm
lehrten.*; Burmeister Gesch. 127. — Die Mutter lehre ihm den Kate-
chismus. Chamisso 5, 55. — Meine Mutter lehrte mir's. Dingelstedt
Hept. 2, 77. — Was du vordem denn der Jugend gelehrt. Droysen Ar.
3,88; Die Kriegsführung, die Napoleon der Welt gelehrt. York 1,303. —
Den Bergen lehrend und der Flur den lieben | Namen. Fichte 8, 473. —
Schüler, denen er Französisch lehrte. Forster Br. 1, 13; Nichts, das der
Bonsens einem Jeden., nicht längst gelehrt hätte. 2, 23 (Heyne). — Ich
wollte Jedem sein eigen Kunstück lehren. Goethe 7, 202; Nur | das Leben
lehrt Jedem, was er sei. 13, 141; Was einem Jeden lehrt, dass ein Gott ist.
17, 140; Ihnen die Kunst zu lehren. 30, 183. — Niemand kann mir's lehren.
Grimm Märchen 18. ■ — Sie lehrten mir kleine Hexereien... Sie lehrten
L'edition de Racine par Augier, Par. 1842 offre ce vers:
Faut-il qu'ä feindre votre amour me convie, Bajaz. IV, 1.
II faut:
Faut-il qu'ä feindre encor votre amour me convie.
*) Wo das „wie" das sachl. Obj. ersetzt, vgl: Wie ihm Versuche zeigten.
120 Miscellen.
mich Sterne und Zeichen deuten... Sie haben mich auch den Pfiff gelehrt .. .
Die Worte., lehrten sie. mich. Heine Rom. 124; Ich wollte, | ich hätte
ihr nie das böse Lied gelehrt. NGd. 317. — Wenn sie ihnen lehrten, Drei
sei Eins. Heisse Körte 1, 17; Das hatte mir längst mein Herz gelehrt.
145. — Das lehr' ich keinem Mädchen noch Weibe. Herder 8, 441. —
Dass die Deutschen den Engländern den Kriegsschiff bau lehrten. Jahn
Volksl. 248. — Sonst wollte ich Dir Mores lehren. Iffland 5, 2, 15. —
Zwar lehren die Singvögel ihren Jungen gewisse Gesänge. Kant Anthr.
314; Wie kann mir die Erfahrung etwas Allgemeines lehren? phil. Rel.
15. — Lehrte ihm dieKenntnis. J. Kerner 529. — Ich hatte ihrem Könige
Weisheit und Gesetz gelehrt. Kinkel Erz. 18. — Ihm das Striegeln zu
lehren. Hr. Kleist Erz. 1, 52; Da haben sie die Künste gelehrt. Hinterl.
281. — In anderer Gestalt als Ihr mir., gelehrt habt. Klencke Parn.
2, 205. — Wenn man ihnen das Wassertrinken lehren könnte. Kohl Alp.
1, 137; Lehrt ihm, wie man ihn zubereite. 143; 2, 20; 189; Irl. 1, 125; 129;
259; 319; 2, 434; Engl. 3, 280 ff*. — Diesen Popanz, der meinen besten
Helden (Mehrz.) Furcht gelehrt. Körner 125a; Vor zwei Minuten hast
du mir's ja selbst gelehrt. 237 b. — Das lehren dir schon die griechischen
Weisen. Kühne Freim. 294. — Die Ursache hat mir Menage gelehrt.
Lessing 3, 83; Was Ihnen in Laublingen freilich Niemand lehren kann.
407. — Auch diesen (Leuten) lehren wir ihr Exercitium. Lichtenberg
5, 250. — Diese Kunst will ich dir lehren. Lichtwer 64; Die Vernunft . .
lehrte das Gesetz der Menchen freiem Stande. 180. — Sonst lehrte ihm eine
andere Erfahrung, suam etc. Moser Osn. 1, 7. — Lehre mir den leichten
Sinn. Wh. Müller G d. 1, 250. — Dir den Gebrauch desselben zu lehren.
Musäus M. 1, 58: Lehrte ihr den gleichen Spruch. 2, 22; Darauf lehrte sie
dem Fräulein einige magische Eigenschaften des Apfels. 128-, 4, 78; 85 ff. —
Was sollen mir Berg und Thale lehren? Olearius Reis. 2 a. — Der
Professor lehrte ihm . . güldne Brokardika. J.Paul 1, 161; Ich wollte meinem
Gustav kaum Etwas mehr lehren. 183 ff". — Die einst der Welt so viel
gelehrt. Platen 1,337; Denen Nichts das Leben lehrte. 4,10; Mein Stock
auf seinem Rücken lehr' ihm dann das Mein und Dein. 8 ff. — Ihm die
reinsten Töne., zu lehren. Prutz D. Mus. 1, 2, 170 (Steub); Die Mutter
lehre ihren Kindern Beobachtung der Wrahrheit. 193 (Gumprech t). —
Ihr wollt den Schülern die ihnen noch fremde Sprache durch die ihnen
fremd gemachte . . lehren. Raumer Päd. 3,1,82; 141 ff. — Mein Stolz.., |
dem du nun die Demuth lehrst. Rückert 1, 366; der dem Adam gelehrt
der Dinge Namen. Mak. 2,49; Den Ursprung will ich dir aus der Geschichte
lehren. BrE. 614; Die Lust am Schaffleisch wollt' er lehren seinem Sohn.
Weish. 1, 115; — Lehre mir | ein Spiel. Schlegel Sh. 1, 3; 93; Ihm
lehrte Muth und Hoffnung dieses Mittel. 2, 160; Ihr lehrtet Sprache mir.
3, 32; Lehrte jede Stunde dir | Dies oder Jenes, ebd.; Das lehret ihm sein
Oheim. 6, 11; Lehret diesem treu ergebnen Lande | verwegene Grausam-
keit. 136; Ein Narr, der sie mir gelehrt hat. 232; Der erste menschliche
Grundsatz, den ich ihnen lehren wollte. 3^4; Ein mächt'ger Geist mag Krähe
und Geiern lehren, | dass sie dir Amme sind. Winterm. 2, 3 ff. — Wo..
Nachtigallen ihr Liedlein piependen Nestlingen lehrten. Sonnenberg Don.
1, 315. — Wie es ihm sein Vater gelehrt hat. Spate 2, 49; Einem die
Gottesfurcht lehren. 1, 1147: Einen Mores lehren, ebd. — Dass es dem Herrn
den Weg zum Fräulein lehrte (wiese). Streckfuss Rol. 2, 20. — Dietrich
hat mir nur das Lied gelehrt. Tieck 2, 12; Wer hat dir denn das ge-
lehrt? 10, 42; Die Wahrheit dir zu lehren. 75; Wie er ihm immer gelehrt
habe. 16, 42; Der Nachtigall er die Lieder lehrt. 134; Ich habe, dir das
Restaurieren lehren wollen. Nov. 1, 20: Künste, die der Maler ihm gelehrt.
N. Kr. 2, 221; Lehre ihnen die Verbeugungen. 444; Wo eure keusche
Tochter | den grossen Unterschied von Lieb' und Unzucht | mir lehrte.
Cymb. 5, 5; Weil ja die Muse | ihnen gelehrt den Gesang. . . . Dich hat die
Miscellen. 121
Muse gelehrt (ohne sachl. Ohj.) Voss Od. 8, 481 und 48S; Denen wir
jegliche Kunst gepriesene Werke zu wirken | lehreten. 22, 423 ; Welchem
Hephästos gelehrt und Pallas Athene | allerlei Werke der Kunst. 23, 160;
Er lehrte die Kunst mir. Ov. 1, 189; 2, 65; Wie ein assyrischer Fremd-
ling., mir es gelehret. Theokr. 2, 162; Alles auch lehret' er ihm, wie
dem Sohn ein liebender Vater 13, 8; 21, 33; Welcher den künstlichen Fang
ihm lehrete. Bion 2, 8; 3, 6 ff.; Lehren was heilsam ist, das werd' ich
denen die zuschaun. Arist. 3, 248; Hör. 1, 254; Ihm lehrten sie Gebärd'
und rechten Ton. Shak. 2, 504; Ich will dir das Sprüchlein lehren. I, 17G;
177; 6.r>8; 664 ff. — Du nur kannst mir andre Wünsche lehren. Waldau
Nat. 1, 277 ff. — Was so oft ich dir gelehret. Werner Kr. d. Osts.
1, 239. — Sie mag mir Alles kühnlich lehren. Weise Absurd. 363. —
Ihm das Wahre zu lehren. Zelter 5, 459 ff.
Diese Fügung findet sich auch hin und wieder, wenn das Obj. durch einen
Infin. (mit od. ohne „zu") ausgedrückt ist, z. B.:
Wie die das Sträusschen mir wickeln lehrte. Bettine Frühlingskr.
1, 60. — Die ihr Grosses ahnen meinem Geist gelehrt. Hölderlin Hyp.
2, 111 ; — Zuerst habe ihm sein älterer Bruder das Blut gegen den Schwindel
zu trinken gelehrt. Kohl Alp. 3, 405. — Dass man den Kindern nur
Karten kennen lehre. Raum er Päd. 3, 1, 124. — Leb wohl! Vergessen
lehrtest du mir nie. Schlegel Sh. 1, 18; So lehre mir das Denken zu
vergessen, ebd. — Einem reden lehren. Spate 1127. — Hexensalbe, die
ihnen natürlich der Teufel bereiten lehrt. Tieck Nov. Kr. 2, 358. — Lehren
Sie nur den Leuten Bedürfnisse haben. Waldau N. 2, 222.
Dass der persönl. Accus, neben dem sachl. Obj. das Gewöhnlichere ist*)
und sich so namentlich auch im Goth., Ahd. u. Mhd. findet, ist zu bekannt,
als dass es dafür ausführlicher Belege bedürfte. Wir geben daher nur
wenige zumeist aus denselben Schriftstellern, bei denen wir oben die Fü-
gung mit dem Dativ gesehn. Für das Schwanken (s. o. Heine u. Voss)
sprechen namentlich Zusammenstellungen, wie die folgenden aus den Ueber-
setzungen des „Kaufmann von Venedig" von Schlegel und Voss:
Dank, Jude, dass du mich das Wort gelehrt. Schlegel (4, l)
Nerissa lehrt mir, was ich glauben soll. (5, 1),
dagegen :
Dank, Jude, dass du mir gelehrt das Wort. Voss.
Nerissa lehrt mich, wie ich denken soll. Ders.
Der pers. Accus, findet sich z. B. : Es haben ihn auch nicht Viele gelehrt, was
recht ist. Alexis Hof. 2, 2, 37. — Alxinger D. 345. — Indem er ihn Ach-
tung der Menschenrechte lehrte. Börne 2, 428, Kinderlesen zu lehren. 402;
375 ff'. — Brockes 9, 440 ff. — Lehr mich Scherenschleiferbrauch. Chamisso
3, 20fi; 369; Dich lehrt das Ross, das Du verlangst, | die Zunge zu bewegen.
208 ff. — Engel 7, 203 ff. — Fischart Bern. 240a ff'. — Lehrte ihn,
was merkwürdig war. Forster Reis. 1, 61; Wir lehrten unsere Freunde,
auf welche Art etc. 151; 217; Uns, die er gelehrt hat, um ganz 'was Andres
vertraulich ihn anzugehen. Br. 1, 341; 403; Der vertraute Umgang mit
Ihnen., lehrt mich gewiss so leben, wie man leben soll 474; 476; 500; 265
(Jacobi). — Freiligrath Gd. 1, 176 ff. — Geliert 1, 23 ff — Die Liebe. .
lehret den Verschwender sparen. Göckingk Lieb. 127; Was das Täubchen
girren lehret ebd. — Reineke . . wollt' ihn allerlei Weisen I kürzlich lehren.
Goethe 5, 125; Wer hat dich i so nach Hofart theilen gelehrt?**) 264; 276;
282; 285; Lehr mich ihrer würdig sein. 6, 63; Man lehrte mich, Liebkosungen
*) Vgl.: Der Kaiser weist sie manchen Pfad. Simrock (Echter-
meyer 83) ff.
**) Vgl. in Bezug auf die Form des Partie: Wer hat dich so lehren
theilen? Luther 5, 271 b.
122 Miscellen.
seien wie Ketteu etc. 9, 35; 10, 104; 11, 100; 12, 40; O lehre mich das Mög-
liche zu thun. 13, 134; „Will etwa mich dein liebenswürdiger Mund | die
Eitelkeit der Welt verachten lehren?" | Ein jedes Gut nach seinem Werth
zu schätzen brauch ich dich nicht zu lehren. 172; Den die Erfahrung ge-
lehrt hatte, dass etc. 15, 27; 16, 27; 44; 140; 19, 188; 273; Das wird dich
lehren, das zu bleiben, wozu Gott dich gemacht hat. 29, 233; 30, 155:
35, 11; 39, 69; 206 ff. — Gotter 1, 93. — Gutzkow Ritt. 3, 274; 6, 152;
7, 5G; 393; 8, 129; 181; 9, 240; 245; 383; 526 ff. — Lehrt mich bess're
Sachen, | als statt des Singens Geld bewachen. Hagedorn 2, 121. —
Haller 205 ff. — Heine Reis. 2, 147; Verm. 1, 116 ff". - Heinse
Ard. 2, 166. — Weil er es., keinen Andern lehren kann. Kant Kr. d.
Urth. 1S2; Sie lehrt mich., em Wesen fürchten. Rel. 201. — Kinkel
Erz. 317. — Ich lehre dich, was ich lernte. Klopstock Mess. 13,378 —
Haben sie gelehrt, das Auge auf England zu wenden. Kohl Irl. 1, G. —
Die Freundschaft... die mich den Text gelehrt. Körner 238b. — Die
Ameisen haben mich diese Vorsicht gelehrt. Lessing 1, 139; 3,289; 335; 430;
8, 15; 518; 11, 76; 347; Die Möglichkeit, dass Engel. Nath. 1, 2 ff'. — Lehrt
sie den Zauberreiz der wilden Lüste fliehn! Lichtwer 194; Die dich sein
Dasein lehren. 224; 239; 254 ff'. — Luther 8, 18 b; 26 a ff', (s. viele Stellen
in der Bibel in den Konkordanzen). — Mörike Nolt. 158; 431 ff'. — Ich
wollte | lehren dich des Lebens beste Güter. Platen 4, 384; 324; 6, 24;
27. — H. L. Nicolai 1, 61. — Ramler Fab. 1, 61; 2,466; 528; 3, 33 ff. —
Rollenhagen Froschm. 249. — Die haben wohl ein Stück von Schwarz-
kunst dich gelehrt. Rückert Rost. 73a; Erb. 2, 5 — Buge Revol-
1, 23; 2, 143 ff. — Wer wird künftig deinen Kleinen (Sohn) lehren |
Speere werfen? Schiller 1 a; Er lehrt die schwebenden Planeten j
ew'gen Ringgangs um die Sonne fliehn. 2 a. 90 a und b; 91 b; 118 b; 437 b;
459 b; 480 b; 501b; Ich schwöre, dass, wenn er mir jemals in die Hände
fällt, ich ihn lehren will solche Treulosigkeiten zu begehen. 1091 a ff. —
Das Lied, das ihr mich erst gelehrt. Schle"gel Shak. 3, 88. — F. Schlegel
Gr. R. 1, 253; 263. — Spate 2, 232; 29; 43. — Die Lieder, die er dich
lehrte. Tieck 10, 43. — Lehr du mich.., | wie man die guten Schwerter
macht. Uhland 383; W'er hat dich solche Streich gelehrt? 379 ff. — Uz 2,
170. — Dich das Alles zu lehren. Voss II. 9, 442. — Waldis Ps. 51, 6;
145, 2 ff — Weidner 36. — Werner Kr. d. Ost. 1, I. 213 ff — Seinen
Brudersohn Moral und Politik zu lehren. Wieland 7, 131; 12, 78; 102;
185; 323; 13, 103; 15, 39 ff. — Zinkgräf Ap. 1, 167; 2, 15 ff. — Zschokke
1, 13 ff. —
Im Passiv findet sich der ersten Fügung (Einem Etwas lehren) gemäss
oft: Einem wird Etwas gelehrt, z. B.: Was wird noch heute der Jugend in
der Schule frei gelehrt? Börne 3, 34. — Uns Andern ist das nun schon
nicht gelehrt worden. Goethe 30, 333. — Alles vergessen, was uns gelehrt
wurde. J. G. Jacobi Ir. 1, 1, 22. — Den Kindern würde jetzt kein Irisch
mehr gelehrt. Kohl Irl. 1, 50. — Wem ward wohl gelebret, | was dort ge-
schah? J. Mosen Ahasv. 88. — Der Spruch, der ihm gelehrt war. Musäus
Märch. 2, 23; W'enn den Kindern Alles spielend gelehrt wird. Phys. 1,65.
— Besonders wird ihnen das Ueberspringen . . . gelehrt. Raumer Päd. 3,
2, 168. — Der Jugend wurde Nichts gelehrt, was sie ohne Schaden wieder
vergessen konnte. Wieland 8, 216 ff. —
Seltner findet sich heute der Fügung mit dem doppelten Accus, gemäss
das Pass. : Ich werde eine Sache gelehrt, z. B.: Haltet an den Satzungen,
die ihr gelehret seid. 2. Thessal. 2, 15. — Dann wird der Schüler einige
handgreifliche Inventiones gelehrt. Gervinus Lit. 3, 330. — ■ Das Schlimmste,
was uns widerfährt, | das werden wir vom Tag gelehrt. Goethe 3, 94.
Wohlthun ward er nie gelehret. Gryph. 470. Sie werden jetzt gelehret, |
was nie zuvormals noch kein Weiser je gehört. Opitz 1. 17. — Was Kunst
bist du gelehret worden. H. Sachs G. 1, -229. — Wenn sie nicht bereits
Miscellen. 123
eine Art von Sprache durch ihre Erziehung gelehrt worden wären. Wieland
21, 298; Diesen [den Tanz] wurde sie von der Natur selbst gelehrt. 301.
Diese Weise darf, wenn das sachl. Übj. durch ein Hauptwort ausgedrückt
ist, im Allgemeinen wohl als veraltet bezeichnet werden, vgl.: Die Ursach
gefragt, antwortet er. Weidner 329. (s. in meinem Wörterbuch fragen 1 d).
Weniger widerstrebt diese Fügung dem heutigen Gebrauch, wenn das sachl.
Obj. ein allgemeines ist: Die Schüler wissen, was sie gelehrt (gefragt) werden;
Unsre Jugend wird in der Schule Vieles gelehrt, was sie im Leben nicht
braucht. Doch ist auch hier der Dativ gewöhnlicher. Was ihnen gelehrt
wird ; Unsrer Jugend wird Vieles gelehrt etc.
Dagegen ist die Wendung geläufig, wenn das sachl. Obj. durch einen Satz
oder einen Infin. (mit „zu") ausgedrückt ist: Er- oder: Ihm- wurde früh-
zeitig gelehrt, wie er in solchen Fällen sich zu verhalten habe; Die Kinder
werden — oder: Den Kindern wird — dadurch gelehrt, Bescheidenheit zu
heucheln; Ich bin früh angeleitet und gelehrt worden, dass man Wesen wie
Tante Helene hassen soll. Gutzkow Ritt. 8, 253; Born. 28; Ihm wurde,
sobald er denken konnte, gelehrt, mich zu hassen. Hackländer Stillfr. 2,
220. Der Blick . . . wird nur nach und nach emporzuschaun gelehrt. Rückert
Weish. 4. 107.
Beide Fügungen sind übrigens durch eine leichte Nuance verschieden :
Was mir gelehrt worden, Das ist mir als ein zu Lernendes mitgetbeilt;
mein Verhalten dazu, ob und wie ich es in mich aufgenommen, bleibt ausser
Frage. In der Fügung aber: „Ich bin Etwas gelehrt worden," — bin ich
die Person, die lernend eine Einwirkung erfahren. Dort tritt also die Thätig-
keit des Lehrenden, hier mehr die des Lernenden hervor, und demgemäss
bezeichnet „gelehrt" nicht eine Person, der Etwas gelehrt ist, sondern die
Etwas gelernt, sich eine Fülle des Wissens selbstthätig angeeignet hat, z. B.
unter Andern auch einen Autodidakten. Ganz ungewöhnlich aber: Der Staat,
an dessen Allmacht zu glauben ihn freilich niemals gelehrt worden ist.
G. Liebert (Jahrhundert 2, 383).
Nach dem Vorstehenden glaube ich als heutigen Sprachgebrauch für die
Fügung von lehren mit persönl. Dat. oder Accus. Folgendes hinstellen zu
können:
1 ) Steht bei lehren nur das, was man lernt oder erfährt, so ist dies das
sachliche Objekt, das — wenn es durch ein Hauptwort ausgedrückt ist —
natürlich im Accusativ steht; doch kann es auch durch einen Satz (mit „dass
wie, wann, wo etc.") oder durch einen Infin. (mit oder ohne „zu")*) aus-
gedrückt werden.
2) Steht bei lehren nur die Person, die Etwas lehrt oder erfährt, so
steht sie als persönliches Object ebenfalls im Accusativ.
3) Wird aber die Person neben dem sachl. Obj. ausgedrückt, so steht
sie im Aktiv zumeist ebenfalls im Accusativ, welche Fügung sich auch im
Gothischen, Ahd. und Mhd. findet (s. die Wörterbücher). Doch findet sich
auch häufig genug der Dativ der Person (schon bei Spate), zumal wenn das
sachl. Obj. ein Hauptwort ist, vgl. Campe's deutsches Wörterbuch 3, 77 und
C, 49.
4) Im Passiv aber gelten die Fügungen:
a) (s. 1): Etwas wird gelehrt.
b) (s. 2): Ich werde gelehrt.
c) (s. 3): Mir wird eine Sache gelehrt; seltner und veraltend:
Ich werde eine Sache gelehrt, — ■ wenn die Sache nämlich durch ein Haupt-
wort ausgedrückt ist; ist sie aber durch einen Satz oder einen Infinitiv mit
„zu" ausgedrückt, so findet sich mit einer leichten, nicht immer scharf be-
achteten Nuance: Ich werde — .und: Mir wird gelehrt, Etwas zu thun etc.
*) Siehe darüber mein deutsches Wörterbuch.
124 x Miscellen
Danach wird man auch das absprechende Urtheil würdigen können , das
Weigand (kurzes deutsches Wörterbuch 2, 29) fällt:
„Manche, z. B. J. H. Voss (Theokr. 13, 8), A. W. Schlegel fügen lehren
falsch mit dem Dativ [er lehrte ihm etc.] statt mit dem Accusativ [er
lehrte ihn etc.]."
Wohlgemerkt! Herr Weigand sagt nicht etwa, die Fügung von lehren
mit dem persönlichen Dativ sei in der altern Sprache nicht begründet, sondern
ohne irgend einen Grund anzugeben (If reasons were as plenty as black-
berries, I would give no man a reason upon compulsion, I) nennt er eine
Fügung, die sich u. A. bei Goethe, Grimm, Heine. Herder, Lessing,
J. Paul, Platen, Rückert, Schlegel, Tieck, Voss und Wieland
findet, „falsch," gleich als hätte er Arbeiten von Schulbuben zur Korrektur
vor. Wie tief unter sich stehend mag Herr Weigand wohl die Genannten
wähnen ?
Dan. Sanders.
Die Vorsilbe sa im Französischen.
Im XXV. Bande des Archivs habe ich auf Seite 41 1 eine Vermuthung
über sabot, das schon seit langer Zeit die scliarfen Blicke der Etymologen
anstrengt, gegeben, und das Wort auf scapha zurückgeführt.
Diese Vermuthung dürfte sich aber nicht haltbar erweisen, nachdem mir
folgende Zusammenstellung von Wörtern, die mit sab — anfangen, einen
Weg gezeigt hat, der ein sichereres Resultat liefert, da auf ihm auch Anderes,
Analoges, seine befriedigende Deutung erhalten möchte.
Ks ist durchaus auffallend, dass man auf eine so einfache Sache noch
nicht von anderer Seite, und zwar langst, gekommen ist. Der Grund aber
wird kein anderer sein, als die bisherige Vernachlässigung der Analogien in
der Sprache, neben fast ausschliesslicher Berücksichtigung der Analogien
der Sprachen.
Es gibt etwa 7 bis 8 Wörter, die ich zusammenstellend behandeln zu
können glaube:
Sabatte Ankersohle,
sabech Geierart, Habichtsart (?),
sabon grosse Druckschrift (zu Placaten),
sabord Stückpforte,
sabot Holzschuh, Pferdehuf, Kreisel,
sabouler herumzausen,
sabrenas Sudler, Pfuscher.
Nehmen wir von diesen Wörtern die Vorsilbe sa weg, so bleiben folgende
Ausdrücke :
B a 1 1 e Schlagbrett,
bec Schnabel,
bon fürstliche Bescheinigung,
bord SchilTsbord,
bot Klumpfuss (Person), Boot,
bouler auf kugeln (den Kropf),
breneux zu bran Mist (Kleie).
Es ist wohl annehmbar, dass bei dieser Bewandtniss eine Zusammensetzung
aus einem gewissen sa- und anderen Wörtern weit mehr als wahrscheinlich ist.
Ich habe den Versuch machen wollen, dieses sa — aus irgend einer oder
mehreren Partikeln zu erklären, bin aber zu keinen entsprechenden Resultaten
gelangt.
Zuletzt legte ich einfach sac zu Grunde und erkläre nun die Composita
Miscellen. 125
wie folgt. Das c von sac ist zwar nicht stumm, musste aber vor b dem
Wohllaut weichen. Die Zusammensetzung ist wie in chef-lieu, oripeau u. s. w.
Sabatte wäre, wörtlich, ein Sackbrett, eine Sacksohle, in welcher der
Anker wie in einem Sacke steckt (Ankerschuh, hölzerner Ueberzug über die
Ankerschaufeln). Ob savate aus sabatte entstanden oder doch scaphata
sein sollte, welches Letztere ich am angeführten Orte behauptete, liesse sich
nun noch fragen: doch scheint mir jetzt die nahe Verwandschaft der Laute
und die Composition von sabot, wovon unten, das Erstere bevorzugen zu
heissen, wofern nicht it. ciabatta, sp. zapata, widersprechen.
Sabech, eig. sac-bec, wäre ein Sackschnabel. Vielleicht ist es einer
der Vulturini, deren grosse Schnäbel sich an ihrem kleinen Köpfchen fast
wie Haken krümmen und also einen Sack zu bilden scheinen oder das Opfer
wie in einem Sack fangen. (Aehnlich beeard, beeard e). "Wegen ch ver-
gleiche man beche, das etymologisch zu bec gehört. — Die Lexica geben,
wie meist bei naturhistorischen Dingen, auch über sabech zu rathen auf;
jedoch wird das Wort ächtfranzösisch sein. In Buffon's und Daubenton's
Oiseaux (Bruxelles 1S28) linde ich sabech auch nicht.
Sabon, sac-bon, wäre ein Sackschein, eine Sackschrift. Die Kanzlei-
buchstaben, les gros caracteres, haben etwas Ausschweifendes, gleichsam
sackförmige Verzierungen, die den eigentlichen Buchstaben wie in einem
Sacke verbergen. Dass hier unter bon zunächst ein Erlass höheren Ortes
und dann die dabei üblichen Schriftstücke in Kanzleischrifc zu verstehen,
ist wohl denkbar; dass man diese Schrift nun ausserdem sa-bon, recht
eigentlich ausschweifende, nannte, wenn sie recht gross war, lässt aich auch
annehmen. Jedoch bin ich bereit zu lernen, wenn Jemand etwas Anderes
probabler machen könnte.
Sabord, sac-bord, Sackbord, Oeffhung oben am Borde des Schiffes.
Die Oeffhung wird durch das Geschütz verschlossen; daher die Vergleichung
mit dem Sacke, der oben offen, unten geschlossen ist. Es ist ein Bord, der
gleichsam wie ein Sack das Geschütz in sich enthält, auch vorn geschlossen
wird, wenn das Geschütz ruht. Die Ausdrücke: sabord de retraite Hinter-
pforte, die schliessende, und cul-de-sac Sackgasse, die zulaufende, ge-
schlossene, widersprechen sich also nicht.
Sabot, sac -bot, Sackboot, ist der glänzendste Beleg für unsere An-
nahme. Die bootf örmige Gestalt des Holzschuhes , der aber nur an einer
Seite offen, am anderen bedeckt und geschlossen ist, hat ebenso wie der
bootf örmige, nicht gespaltene, sondern geschlossene Pferdehuf und der nur
an einer Seite offene, hohle Brummtopf (Kreisel) zur Vergleichung mit einem
Boote und Sacke aufgefordert. Bot heisst auch ein Mensch mit einem
Klumpfusse (pied-bot Klumpfuss): zu erklären von der Aehnlichkeit mit
einem Boote, wenn wir nicht auf bözen (stossen, vgl. Klump, dialectisch:
Blotsch = Holzschuh) zurückgehen und bot entweder als etwas Abgestossenes
(Stumpf) oder als etwas Aufstossendes (Plumpendes, Klumpendes, Platschendes)
erklären wollen.
Sabouler ist ein Ausdruck des gemeinen Volkes, sowie auch sabrenas
sabrenauder, sabre nasser.
Sabouler, sac-bouler, hiesse „sackkugeln," wie in einem Sack herum-
schleudern, so dass Alles durcheinandergerät h und der Gezauste, besonders
was die Frisur anlangt, wie aus einem Sack wieder zum Vorschein zu kommen
scheint. Das Bild ist etwas dei-b, aber nicht unpassend oder unrichtig.
Mit sabrenas ist nicht so leicht fertig zu werden, wiewohl mir auch
hier die Zusammensetzung mit sac unzweifelhaft erscheint. Ist brenauld
brenaldus , welches Wort für sabrenauder vorauszusetzen wäre, und
bren asser brenaceare, wovon dann sabre nasser und sabrenas (brenaceus),
und heissen die Simplicia »Schmierer" und „schmieren," so hiessen die Com-
posita „Saekschmierer" und „sackschmieren." Die ursprüngliche Bedeutung
von brau ist wohl nicht die höchst untläthige, welche es heutzutage hat
]26 Miscellen.
sondern überhaupt „Abfall, Auswurf, Kleie u. s. w." Nehmen wir nun ein
sac-bran, das zu Grunde läge, an, so würden sich die Ausdrücke durch
das schmutzige Sackgerülle, welches sich auf dem Boden des Sackes zu
bilden pflegt, erklären lassen, und ein sabrenas etwa Einer sein, der, wie
sich der Sackdreck durch längeres Liegen und Nichtgebrauchen oder Nicht-
reinigen des Sackes bildet, so auf .Reinlichkeit Nichts gibt und Alles mit
„bis dirty fingers" anfasst und besudelt, etwa ein „Sackdreckfink." Auch
dieser Ausdruck ist derb und stark, wie Volksausdrücke zu sein pflegen;
der einfache „Dreckfink" wollte es noch nicht thun. Die Bedeutung „Pfu-
scher" wäre dann die abgeleitete, da Schmierer und Sudler das Schöne an
den Sachen verderben und diese somit selbst auch, so dass sie nicht gern
gebraucht werden. Ueberhaupt werden Säcke hin und her auf dem Boden
geschoben und geworfen und dabei leicht schmutzig; der sabrenas kann
also auch überhaupt Einer sein, der mit Allem, wie mit Säcken, umzugehen
pflegt oder so schmutzig wie ein Sack ist (kohlen- sackschmutzig). Jedoch
ist die Zurückführung auf ein sabran (sac-bran) bei sabrenas wohl mehr
zu empfehlen; ein sabreneux kommt nicht vor.
Siegen. Dr. Langensiepen.
Zu Herder. Im Neuen Rhein. Mus. f. Phil. N. F. 1860. XV, 158 fgg.
hat Prof. Bernäys einen kleinen Aufsatz: „Herder und Hyginus" veröffentlicht.
Es enthält derselbe die Entdeckung, dass das schöne Gedicht Herders:
„Das Kind der Sorge," welches beginnt: „Einst sass am murmelnden Strome
die Sorge nieder und sann," ohne die geringste sachliche Zuthat aus der
220. Fabel des Hyginus entlehnt ist. Wie die Vergleichung lehrt, sind die
geringen Abweichungen von den lateinischen Worten als poetische Ver-
besserungen anzuerkennen. Hygin bat eine griechische Urquelle nicht be-
nutzt, aber die Allegorie ist von einem griechisch Redenden erdacht, denn
in dem Begriffe der lateinischen Cura liegt nicht das, was die Hauptpointe
der Fabel ausmacht, die Hinweisung auf das träumerische Sinnen, sondern in
der griechischen <pQovxis, der Tochter der Kalliope. —
Bibliographischer Anzeiger.
Allgemeines.
Ueber die Sprache und ihr Verhältniss zur Psychologie. (Freiburg i. Br.,
Herder.) 9 Sgr.
Lexicographie.
D. Sanders, Wörterbuch der deutschen Sprache. 12. Lfrg. (Leipzig,
0. Wigand.) 20 Sgr.
P. F. L. Hoffmann, Neuestes Wörterbuch nach dem Standpunkte ihrer
heutigen Ausbildung. (Leipzig, Brandstetter.) lx/6 Thlr.
W. Hoffmann, Vollst. Wörterbuch der deutschen Sprache. 58 — 60 Lfrg.
1. Lfrg. (Leipzig, Dürr.) 7y2 Sgr.
Thibaut, Dictionnaire, francais-allemand et allemand-francais. — Voll-
ständiges deutsch -französisches und französisch- deutsches Wörterbuch.
3G. gänzl. umgearb. u. verm. Aufl. (Braunschweig, Westermann.) 2 Thlr.
Mole, A., Dictionnaire nouveau Franc. -Allemand et Alleniand- Francais.
Neues Wörterbuch der französischen und deutschen Sprache. 2 Bände.
18. Stereotyp -Ausgabe. (Braunschweig, Westermann.) 2 Thlr.
— — Nouveau dictionnaire de poche Francais- Allem, et Allem. -Franc.
a l'usage des ecoles. — Neues Taschenwörterbuch der französischen und
deutschen Sprache zum Schulgebrauch. 2 Bde. 18. Stereotyp -Ausgabe.
(Braunschweig, Westermann.) 1 Thlr.
Grammatik.
F. Diez, Grammatik der romanischen Sprache. 3 ' Tbl. 2. Ausgabe.
(Bonn, Weber.) 2% Thlr.
Hilfsbücher.
A. Treu, Die deutsche Sprachlehre als Grundlage zur Stylistik. (Coesfeld,
Wittneven Sohn.) 15 Sgr.
C. Voss, Dictirstoffmagazin für d. orthograph. Unterricht. (Leipzig,
Gräbner.) 71/., Sgr.
G.A.Winter, Stylistisches Aufgabenmagazin (flu Mittelklassen). (Leipzig,
Wöller.) 5 Sgr.
H. Reiser, Die Stylschule. 1. Bdchn. (Stuttgart, Hallberger.) 16 Sgr.
W. Käst ein, Deutscher Dichtergarten. (Stade, Steudel.) 10 Sgr.
J. A. F. Schier hörn, Deutsches Lesebuch. Obere Stufe. (Brandenburg,
Müller.) 15 Sgr.
H. Viehoff, Deutsches Lesebuch für die unteren Classen höherer Lehr-
anstalten. (Braunschweig, Westermann.) l^Va Sgr.
- für die mittleren Classen höherer Lehranstalten. (Braunschweig,
Westermann.) 221/a Sgr.
128 Bibliographischer Anzeiger.
P. Frank, Handbüchlein der deutschen Literaturgeschichte. (Leipzig,
Merseburger.) 10 Sgr.
Brentano, Deutsche Grammatik und Stilübungen. 2. Curs. (Nürnberg,
Schmid.) 10 Sgr.
J. A. C. Burkhardt, Systematische Darstellung der Eigeuthümlichkeiten
der franz. Sprache. 1. Thl. (Teschen, Prochaska.) 20 Sgr.
P. Senechante, Tabellarische Uebersicht der Zeitwörter der franz. Sprache.
(Düren, Gislason.) 11/.i Sgr.
A. Nicard, Französische Sprachlehre. (Prag, Credner.) 1 Thlr. 18 Sgr.
M. Selig, Wanderungen durch Paris. Deutsch - franz. - engl. Gespräche.
(Berlin.) 10 Sgr.
Heinsius, Deutsch -engl.- franz. Conversationsbuch. 2. Aufl. Herausgegeben
v. A. Albrecht. (Leipzig, Gräbner.) 15 Sgr.
Methode pour apprendre sans maitre la langue allemande. p. Hertl-Gau-
chuz. (Paris, Leipzig, E. H. Mayer.) 1 Thlr. 7l/2 Sgr.
Roller und Assfahl, Uebungsstücke zum Uebersetzen aus dem Deutschen
ins Französische. (Heilbronn, Scheurlen.) 1xI<l Sgr.
C. A. Pajeken, Grammatik der spanischen Sprache. 1. theoretischer Theil.
(Bremen, Kühtmann & Comp.) 24 Sgr.
I. Wiggers', Grammatik der spanischen Sprache. (Leipzig, Brockhaus.)
iy2 Thlr.
Goldsmith, Oliver, the Vicar of Wakeneid, a tale. Nach Walter Scotts
verbessertem Texte durchgängig accentuirt. Nebst sacherklärenden
Noten und einem vollständigen Wörterbuche mit der Aussprache nach
J. Walker, St. Jones u. Will. Perry. Bearbeitet von Ch. H. Plessner.
10. Aufl. Stereotyp -Ausgabe, geh. (Braunschweig, Westermann.) 10 Sgr.
Literatur.
J. Haupt, Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften.
1. Die Legende von der heil. Maria Magdalena. (Wien, Gerold.) 4 Sgr.
H. Haas, Die Nibelungen in ihren Beziehungen zur Geschichte des Mittel-
alters. (Erlangen, Bläsing.) 20 Sgr.
J. Saupe, Die Macht des deutschen Kirchengesangs in der Geschichte
evangel. Kernlieder dargelegt. (Zwickau, Volksschriften -Verein.) 6 Sgr.
J. Kehr ein, Katholische Kirchenlieder, ; Hymnen, Psalmen. (Würzburg,
Stahel.) 22/3 Thlr.
G. Schwab, Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf unsere Tage. 2. Aufl.
3 Bände. (Stuttgart, Liesching.) 3 Thlr.
J. Scherr, Schiller und seine Zeit. 2. Aufl. (Leipzig, O. Wigand.) 1 Thlr.
P. J. Geyer, Studien über die tragische Kunst. 1. die aristotel. Katharsis
erklärt und auf Shakspeare und Sophokles angewandt. (Leipzig, Weigel.)
9 Sgr.
Les anciens poetes de la France publ. p. M. F. Guessard. T. V. Huon de
Bordeaux. (Paris, Franck.) 1 Thlr. 20 Sgr.
Merlin, L'enchanteur , par Edgar Quinet. 2 vols. (Paris, Leipzig, Dürr.)
3 Thlr. 22i/2 Sgr.
Theodore Aubanel, La Miougrano entreduberto. (Avignon, Leipzig,
Brockhaus.) 1 Thlr. 5 Sgr.
Lis Oubreto de Roumanille. (Avignon, Leipzig, Brockhaus.) 1 Thlr. 5 Sgr.
F. Eberty, W'alter Scott. Ein Lebensbild. (Breslau, Trewendt.) 2 Bände.
3 Thlr.
A. C. Cassani, Saggio di proverbi Triestini. (Triest, Coen.) 12 Sgr.
Antologia Espanola, Coleccion de piezas sacadas del teatro antiguo por
Don Carlos de Ochoa. (Paris, Leipzig, A. Dürr.) 1 Thlr. 7x/2 Sgr.
Deutsche Sprichwörter
auf biblischem gründe.
Als anhang zu den von mir im anfange dieses Jahres heraus-
gegebenen „biblischen Sprichwörtern der deutschen spräche
(Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht)" gebe ich hier eine
kleine Sammlung von deutschen Sprichwörtern, sprichwörtlichen
redensarten und ausdrücken , die nicht unmittelbar der heiligen
schrift entnommen , deren Ursprung jedoch auf dieselbe zurück-
zuführen ist. Bemerkenswerth ist bei mehreren derselben eine
gewisse hinneigung zum scherz und zum witz, ganz wie es des
deutschen Sprichwortes art und weise ist.
1) Adam iss. (genes. 3, 6) Agric. 746: „daher es noch hewtigs
tages kompt, dass die menner thun müssen, was die weiber wollen."
Eiselein 8.
2) der alte Adam lebt noch. Geiler. Eiselein 8. Luther
im kleinen katechismus erklärt im hauptstück von der taufe: „es be-
deutet, dass der alte adam in uns durch tägliche reue und busse soll
ersäufet werden."
3) es ist Adam's rhetorik die schuld auf andere
schieben, (genes. 3, 12). — Lehm. flor. Eiselein 8. in einem frag-
ment des Waltharius, Grimm VI, 36 heisst es: „O nimis infide, cur sie
mentire super me? exemplaris Adam, qui culpam vertit in Evam."
4) Adam's kinder sind Adam gleich. Körte 37.
5) Adam sündigt im paradies, Lucifer im himmel.
Körte 36. (vgl. unten nr. 65.)
6) wir sind alle Adam's kinder. Parciv. 82, 17: „wan si
sint mir alle sippe von dem Adämes rippe." liedeis. 187, 89: „wir
Archiv f. n. Sprachen. XXVIU. (J
130 Deutsche Sprichwörter
komen von adame." sassenkron. (Scheller) 5, 1: „we sind alle'Adames
kind, nä des fleisches ärd gesind." Eschenl. bresl. stadtg. II, 294:
„gedenke, dass alle menschen einen ersten anhebenden vater gehabt
haben." Wittenw. ring 44, 16: „war aus sein die fürsten gmacht?
von wannen chümpt die herschaft ? sein seu nicht alz wol sam wir
Adams kinder? daz sag mir! trauwen , sprach do Riffian, ez ist wol
war, daz yederman chomen ist von Adams leib und von Evan, seinem
weib."
7) von Adam und Eva beginnen, volksmund. Eisel. 9. ab
ovo incipere. ano yQafifirig ciqisg&ui. Erasm.
8a) Adam muss eine Eva han, die er zeiht was er ge-
than. (genes. 3, 12.) Franck 121 b. Lehm. II, 32. Simr. 75.
8b) das seind die feigenbletterAde, dass ers die Eva
zeihet (vnnd sich mit ihremvnflat vnnd dreck wil waschen
vnnd rein machen) Franck 8a. Eisel. 8.
9) so lange als Adam und Eva im paradiese. (genes. 2,
8.) d. i. sie haben das glück nicht lange genossen. Zehner 703.
10) keiner der nicht nach Adam schmecke und der
Eva Unterröcke. Lehm. flor. Eisel. 8. Simrock 77.
11) Adam und Eva den apfel äz:
so entgulte ich des ich nie genäz. (genes. 3, 6.)
Wernher. Martina 119 c. 67 heisst es: „von eines mensch in ger kam die
sünde alher uon erst in aldie weit. — ach we vnd frovde selten, daz
wir nv muozen gelten, des wir doch nie enbizzen." dazu stellt sich ein
Sprichwort bei Simrock 2077: „mancher muss entgelten, was er nie
genossen hat," welches auch Agric. 592, Frank 18 a. und Lehm. I,
179 kennen, derselbe gedanke liegt in den Worten: „ob textoris erratum
sartor vapulavit."
12) als Adam hackt' und Eva spann,
wer war da der edelmann? (genes. 3, 17 — 19.)
ebenso niederländisch aus dem 16. j. (bei Mone, niederl. litterat. 310):
„doe Adam groef ende Eva span, waer was do der edelman." bei
Haussier II. Martin. I, 466: „liue Jacob, so berecht mi: of dat volk
al comen si van den ersten Adame, twi es deen edel, dan der vri, die
derde eyghin man daer bi? wannen quam desen name?" und in einem
niederdeutschen Schauspiele (Schönemann 1855) räth Adam der Eva:
„wy wilt ein hantgebär beginnen, ek wil hacken, du scalt spinnen."
Fugger erzählt in seinem ehrenspiegel, dass kaiser Maximilian I. unter
auf biblischem grün de. 131
diese worte, die jemand zur Verspottung der forschungen über das alter
des kaiserlichen Stammbaumes auf eine wand der bürg zu Nürnberg
geschrieben hatte, die schönen worte setzte: „ich bin ein mann wie
ander mann, wan dass mir gott der eren gann." Agric. I, 264. II, 384.
Lehm. II, 4. bair. sprich w. I, 14. Körte 38. Eisel. 8. Simr. 74.
13) goldene äpfel in Silbernen körben, volksmund nach
proverb. 25, 11. Eisel. 33.
14) ärzte seind unseres herrgotts menschenflicker.
Lehm. I, 48 nach ecclstcus. 10, 10: „und wenn der arzt schon lange
daran flicket." Eisel. 42. Simr. 596.
15) baalspfaffen. II reg. 10. vor geld fallen Baalsbrüder
wie vor dem goldnen kalbe nieder. Eisel. 50. und nach ihm
Simr. 674.
16) wer für den andern bitt', erlöst sich damit, das
sprichw. wird in den alten quellen vielfach als biblisch bezeichnet, ich
weiss es aber nur auf I Timoth. 2, 1. und Jacob. 5, 16. zu beziehen,
so heisst es in einer predigt des 13. j. (fundgr. I, 114, 4): want div
heiige scrift div sprichet: qui pro alio orat, se ipsum liberat, der umbe
den andern pittet, der wert sich selben. Hartmann im arm. Heinrich 26
gibt es als Sprichwort: „man seit, er si sin selbes böte unde erloese
sich da mite, swer über des andern schulde bite," ebenso im Gregorius
3400 : „wir haben daz von sime geböte, swer umbe den sündaere bite,
da loes er sich selben mite, auch Fridank kennt das Sprichwort 39, 18.
„merket, swer vür den andern bite, sich selben loeset er da mite/4
Wigalois 212, 18: „im selben er saelde koufet, swer umbe den andern
vrumt gebet."' in breiterer fassung im Titurel 1071: „swer so den
andern meinet, daz er vür in bitet got mit riuwe, da mit so wirt sin
selbes phant gevriet unt ouch sins ebenkristen.'" im grossen passional
III, 591 liegt ebenfalls dieser spruch zu gründe: „ob mir ist die ge-
wonheit bi, daz ich vur iemanne bite, den mit leidem ubertrite ver-
stricket hat der herte knote, oder vur den, der die stat bi gote im zu
gemach entpfangen hat, daz gibet vil ebene gat uf min gelucke z'aller
vrist." und noch einmal im renner 24: „wanne geschriben stat, swer
für des andern schulde bite, sein selbes sele lose er da mite und tilge
ouch sein missethat.'1' Eiselein 556. Simrock 1115: „wer für den andern
bittet, erlöst sich selbst. "
17) das buch der vier könige aufschlagen, volksmund,
s. v. a. das kartenspiel zur hand nehmen. Eiselein 100.
9*
132 Deutsche Sprichwörter
18) drei buchstaben machen uns eigen und frei (Eva,
Ave), schon die heilige schrift betrachtet Adam und Kristus als scharfe
gegensätze, wie deutsche dichter Eva und (die vom engel mit „Ave"
angeredete) Maria, vgl. Otfrid V, 8, 47 ff. Roswitha, beat. virg. : „quae
pariens mundo restaurasti pia virgo vitam, quam virgo perdiderat vetula."
die durch ein weib in die weit gekommene Sündhaftigkeit und ihre er-
lösung ist dem frauenehrenden mittelalter häufig gegenständ religiöser
betrachtung. so heisst es in dem alten lobliede auf die jungfr. Maria 10:
(fundgr. II, 142 ff.): „Eva bräht uns zwisken tot: der eine ienoch
richsenöt. du bist daz ander wib diu uns brahte den lib. der tiufel ge-
riet daz mort: Gabrihel chunte dir daz gotes wort: sancta Maria!"
ebenso werden knechtschaft (scalcheit) und freiheit (fritum) einander
entgegengesetzt in der litanei aus dem 12. j. (Massmann 316 — 328):
„alse der tot wart braht aller der werlde uon einem wibe, also moste
vns zv deme ewigen libe ein magit wider brengin. — eva brahte den
tot, dv kuninginne daz leben, si den fluch, dv den segen. si daz armote,
dv den richtum, si di scalcheit, dv den fritum." — und in einem ähn-
lichen liede bei Wackernagel (273): „frouwe, du hast virsuonit daz
Eva zirstörte," oder wie es eine predigt des 14. j. (101, 20) ausdrückt:
„deme slangen dem Eva gehorsam was, deme zvtrat Maria sin hovbet."
das sprichwörtliche anagramm (Eva — Ave) kehrt später oft wieder
z. b. anegenge 35, besonders aber bei den minnesängern , vgl. v. d.
Hagen III, 35, 12. Konr. gold. schmiede 346: „an gabrieles gruze;
der ist ir bester underbint an im drei buchstaben sint; so wir die lesen
vur sich dan, so vinde wir geschriben dran: Aue, der neven schrift
wort, so wir hinden an daz ort grifen unde her wider lesen; so muoz
daran gebildet wesen: Eua, der namen virne." unser Sprichwort findet
sich zuerst vollständig im Renner 138: „Eva des ersten wibes nam
braht uns in sunde und in schäm, daz hinder wart her vur gekert, da
von wart unser heil gemert. aue, daz vil suzze wort, braht vns aller
frevden hört, Eva braht vns in den tot, da half vns ave aus der not.
aue, sant Marien gruz, mache uns aller swere buz, dirre buchstaben
sind nur dri, die machten vns eigen vnd fri." — Agricola I, 742 und
II, 280 entnahm es ohne zweifei dieser stelle und setzt erläuternd hinzu :
„Heva hat drey buchstaben. Aue, daz der engel zu Maria bracht, da
sie gottes mutter werden solt, hat auch drey." von späteren Sammlern
kennen es Gruter flor. I, 22. Eiselein 125. Körte 765. Simrock 1382.
19) von Dan bis Bersaba, volksmund nach judic. 22, 1. s.
auf biblischem gründe. 133
v. a. von einer grenze bis zur andern, im ganzen lande, bekanntlich
war Dan die nördliche, Bersaba die südliche grenzstadt Palästina's.
Eiselein 111.
20) als David kam ins alter, da sang er fromme psal-
ter. Simrock nr. 243. nach Eiselein 112 angeblich im volksmunde.
Körte nr. 828.
21) nach Elia kömpt ein Elisa (Elisa Eliae successor).
I reg. 19, 21. II reg. 3, 11. Sprichwort nach Zehner 753.
22) steh Ephraim, besinne dich, du eilst in dein ver-
derben, so lautet der im ernst und scherz als Sprichwort gebrauchte
anfang eines kirchenliedes. Eiselein 146. Körte nr. 1122.
23) was die erde giebt, das nimmt sie wieder. Simrock.
nr. 2103. anlehnend an genesis 3, 19.
24) das ist kein evangelium, was er sagt, volksmund
nach Eiselein 156. ebenso heisst es in einem altniederländischen ge-
dichte, (bei Kaussler II.) rose 11229: en sijn niet ewangelien al, dat
men seit ende segghen sal.
25) und wenn es auch das evangelium sagte, ebenda?.
Eiselein erinnert passend anPlutarch: tovto fiev ovde Kärcovog Xf'yoi'tog
nifturöv ianv (istuc incredibile est, etiamsi dicat Cato). Erasmus.
26) was achten wir des Johannis segen, so man das
evangelium Matthaei list! Eiselein 156 aus Fischart.
27) fische fängt man mit angeln, leute mit Worten,
bei Lehmann flor. I. und daraus bei Eiselein 171 und Simrock nr. 2479
nach Matth. 4, 19.
28) folge, so bist du selig, nach Matth. 19, 27 ff. Simrock
nr. 2577. Körte nr. 1463.
29) verbotne frucht schmeckt am besten, an die sage
vom sündenfall erinnernd, bair. spr. II, 172. Körte nr. 1634. Simrock
nr. 2852.
30) fühlen lehrt glauben. Gruter II, 52. Simrock nr. 2900.
nach Joh. 20, 25.
31) der glaube macht selig. Eiselein 240. Körte nr. 2177.
Simrock nr. 3663, auch mit dem zusatze „der tod macht stön-ig."-
jedenfalls nach Marci 16, 16.
32) glaube, wenn du's in derhand hast, vielleicht aus einer
quelle mit nr. 30. Simrock nr. 3675, und Eiselein 240 aus Lehm.
134 Deutsche Sprichwörter
floril. I. hierher gehört auch aus Brants narrensch. „den glauben legen
sie ihm in die hant."
33) wer nicht glauben will, soll fühlen, frauenlist (Co-
locz. cod.) 613: „unde geloube nimmer me, waz du sihst, du griffest
ez e." bair. sprichw. II, 143: „was man nicht greifen kann, muss man
glauben" ist wol weniger hierher zu stellen.
34) gott lässt uns wol sinken, aber nicht ertrinken.
Matth. 14, 30. 31. in einer predigt Nicol. v. Strassburg (Mone VIT, 278)
heisst es: „unser herre lies s. Petern wol sinken uf dem mer, er lies in
aber nüt ertrinken." ebenso bei Rosenplut, krieg v. Nürnberg: „got
blickt awss seiner barrhüng zynnen vnd lest das schiff der frumen sin-
cken, das es einen smalen portt gewynnt, vnd lest es doch nicht gar
ertrinken; Franck 82b. G ruter I, 45. ähnlich in Hillebr. bilderschatz
22: „last gott gleich das schifflein sincken , last ers doch nicht gar er-
trinken, bair. sprichw. I, 203. Luther bei Eiselein 250. Körte nr.
2321. Simrock nr. 3851.
35) der mensch pflanzt, gott aber giebt dasgedeihen.
I. Corinth. 3, 6. Simrock nr. 7900a. bietet: „wenn gott das gedeihen
nicht giebt, so hilft unser pflanzen und wässern nicht.
36) gott ist mit im schiffe. Agricola I, 29 sagt: ich halt,
das diss Sprichwort herkomme aus dem geschichte, das der Evangelist
Matthäus (8, 23) schreibt, da Christus mit seinen aposteln auff dem
meer war vnd schlieff. bei Zehner 761. Petri schifflein ist gleichbedeutend
mit der römischen kirche, s. unten nr. 104. Eiselein 249. Simrock
nr. 3868.
37) wen gott am liebsten hat, den führt er jung heim,
sap. 4, 7. 10. 14. Konr. v. Würzb. (v. d. H. III, 32, 7) singt: „daz
die milten alse vrüeje sterbent , daz geschiht davon , daz ir alze kume
got in himels rüme wil enbern ze stetem ingesinde. lange lät er si nicht
leben nf erden." Franck 145 a. Gruter I, 75. Körte nr. 2373. Sim-
rock nr. 2997. so sagt auch Plautus „quem dii amant juvenis moritur,
dum valet, sentit, sapit." proverb. illustr. 194.
38) also hat gott die weit geliebt — und der pfaff
seine Köchin. Joh. 3, 16. mit einem scherzhaften trugschlusse.
Eiselein 254. Simrock nr. 4015.
39) wer gott liebt, ehrt auch seine boten. Joh. 5, 23.
Luc. 10, 16. Eiselein 248. 253. Körte nr. 2342. Simrock nr. 3985.
Bebel: „qui deum diligit, huic grati sunt et nuntii ejus.
auf biblischem gründe. 135
40) es ist etwas grosses, gottes wort und ein stück
brot haben. Matth. 4, 4. Simrock nr. 4013.
41) wenn gott will, macht er auch aus feinden freunde,
prov. 16, 7. Schottel, v. d. teutschen haubtsprach.
42) wie gott den men sehen findet, darnach er ihn
gesindet, (tze himmel oder tze helle), hat uns di heilig schrift gesait,
sagt Snchenwirt xxx, 45. und im lieders. 64, 71: jeder mensch nach
siner tat hat jn jener weit ain stat. nach Rom. 2, 6: welcher geben
wird einem jeglichen nach seinen werken ect. zu welcher stelle man das
gleichniss Matth. 13. und folgende stellen der schrift halten möge:
Jerem. 17, 10. ps. 62, 13. Matth. 16, 27. I Corinth. 3, 8. II, 5, 10.
Eiselein 251.
43) über des gottlosen haus streut gott schwefel aus.
genes. 19, 24. Simrock 3930.
44) gute und böse müsssen unter einander sein, wahr-
scheinlich nach Matth. 13, 24 — 30. 36 — 43, wenigstens heisst es in
einer predigt des 13. j. (fundgr. I, 126:) die guten unde die ubeln sin
unter ein ander, die wile unde disiv werlt stet, daz saget uns das heilige
euangelium. Agricola II, 335.
45) das dank euch Herodes. volksmund nach Eiselein 301.
Günther: Herodes dank euch für das lied, s. v. a. der teufel.
46) er sieht w ieHerodesz um fenster heraus. Eiselein 301.
47) arm wie Hiob. lob 17, 6,
48) Hiobs plage war ein böses weib. Eiselein 313. Sim-
rock nr. 4766.
49) die Hiobspost kommt nach. lob 1, 14. Eis. 313.
Simr. nr. 4767.
50) der weg zum himmel geht durch kreuzdorn. Sim-
rock nr. 4747. Eiselein 311, erinnernd an Kristi kreuzestud und
himmelfahrt. ähnlich im englischen : the way to heaven is by vveeping
cross.
51) an höfen giebt es mehr Achitophel als Josephe.
II Samuel. 17, 7. genes. 41, 33 — 36. Ahitophel gab Absalom den
unklugen ratli , David nächtlich zu überfallen; Joseph dem Pharao den
klugen rath, Egypten durch erbauung von kornhäusern vor der hungers-
noth zu schützen. Simrock nr. 4809.
52) betrug hat Jacobs stimme undEsaus hand. s. bibl.
sprichw. nr. 5. Lehm. flor. I, 91. Simrock nr. 1002.
136 Deutsche Sprichwörter
53) das ist der alte Jacob, 8. v. a. Schlendrian, anlehnend
an genes. 43, 27. 45, 3. Körte nr. 3106.
54) lieber bruder Jesu, zu Jerusalem empfing man
dich schön, wieerging es dir aber hernach. Matth. 21. Agri-
cola I, 283 läset diese worte den narren des bischofs von Bamberg
sagen , als die dem bischofe vorher feindlichen Nürnberger ihm ihre
reverenz machen. Eiselein 348, Simrock nr. 5232.
55) ins thal Josaphat laden. Joel 3, 7. 17. (II Krön. 20.)
Pauli, schimpf u. ernst CXVI. Eiselein 349. s. v. a. dem untergange
weihen.
56) so keusch wie Joseph. Josepho castior. genes. 39. Eras-
mus bietet als sprichwörtliche vergleiche (II, 10, 13:) Melanione ca-
stiores. Hippolyto, Bellerophonte castior. Zehner 716.
57) wenn der rechte Joseph kommt, sagt Maria ja.
Matth. 1, 18. Simrock nr. 8248.
58) arm und fromm war nur bei Joseph im stall. Luc.
2, 7. Lehm. flor. I, 43; Simrock nr. 468. Eiselein 38. Alcaeus singt:
mvtXQos ovfttnoi ia&Xog.
59) Judaskuss ist worden neu, fürt gute wort, hält
übel treu. Luc. 22, 48. dass des Judas kuss sprichwörtlich wurde,
sagt schon Wolfram, Parcival 634, 19: daz was ein kus den Judas
truoc, da von man sprichet noch genuoc. in einem geistlichen gedichte
(bei Schade — Anseimus 249) heisst es: kristenheit, ir sult wizen alle
gewis , dat noch manic Judas is , der dae spricht sueze rede ind doch
wenich goits- meint dair mede. obigen sprach bietet Rollenhagen,
froschm., und ähnlich lautet ein sprach des 16. j. (bei Mone VII, 501):
Judas kus ist worden neu , guete wort und falsche treu , lach mich an
und gib mich hin, das ist ytzundt der weit sin. Lange ad ag. 479 ver-
zeichnet „ein Judaskuss geben." Eiselein 350. Zehner 772.
60) traue keinem judaskuss, fremdem hund und
pferdefuss. Eiselein 350. Körte 3197. Luther VII, 242 sagt:
wer nicht weiss, was da heisst oscnlum Judae, Judaskuss, der lese mit
mir die historien Arii unter Constantino, so wird er sagen müssen,
dass Arius weit vber Judas gewesen ist. Zehner ad ag. 772.
61) er ist ein mann, wie Judas ein apostel. volksmund.
Eiselein 350.
62) unangenehmer, als Judas in der passion. Körte
nr. 3196.
auf biblischem Grunde. 137
63) waere Judas zwier getauft, er hätte doch den
herrn verkauft, ähnlich sagt Reinrn. v. Zweter: Jesus krist, den
e die Juden verkouften , waer er hie an erde , ich waene die getouften
Juden ihn noch verkouften sumeliche. und Hug. v. Trimbg. renner
14277: vnd wurde Judas zwirnt getavft, dennoch het er got verkavft.
Sirnrock nr. 5*262.
64) um Judas willen sol man Kristum und die apostel
nicht lestern. Luther. Zehner 763.
65) jedermann befolgt des Judas regel: was wollet
ihr geben mir. Lehmann flor. I. Eiselein 211.
66) Judas reu. (poenitentia Judae) Matth. 27, 3 — 5. gemeint
ist die zur Verzweiflung führende busse. Zehner 775.
67) kommst du ans kreuz, so tränkt man dich mit essig
und gallen. Matth. 27, 48. nach Lehmann bei Eiselein 396. Simrock
nr. 5948.
68) jeder meint er habe das grösste kreuz. Matth. 27, 32.
Simrock 5940.
69) der schwächste muss das kreuz tragen, nach der-
selben biblischen stelle. Simrock nr. 5941.
70) das kreuz gefasst ist halbe last. Franck 6a. Gruter I,
10. Simrock nr. 5943. in ähnlicher fassung Fi*. 6 a. Gruter II, 13.
Simrock 5944. und bei Lehm. flor. I, 286: das kreutz recht fassen,
so ists desto gedultiger zu tragen.
71) kreuz ist nicht bös, wenn mans nur fassen und
tragen kann. Franck 58a. Simrock nr. 5945. Gruter II, 13.
72) andrer leute kreuz lehrt das eigne tragen. Franck
177 a. Gruter I, 5. Simrock nr. 5946.
73) es sind viele, die mit dem kreuz gehen, aberwenig
kreuzträger. Simrock nr. 5951. Lehm. flor. I, 83: die leut seynd
Simons von Kyrene geschlechts, niemand trägt gern gottes kreutz, man
zwing jhn denn dazu.
74) Krethi und Plethi II reg. sprichwörtlich s. v. a. allerlei
leute, hohe und niedere, ursprünglich leibwache und tross bezeichnend.
Eiselein 109.
75) als Kristus allein war, versuchte ihn der teufel.
Matth. 4. Eiselein 107. Körte nr. 804. Simrock nr. 131.
76) Kristus wird noch täglich gekreuzigt. Simrock nr.
1445.
U8 Deutsche Sprichwörter
77) Kristus ist unser fleisch und wir sein gebein.
Ephes. 5, 30 und Joh. 6, 51 — 59. Hugo, Martina 45 d. 99: daz
hovbit ist der süeze crist, uon dem wir lebin alle frist, so sin wir cristen
oh her wider alle sament sinv lider. Simrock nr. 1447.
78) was nicht nimmt Kristus, das nimmt fiscus, Matth.
22, 17. Luther IV, 480: quod non tollit Christus, tollit fiscus. Eiselein
107. Körte nr. 803. Simrock nr. 1452. Zehner 770.
79) die wirte haben alle Christo den list abgelernt,
us wasser win zu machen. Joh. 2, 9. Bebel. Eiselein 107.
80) Kristus las st wol sinken aber nicht ertrinken. Matth.
14, 30. vergl. oben 34. Simrock nr. 1446.
81) wer Kristo nachfolgt, der kommt an den galgen.
Matth. 10, 38. Simrock nr. 1442.
82) Kristus hat viel diener aber wenig nachfolger.
Simrock nr. 1441.
83) Kristus hatte kein glück auff erden. Gruter I, 9.
84) Kristen sind dünn gesäet, jedenfalls nach dem gleich-
nis vom säemann (Matth. 13). Franck 101b. 121a. Gruter I, 9.
Simrock nr. 1443.
85) so arm wie Lazarus. Luc. 16, 19. Iro seu Codro pau-
perior. Ovid. Zehner 770. Eiselein 413.
86) einem die leviten lesen. Eiselein 422. Körte nr. 3839.
s. v. a. einem sagen , was er zu thun oder zu lassen hat , ihn auf das
gesetz (über leviticus) verweisen.
87) ein gutes licht brennt den scheffel durch, bair.
sprich w. I, 116. Matth. 5, 15.
88) Lucas schreibt nicht also. Agricola I, 422: hie durch
wirt angezeygt, das S. Lucas Euangelion, welches S. Paul, der He)'den
Apostel, sein Euangelion nennet, vnder den Deutschen etwan alleyn ist
bekant gewesen. — also haben die Deutschen die geschrifft Luce jrs
Euangelisten fest gehalten, vnd für ein warheyt, vnd wann sie jemandt
wollen seine wort verlegen vnd höfflich verwerffen , haben sie gesagt :
Lucas schreibt nit also, es wirt sich anders finden. Eiselein 438.
Simrock nr. 6622.
89) es geht heimlich zu, st. Lucas schreibt nicht viel
davon. Körte nr. 3954. Simrock nr. 6623. gleich dem vorigen.
90) alte marksteine solt du nit verrücken. Lehm,
floril. I, 315 nach proverb. 23, 10. Eiselein 19.
auf biblischem gründe. 139
91) die marterwoch lass still vergehn, dein heiland
wird schon auferstehn. Körte nr. 4135. Simrock nr. 6840.
92) nach der marterwoch kommt ostertag. Franck 175a,
Lehm. flor. I, 79. Gruter II, 78. Simrock nr. 6839.
93) geschäftig wie Martha. Luc. 10, 40. 41. Zehner 769.
Eiselein 452.
94) es ist Matthaei am letzten, volksmund, jedenfalls nach
Luthers kleinem katechismus: „unser herr Jesus Kristus Matthaei am
letzten spricht" — . Eiselein 454. so singt Bürger in den weibern von
weinsberg": „doch wenns Matthä am letzten ist, so rettet oft noch
weiberlist."
95) sprich mit Mosen, wenn Aaron den schnupfen hat.
exodus 4, 10 — 16. s. v. a. bleib mir vom leibe, mein schnupfen könnte
dich anstecken ! man gebraucht das Sprichwort, wenn ein vorlauter viel-
frager und besserwisser einem etwas abfragen will, ebenso holsteinisch:
sprik du Moses, Aaron hett en snöv. Körte nr. 4305. Eiselein 473.
Simrock nr. 7111.
96) wenn man dem volk die ziegel doppelt, so kommt
Moses, exodus 1, 14. als denkspruch : wenn pharao die ziegel doppelt,
vnd das volck .selbst zur arbeit stoppelt, gemeiniglich vmb dieselbe zeit,
sagt man, sey Moses auch nicht weit. Zehner 724. (quum duplicantur
lateres, venit Moses). Eiselein 473. Simrock 7110.
97) Moses mit den hörnern muss man zu ho f setzen,
nicht Kristum. sagt Luther (nach exodus 34, 29) bei Eiselein 315.
s. v. a. nicht liebe soll da regieren, sondern das strenge gesetz.
98) lang mundwerk, schlechter gottesdien st. Matth.
6, 7. Sailers weish. Eiselein 477.
99) die ganze nacht gefischt und nichtsgefangen. Luc.
5, 5. volksmund. Eiselein 484.
100) wer vom ölberg kommt, hat den tod überwunden.
Matth. 26, 30. Simrock nr. 7678.
101) derölbergist schrecklicher als das kreuz. Simrock
nr. 7679. statt „schrecklicher" hat Körte nr. 4648 „schmerzlicher."
102) der ungetreue Peter (infidus et invidus Petrus). Matth.
16, 19. was gleich vnser herr gott gönnet, das vergönnet doch s. Peter
oder der vngetrewe Peter. Zehner 766.
103) Petri Schlüssel flüchtet unter Fetri schwert
Matth. 16, 18 und Joh. 18, 10. Luther. Eiselein 504. Simrock nr. 7741.
140 Deutsche Sprichwörter
104) Petri schifflein. Matth. 8, 23. die kristenheit wurde
unter diesem bilde verstanden, so in einer predigt bei Grieshaber I, 67:
„do schef do da haizet diu hailige cristenhait , " und II, 31: „bi dem
scheffelin ist uns betütet die hailige cristenhait und bi dem mer ist uns
bezaichent diziu weite." im renner Hugos heisst es 23139: „daz cristen
levte trost gemert, daz sant Peters schiffelin leiden muz noch manic
pein, nv sol do von ertrinken niht, swie vil auch leides im geschiht."
das bild begegnet mehrmals bei Brant, narrensch. 261, 200: „das
schifflin schwancket vff dem mer, wann Kristus yetz nit selber wacht,
es ist bald worden vmb vns nacht." 269, 63 klagt er: „s. Peters
schifflin ist jm schwangk, ich sorg gar vast den vntergangk!" —
Luther hofft glaubensvoll: „s. Peters schifflin ist im schwank, doch sorg
nit, dass es Untergang!" — Mencke (script. rer. germ.) II,. 88: illud,
quod papa Pius ejus nominis secundus Turcarum imperatori Mauhemeto
id ipsum conanti et minanti inter alia metrice ut sequitur dixit scripsit-
que: „niteris incassam Petri subvertere navem — fhictuat. at nunquam
mergitur ista ratis. in einer anmerkung hierzu heisst es jedoch: constat
vulgo, hunc versiculum Gregorium IX. potius reposuisse Friderico II
imperatori. in Hiltebrandts bilderschatz ist die schwebende kirche Kristi
abgebildet mit der Unterschrift : ,.jactatur mundi mediis ecclesia in undis :
sed tarnen in portum ducit agetque deus. die kirch treibt hin und her
der nord, so doch gott führt zur ruh und port." Eiselein 504.
105) er weiss noch, dass st. Peter ein schüler war.
Körte nr. 4697.
106) da Petrus gen hof kam, ward er ein schal k. Matth.
26, 75. — , ward ein schalk daraus Agricola I, 282. Zehner 773.
Lehm, floril. I, 390. 860. Franck 39a. Gruter I, 3. — verleugnete
er seinen herrn und meister. volksmund nach Eiselein 315 und Sim-
rock nr. 4821.
107) der hahn Petri krähet, s. v. a. hier ist verrath im spiele,
volksmund. Eiselein 504.
108) man muss Pilato mit dem kaiser dreuen. Job. 19,
12. Lehm, floril. Eiselein 358. Simrock nr. 7928.
109) Pilatus wandert nicht aus der kirche, er richte
zuvor einen lärmen an. Simrock nr. 7927.
110) wie kommt Pilatus ins credo? Gruter I, 56. Simrock
nr. 7929. s v. a. schon mancher wurde auf seltsame weise berühmt,
er ist dazu kommen, wie Pilatus ins credo. Eiselein 512.
auf biblischem gründe. 141
111) man gedenkt seiner, wie des Pilatus im credo.
Agricola I, 633: „des Pilati wird hie gedacht, aber in keinem guten,
des Herostrati gedenkt man auch, aber ebenn wie Pilatus im credo, das
ist, das er hatt übel gethan." Zehner 777 (mentio qualis Pilati in
symbolo). Eiselein 512. Körte nr. 4810. Simrock nr. 7930.
112) sie werden einig wie Pilatus und Herodes wider
Kristum. vergl. oben bibl. sprichw. Luc. 23, 12. Pauli schimpf u.
ernst. Eiselein 512.
113) von Pontius zu Pilatus (eigentlich wol — von Herodes
zu Pilatus) weisen, laufen. Matth. 27, 2. bei Hattemer (II, 524)
ist zu den Worten des symbolum apostolorum „passus sub pontio pilato"
die erklärung gefügt: ziu chit iz pontio unde pilato? ana daz er zeuuene
namen habeta näh romiskemo site. aide iz ist nomen patriae , daz er
föne ponto heizet pontius. Zehner 775: ab Herode ad Pilatum. Geiler
sagt: sie weisen dich von Pontius zu Pilatus, und dass du holest die
zünscher und den Wetzstein uf dem julimarkt, da es zu spät ist. Eiselein
512. Simrock nr. 7931.
114) ein p salter lesen. Keller erzählg. 184, 34: so hebt er
an ein grosses promen vnd spricht: wo bist so lang gewesen? vnd thut
mir dann ain psalter lesen, s. v. a. die leviten, den text, die epistel
lesen, jemanden abkanzeln.
115) den psalter essen. Brant, narrensch, 173, 5: vnd hat
den psaltter gessen schyr. ebenso bietet Eiselein 516: er hat den psalter
gessen schier bis an den vers beatus vir.
116) solche worte stehen im psalter nit (sagt man sprich-
wortsweise, wenn grobe, vnliebliche wort gefallen) Scheraeus misc.
hier. 52.
117) er sitzt wie Rachel auf den götzen mit dem ars.
Luther, nach Eiselein 255. genes. 31, 34.
118) ein krankes röhr, das vom winde bewegt wird,
ein sprichwörtliches gleichnis nach Matth. 11, 7. so bei Kaussler II
(Martijn 721): ghie siet alse tokrancke rißt, dat den winde volget ende
vliet: hu onghestadichede maect hu den onvrede. dasselbe bild in einem
Sprichworte bei Gruter III, 22. (Simrock nr. 12087): die zeit ist un-
stät wie ein röhr, wer ihr vertraut, der ist ein thor.
119) ein reicher und geiziger sind Salomos esel. Agri-
cola I, 507. oder in anderer fassung bei Zehner 751. Simrock nr.
8354: ein karger reicher ist Salomos esel. das Sprichwort scheint von
142 Deutsche Sprichwörter
Agricola herzurühren : „darumb wann Salomon sagt inn seinen' sprächen :
was hat der geytzige von aller seiner arbeyt vnnd mühe, dann angst
vnd not? — so pflege ich einen reichen geitzigen Salomos esel zu
nennen, die weil es jm eben gehet, wie dem esel." Franck 44 b. Tappius
382. Körte nr. 5017.
120) so reich — so weise wie Salomo. salomonische
Weisheit, lieders. Salomon wisheit lerte: Markulf daz verkerte.
Otfr. Salomo der richo ni watto sich gilicho. (I reg. 3, 12). daz man
begunde glichen sinen wistuom Salomöne Erec. 2814. und waeren
wise als der man der Salomon genennet was. livl. reimkron, 28. pru-
dentior hie Salomöne, eebas. 754. so sijn si vroeder dan die wise
Salomon, reinaert 5064. die ob den wisen Salomon mit rehter wisheit
truogen krön. Martin. Hugos 74, 17. bist dv so wise als Salomon
renner 20862. Zehner 751. Eiselein 538.
121) Salomo (selbst dieser weise) ist von einem weibe be-
zwungen. Parcival 289, 16: der minne er muose ir siges jenen, diu
Salmönen ouch betwanc. sprichwörtlich verwiesen die dichter des
mittelalters auf Adam , Simson , David , Absalon , Salomo , Achill,
Aristoteles, Virgil etc. so in Herborts troj. krieg. 11225: wer alle
diese werlt an mich gewant vnd lute vnd lant, die stereke von Samsone,
die schone von Absolone vnd Salomonis wisheit vnd dirre werlde richeit
an silber vnd an golde, vmbe minne ich ez geben wolde, — sagt
Achilles zu Polixene. auch Fridank übergeht den sprichwörtlichen ge-
danken nicht 104, 22: Adam unde Samsön, Davit unde Salomon, die
heten wisheit unde kraft, doch twanc si wibes meisterschaft. Winsbeckin
23, 6. künc Salomon, swie wise er was, ir wart sin herze niht verzigen.
jung. Titurel 1726: so beginnet in die minne vahen, sam sie vienc
Sampsonen vnd Daviten vnd Salomonen den wisen , da die niht minne
mohten an gestriten. gesamt abent. II. 446 : wibes kunst ist ane zil.
daz si vil wol bewaeret: von wiben wart ervaeret Adam unde Samsön,
Davit unde Salomon unde die besten alle, ebenso Suonenburck IV, 11
(Minn. v. d. H.). Konrad troj. kr. 2163 sagt: „was mohte Salomönes
liste gehelfen wider mine kraft," und er nennt weiter David, Adam und
Sampson, wie Hugo (Martina 132 d.) an Adam, David, Salomo und
Sampson erinnert. Lassbergs lieders. I. 10, 1: syd Adam vnd ouch
Samsön, kunig David vnd her Salomon mit listen hant betrogen wip.
ebend. 178, 501: Samsön, Salomon, David mohtent jr gestritten nit.
Ottok. reimkr. 168: (minne betwanc) den weisen Salomon vnd den
auf biblischem gründe. 143
starkchen Samson. der renner (12906) nimmt Fridanks oben angezogene
stelle auf. Boner, edelst. 57, 107: her Adam wart ertoeret, Troje wart
zerstoeret, her Sampson wart erblendet, her Salomön geschendet.
Frauenlob 141: Adam, den ersten menschen, betroug ein wip. Samsones
lip wart durch ein wip geblendet. Davit wart geschendet. her Salomön
ouch gotes richs wart durch ein wip gepfendet. weiter werden Absalon,
Virgilius, Olofern, Aristoteles, Achill, Asahel, Artases, Parcivai genannt.
Otto v. Passau, Belial 153b: wan Adam der erst mensche, Dauid der
heylig, Salomön der weis, Sampson der starck wurden mit frawen über-
wunden, ferner in dem niederländischen gedichte Martijn (Kaussler II,
II, 222): wat machte hadde Samsoen, of Dauid, of Salomoen ieghen
die cracht van minnen. ein tagelied H. v. Montforts (Wackernag. les.
951) erinnert ebenfalls an David, küng Salomön den weysen (ain weib
betrog jn auch) , an Samson , Absolon, Aristoteles und an die helden,
die durch Kriemhilt starben, ebenso meister Otto, Eraclius 2457 — 59
an Salomön und Sampson. fastnachtsp. 1039, 1: nun glich ich doch
Salomön, Aristoteli, Vergilio und Samson, die wisssten, stercksten
gwesen sind, an wyben auch waren erblindt. meister Altswert 203, 14:
Adam , den edeln werden bezwengt du mynn , alleyn Sampson , den
starcken blinden, könig Salomön den riehen und Absolon den schoenen.
altd. blätt. I, 57: durch die frowen betrog er auch den allerstercksten
Sampson , den allergutigsten könig Dauid vnd den allerwisesten konig
Salomön ect. und ebend. I, 76, 19: sint Adam, ons eerste vader, David,
Sampson, Salomön algader bedroghen sijn van wiven, wie sei dan on-
bedroghen bliven ? andere stellen sehe man in Hatzler. 91a. u. 91 b.
und 269 b. Antwerp. liederb. 93, 4. 172, 5: Ambras, liederb. 102, 8.
auch noch bei Franck, sprichw. 143 a. (1548) und späteren. Eiselein 8.
122) stark wie Simson. sprichwörtlicher vergleich, so z. b.
Erec 1817: an sterke Samsones gnöz. fastnachtsp. 1150: hab dir
Sampsons sterck vnd krafft. Zehner 741.
123) Samson war ein starker mann, aber er konnte
nicht zahlen eh er geld hatte, volksm. Eiselein 539. Simrock
nr. 8691.
124) den sand am meere zählen, volksmund nach genes 22,
17. Ebrae. 11, 12. so im wartburgkr. 363: ob du dez meres grieze
soldez zeln und alle sterne sunder nennen , ich bin doch un verlorn.
Kirchb. mecklbg. reimkron. XL: unezelich als des meres griez. Berth.
predgt. 142: wanne als wenig, als ich uch des meres griez gezeln
144 Deutsche Sprichwörter
möhte, als wenig raohte ich uch iemer die kleinsten freuden gezeln.
Eiselein 539.
125) sanft wie die tauben, dumm wie die gänse. nach
Matth. 10, 16 gebildet. Simrock nr. 8799.
126) er ist aus Saulus worden ein Paulus, passional II,
182, 12: nu secht, welch wunder hie geschach, da vil ein homuter Saul
vnde stunt vf demutiger Paul, der lewe zeime lemmel wart, sin vf
tragende hochvart in rechter demuot nv gelach, ebenso Geiler nach
Eiselein 541. Simrock nr. 8770.
127) er ist verstockt wie der linke Schacher. Luc. 23,
39. volksmund nach Eiselein 542. Simrock nr. 8775.
128) was geschrieben ist das ist geschrieben. Joh. 19,
22. Eiselein 230. (quod scripsi, scripsi.)
129) die schreib fe der will kaiserin bleiben. Gruter III,
22. Zehner 739. ein apophthegma Luthers (IV. 440.) nach judic. 5,
14: „und von Sebulon sind regierer worden durch die schreibfeder. "
Calamus, imperator; penna, imperatrix. Simrock nr. 9202.
130) es sieht aus wie Sodom und Gomorrha. es geht
zu wie in S. und G. volksmund nach genes. 19.
131) spreu und körn ist ein sprichwörtlich gebrauchtes bild,
das sicher seine wiederholte anwendung den Worten Johannis des täu-
fers (Matth. 3, 12) verdankt, wiewol gegen eine herleitung aus dem
alltäglichen leben nichts streiten möchte. Walther v. d. v. I, 18, 8:
er ist daz körn, ir sit diu spriu. Frauenlob (Ettmüller 132, 8) singt:
ir sult den spriuw scheiden von dem kerne. Hugo, Martina 48, 12: als
hulschin von dem weizin habent kleine nutze, alse sint verdruze äne
wisheit alle tugent. passional III, 454, 7: also hete er die spru verlorn
(d. i. irdisches gut) und behielt daz edele körn, ich meine krist mit
tugenden. repg. kronik (Eccard I, 1350): it muste gelutteret werden
de wete van deme kave. Schillings eis. kronik 200 und 334: damit
die sprwwer von dem kernen kommen, die spriuw ist gestoben von
dem kernon , sprach Rud. v. Erlach , als eine schaar von feiglingen aus
der schlacht bei Laupen floh, auch Uhland singt : das körn sich scheide;
von der spreu. Eiselein 575. nur in einem Sprichworte bei Simrock
nr. 9774 „viel spreu, wenig körn" findet sich unser bild.
132) stirbstu, so begrebt man dich mit der haut; das
thut man einem esel nit. Agricola I, 506 nach Jerem. 22, 19.
auch bei Megerle nach Eiselein 153. Grater II, 88. Simrock nr. 9886.
auf biblischem gründe. 145
133) der teufel säet. Matth. 13, 39. ein lateinisches sprichw.
in den altd. blätt. I, 11. lautet: quisquis arans sevit cum daemone
semen amittit. Fridank 67, 25: den sämen kan der tiufel geben.
Walth. 31, 34: des tiefeis same. Hugo, Martina 57c. 72, sagt: in ir
herzen -was gesemet dez tievils krut vnd och sin wurtz. MS. II, lila,
der tievel hat gesaet den sinen sämen in diu lant. Keller, erzählg. 248.
24: wy sät der teufel nur seinen samen ! ein Volkslied (bei Uhland
166, 1) vom j. 1450 singt: „das hat der bös vernommen, valschen
samen hat er gesät,'" ein anderes vom j. 1520 (180, 25): ich muss
den teufel schelten , er het gern säumen gesät, nach einer erweiterten
Vorstellung sagt der gemeine mann von pockennarbigen gesichtern: „der
teufel hat erbsen auf ihm gedroschen." vgl. Grimms mytholog. 964.
134) der teufel hat mehr denn zwölf apostel. Eiselein
592. Simrock nr. 10177.
135) was der teufel gefügt hat, scheidet gott nicht,
(d. i. hurer und kebsweiber.) Simrock nr. 10180, und Eiselein 591
bietet nach Zincgref und Pauli: „die der teufel zusammenfügt, kann
nieman trennen, und die gott zusammengefügt, halten selten an ein-
ander."
136) der fährt herum wie der teufel im buche Hiob.
Eiselein 589. lob 2, 2.
137) wie der teufel die schrift anführt. Matth. 4, 4. 6.
Körte nr. 5915. Eiselein 593: so richtig, wie der teufel die schrift
citiert.
138) den text lesen vgl. oben 86. Eiselein 593. Scheraeus
misc. hier. 78: d. i. einem faulen, bösen, verlogenen, falschen die Wahr-
heit nach einander hersagen, so derb als die faden auff einander gehen.
Uhlands volksl. I, 110, 5: so hat sie mir den text gelesen. Hoffmanu
deutsch, gesellschftl. 64, 102: bei miner mutter bin ich gewesen, ich
mein, sie hab mir den text gelesen.
139) ihr kommt zu tief in den text. Eiselein 593.
140) nur weiter im text! Simrock nr. 10228.
141) der text besteht, die gloss vergeht, oder: der text
nicht treugt, die gloss oft leugt." hierher gehört des Matthesii distichon
wider allerlei falsche glossentichter: textus durabit , multos speciosa
fefellit glossa. Dei verbo nitere, tutus eris. Scheraeus, misc. hier. 78.
142) ein ungläubiger Thomas. Joh. 20, 29. Eiselein 594.
Simrock nr. 10263.
Archiv f. n Sprachen. XX VIII. 10
14C Deutsche Sprichwörter
143) Thomas, zweifelst du noch?
lege deinen finger in mein loch! eine leichtfertige
anwendung der worte Kristi Joh. 20, 27. volksreim bei Eiselein 594.
Simrock nr. 10262.
144) eine Tobiasnacht halten. Tob. 8, 1 — 6. d. i. fleissig
in der brautnacht beten. Neoc. kronik d. Ditmarsch. I, 117: unde bliven
offt brutt unde brudegam bisamen, werden ock wol wedder upgenamen,
dat se ehre Tobiasnacht holden.
145) unkraut unter dem weizen. ein sprichwörtliches
gleichnis nach Matth. 13, 25. carm. buran. 192, 3, 1: sicut cribratur
triticum, also wil ich die herren tuon, liberales dum cribro, die bösen
risent in daz stro, viles sunt zizania. vgl. oben 131.
146) ein Uriasbrief. Sam. II, 12, 14. BeXXeQoqiovttjg xa
yQ(ifi[A,ara. Bellerophontes litteras. Erasm. Tappius 462. Zehner 744.
Eiselein 614.
147) der verräther schläft nicht. Zehner 772 : Judas non
dormit. Matth. 26. Hiltebrants bildersch. 376. Körte nr. 6263
Simrock nr. 10883.
148) Vertraulichkeit war in der arche Noas. Lehm,
flor. bei Eiselein 619. Simrock nr. 10939.
149) lass vöglein sorgen! Matth. 6, 25. 26. renner 23853:
seit got die kleinen vogelein beschirmet, daz in ir klolein nicht erfriesent
in dem winter. lieders. 216, 27: frölich lüt hant vögelin vunden, (also
spricht man jetzt.) Brant , narrensch. 250, 31: losz vöglin sorgen!
wann gott will, so kumbt daz glück, zytt, end vnd zyl. Uhland, volksl.
213, 8: ich lass die vögel sorgen gen diesem winter kalt, und in zwei
anderen Volksliedern bei Doren I, 261: lass klein wald vöglin sorgen.
I, 254: das vöglein lassen sorgen. Franck 38a. lass vöglin sorgen,
die haben schmale beynlin. Tappius 355. holländisch: lat viölen sorgen,
Matth. 6, 28. Gruter I, 95. Lehm. flor. I, 719: die vöglin singen
vnnd haben weder körn noch gelt, bei Geiler nach Eiselein 622. Körte
nr. 6331. Simrock nr. 11014.
150) was die wand bepisst nicht überlassen, d. i. nicht
einen einzigen mann, eigentlich biblische redensart in den stellen I Sam.
25, 22. 34, 1. I reg. 16, 4. 14, 10. II reg. 9. 8. erklärt bei Zehner
606 und in Heumanni poecile I, 1 — 19.
151) die weiber sind furchtsam undrufenbald st. Peter
zu: steck ein dein Schwert! Joh. 18, 11. Simrock nr. 11315.
auf biblischem gründe. 147
152) wölfe in Schafskleidern. Matth. 7, 15. acta 20, 29:
Schafpelze sind äussere zeichen der frömmigkeit, denn sie wurden von
propheten getragen Ehr. 11, 37. Sacharj. 13, 4. darum warnt Kristus
in obiger stelle vor den falschen propheten. das biblische bild wenden
an:# Clemens Alexandr. exhort. ad ethn. : Xvxovg nqoßäxav xcodiotg
rmyiBGfitvovg. ebenso Ignatius und Juvencus ''bei Zehner 674 ff. Werner
v. Elmendorf 721 (H. z. IV.): niht in bizet mit so scarfen zanden, so
der wolf vnder deine scafene gewande. dune hutis dich vil garewe, dich
betrugit des wolfis varvve. Entecrist (fundgr. IL 111, 33): idoch
steckit in der schafinin hivte daz woluine herze. Phil, marienleb. 6208:
si tragent uzen schäfgewant und innen wolves herz si hänt. wälsche
gast 962: under schoenem vel ist valscher rät. man sol wizzn, daz
valsche liute hänt niht mer schoene wan ir hiute. renner 385 : der ist
gar ein lemblin vzzen , dock mak ein wolflin da wol lavzzen. Boner,
edelst. 43, 91: er gät dick der in schäfes wät, der eins wolfes herze
hat. Gerstenbg. thür. hess. krön. (Ayrmann I, 16): und nicht zuviel
getrauen nach rath des hexametri „pelle sub ouina (agnina) latet (latitat)
saepe mens lupina, das bedeut, unter dem schafenfell ist dicke verborgen
wolffsgell. Keller, erzählg. 382, 5: der ist scheffln ussin und innewendig
wolffes ard. in der reformationszeit erschien (o. o. u. j. 4.) ein gedieht
betitelt „der wolffgesang" mit dem motto: eyn ander hertz , eyn ander
kleid tragen falsche wölffe in der heyd. vgl. Eiselein 648. Simrock
nr. 11788 verzeichnet: „oft ist eines wolfes herz bedeckt mit Schaf-
fellen. "
153) Wörter sind auch Schwerter, vgl. Lucae 2, 35. edelst.
40, 43: ir wort diu snident als ein swert. Gruter II, 119. d. weisen
exemplspr. herte wort verwunden den straffer und den hörer. vgl. 156.
154) Zachaeus ist auf allen kirchweihen. Luc. 19, 5. 8.
Franck 131b.: Zacheus in allen zechen, urten vnd kirchenweihen.
147 b.: es ist wie Z. auff allen kirchweihen, ebenso bei Geiler nach
Eiselein 654. Körte nr. 7044. bair. sprichw. II, 109. Simrock nr.
11954.
155) Zion soll man nicht mit fleisch und blut bauen.
Simrock 12124. die biblische stelle vermag ich hierzu nicht nach-
zuweisen.
156) die zunge ist ein Schwert, ps. 55, 22. 57, 5. 64, 4.
ecclesstc. 28, 22. Gruter II, 11. Simrock nr. 12189: „böse zungen
10*
148 Deutsche Sprichwörter auf biblischem gründe.
schneiden schärfer als Schwerter. Franck 16 a: darurnb spricht man,
es sei nichts über ein böse zungen, kein scherpffer Schwert. Franck
101 b: es ist kein böser schwert, dann wo ein bös zung versert. und
in ähnlichen bildern ergehen sich die Sprichwörter Simrock nr. 12190:
wäre die zunge ein spiess, so thäte mancher mehr als zehn andere.
12191: böse zunge, bös gewehr. 12189a: für böse zungen hilft kein
hämisch.
C. Schulze.
Einige Proben von Anwendung der Sprachwissenschaft
auf Bestimmung völkergeschichtlicher Verhältnisse, besonders
der Ureinwohner Deutschlands,
durch etymologische
Untersuchung der geographischen Namen.
Ausser dem eigentlichen oder Selbstzweck der historischen
und vergleichenden Sprachwissenschaft, insofern ihr Gegenstand
die unmittelbare Erforschung der Sprachen an und für sich ist,
lässt sich dieselbe auch dazu anwenden, dunkle geschichtliche
Verhältnisse, von denen die überlieferte Geschichte nichts mehr
oder nur Unvollständiges und Entstelltes weiss , also eigentlich
vorgeschichtliche Verhältnisse , aufzuklären. Dieses Resultat
erzielt sie dann, wenn es ihr gelingt, geographische und Völker-
namen von historischer Wichtigkeit etymologisch richtig zu
deuten. Ich habe bei der etymologischen Zergliederung der
geographischen Namen Europa' s überhaupt und Deutschlands
insbesondere das Ergebniss gewonnen und dies bei verschiedenen
Gelegenheiten darzulegen gesucht, dass die Ureinwohner Deutsch-
lands und selbst Skandinaviens, nicht, wie Tacitus es zuerst
lehrte (Ipsos Germanos indigenas crediderim, etc. De situ,
moribus et populis Germaniae, 2) und viele ihm noch bis auf
den heutigen Tag auf's Wort glauben, Germanen waren, sondern
dass ihnen überall, wo sie sich nachher geschichtlich zeigen,
als nächste Vorfahren die Gelten voraufgingen. In Ansehung
dieser Celten haben in Europa und auch in Deutschland viele
Vorurtheile geherrscht und herrschen zum Theil noch. Die
Beschäftigung mit dem Celtenthum so wie die Abneigung
dagegen artete in eine förmliche Krankheit aus ; es herrscht
150 Etymologische Untersuchung
abwechselnd eine Celtomanie und eine Celtophobie, so dass
man nach Schiller sagen konnte: „Kaum hat das wilde Fieber
der Celtomanie uns verlassen, bricht in der Celtophobie ein
noch viel hitzigeres aus.u Aber so viel hat man selbst zur Zeit
der Celtophobie wohl allenfalls zugegeben, dass die Celten früher
als die Germanen und auch wohl als die Griechen und Lateiner
von Asien aus in Europa eingewandert seien, auch wohl, dass
ihre Sitze sich auf der südlichen Seite bis an die Donau und
auf der westlichen bis an den Rhein erstreckt hätten, weil man
dafür einen geschichtlichen Anhalt fand oder zu finden glaubte.
Wagte es aber jemand weiter zu gehen und zu behaupten, dass
sich ihre Sitze wrohl selbst über die Donau und über den Rhein
in Deutschland hinein erstreckt haben möchten, so stiess er auf
den allerstärksten Zweifel oder den entschiedensten Unglauben,
wenn es für ihn selbst auch noch so fest zu stehen schien;
und beklagen konnte er sich eigentlich darüber nicht, insofern
keine dafür sprechenden Thatsachen und Beweise geliefert wurden,
oder nur solche, die keine Beweiskraft für sich in Anspruch
nehmen konnten. Es blieb auf diese Weise immer nur mehr
oder weniger Hypothese, die, obgleich sie die Wahrheit enthielt,
doch als solche nicht gewusst und bewiesen werden konnte.
Wäre aber jemand so weit gegangen als ich jetzt gehe, und
hätte etwa in ganz Mittel-, Nord- und Ostdeutschland Celten
als vorgermanische Bewohner angenommen, so würde dieses für
eine so entschiedene Ketzerei oder eine so ausschweifende Cel-
tomanie gegolten haben, dass man seiner Würde etwas zu ver-
geben geglaubt hätte, wenn man dieser Ansicht anders als mit
Hohnlächeln entgegen getreten wäre. Aber die heutige wirkliche
Sprachforschung kehrt sich natürlich an Argumente solcher Art
nicht; sie nimmt, wenn sie etwas aus ihrer Sphäre beweisen
will, kaltblütig jedes Wort in die Hand, prüft, wie viel es wiegt,
was sein Inhalt sei, was seine einzelnen Bestandtheile nach
Buchstaben, Sylben und Laut werth sind, was sie als Ganzes
bedeuten und was für Schlüsse sich daraus ziehen lassen. Da
zeigt es sich denn sehr oft, dass das Wort ganz andere Dinge
aussagt als man bei weniger genauer Betrachtung darin wahr-
zunehmen glaubte, und dass sich daraus Folgerungen ziehen
lassen, die über den eigentlichen und engeren Kreis der Sprach-
der geograp hischen Namen. 151
forschung hinausgehen, und eine allgemeinere Anwendung auf
andere und besonders auf geographische und völkergeschichtliche
Verhältnisse gestatten. Für jetzt versuche ich es nur, den von
mir aufgestellten theoretischen und theilweise auch schon em-
pirisch bewiesenen Satz, dass vor den Germanen Gelten überall
in ganz Deutschland und zwar östlich wenigstens bis an die
Oder, wahrscheinlich aber nordöstlich bis an die Weichsel,
wohnten, durch die Sprachforschung ferner zu begründen, und
namentlich an einigen geographischen Namen des mittleren und
nördlichen Deutschlands nachzuweisen, dass die frühsten Be-
wohner desselben, und unter anderen auch die des Harzes und
Braunschweigs, nicht Germanen, sondern Celten waren.
152 Etymologische Untersuchung
I. Braunschweig und die Oker.
Von den Geschichtschreibern und Geschichtsforschern wird
allgemein angenommen, dass die Stadt Braunschweig, deren
ursprünglich niedersächsischer Namen Brunswic oder Bruneswic,
lat. Brunonis vicus, ist, der nachher in diese hochdeutsche Form
umgewandelt, und dabei nach gewöhnlicher Art zwar verständlich,
aber nicht verständig, umgedeutet wurde, von Bruno, dem Her-
zoge der Sachsen, gegründet, und nach ihm Bruneswic, d. i.
Stadt des Bruno, genannt wurde. Sie wuchs seitdem so empor,
dass sie zuletzt aus fünf Städten oder Weichbildern bestand,
aus der alten Wiek, der Altstadt, der Neustadt (im 10. Jahrh.
angelegt), dem Hagen (um 1172) und dem Sack (um 1200),
von welchen jedes seine besonderen Burgemeister und Rath-.
mannen mit eigenem Wappen und Rathhause hatte, daher
Braunschweig oft auch in den Urkunden „die Stadt der fünf
Städte" genannt wird. Nach den geschichtlichen Nachrichten
(cf. Dürre Braunschweigs Entstehung, p. 13 ff.) wurde zuerst
auf einer flachen, sanft ansteigenden Anhöhe dicht am westlichen
Ufer der Oker, einer Furt über dieselbe gegenüber, vorn Grafen
Tank ward, dem Bruder Bruno's, die Burg Tanquardevorde oder
Tancwordevoerde, d. i. Tanquartsfurt, nachher in Tanquarderode
verdreht, angelegt. Daneben auf der Ostseite der Oker schlug
sein Bruder Bruno auf der Stätte eines zerstörten Heidendorfes
seinen Wohnsitz auf, wodurch ein neues Dorf entstand, welches
den Namen Alte Wiek (de olde wik) oder nach ihm Brunswik er-
hielt. Hierauf baute Bruno, wahrscheinlich zusammen mit seinem
Bruder Tankward, noch eine zweite Ortschaft, die im Gegen-
satze zur alten die Neue Wiek (de nye wik) oder ebenfalls
Brunswik genannt wurde. Die alte Wiek auf der Ostseite des
Flusses, deren Rathhaus am Aegidienmarkte lag und erst 1754
abgebrochen wurde, war also offenbar der älteste Theil, wenn
er auch erst später unter Otto IV. nebst dem Aegidienkloster
in die Hingmauern der Stadt eingeschlossen wurde. Zunächst
der geographischen Namen. 153
im Alter ist dann die neue Wiek oder die nachherige Altstadt,
wo die beiden Brüder im J. 861 eine Kirche, St Jacob geweiht,
gründeten. Dieses Jahr hat man nun als festes Datum mit
Recht als das Gründungsjahr Braunschweigs angenommen, ob-
gleich die Gründung der Burg und der beiden Wieken selbst
offenbar einige Jahre früher anzusetzen ist. Die zwreite Kirche
wurde dann erst im 10. Jahrhundert unter Kaiser Otto I in
der Burg Dankwarderode von Holz erbaut, und die alte Wiek
erhielt ihre dem heiligen Magnus geweihte Kirche sogar erst
im J. 1031. Folgt nun aber etwra daraus, dass Bruno und
Tankward die Stadt Braunschweig gründeten, dass der Fleck
oder Ort, wo dieselbe jetzt liegt, vorher noch gar nicht bewohnt
und weder als Dorf, Flecken noch als sonstiger Wohnsitz vor-
handen war? Keinesweges. Gewöhnlich muss man unter „eine
Stadt gründen" verstehen, dass ein Fürst irgend ein Dorf oder
einen Flecken zur Stadt erhob, sie vielleicht zu seiner Residenz
erwählte und ihr seinen Namen gab. Die Ortschaft konnte aber
schon viele Jahrhunderte vorher da gewesen, und sowohl die
Bewohner als auch den Namen schon öfter gewechselt haben ;
denn Städtenamen gehören in der Regel zu den weniger fest
haftenden Namen, sie sind viel wandelbarer als Fluss-, See- und
Bergnamen. Nach dem Chronisten Botho, der sich auf ältere
Quellen stützt, soll schon in heidnischer Zeit vor Karl dem
Grossen ein Dorf unbekannten Namens da gelegen haben, wo
später die Alte Wiek entstand, und von Karl dem Grossen
zerstört worden sein. Es war also schon zur Zeit und vor der
Zeit Karls des Grossen eine Ortschaft da, und dieselbe wird
seit ihrer Zerstörung bis dass Bruno dort seinen Wohnsitz
aufschlug, nicht ganz ohne Bewohner geblieben sein. Folgt ferner
daraus, dass Niedersachsen oder allgemeiner Germanen die ersten
Bewohner dieser Gegend waren , weil dieselbe um und vor
Bruno's Zeit von Niedersachsen bewohnt, oder weil der angebliche
erste Gründer der Stadt selbst ein Niedersachse war, und ihr
als solcher einen Namen in niedersächsischer Sprachform gab?
Dies wird niemand im Ernst behaupten dürfen , und noch
weniger wirklich beweisen können. Bei tieferer Untersuchung
weisen vielleicht andere fester stehende Namen für Oertlichkciten
Braunschweicrs auf andere Völker als Germanen als die ersten
154 Etymologische Untersuchung
Bewohner dieser Gegend hin. Da nach der von mir auf-
gestellten, entwickelten und durch Thatsachen bestätigten Theorie
in ganz Deutschland, sowohl in dem südlichen, westlichen und
mittleren Theile desselben als auch nordöstlich wenigstens bis
an die Oder, und folglich auch in und um Braunschweig vor
den Germanen Gelten gewohnt haben müssen, so fragt es sich,
ob die Empirie oder Praxis auch hinsichts Braunschweigs und
dessen Umgegend diese Theorie bestätigen wird. Fragen wir
daher bei den Gegenständen, die gewöhnlich die ältesten Namen
führen, bei Flüssen und Bergen an; vielleicht erhalten wir hier
eine befriedigende Antwort.
Braunschweig liegt bekanntlich an der Oker, die mit
einer veralteten und unbegründeten Orthographie oft Ocker ge-
schrieben, aber nie so gesprochen wird. Bereits Karl der Grosse
soll zwei Mahl bis zu diesem Flusse in den Jahren 775 und
780 vorgedrungen sein, und die Sachsen besiegt und zur Taufe
gezwungen haben. Der Name lautet in den Urkunden (vd. bei
Förstemann Ortsnamen, p. 1112, und bei Dürre p. 10) Ovokare,
Ovekara, Ovekare, Oveker, Ovacra, Ovaccra, Obacra, Obacrus,
Obaccrus, Ovacrus, Overcarus, Hobacar, Oucra. Man hat die
Oker als den Krähenfluss gedeutet, wahrscheinlich indem man
Ova als das altdeutsche owa, awa, auia, augia, in Ortsnamen,
mittelhochd. ouwe = Wasser, Strom, Wasserland, wasserreicher
Grund oder Wiesengrund, wasserumflossenes Land, Flussinsel,
neuhochd. Aue, Au, für Fluss nahm, und cra, altd. crä, cräa,
craia, für Krähe, wobei man vergass oder nicht wusste, dass
dieses keine dem Deutschen angemessene Wortbildung ist, denn
ein Krähenfluss hätte alsdann umgekehrt cra -owa oder crowa
lauten müssen. Ueberdies spricht die Benennung Krähenfluss
wenig an, sie hat nichts für einen Fluss Charakteristisches an
sich. Es mögen sich an und bei dem Flusse ungefähr so viele
Krähen aufhalten oder aufgehalten haben, als an jedem anderen
Flusse, d. h. wenige oder gar keine; denn diese Vögel halten
sich gar nicht vorzugsweise an Flüssen auf, sondern weit eher
auf Feldern, Wiesen und in Wäldern, da sie sich hauptsächlich
von Insecten, Gewürmen, Mäusen, Heuschrecken, Getreide,
Samen und Früchten, aber von keinen Producten eines Flusses
der geographischen Namen. 155
nähren. Das Germanische schien mir überhaupt gar kein
passendes Etymon zu liefern. Ich habe mich daher an das
Celtische gewandt, und dieses hat mir ein besseres und zu-
treffenderes gewahrt. Nach diesem bedeutet Oker oder ur-
sprünglicher Ovacra Fluss des Felsens oder Felsenfluss. Ova
oder oba ist nämlich das celtische Wort für Fluss: irisch oba,
obha, abh, abhan, abhainn, obhuin, amhan, amhain, amhuin; owen,
aven (Bullet), gael. abh, abhuinn, abhainn, amhain (ir. obha
ausgesprochen oua, obhuin ausgespr. Quin, O'Brien, v. däna;
a in abhainn ausgespr. au oder 6, O'Donovan, p. 11., bh und
mh wie w), wallis. ow, owi, aw (Bullet), aw, awon (Owen),
armor. aven , aouen , avon , cornw. aon , aen , welches verwandt
ist mit mittelhochd. ouwe, althochd. aha, goth. ahva, lat. aqua
und amnis für apnis, sanskrit. ap, f. (vd. ap, Wa&ser, in Bopp's
Glossar, p. 13), und cra ist das celtische Wort für Fels: irisch,
gael. und Wallis, craig, crag, creag, a i*ock or stone, a rocky
or craggy place, cornw. karak, armor. karrek, ecueil, armor.
krag, gres, pierre dure et grise qui sert ä aiguiser, ä paver,
caillou, galet, (daher grae, krae, groa, kroa, greve, Heu uni et
plat, couvert de gravier, le long de la mer ou d'une riviere)
Das Wort wurde nur um den auslautenden Consonanten, d. i.
hier g, verkürzt, wie oft in ähnlichen Fällen. Flüsse erhalten
ihren Namen am häufigsten von irgend einer Eigenthümlichkeit
an ihrer Quelle oder der ersten Strecke ihres Laufes. So ver-
hält es sich mit unserer Oker. Diese entspringt an dem
zwischen Andreasberg und Altenau gelegenen Bruchberge
(neuhochd. brüch, niederd. brök, eine sumpfige mit Gehölz be-
wachsene Gegend, der Sumpfboden, die Sumpfwiese, althochd.
bruoch, palus, angels. bröc, engl, bi-ook, ein Bach), fliesst durch
Altenau, wo sie das Kalkwasser aufnimmt, durch das Schulen-
berger Thal und bei dem Dorfe Schulenberg und der dabei
liegenden Silberhütte weg, wo sie das weisse Wasser aufnimmt.
Nach einem vierstündigen Laufe innerhalb des Harzes, wo sie
das wilde Okerthal durchströmt und darin die Grenze zwischen
dem Hannoverschen und Braunschweigischen bezeichnet, tritt
sie bei der Messinghütte aus dem Gebirge. Unterhalb Oker
nimmt sie die Gose, dann die Radau, die Ecker und endlich
die Ilse auf. Mit vier Harzflüssen vereinigt, fliesst sie durch
1 5G Etymologische Untersuchung
das Hildesheimische nach Wolfenbüttel und Braunschweig, und
ergiesst sich im Lüneburgischen in die Aller, mit welcher sie
der Weser zueilt. Hinter Braunschweig ist sie schiffbar, es
wird aber kein Gebrauch davon gemacht; noch bis zum 15.
Jahrhundert war sie aber auch weiter hinauf vor Braunschweig
und Wolfenbüttel und weiter nach ihrer Quelle zu schiftbar.
Da der Fluss auf dem Bruchberge, dem westlichen Nachbar
des Brockens, entspringt, und über Felsen und Klippen das
wilde und schauerlich schöne Okerthal innerhalb des Harzgebirges
durchfliegst, so konnte der Fluss mit Recht ein Felsenfluss ge-
nannt werden, welche Benennung sicherlich besser motivirt ist
als die des fast lächerlichen Krähenflusses. Vortrefflich stimmt
auch in unserem Worte die celtische Art der Zusammensetzung.
Diese kann mehrfacher Art sein, während die germanische nur
einer Art sein kann. Dies ist ein so wichtiges Kennzeichen,
dass wenn es sich ereignen sollte, dass ein zusammengesetzter
Namen sich, wegen der nicht seltenen Verwandtschaft des Cel-
tischen mit dem Deutschen, seinen Bestandtheilen nach gleich
gut aus beiden Sprachen erklären Hesse, die Art und Weise
der Zusammensetzung oft sogleich entscheiden .würde, aus welcher
Sprache derselbe zu erklären sei. Der bestimmende Theil kann
nämlich im Celtischen vorhergehen oder nachfolgen. Er geht
vorher wie im Deutschen, z. B. morgi, Seehund, von mor, See,
und ci, Hund, oder er folgt nach im Genitivverhältniss , wie in
unserem Worte, oder als Adjectivum; aber auch dieses letztere
kann zuweilen noch vorstehen, z. B. mawr, mor, gross, mawr-
air, a boastful word (von gair, word), mawrboen, great pain;
daher im Englischen aus dem Celtischen glaymore, claymore
und morglay, ein langes, breites, zweihändiges Schlachtschwert,
das eine Mahl mit dem Adject. nach, das andere Mahl vor.
Eine auffallende Benennung führen in Braunschweig mehrere
Strassen, die der Kl int heissen. Es giebt da einen Klint
schlechtweg, der in der alten Wiek liegt, und gewiss auch die
älteste Ansiedelung im alten Heidendorfe war, aber ausserdem
auch noch einen Südklint, einen Bäckerklint und einen Radeklint.
Ich habe mich bei meiner letzten Anwesenheit in Braunschweig
an Ort und Stelle darnach erkundigt, was die Leute wohl dar-
unter verstehen möchten. Einer wollte gehört haben, dass der
der geographischen Namen. 157
Klint so viel wie Gerichtsstätte bedeute und auch eine solche
gewesen sei, und der Radeklint sei diejenige gewesen, wo die
Verbrecher gerädert wurden, der Bäckerklint dagegen die, wo
die Bäcker hingerichtet wurden, wahrscheinlich wegen zu leichten
Brotes. Ein anderer meinte, dass Klint so viel als das lat.
clivus bedeute, und wahrscheinlich mit demselben ganz identisch
sei. Hierauf wandte ich ein, dass, um dieses sein zu können,
es aus dem Lateinischen unmittelbar entlehnt sein müsste, wozu
aber die Form, namentlich im Auslaut, durchaus nicht berechtige,
und wozu auch überhaupt keine innere Wahrscheinlichkeit vor-
handen sei. Ich habe die Oertlichkeit des Klint selbst unter-
sucht und gefunden, dass es allerdings ursprünglich ein Hügel
gewesen sein muss, indem das Erdreich von der Ritterstrasse
her sich hügelartig erhebt, und auch die anderen Klinte zeigen
deutliche Spuren einer vormahligen grösseren hügeligen Be-
schaffenheit als jetzt. Obgleich das Wort nun wohl dasselbe
als clivus bedeuten kann, so kann es von demselben doch nicht
unmittelbar herkommen, und von irgend einem deutschen Worte
noch weniger. Woher kommt es aber nun? In dem Gälischen
Dialecte des Celtischen heisst claointe geneigt, abhängig, ab-
schüssig, bent, sloping, als Participium von gäl. und ir. claon,
to incline, bend, move obliquely. Dieses entspricht buchstäblich
und dem Sinne nach unserem Klint. Es braucht nichts zu-
gesetzt und nichts abgezogen zu werden. Im Irischen lautet
dasselbe Participium und Adjectivum claonta, welches un-
gefähr wie cluinta ausgesprochen wird. Ausserdem finden
sich von demselben Wurzelworte irisch clin, Bergabhang (pente
de montagne, Bullet), cluin, ein steiler Fels, a great steep, a
rock, und daher figürlich partiality, prejudice, error, ir. u. gäl.
claon -ard, an inclining steep (bestehend aus claon, claoine, und
ard, high), ir. claonadh, bending, inclination, moving obliquely,
proclivity, partiality, deviation, digression, gäl. claon, claoine,
squint, inclining, oblique, prone to, partial, uneven, claoin-leud, a
sloping Hill, claoine, claoinead, claoineid, obliquity, squintness, gäl.
und ir. cluinneach, a miner. Mancher wird aber vielleicht dennoch
fragen, ob das Wort Klint nicht eben so gut germanischen Ur-
sprungs sein konnte, im Fall sich das Wurzehvort, wenn auch
in anderer Form, im Germanischen fände. Es findet sich das
158 Etymologische Untersuchung
Wurzel wort v irklich, aber in einem so eigenthümlich germanischen
Kleide, dass an eine unmittelbare Herleitung nicht zu denken
ist. Es entspricht ihm nämlich ein gothisches hlains, der Hügel,
neuhochd. Lehne, d. i. Berglehne, Bergabhang, sanft und all-
rnählig aufsteigende Seite eines Berges oder Hügels, vom alt-
OD O O 7
sächs. hlinon, althochd. hlinen, neuhochd. lehnen, womit ferner
verwandt sind altnord. hlid, latus montis, devexitas, angels. hlidh,
clivus, althochd. hlita, id., auch ohne t altfries. hli, tumulus.
Da nun dem Lautverschiebungsgesetze gemäss einem celtischen
DO D
oder griechisch -lateinischen c im Anlaut ein germanisches h
entspricht oder auch ganz abfällt, so kann es also nicht direct
davon herkommen. Eher könnte es, wenn man nur auf den
Anlaut Rücksicht nehmen wollte, direct vom griech. xXtvaiv, wo-
von xXirvg, ein abschüssiger Ort, Abhang, Hügel, abstammen;
es ist aber ebenfalls nur verwandt damit. Eben so verhält es
sich mit latein. clivus, welches, wenn auch mit Klint .durch die
Wurzel verwandt, dennoch ebenfalls eine selbständige Ableitung
von der lat. Wurzel clin, gr. xliv, ist. Die Formen des Inlauts
und Auslauts stimmen im Griechischen und Lateinischen nicht
so genau als im Celtischen , und weder geschichtlich noch hy-
pothetisch kann man je mit nur einiger Wahrscheinlichkeit grie-
chische oder lateinische Völkerschaften in Deutschland annehmen.
Die Wahl kann immer nur zwischen Gelten und Germanen sein;
und wenn dieses fest steht , so kann es einen schärferen und
gleichsam mathematischeren Beweis für den celtischen Ursprung
des Wortes Klint nicht geben, als diese vollkommene Ueber-
einstimmung mit dem Gesetze der Lautverschiebung. Man ver-
gleiche beispielsweise ir. cu, gr. xvcov, lat. canis, goth. hunds,
neuhochd. hund , oder ir. clois , hören , cluas , Ohr , gr. xlvaiv,
lat. cluere, althochd. hlosen, hören, wovon altsächs. hlust, Gehör,
Ohr, oder ir. cnudh, cnu, gäl. cnüth, cnö, angels. hnutu, hnut,
hnyt, altnord. hnyt, hnot, nyt, althochd. hnuz, nuz , neuhochd.
nusz. Im Skandinavischen (im Schwedischen und Dänischen)
kommt das Wort klint sogar noch in der gewöhnlichen Sprache
vor. Es heisst dort die Spitze eines Berges. (Die altnordische
Form ist bereits klettr, und bedeutet scopulus, rupes, saxum).
Aber es ist, nach dem, was oben gesagt worden ist, nicht skan-
dinavischen Ursprungs, da die skandinavischen Sprachen dem-
der geograpliischeu Namen. 159
selben Gesetze der Lautverschiebung folgen als die übrigen
germanischen; und so liefert es nur einen Beitrag zu dem Be-
weis, dass auch in Skandinavien Celten waren, so wie zu dem
Satze, dass die am weitesten vorgeschobenen Posten der Völker
das Alte treuer und vollständiger bewahren als die weiter zurück
befindlichen Bewohner. So hat auch in späterer Zeit der Norden
die alte germanische Religion und Mythologie länger und treuer
erhalten, als das dahinter liegende Mittel- und Hinterland.
Aus diesen beiden geographischen Namen Oker und Klint,
die gerade solchen Gegenständen zufallen, woran die alten Be-
nennungen am längsten haften, schliesse ich nun mit Recht,
dass, in TJebereinstimmung mit der theoretischen Construction,
in Braunschweig und dessen Umgegend vor den Germanen be-
reits Celten waren; denn was die Theorie, zuerst nur durch
sich auf schwache Einzelheiten stützende Vermuthungen geleitet,
als eine allgemeine Regel aufzustellen wagte, wird hier durch
neue Beispiele und Thatsachen bestätigt, die nun ihrerseits auch
die Theorie immer fester machen und zur unbestreitbaren Wahr-
heit erheben. Sollte auch für den Laien und den der Wissen-
schaft ferner Stehenden, dem in der Regel jede Einzelheit nur
als für sich bestehend erscheint, alles dieses nicht schlagende
Beweiskraft genug haben, so muss es um so mehr den Forscher
und Mitforscher überzeugen, dem bei jedem gefundenen neuen
beweiskräftigen Beispiele seine bereits auf anderem Wege und
durch andere Thatsachen gewonnene wissenschaftliche Gesammt-
anschauung vorschwebt, wodurch sich ihm das Bild natürlich
mit hellerer und vollständigerer Beleuchtung zeigt. Wer aber
weitergehen und die ganze nähere und fernere Umgegend mit
in die Untersuchung ziehen wollte, der würde auch immer neue
und neue Beispiele und Beweise an's Licht ziehen.
160 Etymologische Untersuchung
II. Der Brocken.
Dieser berühmte und oft besuchte höchste Berg in diesem
Theile Deutschlands wird gewöhnlich so erklärt, als wenn er
wirklich das bedeute, was Brocken im Germanischen aussagt,
nämlich ein kleines abgebrochenes Stück, von der Wurzel
brechen. Um diese Anschauung zu stützen und annehmlich zu
machen, hat man sich die wunderlichsten Geschichten ausgedacht.
Man nahm an, der Brocken sei wahrscheinlich einmahl eine un-
geheure hohe Felsenpyramide, ein Felsencoloss, gewesen, der
aus über einander gethürmten Granitblöcken bestand. Beweise
dafür seien die in seiner Nähe stehen gebliebenen, der gänzlichen
Zertrümmerung noch entgangenen, in die Höhe ragenden Granit-
en o c ö
felsen, als die Schnarcher, die Hohneklippen und andere ähnliche
bei Schierke. Luft und Wasser machten seine Masse nach und
nach bröcklich; er verlor dadurch die Festigkeit, und die eigene
Schwere trug zur völligen Zerreissung und zu seinem Umstürze
bei. Er stürzte wie ein alter morscher Thurm, vielleicht durch
Erderschütterungen früher herbeigeführt, in einzelnen Stücken
oder Brocken zusammen, welche die Thäler weit um ihn her
ausfüllten. D.er Sturz selbst, und das ewige Zerstören der
Luft und des Wassers , gaben ihm alsdann die abgerundete
Gestalt. Wir gehen daher jetzt auf den Ruinen eines vor Jahr-
tausenden da gewesenen ungeheuren Felsenberges herum, dessen
Riesengestalt sich eine lebendige Einbildungskraft vorzaubern
könnte, wenn sie alle die Millionen von Granitblöcken, die auf
und an dem Brocken zerstreut herumliegen, und uns zum kleinsten
Theile nur sichtbar sind, auf einander baute. Dann würde sich
uns ein Riesenbild darstellen, vor dem wir staunen müssten,
so wie wir jetzt das grosse Werk der Zerstörung anstaunen,
und dann käme uns freilich der in seinen Trümmern noch stolze
Brocken klein und winzig vor. Wann jener gewaltige Riesen-
bau umstürzte? Wer vermag das zu bestimmen? Vielleicht erst
Jahrtausende nach der Schöpfung! Diese wahrscheinliche
Geschichte des Brockens enthält sein Name. Er brach und
der geographischen Namen. 161
zerfiel in Brocken, er besteht aus Brocken. In dieser
überschwänglichen und phantasiereichen Weise spricht Gott-
schalk in seinem Taschenbuche für Harzreisende vom Brocken,
und glaubt uns gewiss durch diese erst nach seinem Namen
von ihm ausgedachte Geschichte desselben die Ursache seiner
Benennung nicht bloss wahrscheinlich gemacht, sondern bis zur
festen Ueberzeugung gebracht zu haben. Es giebt aber nichts
Unwahrscheinlicheres und Unnatürlicheres als diese Benennung'
Brocken im deutschen Sinne für einen Berg und auch diese
aus der Phantasie hervorgegangene Erklärung , um dieselbe
glaubwürdig zu machen. Man wird schwerlich irgend ein Bei-
spiel beibringen können, dass ein Berg einen ähnlichen Namen
führe oder einem ähnlichen Umstände seinen Namen verdanke.
Denn um den Berg nach dem von Gottschalk angegebenen Um-
stände so benennen zu können, müssten ja die Namengeber in den
primitivsten Zeiten vorher erst die speculativsten geologischen Be-
trachtungen angestellt und dahin gehörige Kenntnisse und Er-
fahrungen besessen haben, ehe sie zur Namengebung des Bro-
ckens schreiten konnten, während man doch glauben sollte, dass
sie den Berg werden an und für sich betrachtet und nach dem
Eindruck benannt haben, den er auf ihr Auge machte. Selbst
dem Volke scheint der Name Brocken, oder wie er auch in
nicht sehr alten Urkunden heisst Brocksberg, Brockisberg,
Brockersberg, Brockeisberg, Prockelsberg, Blockersberg, später
nicht mehr gefallen zu haben, indem es denselben allmählig in
einen Blocksberg, nieders. Blocksbarg, verwandelte, indem ein
Berg als Block sich von ihm besser begreifen Hess denn als
Brocken. Aber dieses ist nur eine aus der ursprünglicheren
germanischen Form hervorgegangene volksthümliche Unideutung.
Wenn die Benennung Brocken mit dieser seiner germanischen
Bedeutung für einen Berg als unnatürlich und beispiellos zu
verwerfen ist, so giebt es dagegen eine Menge von Bergen, die
den Namen von der Farbe führen, in welcher sie sich den
Umwohnern zeigen: da giebt es weisse Berge, schwarze, braune,
blaue, graue, grüne und rothe Berge. In dem Celtenlande
Wales selbst finden wir einen rothen Berg, y foel goch, und
einen blauen oder grauen oder grünen Berg, y foel las; denn
alle diese Farben kann glas bezeichnen (Owen v. nioel), foel
Archiv f n Sprachen. XXVIII. H
162 Etymologische Untersuchung
steht hier den celtischen Gesetzen der Verwandlung des Anlauts
nach gewissen vorhergehenden ihn afficirenden Wörtern gemäss
für moel. In welcher Farbe zeigt sich nun der Brocken dem
Umwohner und Beschauer? Offenbar in einer dunkelgrauen,
und diesem Umstände verdankt er seinen Namen; denn im Cel-
tischen heisst brock grau, und zwar dunkelgrau, und aus diesem
Worte entstand das germanische Brocken auf dem beliebten
Wege der Umdeutung, die, wie bereits oben bemerkt wurde,
stets nur darnach strebt, verständlich, aber nicht verständig, zu
sein. Kann man aber einen Berg so ohne weiteres den grauen
nennen, ohne das Wort Berg hinzuzusetzen? Offenbar hat es
ursprünglich dabei oder nach celtischer Art davor gestanden.
Man hat anfangs und ursprünglich etwa moelbrock gesagt, und
nachher das moel auch oft weggelassen, und so ist der Name
den Germanen überliefert worden, und so haben sie ihn auf-
gefasst und festgehalten; aber später haben sie das, was celtisch
vorn weggelassen war, germanisch hinten auch wieder hinzu-
gesetzt. Wir sind im Stande, für die Weglassung des celtischen
Wortes für Berg den Beweis zu liefern , indem sich der voll-
ständige celtische Name des Brockens bei den Alten, namentlich bei
Ptolemaeus, 2, 11, erhalten hat. Er heisst nämlich bei ihm Meli-
bocus oder eigentlich vollständiger xb MrflJßoy.ov oQog, worin also,
weil man das Celtische nicht mehr verstand, das Wort Berg zwei-
mahl vorkommt, etwa wie die Italiäner den Aetna Mongibello
nennen, d. i. eigentlich Berg-Berg, indem gibello, vom arab.
dschebel, dasselbe bedeutet als lat. mons. Melibocus steht etwas
alterirt für Melibrocus, indem im griechischen Munde das r ver-
loren ging oder derselbe den Namen gleich anfangs ohne dasselbe
auffasste, wie dieser Buchstabe ja auch sonst häufig aufgegeben
oder versetzt wird. Wundern darf man sich hierüber nicht,
sondern eher darüber, dass der griechische Mund, der aus-
ländische Namen, oder, wie er sich auszudrücken pflegte, Namen
der Barbaren, nur schwer aussprechen konnte, ihn noch so treu
überliefert hat. Vielleicht fand sogar die Ueberlieferuns; an die
Griechen durch niederdeutschen Mund Statt, der bekanntlich
das r oft so schwach ausspricht, dass es stumm zu sein scheint.
Späteren und neueren Ursprungs ist das lateinische mons Bruc-
terus für Brocken. Dasselbe kann weder aus den Alten noch
der geographischen Namen. 163
aus den Schriftstellern des Mittelalters belegt werden. Bei
Möller ist es ohne alles Citat, und bei Förstemann kommt es
gar nicht vor. Der Erfinder muss geglaubt haben, dass die
Bructeri, die in einer ganz anderen Gegend (nach J. Grimm
zwischen Ems und Lippe) wohnten, sich vielleicht bis in die
Nähe des Brockens erstreckten. Zu dieser Ansicht wurde er
wahrscheinlich verführt durch eine Stelle bei Claudian: venit
accola sylvae Bructerus Hercyniae. Der Hercynische Wald ist
aber nach Caesar 60 Tagereisen lang und 9 Tagereisen breit,
und erstreckt sich von den Quellen der Donau bis zu den
Anartes in Siebenbürgen und nordöstlich bis zum Harz, diesen
mit einbegriffen; dieser ist aber nur ein geringer Theil des
Waldes, er ist nocht nicht der ganze Wald selbst, und wiederum
der Brocken, wenn auch der höchste Berg desselben, noch nicht
das Harzgebirge selbst. Aber der Mann fand eine gewisse
Aehnlichkeit zwischen Brocken und Bructeri, und nun war seine
Meinung fertig; diese Aehnlichkeit und der Umstand, dass der
Brocken mit zur silva Hercynia gehörte, genügte ihm, um den
Berg mons Bructerus zu nennen. Der Erfinder hat dabei un-
gefähr eben so viel Geist und Kenntnisse gezeigt als derjenige,
welcher die Prussi oder Preussen der Urkunden in Borussi
umtaufte, weil sie für ihn Beirussen zu sein schienen, indem
er in dem P die slavische Präposition po, an, bei, zu entdecken
glaubte. Und doch ist diese sich auf entschieden Falsches
gründende Form Borussi eben so allgemein angenommen und
eben so sehr beinahe zum Range der Classicität erhoben als
der mons Bructerus, und es wird schwer fallen, sie wieder aus-
zurotten. J. Grimm (Mythologie 1004) meint, dass viele grund-
los den Namen Melibocus auf den Brocken beziehen; dass die-
selben aber liecht haben, freilich ohne es selbst sicher zu wissen,
wird hiermit nun durch die einander gegenseitig stützenden Be-
weise für den nur aus dem Celtischen regelrecht zu erklärenden
Ursprung des Namens Brocken hinreichend sicher gestellt sein.
Der Brocken stützt und erklärt den Melibocus , und der Meli-
bocus den Brocken, und man wird um so geneigter sein, dem
Brocken seinen celtischen Ursprung nicht abzusprechen, wenn
man in Anschlag bringt, dass der Hercynische Wald, silva
Hercynia, saltus Hercynius, jugum Hercynium, gr. 'Aqxvvio. oqtj,
164 Etymologische Untersuchung der geographischen Namen.
apud Aristot., 6 'Eqxvvioq ögv/uog, ap. Strab., 6 °ÖQXvyiog dqv/nog,
ap. Ptolem., eine anerkannt celtische Benennung ist, von celtisch-
wallis. erchynu, elevare, exaltare, erchyniad, elevatio, bestehend
aus der Partikel er, die intensive Kraft hat, oder wie Owen
sich ausdrückt, is prefixed in composition, to enhance the mean-
ing of words, und cwn, altitudo, summitas, cynu, surgere (cf.
Zeuss Gr. 867. 829. 109). Dagegen hat die Benennung Harz
(Harz, Haertz, Hart in den Urkunden bei Förstemann) mit
Hercynia silva nichts zu schaffen. Sie ist rein germanisch und
bedeutet lucus, silva (s. Graft' 4, 1026. Grimm Gesch. der
deutschen Spr. p. 633), vielleicht ursprünglich Eichwald, und
verwandt mit bask. haritza, lat. quercus, Eiche.
Dr. C. A. F. Mahn.
Die Entwickelung- der Lyrik
in der klassischen Literaturperiode.
Es ist die Aufgabe, das lyrische Gedicht auf dem Gange
zu seiner höchsten Kunstgestaltung durch die sogenannte klas-
sische Literaturperiode zu begleiten. Zur Lösung derselben ist
ausser dem Blicke auf das Formale ein Rückblik auf die nächst-
vorhergehende Zeit nöthig. Das Formale der Geschichte der
Entwickelung der Lyrik ist der Begriff der Vermittelung und
Versöhnung des Realen und Idealen, des Endlichen und Un-
endlichen; der Inhalt dieser Geschichte" sind die dichterischen
Erzeugnisse des Zeitraums.
Die Periode, auf welche die klassische folgt, wird die der
ersten und zweiten schlesischen Dichterschule genannt. Sie hat
an Martin Opitz von Boberfeld (geb. 1597, gest. 1(!39) , an
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau , an Daniel Caspar
von Lohenstein, und an Andreas Gryphius ihre Häupter gehabt.
Martin Opitz, mit seiner Beherrschung der alten und neuen
Sprachen, hatte nicht nur die Formen der Ode, des Sonetts
und des Epigramms in die Dichtkunst der Deutschen eingeführt,
und durch die regenerirte Sprache den Vers rein und edel neu
gebildet, sondern ihr auch verständigen Inhalt gegeben. Die
Begründer der zweiten schlesischen Dichterschule waren dagegen
durch das Phantasievolle ihrer Richtung auf die Abwege des
Haschens nach Effect und Bildern und des Ueberladenen und
Uebertriebenen gerathen. Somit hatte sich alle Poesie jener
Zeit in das Verstandesmässige des Martin Opitz, in das Phan-
166 Die Entwickelung der Lyrik
tasievolle und Schwülstige der Hoffmannswaldau-Lohensteinschen
Schule, und endlich noch in das Gelegenheitsdichten der Hof-
poeten des kurfürstlich - brandenburgschen Hofes, eines Ludwig
von Canitz, eines Johann von Besser, eines Ulrich von König
zersplittert. Allein da niemals mit einer Zersetzung, sondern
nur mit einer Vermittelung und Versöhnung eine geschichtliche
Periode abschliessen kann , so findet sich am Schluss dieser
Periode in der That ein solcher Vereinigungspunkt objektiven
Inhalts und subjektiver Empfindung. Es ist nemlich durch
Barthold Heinrich Brockes, Pathsherrn zu Hamburg (geb. 1680,
gest. 1747), nach dem Vorgange der englischen Dichter Thom-
son (seasons) und Milton (pradise lost) die Offenbarung Gottes
in der Natur und die Natur als neu unter die Objecte der
Poesie aufgenommen worden. Von hier also gehen die Fäden
aus, welche an die klassische Periode anknüpfen; hier sind die
Keime zu suchen der neu sich erschliessenden Poesie , hier ist
es , wo eine Versöhnung zwischen Inhalt und Form , Idee und
Wirklichkeit, Endlichem und Unendlichem , Subject und Object
prophetisch und plastisch vollzogen ist.
Die Hirsche, von Brockes.
1.
Flalb in frisch und kühlen Schatten, halb im schwülen Sonnenschein,
Unter blätterreichen Bäumen, zwischen kräuterreichen Hügeln
Sieht man einen edlen Hirsch hier im klaren Bach sich spiegeln,
So natürlich, dass der Schein selbst ein Urbild scheint zu sein.
Ist gleich seine Stellung still, lässt uns doch sein rasches "Wesen
Seine schüchterne Natur, aus fast regen Zügen lesen.
Seht! es rühren sich die Ohren. Schaut! die Augen sehn mich an.
Hört! ob man nicht eigentlich das Geraschel hören kann
Des von ihm zertret'nen Schilfs. — Edler Ridinger, dein Geist,
Welcher uns des Schöpfers Macht, in der Körper Schönheit, weis't,
Zeiget, welche Kraft, zu bilden, Gott den Geistern eingesenket,
Und zugleich, wie gross das Maass, welches dir von Ihm geschenket.
2.
Seht geschwinde, wie so rasch, munter, fertig, schnell und leicht
Hier der Hirsch, auf flacher Ebne, nach dem Walde springt und fleucht
in der klassischen Literaturperiode. 167
Er ist in so reger Stellung, dass sein Flieh'n ich nicht nur sehe,
Sondern fast das Stampfen hör'. Seht, wie lieblich von der Höhe
Dort die langen Schatten fallen, und den kühlen Abend weisen.
Selbst in der Copie der Anmuth kann man hier den Schöpfer preisen ;
Denn mich deucht, ich war im Felde, bei gekühlter Abendzeit,
Und bewunderte der Sonnen untergeh'nde Herrlichkeit.
Ist die Kunst nicht hoch zu schätzen, da durch sie wir, wie so schön
Die im Frühling schöne Welt, auch im Frost, im Zimmer sehn?
Wann Du der Geschöpfe Schönheit, durch das Aug', uns einverleibest:
Rührest Du, durch deine Hand, Ridinger, uns unser Herz.
Eines guten Schreibers Griffel ist dein Griffel. Denn Du schreibest
Unsers grossen Schöpfers Thaten, wirklich in der That in Erz.
Im verwachsenen Gefilde, zwischen dick-bebuschten Hügeln,
Im mit Schilf bekränzten Bach, der im Wiederschein stets grün
Durch der grünen Blätter Schatten, in polirter Klarheit schien,
Sieht man hier den edlen Hirsch weiden, und zugleich sich spiegeln.
In des offnen Maules Stellung sieht man deutlich, dass er fühle,
Wie die feucht' und frische Kost ihn mit Anmuth nähr' und kühle.
Doch sein Auge zeigt zugleich, dass sein prächtiges Geweih,
So der Wiederschein ihm zeiget, seiner Blicke Vorwurf sei.
Wer bewundert, der dies siehet, nicht des Künstlers kluge Hand?
Jeder Punkt zeigt einen Geist, jede Linie Verstand.
Aber hört! erkennt dabei, wenn auch sein Gemälde rühret,
Dass er uns, durch die Copie, zum weit schönern Urbild führet.
Der Punkt der Versöhnung und Vermittelung wird verglichen
mit der Knospe einer sich entwickelnden Pflanze, abschliessend
das, was hinter ihr liegt, und aufschliessend das, was nach
neuen Richtungen ihr mit neuem Triebe entkeimt. Es giebt
aber in dem Prozesse der Entwickelung zwei Hauptrichfungen,
nach denen sich der Geist fortspinnt, an dem Denken und an
der Anschauung. Entweder die Empfinduug vermittelt Gegen-
stände und Handlungen unserm Ich oder dem Subject, oder
das Subject bezieht seine Vorstellungen auf die Gegenstände
selbst, ihr Wesen, ihre Eigenschaften, ihre Farbe, ihre Be-
wegung, und betrachtet sie als wirklich gegenwärtig und als
hätten sie ein wirkliches Dasein, mit einem Worte als objectiv.
Die Wahl bald der einen, bald der anderen Art der Vorstellung
bedingt nun den Weg, Avelchen beide Richtungen verfolgen, um
endlich zu einer Versöhnung; und Vermittelung; wieder zu ge-
168 Die Entwickelung der Lyrik
langen, welche der, von der sie ausgingen, analog, nur mehr
der Vollendung oder dem höchsten Ziele näher gerückt ist.
Diese Genesis der Lyrik im 18. Jahrhundert nachzuweisen , ist
die Aufgabe.
In einem solchen Knoten- und Knospenpunkte der Ent-
wickelung des dichterisch schaffenden Geistes liegen rückbezüg-
liche und aufwärtstreibendc, negative und positive Kleinente.
Die Poesien von Brockes, gesammelt unter dem Titel: Irrdisches
Vergnügen in Gott, Hamburg 1721, 9 Bände, enthalten Beides.
Der negative Charakter der Brockes'schen Poesien besteht darin,
dass von ihm an die französirende Weise des Hoffinannswaldau-
Lohenstein mehr und mehr verfiel, indem die Engländer Thomson
und Milton als Muster dienten; sodann, dass durch ihn alles
Materialistische und Rohe entfernt, und endlich, dass der Ge-
legenheitsdichterei an den Höfen ein Ende gemacht wurde.
Seine positiven Elemente sind ausser dem Didaktisch -Moralischen
und Philosophischen das neue Element der Naturschilderung
und das Gefühlsmässige oder Sentimentale. In Brockes liegen
also die Keime der von nun an frischer emporstrebenden Arten
der deutschen Lyrik, des geistlichen Liedes, der Ode, der Elegie
und des Kunstliedes. Bevor aber die Fortentwickelung der
Lyrik aus diesen Keimen, wie sie in den Poesien des Brockes
elementarisch liegen, begleitet wird, ist die Verständigung über
den Charakter der Lyrik und ihre Gliederungen noth wendig.
Die Bestimmung des lyrischen Gedichts ist: höchster Aus-
druck der Empfindung des Subjects zu sein, ihr Hauptcharakter
demnach Subjectivität. Die Bedeutung der Subjectivität ist
zwar immer eine geringere als die der Objectivität, allein in
der Periode des Aufschwunges ist auch in der Lyrik immer
der Trieb dagewesen in das Objective überzugehen und sich
mit ihm zu verbinden. Das edelste Streben der Lyrik ist daher
das, den von aussen gegebenen Inhalt durch den Geist zu er-
fassen und ihn in das innere Bewusstsein aufzunehmen. Welches
war nun der neue Inhalt, den der Geist in sich aufzunehmen
und zu bilden hatte? Zunächst die nahe liegenden Beziehungen
zu dem Menschen selbst, die zu dem anderen Geschlecht, zur
in der klassischen Literaturperiode. 169
Familie, zur Freundschaft, zum gemeinsamen Volksstamme,
dann die Beziehungen zur Natur. Es sollen mit einem Worte
Religion, Le'en, Natur und Kunst Inhalt sein und sich zudem
noch gegenseitig durchdringen. Der Träger einer solchen Be-
ziehung des Subjects zu dem Gegenstande ist das Gefühl und
wird in Bewegung gesetzt, wenn die Objecte auf den Dichter
einwirken. Ein neuer Schauplatz thut sich dann auf, es ist die
Natur mit ihren Thälern und Bergen, Auen und Haiden, mit
den tausend Schönheiten des Frühlings und Sommers, wie mit
dem wunderbaren Detail des Spätherbstes; es sind die ländliche
Gegend, die einsame Mühle oder Bauernhütte, die reiche Wald-
wiese und ihre Einsamkeit, der berasete Dorfkirchhof. Aus
x\llem spriesst das frische Grün der Empfindung hervor und
erfreut die Seele des Menschen. Sodann wird auch das jre-
meinsam Nationale von der Empfindung bezogen und erscheint
in Symbolen der Freiheit; die Erinnerung an die Thaten der
Väter wird wach. Endlich erscheint die Religion und die Offen-
barung im Lichte der Idee, um Alles zu durchdringen. Ideale
schwellen das trunkene Herz des Dichters, wunderbare Wärme
erregt die Sehnsucht und das Sentiment, von dem L. Sterne
sagt in seinen empfindsamen Reisen: Dear sensibility! source
inexhausted of all that's precious in our joys or costly in our
sorrows! Thou chainest thy martyr down upon bis bed of straw
and it is thou who lifts him up to heaven.
Ein anderes charakteristisches Moment der Lyrik neben
dem Gefühlsmässigen ist das Naturgemässe , die naturgemässe
Wahrheit, d. h. die dichtende Brust muss so empfinden, wie
tausend Herzen wirklich fühlen können. Des Dichters Seele
ist die Seele der Menschheit, er spricht nur aus, was seine
Zeit, sein Volk, seine Glaubensgenossen in dunkler Ahnung
fühlen.
Formell endlich ist Charakter der Lyrik das Musikalische
und Malerische. Das Lied will gesungen sein , es bedarf der
Strophe, des Rhythmus, ja es sucht den Reim sich dienstbar zu
machen. Verschiedene Formen nun und verschiedener Inhalt
zwingen die lyrische Gattung, sich in mehrere Untergattungen
170 Die Entwickelung der Lyrik
zu zergliedern. Sie haben alle die oben auseinandergesetzten
Besonderheiten der Gattung: die Subjectivität, das Gefühls-
mässige, das Naturgemässe gemeinschaftlich, sondern sich
aber nach Inhalt und Form und müssen also auch eine jede
ihre eigene genetische Entwickelung haben. Nur das Streben
des dichterischen Bewusstseins, sich mit dem Inhalt zu ver-
schmelzen, zu der Yermittelung des Subject-Objects zu ge-
langen, wird wieder Allen gemeinschaftlich sein, und diejenige
lyrische Untergattung, welche dies Ziel nicht erreichen kann,
wird auf ihrem Gange verkümmern, wenn eine von ihren glück-
licheren Schwestern das endliche Versöhnungsfest des Subjects
mit dem Object, des Idealen mit dem Realen zu feiern berufen
ist. Für die klassische Literaturperiode wird diese Apotheose
gewöhnlich dem Kunstliede Göthes. Wenn die plastische d. i.
heidnische Schönheit als das höchste Ideal -Reale sich bestimmen
Hesse, so wäre die Versöhnung des Subjects mit dem Object
durch Göthes Kunstlied in der Dichtkunst in der That gefeiert
worden. Allein die ewigen Realitäten und ihre Geheimnisse
sind dem subjectiven Aneignen des Menschengeistes entrückt
und nur durch die Offenbarung durchscheinend dem Menschen-
geschlechte wiedergegeben , sodass eine letzte Vermittelung und
Versöhnung des Idealen und Realen in keinem Gebiete des
schaffenden Menschengeistes je auf Erden Statt finden kann.
Das Princip für die Geschichte der Entwickelung der
Lyrik ist, wie schon gesagt, der Begriff der Vermittelung und
Versöhnung des Idealen mit dem Realen. Die Genesis der
Lyrik des 18. Jahrhunderts ist also da zu suchen, wo die ersten
Spuren des Auseinandergehens jener beiden Momente wahr-
zunehmen sind. Ein Auseinandergehen kann aber nur da statt-
finden, wo eben vorher eine Sammlung, eine Einheit stattgefunden
hat. Ein solcher organischer Einheitspunkt, wo eine Vermittelung
objeetiven Inhalts und subjectiver Empfindung, wenn auch auf
niederer Stufe, concret vollzogen worden, sind — am Schlüsse
der Periode der schlesischen Dichterschulen — die Poesieen des
Berthold Heinrich Brockes, Rathsherrn zu Hamburg, heraus-
gegeben unter dem Titel: „Irrdisches Vergnügen in Gott," Ham-
burg 1721, 9 Bde.
in der klassischen Literaturperiode. 171
Nur das geistliche Lied hatte schon längst seine schönsten
Blüthen getrieben, ehe es in die Periode der klassischen Literatur
mit einzutreten berufen war. Ein Rückblick, wenn auch nicht
bis auf die Lieder Luthers, doch auf die Uebergangsdichter des
Kirchenliedes ist daher hier unerlässlich. Unter allen nun, in
denen die Glaubenskraft Luthers am reinsten vertreten ist, rasrt
der bekannte Paul Gerhard hervor. Neben ihm stehen Geor<r
Neumark und Paul Flemming. Beiden gehen voran Simon Dach,
Johann Rist, Johann Heermann. Auf einer zweiten Stufe stehen
Andreas Scultetus , David von Schweinitz, Johann Franke,
Andreas Heinrich Buchholtz und Andreas Gryphius, der Mit-
begründer der zweiten schlesischen Dichterschule. In diesen
eben genannten Dichtern hatte sich das protestantische Kirchen-
lied nicht nur vollständig entwickelt , sondern auch mit seinem
dogmatischen Inhalt das Uebergewicht über jede andere Richtung
innerhalb der geistlichen Lyrik errungen. Dem dogmatischen
Liede gegenüber war bei den zwei Katholiken zunächst , Jacob
Bälde und Friedrich von Spee, eine Hinneigung auf das Innere,
ein Versenken in die Betrachtung der Natur und des Göttlichen
eingetreten. So singt Spee in seiner Trutznachtigall:
Gleich früh, wann sich entzündet
Der silberweisse Tag,
Und uns die Sonn' verkündet,
Was Nachts verborgen lag :
Die Lieb in meinem Herzen
Ein Flämmlein stecket an,
Das brennt gleich einer Kerzen,
So Niemand löschen kann.
Sodann hatte sich noch ein anderer, und zwar der edelste
Aufschwung innerhalb der geistlichen Poesie gezeigt , nemlich
der Hallische und Herrnhutische Pietismus. Der Pietismus,
zunächst eine Reaction gegen Orthodoxie und Scholastik, nimmt
in der Entwicklung des Geistes innerhalb der Theologie sowohl,
als in der Literatur einen wichtigen Punkt ein. Es ist nemlich
das Wesen desselben, dass er sein eignes Innere, also das
Subjective und Endliche dem göttlichen Inhalte, dem Unendlichen
ganz und zwar freiwillig unterworfen hat und in das Leben der
christlichen Religion einzudringen strebt. Dies ist ein Ver-
172 Die Ent wi e kelung der Lyrik
mittelungsprozess von Subject und Object, mithin eine Ent-
wicklungsstufe, auf welcher der Mensch mit Gott versöhnt ist.
So lange der Pietismus daher wie bei Spener, Hermann Aug.
Francke und Ludwig von Zinzendorf energisch sich bethätigt
an dem Werke der Liebe, das für Alle vollbracht ist, ist er
eine der edelsten Erscheinungen. Da nun das religiöse Moment
auch wahrhaft poetisch ist, so musste auch das geistliche Lied
der llallischen und Herrnhutischen Pietisten eine hohe Weihe
haben. Befand sich der Pietismus im Besitze des höchsten
Gutes, des absoluten Wesens selbst , so war doch seine Poesie
noch nicht im Besitze auch seiner Naturoffenbarung, sondern
im Gegensatze zu jedem weltlichen Inhalte und daher einseitig.
Dasselbe war auch der Fall mit der eigentlichen Mystik, welche
angezogen von der Richtung Jacob Böhmes bei Angelus Silesius,
in dessen cherubinischem Wandersmann, geistlichen Hirtenliedern
und der betrübten Psyche eine Stätte fand. Die Mystik ist in
allen Perioden der Völker immer ein Durchgangspunkt zu
Höherem und Besserem in Religion und Poesie gewesen, indem
sie die Versöhnung des Subjects und Objects auf einer Stufe
des Abschlusses einer geistigen Culturperiode bezeichnet hat.
Wir gedenken hier eines Johann Tauler und des Büchleins von
der Nachfolge Christi. Die Mystik hat zu allen Zeiten die
schönsten Blüthen gespendet, und nach einer Zeit wie die der
Reformation, wo dem subjeetiven Glauben die Aufgabe geworden
war, selbstthätig seine Vereinigung mit dem göttlichen Geiste
zu vermitteln, war es erklärlich, diese Vermittelung auf dem
Wege des Versenkens in Gott zu erstreben und Gott selbst im
Innern anzuschauen. Es spricht sich dieses Einssein mit dem
höchsten Wesen in dem Verse des Angelus Silesius aus :
Ich lieb' ein einzig Ding,
Und weiss nicht was es ist,
Und ob ich es nicht weiss,
Doch hab' ich es erkies't.
Diese drei Richtungen der geistlichen Lyrik, die alt -pro-
testantische, die katholisirende, die pietistisch -mystische hatten
den Trieb nach der Versöhnung des Subjects mit dem Object
in sich. Nun ist es aber das Eigentümliche der geistlichen
in der klassischen "Lil oraturperiode. 173
Lyrik, dass ihr Inhalt nicht von der Welt stammt, d. h. kein
reeller ist, sondern ein ideeller, der nicht von dem sinnlich
Wahrnehmbaren seinen Ursprung nimmt. Wie aber jede Sub-
jectivität, so sucht sich auch die religiöse in der Welt der Er-
scheinungen wirklich zu machen. Es soll auch in der That alle
Kunst und alle Poesie religiös sein. Zur Herrschaft über das
weltliche Lied konnte es daher das geistliche wohl bringen, aber
nicht zur absoluten Herrschaft in der Kunstpoesie, weil die
geistlichen Dichter sich abstrahirend von jedem endlichen Inhalt
und sogar entgegengesetzt gegen das Weltliche verhielten, mit-
hin noch nicht aller Inhalt in das Licht des Gedankens gesetzt
war. Da gab Barthold Heinrich ßrockes in seinem: „Irrdischen
Vergnügen in Gott" der religiösen Empfindung noch die ganze
äussere Natur als Object, als Inhalt, und das lyrische Gedicht
trat somit auf den Durchgangspunkt, aus dem die neuen Triebe
des klassischen Zeitraumes emporsprossen konnten. Ein Trieb
aber hat das Nothwendige in sich, sich sogleich zu entwickeln.
Das erste Moment nun, welches sich aus Brockes Poesie heraus-
setzte, und von nun an in die Lyrik überging, war das Ma-
lerische in Verbindung mit dem Religiösen. Wir treffen es in
dem Vorläufer Klopstock's, in Karl Friedrich Drollinger (1688
— 1742), Hofrath in Basel, welcher das neu überkommene
Moment, die Schönheit der Natur, in das Licht der religiösen
Idee zu setzen verstand. — Das zweite Moment der Brockes'-
schen Poesie war das Didaktische in Verbindung mit dem Ma-
lerischen. Dies bildet sich fort bei Albrecht von Haller, welcher
wie Drollinger auf Klopstock hinweist. Das dritte Moment
der Brokes'schen Poesie war das Gefühlsmässige, das Weh-
müthige, das Sentimentale; der Dichter aber, bei dem durch die
Hinneigung zum Wehmüthigen, Ernsten und Religiösen alle
diese Strahlen wieder gleichsam in einen Focus gesammelt
werden sollten, war Friedrich Gottlob Klopstock.
Zu der Natur und Religion, wie sie bei Brockes Inhalt
sind, fügte er die Momente der Freiheit und Vaterlandsliebe
hinzu, sodass diese sämmtlichen Beziehungen auf das höchste
Allgemeine bei ihm den Grundzug bilden. So ist denn durch
Klopstock der gesammte endliche Inhalt in den Dienst des
174 Die Entwickeln ng der Lyrik
aktiven, religiös anschauenden Subjects gegeben, und also die
Versöhnung des Realen und Idealen zum erstenmal in der Lyrik
vollbracht worden. Alle Dinge auf Gott oder die absolute Idee
zu beziehen, das war der Beruf Klopstocks, seine That war es,
dass die Versöhnung des Sinnlichen mit dem Religiösen inner-
halb der Poesie zu Stande kam, und in dieser Beziehung wird
er der erste klassische Dichter genannt. Dazu kam nun noch
als neue Form der musikalische Vollklang der Sprache, ein
Vermächtniss von Brockes, ferner das durch ihn neu in der
Poesie erscheinende Pathos oder das Pathetische, und das schöne
formale Denken. Diese machten die äussere Seite seiner Lyrik
aus. Alles, was darüber noch hinausging, Hess sich entweder
in das Epos, den Messias, aufnehmen, oder strömte in dieser
schönen Vermählung von Idee und Leben, von Inhalt und Form
den Untergattungen der Lyrik, der Ode und Elegie zu, oder
zersetzte sich sofort wieder in die Elemente, aus denen es sich
gebildet hatte, in das Religiöse, Musikalische und Didaktische,
wie bei Geliert, Lavater, Joh. Andreas Cramer, Adolf Schlegel
und Christian Friedrich Neander.
Die drei Haupt - Untergattungen der Lyrik des 18. Jahr-
hunderts sind: die Ode, die Elegie und das Lied. Sie haben
alle drei Empfindungen zum Inhalt und drücken die Empfindung
des Dichters aus. Bei den alten Völkern waren alle drei noch
eins, wie der griechische Ausdruck wdij Gesang bezeugt. In
dieser Zeit des Alterthums war der Unterschied der Gegen-
ständlichkeit und der Empfindung noch nicht gegeben, und der
Urzustand von allen dreien ist ein objectiver. Die antiken Lieder
sind daher zuerst alle Oden, welchen Inhalt sie aucli haben
mögen. Vortrag, Einkleidung und lebhafte Bilder können also
jeden, auch den kleinsten Inhalt zur Ode werden lassen, z. B.
An die Grille (Anakreon).
Glücklich preis' ich Dich, o Grille,
Die auf grünem Wiesenplan,
In des Waldes heil'ger Stille,
Wie ein König leben kann.
in der klassischen Literaturperiode. 175
Wenig Thau ist ihre Speise,
Feld und Flur sind ihr Gebiet,
Ueberall in gleicher Weise
Tönt ihr immer frohes Lied.
Niemand thut ihr was zu Leide,
Selbst der Landmann ist ihr Freund,
Sie verkündet uns zur Freude,
Wenn der holde Lenz erscheint.
Phöbus selbst ist ihr gewogen,
Auch die Musen sind ihr hold;
Phöbus gab ihr wohlgewogen
Eine Stimme rein wie Gold.
Keine Zeit schwächt ihre Kräfte,
Still lebt sie im grünen Reich,
Blutlos, ohne ird'sche Säfte
Ist sie fast den Göttern gleich.
Die Aesthetiker sagen: Charakter der Ode, materiell, ist
das Erhabene. Die Ode ist die Frucht des höchsten Feuers
der Begeisterung, oder wenigstens des lebhaftesten Impulses der
dichterischen Subjeetivität. Es ist nicht die Grösse des Gegen-
standes, nicht die Wichtigkeit des Stoffes, sondern das Erhabene
des Gedankens, was der Ode eigenthümlich ist. Insofern der
Gedanke mit dem Inhalt noch eins und die Anschauung noch
ungetrennt ist vom Inhalt, ist ihr Charakter Objectivität gegen-
über der Elegie , in der das Subject sich schon dem Inhalt
gegenüber leidend findet. Charakter der Ode, formell, ist das
Musikalische, so wie auch das Pathos. Es lässt sich wohl an-
nehmen, dass ein so ausserordentlicher Aufschwung der Ge-
danken, ein Zustand, in dem man vor Fülle der Empfindung in
den Gesang übergehen will, auch einen ausserordentlichen Rhyth-
mus veranlasst haben. Die Griechen haben für die Kunstode
die schönsten Metra und Anordnungen erfunden, ja, der könig-
liche Sänger David hat, wenn auch nicht die Sylben gemessen,
176 Die Entw icke lung der Lyrik
doch in dem sogenannten Parallelismus dem Psalmenvers eine
musikalische Form gegeben:
Wohl dem, der nicht wandelt im Rath der Gottlosen,
Noch tritt auf deu Weg der Sunder,
Noch sitzt, da die Spötter sitzen.
Das andere Formale ist die stärkere Schattirung des Ge-
dankens, welche man das Pathos nennt:
Nicht in den Ocean der Welten alle
Will ich mich stürzen ! schweben nicht
Wo die ersten Erschaffenen, die Jubelchöre der Söhne des Lichts
Anbeten, tief anbeten ! und in Entzückung vergehn !
Als Eigenthümliches der Barthold Heinrich Brockes'schen
Dichtungen war oben festgestellt worden: 1) Das Didaktische
und das Philosophische, beide in Verbindung mit dem Malerischen,
ein Erbtheil seiner Vorgänger, und 2) das Naturgemässe und
das Gefühlsmässige , beide neu und damals in Deutschland
diesem Dichter eigenthümlich.
Gottheit, deren ewigs Wesen heilig, selig, herrlich, wahr,
Unerforschlich, weis', allmächtig, liebreich und unwandelbar,
Lass mich von dem hellen Himmel nie die strahlenreichen Höhen,
Ohn' an Deine Lieb' und Macht fröhlich zu gedenken, sehen!
Bis mein Geist, nach dieser Erde, von der ew'gen Sonnen Schein
Wird, unmittelbar bestrahlet, ewiglich erleuchtet sein.
(Brockes V, 4.)
Flammende Rose, Zierde der Erden,
Glänzender Gärten bezaubernde Pracht!
Augen, die Deine Vortrefflichkeit sehen,
Müssen vor Anmuth erstaunet, gestehen,
Dass Dich ein göttlicher Finger gemacht.
Vor Brockes lagen die Elemente der Ode, der Elegie und
des Liedes unentfaltet in den Hymnen des siebenzehnten Jahr-
hunderts. Martin Opitz von Boberfeld hatte die Ode vermittelst
seiner Bekanntschaft mit den Alten und mit den Literaturen
der benachbarten Völker wieder aufs Neue in die Lyrik ein-
geführt, und auch den gelehrten Dichtern der Hoffmannswaldau-
Lohensteinschen Schule war sie in der klassischen Form über-
kommen. Die Ode hatte daher nur die Aufgabe sich generell
in der klassischen Literaturperiode. 177
zu bestimmen und sich aus der verwandten Hymne heraus-
zusetzen. Dies geschah durch Klopstock. Unterdessen war
auch ausserhalb die Atmosphäre, in welcher die neue weltliche
Lyrik athmen sollte, eine andere geworden. Statt der Italiener
und Franzosen waren die Engländer als Muster genommen
worden: Shakspeare, Lawrence Sterne, Goldsmith, Swift,
Henry Fielding, Samuel Richardson, Edward Young, Addison,
Alexander Pope, James Thomson, John Milton, Thomas Grey,
William Collins, Tobias Smollet.
In dem Uebergangsdichter B. H. Brockes lagen also als
einzelne Momente das Didaktische, das Religiöse, die Natur-
malerei und das Gefühlsmässige. Dennoch setzte sich Anfangs
das Naturgemässe und Religiös -Didaktische nicht sogleich ver-
mittelt aus diesem Einheitspunkte bei Brockes heraus, sondern
zunächst das religiöse Element allein in Karl Friedrich Drol-
linger, und das Didaktische ebenfalls allein in Albrecht von
Haller (aus Bern, 1708 — 1777, Professor in Göttingen, zuletzt
in Basel).
Beide verpflanzten diese zwei Elemente Brockesscher Poesie
nach den süddeutschen Ländern, während im Norden die Auf-
nahme der ganzen Natur, der Religion, der Freiheit und des
Vaterlandes der neue Inhalt wurde.
Waren die Momente in der Kunstode Klopstocks nur das
Religiöse, die Freiheit, das Vaterländische, die Naturanschauung,
so geschah es bald, das3 dieselben in einem Zersetzungsprozesse
sich einzeln herausstellten. So gab das Vaterländische oder
Patriotische die Veranlassung zu der Bardendichtung nach
Ossian, in welcher die nordisch -germanische und keltische
Sagenwelt sich einführt in die lyrische Form und bis zum
Episch -Dramatischen vorgeht. Ausser Klopstock dichteten in
dieser Weise:
Michael Denis (1729 — 1800, aus Baiern, Uebersetzer des
Ossian).
Das Donnerwetter.
Herrlich und furchtbar bist Du, gewaltiger
Wolkenversammler, Himmelverfinsterer! u. s. f.
Archiv f. n. Sprachen. XXV1I1. 12
178 Die Entwickelung der Lyrik
Karl Friedrich Kretschmann (1738 — 1809, aus Zittau) in
seinem: „Gesang Kingulph des Barden" und „Klage Kingulph
des Barden."
Wilhelm von Gerstenberg (1737 — 1823, aus Tondern).
Auch in den Göttinger Kreis ging die Barden -Ode über.
Göttingen nemlich war der Platz für englische Literatur in
Deutschland geworden. Seit 1763 lebten daselbst Heinr. Christ.
Boje und Friedr. Wilh. Gotter. Beide machten den Versuch
einer Nachahmung des Almanac des Muses, einen deutschen
Musenalmanach mit Unterstützung der Dichter Gleim, der
Karschin, Willamov, Thümmel, Kretschmann, Klopstock,
Gerstenberg und Ramler herauszugeben. Zu diesen kamen
bald Gottfr. Aug. Bürger, Hölty, Martin Miller, Joh. Heinr.
Voss, Joh. Andreas Cramer, Christian und Friedrich Leopold
von Stollberg.
Ausser der Abstraction der Klopstock'schen Ode nach der
Seite des Vaterländischen hin, wie es in der Barden -Ode zum
erstenmal national -deutsch zum Vorschein kommt, hob sich das
Formale der Ode einseitig hervor bei Karl Wilhelm Ramler,
dem Uebersetzer des Horaz, und insbesondere das formale Pathos
bei Johann Gottlieb Willamov (1736 — 1777, aus Morungen in
Ostpreussen, Dithyramben.)
Aus den Brockesschen Poesien hatte sich, wie gesagt, das
Gef ühlsmässige als neues , dem Zeiträume der Dichterschulen
ganz unbekanntes Moment herausgesetzt. Das Gef ühlsmässige
oder Sentimentale ist die Beziehung der Aussen weit, der Ob-
jecte , auf das Bewusstsein des Subjects. Der Zustand, der für
den Dichter aus einer derartigen Beziehung entsteht, heisst das
Gefühl. So wie sich nun die Empfindung oder das Gefühl im
Unterschiede von der Gegenständlichkeit anschaut, entsteht die
Elegie. Die Elegie verhält sich zur Ode wie Subjectives zu
Objectivem, und wie bei den Griechen erst die Ode und dann
die Elegie sich vorfand, so war sie auch jetzt die Hauptunter-
gattung, welche auf die Ode folgen musste, nachdem das Sub-
ject anfing, sich den Gegenständen gegenüber zu fühlen, und
das Gemüth gleichsam der Heerd des Gefühls, eine besondere
in der klassischen Literaturperiode: 179
Betheiligung bei dem Erfassen der Gegenstände zeigte. Die
Sentimentalität war hervorgerufen worden, und das Elegische
wurde zugleich Hauptcharakter der dichterischen Productionen
der klassischen Literaturperiode. Passivität der Empfindung
und das Wehmüthige sind mithin das Wesen der Elegie. Mit
einer wunderbaren Wärme durchdrang die Wehmuth in jener
Zeit das gesellige Leben und schuf eine Begeisterung für das
Ideale und für die absolute Schönheit, welche in diesem Um-
fange nie wieder poetische Erzeugnisse durchdrungen hat. Jedes
fallende Blatt, jeder Flitter an Todtenkränzen füllte die Seele
mit den dunklen Vorstellungen des Idealen und hob sie hoch
empor über das gemeine Wirkliche. Was die Form der Elegie
betrifft, so hatten die Griechen den Hexameter abwechselnd mit
dem Pentameter, versibus impariter junctis, wie Horaz sagt,
für dieselbe gewählt, das sogenannte elegische Versmass. Die
Elegien der Griechen sind uns verloren i>eganp-en und nur die
lateinischen des Ovid, Catull und Propertius auf uns gekommen.
Diese wehmüthige Stimmung des achtzehnten Jahrhunderts
war vorbereitet worden durch die empfmdungsvolle Theilnahme
an der Natur, welche, wie wir wissen, durch Barthold Heinrich
Brockes in die Poesie eingeführt war. Genetisch entwickelte
sich also diese Stimmung auf ihre Art, stufenweise durch alle
Untergattungen hindurch, bis sie sich am Ende des Jahrhunderts
in ihren Extremen gegenüber dem Objectiven zeigt und eine
neue Versöhnung von Inhalt und Form, Realem und Idealem
gleichsam ein Postulat innerhalb der Poesie wird. Der elegische
Hauch zeigt sich in seiner ersten und ursprünglichen Reinheit
auch bei Klopstock; bei Göthe kam in den römischen Elegien
auch der altrömische Begriff von Elegie als eines subjectiven
Gelegenheitsgedichtes , welchem die Klage und Wehmuth nicht
an sich nothwendige Merkmale sind, wieder auf. Schiller dich-
tete seinen „Spaziergang" und seine „Nänie;" die Engländer
tauchten Alles in ihr sentiment, so dass wir sehen, wie das
ganze Jahrhundert materiell und formell elegisch war. Die
eigentlichen Repräsentanten der Elegie in der klassischen
Literaturperiode sind :
Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748 — 1776, aus
Mariensee bei Hannover).
12'
180 Die Entwickelung der Lyrik
Wilhelms Braut war gestorben, der arme verlassene Wilhelm
Wünschte den Tod und besuchte nicht mehr den geflügelten Reigen.
Selig Alle, die im Herrn entschliefen,
Selig, Vater, bist auch Du. u. s. f.
Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Sewis (1762 — 1834,
in Graubündten).
Das Grab ist tief und stille
Und schauderhaft sein Rand u. s. f.
Traute Heimat meiner Lieben,
Sinn ich still an dich zurück,
Wird mir wohl und dennoch trüben
Sehnsuchtsthränen meinen Blick.
Friedrich Matthisson (1761 — 1831 aus Hohendodeleben bei
Magdeburg).
Schweigend in der Abenddämm'rung Schleier
Ruht die Flur, das Lied der Haine stirbt u. s. f.
Die Pappelweide zittert
Vom Abendschein durchblinkt,
Wo von Jasmin umgittert
Die Laube traulich winkt u. s. f.
Einsam wandelt Dein Freund im Frühlingsgarten
Mild vom lieblichen Zauberlicht umflossen u. s. f.
Christian August Tiedge (1752 — 1841, aus Gardelegen).
Mir auch war ein Leben aufgegangen,
Welches reich bekränzte Tage bot u. 8. f.
Ludwig Theobul Kosegarten (1758 — 1818, aus Greves-
mühlen in Meklenburg).
Sonne Du sinkst! u. s. f.
Seid mir gegrüsst, ihr grünenden Gefilde!
In euch wird mir so traulich wohl! u. s. f.
Ewald Christian von Kleist (1715—1759, aus Zöblin in
Pommern).
Empfangt mich heilige Schatten! ihr hohen belaubten Gewölbe,
Der ernsten Betrachtung geweiht, empfangt mich und haucht mir
ein Lied ein
Zum Ruhm der verjüngten Natur, u. s. f.
in der klassischen Literaturperiode. 181
Carl Heinrich Heidenreich (1764 — 1803, aus Stolpen).
O wirf oft die schöne, ernste Hülle,
Schwester, Du, der öden Grabesstille,
Traute Einsamkeit, um mich ! u. s. f.
Aus allen gegebenen Proben der elegischen Untergattung
erhellt, dass durch die Reflexion, die der Elegie zu Grunde
liegt, das Subjective wieder von dem allgemeinen Inhalt getrennt
worden ist und die Entwickelung weiter dahin fortschreitet, wo
sich das Allgemeine wieder mit dem Subject zu verbinden hat.
So zeigt sich denn die Auflösung der elegischen Untergattung
einerseits in dem zuletzt fehlerhaft gewordenen Natürlichen des
Inhalts und geht andrerseits in die Formlosigkeit der poetischen
Prosa unter. In den äussersten Extremen der Abstraction vom
Objectiven angekommen, verflachte sich das Gefühlsmassige in
der Elegie immer mehr und mehr.
In der Elegie ist das Ungetrenntsein des Endlichen und
Unendlichen zwar vorhanden, aber das Subject passiv oder
leidend. In der Ode war das Ungetrennte des Endlichen und
Unendlichen und das Subject aktiv oder positiv. Die herrschende
Kunstkritik räumt daher dem Kunstliede, als der Vermittelung
der absoluten Allgemeinheit mit der individuellen Empfindung
den höheren Platz in der Entwickelung der lyrischen Gattung ein.
Auch das Kunstlied des 18. Jahrhunderts hat seine Keime
in jenen Poesien des Barthold Heinrich Brockes, welche in
dieser Abhandlung stets als Schlusspunkt des 17. Jahrhunderts
und Anfangspunkt des 18. Jahrhunderts angesehen worden sind,
weil in ihnen die Momente des Absoluten, d. i. die Schönheit,
Wahrheit, Freiheit und Religion unentwickelt, embryonisch lagen.
Brockes hatte sogar ausser dem Religiös - Didaktischen, welches
in das geistliche Lied und in die Ode überging, ausser dem
Empfindungs- und Gefühlemässigen, welches durch die Ode in
die Elegie kam, auch die Plastik seiner Vorgänger, der Pegnitz-
schäfer, d. h. das Objectiv - Bildliche und Musikalische in der
Sprache mitgebracht. Allein das Wichtigste in Brockes war,
dass er allen und jeden Inhalt der subjektiven Empfindung
gleichsam zum Verarbeiten übergeben hatte. Auf diese Weise
1 S2 Die Ent wickclung der Lyrik
war auch das Weltliche im Lichte des Sittlichen durch Friedrich
von Hagedorn (1708 — 1754, zu Hamburg) zur Darstellung ge-
kommen. Hagedorn steht in der Mitte zwischen dem Geistlichen
und Weltlichen, aber so, dass das Weltliche überwiegt, aber
nach der sittlichen Seite hin gefasst ist. So rückt durch ihn
das Religiöse der Vermittelung mit dem Endlichen eine Stufe
näher, und somit ist Hagedorn ein wichtiges Mittelglied zwischen
Brockes und Klopstock.
Madrigal (Hagedorn) .
Wohin Du trübe Welle?
Wohin mit solcher Schnelle,
Als trügst Du einen Raub?
Ich bin des Lebens Welle,
Bedeckt mit Uferstaub,
Ich eil' aus den Gewühlen
Des engen Stromes, weit
Zur Meerunendlichkeit,
Um ab von mir zu spülen
Den Uferschlamm der Zeit.
Aber auch insofern ist er dieses Mittelglied, als er der
Gefeierte der sogenannten Bremer Beitragenden ist, jener Ge-
sellschaft, welche die neue Wochenschrift der „neuen Beiträge
zum Vergnügen des Verstandes und Witzes" herausgab, in
welcher von Klopstocks Messias die ersten drei Gesänge 1748
erschienen. Endlich drittens ist aus der Zersetzung der Elemente
seiner Muse eine neue Untergattung hervorgegangen, nemlich
die sokratisch - anakreontische Poesie. Von Hagedorn aus
nemlich zeigt sich ein Fortwirken in seiner Auffassung in einem
Kreise junger Männer in Leipzig, welche sich Aufangs um den
bekannten Professor Gottsched geschaart, und dann von diesem
abfallend, sich dem Geschmack der Züricher Professoren Bodmer
und Breitinger zugewendet hatten. Es gehörten zu diesem
Kreise zunächst der Kritiker Gärtner, der geistliche Lyriker
J. Andreas Kramer und Adolf Schlegel. Bald schlössen sich
an diese Rabener, Arnold Schmidt, Ebert, Zachariä, Straube,
Joh. Elias Schlegel und Geliert an. Unter diese jungen Männer
vertheilten sich nun die Hagedornschen Elemente der pathetischen
Freundschaft, der anakreontisch- sokratischen Lebensweisheit
in der klassischen Liter aturperiode. 183
und des Epischen in Erzählung und Fabel. Als Repräsentant
dieser Lyrik gilt Nicolaus Dietrich Gieseke (1724 — 1765, aus
Ungarn, zuletzt Superintendent in Sondershausen). Das so-
kratisch - anakreontische Lied , in welchem die als unschuldig
erscheinende Lebenslust des Anakreon und die praktische Weis-
heit des Sokrates erschienen, ist also das Lied, in welchem das
Sinnliche der Freude und des Genusses im Lichte der Schön-
heit erscheint. Ein Muster giebt der Grieche selbst:
Auf zarten Myrthen, im duftenden Grase
Will ich gelagert beim Becher mich freun.
Eros, im leicht nur verhüllenden Kleide,
Schenke mir selber den kühlenden Wein.
Schnell wie die Räder am eilenden Wagen,
Fliesst mir beim Becher das Leben dahin.
Wenige Asche nur bleibet noch über,
Bricht einst der Tod meinen fröhlichen Sinn.
War' es nicht thöricht, die Erde zu netzen
Und mit Oele zu salben den Stein?
Nein, so lang' ich auf Erden noch walle,
Will ich mich ganz der Fröhlichkeit weih'n,
Will mit duftendem Oele mich salben,
Kränzen mit blühenden Rosen das Haupt ;
Ehe der Tod mich ins Schattenreich sendet,
Sei mir nicht Frohsinn noch Liebe geraubt.
In der Nähe von Halle war das Haus des Predigers
Samuel Gotthold Lange (1711 — 1781) zu Laublingen ein
freundlicher Musensitz geworden, wo sich gebildete Männer aus
der Nähe und Ferne ungemein wohlgefielen. In diesem so-
genannten Hallischen Kreise bildeten sich das horazische Gedicht
und das anakreontische Lied bis zur Grazienpoe&ie Wielands
und zu der freundschaftlichen Epistel fort. Neben Lange steht
noch Immanuel Pyra (1715 — 1744, aus Kottbus). Dieser
Hallische Kreis verwandelte sich zugleich in einen Halberstädter,
als Wilhelm Ludwig Gleim (1719 — 1803, aus Ermsleben bei
Halberstadt) daselbst einen festen Aufenthalt gewann, und zu
diesen gehörten Johann Peter Uz (1720 — 1760, aus Anspach),
J. Nicolaus Götz -(1721 — 1781, aus Worms), Johann Georg
181 Die Entwickelung der Lyrik
Jacobi (1740-1814, aus Düsseldorf) und Felix Weisse (1720
bis 1804, aus Annaberg).
Das Graziöse und das Freundschafts - Pathos der Anakreon-
tischen Dichter ist aber immer nur ein beschränkt allgemeiner
Inhalt für das Lied; nur erst da, wo die individuelle subjective
Empfindung mit dem geistig allgemeinen Inhalte zusammentrifft
und sich so weit erhebt, dass das Allgemein - Menschliche an
ihr hindurchscheint, da entsteht das Lied, welches dem Ver-
hältniss des Subject-Objects entspricht. Auch hatte die Poesie
der Anakreontiker in Wieland, wie die Ode in Klopstocks
Messias ihren epischen Schluss gefunden, und die Richtung der
Halle- Halberstädtischen Schule war in die Erzählung, die Fabel
und die Epistel übergegangen. So musste es denn in dem
weiteren Entwickelungsprozess des Liedes dahin kommen, dass
noch einmal auf die volksmässige Objectivität durch Joh. Gott-
fried von Herder (1744-1803) aufmerksam gemacht wurde.
Zwar gehörten schon Gleims preussische Grenadierlieder dieser
Sphäre an und auch Bürger, Voss, Hölty und Martin Miller
hatten ebenfalls das Lied im Volkston bearbeitet.
Das Verhältniss , in welchem Herder reformatorisch in der
Entwickelungsgeschichte der deutschen Literatur als Kritiker
und Mann der Wissenschaft auftritt, berührt die Geschichte der
Lyrik nur insofern, als er die Gegenstände in ihrem früheren,
von der Cultur noch nicht berührten Naturzustande darstellt.
In dem Suchen nach Volkstümlichem, Originalem und Genialem
kam er auf die Urzustände der Poesie und der Menschheit und
hob somit auch das Natur- und Volkslied aus dem Staube der
Vergessenheit. Zur eigenen Production solcher Volks- und
]Naturlieder, wie er sie angewiesen hatte, konnte er selbst nicht
kommen, weil ihm die plastische Kraft zur Gestaltung mangelte.
Wohl unabhängig von Herder wandte sich dem Volkston
zu Matthias Claudius (1740 - 1815, aus Rheinsfeld im Holstein-
schen). Im Süden Deutschlands traf den Volkston der Vor-
läufer Schillers Friedrich Daniel Schubart (1739—1791, aus
Obersontheim). Auch Joh. Kaspar Lavater und Martin Usteri
(1763 — 1827, aus Zürich) sind hierher gehörig. Mit Gebrauch
in der klassischen Literaturperiode. 185
des provinzialen Volksdialektes dichteten Joh. Conrad Grübel
(1736 — 1809, zu Nürnberg) und (Johann Peter Hebel 1760 —
1826, zuletzt Prälat in Karlsruhe).
Das Wesen des von Herder eingeführten Natur- und Volks-
liedes und des eigentlichen Kunstliedes verband in letzter Voll-
endung Wolfgang von Göthe, welcher somit den Schlusspunkt
in der genetischen Entwickelung der lyrischen Gattung des
vorigen Jahrhunderts ist, indem durch ihn das subjectiv-objec-
tive Kunstlied in der Lyrik dieselbe Aufgabe löst, welche aller
Poesie überhaupt gestellt ist, nemlich die Versöhnung und Ver-
mittelung des Realen und Idealen, insofern der Begriff Ver-
söhnung und Vermittelung als Prinzip und Einheitspunkt für
alle Geschichte des Geistes genommen wird.
Charakterisiren wir nun den Entwickelunorsgano- der Dicht-
OD D
kunst und der lyrischen insbesondere im achtzehnten Jahrhundert
als ein Herausarbeiten aus den Schranken, welche ihr im sieben-
zehnten durch das Ausländische, durch das Dogma und durch
die Formen der Schlesischen Dichterschulen gezogen waren, so
gewahren wir als Resultat in den siebenziger Jahren der klas-
sischen Periode, dass das Natur- und Volksgemässe das Allein-
herrschende geworden ist, ferner, dass das Gef ühlsmässige durch
Ode und Elegie bis in die Extreme hindurchgegangen ist, endlich,
dass der gesammte Inhalt vielseitiger, wahrhafter, nationaler
und reicher geworden und der Schönheit, Wahrheit, Freiheit
und Religion als einer Einheit sich zu nähern anstrebt. Dieses
Verschmelzen des Objectiven und Individuellen wurde das
Charakteristische der Muse Göthes und erzeugte das Kunstlied.
An dieser Erscheinung des Schönen in der Lyrik participirt
aber auch der Dichter der Glocke da, wo er die Kraft besitzt,
das Allgemeine plastisch darzustellen. Aber die Lyrik Schillers
ist nicht die Lyrik der Situation, sondern geht fast immer von
den höchsten Ideen der Menschheit aus. Seine Seele gestaltete
diese Gedanken vermittelst der Phantasie zu Verkörperungen.
Dem dunklen Schoss der heil'gen Erde
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat,
Und hofft, dass sie entkeimen werde
Zum Segen nach des Himmels Rath.
186 Die Entwickelung der Lyrik in der klassischen Literaturperiode.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoss
Und hoffen, dass er aus den Särgen
Erblühen soll zu schöner'm Loos.
Die Lyrik Schillers ist daher als eine besondere Sphäre,
die Lyrisch - Didaktische, allein und besonders zu betrachten.
Beeskow. Dr. Sehe der.
Erklärung Uhlandischer Gedichte.
Das Nothhemd.
„Ich muss zu Feld, mein Töchterlein,
Und Böses dräut der Sterne Schein,
Drum schaff du mir ein Nothgewand,
Du Jungfrau mit der zarten Hand!"
„Mein Vater! willst du Schlachtgewand
Von eines Mägdleins schwacher Hand?
Noch schlug ich nie den harten Stahl,
Ich spinn' und web' im Frauensaal."
„Ja! spinne, Kind, in heil'ger Nacht,
Den Faden weih' der höllischen Macht,
Draus web' ein Hemde, lang und weit,
Das wahret mich im blut'gen Streit."
In heil'ger Nacht, im Vollmondschein,
Da spinnt die Maid im Saal allein.
„In der Hölle Namen!" spricht sie leis,
Die Spindel rollt in feurigem Kreis..
Dann tritt sie an den Webestuhl
Und wirft mit zagender Hand die Spul';
Es rauscht und saust in wilder Hast,
Als wöben Geisterhände zu Gast.
Als nun das Heer ausritt ziir Schlacht,
Da trägt der Herzog sondre Tracht:
Mit Bildern, Zeichen, schaurig, fremd,
Ein weisses, weites, wallendes Hemd.
188 Erklärung Ulilandischer Gedichte.
Ihm weicht der Feind wie einem Geist,
Wer bot' es ihm, wer stellt' ihn dreist,
An dem das härteste Schwert zerschellt,
Von dem der Pfeil auf den Schützen prellt!
Ein Jüngling sprengt ihm vor's Gesicht:
„Halt, Würger, halt! mich schreckst du nicht.
Nicht rettet dich die Höllenkunst,
Dein Werk ist todt, dein Zauber Dunst.
Sie treffen sich und treffen gut,
Des Herzogs Nothhemd trieft von Blut;
Sie haun und haun sich in den Sand
Und Jeder flucht des andern Hand.
Die Tochter steigt hinab in's Feld:
„Wo liegt der herzogliche Held?"
Sie find't die todeswunden Zwei,
Da hebt sie wildes Klagseschrei.
co~
„Bist du's, mein Kind? Unsel'ge Maid!
Wie spannest du das falsche Kleid?
Hast du die Hölle nicht genannt?
War nicht jungfräulich deine Hand?"
„Die Hölle hab' ich wohl genannt,
Doch nicht jungfräulich war die Hand;
Der dich erschlug, ist mir nicht fremd,
So spann ich, weh! dein Todtenhemd.;k
Da die Ballade nach der Echterrneierschen Definition dieser
Dichtungsgattung, an die wir uns anschliessen , es mit dem
Geiste in seiner Beschränktheit, in seiner Naturbedingtheit zu
thun hat, da sie dem episch mythischen Kreise, also dem Natur-
zustande des Volkes entspricht, so lässt sie Gestalten auftreten,
die in die Mythologie des Volkes gehörend in derselben geheim-
nissvolle Naturkräfte darstellen. Demnach gehören in die Bal-
lade die Riesen, Zwerg, Nixen und Elfensagen und die Fi-
guren und Heldengestalten, denen das Volk mit Vorliebe über-
irdische Kräfte beigelegt hat. Der Deutsche hat nun stets den
Frauen höhere prophetische Kräfte beigelegt und häufig Schick-
salsverkünderin und Zauberweiber in seine Dichtungen einge-
Erklärung Uhlandischer Gedichte. 189
führt. Er hat in seiner Heldensage mit Vorliebe diese Besra-
bung der Frauen gefeiert und sie als Walkyrien oder Schild-
mädchen mit überirdischen Kräften ausgerüstet den Göttern
angereiht. *) So beziehen sich denn auch viele Sagen auf diese
geheimnissvollen Kräfte der weiblichen Natur und auch das
vorliegende Gedicht beruht auf diesem Sagengrunde. Der
Deutsche knüpft an das Spinnen und an das Bild spinnender
Frauen etwas Unheimliches und schaut als Urbild verhäng-
nissvoller Spinnerinnen mit Grauen die Nornen und die mit
ihnen in vieler Beziehung verwandten und oft das gleiche Ge-
schäft treibenden Walkyrien an.
An sie, die unter der Esche Ygdrasil sitzen und des Menschen
Geschick in wunderbaren Fäden weben, an sie musste wohl
mit Grauen der Mensch denken, dem sie so manch grauenhaftes
Geschick in's Leben webten. Und da sie mit so wunderbarer
Kunst den Lebensfaden spinnen, sollte sich wohl ihre Kunst
nur in dieser einen Art erzeigen, sollten aus ihren Händen nicht
auch' noch andere wunderbare Gewänder hervorgehen? Der
Gedanke liegt eigentlich so nahe, dass es seltsam wäre,
hätte die Mythologie ihn nicht erfasst.
Und so hat man denn auch das Weben von Zauberge-
wändern den Nornen zugeschrieben. Da dem Nordländer Kampf
und Streit ein nothwendiges Lebenselement war, so wurde auch
diese Kunstfertigkeit zu diesem Zwecke benutzt. Die Nornen
und Walkyrien stehen ja in einer engen Beziehung, sie werden
ja sogar oft als dieselben Personen betrachtet. Deshalb lassen
altnordische Sagen die Helden von den Walkyrien mit solchen
wunderbaren Gewändern beschenkt werden, die fester sind, wie
der härteste Panzer.**) Musste das nicht der höchste Wunsch
eines nordischen Recken sein, so fest gepanzert einherzugehen,
dass kein Schwert, kein Geschoss ihm schaden könne und doch
dabei von der Schwere der Rüstung nicht behindert zu werden?
Derselbe Gedanke liegt doch auch der Sage vom hörnen Sieg-
fried zu Grunde.
Der Glaube, dass man durch ein Kleidungsstück fest und
sicher gegen Hieb und Schuss werden könne, hat lange Zeit
*) cf. Frauer: Die Walkyrien. Weimar 1846.
**) z. B. Wolfdietrich von Siegrainne.
190 Erklärung Üb 1 an dis eher Gedichte.
in Deutschland und wohl fast in ganz Europa fortbestanden
und ich erinnere nur daran , dass namentlich im 30jährigen
Kriege dieser Aberglaube ganz allgemein und verbreitet war.
Man nannte solche Menschen „gefeite," da die „Feen" aus
den Walkyrien entstanden sind. Allmählig schrieb man einem
solchen Hemde auch andere wunderbare Kräfte zu. Wer ein
solches Hemde trägt, ist fest und sicher nicht allein gegen Hieb,
Stich und Schuss , sondern auch gegen jede Einwirkung der
Zauberei. Er bekommt, wenn er vor Gericht erscheint, in allen
Händeln Recht.
Bis jetzt haben wir ein solches Gewand nur als Schutz-
mittel kennen gelernt; es selbst kann aber auch zauberhafte
Wirkungen hervorbringen. Es trägt die Kraft in sich, den
Träger in ein Thier, gewöhnlich in einen Vogel zu verwandeln,
und eine solche Verwandlung zu lösen.
An dieser Sage wird es recht klar, wie im Verlauf der
Zeit das Volk Sagen, die zwar auf verschiedenem Boden ent-
sprossen dennoch etwas Gleichartiges haben, ihrer Eigentüm-
lichkeit allmählig entkleidet und in einander übergehen macht.
Jene erste Seite der Sage knüpfte sich an die Nornen,
diese aber an eine andere Göttin des nordischen Alterthums,
an die Freya. Es hat diese ein Fluggewand, eine Falkenhaut,
die sie auch zum Gebrauch andern Göttern verleiht. Die Göttin
ist später in christlichen Zeiten natürlich ein dämonisches Wesen
geworden, sie ist eine Schwanenjungfrau, eine Meer- oder Wald-
jungfrau geworden. Ihr Fluggewand hat sie in der Sage be-
halten und ebenso die Wahrsagekunst, die ihr die nordische
Mythologie als einer Göttin des Vanengeschlechtes beilegte.
Die Sage hat ferner aus der einen Freya mehrere, unzählige
solcher Schwanenjungfrauen gebildet. *) Oft erwähnen die
Dichter ihrer. Ich erinnere nur an die Stelle im Nibelungen-
lied, wo Hagen auf der Fahrt nach der Etzelburg an der Donau
solche Meerweiber trifft, die vor ihm auf der Fluth gleich den
Vögeln schweben und die ihm wahrsagen müssen , damit sie
ihre wunderbaren Kleider wiedererhalten, die ihnen Hagen ge-
*) Doch legt auch die nordische Mythologie den Walkyrien Sehwanen-
gewänder bei, cf. Frauer S. 53. sq.
Erklärung Uhlandiacher Gedichte. 161
raubt hatte, während sie sich badeten. Im Kindermärchen ist
diese Sage nun ganz mit der andern verbunden worden.
*) In dem Märchen, „die sechs Schwäne" ist aus der Freya
nicht einmal mehr eine Waldjungfrau, sondern es sind 6 Königs-
söhne geworden; wie Odin im Dornröschen sich in einen König
verwandelt hat. Diese 6 Königssöhne hausen allerdings im Walde,
wie die Schwanenjungfrauen meistens. Sie werden in Schwäne
verzaubert durch weissseidene Hemdchen, in welche die böse
Stiefmutter den Zauber hineingenäht hat. Alle Tage eine
Viertelstunde lang ist es ihnen erlaubt, die Schwanenhaut ab-
zulegen. Der Zauber kann gelöst werden, wenn ein unschul-
diges Mädchen 7 Jahre lang, stumm und schweigend, ein Hemd
fertig spinnt und näht, und dies über den Verzauberten ge-
worfen wird.**) Ueber die Bereitung eines solchen Hemdes
giebt es mehrere abweichende Bestimmungen; die eine, die für
das vorliegende Gedicht wichtig ist, ist folgende: In der Christ-
nacht müssen 2 unschuldige Kindchen, die noch nicht 7 Jahr
alt sind, linnen Garn spinnen, weben und ein Hemd daraus zu-
sammennähen. Auf der Brust hat es zwei Häupter, eines auf
der rechten Seite mit einem langen Barte und einem Helm,
eines auf der linken mit einer Krone, wie sie der Teufel trägt.
Zu beiden Seiten wird es mit einem Kreuze bewahrt. Das
Hemd ist so lang, dass es den Menschen vom Hals an bis zum
halben Leib bedeckt.***)
Solch ein Hemde ist natürlich unzerstörbar.
Sehr wichtig für die Bereitung ist der Umstand, dass die
Spinnerin unschuldig sein muss. Unsre Sagen schreiben einer
reinen Jungfrau stets wunderbare Kräfte zu ; und nur einer
Jungfrau gelingt es , über die Schranken der Menschenkraft
hinaus göttliche Eigenschaften zu erlangen. So sind Odhins
Schildmädchen Jungfrauen und an der Jungfräulichkeit haftet
ihre wunderbare Kraft. Sobald Siegfried die Brunhilde besiegt
*) cf. Grimm Kindermärchen S. 276.
*") Grimm Sagen Th. 1. S. 524.
***) In nordischen Sagen ist es ein seidenes Hemde, cf. Grimm Altdän.
Heldenlieder S. 524. auch bindet man einen rothen Seidenfaden um den Helm,
daselbst S. 503. Im Kindermärchen wird das Hemd au? Sternblumen ge-
webt.
192 Erklärung Uhlandischer Gedichte.
und gebändigt hat, ist sie ein Weib, wie andre Weiber und die
wunderbare Kraft ist ihr entschwunden.
So wichtig ist für die Bereitung solches Hemdes die Jung-
fräulichkeit der Spinnerin, dass die ausgebildete Sage es von
Mädchen unter 7 Jahren bereiten lässt , damit auch nicht ein-
mal die Jungfräulichkeit ihrer Gedanken befleckt sei. Natürlich
verliert das Hemd die Kraft, wenn die Spinnerin nicht rein
und keusch gewesen ist.*) Grimm theilt uns in seinen Sagen
B. 2. S. 277. Stück 531 eine schöne Märe mit, in der dieser
Gedanke etwas verändert zwar, aber doch in sehr zarter Weise
ausgesponnen ist.
Zu Metz in Lothringen, erzählt er, lebte ein edler Ritter,
Namens Alexander, mit seiner schönen nnd tugendhaften Haus-
frau Florentina. Dieser Ritter gelobte eine Wallfahrt nach dem
heiligen Grabe. Als ihn seine betrübte Gemahlin nicht von
diesem Plane abbringen konnte, machte sie ihm ein weisses
Hemde mit einem rothen Kreuz, das sie ihm zu tragen empfahl.
Der Ritter zog hierauf in's Morgenland, Avurde gefangen und
in den Pflug gespannt. Unter harten Geisseihieben musste er
ackern, bis das Blut von seinem Leibe rann. Wunderbarer
Weise blieb jenes Hemd, das Alexander von seiner Frau em-
pfangen hatte, rein und unbefleckt, ohne dass ihm Regen, Schweiss
und Blut etwas schadeten; auch zerriss es nicht. Dem Sultan
selbst fiel diese Eigenthümlichkeit auf und er befragte den
Sclaven genau über seinen Namen und seine Herkunft und wer
ihm das Hemd gegeben habe? Der Ritter unterrichtete ihn von
Allem: „Das Hemd habe ich von meiner tugendsamen Frau er-
halten; dass es so weiss bleibt, zeigt mir ihre fortdauernde
Treue und Keuschheit an.''
Somit wäre der Grund und Boden gewonnen, auf dem das
Gedicht ruht; wie in den meisten seiner Dichtungen Unland
aber nicht nur eine Scene uns schildert und durch deren Schilde-
rung allein Gefühle der Menschenbrust erregen will, sondern
wie er seinen Gedichten stets einen ethischen Hintergrund giebt,
so auch hier. In Göthes Erlkönig ergötzt uns die Schilderung
der Scene nnd erfüllt uns mit wonnigem Grauen; das Gedicht
*; In den altdänischen Balladen wird diese Bedingung nicht hervorgehoben.
Erklärung Uhlandischer Gedichte. 193
äussert dieselbe Wirkung, -wie Musik; Gefühle erwachen beim
Hören dieser Dichtung in uns; ob aber wir zu Gedanken an-
geregt werden, bleibt doch zweifelhaft.
*) Anders bei dieser Dichtung. Sie regt uns an, den Zu-
sammenhang zu ergründen, in dem das Schicksal der handelnden
Personen mit ihrem Thun steht. Im Erlkönig erlag; das Kind
ohne seine Schuld den Mächten der Natur; im Harald reizten
die Ritter die Elfen durch ihr tönendes Einherziehen und Ha-
rald erlag sich selbst, seiner Lust. Hier in dieser Dichtung
erliegt der Mensch den dunkeln Mächten seiner Brust, die mit
den Naturmächten in inniger, unerklärter, mysteriöser Beziehung
stehen. Somit wäre dies Gedicht eine Ballade zu nennen.
Suchen wir uns den Hauptgedanken klar zu machen.
Es sind dem Menschen von der Gottheit Schranken ge-
zogen für sein Wissen und sein Handeln, die er ohne Sünde
nicht überschreiten darf. In sich fühlt der Mensch aber den
Trieb, Alles zu erforschen und Alles zu können. Diesen dun-
keln Trieb kennt das Volk wohl; es weiss aber auch, dass der,
welcher die Schranken nicht achtet und anerkennt, untergeht
im wilden, nutzlosen Kampfe gegen diese übermächtigen Hemm-
nisse. Darauf gründet sich die Faustsage. Alles das aber,
was der göttlichen Ordnung widerstrebt, geht von der Hölle
aus; daher Zauberei Höllenwerk ist. Unrecht und Sünde ge-
biert den Tod, der denn ja auch immer als Lösung und Be-
ruhigung eintritt.
So hier in dieser Dichtung. Der Herzog, von Ehrgeiz
verblendet, von Gott verlassen und dem Aberglauben verfallen,
fürchtet die Böses drohenden Sterne. Einmal den höllischen
Mächten hingegeben scheut er sich nicht, von seiner Tochter
Aehnliches zu fordern und in seinem Wahne merkt er nicht,
wie diese ihn nicht verstehen will. v. 2. So webt sie ihm das
Kleid, wundersam anzuschauen, verziert mit fremden, schaurigen
Zeichen. Die Menge der Feinde ohne freudigen Muth und festes
Gottvertrauen weicht vor ihm, wie einst die Samniter vor dem
Decius Mus, nachdem er sich den Unterirdischen geweiht.**)
*) cf. das Programm des Friedrich- Wilhelms -Gymnasiums in Berlin.
Michaeli 1849.
**) cf. Livius VIII. c. 9.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 13
194 Erklärung Uhlandischer Gedichte.
Der Hölle Blendwerk aber schwindet, so wie es mit Muth an-
gegriffen wird. Wie singt Uhland vom Königssohne. (S. 4G3.)
Der Jüngling ohne Schwert und Schild,
Ist keck hinaufgedrungen,
Die Arme wirft er um die Schlang'
Und hält sie fest umschlungen.
Er küsst sie dreimal in den Schlund,
Da muss der Zauber weichen, u. s. w.
Darum erliegt der Herzog! Seinem eigenen Wahne fällt
er zum Opfer; er, der da glauben konnte, dass ein wahrhaft
unschuldiges Wesen sich sofort der Hölle ergeben würde.
Was die Form der Ballade anbetrifft, so hat Uhland in
ihr wie in so vielen seiner Gedichte mit feinem Verständnis»
Assonanz, Alliteration und Annomination angewandt. So in v. 5:
Es rauscht und saust in wilder Hast,
Als wöben Geisterhände zu Gast.
und v. 6.
ferner v. 9.
Ein weisses, weites, wallendes Hemd.
Sie treffen sich und treffen gut —
Sie haun und haun sich in den Sand.
II.
Uhland hat unter den neuern Dichtern unbestritten den
Ruhm, dass er volksthümlich, dass seine Poesie Volkspoesie
sei. So hat er der nordischen Sagenwelt den Stoff zu einigen
Liedern entliehen und ihn mit vielem Geschick so bearbeitet,
dass auch die Form der der alten Heldenlieder gleicht. Ueber
diese äussert sich Grimm in den altdänischen Heldenliedern
S. XIV. folgendermassen: „Ohne Einleitung und Erklärung
hebt die Erzählung an, die den Ausgang öfters schon in der
ersten Strophe vorausverkündigt und Alles einfach und in grossen
Massen darstellt: dann treten die Helden selbst auf, und ihre
Reden sind wie Schwert schlage von starken Armen gegeben,
treffend und entscheidend. Die Poesie ist sich ihrer Tiefe noch
gar nicht bewusst, sie weiss nicht, warum diese Thaten ge-
Erklärung Uhlanclischer Gedichte. 195
ßchehen; aber sie weiss, wie sie geschehen; darum hat sie
Nichts zu erläutern, die Motive sind nicht breit dargelegt, aber
die leise Hindeutung darauf trifft desto stärker." Und ferner:
„Die Volkspoesie lebt gleichsam in dem Stande der Unschuld,
sie ist nackt, ohne Schmuck, das Abbild Gottes an sich tragend."
und S. XX. „In diesen Liedern aber herrscht durchaus der
Reim, oft, wie überall, wo er von selbst entstanden, mangelhaft
und blosse Assonanz; die Strophen sind eigentlich zAveizeilig
mit einem Abschnitt in der Mitte und von der Alliteration zeigt
sich keine Spur."
Vergleichen wir hiermit folgende drei Uhlandische Gedichte :
1) Das Schwert.
Zur Schmiede ging ein junger Held,
Er hatt' ein gutes Schwert bestellt.
Doch als er's wog in seiner Hand,
Das Schwert er viel zu schwer erfand.
Der alte Schmied den Bart sich streicht:
„Das Schwert ist nicht zu schwer noch leicht,
Zu schwach ist euer Arm, ich mein',
Doch morgen soll geholfen sein."
„Nein, heut! bei aller Ritterschaft!
Durch meine, nicht durch Feuers Kraft."
Der Jüngling spricht's, ihn Kraft durchdringt,
Das Schwert er hoch in Lüften schwingt.
2) Siegfrieds Schwert.
Jung Siegfried war ein stolzer Knab',
Ging von des Vaters Burg herab.
Wollt rasten nicht in Vaters Haus,
Wollt wandern in alle Welt hinaus.
Begegnet ihm manch Ritter werth
Mit festem Schild und breitem Schwert.
Siegfried nur einen Stecken trug,
Das war ihm bitter und leid genug.
Und als er ging im finstern Wald,
Kam er zu einer Schmiede bald.
13*
19ti Erklärung Uhlandis eher Gedichte.
Da sah er Eisen und Stahl genug,
Ein lustig Feuer Flammen schlug.
„O Meister, liebster Meister mein!
Lass du mich deinen Gesellen sein !
Und lehr du mich mit Fleiss und Acht,
Wie man die guten Schwerter macht!"
Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt,
Er schlug den Ambos in den Grund.
Er schlug, dass weit der Wald erklang
Und alles Eisen in Stücken sprang.
Und von der letzten Eisenstang'
Macht er ein Schwert, so breit und lang.
„Nun hab' ich geschmiedet ein gutes Schwert,
Nun bin ich wie andre Ritter werth.
Nun schlag' ich wie ein andrer Held
Die Riesen und Drachen in Wald und Feld."
Man vergleiche damit: Grimms altdänische Heldenlieder
S. 62.
Mimmering der Degen. XIII.
Mimmering war der kleinste Mann,
Der geboren war in Königs Karls Land.
Meine schönste Jungfrau!
Und eh' er war zur Welt gebracht,
Da waren die Kleider ihm schon gemacht.
Eh' er lernte gehen, zu der Zeit,
Trug er schon ein schweres Panzerkleid.
Eh' er lernte reiten,
Band er das Schwert schon an die Seite.
Zum ersten da er könnt tragen sein Schwert,
Da war er auch ein Kämpfer werth.
So ging er zu dem Strande,
Als ein Kaufmann lag vorm Lande.
Erklärung Uhlandischer Gedichte. 197
Er sah vom Hügel in die Weite,
Wo ein Ritter möchte reiten.
Da kam er geritten so hastig herbei,
Sein Ross war zornig wie ein Leu.
Hör an, du Ritter, zart und fein:
Bedarfst du nicht ein'n Schildbuben klein?
„Mich däucht, bist jung und klein zu sehr,
Du kannst nicht tragen meinen Panzer schwer."
Mimmering erzürnte bei diesem Wort,
Er warf den Ritter vom Pferd sofort.
Und that ihm an noch viel mehr Pein:
Er schlug sein Haupt gegen einen Stein.
So setzt' er sich auf zu reiten,
Mit andern Kämpfern wollt' er streiten.
Da er kam in einen vielgrünen Wald,
Auf Vidrich Verlands Sohn stiess er alsbald.
Willkommen hier, du Ritter gut:
Hast du zu fechten für 'ne schöne Jungfrau Muth?
Dazu sprach Vidrich Verlands Sohn:
Ich stoss dich nieder, bin ich ein Mann.
Sie fechten einen Tag, sie fechten zwei:
Keiner von ihnen mochte Sieger sein.
Da schwuren sie sich Stallbrüderschaft,
Und das sollt' währen bis zum jüngsten Tag.
Und ob es sollt' währen diese Zeit so lang,
Es könnt nicht dauern bis der Abend kam.
Meine schönste Jungfrau.
Wie in diesem Liede der Mimmering sich seiner Kraft
erst recht bewusst wird, als er durch des Ritters spottendes
Wort in Zorn gerathen ist, so wird auch in der Uhlandischen
Dichtung „das Schwert" durch des Schmieds Worte in dem
iungen Helden die in ihm schlummernde Kraft erweckt. In
dem Uhlandischen Helden wohnt eine hohe Begeisterung für
198 Erklärung Uhlandischer Gedichte.
das Ritterthum, die in ihm nie geahnte Kräfte hervorruft; dem
Mimmering aber fehlt diese innere Erhebung, es ist nur die
rohe physische Kraft, die ihn zu Thaten hinreisst.
Es hat den Uhlandischen jungen Helden die innere Be-
geisterung dazu getrieben, sich ein Schwert zu bestellen, um
Ritterschaft zu üben und wie das Schwert ihm geworden, da
verleiht die Begeisterung ihm auch die Kraft, e3 tüchtig zu
führen. Zu diesem Gedichte gehört nothwendig das, welches
betitelt ist: „Siegfrieds Schwert."*)
In jung Siegfried ist der Wille noch ein unklarer. Es
treibt ihn aus des Vaters Haus jenes Gefühl, was fast jeden
Jüngling durchweht, aus der Heimath engen Schranken in die
Welt zu ziehen und sich selbst mit eigner Kraft Bahn zu
brechen. Es ist dasselbe Gefühl, was Schiller uns in dem
„Pilgrim" schildert:
Noch in meines Lebens Lenze
War ich und ich wandert' aus
Und der Jugend frohe Tänze
Liess ich in des Vaters Haus.
*) cf. aus Grimms deutscher Heldensage S. 72.
Der Knab was so muotwillig Darzuo stark und auch grosz
Das sein vatter und muoter Der ding gar ser verdrosz
Er wolt nie keynem menschen Sein tag sein underthon
Im stund seyn synn und muote Das er nur zuog darvon.
Do sprachen des künigs Räthe Nun last in ziehen hyn
So er nicht bleyben wille Das ist der beste syn
Und last jn etwas nieten So wirdt er bendig zwar
Er wirdt ein Held vil kuone Und lebt er etlich Jar.
Also schied er von dannen Der junge kuone man
Do lag er vor eynem wähle Ein dorff das lieft" er an
Do kam er zu eym Schmiede Dem wolt er dienen recht
Im schlahen auff' das eysen Als ein ander Schmidtknecht.
Das eysen schluog er entzweye Den Amposs inn die erdt
Wenn man jn darumb straftet so nam er auff keyn leer
Er schluog den knecht und meyster Und trib sie wider und für
Nun dacht der meyster offte wie er seyn ledig war.
Erklärung Ublandischer Gedichte. 199
All mein Erbtheil, meine Habe
Warf ich fröhlich glaubend hin,
Und am leichten Pilgerstabe
Zog ich fort mit Kindersinn.
Denn mich trieb ein mächtio; Hoffen
o
Und ein dunkles Glaubenswort;
Wandle, rief's, der Weg ist offen,
Immer nach dem Aufgang fort,
Bis zu einer gold'nen Pforten
Du gelangst, da gehst du ein,
Denn das Irdische wird dorten
Himmlisch unvergänglich sein.
Jung Siegfried wandert auch aus an dem leichten Pilger-
stabe und wie er auf seinem Wege manchen werthen Ritter
mit Schild und breitem Schwert sieht, da wird ihm klar, was
er bedürfe, um in der Welt Ruhm und Ehre zu erwerben, um
das Ideal zu erreichen, nach dem er gestrebt. Da wird das
unklare Gefühl zum Bewusstsein. Er schmiedet sich ein Schwert
und wie er das Schwert vollendet hat, da weiss er, dass er nun
gut und tüchtig ist, wie die andern Ritter und wie sie Riesen
und Drachen besiegen kann. Jener junge Held im ersten Ge-
dichte wird uns dargestellt, wie das unklare Gefühl, was den
Siegfried in die Welt hinaustreibt, bei ihm schon zum bestimmten
Bewusstsein geworden ist, und ihm nun Kräfte zum Weiter-
streben verleiht; hier sehen wir, wie das Gefühl Bewusstsein
und dadurch zugleich die innewohnende Kraft dem Helden
klar wird.
*) Wunderschön ist dieses erste Auftreten eines in der Ein-
samkeit erzogenen Jünglings in Parcival geschildert und es ist
das gewiss die beste Darstellung von dem, was im Herzen von
tausend und abertausend deutscher Jünglinge vorgeht, wenn sie
zuerst aus dem Vaterhause in die Welt treten.
Parcival ist von seiner Mutter, die sich über den Tod ihres
ritterlichen Gemahls bitter härmt, in der Waldeinsamkeit er-
zogen, damit er dem ritterlichen Treiben fern bleibe, den
*) Villmar Literatur -Geschichte.
200 Erklärung Uhlandiseher Gedichte.
damit verbundenen Gefahren entgehe und seiner liebenden Mutter
erhalten werde. Der Knabe pflegt des Waid Werkes und wächst
dabei zu einem starken und stattlichen Jünglinge auf. Da ver-
nimmt er eines Tages auf einsamer Berghalde einen schmalen
Waldpfad entlang Hufschläge. Ist das, denkt er, etwa der
Teufel? vor ihm fürchtet die Mutter sich so sehr; ich dächte
ihn wohl zu bestehen. Aber es sind drei, von Kopf bis zum
Fuss glänzend gewafFnete Ritter auf stolzen Rossen, welche
jetzt an den Jüngling heranreiten und mit einem Male wird die
ferne, fremde Welt in all ihrer Herrlichkeit vor dem innern
Auge des in der Waldeinsamkeit aufgewachsenen Jünglings
aufgeschlossen und er meinte, ein jeder dieser Ritter wäre Gott,
cf. Parcival übersetzt von Simrock Gurnemans III. Str. 122
v. 25.
Da rief er laut, sonder Spott:
„Nun hilf mir, hilfreicher Gott."
Niederwarf sich zum Gebet
le Fils du roi Gahmuret. (Parcival)
Da sprach der Fürst: „Ich bin nicht Gott;
Doch leist ich gerne sein Gebot."
dann Str. 123 v. 26.
Da hub der Knappe wieder an,
Dass sein zu lachen der begann :
„Ei Ritter gut, was soll dies sein?
Du hast so manches Ringelein
An den Leib gebunden dir,
Dort oben und auch unten hier."
25) Der Knapp befühlte mit der Hand
Was er eisern an dem Fürsten fand.
Den Harnisch wollt er gern beschauen:
„Meiner Mutter Jungfrauen
Wohl an Schnüren Ringlein tragen,
Die nicht so in einander ragen."
124) Noch sprach der Knappe wohlgerauth
Zum Fürsten: „Wozu ist dies gut,
Was sich an dir so wohl will schicken?
Ich kann es nicht herunter zwicken."
5) Da wies der Fürst ihm sein Schwert:
Nun sieh, wer Streit mit mir begehrt,
Des erwehr ich mich mit Schlägen.
Erklärung Uhlandischer Gedichte. 2ul
Gegen seine muss ichs an mich legen,
Und dieser Schild behüten mich
10) Vor dem Schuss und vor dem Stich."
Wieder sprach der Knappe laut:
„Hätten die Hirsche solche Haut,
Sie Versehrte nicht mein Gabilot;
So fällt doch mancher von mir todt."
Jetzt, nachdem er die Ritter gesehen und von ihnen er-
fahren hat, was Ritterschaft sei, da ist kein Halten mehr, er
muss hinaus, hinaus aus dem grünen, stillen Dunkel seines
Waldhauses, hinaus aus den zärtlichen, den Sohn umschlingen-
den Armen der treuen Mutter, hinaus in die glänzende Ritter-
welt zu freudigem Ritte durch alle Lande, zu freudigem Kampfe
und ruhmvollem Siege , hinaus an König Artus Hof, zu der
Blüthe aller Ritterschaft. Und die Mutter, die des Sohnes
Wanderlust nicht besiegen kann, lässt ihm ein Gewand anlegen
zur Fahrt — doch nicht eines Ritters, sondern eines Thoren
Gewand, aus Sacktuch und Kälberfell genähet. Und so reitet
der in sich Versunkene, der Unerfahrene, der das stille Hei-
mathsgefühl und den dunkeln, aber mächtigen Trieb in die
Ferne und Fremde noch ungeschieden in sich trägt — ein Zu-
stand, den die alte Sprache sehr bezeichnend durch das einzige
Wort tumb ausdrückt, während unser dumm zu einer engern
und niedrigeren Bedeutung herabgesunken ist, so dass wir uns
nur durch mühselige Umschreibung helfen können — so zieht
er denn dahin, um der Welt als ein Thor zu erscheinen, wie
die meisten wahrhaft tiefen, deutschen Gemüther bei ihrem
ersten Auftreten in der Welt als Thoren sich darstellen. Und
dieses Helldunkel bleibt über Parcivals ganzes Leben gebreitet,
das Helldunkel, welches überall stattfindet, wo Tiefe der Em-
pfindung und äussere Beschränkung gegenübergestellt wird einer
weiten Aussicht in eine Welt von Pracht und Farbenglanz,
voll von Ereignissen und Thaten. Daher die öfter wieder-
kehrende Bezeichnung des in heller Unschuld mitten in die
Welt der Wirren und Wunder hereintretenden jungen Helden:
der tumbe cläre, der lichtgemäle, daher die Schilderung, dass
er sei keusch, wie die Taube und mild, wie Rebentraube; —
wir haben hier ein tief deutsches Jünglings -Gemüth, voll Un-
202 Erklärung Ohl an diso her Gedichte.
schuld und doch voll Thatenlust, voll Heimathsgefühl und doch
voll Wandersehnsucht, das die Augen vor der nächsten Um-
gebung verschliesst; aber fast träumend, halb sehnsüchtig
und halb wehmüthig ängstlich hinausschaut nach den fernen,
blauen Bergen, nach fremden, blühenden Gefilden, wo Alles
neu und fremd und wunderbar und doch bekannt und heimath-
lich und traulich ist.
Unlands Gedicht ist keine Ballade, denn Siegfried unter-
liegt weder den dunkeln Mächten der äussern Natur, noch
seinen natürlichen, wilden Trieben; es ist vielmehr dies Gedicht
ein Heldengedicht, eine Märe oder Rhapsodie, deren Element
die Welt kühner Thaten und energischer Charaktere, der sich
in kräftigem Handeln von seiner ersten Unmittelbarkeit be-
freiende Geist ist. Die äussere Form der Dichtung, die zwei-
zeilige Strophe ist die oft gebrauchte Form des Heldenliedes.
Das Heldenlied, aus der Volkspoesie hervorgehend stellt, wenn
es Gefühle schildert, nur das Resultat derselben in kurzen,
scharfen Worten dar, während die Kunstpoesie die Gefühle
reflectirend zerlegt und der Seele geheimste Werkstätten uns
öffnet. So sagt Uhland in „Siegfrieds Schwert" ganz einfach:
Jung Siegfried war ein stolzer Knab',
Ging von des Vaters Burg herab.
Er schildert uns nicht, was für Gedanken den stolzen
Knaben durchzogen und ihn bewogen haben, nicht mehr in des
Vaters Hause zu rasten, sondern in die Welt hinauszuziehen.
Er überlässt die Ausmalung auch der Abschiedsscene dem
Leser. Um sich den Unterschied recht klar zu machen , lese
man zur Vergleichuno- das Scheiden Parcivals. Zu Grunde
liegt der ganzen Dichtung ein Zug aus Siegfrieds Leben, den
weniger aber die alten Siegfriedssagen, als vielmehr die dem
späteren Mittelalter angehörigen überliefern.
Die Sage erzählt allerdings von einem Schwertschmieden
Siegfrieds; doch etwas anders, wie Uhland es darstellt.
*) Siegfried lebte zu Xanthen am Rhein bei seiner Mutter,
*) Simrocks Rheinsagen.
Erklärung Uhlandischer Gedichte. 203
die nach dem Tode ihres Gemahls, der in einem Kampfe ge-
blieben war, dort als Königswittwe herrschte. In derselben
Stadt wohnte auch ein «alter, berühmter Waffenschmied Mime,
bei dem viele Königssöhne, unter Andern auch der getreue
Eckart die Waffenschmiedekunst erlernten. Siegfried ging gerne
zur Schmiede, um dort, wie Knaben es pflegen, zu scherzen
und die Gesellen zu necken. Es kam unter den jungen Leuten
oft zu lauten Auftritten, worüber der alte Mime nicht eben er-
freut war. Als Siegfried nach alter Gewohnheit einstmals
wieder den Frieden gestört hatte, wTard Mime zornig, schalt ihn
und ineinte: es wräre besser, du rächtest deinen Vater an den
Feinden, die ihn erschlagen haben, als dass du hier nur meine
Gesellen störtest. Darüber ward Siegfried zornig; er würde
seinen Vater schon rächen; jedoch könne er nicht mit der Faust
den Feinden gegenübertreten, sondern er bedürfe dazu Panzer
und Schwert; und die solle ihm Mime schmieden. Mime, um
sich Ruhe vor dem kecken Jüngling zu verschaffen, fertigt ein
Schwert; doch wie Siegfried es zur Probe durch die Lüfte
schwingt, da bricht es unten am Griffe ab. Siegfried zornig
erklärt, er wolle dem Meister zeigen, wie man das Eisen bear-
beiten müsse, damit ein tüchtig Schwert geschmiedet werde.
So nimmt er eine gewaltige Eisenstange und dazu der
Hämmer allerschwersten:
Er schlug den Ambos wohl in den Grund;
es erbebte das ganze Haus von dem gewaltigen Schlage.
Dann gebot er dem Meister, morgen frühe, wenn er wieder er-
scheinen würde, solle Mime, wolle er nicht sterben, solchen
Schlag ihm nachahmen. Er wusste aber wohl, Mime würde
nicht die Aufgabe vollenden können. Deshalb begiebt er sich zu
seiner Mutter und bittet sie, ihm die Stücke des Schwertes zu
geben, das sein Vater in mancher Schlacht geführt hatte. Es
hatte aber sein Vater dies Schwert einstmals von Odin erhalten.
Seine Mutter übergab ihm den kostbaren Schatz und daraus
schmiedet ihm denn Mime ein tüchtiges Schwert.
Uhland hat nun die Sage nur im Allgemeinen benutzt und
sie frei bearbeitet, wodurch aber der gewaltige Charakter Sieg-
204 Erklärung Uhlandischer Gedichte.
frieds nicht verkleinert und das Uebersprudeln der Jünglings-
kraft nicht verwischt ist. Dies tritt namentlich in den Versen:
Er schlug, dass weit der Wald erklang
Und alles Eisen in Stücken sprang
hervor. Es ist das wieder ein Zug des deutschen Jünglings -
Gemüthes, der auch die Jugend stets wieder am meisten an-
spricht. Bei aller Tiefe des Gefühls, bei aller Gluth der Em-
pfindung erscheint der wahre, echte, tüchtige Jüngling und grade
der am ersten oft roh und unbändig. Alles bewegt sich bei
ihm noch in Extremen. Er kann weinen vor übersprudelnder
Empfindung beim Gesänge der Vögelein im einsamen Walde
und derselbe Jüngling wird mit wilder Begeisterung zu Kampf
Und Schlacht eilen. So erfreut sich Siegfried, als Mime ihn in den
Wald geschickt hat, um Kohlen zu brennen, bei denen er ihm
das Schwert schmieden könne , an dem herrlichen Morgen und
an der Waldfrische und doch wünscht er zugleich Abenteuer
zu bestehen mit Drachen und Riesen und doch erschlägt er
noch an demselben Tage den alten 70jährigen Mime, der ihn
dem Drachen verrathen wollte. Dieser Zug des Gemüthes ist
dem Deutschen eigen und wir finden ihn zur Zeit des Minne-
gesanges in den edlen Rittern stets hervortretend.
Als im ersten Kreuz zuge das christliche Heer Jerusalem
erobert hatte, wTüthete es mehrere Tage lang auf's grässlichste
in der heiligen Stadt; dann aber hielt es einen grossen Buss-
und Betzug. Nicht aber thut das der Germane mit dem Ge-
fühl, wie der Romane. Dieser glaubt sich durch die Ceremo-
nien mit Gott abzufinden und durch den Werkdienst sich zu
reinigen, bei dem Germanen aber tritt Beides naiv nebenein-
ander. Er mordet nicht aus Lust am Morde oder aus Rache,
sondern zu Ehren Gottes und dasselbe Gefühl treibt ihn auch
zur Andacht.
Wenn wir diese beiden kleinen Gedichte Heldenlieder ge-
nannt haben, so werden wir eine dritte Dichtung, die auch von
einem Sifrid handelt und ..die drei Lieder" betitelt ist, wieder-
um zu den Balladen zählen müssen.
Erklärung Uhlan (lischer Gedichte. 205
Die drei Lieder.
In der hohen Hall' sass König Sifrid:
„Ihr Harfner! wer weiss mir das schönste Lied?"
Und ein Jüngling trat aus der Schaar behende,
, Die Harf in der Hand, das Schwert an der Lende.
Drei Lieder weiss ich ; den ersten Sang,
Den hast du ja wohl vergessen schon lang :
Meinen Bruder hast du meuchlings erstochen!
Und aber: hast ihn meuchlings erstochen!
Das andre Lied, das hab' ich erdacht •
In einer finstern, stürmischen Nacht:
Musst mit mir fechten auf Leben und Sterben!
Und aber: musst fechten auf Leben und Sterben!"
Da lehnt' er die Harfe an den Tisch,
Und sie zogen beide die Schwerter frisch,
Und sie fochten lange mit wildem Schalle,
Und der König sank in der hohen Halle.
„Nun sing' ich das dritte, das schönste Lied,
Das werd' ich nimmer zu singen müd:
König Sifrid liegt in seim rothen Blute!
Und aber: liegt in seim rothen Blute."
Dieser König Sifrid, von dem hier der Dichter singt, ist
nun nicht der uns aus den Sagen bekannte hörnene Siegfried,
wenigstens habe ich durchaus keine Sage finden können, die
eine ähnliche Begebenheit aus seinem Leben mittheilt. Es hat
der Dichter wohl nur diesen Namen gewählt, aus demselben
Grunde, aus dem er in einer andern Dichtung den Namen
Harald gebraucht hat. Er will uns durch den Namen dahin
weisen, wo ähnliche Begebenheiten gewiss recht oft vorge-
kommen sind. Das ganze Gedicht beruht auf der Sitte der
Blutrache, die in Deutschland sowohl, wie im Norden heimisch
war. Diese Sitte stellt uns aber den Geist eines Volkes als
noch in der Unmittelbarkeit des Gefühles sich befindend dar.
Sobald ein Volk zum Bewusstsein erwacht, zur Civilisation
gelangt, verschwindet dieser Gebrauch. Darum also; weil dies
Gedicht uns den Geist in seiner Unmittelbarkeit, bewegt von
206 Frklärung Uhlandi s eher Gedichte.
dunkeln Gefühlen, schildert, darum muss es zu den Balladen
gerechnet werden.
Der König sitzt in der hohen Halle, um ihn seine Kämpen
und die Skalden, die beim fröhlichen Mahle im Norden nie
fehlen durften.
Die Halle , die im Norden stets zu ebener Erde lag und
deren Eingang sich nach Süden wandte, weil nur das Haus
eines Verbrechers und in Nastrand der Saal der Verdammten
die Thür gegen Norden hatte, die Halle war der Versammlungs-
ort für das königliche gasindi, für die Eecken und Berserker
des Nordens.
Die Frithjofs-Sage schildert uns Frithjofs Halle in folgen-
der Art.
Gleich einem Hanse für sich, gezimmert aus kernigter Kiefer
Fasste 500 der Saal, zu 10 mal zwölfen das 100;
Mehr noch waren darin beim testlichen Schmause zur Julzeit,
Und nach der Länge des Saals hin glänzte die Tafel vom Eichbaum,
Blank wie Stahl und gebohnet; den Hochsitz zierten der Säulen
Zwo an dem äussersten Rand, zween Götter gefertigt, aus Ulmholz,
Odin herrschenden Blickes, und Frei, die Sonn' auf den Hauptschmuck.
Zwischen beiden noch sass auf kohlschwarz glänzendem Bärfell
(Scharlachroth war der Rachen, die Klauen mit Silber beschlagen)
Thorsten jüngst bei den Freunden, die Gastlichkeit neben der Freude.
O, dann gedachte der Skalde
Braga's, im silbernen Bart, mit Runen bezeichnet die Zunge,
Unter .der schattigen Buch' an Mimer's rieselndem Borne,
Wo er von Sagen erzählt, er selbst die lebende Sage.
Mitten am Boden, mit Halmen bestreut, ward Feuer genähret
Hell auf gemauertem Heerd, und droben durch luftigen Rauchfang
Blickten die Sterne herein, die himmlischen Freunde, zum Saale.
Rings an der Wand, an Nägeln von Stahl, in Reihen geordnet,
Hingen die Panzer und Helme, und hier und dorten dazwischen
Blitzte hernieder ein Schwert, wie Schuppen der Sterne im Winter.
Mehr als Schwerter und Helme erglänzten die Schilde im Saale,
Blank wie die Kugel der Sonne und silbern, wie glänzet der Vollmond.
Ging ein Mägdlein nun um den Tisch und füllte die Hörner,
Schlug es erröthend zu Boden das Aug', und das Bild in den Schilden
Ward, wie das Mägdelein, roth; dies freute die zechenden Kämpen.
Der Hochsitz, auf dem der König oder der Hausherr mit
den vornehmsten Gästen sass, lag in dem erhöhten Theile des
Erklärung UhlanJischer Gedichte. 207
Saales ; die Kriegsmänner und die Diener fanden ihren Platz
an den untern Tafeln. Hierher Hess man auch Unbekannte,
wie denn dem Aermsten nicht der Zutritt zur gastlichen Halle
verwehrt war. So tritt ja auch Frithjof unbekannt, in Bettler-
gestalt, in die Halle König Kings und so ist auch hier der
Skalde in des Königs hohe Halle gekommen. Und wie der
König die Sänger zum Wettkampf auffordert, da tritt der Jüng-
ling voll Rachedurst hervor.
Drei Lieder weiss ich: den ersten Sang,
Den hast du ja wohl vergessen schon lang:
Meinen Bruder hast du meuchlings erstochen!
Und aber: hast ihn meuchlings erstochen!
Vergessen hat also der König den Meuchelmord schon
lange? Durch diesen Ausspruch wird so recht der nordische
Sinn charakterisirt. Der Mord ist vor langer Zeit geschehen,
also wohl, wie der Jüngling noch ein kleiner Knabe war.
Dennoch hat der Knabe die That nicht vergessen. Er ist zur
Rache erzogen, sie war sein Streben und sein einziger Ge-
danke von der Zeit an, als er zum Bewusstsein gekommen.
Man erinnere sich dabei, wie Siegfried seinen Vater und wie
die Chriemhilde ihren Siegfried rächt.
So fordert er den König zum Kampfe auf und es beginnt
der Streit in der hohen Halle. Rings umher stehen die Recken;
aber Keiner hindert den Zweikampf. Alle erkennen sie des
Jünglings Forderung als eine gerechte an.
Wie sehr diese ganze Scene dem nordischen Charakter
entspricht, darf wohl nicht erst bewiesen werden und ich
weise nur darauf hin, wie entschieden hierin das nordische
Alterthum von dem griechischen abweicht.
Keiner der Kämpen des Königs hilft seinem Herren, auch
als er ihn unterliegen sieht; sie haben die Verpflichtung, seinen
Tod zu rächen, nicht aber, ihn im ehrlichen Zweikampfe vor
Unsieg zu schützen. Würden das wohl homerische Helden
ihrem innersten Wesen nach haben begreifen können? Wie
eigenthümlich auch dieser Zug dem Norden ist, so ist doch
208 Erklärung Uhlandischer Gedichte.
der Jubel, in den der Jüngling beim Fall seines Gegners aus-
bricht, etwas so Natürliches, dass wir uns nicht wundern dürfen,
darin das nordische mit dem griechischen Alterthum in Ueber-
einstimmung zu finden.*)
*) Grimm Altdeutsche Heldenlieder XVI.
Berlin. Dr. R. Foss.
Ueber die
Gedichte Ludwigs des ersten, Königs von Baiern.
König Ludwig I. von Baiern gehört zu den anziehenderen
und seltenern Fürsten, theils wegen seiner Herrschertugenden,
theils und in noch höherem Grade als Kunstgönner und Kunst-
kenner, namentlich der Baukunst, Malerei und Bildhauerei.
Das bezeugen die zahlreichen und meistens ausgezeichneten
Bauwerke, die ihm ihren Ursprung verdanken. Dahin gehören
ausser dem mehr den Handel bezweckenden Ludwigskanal, der
die Donau und den Rhein verbindet, die Glyptothek und Pina-
kothek, das Odeon, der königliche Palast und mehrere Kirchen
in München, sowie die Walhalla bei Regensburg; und er hat
damit auch nach der Niederlegung seiner Regierung fortgefahren.
Aber er ist auch ein Freund der übrigen Künste, sowie der
Wissenschaften und nicht blos ein Freund der Dichtkunst, er
ist selbst Dichter. Wir besitzen vier ziemlich starke Bände
lyrischer Gedichte von ihm; er ist ausserdem Verfasser einiger
Schriften in ungebundener Rede., unter denen die bedeutendste
betitelt ist „Walhalla's Genossen," und kurze Lebens-
beschreibungen aller in die Walhalla aufgenommenen berühmten
deutschen Männer und Frauen enthält. Aber die Gedichte
Ludwigs machen doch die grössere Hälfte seiner Werke aus.
Sie sind zwischen 1829 und 47 in München bei Cotta erschienen,
und begreifen mehr als tausend Seiten; und von ihnen haupt-
sächlich soll in den folgenden Zeilen die Rede sein.
Kunst, schöne Natur, besonders italienische, und Liebe, —
das sind die Gegenstände, welche der Dichter besonders im
ersten Bande besingt, zu welchen im zweiten dichterische Theil-
Archiv f. u. SpracheD. XXVIII. 14
210 Ueber die Gedichte
nähme am Freiheitskampfe der Neugriechen, und Klagen über
die entflohenen Freuden der Jugend, über den ihm versagten
thätigen Antheil an der Vertheidigung des deutschen Vaterlandes,
und über die schweren Pflichten des königlichen Amtes, oder
noch mehr über die ihn einengenden, ihm unerträglichen Ver-
hältnisse des Hoflebens hinzukommen, wesshalb denn hier der
Ton der Wehmut, der Unbefriedigtheit, der Unzufriedenheit,
aber auch der Ermannung und der Ergebung herrscht. Die
beiden letzten weit später als die ersten erschienenen Bände
unterscheiden sich in Rücksicht der Gegenstände wie der Be-
handlung und des Versbaus nicht eben von den älteren. An
Abtheilungen fehlt es gänzlich. Auch bemerkt er II, 51:
„Dass nicht die Zeitfolge ihrer Entstehung die Reihefolge dieser
Gedichte bestimmt, wird man bemerkt haben." In dem Sonett
IV, 200 spricht er sich über sich selbst und seine Dichtungen
folgendermassen aus:
"©
Es hat das Buch bereits nicht wenig Theile,
In dem des Lebens Inhalt ist enthalten,
In seinen raannichfaltigen Gestalten,
Getroffen wurde diess von manchem Pfeile.
Es lieget hier sein Innerstes entfalten;
Damit es mit den Hören nicht enteile,
So rufts durch diese Blätter zu: verweile,
Gehemmt ist Kronos allzernichtend Walten.
In diesen vielen Blättern ist zu lesen,
Was mich verwundet machte und genesen,
Was ich geworden und was ich gewesen.
Jetzt wo die Leidenschaften alle schweigen,
Die täuschend nur die Gegenwart uns zeigen,
Die Truggebilde vor der Wahrheit weichen.
Der Dichter spricht sich in diesem Sonett, wie überhaupt
in seinen Gedichten mit grosser Unbefangenheit aus, meistens,
wie es scheint, auch ohne grossen Kraftaufwand, sich gemäch-
lich gehen lassend, und ohne Feile. Diess bezieht sich nicht
bloss auf den Versbau, der besonders in den antiken Sylben-
massen in Hinsicht der Sylbengeltung wie der Gesetze des
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 211
Versbaus vernachlässigt ist, ohne dass es doch an einzelnen
musterhaften Zeilen fehlte, sondern auch auf den Ausdruck,
der bisweilen dichterisch und fliessend, häufig aber auch ge-
schmacklos, nüchtern und unbehülflich ist, wie es denn auch an
Sprachhärten, unerlaubten Verkürzungen, gezwungenen Satz-
bildungen und Mängeln und Schwächen aller Art nicht fehlt.
Er verhehlt diess selber nicht I, 72 in dem Gedicht „die Natur
des Schönen," wo es vom Dichter heisst: N
Wenn ihn die Angst um Irdisches will fassen,
Ob gegen Hergebrachtes er gefehlt,
Dann hat die Muse ihn auch schon verlassen,
Gefühl verstummt, wo Ueberlegung wählt.
Es muss der Mensch des Menschen Werk vergessen,
Sich überlassend dem beseelten Schwung,
Nicht ordnen darf die Worte er noch messen,
Begeistern nur kann Jie Begeisterung.
Ganz anders denkt er über die Prosa; da bezeugt er selbst
seinen gelehrten Eifer in folgenden beiden Witten oder Distichen,
II, 89:
Meine Geliebte.
Aus den Tagen der Kindheit besitz' ich eine Geliebte,
Klio ist's, sie bleibt auch in dem Alter getreu.
Meine Leidenschaft.
Eine Leidenschaft hab' ich, es ist nicht die Kunst noch die Liebe,
Studium, so heisst sie, Glut, die sich verzehrend erneut.
In „ Walhalla' s Genossen" hat er diess Studium, diese Liebe
niedergelegt, Johannes von Müller's Styl dabei zum Muster ge-
nommen, und dessen Gedrängtheit und Gedankenschwere mit
Glück nachgeahmt. So lautet die Lebensbeschreibung Johann
Guttenberg's : „Durch den Maynzer Patricier Johann von Guttcn-
berg geschah in Strassburg für des Menschen Geist, seit der
Phönikier Teut geschrieben, die wichtigste Erfindung: das Buch-
drucken. Sie beschäftigte ihn von dem 1430. bis zum 1440.
Jahre, in welchem er sie in Maynz zu Stand brachte; druckte
erst da mit Metallformen, in Strassburg nur in Holz geschnittene
14*
212 Ueber die Gedichte
ganze Zeilen. Sein Siegelring gab den zu dieser Erfindung
führenden Gedanken, eine Weinkelter der Presse Vorbild.
Wenn Churf ürst Adolph von Maynz (ein Nassauer) Guttenbergen
nicht an seinen Hof nehmend ernährt, hätte der in seinem Alter
betteln müssen, dessen Erfindung Zahllose bereicherte. Faust's
arglistige Habsucht brachten Guttenbergen um den Nutzen,
sogar um die Ehre der Erfindung, doch (wenn zuweilen gleich
spät) wird sie immer wieder dem, der sie verdient, und der
Anmasser entlarvt. Umwälzung, allmälige, hat das Buchdrucken
hervorgebracht, (grössere als das Schiesspulver, sintemal dieses
bloss auf das Körperliche wirkt) durch die überall hin sich ver-
breitende Mittheilung des Gedankens, welche seit dieser Er-
findung so wenig, als das Eindringen der Luft zu verhindern
ist. Dafür sichert sie, dass kein Kaiser von China,
kein Chalife mehr des Geistes herrliche Früchte
vernichten, die Fortpflanzung der Wahrheit unter-
drücken kann."
Ganz im Geiste Müller's ist auch der Schluss der Vorrede:
„Ruhm bei der Mitwelt ist wenig, bei der Nachwelt mehr,
nicht alles; das Beste aber innerer Werth, wogegen jeder
verschwindet: er ist das einzige, was wir mitnehmen, er
währt, wie die Seele, ewig."
Der Vorwurf, den man dem Style des Meisters gemacht
hat, der Gezwungenheit und Unverständlichkeit, lässt sich frei-
lich auch treffen den des Schülers erheben. Der Sinn der ersten
Worte über den Baumeister des Cölner Doms S. 76: „Des so
viele grosse Baumeister zählenden Mittelalters grösster, jener
des Doms zu Cöln, im Spitzbogen-, irrig gothisch genannter
Styl" wird man beim ersten Lesen kaum fassen. In dem Satze
S. 93: „In Paris bei ungeheurem Zudrange gelehrt habend,
dann in Cöln, ward Albertus Magnus zum Bischof von Regens-
burg gewählt wider seine Neigung" fällt das ungewöhnliche
Mittelwort „gelehrt habend" auf. Aber theils ist dergleichen
selten, theils hat Manches auch bei andern Schriftstellern steif
und sonderbar geklungen, dessen Gebrauch nach gerade und
zum Vortheil der Sprache sich geltend gemacht hat.
In der Dichtkunst ist freilich Ludwigs Ansicht unstreitig
eine falsche, auch darf man dreist behaupten, dass er in Hin-
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 213
sieht des Versbaus und der Reime weit mehr hätte befriedigen
können, wenn er gewollt hätte, und dass seine Leistungen seiner
Kraft nicht entsprechen.
Ich wende mich zu dem Inhalt. Unter den höchst zahl-
reichen Liebesgedichten, welche vorzugsweise die Wonne der
Erfüllung schildern, sind mehrere ausgezeichnet und selbst in
der Form mehr gelungen. Aber ohne mich für jetzt dabei auf-
zuhalten, bemerke ich nur, wie diess Gefühl den Dichter seiner
Versicherung nach für immer durchdringt. I, 296 ruft er aus:
„Lieben will ich, ewig, ewig lieben,
Liebe ist die Seele der Natur,
Flammend steht sie überall geschrieben,
Alles zeiget ihre heiige Spur.
Ohne Liebe wäre nicht die Erde,
Ohne Liebe selbst der Himmel nicht,
Liebe, welche sehnend ich begehrte,
Du allein bist meines Lebens Licht."
Der Schluss dieses Gedichts ist religiös:
„Einstens wird der Glaube selbst zum Schauen,
Und die Hoffnung wird Besitz einmal,
Lieb' nur bleibet, in des Himmels Auen
Flammt beseligend ihr ewger Strahl."
Stark ist aber auch sein Gefühl für die schöne Natur. In
dem Morgengedicht auf Molo di Gae'ta heisst es:
..Herrlich, o herrlich bist Du, heilige, grosse Natur!
Alles erwacht zu freudig erneuetem glänzendem Leben,
Aui'gethan ist mir eine beglückende Welt."
Der Anfang der Elegie auf Palermo heisst:
„Glühend verklärt sind die Lütte, es glühen entzückend die Auen,
Glühend ist selber das Meer, Glut ist Sicilien ganz,
Diese von der Natur vor jeder gesegnete Insel,
Ueber deren Gcfild liebend der Himmel sich wölbt."
Seine Vorliebe für Italien tritt häufig hervor, meistens zu-
gleich in Verbindung mit einem trauernden und klagenden Hin-
blick auf den Norden. In derselben Elegie heisst es:
„Was in dem Norden erkünstelte Wärme nur spärlich erzwinget,
Herrlich in diesem Gefild schwellender Fülle gedeiht."
2U Ueber die Gedichte
Eben so heisst es in der Elegie auf Pästum vom Norden:
„Alles erstarret darin, wie die Natur, so der Mensch.
Leben, das wirkliche Leben besteht allein in dem Süden,
Trennungslos vereint ist es mit Wärme und Licht "
Ferner in der Elegie auf Salerno:
„Leben im Süden ist ein seliger, steter Genuss.
Freude ergiesst sich aus der Höhe des ewigen Aethers,
Himmel und Erde und Meer flössen dieselbe ins Horz.
Von Beschwerden gedrückt schleicht schwunglos das Leben im Norden,
Kämpfend entgegen der Noth, mühsam erhält sich der Mensch."
Von Palermo singt er in einem Reimgedicht:
„Den des ird'schen eiteln Strebens Müden
Lächelt hier mit ihrer Ruhe an
Die Natur, die herrlichste, im Süden,
Da ist Wahrheit, in dem Norden Wahn.
Die dem Menschen Feindin dort geworden,
Hier mit ihm im traulichen Verein,
Pflanzendasein nur erthcilt der Norden,
In dem Süden lebt es sich allein.
In dem Nord umsonst nach Glück bemühet
Sich der Mensch, hier kommt es ungesucht,
Und des Südens jubelnd Leben glühet
Auf des Pomeranzenbaumes Frucht."
Noch stärkeren Ausdruck haben folgende Stellen, I, 279:
„Ich bin nur für des Südens warme Fluren,
Wo sich die irdschen geistigen Naturen
In Licht und Wärme seelenvoll vereinen,
Wo alles trägt der Liebe sanfte Spuren
In milder Nacht die Sterne liebend scheinen,
Sich Erd' und Himmel mit dem Menschen einen."
In dem Morgengedicht auf Molo di Gaeta heisst es von
Italien:
„O Italien, selber das Irdische scheinet uns irdisch
Nimmer in Dir, Du stimmst alles zum Heiligen um.
Ja, ich liebe und sehne, ich ahne, ich glaube, ich liebe,
Hier, hier lebet der Mensch, lebet ein Seliger schon."
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 215
Und in der Elegie „Via Appia:"
„Geistiger fühlen wir uns in euch, ihr südlichen Fluren,
Ladet der Himmel zu sich, schrecket das Sterben uns nicht."
Diese Vorliebe für Italien findet in Kom ihren Mittelpunkt.
So der Schluss der Elegie „Campagna di Roma:"
„Bloss hier findet sie sich die Geschichte der Völker und Zeiten,
Alles vereinigest du, ewiges, einziges Rom,
Die Natur und die Menschen und Erde und Himmel in Liebe;
Scheinest zu sterben, mein Rom, immerhin lebest Du doch,
Lebest und herrschest, wenn gleich die irdische Macht Dir genommen,
Herrschaft des Geistes besteht ewig und ewig allein."
Die ganze erste Elegie auf Rom gehört hierher. Ich führe
nur einige Zeilen daraus an:
„Zu dir, ewige Roma, entschwebet die sehnende Seele ;
Hehr erhebt mein Blick sich zu den Sternen hinauf, [Stärke,
Freu' mich , dass sie, die ich sehe im Schimmer der Pracht und der
Herrliche Stadt, ich geschaut, jegliches Grossen Verein ,
Wie Du es einst vor anderthalbtausend von Jahren gewesen."
Und gegen den Schluss:
„Längere Herrschaft, grösseres Volk gab's niemals, erregest
Ehrfurcht, Staunen in uns, immer erregest Du sie.
Rom, wie deine Geschichte du selbst: bist einzig und ewig,
Ach die Gestalt nur blieb, aber das Leben entfloh."
II, 152 heisst es:
„Alle Völker, alle Zeiten
Ziehen uns vorbei dort immer,
Religion, Natur verbreiten
Mit der Kunst des Reizes Schimmer."
Besonders ist es die neuere Kunst, welche er preist, z. B.
in der 5. Elegie auf Rom:
„Einzig wahrlich bist du, o Roma, du zeigst dich alleine
Zweimal als Herrin der Welt, doppelt bemeisternder Kraft.
Sie verlor durch Waffen den Zepter, den Waffen erworben,
Und das Alte erlosch, kräftig das Neue entstand.
Lichteren Glanzes entstieg aus der Asche der jüngeren Roma
Weitverbreitetes Reich durch der Ideen Gewalt,
210 Ueber die Gedichte
Und es bliiheten wieder die Künste, und wiederum wurde
(Nun durch eignes Verdienst) Roma des Schönsten Verein.
Ein erhabnerer Geist als selbst in der herrlichen alten
Lebt in der christlichen Kunst. Griechen erbaueten nichts
Wie die dem Petrus geheiligt zum Himmel sich wölbende Kirche,
Die das Pantheon selbst trägt in den Lüften mit Lust.
Auyk die zweite gewordene Herrschaft Roms ist vergangen,
Und sein Ansehn nun ändert beständig sich mehr.
Seine geschätzten Geschlechter erlöschten, und jene, die leben,
Sind entblösst des Sinns, welcher die Ahnen erfüllt.
Was noch von Kunstwerken da, raubt oder erhandelt der Fremde,
Täglich verfällt es mehr, was von Ruinen besteht;
Neue entstehen wol viele, schöne Gebäude doch nimmer.
Farbe verlöscht auf der Wand, ach und der seelvolle Geist
Schwindet dahin, die Natur entfärbet sich gleichfalls, es kehret
Aber die Farbe in ihr frischeren Lebens zurück,
Bis auch sie am Ende getroffen Avird von der Zernichtung.
Einzig ewige Stadt, eitle Benennung des Wahns!
Wirst zu Erde, aus der du geworden, Arerschwinden wird jedes;
Was das Auge erblickt, zeiget Vergänglichkeit."
Wie in den zuletzt angeführten Zeilen die Trauer über den
Verfall der Kunst in Rom vorherrscht, so wird auch die Kehr-
seite dieser Stadt in der Gegenwart nicht verschwiegen in den
„vatikanisches Museum" überschriebenen Zweizeilen:
„Bilder drängen die Bilder, gehäuft ist das Schöne und Schlechte.
Vor beständigem Sehn sehen am Ende wir nichts."
Aehnlich in „die römischen Antiken:"
„Unermesslich ist sie die Anzahl römscher Antiken,
Dass sich dazwischen sogar leider das Schöne verliert."
Ferner in „Foro Romano:"
„Kühe habt ihf vertrieben, doch weiden dagegen die Esel,
Und dem niedrigen Plebs folgte ein ärgerer nach."
Auch werden die Griechen über die Römer und Athen über
Rom gestellt:
Rom und Athen.
„Glanz und Pracht und Gewühl, der Erdbezwingerin Hoheit
Fassen den staunenden Geist, denken wir, Roma, an dich.
Weiter in tieferer Ferne erscheint in ruhiger Stille
Seele erhebenden Werths, beiliger Grösse Athen."
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 217
Der Triumphbogen des Constantin.
„Was das Beste an dir, gehöret dem frühern Gesehlechte,
War doch das .Schönste in Rom auch den Hellenen geraubt."
Aber Korn bleibt ihm im Grunde doch das Höchste. Davon
zeugen mehrere der letzten Zweizeilen des zweiten Bandes, z. B. :
„Da nur ist Leben, wo Seele und Körper Befriedigung fühlen;
Rom, so ist es in dir, lassest zu wünschen nichts mehr."
und :
„Lebe einzig in dir, auch ferne in dir nur, mein Roma,
Ziehest mich heimatlich an, fesselst mich ewig an dich."
Aber die Kunst überhaupt zieht ihn an. Daher schätzt er
zwar Raphael am höchsten:
Pap ha eis Loggien.
„Unerschöpflich wie die Natur so bleibet ihr Loggien,
Die ihr selber Natur, ja die beseelteste seid."
Die Kirche della Pace.
„Kirche des Friedens, verdienest den Namen, denn Frieden
Kommt von Raphaels Werk selig durchs Auge ins Herz."
Er feiert auch Canova in einem Sonett vor dessen Hebe in
Venedig I, 107, wo es heisst:
„Ich konnte mich der Stelle nicht entrücken,
In deinem Anblick war mein ganzes Leben,
Ich schwamm, dich Hebe sehend, in Entzücken."
Aber er tadelt ihn auch II, 197 in Vergleich mit Thorwaldsen:
Canova's Grazien.
„Ueppige Mädchen sind hier die Grazien, Lüsternheit weckend.
Ist zu reizen jedoch je die Bestimmung der Kunst?"
Thor wald sen s Grazien.
„Unverhüllt sind auch die deinigen, unverhüllet uns zeigend
Hellas Charitinen, keusch, göttlich in heiliger Kunst."
Auch Cornelius und Overbeck lobt er und die deutschen
Künstler überhaupt; jene vergleicht er mit Aposteln, den ersteren
mit Paulus, den letzteren mit Johannes.
„Dir, der selbst du glühst wie Paulus glühte,
Dessen Eifer deinem gleichend ist,
218 UeberdieGedichte
Wie auch dir mit kindlichem Gemüte,
Der du wie Johannes harmlos bist!"
Eben so wird der Hofbauintendant Klenze gepriesen:
„Wenn längst spurlos dieWerke des jetzgen Geschlechtes verschwunden,
Spricht, was du bautest, von dir, hebet und stärket den Geist."
Die Dichter zumal und die Dichtkunst werden nicht ver-
gessen, nicht nur in Bezug auf sich selbst, wenn er ausruft
II, 140: „Gib der Freundin mich zurück der Kunst!" und:
„Lass in mir die Dichtkunst tröstend walten!" sondern Weimar
und Rom werden zusammengestellt II, 67:
„Die beseligsten Erinnerungen
Haben sich in einen Kranz geschlungen,
Alles Schönen wonniger Verein:
Rom und Weimars hehre Zeit der Blüte,
Und der Nachklang, welcher zum Gemüte
Aus der Kindheit tönte von dem Rhein."
Der Schluss dieses Gedichts ist an sämmtliche grosse
Männer Weimars gerichtet:
„Wenn ihr alle, alle auch gefallen,
Wird, wo ihr gelebt, man hin noch wallen,
Weimar bleibet Deutschlands Heiligthum."
An Schiller sind besondere Gedichte gerichtet. IV, 231
wird er „Teutschlands grösster Dichter" genannt. IV, 272
wird „der frühere und spätere Schiller" gefeiert. Verglichen
werden Schiller und Göthe, I, 130:
Mein Sirius und Hesperus.
„Wenn ich erwache, bevor ich betrete den Kreis der Geschäfte,
Les' ich in Schiller sogleich, dass mich's erhebe am Tag;
Aber nach geendigtem Lärmen in nächtlicher Stille
Flucht' ich zu Göihe und träum' fort dann den lieblichen Traum."
Eine Vergleichung der Kunst und Natur findet sich in
folgenden Distichen:
Wechselwirkung.
„Schöner gemessen wir sie, die Werke der Kunst, in dem Freien,
Kehren zu Mutter Natur fernher von ihnen zurück."
Zweierlei Wirkung.
„Wenn ich einsam wandele unter den Trümmern der Grösse,
Spricht mich ernst die Kunst, heiter mich an die Natur."
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 219
Mit der Liebe zur griechischen Kunst hängt seine Be-
geisterung für die alten und neuen Griechen zusammen. So in
der Elegie auf Pästum:
„Dass mir vergönnt nicht war, Griechen, zu leben bei euch!
Lieber, denn Erbe des Throns, war' ich ein hellenischer Bürger,
In den Gedanken wie oft träumt' ich mich sehnend zurück."
Hiemit sind ähnliche Klagen wie bei Rom verbunden, z. B.
I, 44:
„Hellas ist Ruine, zeigt bloss Trümmer,
Jene Welt des Herrlichen ist nimmer,
Nimmer lehret ihrer Weisen Chor.
Sklaven längstens schon sind Hellas' Söhne,
Auf des Sängers wahr empfundne Töne
Sehnend horcht vergeblich jetzt das Ohr."
Daher feiert er denn auch den Befreiungskampf der Griechen
in der neuesten Zeit in mehreren Gedichten, sie gehören zu den
besten in der Sammlung. So das „an Hellas, im Frühling des
1821. Jahres." Es beginnt:
„In dem Osten fängt es an zu tagen,
Schnelle sinkend nun der Mond erbleicht."
Und:
„Neu ertönen des Tyrtäus Lieder,
Führen dich zur Schlacht, zum Ruhme wieder,
Und der Sieg quillt aus des Sängers Mund."
Ferner :
„Du, der edlern Menschheit treue Wiege,
Hochbegabte Hellas, siege, siege!
Rufet sehnend jedes Volk dir zu.
Heimat alles Schönen, alles Hohen,
Unterdrückt in dir, doch nicht entflohen
War es, sieg' im heiigen Kampfe du."
Sowie das ganze letzte Gebinde:
Wie der Perser fiel, der Türke falle,
Färb' Platäa's Feld mit seinem Blut!
Auf, Athens, Korinthos tapfre Schaaren !
Seid das wieder, was die Väter waren,
Und die alte Zeit wird wieder neu,
Von der Kunst und Wissenschaft die Sitze
Werdet ihr, und von Sophia's Spitze
Leucht' das Kreuz auf Völker, welche frei!"
220 Uchor die (tcdichte
Aul" dieses erste Gedicht folgt nun eine Reihe von Gedichten,
klagende, ermunternde, jauchzende, von der letzteren Art z. B.
das mit der Ueberschrift: „Da sichs zeigte, dass Missolunghi's
Erstürmung eine Lüge war." Anfang und Schluss stehe hier:
„Jede, jede Sprache ist zu arm,
O um das entzückendste Entzücken,
Was das Herz entflammet, auszudrücken,
Wenn's zum Jubel reisst aus tiefstem Harm."
„Abgewendet ist der Donnerschlag!
Nicht von dem Gedanken kann ich lassen,
Wenn gleich diese Seligkeit zu lassen
Nicht mein überglücklich Herz vermag."
Endlich füge ich noch das ganze kleine Gedicht hinzu:
„An die Hellenen, da ich König" das durch den kleinen Zusatz
„da ich König" (nämlich ward, war, geworden war) zugleich
den Uebergang zu einer Reihe von missmutigen, unzufriedenen
Gedichten bilden mag.
„Nur Gebete vermochte die Seele zum Himmel zu senden,
Tapire Hellenen, für euch, für den befreienden Kampf.
Thatlos verweheten mir in den Lüften die Töne der Lyra,
Bloss in die Saiten allein durfte sie greifen die Hand;
Einsam erklangen dieselben wie Seufzer verheimlichter Liebe,
Jetzt ist die Lyra verstummt, aber das kräftige Wort
Tönt von dem Könige aus der Fülle des glühenden Herzens,
Dass sichs gestalte zur That, Griechen, zu euerem Heil."
Diess hat der Dichter denn auch bethätigt, indem er den
freigewordenen Griechen einen seiner Söhne zum Könige gab,
ein um so grösseres Opfer, da er seit seiner eigenen Thron-
besteigung sich so unglücklich fühlte, wenn gleich diess Gefühl
mehr in seiner Besonderheit als in der Sache begründet war.
Als Jüngling hatte es ihn schmerzlich durchdrungen, dass er
an dem Kampfe für das Vaterland nicht hatte theilnehmen
dürfen. Das bezeugen besonders zwei Gedichte, I, 177 und
191: „Nachklage" und „das Versagte, geschrieoen während dem
Wiener Congresse." In dem letztern heisst es:
„Den als Retter Teutschland hätf betrachtet,
Stehet in der Menge unbeachtet,
Andern nach, die besser sind doch nicht;
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. "i'-'l
Ruhm und Ehre konnten sie erlangen,
Mir ist die Gelegenheit vergangen,
Ward genommen mir durch harte Pflicht.
Wenn gepriesen Andrer Namen schallen,
Aufbewahret durch Unsterblichkeit,
Wird der meinige bereits verhallen,
Uebergeben der Vergessenheit.
Als Europa schmachtete in Ketten,
Spürt' ich auch in mir die Kraft zu retten,
Mich erhob die drohende Gefahr.
Um zu herrschen da in Augenblicken,
Hätte ich gegeben mit Entzücken, /
Was Gewissheit mir für Zukunft war,
Hätt' für immer auf den Thron verzichtet,
Retter meines Vaterlands zu sein,
Wenn durch mich des Feindes Macht zernichtet,
Wenn geendiget der Menschheit Pein."
Daher ruft er denn auch IV, 198 Napoleon zu: „Grosser
Geist, doch niedrig kleine Seele," preisst alle die, welche für
das Vaterland kämpfen und . sterben durften , glücklich , wie
Theodor Körner, und beklagt im Bewusstsein seiner Liebe zum
Vaterlande den Zustand desselben überhaupt, besonders die
Uneinigkeit, z. B. III, 8:
„Wo Ein Sinn das teutsche Volk belebte,
Jene schöne, herrlich hohe Zeit,
Wo's den Feind nur zu besiegen strebte,
Sie versank in die Vergangenheit."
Teutsch und Deutsch. (III, 143).
„Während Einige teutsch, deutsch Andere schreiben; es zeiget
Diess Uneinigkeit schon, welche so lang uns beherrscht."
Aber weit unglücklicher machte ihn doch als Mann die
Thronbesteigung. Mit dem Gedichte: „An mich als König"
(vom 5. November 1825, wie die Anmerkung sagt) heben diese
Klagen an, und steigern sich in: „der Könige Loos," „Königs-
klage," in den Sonetten II, 59 und 61, in „Fürstenklage,
Mannichfache Klage, Leben des Königs, Meines Inneren Drang,"
und sie haben etwas um so mehr Peinigendes, weil an diesen
222 Ueber die Ge dichte
Gefühlen doch nur eine Verkennung seiner Lage Schuld ist.
So beginnt das zuletzt angeführte Gedicht:
„In der Prosa soll ich fürder leben,
Wie des Färbers Gaul im Ring herum
Meinem Tagwerk endlos übergeben,
Bis Natur für mich wird stumm,
Bis der Last ich leidend unterlegen,
Früh mein Körper sinkt, mein Geist erschlafft.
Soll ich mich im engen Kreis bewegen,
Lebend schon dem Leben sein entrafft?"
Daneben beklagt er auch häufig wie LU, 45 „die verlorene
Phantasie.". So scheint er sich eine Weile einer dumpfen
Schwermut überlassen zu haben, der er vielleicht schon früher
sich zuneigte, obgleich die Gedichte „Schwermütige Stimmung"
IV, 140 und „Schwermütiges Gefühl" III, 14 und IV, 156,
(denn zwei Gedichte haben diese Ueberschrift) keine Jahrzahl
der Entstehung tragen. Da heisst es:
„Doch der Sommer entfliehet, es schwinden die Tage der Jugend;
Düster vergingen mir viel, wenige, die mich beglückt.
Ueberlassen der Pein, ihr möcht' ich mich gänzlich ergeben,
Schwermut ist mein Genuss, jetzo der einzige mir.
Nacht ist mein Tag nun ; glücklich, wenn friedlicher Schlummer mich
fesselt,
Träume vorüber mir ziehn, frei von der Wirklichkeit Qual.
Mit dem Tage da kehret zurücke die schreckliche Wahrheit,
Nur in der Täuschung allein lebe ich einzig beglückt.
Das Gedicht „Leben des Königs" schliesst:
„Rings umgeben von düsterem Grau ist Frohne sein Leben,
Mühet heute sich ab, wie er es gestern gethan."
Am grellsten ist die Schilderung im Gedicht: „der Könige
Loos," das ich dess wegen ganz mittheile.
Von des Hofes Zwang umgeben,
Schon ein Todter in dem Leben,
Wie ein Götterbild von Stein,
Thronen in des Schlosses Mauern
Soll der König, soll vertrauern,
Immer abgesondert sein.
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 223
Was dem Aermsten selbst gewähret,
Er auf seinem Thron entbehret :
Frohen Umgangs heitre Lust.
Wie an Fäden soll er wandeln,
Gleichwie auf der Bühne handeln,
Seiner Rolle sich bewusst.
Abgewogen, abgemessen
Sei ihm Alles, soll vergessen,
Dass er Mensch ist, immer kühl
Soll sein Herz nie höher schlagen,
Einsam, freudlos soll er ragen,
Abgestorben dem Gefühl.
Ach, worauf sein Blick verweilet,
Von Verläumdung wirds ereilet,
Sei es noch so gut, so rein,
Andres Ansehn es erlanget,
Und der Himmel selbst empfanget
Gleich davon der Hölle Schein.
Aehnlich ist III, 114: „Am Neujahrstage 1830." — In
diesem Sinne hat ihn Chamisso aufgefasst, wenn er in den
„deutsche Barden" betitelten Terzinen dichtet, von dem auf den
Alpen ihm begegnenden und unbekannten König folgenden
Gegengruss erhalten zu haben:
„Mich freut in deinem Aug der Wiederschein
Von dem aus mir hervorgeblühten Bilde.
Doch blicke hier ins offne Thal hinein:
Du wirst auf jenem Pfade niedersteigen
Und Mensch dort unten unter Menschen sein.
Dein Wille, deine Kraft, sie sind dein eigen,
Du magst mit Lieb' und Hass ins Triebrad greifen,
Und magst, sowie du bist, dich offen zeigen.
Dort wird der Freundschaft edle Frucht dir reifen,
Dort gilt der Wärme glückliche Gewalt,
Die es verschmäht, zu diesen Höhn zu schweifen.
Blick' um uns her, wie lebensleer und kalt
Die starren Zinnen des Gebirges trauern;
Hier ist mein winterlicher Aufenthalt.
Sie sind der Völkerfreiheit feste Mauern,
Und sammeln still die Wolken für das Thal
Zu Quellensegen und zu Regenschauern.
•224 Ueber die Gedichte
Ich haus' in Sturm und Wolken hier zumal,
Denn dieser Alpen ist mein Schaffen gleich,
Ob aber liebend, ob aus freier Wahl — ?
Wer blickt in meines Herzens Schattenreich?
Wer fragt nach mir, der einsam ich verbannt
Aus menschlicher Genossenschaft Bereich?
Die flüchtge Stunde, wo du mich erkannt,
Du magst in der Erinnerung sie feiern,
Wir sind getrennt, sobald ich mich genannt —
Ich bin der König Ludewig von Baiern."
Doch, gottlob, solch ein Nachtstück ist das Leben des
Königs Ludwig nicht. Das bezeugt das Gedicht: „Inneres
Leben:"
„Drängt gen mich sich Welle gleich auf Welle
In des Lebens kalter Sturmesnacht
Strömt am Herzen doch die Feuerquelle,
Und der Seele wird es wieder helle,
Draussen ernst, im Inneren es lacht."
Ferner:
„Aus dem ewgen Wogen, ewgen Wanken
Flüchtend in das Reich mich der Gedanken,
Schweb' ich sehnend zu dem Zauberland.
Aus der Dichtung blühendem Gebiete
Ist die Sorge, ist der Schmerz verbannt."
Findet er so die Quelle des Trostes in sich selbst, so findet
er sie auch ausser sich bei den Klassikern, in der Geschichte.
So in dem „Abschied von Aschaffenburg:"
„Aus dem beständigen Druck des kleinlichen täglichen Lebens
Flüchtete sehnend der Geist sich zu den Klassikern hin,
Und vergass die Gegenwart, fand die Heiterkeit wieder,
Fand sie mächtig erregt, mächtig vermehret die Kraft."
Der Schluss lautet:
„Lebend sind Tausende todt uns, doch ein grosser Gestorbner
Lebet dem denkenden Geist auch in dem Tode noch fort."
Auch entbehrt er des religiösen Trostes nicht, z. B. II, 105:
Glücklich, wenn in heiiger Glut verloren,
Aufgelöst wir sind in dem Gebet,
Fühlen uns für's Ewige geboren,
Schon von Seligkeit dann angeweht."
Ludwigs des, ersten, Königs von Bayern. 225
Daher denn der männliche Entschluss in dem trefflichen
Sonett, I, 48:
„Nicht für die Ruhe ist, zum Kampf erschaffen
Der Mensch; was ihm auch droht, er soll nicht zagen,
Für das, was recht und edel, alles wagen,
Es darf dafür nicht seine Kraft erschlaffen."
Freilich ist diess aus einer früheren Zeit; und so auch II,
101:
„Jetzt kann ichs sagen: „Ja, ich habs errungen!"
Wie diessmal hab' ich nie mich überwunden,
Gewissensruhe habe ich gefunden,
Nach schwerem Kampfe endlich mich bezwungen."
Aber auch im 4. Theile sind mehrere Aeusserungen dieser
Art, z. B. S. 41 in der Vergleichung des heidnischen und
christlichen Lebens:
,.Irdisch glücklich war des Heiden Leben
In des Sinnenwahnes kurzer Zeit;
Himmlisches ist schon dem Christ gegeben,
Vorgefühl der ewgen Seligkeit.1*
S. 94:
„Christus, du nur kannst die Willen lenken,
Du nur kannst die Herzen so entzünden,
Dass, sich selbst vergessend, sie sich senken
Ganz in Liebe, die nicht zu ergründen."
Seinem sechsjährigen erstgebornen Sohne ruft er zu:
„In dem Herzen trage du den Himmel,
Kindlich folg dem göttlichen Gebot
In der Einsamkeit, im Weltgewimmel,
Und dich findet ruhig einst der Tod."
Auch tröstet ihn selbst die deutsche ländliche Natur. Das
Gedicht „das Bad Brückenau" fängt an:
„Ruhe ist dem Menschen hier beschieden,
Wie von Berg und Thal, von Hain und Flur,
Dringt ins Herz von Erd' und Himmel Frieden,
Friedenskuss ertheilet hier Natur."
Aigen, ein Besitzthum des Fürsten Ernst von Schwarzen-
berg, hat ihm wenigstens früher, das Gedicht ist vom 12. Juuiua
1817, so gefallen, dass er anhebt:
Archiv f n Sprachen. XXVIII. 15
226 Ueber die Gedichte
„Einzig bist du, holdes Aigen,
Nirgends hast du deinesgleichen
In der unermessnen Welt.
Ferne zog ich über Meere,
Sah das Herrliche und Hehre,
Was man für das Schönste hält."
So scheint er denn endlich den Trübsinn überwunden zu
haben. In dem Gedichte „Jugend" IV, 62 preisst er den fröh-
lichen Sinn im Allgemeinen:
..Wem ein fröhlicher Sinn ist beschieden, das Beste, der spüret
Nicht der Jahre Gewicht, bleibt auch im Alter noch jung."
Aber in dem Gedichte „Heiterer Sinn" IV, 256, spricht er
von sich selbst:
„Danke dir, Gott, für den heiteren Sinn,
Welchen du mir liebend gewähret."
Und IV, 96 antwortet er auf die Frage: „Was wird kommen?"
„Alles Drückende vergiss!
Fragest du, was wird da kommen,
Freudiges, das ist gewiss."
Freilich tönt es IV, 156 wieder anders:
„Bin ich heiter gleich im Leben,
Schein' ich fröhlich ihm gesellt,
Ist die Wehmut doch gegeben
Meines Wesens innrer Welt."
Dennoch hat er III, 44 ein ziemlich munteres Trinklied
gedichtet, wenngleich der Ernst den Vorrang behält. Wie
alles Grosse und Edle, begeistern ihn auch alle grossen und
edlen Menschen. Er ruft dem Erzherzog Karl zu am 30.
Jahrestage der Schlacht von Aspern, IV, 17:
„Mögen die Jahrhunderte verwehen,
Karl, dein Ruhm wird unversehrt bestehen — "
und dem Bischof von Regensburg, Sailer, IV, 225 :
„Gleich dem Jünger, den geliebt vor allen
Hat der Herr, dess Leben Liebe bloss,
War von ihr erfüllt dein Erden wallen,
In der heiigen ewgen Liebe gross."
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 227
Die Freundschaft hält er mit Recht für ein hohes Gut.
Er hat sie gegen Hompesch und Stadion und gegen Körner
empfunden. Mit Bezug auf den letztern sagt er 1, 197:
„Zwei von Harmonie umfangne Seelen,
Wie die Töne liebend sich vermählen
Gleichgestimmter Harfen, hehr und rein,
Hätten unsre Seelen sich verbunden,
Zu dem Höchsten mutig sich entwunden
In des heiligsten Gefühls Verein."
Er gibt der Freundschaft fast den Vorzug vor der Liebe,
I, 126:
„Liebe und Schönheit sind Blüten, sie sind gleich diesen vergänglich,
Eine Säule jedoch trotzet die Freundschaft der Zeit."
Am wenigsten fehlt es dennoch an Liebesgedichten. Er
kennzeichnet die Liebe in dem Sonett IV, 212, welches schliesst:
„Es wird durch sie der Augenblick verkläret,
Zugleich des Herzens Kühe doch verzehret,
Und doch nicht glücklich, welcher sie entbehret."
In vier Chören III, 52 — 59 warnt er vor ihr:
„Glücklich Der, der die Liebe nicht kannte,
Dessen Herz für kein andres entbrannte!"
Begeistert aber singt er von ihr. Dahin gehören „die
Andalusierin- IV, 268, „Des Liebenden Gefühl" und „Vor
ihrem Bildniss," und wie viele andre! Aber wie verklärt sich
in ihm die Liebe! IV, 103 beginnt er: „Ich konnte nicht mehr
lieben, Seitdem war immer grau Der Himmel mir geblieben,
Verdeckt sein hehres Blau." Weiterhin fährt er fort: „Tch
kann jetzt wieder lieben, Und Alles ist mir licht." Und das
Gedicht schliesst:
„Vom Sinnenreiz befreiet,
Entkörpert bin ich nun,
Dem Edlen nur geweihet
Und die Begierden ruhn.
Die Welt möcht' ich umfassen,
Sie drücken an mein Herz.
Möcht Lieb' mich nie verlassen!
Genuss ist selbst ihr Schmerz."
15*
228 Ueber die Gedichte
Aber trotz seiner manniehfaltigen Liebesneigungen kehrt er
immer zu seiner Frau zurück. IV, 3 sagt er:
„Ist mein Herz auch leicht empfänglich,
Bestes Weib, wirst du von Allen
Mir am meisten doch gefallen,
Ewig bin ich dir anhänglich."
Sie ist ihm die herrlichste aller Frauen, die ewig klare,
milde, sie allein versteht ihn, verkennt ihn nicht. Die Gedichte
an sie, und sie betreffend, sind zahlreich und gehören zu den
schönsten der Sammlung, so dass ich wenigstens einige der-
selben mittheile.
Meiner noch keine zwei Tage alten Tochter Mathilde.
(1, 110).
„Der gleiche immer, welche dich geboren!
Das ist der höchste Wunsch zu deinem Glück,
Zum Schmuck der Menschheit bist du dann geboren,
Die Mutter einstens gib in dir zurück.
Das Schönste dann vereinigst du, Mathilde:
Mit zarter Weiblichkeit der Anmut Milde;
Beglücken wirst du, welche dich umgeben,
Und Seligkeit wird deines Gatten Leben."
Sonett an meine Frau. (I, 101.)
„Wie Engel sanft von ewig gleicher Güte
Und Milde, ruhig wie des Himmels Bläue,
So ist dein Wesen, lauter Lieb' und Treue,
Ein Bild der, Tugend und der Anmut Blüte.
Es kennet nicht dein Herz die tiefe Reue,
Das für das Edle einzig glüht' und glühte;
Die Kindlichkeit in deiner Seele hüte,
Jedwelcher Tag erneute Wonne streue.
Gleich eines klaren Baches sanftem Fliessen,
Der frühlingslieblich, reizend schön umwunden,
Sich froh bewegt durch blumenreiche Wiesen:
So ist die heitre Folge deiner Stunden,
Die sich in Seelenfrieden mild ergiessen.
Durch dein Gefühl dem Himmel schon verbunden."
An meine Frau im Jahre 1828. (II, 164.)
„Du verkennest mich nicht, obgleich mich die Menge verkennet,
Unerreichbares Weib, trefflichstes, welches gelebt!
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 2l'9
Und so trage ich leicht das .Schicksal, das mich getroffen;
Scheint uns die Sonne, dann wird anderes Licht nicht vermisst.
Nicht die Zahl der Stimmen bestimmet den Werth, nur die Güte;
Da du, Beste, für mich, schmerzen Verläumdungen nicht.
Herrlich in leuchtendem Glänze erregest du stete Bewundrung.
Hätt' ich nicht Andre geliebt, liebte ich dich nicht so sehr,
Würde nicht kennen die Fülle der Schönheit des edelsten Herzens,
Ideal bist du immerfort deines Geschlechts.
Du Seelvolle, du zwingst die Seele, dich hehr zu verehren,
Und mein Wesen, es ist innigst mit deinem verwebt.
Wird der Wipfel der Eiche vom Wind auch zuweilen beweget,
Wurzelt sie dennoch fest, ewig die Liebe für dich."
Die Zeile: „Hätt' ich nicht Andre geliebt, liebte ich dich
nicht so sehr," würde in den Zeiten der Liebeshöfe einen treff-
lichen Gegenstand der Erörterung gegeben haben. Noch zärt-
licher, aber auch noch aufrichtiger und unbefangener lässt er
sich III, 265 in dem Gedichte aus: „Meiner Frau am Tage
unserer silbernen Hochzeit in München:"
„Lieb' dich mehr, als ich dich damals liebte,
Reizender erscheinest du mir heut;
Ob ich gleich dich öfters selbst betrübte,
Hätt' ich Keine lieber doch gefreit."
Zu erwähnen sind auch noch die Gedichte an seine Kinder,
z. B. das innige IV, 329: „An meinen Sohn Adalbert am Tage
seiner Volljährigkeit."
„Herzenssöhnehen bist du mir gewesen, ein lieblicher Kleiner.
Aber ein Herzenssohn bleibst du mir, Herzlicher, stets.
Bleibe du gut und rein, die Unbefangenheit immer;
Kindlichkeit ziert und beglückt freudig das Alter auch noch.
Heiteren Sinn hat dir der Himmel gegeben; es schwebet
Durch das Leben vergnügt, welcher getragen von ihm.
Offen liegt es vor dir in rosig verklärendem Schimmer,
Blühend lacht die Natur, alles ist glänzend und licht.
Aber aus lockenden Blüten entwickeln sich bittere Früchte
Oftmals; möchten doch nie solche dir werden zu Theil!
Wahres Glück besteht nicht ohne den Frieden der Seele,
Wenn das Gewissen dir rein, hast du das Kleinod der Welt."
Ernster ist das:
An meinen Sohn Otto. (IV, 325.)
„Frühe bereits hast du sie gefühlt, die Schwere der Krone,
Liebe für den Beruf, für dein hellenisches Volk,
230 Ueber die Gedichte
Lies? sie dir freudig ertragen, die Pflicht zum Genüsse verwandelnd
Was erdrückend erscheint, machet dieselbe uns leicht;
Sie befreit uns der Bürde, sie schwinget die strebende Seele,
Was wir empfanden als Pein Avird durch die Liebe zur Lust;
Was ihre Stralen berühren, es glänzet erhebend und heiter,
Das Alltägliche wird uns durch die Liebe verklärt.
Deine Jugend, du opfertest sie für Hellas, ihr lebend.
Ist das Bewrusstsein Lohn, wird durch den Dank er vermehrt.
Dank ward dir von dem Volk, ob Lndank Ein'ge auch zeigen,
Und es läutert und reift stets die ausbildende Zeit.
Rastlos vergehet dieselbe, Jahre um Jahre entweichen;
Meere trennen uns; fern bist du doch ewig mir nah."
In dem Bilde Ludwigs fehlt uns nun noch ein vorher nur
kurz berührter Zug, seine religiöse Denkungsart. Er ist Ka-
tholik, aber seine Gedichte sind frei von allem Parteiengeist
und Fanatismus, und man merkt nicht einmal, zu welcher
Kirche er sich bekennt, wenn er sagt IV, 186:
..Willst du den Katholicismus sehn und den Reformatismus,
Sieh Sanct Peter in Rom, sieh dann in London Sanct Paul."
Ein ..ins Kloster wallendes Mädchen" warnt er IV, 185:
..Prüfe aber genau, ob du vom Berufe durchdrungen;
Frieden findet daselbst nur, die es sehnet danach, —
Nur die findet den Himmel, sich frei, in den sperrenden Mauern,
Hölle das Kloster dir sonst, ohne Erlösung daraus."
IV, 207 heisst es: „Frieden gibt nur Gottes Sohn," und
IV, 216:
..Betend musst du dich erheben
Aus dem Irdschen, aus der Zeit;
Im Gebete bloss ist Leben,
Da bereits die Seligkeit."
Und IV, 259:
„O glücklich, die glauben, hoffen, lieben,
Wenn es das Denken, Handeln hat durchdrungen ;
Im Buch des Lebens stehen sie geschrieben."
Maria und die Heiligen werden meines Wissens nicht ein-
mal genannt, viel weniger eigens besungen.
IVherblicken wir nun die Schilderung, welche ich von der
Gemütsverfassung König Ludwigs, seinen Gedichten gemäss,
entworfen habe, 60 scheint sich zu ergeben, dass er trotz seiner
Ludwigs des ersten, Königs von Bayern. 231
Unbeständigkeit in der Liebe bei der reuigen Anerkennung
seiner Schwäche ein sittlicher und religiöser, sowie ein für
alles Edle und Hohe, für Freundschaft, Kunst und Wissen-
schaft, Vaterland und Freiheit begeisterter, ein ernster, und zwar
durchaus subjektiver, sentimentaler, sich selbst darstellender,
zuerst fast schwermütiger, aber allmälig zur Fassung und Heiter-
keit durchgedrungener Dichter sei. Er ist jetzt ein Greis. Er
hat t-eine geliebte Gemahlin durch den Tod verloren; er hat
manche seiner grossartigen Absichten und Entwürfe nicht aus-
führen können , z.B. den in der Elegie auf Girgenti bezeich-
neten, II, 46:
., empor aus der Fläche
Eine Höhe zum Schutz wider erkältenden Wind
Künstlich zu bilden, verbessernd Münchens ungünstige Lage,
Festzuhalten des Lichts alles belebenden Stral,
Wie zum Nutzen, zur Schönheit der kaltunfreundlichen Gegend,
Die nicht von der Natur mütterlich wurde bedacht. — "
aber er hat doch viele andre verwirklicht, wrelche Bayern und
ganz Deutschland zur Ehre und Zierde gereichen; München
ist durch ihn eine Stadt der Kunst geworden. Diese Er-
innerungen müssen sein Alter erheitern. Find endlich — einer
seiner Hauptwünsche ist erfüllt, er ist vom Thron hinunter-
gestiegen, er lebt nun in behaglicher Ruhe, im dolee far niente,
wiewohl er noch immer ein Beschützer der Künste , besonders
der Baukunst ist. Seine Vorliebe für Italien befriedigt er noch
jährlich durch Reisen in diess gelobte Land der Kunst, und
erfrischt sich dadurch aufs Neue für den Aufenthalt in dem
Norden. Er ist den Musen als Dichter wahrscheinlich noch
nicht untreu geworden , und wenn er einen fünften Band von
Gedichten herausgäbe, so würde er auch weniger zu besorgen
haben, was er III, 88 sagt:
„Dass dich nicht täusche das reichliche Lob; denn, was du gedichtet,
Ungepriesen blieb's, sässest du nicht auf dem Thron."
Zu wünschen wäre es, dass einige unparteiische Kunst-
kenner eine Auswahl aus der übergrossen Zahl von Gedichten
träfen, und dass sie, oder auch er selbst, diese besseren noch
vorher verbesserte.
232 lieber die Gedichte Ludwigs des ersten, Königs von Bayern.
Ich schliesse mit dem milden Urtheile des Brockhausenschen
Conversationslexikons (9. Aufl., Bd. 8, S. 147). „Seine Ge-
dichte geben, wenn auch oft gegen die Form verstossend, ein
schönes Zeugniss seines Gemüts."
Berlin. K. L. Kannegiesser.
Die
Tiecksche Uebersetzung des Coriolan
und ihre Bearbeitung durch T. Mommsen.
Es dürfte von einigem Interesse sein, durch flüchtige Auf-
zählung einzelner Beispiele zu zeigen, in welcher Gestalt
Shakespeare noch heute dem deutschen Publicum vorgeführt
wird, und was man für tiefsinnige Schönheiten dieses Dichters
hält. Ich sage absichtlich „durch flüchtige Aufzählung," denn
ein gründliches Durcharbeiten hiesse — wenn jede Stelle erklärt
und das Fehlerhafte in der Uebersetzung nachgewiesen werden
sollte, — ein Werk herausgeben, das an äusserer Ausdehnung
einen Wettkampf mit der'Gesammtproduction Shakespeares nicht
zu scheuen brauchte. — Ausserdem wird es am Platze sein,
nur von der Uebersetzung zu sprechen, welche allgemein für
die beste gehalten wird, und sich der grossesten Verbreitung
in Deutschland erfreut, ich meine die unter dem Namen der
Schlegel - Tieckschen bekannte Ausgabe. (An dieser Steile sei
zugleich bemerkt, dass Tieck selbst, seiner eignen Erklärung
nach, das Wenigste daran gethan hat ; die unter seinem Namen
erschienenen Stücke sind theils von seiner Tochter Dorothea,
theils vom Grafen WolfF von Baudissin übersetzt.)
Was nun Schlegel betrifft, so sind seine Verdienste um die
Uebersetzung Shakespeares so imposant, dass es undankbar wäre,
anders als leise nur und tactvoll die Stellen zu bezeichnen , an
denen er vielleicht geirrt ; um so mehr , als fast überall , wo er
den Gedanken des Dichters nicht erschöpfend wiedergiebt, eine
Unklarheit des Textes die Schuld trägt, und das, was er an
'j;S4 Die Tiecksche lieber Setzung des Coriolan
die Stelle treten lässt, jedenfalls eine Schönheit, wenn gleich
keine Shakespearesche ist. Schon das ungemeine Geschick, mit
dem er unklare Stellen so übersetzt, dass er wenigstens nichts
Fremdes hineinlegt, und dem deutschen Leser denselben freien
Raum für Combination lässt, wie solcher dem englischen Leser
im Originale gelassen ist, schon dieses Geschick, sage ich, ist
so bewundernswürdig, dass eine grosse Dosis von Pygmäen-
Hochmuth dazu gehört, um solcher Leistung als strenger Kritiker
und Tadler gegenüber zu treten. Wo wir jedoch bei Schlegel
einen directen Fehler finden , da wird Pietät sowohl wie Ge-
rechtigkeit gut thun, auf nichts Anderes als auf einen lapsus
calami zu schliessen; und glücklich Der, dem bei einer solchen
Fülle von Vorzüglichem so wenige Fehler zum Vorwurf ge-
macht werden können.
Von den Fehlern der Firma Tieck & Co. zu sprechen
unterlasse ich, des Satzes mich erinnernd: „de mortuis nil nisi
bene," und gedenke daher lieber der Vorzüge, welche derselben
beim schwierigen Uebersetzen Shakespearescher Lustspiele nicht
abgeleugnet werden können. Wenn ich aber Schlegel nur loben
kann und Tieck nicht tadeln will, wen soll dann der Tadel
treffen, den der geneigte Leser jedenfalls als Grundton dieser
Einleitung durchfühlt? Denjenigen, der die neueste Ausgabe
der Schlegel -Tieckschen Uebersetzung durchgesehen hat, und
in dem Nachworte zu derselben unter Anderm Folgendes sagt :
..Bei der Durchsicht der Schlegel -Tieckschen Ueber-
setzung habe ich die von Schlegel selbst bearbeiteten
Stücke, als anerkannte Meisterwerke, fast ganz unver-
ändert gelassen .... die von Tieck und seinen Mit-
arbeitern hinzugefügten Uebersetzungen enthalten trotz
vielem Vortrefflichen und Geschmackvollen auch manches
Unschöne und Undeutliche. Ich habe daher einen Theil
dieser Stücke, namentlich Coriolan, Wintermähr-
chen, Antonius und Cleopatra, Maass für
Mass, Timon von Athen, König Lear, an man-
chen Stellen verändert und endlich den Macbeth ganz
neu übersetzt, obwohl ich nachher wieder im Einzelnen
meine Uebersetzung für das schon besser von einem
meiner Vorgänger Getroffene aufgegeben habe ....'•
und ihre Bearbeitung durch T. Mommsen. 235
Herr Tycho Mommsen also, der dieses Nachwort unter-
schrieben hat , wircT für alle Begehungs - wie Unterlassungs-
sünden der Uebersetzer einzustehen haben, da er die von ihnen
hinterlassene Erbschaft angetreten hat.
Ich wähle zur bevorstehenden Untersuchung das erste der
von Herrn Mommsen, nach seiner eignen Erklärung, veränderten
Stücke, nämlich den Coriolan. — Wenn ich vorher aber zwei
Stellen aus anderen Stücken beleuchte, so geschieht es, um nach-
zuweisen, dass bei der letzten Revision der Schlegel -Tieckschen
Uebersetzung selbst das damals gedruckt vorliegende Material
nicht benutzt Avorden ist. Beide Stellen waren schon im Jahre
1853 von mir als falsch bezeichnet und geändert worden, und
wenn ich auch vielfache Veranlassung gefunden habe, das von
mir damals herausgegebene Buch als im höchsten Grade unge-
nügend und fehlerreich zu verwerfen, so gehören diese beiden
Stellen doch gerade zu dem Wenigen, was in dem Buche viel-
leicht zu loben sein dürfte.
König Pleinrich VI. II. Theil. IV. Aufz. 1. Scene.
Suffolk.
Sieh mein Georgenkreuz, ich bin von Adel:
Schätz mich so hoch du willst, du wirst bezahlt.
W i 1 1 m e r.
Das werd' ich schon, mein Narn' ist Seyfart Wittmer.
Die Nennung seines Namens nach den Worten „das werd'
ich schon," könnte nur den einen Sinn haben, dass Herr Seyfart
Wittmer seiner Zeit als ein Mann bekannt war, der in Geldan-
gelegenheiten nicht mit sich scherzen Hess , und diese Deutung
hier nur voraussetzen, wäre, gelinde gesagt, Unsinn. Das Ori-
ginal giebt uns aber dafür den besten, klarsten Sinn in den
Worten :
Suffolk.
Look on my George: I am a Gentleman.
Rate nie at what thou wilt, thou shalt be paid.
W h i t m o r e.
And so am I; my name is Walter Whitmore.
„And so am I," zu Deutsch „Das bin auch ich," i^t die
•_'3ti Die Tieck seile Uebei Setzung de 6 Coriolan
Antwort auf Suffolks ,.I am a Gentleman", und da hat denn auch
die Nennung des Namens einen Sinn. —
Das Win termährchen. I. Aufz. 1. Scene.
Leontes, in dem die Eifersucht schon arbeitet, spricht zu
seinem Kinde :
„Most dear'st! my collop! — Can thy dam ? — may't be? —
Affection! thy intention Stabs the centre:
Thou dost make possible things not so held,
Communieat'st with dreams; — (how can this be?) —
With what's unreal thou coactive art,
And fellow'st nothing: then 'tis very credent
Thou mayst co-join with something ; and thou dost, —
And that beyond eommission ; and I find it, —
And that to the infection of my brains
And hardening of my brows."
Mit kurzen Worten heisst Obiges etwa, sinnliche Leiden-
schaft sündige in der Phantasie, leicht aber auch in der Wirk-
lichkeit; Leontes spricht zuerst zu seinem Kinde:
..Mein Herz! mein Schatz! — kann Deine Mutter? — kann
sie ? —
Dein Streben, Leidenschaft, trifft in das Inn're :
Das machst Du möglich, was unmöglich schien.
Verkehrst mit Träumen ; — (wie nur kann dies sein ?) —
Bei dem Unwirklichen bist Du geschäftig.
Dem Nichts verbrüdert, d'rum ist's leicht zu glauben
Du ein'st Dich mit dem Etwas, und Du thust's, —
Und das jenseit des Rechtes, und ich find' es, —
Und das bis zur Vergiftung meines Hirns
Und meiner Stirn Verhäi'tung.''
Das ist, mit möglichster Benutzung der Tieckschen Ueber-
setzung, eine ziemlich treue, und jedenfalls richtige Wiedergabe
des Originals, wobei höchstens zu erwähnen sein dürfte, dass
die in Parenthese stehenden Worte nicht mit dem Uebrigen,
sondern mit den "Worten ..kann Deine Mutter" in Verbindung
zu bringen sind. — Sehen wir nun, was uns die Tiecksche
Uebersetzung bietet; die zweite Zeile lautet daselbst:
..Affect! Dein Ahnen bohrt zum Mittelpunkt;"
und es bleibt wohl am Besten jedem Leser überlassen, so viel
und ihrp Bearbeitung durch T. Moramsen. 237
oder so wenig Sinn aus dieser Zeile herauszulesen, wie es ihm
eben möglich sein mag. Die fünfte Zeile heisst im Originale:
..With what'ß unreal thou coactive art,"
oder, einfach construirt:
„thou (nämlich thou affection) art coactive with what is unreal"
zu deutsch:
„Du (Leidenschaft) bist mitwirkend mit dem, was unwirklich ist."
Zum Unglück aber heisst „thou art" nicht allein „du bist,"
sondern auch „du Kunst"; ferner schien es dem Uebersetzer
passend, „coactive" mit „einbildungsfähig" zu übertragen, und
so lesen wir in der Tieckschen Uebersetzung für „thou art
coactive" die Worte: „Du einbildungsfähige Kunst!"
Ebenso tritt in der drittletzten Zeile an die Stelle von „com-
mission" das Wort „Wahn," so dass es sich nicht leugnen
lässt, dass in diesen wenigen Zeilen viel Kunst, Einbildungs-
fähigkeit und Wahn zu Tage kommt.
Untersuchen wir endlich, was Herr Mommsen für diese
Stelle gethan hat; die zweite Zeile lautet:
„O Leidenschaft! Dein blosses Wolln kann tödten,"
das ist nun zwar nicht der Sinn des Originals, aber doch ver-
ständlicher als die Tiecksche Uebersetzung, und jedenfalls besser
als die folgenden Aenderungen, denn wenn Herr Mommsen „thou
coactive art" mit „du zwingende Kunst," und „commission" mit
„Ehbruch" übersetzt, so lässt sich noch immer darüber streiten,
ob bei diesem Wettkampfe der Tieckschen oder der Mommseu-
schen Uebersetzung die Siegespalme gereicht werden solle.
Gehen wir, nach diesen Präliminarien , zum Coriolan über.
Ich werde, der Kürze wegen, die betreffenden Stellen im Ori-
ginale, und dann mit der Bezeichnung T. M. und L. die Tieck-
sche, Mommsensche und meine eigne Uebersetzung geben ; wo
die Mommsensche fehlt, da ist in der revidirten Ausgabe der
Fehler der Tieckschen Uebersetzung nicht geändert.
Coriolan I. 1.
1. C itizen.
the leanness that afflicts us, the object of our misery,
is as an inventory to particularize their abundance . . .
238 Die Ti eck sehe V cberse tzung des Coriolan
T. Der Hunger, der uns ausmergelt, der Anblick unsers
Elends ist gleichsam ein Verzeichniss etc.
M. Der Hunger, der uns ausmergelt, die Verworfenheit
unsers Elends ....
L. Der Hunger, der uns ausmergelt, der Gegenstand unsres
Elends ....
I. l.
Marcius.
it will in time
Win upon power, and throw forth greater themes
For insurr ection's arguing.
T. . . . . . Nächstens nun
Gewinnen sie noch mehr, und fordern Grössres
Mit Androhn der Empörung.
M. . . . . thun grössre Fragen
Für ihren Meutrerscharf sinn.
L. . . . . . bald wird's nun wachsen
An Macht, und, um Empörung zu vertheid'gen,
"Wohl wicht 'gern Streitpunkt finden.
1. 1.
Brutus.
he is grown
Too proud to be so valiant.
T. . . . . . .er ward zu stolz,
So tapfer wie er ist.
L. . . . . . .er ward zu stolz
Auf seine Tapferkeit.
I. 5.
Titus.
Prosperity be thy page!
T
Dein Knappe sei Glückseligkeit!
L
Dein Knappe sei Erfolg!
I. G.
Die betreffende Stelle lautet in der Folio- Ausgabe folgen-
dermassen :
Marcius.
Tf any thinke, braue death out - weighes bad life,
und ihre Bearbeitung durch T. Mommsen. 239
And that bis Countries deerer then hioaselfe,
Let him alone: Or so many so minded,
Waue thus to expresse his disposition,
And follow Martins.
(They all shout and waue their swords, take him vp in their
Armes, and cast vp their Caps.)
Oh me alone, make you a sword of me:
Neuere Editoren haben nach „Wave thus" in Parenthese
beigefügt (waving his hand), ohne irgend eine begründete Ver-
anlassung hierzu zu haben; der Sinn ist ganz deutlich der, dass
Martius Diejenigen, die ihm folgen wollen, auffordert, als Zeichen
das Schwert zu schwingen, dass diese in der Begeisterung nicht
allein die Schwerter, sondern Martius selbst auf ihren Schultern
in die Luft erheben, und dass dieser in Folge dessen sagt:
„macht Ihr ein Schwert aus mir (indem Ihr mich in die Höhe
hebt)?"
T. Der schwing' die Hand, um mir sein Ja zu sagen,
Und folge Marcius.
(Alle jauchzen etc.)
Wie? Alle Eins? macht ihr ein Schwert aus mir?
M
O was, lasst seyn! macht Ihr ein Schwert aus mir?
L. Der heb' das Schwert empor, sein Ja zu sagen,
Wie? mich allein ? Macht ihr ein Schwert aus mir?
IL 1.
Brutus.
It was his word : 0, he would miss it, rather
Than carry it, but by the suit of the gentry to him
And the desire of the nobles.
T. So war sein Wort. Eh' giebt er's auf, als dass
Er's nimmt, wenn nicht der Adel ganz allein
Es durchsetzt mit den Vätern.
L. . . . So sagt er: Lieber gab' er's auf,
Als dass er sich bewürb', war 's nicht auf Bitten
Des Adels und der Väter.
IL 2.
Cominius.
his sword (death's stamp)
Where it did mark, it took ; t'rom face to foot
240 Die Ti eck sehe Ueb er Setzung des Coriolan
He was a thing of blood, whose every motion
Was tim'd with dying cries :
T. . . . . . Sein Schwert, Todstempel,
Schnitt, wo es fiel, von Haupt zu Füssen nieder.
Vernichtung war er, jeglicher Bewegung
Hallt Sterberöcheln nach.
L. . . . . . Sein Schwert, Todstempel,
Schnitt, wo es fiel; von Kopf zu Füssen war er
Verkörpert Blut, dess jeglicher Bewegung
Ein Sterberöcheln folgt.
IL 2.
Cominius.
. he covets less
Than misery itself would give ; rewards
His deeds with doing them; and is content
To spend the time to end it.
T. . . . . . Ihm ist Lohn
Für Grossthat, sie zu thun. Zufrieden ist er
Sein Leben so zu opfern ohne Zweck.
L. . . . . .. . Seine T baten
Belohnt er durch das Thun, und ist zufrieden
Die Zeit zu brauchen, seine Zeit zu enden.
IL 2.
Sicinius.
He will require them,
As i f h e d i d contemn t h a t he r e q u e s t e d
Should be in them to give.
T. . . . . . Er wird sie ersuchen,
Als wie zum Hohn, dass er von ihnen bittet,
Was sie gewähren müssen.
L. . . . . . So sie bitten wird er,
Als wär's verächtlich ihm, bei ihnen suchen
Gewährung dessen was er wünscht. .
II. 3.
Coriolanus.
for your voiees have
Done many things, some less, some more:
T. . . . . . . für eure Stimmen
Gethan sehr Vieles, minder, mehr.
L. . . . . . . für eure Stimmen
Hier mehr gethan, dort weniger.
und ihre Bearbeitung durch T. Mommsen. 24 1
III. 1.
C o r i o 1 a n u s.
You are like to do such business.
Brutus.
Not unlike,
Each way, to better yours.
T. Solch Thun sieht euch schon ähnlich.
Nicht unähnlich,
Und jedenfalls doch besser als das eure.
L. . . . . . . Nicht unähnlich,
Das eure j edenf alls doch zu verbessern.
IV. G.
(In der Tieckschen Uebersetzung IV. 4.)
Sicinius.
His remedies are tarne i' the present peace
And quietness o' the people, which before
Were in wild hurry.
T. Was ihn gestärkt ist zahm; der Friede jetzt
Und Ruh' im Volke, welches sonst empört
Und wild.
M. . . . . ist zahm, da Friede jetzt
Und Ruh' im Volke ....
L. . . . . ist zahm im Frieden jetzt
Und in des Volkes Ruh', das ....
V. 5.
(In der Ausgabe von Dyce V. 6.)
Aufidius.
There was it ; —
For which my sinews shall be strech'd upon him.
T. Dieses ist der Punkt,
Wo meine ganze Kraft ihm widerstrebt.
L. Dieses ist der Punkt,
Wo meine Sehnen fest ihn packen werden.
Wenn ich hiermit das Fehlerverzeichniss der Uebersetzung
des Coriolan schliesse, so muss ich bemerken, dass ich erstens
nur die am meisten in's Auge springenden Fehler bezeichnet,
und zweitens alle die Stellen unberührt gelassen habe, in denen
zwar, meiner Ansicht nach, die Uebersetzung dem Original nicht
treu bleibt, in welchen dieses selbst aber von den verschiedenen
Archiv f. n Sprachen. XXVIII. 16
242 Die Tiecksche Uebersetzung des Coriolan
Shakespeare -Editoren, theils was die Form, theils was den Sinn
betrifft', verschiedenartig wiedergegeben und gedeutet wird; so
dass sich also an die Frage über die Richtigkeit der Ueber-
setzung doch noch ein Streit über die Form und Auffassung des
Originals anknüpfen Hesse. Im Vorliegenden habe ich nur
solche Stellen angeführt, bei denen ein Streit überhaupt nicht
möglich, der Fehler vielmehr so in die Augen fallend ist, dass,
wenn man sich darüber wundert, wie ein Uebersetzer ihn be-
gehen konnte, man noch mehr darüber staunen muss, dass der,
welcher die Uebersetzung auf's Neue redigirte, ihn nicht ver-
besserte.
Zum Schlüsse dieser, bereits allzu weitläufig gewordnen
Abhandlung sei es mir gestattet, eine Stelle genauer zu unter-
suchen, welche zwar im Originale fest steht, in der Uebersetzung
aber, wie es scheint, verschiedenartig gedeutet werden kann.
Coriolan sagt in der I. Scene des IV. Aufzuges zu seiner
Mutter :
My mother, you wot well
My hazards still have been your solace: and
Believe't not lightly (though I go alone,
Like to a lonely dragon, that his fen
Makes fear'd and talk'd of more than seen), your son
Will or exceed the common, or be caught
With cautelous baits and practice.
Die Uebersetzung giebt dies folgendermassen wieder:
Weisst du, Mutter,
Mein Wagniss war dein Trost ja immer! und,
Das glaube fest, geh' ich auch jetzt allein,
So wie ein Drache einsam, den die Höhle
Gefürchtet macht, besprochen mehr, weil nicht gesehn,
Dein Sohn ragt über dem Gemeinen stets,
Wo nicht, fällt er durch Tück' und niedre List.
Es ist vor allen Dingen in's Auge zu fassen, dass Coriolan
in dieser Scene hauptsächlich die Aufgabe hat, seine Mutter
wie seine Freunde über seine Zukunft zu beruhigen; er sagt
daher :
„I shall be lov'd when I am lack'd ..."
...... Cominius,
Droop not; . . . ."
„I'U do well yet "
und ihre Bearbeitung durch T. Mommsen. ?4S
Ebenso soll in den vorstehenden Zeilen eine Beruhigung
für seine Mutter liegen. Dass er sich nicht selbst als den „ge-
fürchteten Drachen" bezeichnen kann , geht einestheils aus der
Thatsache hervor, dass die Plebejer eben erst einen Sieg über
ihn errungen haben, indem sie die gefürchtete Anwesenheit
Coriolan's abschüttelten , ihn nun also gewiss nicht fürchten
werden, während er selbst in diesem Augenblicke auch noch
nicht im Geringsten klar über seine Pläne ist, an irgend eine
Gefahr also nicht denken kann, die den Römern von seiner
Rache etwa drohen sollte. Anderntheils sagt er ja selbst das
Gegentheil davon, dass er gefürchtet werde, in den Worten:
„1 shall be loVd when I am lack'd"
Man werde ihn lieben, ihn herbei wünschen, — natürlich
wenn eine Gefahr von aussen her droht — ; dass er selbst
aber den Römern solche Gefahr bereiten werde, das fallt ihm
in diesem Augenblicke noch nicht ein. Dazu muss er erst
lange (wenigstens Tage lang) , einsam in der Fremde umher-
irren, um in der Einsamkeit das Gift der Rachelust so in sich
eindringen, so sein ganzes Wesen durchziehn zu lassen. All'
die einsamen Stunden, Tage und Nächte in der Fremde konnten
ihn erst dahin bringen, dem Aufidius seinen Hals oder seinen
Arm anzubieten. (Ich unterstreiche dies „oder"; denn selbst in
jenem Augenblicke denkt er erst an seinen Tod und dann erst
an die Möglichkeit, gegen Rom zu kämpfen.) Für jetz# denkt
er nur daran, seine Mutter zu trösten, und das thut er, indem
er sie über die Schrecken der Verbannung (denn Verbannung
war dem Römer schlimmer als Tod) beruhigt. Er will ihr
sagen, es sei mit der Verbannung gewiss nicht so schlimm, wie
man glaube ; man male sie sich nur so entsetzlich aus , weil
man sie nicht kenne; spreche um so mehr und um so Schlim-
meres davon, je weniger man davon gesehn habe; ebenso gehe
es ja den Leuten mit der Furcht vor irgend einem Drachen,
der einsam irgendwo in düstrer Höhle liege, und den die Men-
schen um seiner selbst und um des Grauens vor der düstern
Höhle willen fürchten, und voll von dieser Furcht von ihm
sprechen, ohne ihn gesehen zu haben. Der Hintergedanken in
diesen Worten ist bei einer Natur wie Coriolan's natürlich der :
Hessen sie sich von ihrer Furcht nicht abschrecken, sondern
16*
244 Die Tiecksche Uebersetzung des Coriolan und ihre Bearbeitung etc.
gingen dem Drachen kühn zu Leibe, so würde es sich bald
zeigen, dass er viel weniger furchtbar sei, als man geglaubt.
Und so wie er dem Drachen muthig entgegentreten würde, so
wolle er's auch mit der Verbannung wagen, und seine Mutter
solle ebenso guten Muthes sein, wie er selbst es ist.
Desshalb glaube ich, dass die Worte
„Like to a lonely dragon"
nicht übersetzt werden dürfen
„So wie ein Drache einsam"
sondern vielmehr
„Wie zu 'nem Drachen einsam,"
und möchte daher, besonders auch einer bessern Form der
fünften Zeile wegen, folgende Uebersetzung an die Stelle der
oben angeführten bringen:
Weisst du, Mutter,
Mein Wagniss war dein Trost ja immer! und,
Das glaube fest, geh' ich auch jetzt allein,
(Wie zu 'nem Drachen in der Einsamkeit,
Gefürchtet durch den Ort an dem er weilt,
Besproch'n mehr als gesehn), dein Sohn wird ragen
Stets über dem Gemeinen, oder fallen
Durch Tück' und niedre List.
Sollten vorstehende Zeilen Herrn Mommsen zu Gesicht
kommen, so wünsche ich, dass, wenn er überhaupt den Beruf
in sich fühlt, für die Reinheit einer deutschen Shakspeare-Ueber-
setzung zu wirken, sie ihn veranlassen möchten, bei einer neuen
Revision des Schlegel - Tieckschen Textes , auf Entfernung der
vorhandenen Fehler, nicht auf ihre Conservirung und Vermeh-
rung hinzuarbeiten.
Berlin. F. A. Leo.
Racines Athalia.
.Seit Lessing und Schlegel über die französische Tragödie
ihr Anathema gesprochen hatten, wurde es in Deutschland zur
Gewohnheit, mit Missachtung auf dieselbe zu blicken. Mir aber
wollte die unbedingte Gerechtigkeit dieses Verdammungsurtheils
nie ganz einleuchten, indem es mir schien, als wenn viele Vor-
würfe, welche man der franz. Tragödie machte, mehr oder we-
niger auch den Tragödien anderer Nationen gemacht werden
könnten. Und so liess ich mich nicht abhalten, mich fleissig
mit Racine und Voltaire zu beschäftigen, zumal da auch Goethe
den Mahomet des letztern einer Bearbeitung gewürdigt hat.
Ich übersetzte nach und nach die Tragödien dieser beiden
Dichter und kehrte stets nach Vollendung anderer Arbeiten,
welche dazwischen traten, mit Liebe zu dieser Arbeit zurück.
Dass sich im Laufe der Zeit indess die Meinungen in Be-
ziehung auf diese franz. Classiker geändert haben und dass
ich also mit meinem Urtheile nicht mehr so ganz allein stehe,
das wurde mir unter Anclerm durch Bd. XIX. Heft 4 (Jahrg.
1856) dieses Archivs bewiesen, in welchem sich eine treffliche
Abhandlung von Dr. M. Maass in Neubrandenburg („die franz.
Tragödie und ihre deutschen Kritiker") befindet und in welcher
der Verf. besonnen und gerecht die franz. Tragödie würdigt
und gegen die ungerechten Angriffe vertheidigt. Ich kann mich
nicht enthalten, hier eine kleine Stelle aus dieser Abh. anzu-
führen. Pag. 390 - 91 heisst es da: „Allein, wie das ge-
wöhnlich zu gehen pflegt, das Publicum hört nur das heraus, -
(nämlich aus den Worten der Anerkennung, welche von Kri-
tikern ausgesprochen werden) — was es hören will und was
246 Racine's Athalia.
am leichtesten zu fassen ist, und da die leidige Menschennatur
weit empfänglicher für den Tadel als für das Lob des ihr
Fremdartigen ist; so ist es denn gekommen, dass man sich eme
solche bequeme Ansicht . fonnulirt und dieselbe weiter verbreitet hat.
Zwei unserer grössten literarisch-ästhetischen Kritiker, Lessing
und Schlegel, haben die franz. Tragödie verbannt, also ist der
Stab über sie gebrochen. Allein, meine Herren , les gens que
vous tuez, se portent assez bien ; sie lebt und wird leben
als eins der wichtigsten Glieder in der Kette der
dramatischen Dichtungen. Denken Sie an Horaz' Aus-
spruch: Multa renascentur, quae jam cecidere.'' (Horat. Ars
poet. 72.) — Die Abhandlung schliesst mit den Worten: ..Können
diese Leute wohl jemals eine Racinische Tragödie eines näheren
und vorurtheilsfreien Studiums gewürdigt haben?"
Bei der Uebersetzung eines jeden poetischen Werkes scheint
es mir die Pflicht des Uebersetzers zu sein , die äussere Form
desselben zu wahren, denn diese Form ist bei einem Gedicht
etwas Wesentliches; wird sie nicht bewahrt, so verwischt die
Uebersetzung einen wesentlichen Charakterzug desselben. Die
Arbeit des Uebersetzers wird freilich unendlich erleichtert, wenn
er eine solche Fessel abstreift, wie es auch Goethe in dem Ma-
homet gethan hat; allein der Leser einer solchen Uebersetzung
erhält so von dem Originale nur ein entstelltes Bild. Es muss
also von einem guten Uebersetzer mit Recht gefordert werden,
dass er sich durch die vermehrten Schwierigkeiten nicht be-
stimmen lasse, die äussere Form des Originals in seiner Ueber-
setzung zu vernachlässigen.
Bei einer Uebersetzung der franz. Tragödien tritt nun,
wenn man ihre äussere Form wahren will, der Uebelstand wegen
der Beschaffenheit des deutschen Alexandriners hervor, welcher
durch seine Monotonie unserem Ohre beschwerlich fällt , wäh-
rend der französische Alexandriner einen ganz andern Cha-
rakter hat, eine Mannichfaltigkeit und Beweglichkeit, von welcher
im deutschen keine Spur ist. Indem die Franzosen die Sylben
nicht, wie wir Deutsche, nach Länge und Kürze der Betonung,
(1. i. nach dem Accente, messen, sondern zählen, bewegt
sich ihr Alexandriner fast in fesselloser Ungebundenheit, so
dass , wenn man diese franz. Verse nach unserer Art scandirt,
Racine's Athalia. 247
eine Sylbe, welche uns im vorhergehenden Verse als lang
erschien, im folgenden als kurz gebraucht ist. Dadurch werden
die Verse so verschiedenartig, dass sie in Ansehung ihrer wech-
selnden Betonung eine fast dem griechischen Hexameter gleiche
Mannichfaltigkeit entwickeln, bei welcher von der Monotonie der
deutschen Alexandriner keine Spur ist.
Was soll unter solchen Umständen der deutsche Ueber-
setzer beginnen? Es sind mancherlei Vorschläge noch in der
neuesten Zeit gemacht worden, um den Uebelstand zu besei-
tigen. Ich glaube, die leichteste Abhülfe ist die, dass man
unter die Reihe der Alexandriner im Deutschen reine Sena-
rien mischt. So kommt in das Ganze ein durchaus anderer
Takt, und alles Unangenehme, was der ununterbrochen fort-
laufende Alexandriner für das Ohr hat, wird beseitigt. Ich
habe diese Modification bereits bei meiner Uebers. der Hen-
riade Voltaire's (in der Bibl. der Classiker des Auslandes
bei Brockhaus 1843) versucht und habe von ihr ebenfalls und,
wie ich glaube mit Vortheil, in der Uebersetzung der Tragödien
Voltaire's und Racine's Gebrauch gemacht. Solche reine Se-
narien ohne mittleren Einschnitt habe ich übrigens nicht etwa
nach einer bestimmten Verszahl und in regelmässiger Wieder-
kehr eintreten lassen , sondern habe , nach Beschaffenheit des
Inhalts der Rede und mein Ohr und Gefühl um Rath fragend,
gewechselt und oft sogar mehrere solche Verse unmittelbar nach
einander folgen lassen. Man wird finden, dass durch reine
Senarien die Rede mehr Bewegung erhält, während sie beim
Alexandriner abgemessener und ruhiger erscheint. Ob ich die
Abwechselung immer an der rechten Stelle habe eintreten lassen
oder nicht , diess zu beurtheilen steht nicht mir, sondern den
Lesern zu. Bei einer Sache indess , welche lediglich auf dem
individuellen Gefühle beruht, dürfte wohl kaum an eine Ueber-
einstimmung Aller zu rechnen sein.
Ich erlaube mir, zunächst den Lesern eine Probe meiner
Uebersetzung meiner Athalia Racine's aus der ersten
Scene des ersten Acts vorzulegen, um darauf die Schluss-
chöre folgen zu lassen.
Die erste Scene enthält die Unterredung des hohen Prie-
248 Racine'« Athalia.
sters .load mit dem Feldhauptmann Abner. Ich führe den
letzteren zuerst redend ein.
Abner.
Was kann ich thun ? Verzagt ist ganz des Volkes Sinn ;
Es fehlet Juda Muth und Thatkraft Benjamin.
Der Tag, der ihren Kön'gen sah den Tod bereiten,
Verlöscht' in ihnen auch den Muth der alten Zeiten.
Gott selbst, so sagen sie, hat sich von uns gewandt;
Er, dessen Eifer sonst oft für sein Volk entbrannt,
Gleichgültig sieht er welken seines Ruhmes Blüthe;
Und ferner Gnade zu erzeigen ist er müde.
Er hält die starke Recbte nicht mehr ausgestreckt
Für uns zu Wundern, welche sonst die Welt erschreckt,
Die Bundeslad' ist stumm und ihr' Orakel schweigen.
Joad.
War irgend eine Zeit so reich an Wunderzeichen ?
Liess Gott nachdrücklicher wohl schau'n je seine Macht ?
Hat, undankbares Volk, umhüllet ew'ge Nacht
Dein Auge? Kannst Du ungerührt vorüber gehen
An allen Wundern, welche rings um Dich geschehen ?
Soll, Abner, ich Dich erst an jede Wunderthat ,
Erinnern, die bei uns sich zugetragen hat?
Wie Gott an den Tyrannen Israel gerochen,
Und wie er stets erfüllt, was er im Zorn gesprochen ?
Der böse Ahab fiel; auf jenem Acker floss
Sein Blut, den zu besitzen er erst Blut vergoss.
Nicht weit davon auch musste Jesabel es büssen,
Zertreten ward ihr Leichnam von der Rosse Füssen ;
Die Hunde leckten gierig ihr grausames Blut;
Um den zerfleischten Körper kämpften sie voll Wuth.
Beschämt stand der Propheten Schaar, die Lug verkündet,
Als den Altar des Blitzes Flamme angezündet. —
Als Herrn der Elemente zeigt' Elias sich ;
Den Himmel schloss er zu, dass er dem Erze glich ;
Drei Jahre netzten Thau und Regen nicht den Boden.
Das Leben gab zurück Elisa's Ruf den Todten.
Erkenn' in diesen Zügen, dass Gott immerdar
Derselbe jetzt noch ist, der er vor Zeiten war !
Er kann, wenn's ihm gefallt, in Herrlichkeit sich zeigen ;
'S wird seines Volks Gedächtniss nimmer von ihm weichen.
An dieser Probe des Dialogs möge es hier genügen, um
nicht zu vielen Raum zu beanspruchen, da ich die lyrischen
Raeine's Athalia 249
Stücke der Athalia, die Schlusschöre der vier ersten Acte,
noch mitzutheilen wünsche. Sie sind genau nach Sylbenzahl
und Reimen dem Originale nachgebildet, was, bei den ein-
fachen Reimen, seine grossen Schwierigkeiten hatte, da oft
wegen eines fehlenden Reimes eine neue Reihe gefunden werden
musste, um es dem Originale gleich zu thun.
Schlusschor des I. Acts.
Der ganze C hör.
Jehovah's Name ist es, den das Weltall preiset;
Verehret diesen Gott und betet stets ihn an !
Sein Reich begann, eh' noch der Zeiten Lauf gekreiset ;
Singt ihm, der uns so wohl gethan !
Eine Stimme allein.
Der Frevler Machtgebot verweiset
Zum Schweigen stets umsonst des Volkes Stimm', es preiset
Den Gott, den alle Zeiten seh'n.
Es zeugt's ein Tag dem andern, was der Herr verheisset ;
Jehovah's Name ist es, den das Weltall preiset,
Singt ihm, der uns so wohl gethan!
Eine andere Stimme.
Er hat den Blumen Farbenschmelz gegeben ;
Es spendet Frucht' uns seine Macht;
Er theilt mit rechtem Masse eben
Für sie des Tages Gluth, den Thau der frischen Nacht ;
Er lässt des Ackers Saaten üppig sich erheben.
Eine andere Stimme.
Er ruft die Sonne, alle Wesen zu beleben,
Das Licht ist ein Geschenk aus seiner Hand ;
Doch das Gesetz, das er gegeben,
Das is das Köstlichste, was er der Welt gesandt.
Eine andere Stimme.
Bewahre Du, o Sinai, für alle Zeiten
Des heil'gen Tages Angedenken hoch und hehr,
An dem von Deinem Haupte her
Der Herr, umflossen von der Wolken Nebelmeer,
Von seinem Glänze einen Strahl auf Dich Hess gleiten.
Sag' an, warum so feur'ge Blitz' er ruft ?
Wozu die Säulen Rauchs, dies Brausen in der Luft ?
Des Donners, der Posaunen Schallen?
;öO Rh ein es Athalia.
Hat auf den Umsturz er der Welt es abgeseh'n ?
Soll länger nicht die Erde steh'n?
Soll ihrer Vesten Grundbau fallen ?
Eine andere Stimme.
Den Söhnen Jacob's offenbaren wollt' er dort
Das unvergängliche Gesetz, das er geschrieben,
Und dem beglückten Volk das Wort
Verkünden: für und für sollst Deinen Gott Du lieben.
Der ganze Chor.
Welch' süsses, göttliches Gesetz !
Wie lässt Gott seine Gnade walten !
O welch' ein Antrieb, sein Gebot zu halten!
Hingeben sich an Gott in Lieb' und Treue stets!
Eine Stimme allein.
Vom harten Joch macht' er die Väter frei.
Gab ihnen Mannah in der Wüstenei.
Das Zeugniss seiner Gut' ist im Gesetz enthalten;
Nie darf in Liebe unser Herz erkalten.
Der Chor.
Wie lässt Gott seine Gnade walten!
Dieselbe Stimme.
Er that vor ihnen auf des Meeres Schlund,
Liess sprudeln einen Quell aus hai-tem Eelsengrund.
Das Zeugniss seiner Gut' ist im Gesetz enthalten;
Nie darf in Liebe unser Herz erkalten.
Der Chor.
Welch' süsses, göttliches Gesetz !
Wie lässt Gott seine Gnade walten !
Ü welch' ein Antrieb, sein Gebot zu halten!
Eine andere Stimme.
Ihr Undankbaren, die Ihr Sclavenfurcht empfindet.
Erfüllt mit Freudigkeit Euch nicht der güt'ge Gott?
Was habt Ihr für ein Herz, das schwer die Liebe findet?
Ist Liebe denn ein hart Gebot?
Der Sclave scheut des Zwingherrn Geisseihiebe,
Allein der Kinder Antheil ist die Liebe.
Der Chor.
Welch' süsses, göttliches Gesetz !
Wie lässt Gott seine Gnade walten !
O welch' ein Antrieb, sein Gebot zu halten!
Hingeben sich an Gott in Lieb' und Treue stets!
Racine's Athalia. 251
Schlu ss des zweiten Acts.
Der Chor und einzelne Stimmen.
Ein e St i m m e.
Welch' neuer Stern glänzt unsern Blicken ?
Was wird wohl künftig sein des Wunderknaben Loos?
Er zeigt sich vor dem Stolz so gross;
'S kann keine Lockung ihn bestricken.
Sie stellt ihn nicht Gefahren bloss.
Eine andere Stimme.
Indem man läuft und Weihrauch zündet
Auf dem Altar' Athaliens Gott,
Hat er voll Muth es laut verkündet :
Die andern Götter sind ein Spott.
Elias' Geist war ihm verkündet.
Als Jesabel spann ihr Complott.
Eine andere Stimme.
Von wem wird Deiner Abkunft Räthsel uns erschlossen ?
Bist einem heiligen Propheten Du entsprossen ?
Eine andere Stimme.
So sah man lieblich einstmals Samuel
Erblühen in dem Tabernakel ;
Er ward die Hoffnung der Hebräer, ihr Orakel:
O möchtest Du gleich ihm doch trösten Israel!
Eine andere Stimme.
Glücksel'ges Kind, als dessen Hort
Den Herrn man, der es lieb hat, preiset !
Das frühe schon vernimmt sein Wort,
Und das der Herr selbst unterweiset!
Mit ihren reichsten Gaben hat ihn die Natur
Schon von der Wiege an geschmücket,-
Der Sünde fern, blieb ihres Pesthauchs Spur
Stets seiner Unschuld weit entrücket.
Der ganze Chor.
Wie glücklich, glücklich ist die Jugend,
Die Gott beschirmt und selber unterweist in Tugend!
Eine Stirn m e.
So wächst im stillen Thale dort,
An einer klaren Quelle Rande.
Berührt nicht von dem kalten Nord,
Die Lilie zart, in blendendem Gewände.
2.v: Racine's Athalia.
Mit ihren reichsten Gaben hat ihn die Natur
Schon von der Wiege an geschmücket ;
Der Sünde fern blieb ihres Pesthauchs Spur
Stets seiner Unschuld weit entrücket.
Der ganze Chor.
Glücklich, glücklich tausendfach
Das Kind, zu dessen Herzen Gottes Stimme sprach !
Eine Stimme.
Wie schwankt, umgeben von Gefahren,
O Gott, die schwache Tugend stets so ungewiss !
Ein Herz, das Dich sucht und die Unschuld will bewahren,
Trifft auf so manches Hinderniss:
Wie viele Feinde es gefährden !
Was gab' es, das ihm Schutz verhiess' ? —
Sünder herrschen rings auf Erden.
Eine andere Stimme.
Burg David's und Du, seine ihm so werthe Stadt ;
Du, Berg, auf dem so lange Gott gewohnet hat;
Was hat so gegen Dich des Himmels Zorn entflammet?
Was sagst Du, Zion, dass ein Weib Dir trotzt voll Hohn,
Die Dir nicht ist entstammet,
Und sitzet • — ach ! auf Deiner Kön'ge Thron ?
Der ganze Chor.
Was sagst Du, Zion, dass ein Weib Dir trotzt voll Hohn,
Die Dir nicht ist entstammet,
Und sitzpt — ach! — auf Deiner Kön'ge Thron?
Die vorige Stimme f ä h r t f o r t :
Wenn statt der Lieder Feierklang,
Die einst, voll heiligen Entzückens, David sang,
Um seinen Gott und Herrn und Vater hochzupreisen :
Was sagst Du, Zion, wenn jetzt eines Götzen Lob
Dies Weib ertönen lässt in fremden Weisen,
Und der gelästert wird, den einst man hier erhob?
Eine andere Stimme.
Wie lange noch, o Gott, wie lange soll's noch währen,
Dass gegen Dich sich auflehnt dieser Frevler Schaar?
Sie bieten Trotz Dir hier im Heiligthum sogar
Und schelten Thoren die , die Deinen Namen ehren.
Wie lange noch, o Gott, wie lange soll's noch währen,
Dass gegen Dich sich auflehnt dieser Frevler Schaar ?
Racine's Athal ia. 253
Eine andere Stimme.
Warum zu strenger Tugend, sprechen sie, sich zwingen ?
An Freuden ist die Welt so reich ;
Warum um den Genuss Euch bringen?
'S thut Euer Gott ja nichts für Euch.
Eine andere Stimme.
Auf! lacht und singt! spricht der gottlose Haufen;
Pflückt jede Blume ! nur für süsse Lust
Lasst schlagen Eure Brust !
Wie thöricht, künft'gem Glücke nachzulaufen !
'S ist Alles ungewiss; die Zeit entflieht geschwind;
Drum eilet, heute noch Euch Freuden zu erkaufen!
Wer weiss, ob morgen wir noch sind?
Der Chor.
O lass sie weinen, Gott! erfülle sie mit Grauen,
Die Unglücksel'gen, die nicht werden schauen
Den ew'gen Glanz von Deiner hei'gen Stadt!
Wir, denen Du geoffenbart die ew'ge Wahrheit,
Die Dich umstrahlt voll Klarheit,
Wir preisen Dich, der uns so reich gesegnet hat.
Eine Stimme.
Von aller eitlen Lust, der sie sich hingegeben,
Was bleibet ihnen ? Wie ein Traum wird sie entschweben,
Der täuschend uns im Schlummer naht;
Doch bei'm Erwachen — welch' Entsetzen — ach! —
Wenn der Bedrängte froh geniesset
Bei Dir der Seel'gen Glück, das ewig für ihn spriesset,
Dann trinken aus dem Becher sie, der überfliesset
Von Deinem Zorn am letzten, schreckenvollen Tag,
Wo Strafe jeder Frevler findet.
Der Chor.
O Grau'n, wer so erwacht!
O Traum, der schnell verschwindet,
Und Unheil nur gebracht!
Schluss des dritten Acts.
Salomith und der Chor.
Salomith.
Ach, Schwestern, welche Furcht, Verwirrung und Gefahr!
Ist dies des Festes Tag, wo, von den Erstlingsfrüchten
254 Raoine's Athalia.
Ein süsses Opfer zuzurichten
Dem ew'gen Gott, durch das Gesetz geboten war?
Eine aus dem Chore.
Welch' Schauspiel — ach ! — für Mädchenaugen,
Wer dacht' es wohl, dass schreckenvoll,
Man sähe Spiess' und Schwerter, die vom Blute rauchen,
Hier, wo der Friede wohnen soll?
Eine Andere.
Warum wohl mag da3 Volk für Gott so lau sich zeigen?
'S bleibt ruhig, da doch die Gefahr so dringend ist.
Wie kommt es, Schwestern, dass uns auch vergisst
Der tapfre Abner und nicht brechen will sein Schweigen?
Salomith.
An einem Hofe — ach! wo gilt nur die Gewalt,
Und das Gesetz darniederlieget;
Wo Amt und Würden der alsbald
Erwirbt, der blindlings stets gehorcht und sclavisch kriechet
Wer hilft da, dass die Unschuld sieget ?
Sie fleht umsonst, ihr Ruf verhallt.
Eine aus dem Chore.
Wem will das heil'ge Diadem man geben,
Jetzt, wo Verwirrung und Gefahren uns umschweben?
Salomith.
Der Herr hat sich geoffenbaret ;
Allein wer mag das Wort, das uns verkündet ward
Durch den Propheten, recht erklären?
Will gnädig Gott uns Schutz gewähren?
Kämpft zornig er als Widerpart?
Der ganze Chor.
Er droht, verheisst — in dunkle Nacht ist es gehüllet ;
Von Glück und Unglück welch' ein schrecklicher Verein!
Wie kann er, wenn ihn solcher Zorn erfüllet,
Zugleich so gnädig sein ?
Eine Stimme.
Zerstört wird Zion und, in Flammen aufgegangen,
Wird alle seine Kraft verwehn.
Eine zweite Stimme.
Gott schützet Zion; 's hat für dauerndes Bestehen
Sein ew'ges Wort empfangen.
Rarine's Athalia. 255
Die erste Stimme.
Sein Bild erbleicht ; es ist ihm all' sein Glanz geraubt.
Die zweite Stimme.
Es wird durch alle Welt sein Preis und Ruhm erschallen.
Die erste Stimme.
Im tiefsten Abgrund lieget Zion, 's ist gefallen !
Eine zweite Stimme.
Hoch in die Wolken ragt sein Haupt.
Die erste Stimme.
O welch' Erniedrigung !
Die zweite Stimme.
Ha welch' Triumphgesänge!
Die erste Stimme.
O welche Jammertöne !
Die zweite Stimme.
Welche Siegsgesänge!
Eine dritte Stimme.
Verscheuchet Sorg' und Gram! Gott selbst wird einst die Nacht,
Die jetzt sein Wort umhüllt, zerstreuen.
Alle drei zusammen.
Lasst seinen Zorn uns scheuen !
Hofft auf seiner Liebe Macht !
Eine andere Stimme.
Was kann den Frieden
Dem rauben, welcher Gott vertraut !
Er freut sich dessen, was er ihm beschieden,
Nie hat er auf sich gebaut.
Kann je die Welt, ja selbst der Himmel, bieten
Ein süss'res Glück als der geniesst, der Gott vertraut
In stillem Frieden ?
Schlussscene des vierten Acts.
Salomith. Der Chor.
Der Chor.
Zieht, Söhne Aarons, ziehet aus!
Nie, nie sind Eure muth'gen Ahnen
•.-56 Ra eine's Ath alia.
Gefolgt ruhmwürdigeren Fahnen.
Zieht, Söhne Aarons, ziehet aus!
Ihr kämpft für Euren Gott und Euer Königshaus.
Eine Stimme.
Blitze schleud're auf die Frechen,
Die Dich in Deinem Zorn versucht!
Treibt Dich nicht mehr Eifersucht?
Willst ferner, Gott, Du Dich nicht rächen?
Eine andere Stimme.
Gott Jacob's, o wo ist jetzt Deine Gnad' und Huld?
Wenn Unglück sich an Unglück reihet,
Gedenkst Du dann allein nur uns'rer Sündenschuld?
Bist Du der Gott nicht, der verzeihet?
Der Chor.
Gott Jacob's, o wo ist jetzt Deine Gnad' und Huld?
Eine Stimme.
Auf Dich gerichtet hat die Bande
Der Frevler ihre Pfeile nur in diesem Krieg' ;
Es ende, sprachen sie, der Sieg
Jehovah's Fest' in diesem Lande!
Befrei'n von seinem Joch lasst uns die Sterblichen !
Stürzt sein' Altäre! würget seine Heiligen!
Sein Name soll verschwinden ;
Nicht Ruhm und Preis mehr finden;
Hinweg, Ihr Kön'ge, die Ihr seinen Namen trugt !
Der Chor.
Blitze schleud're auf die Frechen,
Die Dich in Deinem Zorn versucht !
Treibt Dich nicht mehr Eifersucht ?
Willst ferner, Gott, Du Dich nicht rächen?
Eine Stimme.
Uns'rer Kön'ge letzter Sohn,
Der Du von jenem hehren Stamm' allein geblieben,
Ha, soll'n wir wieder sehen, wie, von Hass getrieben,
Die Mutter nach Dir zuckt den Dolch, wie früher schon ?
Hat, holder Fürst, ein Engel Rettung Dir gebracht,
Als Mörderhand nach Dir sich in der Wiege streckte ?
War's des lebend'gen Gottes Macht,
Die aus dem Grabe Deinen Staub zum Leben weckte?
Racine's Athalia. 257
Eine andere Stimme.
Gott, bist Du müde jetzt der Langmuth und Geduld,
Und legst auf ihn des Vaters, des Grossvaters Schuld ?
Verstiessest Du auf ewig den, der sich Dir weihet?
Der Chor.
Gott Jacob's, o wo ist jetzt Deine Gnad' und Huld ?
Bist Du der Gott nicht, der verzeihet?
Eine aus dem Chor, ohne zu singen.
Ha, theu're Schwestern, höret Ihr,
Wie schrecklich jetzt der Tyrier Drommet' erklinget?
Salomith.
Der wilden Krieger Schrei'n wird auch gehört von mir,
Dass Furcht mein Herz durchdringet.
Lauft ! fliehet ! schnell hinweg von hier
Zu jenen sichern Mauern,
Umweht von heil'gen Schauern !
Ich brauche wohl kaum noch besonders zu bemerken, dass
eine Uebersetzung, welche sich in so engen metrischen Fesseln
bewegt, um getreu die äussere Form des Originals darzustellen,
keine wörtliche sein könne, wie dies geradezu ein Ding der
Unmöglichkeit ist. Nur dem Gedanken nach schliesst sie sich
dem Originale getreu an. Vor Allem aber bin ich bestrebt ge-
wesen, trotz des metrischen Zwanges, eine Uebersetzung zu
liefern, welche nicht undeutsch, steif und gezwungen erscheint
und bei deren Leetüre man nicht nöthig hat, erst das Original
zu vergleichen , um sie zu verstehen , wie dies bei so manchen
Uebersetzungen der lateinischen und griechischen Classiker der
Fall ist. Ob mir dies überall gelungen ist, wage ich nicht zu
entscheiden.
Zum Schlüsse möge hier noch das Urtheil Voltaire's,
dieses sich selbst vergötternden und fremde Arbeiten bissig be-
geifernden Kritikers über die Athalia Racine's stehen.
Voltaire thut nämlich an einer Stelle seiner Werke (leider habe
ich vergessen, den Ort, wo sie steht, mir zu notiren) folgenden
Ausspruch: L'Athalie est l'ouvrage le plus approchant de la
perfection qui soit jamais sorti de la main des hommes. Und
in der Vorrede zum Theater Racine's (Paris 1849) heisst es am
Schlüsse: Voltaire le (Racine) croyait le plus parfait de tous
Archiv f. n. Sprachen. XXVIJI. 17
258 Racine's Athalia.
nos poetes, et le seul qui soutienne constamment l'^preuve de la
lecture. II en parlait meme avec tant d'enthousiasme , qu'un
homme de lettres lui demandant pourquoi il ne faisait pas sur
Racine le meme travail qu'il avait fait sur Corneille : „il est tout
fait — lui repondit Voltaire; — il n'y a qu'ä ^crire au bas de
chaque page: „beau, pathetique, harmonieux, sublime."
Wenn ich auch nicht jedes Urtheil Voltaire's unterschreiben
möchte und auch glaube, dass das obige an Uebertreibung
leidet : so muss ich doch Racine einen hohen Werth beilegen,
und seine Dramen sollten, meiner Meinung nach, in unseren
Schulen häufiger gelesen werden als es geschieht, anstatt andere
Producte der Franzosen, welche in den bekannten Repertoiren
des französischen Theaters geliefert und in den Schulen gelesen
werden.
Hildesheim. Dr. Schröder,
Rector Gymnasii.
Sur le soi-disant idiome bourguignon.
Depuis le succes enorme qu'ont obtenu dans toute la France
les belies creations poetiques de M. Jasmin, que M. de Lamartine
(voir lasPapillotos t. III. p. 244) appelle ä juste titre „l'Ho-
mere sensible et pathetique des proletaires ", il n'y
a pas seulement abondance de poetes en patois, mais on est
meme remonte aux siecles passet, pour examiner les poemes
„de Goudouli, deDastros et Daoubasso" (v.lou Gha-
li bar i p. Jasmin, t. I. p. 10). Cependant, on ne saurait mieux
apprecier combien Jasmin est superieur ä tous ces poetes d'un
rang inferieur, qu'en ecoutant l'historiette que je vais raconter
d'apres M. de Sainte - Beuve.
Pendant une de ces tournees que Jasmin fait si fr^quem-
ment dans le Midi, et qui sont une suite de r^citations et-d'o-
vations continuelles, un poete du departement de l'Herault, un
poete en patois, appele" Peyrottes, potier de son &at, et qui s'est
fait une certaine reputation, lui envoya par lettre un defi. Jas-
min etait alors de passage ä Montpellier:
„Monsieur, lui ecrivait Peyrottes (24 decembre 1847), j'ose
dans ma tömerite qui est bien pres de la hardiesse, vous
propoeer un defi. Seriez-vous assez bon pour l'accepter? Dans
le Moyen - Age, les troubadours n'auraient pas d^daigne la pro-
vocation que, dans ma hardiesse, je viens vous faire.
„Je me rendrai a Montpellier aux jour et heure que vous
voudrez. Nous nommerons quatre personnes connues en littd-
rature pour nous donner trois sujets que nous devrons traiter
en vingt- quatre heures. Nous serons enferm^s tous les deux.
Un factionnaire veillera a la porte. Les vivres seuls entreront.
17*
260 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
„Enfant de PHerault, je tiens ä Phonneur et ä la gloire de
mon pays! Comrne en pareille circonstance , une bonne action
est de rigueur, on fera imprirner les trois sujets donnes , au
profit de la Creche de Montpellier.
„Je voudrais bien entrer en lice avec vous pour la decla-
mation, rnais un defaut de langue tres prononce roe le deTend".
Et un post- scriptum de la lettre provocatrice disait:
„Je vous previens, Monsieur, que je fais distribuer, des ä
present, copie de cette lettre ä diverses personnes de Mont-
pellier".
Voilä Jasmin, mis en demeure d'improviser et pris par le
point d'honneur. Va-t-il aller sur le terrain? Ecoutons sa char-
mante reponse et la lecon qui sadresse a d'autres encore qu'au
poete potier:
„Monsieur,
„Je n'ai recu qu'avant - hier , veille de mon depart, votre
cartel poetique; mais je dois vous dire que, Peuss^-je recu
en temps plus opportun, je n'aurais pu Paccepter.
„Quoi! Monsieur, vous proposez ä ma muse, qui aime tant
le grand air et sa libertd, de s'enfermer dans une chambre close,
gardee par quatre sentinelles, qui ne laisseraient passer que des
vivres, et, lä, de traiter trois sujets donnes en vingt - quatre
heures ! . . . . Trois sujets en vingt - quatre heures ! vous me
faites fremir, Monsieur. Dans le peVil oü vous voulez mettre
ma muse, je dois vous avouer, en toute humilite, qu'elle est
assez naive pour s'etre eprise du faire antique au point de
ne pouvoir m'accorder que deux ou trois vers par jour. Mes
cinq poemes: P Aveugle, Mes Souvenirs, Franconnette,
Marthe-la-Folle, les deux Jumeaux, m'ont coüte" douze
annees de travail, et ils ne fönt pourtant en tout que deux
mille quatre cents vers.
„Les chances, vous le voyez, ne seraient pas ögales ; ä
peine nos deux muses seraient - elles prisonnieres , que la votre
pourrait bien avoir termine" sa triple besogne avant que la
mienne, pauvrette, eüt trouve* sa premiere inspiration de com-
mande.
„Je n'ose donc entrer en lice avec vous: le coursier qui
traine son char peniblement, mais qui arrive pourtant, ne peut
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 261
lutter conter la fougueuse locomotive du chemin de fei*. L'art
qui produit les vers un ä un ne peut entrer en concurrence
avec la fabrique.
„Donc, ma rause se declare d'avance vaincue et je vous
autorise ä faire enregistrer ma declaration!
„J'ai l'honneur, Monsieur, de vous saluer."
Jacques Jasmin.
P. S. — Maintenant que vous connaissez la muse, en deux
mots connaissez l'homme:
„J'aime la gloire, niais jamais les succes d'autrui ne sont
venus troubler mon sommeil."
Mais quoi? La gloire de Jasmin n'est-elle pas obscurcie
dans ce dernier temps par M. F. Mistral? —Je crois que non;
car, ä mon avis, il y a entre Mistral et Jasmin toute cette dif-
ference qu'il y a entre un homme extremement savant et un vrai
poete. M. Mistal, dans Mireio, est admirable, il est vrai, comme
imitateur, non seulement d'Homere et de Virgile, mais aussi des
grands poetes italiens, mais il manque ä son grand poeme pro-
vencal cette unite d'action et avant tout cette inspiration poeüques
qui caracterisent h un si haut degre les creations de Jasmin.
Mais ä quoi bon, dira-t-on, ces tirades, quand il s'agit de
traiter le soi-disant idiome bourguignon? De gräce, encore un
seul moment de patience. Je ne sais pas si l'on voudra par-
faitement comprendre ce que je vais dire, car ceux qui se croient
chez nous les seuls connaisseurs de la langue et de la littera-
ture fran^aises, sont en general tellement, du moins ä leur avis,
ä la lmuteur de ce qu'on pourrait dire sur ce sujet, qu'ils en
parlent comme de bagatelles, quoique, pour la plupart , ils de-
daignent tout-ä-fait le provei^al , le vieux francais et tout ce
qui se donne de nos jours si souvent pour patois. Ils s'eii-
tendent donc cn architecture , mais quant aux briques et aux
autres materiaux, cela ne les regarde point, ils croient pouvoir s'en
passer. Mais la langue francaise, meme apres un long et penible
ddveloppement, produisant encoi'e tous les jöurs des expressions
qu'on croit nouvelles mais qu'un heureux aeeident a tout sim-
plement avaneees du milieu du menu peuple, oü elles regnaient
262 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
ä bon droit depuis des siecles : il me semble, au Heu d'attendre
ces heureux moments, encore plus avantageux de jeter aussi
de temps en temps un coup d'oeil sur ces diffeVents idiomes,
et, si cela se peut, de joindre meme lagreable ä l'utile, comme
on a occasion de le faire en lisant les beaux poemes de Jasmin,
de Mistral etc.
Ainsi, comme un vieux bouquin, est tombe entre nies mains
lequel a pour titre: Noei Borguignon de Gui Barozai.
Cinqueime Edicion reveue et augmentee de lai Note
de l'Ar de checun de Noei, etc. An Bregogne
M. D. CC. XXXVIII. et qui contient dans sa premiere partie:
a, 16 Noels composez l'an 1701 en la rue de la Rou-
lote ä Dijon; b, 13 Noels composez l'an 1700 en la
rue du Tillot ä Dijon; c, Cinq autresNoels composez
depuis; d, Apologie des Noels prece'dens; e, Chan-
son sur le passage de feu Monseigneur le Duc de
Bourgogne ä Dijon le 21. Septembre 1703; puis , dans
sa deuxieme: a, Glossaire Alphabetique pour l'intel-
ligence des mots Bourguignons, et autres qui peu-
vent avoir besoin d'explication dans les Noels de
Gui Barozai; b,Eloge fun^bre de Mr. de la Monnoye:
j'en veux communiquer une dizaine dont peut-etre les no. III
et VI, parce qu'ils regardent la politique de ces temps -la, m^-
ritent quelque attention. Pour rendre ces noels plus intelligibles,
j'ai mis sous le texte les significations des mots , extraites pour
la plupart du glossaire: apres quoi j'ai ajoute un resume sur cet
idiome grossier, qui, pour le dire tout d'abord, est ä peu pres
le langage des campagnards du centre, et en partie aussi du
nord de la France. Quant ä ce mot de noei, il signifie d'abord
la fete eile -meme, puis une chanson faite pour cette fete-lä.
En geneVal les Francais ne fönt pas beaucoup de cas de noei,
du moins ils ne connaissent pas la haute importance que nous
autres Allemands donnons k cette fete, leur principale fete etant
le jour de l'an: neanmoins la nuit de noei ne se passe nulle
part sans servir de pr^texte k de nombreuses reunions , comme
on le voit p. ex. par ce passage de Francon netto p. Jas-
min (v. las Pap. t. II p. 221, 222):
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 263
Anfin Nadal besquet luzi sa matinädo:
— acös s'esplendissio per tout, pel ben bouffat,
De fet en fet, de taoulo en taoulo,
Et d'estoufat en estoufat.1)
Mais il faut que, ci-devant, il en ait ete autrement: du
moins on cite dejä une vieille Bible des Noels, et aussi le bon-
horame Rabelais, dans l'ancien prologue du quart livre:
„En Angers, dit-il, estoit pour lors un vieux oncle, seigneur de
Saint George, nomme Frapin : c'est celui qui a faict et compose
les beaulx et joyeux Noels, en langage poictevin". II est meme
vraisemblable que Rabelais ait tire d'un de ces noels cet en-
droit qui se lit au eh. 22 du meine livre :
Je n'en daignerois rien craindre
Car lejour est feriau,
Nau, nau, nau,
car les Poitevins ecrivaient nau pour noel. A Dijon on atten-
dait assurement noel avec beaueoup d'impatience , comme nous
apprenons par le glossaire, car dejä pendant l'Avent des haut-
bois payes expres avaient ordre de jouer, de rue en rue, depuis
les neuf heures du soir jusqu'ä minuit.
Pour ce qui concerne enfin le nom de l'auteur de ces
noels, Gui Barozai n'est qu'un nom simule. Le glossaire
dit ä ce sujet: „Barozai. Vigneron ainsi nomme, parce que
d'ordinaire il portoit un bas couleur de rose. Comme il s'etoit
rendu celebre dans le corps des Vignerons de Dijon, et qu'il
etoit un de ceux qui parloient le Bourguignon le plus franc,
il est arrive de la que le nom de Barozai est devenu com-
mun ä tous les Vignerons de la Ville, ensorte qu'aujourd'hui
Vigneron et Barozai (en Francois Bas -rose), sont synonymes";
v. aussi le glossaire, noel VIII., v. 26. et clans l'explication du
mot Till 6: „Rue de Dijon. habitee autrefois par une partie des
Vignerons de la Paroisse S. Philibert. Un grand tilleul , en
!) „Enfin Noel vit luire sa matinee; — cela se repandait partout, par
le vent pousse, De foyer en foyer, de table en table et d'etuve en etuvd".
L'estoufat est un gros morceau de boeuf prepare d'une fa9on assez
semblable auboeufä lamode que les paysans autour d'Agen, patrie de
Scaliger et de Jasmin, ont l'usage de servir surtout cette nuit-lä.
264 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
Bourguignon tili 6, avoit donnö le nom a. cette rue. Or comme
c'est dans cette rue du Tillo, et dans Celle de lai Roulöte
que la naivete du langage Bourguignon s'est le mieux conserv^e,
le Poete, pour donner une plus haute idee de l'elegance de ses
Noels, a feint en avoir compose la premiere partie dans la rue
du Tillo, et la seconde dans la rue de la Roulöte".
I. Noei.
Su l'Ar du Vieleu: Je suis la plus contente cet.
Le eure de Pleumeire
Dizö lai fleute en main,
Chanton borgei, borgeire,
J'airon Noei demain ;
Röbeigne,
Lubeigne,
Bereigne,
Ligei,
Chanton tö Noei, Noei.
10 Jesu ven, camarade,
Jesu de Nazarai,
Faite po lu gambade,
Pandan que je dirai:
Röbeigne cet.
15 Si dan sai creiche ai crie,
Mau - vetu, mau - bue,
Veci mai chailemie,
I. Noei, noei; su, sur; ar, air <a, en bourguignon, devient en gene-
ral ai) ; vieleu, vielleur (l'r fiual est partout supprime). — 1 Pleumeire,
Plombiere, gros et beau village a une lieue de Dijon. 2 Dizö, disait;
impf, je dizö, tu dizö, ai dizö, je dizein, vo dizein, ai dizein;
lai, la; fleute, flute. 3 chanton, chantons (les lettres finales qui ne
se prononcent pas, ne s'ecrivent pas non plus) ; borgei, borgeire, berger,
bergere. 4j'airon, nous aurons; fut. j'airai, tu aire, el air e, j 'airon,
vos aire, el airon (el, il et ils devant une voyelle, ai devant une con-
sonne). 5 Röbeigne, Robine, nom de bergere. 6 Lubeigne, Lubine,
nom de bergere (lat. Leobina). 7 Bereigne, Benigne, nom de berger,
dont le diminutif, en patois, est Bin bin. 8 Ligei, Leger (lat. Leode-
garius), nom de berger. 9 tö, devant une voyelle tot, tout, tous.
10 ven, vient; camarade, camarades, car, comme l'on n'ajoute pas d's,
le singulier est ecrit comme le pluriel. 12 faite, faites; po, devant les
voyelles por, pour; lu, lui. 13 pandan, pendant (les mots s'ecrivent,
comme ils se prononcent). 15 sai, sa; creiche, creche; ai (v. 2 dizö
et 4 j'airon), il. 16 mau, mal. 17 veci (et vequi), voiei, velai,
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 265
Je n'airai qu'ai jue: 30 Je n'ai gade d'epärre
Röbeigne cet. Ai dire ai mes ozeä
20 San failli d'ene nöte, De pairöle de quarre,
Tantö su le basson, Maiquereä, coupau: ma
Tantö su lai muzöte Röbeigne cet.
Je mettrai lai chanson :
Röbeigne cet. 35 Je yeu qu>an mon egUze
25 Je suble ein marle an caige Depeü lai Sain Matin
Po rejou'i l'Anfan, Jeusqu'ai Noei Ton dize
Qui dan troi jor, je gaige, Por antienne au lutrin:
Dire tö fuamman : Röbeigne cet.
Röbeigne cet.
IL Noei.
Su l'Ar: Ma mere maries moi.
Guillö pran ton tamborin, Turelurelu, patapatapan,
Toi pran tai fleüte Röbin, 5 Au son de ces instruman
Au son de ces instruman, Je diron Noei gaiman.
voilä; mai, ma; chailemie, flute champetre, du lat. calamus (en bas lat.
calamia). 18 ai, a; jue, jouer. 20 failli, faillir; ene, une (masc.
ein, un). 21 tantö, tantöt. 22 muzöte, musette (cornemuse). 25
suble, siffle, fais siffler; inf. sublai; marle, merle. 27 jor, jours.
28 fuamman, courammant; comme coramman vient de courir, fuamman
qui a la meme signification, se derive de fuir. 30 gade, garde (aussi au
milieu des mots l'r est tres-souvent supprime); eparre (aussi eprarre),
apprendre. 31 mes, devant une consonne me, mes; ozeä, oiseaux (au,
comme eau se prononce toujours en bourguignon eä). 32 de, devant une
voyelle des, des; quarre: Tout carre ayant quatre angles ou coins, cha-
eun de ces coins s'appelle quarre. La prononciation de quarre se con-
serve dans quarre four qu'on ecrit plus communement carre four. De
pairöle de quarre sont des paroles qui ont besoin d'etre redressees.
33 maiquerea, maquereau ; coupau, cocu; ma, mais. 37 depeü, de-
puis; Matin, Martin.
II. 1 Guillö, diminutif de Guillaume, par corruption. 2 Röbin,
nom propre; fem. Röbeigne, v. I, 5. Robin ou le diminutif Robinet,
etant encore aujourd'hui le nom des moutons en France , il y a grande ap-
parence que les robinets de fontaines ont ete ainsi nomraes, parce qu'ils
etaient et sont encore faits pour la plupart en tete de mouton. 4 ture-
lurelu, mot fait expres, pour imiter le son de la flute; patapata-
pan, son du tambour fran9ais; (colintampon , son du tambour suisse).
[Pour donner encore d'autres exemples de ces termes factices, on a fait
mention dans le glossaire de cette description du chant de l'alouette par du
266 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
C'eto lai möde autref'oi Turelurelu cet.
De loüe le roi de roi . Au son cet.
Au son cet. Fezon lai nique ai Satan.
10 Turelurelu cet.
Au son cet. L'homme et dei son pu d'aicor
Ai nos an fau faire autan. 20 Que Iai neute et le tambor.
Au son cet.
Ce jor le Diale at ai cu, Turelurelu cet.
Randons an graice ai Jesu Au son. cet.
15 Au son cet. Chanton, danson, sautons an.
Bartas, en ces quatre vers du 5. liv. de sa 1. Semaine:
La gentille Alouette avec son tire-lire
Tire - lire - a - lire, et tire-lirant tire
Vers la voute du Ciel, uuis son vol vers ce lieu
Vire, et desire dire: adieu Dieu, adieu Dieu.
Et dans un autre passage, en parlant de ce refrain d'un vaudeville de 1G87 :
Flon flon, larida dondaine. Flon, flon, flon, larida dondon:
„II etoit aise, dit le glossateur, d'entendre ce que signifioit ce flon -flon, par
le quatrain qui le precedoit. Dans celui-ci par exemple:
Si ta femme est mecbante,
Aprens lui la chanson,
Voici comme on la chante
Avec im bon bäton.
Flon -flon cet.
Le refrain marquoit la vigueur avec laquelle il faloit fraper. Mais dans
cet autre quatraiu :
Vous devenez, Lisette,
Plus jaune que souci.
Scavez-vous la recette?
Lisette, la voici:
Flon -flon cet.
Le flon -flon signifioit autre chose".] On peut encore y ajouter la jolie
fanfare de cor, Ton ton, tontaine ton ton, qui, la saison de la chasse
venue, retentit encore aujoürd'hui d'un bout de la France jusqu'a l'autre; et
pour citer aussi un exemple d'un auteur latin, ce vers de Virgile (Endide liv.
Villi 503):
At tuba terribilem sonitum procul aere canoro
Increpuit;
avec cette glose de Servius: „Terribilem sonitum] hemistichium Ennii:
nam sequentia iste mutavit. Ille enim ad exprimendum tubae sonum ait:
Taratantara dixit. Et multa huius modi Vergilius, cum aspera invenerit,
mutat. Bene tarnen hie electis verbis imitatur sonum tubarum". 6 gai-
man, gaiment. 7 etö, etait. 12 il nous en faut faire autant.
13 diale, diable; cu, eul, le diable est a eul, est pousse ii bout, est aecule.
14 graice, gräces. 18 fezon, faisons. 19 dei, dieu; pu, plus; d'ai-
cor, d'aecord.
Sur le soi-disant idiorae bourguignon.
267
III. Le Noei de prince.
Su l'Ar : Lere la, lere lan lere.
Veci l'Aivan, chanton Noei,
An ce sain tarn le Fi de Dei
Sor po no d'ene Vierge Meire
Leire la, leire lanleire,
5 Leire la,
Leire lanla.
De söverain de chretiantai
Pu de troi quar se son bötai
Po l'alai voi dan sai chaumeire.
10 Leire la cet.
Seugu d'ene epluante cor,
Loüi Quatoze antre d'aibor,
Töjor be var por ein gran-peire.
Leire la cet.
15 Le roi d'Espaigne graiveman
Beni le Növeä Testaman,
Et ran graice au cier du mi-
. steire.
Leire la cet.
Le Savoyar an bon Francoi
20 Redöble ses acte de foi,
Ma de foi qui n'ä pu ligeire.
Leire la cet.
Jesu grulle, ai li fau du feü,
L'Ampereu söfle de son meü
25 Et ne fai qne de la femeire.
Leire la cet.
Guillaume ven qui sofle aussi,
Et qui cueüde, quoique poussi,
Qu'ai fere claire lai fouleire.
30 Leire la cet.
Be tö por y chaufai lo doi
Danoi, Poulacrej Seuedoi,
Quitteron, dit-i, lo taneire.
Leire la cet.
35 Ai meune aivö lu po lai main
Le Hölandoi se bon aimin,
Qui fornisse au feü lai maiteire.
Leire la cet.
Son beä fraire le roi Jaco
40 Crie ai Jesu: Mefie vo
III. 1 Aivan, Avent, le temps des quatre dimanches avant noei.
2 tarn, temps. 3 sor po no, sort pour nous. 4 leire la, leire
lanleire. c'est un.refrain burlesque assez ancien, conime on en peut juger
par le Typhon de Scarron. 7 chretiantai, chretiente. 8 pu de
troi quar, plus des trois quarts; botai, bottes. 9 alai voi, aller voir;
chaumeire, chaumiere. 11 seügu (on dit aussi suvi), suivi; l'intinitif
est suvre, seüvre et seügre; epluante, brillante (epluer, etinceler);
cor, cour. 12 d'aibor, d'abord. 13 be var, bien vert, frais. 17 cier,
ciel, comme mier, miel; mais on ne dit pas fier pour fiel; misteire,
mystere. 20 ses, devant une consonne se, ses. 21 ä, devant une
voyelle ät, est; qui n'ä pu ligeire, dont il n'y a pas de plus lagere.
24 grulle (fr. grouille), tremble. 24 l'empereur souffle de son mieux.
25 femeire, fumee. 28 cueiide, croit, cuide, du lat. cogit are; poussi,
poussif. 29 claire, üamber; fouleire, feu bien allume, aussi feu d'ar-
tifice; lat. focularia. 31 lo doi, leurs doigts. 32 Polacre, Po-
lonais, corrompu de Polaque. 33 dit-i, dit-il; lo taneire, leur ta.
niöre. 35 il mene avcc lui. 36 1(5, les; aimin, amis. 37 maiteire,
268
S u r 1 e soi-disant i d i o m e b o u r g u i g n o n.
De ce jueu de gibeceire.
Leire Ja cet.
Jesu repon: Vai, ne crain
pa,
Guillaume dedan mesEta
45 Ne fere jaimoi de pous-
seire.
Leire la cet.
Que dire ici de Brandebor?
C'ät ein roi qui be jeune ancor
N'ä pa pro d'etre ai lai lizeire.
50 Leire la cet.
Je ne scerö dire non pu
Ce que Moyance e rezölu,
Cölogne, Traive, ni Baiveire.
Leire la cet.
55 Ma je sai be qu'au Potugoi
Jesu dire: Piarre, croi-moi,
Au foreä laisse tai rai-
p e i r e.
Leire la cet.
Genoi, Flörantin, Pantalon,
60 Vorein be, plian le genon,
Ne pas deplie lai banneire.
Leire la cet.
Le vSuisse grossiron le train
De queicun de prince an che-
min,
65 Qui poire lai depanse anteire.
Leire la cet.
Cleman onze e pie du pöpon,
Por öbteni lai poi, dit-on,
Se fere potai dan sai cheire.
70 Leire la cet.
Ma j'ai be pö que tö fache,
Po no pugni de no peiche,
L'Anfan ne reponde au sain
Peire :
Leire la, leire lanleire
75 Leire la,
Leire lanla.
matiere. 41 jueu de gibeceire, joueur de gibeciere, trompeur. 44 de-
dan, comme dans le vieux fr., dans. 45 jaimoi, jamais; pousseire,
poussiere. 48 c'ät, c'est. 49 pro, pret; lizeire, lisiere. [Le glos-
saire : Le marquis de Brandebourg ayant pris le titre de roi de Prusse en
1701, on a dans le noel fait cette meme annee-lk, pris occasion de dire que
c'etoit un roi naissant qui n'e'toit pas pret d'etre a la lisiere.] 51 scerö,
saurais. 52 e, a. 56 Piarre. [Gloss. : Henri Etienne dans une re-
montrance aux gens de cour qui de son temps prononcoient je foas, je
voas pour je fais, je vais, conclut par leur predire:
En la fin vous direz la guarre.
Place Maubart, et frere Piarre.]
57 foreä, fourreau; raipeire, rapiere. 59 Pantalon, Venitiens, ainsi
nommes ä cause de S. Pantaleon, leur ancien patron. 60 vorein, vou-
draient; genon, genou. 61 deplie, deployer. (en fran9ais on observe
quelque distinction entre deployer et deplier. On deploie une enseigne,
on deplie une serviette.); banneire, banniere. 64 queicun, quel-
qu'un. 65 poire, payera; anteire, entiere. 67 e pie, aux pieds ;
pöpon, poupon. 68 poi, paix. 69 potai, porter; cheire, cbaire,
aussi chaise. 71 pö, peur. 72 pour nous punir de nos pdches.
Sur le soi-disant idiome bourguignon.
IUI. Noei.
Su l'Ar: Vötre jeu fait ici grand bru'it.
D ialögue
de Simon et de Lucä.
269
Simon.
Sai tu be Lucä, mon voisin,
Qu'ene cöple de Cherubin
Tö mointenan ven de me dire,
Que Dei de no lärme töche,
5 No depoche ici son Messire
Aifin d'efaici no peiche?
Ai m'on di qu'ai ne veno pa
An Rödömon, an Fierabra,
Armai du feü de son tonnarre,
10 Don, quant ai le röle dans l'ar,
Ai fai tramblai le quate quarre
Et le mitan de l'univar.
Lucä.
Ai sere don du moin venun
An roi qui n'ä pa du comun,
15 Seügu d'ene cor de pu belle,
Lu de qui l'on e di can foi,
Que se pie fon los escabelle
De lai tete des autre roi.
Simon.
Nainin, ai n'ä pa triomfan,
20 Ce n'ä, dize -t - i, qu'ein Anfan,
Frai soti de flan de sai meire,
San brizai pote, ni varö,
Come au travar d'ene vareire
Passe lai clatai du sölö.
Lucä.
2 5 Q'ät ein Anfan ? me di tu vrai ?
Tan meü, velai tö note fai.
Tu sai be, quant ein anfan crie,
Que por an epoize le cri
Ai ne fau qu'ene chaiterie,
30 Vou qu'un sublö, vou qu'un
trebi.
Simon.
Tu veu dire que je feron
Du Peti ce que je voron.
Je n'aivon qu'ai parre coraige:
J'airon por ein Alelüa
35 Le Pairaidi et son fignaige;
N'ä-ce pa bon marche, Lucä?
Lucä.
Voüei, Simon, veci jeusteman
Lai Loi du Növeä Testaman.
Le Pöpon nos y traite an fraire,
•40 Ai n'ä fiölan, ni rebor,
Aidieu vanjance, aidieu cö-
laire,
Ran po crainte, tö por aimor.
Uli. 2 cöple, couple. 3 mointenan. maintenant. 4 töche
touche. 5 no depoche, nous depeche. G afin d'effacer. 8 Quant
ä l'etymologie de Fierabra, il n'est peut-etre pas mal-ä-propos de dire que
ce mot, en bas lat., s'ecrit Ferribrachius. 9 armai, arme\ 10 ai
le röle, il le roule. 11 le" quate quarre, les quatre coins; v. I 32.
12 mitan, milieu. 13 ai sere don, il sera donc; venun (v. III 36 ai-
min), venu. 16 can foi, cent fois. 17 los leurs (devant une con-
sonne lo). 19 nainin, nenni. 21 frais sorti des flancs. 22 brizai
pote, briser porte; varö, verrou. 23 vareire, fenetre de verre. 24 cla-
tai, clarte; sölö, soleil. 26 voilä tout notre fait. 28 dpoizd, apai-
ser. 29 chaiterie, friandise. 30vou, ou; sublö, sifflet, petite flute
d'cnfant; trebi (lat. turbo), sabot, sorte de toupie. 32 voron, vou-
270 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
V. Noei.
"Su l'Ar: Si la cruelle se rit de moi.
Dialögue.
Un Borgei. Sai Fanne. Lai Vierge.
Le Borgei. Mai clarceleire,
Fanne coraige, Mon goudö blan.
Le Diale ä mor, Gai, marchon gai, töjor gai, no
Aipre l'oraige pa pö
J'on le beä jor, 15 Que je m'erete,
5 Dei pre d'ici repöse ammaillötai Je meur de voi ce garcenö,
Su lai fretille, Don no pröfete
Les Ainge ai force de chantai Fon tan de fete.
S'an egözille,
Föt an fremille. Le Borgei.
Ve sai cabane
Lai Fanne. 20 Dreusson no pa,
10 Q'ä niai gorgeire, An tan tu l'ane
Mon jazeran, Qui fai hin, ha?
drons. 33 aivon, avons; parre (etprarre) coraige, prendre courage.
35 fignaige, finage, territoire, contree. 37 vouei, oui. 40 fiölan,
fannfron, presomptueux; rebor, rebours, reveche. 42 ran, rien.
V. 2 a mor, est mort. 4 j'on (et j'aivon), nous avons. 5am-
maillötai, emmaillote. Gfretille, paille, terme de l'argot. Segözille,
egosillent. 9 fremille, fourmille, retentit. 10 gorgeire, 11 jazeran.
[Gloss.: gorgere, gorgerette, collet antique de femme servant ä couvrir la
gorge et le cou. Les gorgeres des feinnies avoient emprunte leur nom des
gorgeres des gens de guerre, lesquelles faisoient partie de Tarmure, et c'est
ce que depuis on a nomine baussecou (hausse-col). II en est de meme
des jaserans, ou coliers tissus, les uns a maille d'or, les autres ä maille
d'argent, a la maniere des jaserans de guerre, ainsi nommez, parce que
c'ätoient des cottes tissues ä mailles d'acier, en Espagnol azero, d'ou le
mot jazeran, ainsi ecrit anciennement, a ete forme.] 12 clarceleire,
clavier, d'oü pendent les clefs que les paysannes portent a leur cöte\
13 goudö, jupe plissee. 15 erete, arrete. 16 garcenö, petit en-
fant. 22 hin, ha, cri de l'äne. [Gloss.: De nos jours un professeur en
humanitez donnant une representation publique du mystere de la Nativite,
y introduisoit quatre animaux; le beuf et l'ane de la creche, le coq de la
Passion, et l'ägneau de S. Jean Baptiste, les faisant parier chacun a leur
maniere. D'abord le coq entonnoit d'une voix percante comme celle du coq
de l'horloge de S. Jean de Lyon: Christus natus est. Le beuf avec un
long mugissement demandoit: ubi? prononcant ä l'allemande oubi. L'äg-
neau repondoit: in Bethleem, trainant beaucoup la premie're syllabe de
Bethleem; sur quoi l'ane concluoit : hinhamus, hinhamus, ce qui en son
Sur le soi-disant idiome bourguignon.
271
Antron : Dei gar, bon jo moitre
Jözai,
Daime Mairie,
25 Je venon po voi, s'ai vö plai,
Le fru de vie,
Note Messie.
Lai Fanne.
Su son vizaige
Tö clar on li
30 Que c'ä l'övraige
Du Saint Esprit :
Q'ä po le seur un vrai Dei tö
naquai.
Voü son se gade?
On antre che lu san coquai,
35 Poin d'haulebade,
De rebufade.
Le Borgei.
C'ä lai figure
Du cier Ovar.
Pu de clöture,
40 Pu de rampar.
Je tröveron san senai, san ra-
clai,
Töte ebanee
Lai pote de ce gran palai,
Qui tan d'annee
45 Fu condannee.
Tö deu an sänne.
Vierge parfaite,
Je vos öfron
Quatre baivaite,
Deu culoron.
50 Je ne scerein faire que de pre-
zan
De trois öböle.
Ca dan le main de Graipeignan
Que le pistöle,
Les ecu röle.
Lai Vierge.
55 Cöple benie,
Le saint Anfan
Vo remarcie,
El ä contan.
Ce n'ä ni l'or ni l'arjan croye
moi
60 Qui l'efriande.
Un grain de moutade de foi,
Velai l'öfrande
Qu'ai vo demande.
langage signifioit eamus.] 23 Dei gar, dieu garde; moitre Jözai, maitre
Josephe. 25 s'ai vö plai, s'il vous plait. 32 seur, sür; naquai. [Gloss.:
Faire sortir de son nez l'excrement nomine en Francois morve, en Bourguig-
non naque. On dit d'un morveux qu'ai ne fai que naquai et naquai
alors est infinitif, qui devient participe lorsque, au Heu de dire d'un enfant
qui resemble extremement ä son pere, que c'ä le peire tö c reicht, on
dit, a peu pres dans une meine idee, que c'ä le peire tö naquai. J
33 voü, oü; gade, gardes. 34 coquai, heurter, du lat. culcare.
35 haulebade, hallebarde. 36 rebufade, rebuftäde. 38 övar, ou-
vert. 41 senai, sonner; raclai, räcler. 42 ebanee, entierement ou-
verte. 48 baivaite, bavettes. 50 scerein, saurions; prezan, pre"-
sents, cadeaux. 52 Graipeignan. [Gloss.: Grapignan, nom d'un jeune
procureur avide et fripon, introduit en diverses scenes Francoises de la Ma-
trone d'Ephese, Comedie Italienne. De lä tous les fripons de cette esp&ce,
recouvreurs de dettes, gabeleurs, et autres maltotiers, pcuvent etre nommez
Grapignans.] 60 efriande, affriande. 61 moutade, moutarde.
272
Sur le soi-disant idiome bourguignon.
VI. N
Priere po
Su l'Ar: De Je
Aujodeü que Noei devrö
Regaudi no coree,
Haila lai poi Ion tarn po no
A pranture antarree.
5 L'Ampire ät armai jeusqu'e dan,
C'ä pei que ce n'eto du tarn
De Jan de Var, de Jan de Var.
De Jan de Var, de Jan de Var.
Porquei diantre ansin relemai
10 Le feü dessu lai tarre?
Le jan son ben anvairimai,
De no rebötre an garre.
Ne porron-je come autrefoi,
Au bö de Vincene revoi
15 Ce Jan de Var? ce Jan de
Var?
Ce Jan de Var? ce Jan de
Var?
oei.
lai poi.
de V e r t.
an
20
Vou baille no, bea sire Dei,
Lai poi tan demandee,
Vou danno cöfre ai pleinpenei,
De l'or tö des andee.
Ai nos an fau de benäton
Po detrure le rejeton
De Jan de Var, de Jan de Var,
De Jan de Var, de Jan de Var.
25 Le Maige vo fire prezan
D'ancan, d'or et de myere.
Ie n'aivon pas bezoin d'ancan,
Loüi n'an manque guere.
Lai myere ambaume le chanei,
30 Je lai laisson be velantei
Ai Jan de Var, ai Jan de
Var,
Ai Jan de Var, ai Jan de
Var.
VI. poi, paix. I aujodeü, aujourd'hui. 2 regaudi, rejouir;
corde, intestins autour du coeur, et le coeur ensemble (lat. praecordia).
3 haila, helas. 4 pranture, syncope de par aventure, peut-
etre; antarree, enterree. 5 e dan, aux dents. 6 pei, pire, pis (lat.
peius). 7 Jan de Var. [Gloss.: Jean de Vert, fameux Coramandant des
troupes Imperiales, pris au mois de Mars 1638 par le Duc de Veimar dans
une bataille pres de Rbinfeld, et de lä mene prisonnier au bois de Vin-
cennes.] 9 porquei, pourquoi; ansin, ainsi ; relemai, rallumer.
11 jan, gens; anvairimai, envenimes. 12 rebötre, remettre.
17 bailld, baillez, donnez. 19 cöfre, coffres; penei, panier, pa-
niers. 20 tö des andee. [Gloss.: and^e, sentier dans la vigne apelle"
autrement raie. Ces sentiers etant des especes de rues, qui ont leurs lon-
gueurs et leurs traverses, on dit tö des andee, pour marquer l'abondance
de quelque chose que ce soit, comme si en disant qu'on en aura tp des
andee, on donnoit a entendre qu'on en aura tout du long et du large.
Les Vignerons Latins apelloient ces sentiers antes, d'un nom qui aproche
de celui d'andees, mais que je ne crois pas ne'anmoins en etre l'origine, y
ayant plus d'aparence que c'est de l'Italien and ata, que vient le Bour-
guignon and6e.] 21 b^naton, panier a mettre la vendange. Ce mot
vient de bene, sorte de grande manne ovale dans laquelle on voiture du
charbon en Bourgogne. 25 Maige, Mages. 26 an9an, encens; my-
6t e, myrrhe. 29 chanei, charniers, caveaux oü les particuliers de quelque
famille ont droit de se faire enterrer. 30 velantei, volontiers.
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 273
Po l'or, ai serö de saizon. Fere be de Reitre vredai
Que n'on-je queique Maige, Ve Jan de Var, ve Jan de Var,
35 Qui nos an epote ai foizon ? Ve Jan de Var, ve Jan de Var.
J'an ferein bon uzaige;
Je ne no tröverein pa cor, Ma lai garre ne fu jaimoi,
Je ne maudirein pa si for 50 Seigneur, ein bon refuge.
Le Jan de Var, le Jan de Var, Du tombeä remene lai poi,
40 Le Jan de Var, le Jan de Var. Forres-y le graibuge.
Qu'el y so si ben epöti,
El ä vrai, gran Dei, j'estimon Qu'ai n'an peusse non pu soti
Que l'Aigle aire du peire. 55 Que Jan de Var, que Jan de
Victor, Cateigna, Vaudemon Var,
Son troi brave raipeire. Que Jan de Var, que Jan de
45 Villeroi poussan son bidai, Var.
VII. Noei.
Su TAr: Bannissons la melancolie.
Vo tröque le sejor des ainge Vos etein si ben ai vote aize.
Anpor quoi? c'at anpor ene 5 On n'ä pa che no,
grainge ; Beä Dei, ne vo deplaize,
Le tröc ät etrainge. Aussi be qu'on ä che vo.
35 epote ai foizon, apporte ä foison. 37 cor, courts. 43 Victor.
C'est le duc de Savoie Victor Amedee II du nom, qui en 1701 paraissait
etre dans les interets de la France; Cateigna, le marechal de Catinat;
Vaudemon. Charles - Henri de Lorraine, prince de Vaudemont. 45 Vil-
leroi. Francois de Neufville, marechal, duc de Villeroi; bidai, bidet.
4G reitre, cavaliers, mot allernand: vredai, fuir (en bas lat. veredare).
47 ve, vers. 49 jaimoi, jamais. 52forres, fourrez; graibuge. [Gloss.:
grabuge, discorde, quereile. Grabuge qu'on croit vieux dans notre langue,
n:y etoit pas connu il y a cent ans.] 53 so, soit; epöti. [Gloss.: Laisser
long tems cuire au pot queique viande que ce soit, en sorte que, comme
on dit, eile en soit pourrie ä force de cuire. De lä figurement on souhaite
que le grabuge demeure epöti dans le tombeau, c'est-a-dire , qu'il y crou-
pisse, qu'il y tienne a n'en pouvoir sortir, qu'il y pourrisse.]
VII. 1 tröque, troquez. 2 anpor, pour, pour le prix, en e"change;
grainge, grange. 8 escögrife. [Gloss.: grand vilain escroc. Ce mot
n'est pas Bourguignon, mais purement burlesque. On ne s'en est guere
servi avant Tan 1640. Cyrano, Acte I. Scene 1 de son Pedant joue, a ecrit
escogrif et Caif dans une boutade de 73 petits vers tous rim^s en if.]
9 sacar. [Gloss.: On apelle ä Dijon sacards ces gens qui en tems de
peste enterrent les corps des pestiferez , et qui dans cette occasion volent
tout ce qu'ils trouvent sous leur main dans les maisons des malades. On
entend par ce mot tous coquins, pendards, gens de neant, et comme on dit
-Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 18
274
Sur le soi--disant idiome bourguignon.
Contre vo troi faus escögrife,
Troi sacar, Pilate, Anne et
Caife
10 Eguze lo grife.
Peut-on voi, sans an etre grei-
gne5
Qu'ein aigneä si dou,
Ignöcamman s'an veigne
Bötre ai lai gorge du lou ?
15 J'aivon fai de faute si lode,
Et potan yote miserieode
Su no se debode.
Lai bontai don vote ame
plene,
Ne reparme pa
20 Jeusqu'au san de vo vene,
Et le iö po des ingra.
VIII. Noei.
Ouvertüre de Bellerophon.
Lucifar
N'ä pa si gran clar
Qu'on panseroo;
El ä si bete qu'ai croyoo,
5 Que Dei varoo
An gran eproo,
Qu'ai poteroo
Et l'or et lai soo,
Que le moindre roo
10 Qui vireroo
Su se lochefroo,
Sero de geleignöte de boo.
De tö loin qu'ai vi Baltazar,
Melkior, Gaspar,
15 Epotai lo prezan
E genon du chetit anfan,
Qui grullö, qui claquö de dan,
Ai se möquo de l'or,
Dizan : Velai de gran butor ;
20 Ein garcend
San baibillö,
Un hairai de gredin
E be lai ineigne d'un Daufin.
Ma quan Dei lassai de se caiche,
25 S'ambrui de pröche,
Que fu le Mon Talbor an l'ar,
de sac et de corde. II vient de I'Italien saccardo, pris dans Matteo
Villani pour goujat selon les Academiciens de la Crusca, ou selon le
Tassoni pour un pillard.j 10 aiguisent leurs griffes. 11 gr eigne,
triste, affige. 12 aigneä, agneau. 14 bötre, bouter, mettre. 15 lode,
lourdes. 16 potan vote, pourtant votre. 17 sur nous se deborde.
19 reparme, epargne (re"pargne).
VIII. 1 Lucifar. [Gloss. : De Lucifer nos vieux Gaulois ont fait, les
uns Lucibel, les autres Luciabel ; et pour Lucifar, nos bonnes gens de
Bourgogne disent tres - souvent Cifar.] 2 clar, clerc. 3 panseroo
ou panserö, penseroit. 5 varoo, viendrait. 6 eproo, appret.
7 poteroo, porterait. 8 soo, soie. 9 roo, rost, röti. 10 vireroo,
tournerait. 11 lochefroo, lechefrites. 12 geleignöte de boo,
gelinottes des bois. 15 apporter leurs presents. IC 6 genon, aux
genoux; chetit, devant une consonne cheti, chetif. 17 grullö, v. III
23; claquö dd dan, claquait des dents, grelotait de froid. 18 möquo,
moquait. 21 baibillö, bavette. 22 hairai, enfant, diminutif du lat.
herus (boir). 23 ineigne, mine. 25 s'ambrui de pröche, se mit en
train de precher. [Gloss.: Linfinitif de ce verbe c'est ambruer, forme, ce
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 275
Ai reluzi corae ein quelar, De tö celai,
Qu'ai redreussi le biliar, Santi que son cä etö säle,
Fi voi les eveugle clar, Et vite au fin fon d'anfar
30 Le Diale 35 Cori, san dire mö, se meussai
Emorvaillai tö camar.
Villi. Noei.
Su l'Ar: Si le destin te condamne a l'absence.
Voizin, c'ä fai, Ce n'ä pas de moime an Chre-
Le troi messe son dite, tiantai.
Dens heure on senai, Maingeon du por f'rai.
Le boudin e cou'ite, 10 Maingeon, j'airon bru
5 L'andoüille ä pröte , alon de- D'etre pu bon catölicle,
Si lai loi juda'icle [jeunai. Pu
Defan le lar corae hereticle, Je seron frian de gorai.
semble, de la preposition en et de bruit. Quand les enfants voient que
leur sabot, leur toupie, ou leur moulinet commence a tourner de bonne
sorte, ils disent en Bourguignon, que leur trebi, leur fiade, leur melin
s'ambrue, c'est-ä-dire, coimnence a faire du bruit en tournant, et de la
par metaphore s'ambruer, pour se porter a faire quelque chose avec fer-
veur.] 26 Talbor. [Gloss. : Thabor, montagne oü se fit le miracle de
la transfiguration. Au lieu de Thabor on a dit Talbor par une ignorance
affectee en la personne du vigneron Barözai qu'on feint etre l'auteur de ces
noels.] 27 quelar. [Gloss.: ardent, meteore enflamme, feu sautelant qui
paroit de nuit autour des marais. Quelar vient de clair, röguliörenient il
faudroit ecrire clar, mais comme on prononce quelar, il a fallu aussi
lecrire, parce qu'en Bourguignon l'orthographe est d'ordinaire conforme ä
la prononeiation.] 28 redreussi, redressa, fit marcher droit; biliar,
boiteux. 81. 32 emerveille de tout cela. 33 cä, cas. 34 au fin
fond, tout au fond. [Gloss.: Philippe de Comines, comme l'observe Paquier,
chap. dernier du 8. liv. de ses Recherches, a dit parlant de quelques Seigneurs,
qu'ils etoient au fin bord de la riviere de Seine. Moliere, sc. der-
niere du 2. acte des Fächeux, fait dire a Dorante:
Et nous fumes coucher sur le pays expres,
C'est- a- dire, mon eher, en fin fond de forets.
Ainsi fin fond c'est la fin du fond.] 35 meussai, cacher, du lat.
mussare, parier entre ses dents, ä basse voix et meine se taire; camar,
camard.
Villi. 3 on senai, ont sonne. 4 e couite, a hüte. 5 pröte,
prete. 8 moime, meine. 10 bru, bruit. 13 gorai, göret, cochon
du lat. verres.
18*
276
Sur le soi-disant idiome bourguignon.
X. Noei.
Su l'Ar: La Saint Martin.
Vive Noei,
Q'at ene bone fete,
J'an aivein metei,
Lucifar et ses ecoussei,
5 Aujodeü, graice ai lai,
Boisse lai crete,
Du bon Dieu je devenon le
fraire,
Po no randre gran, ai s'ä ran-
du peti,
Ene fanne contre no l'irriti,
10 Ene autre fanne epoise sai cö-
laire.
Le fiermaman,
Fai po l'humain lignaige,
Li fu cepandan,
Depeü lai sötise d'Adan,
15 Fromai quatre mille an,
Et daivantage ;
Ma dö qu'ai Noei lai poi juree
U remi le Moitre et le Vaulö
d'aicor,
Dan le cier on se prepari d'ai-
bor,
20 Ai noz y faire ene joyeuse an-
tree.
On retandi
D'haute-lice növelle
Tö le pairadi,
L'arcainge Miche vargeti
25 Le meuble du logi
D'aivö ses aile,
Ein autre epreti de caquetore,
De siege mölai por y bötre de
ran
Les ame de no bon vieu peire
gran,
30 Que Jesu vin tire de lai ban-
dore.
Ai dire vrai,
Tö ce bon patriäche,
Sai, Lamai, Jarai,
Mailaileai, Maithieusalai,
35 Trövire jeusque lai
Dei be riäche;
Ai se consölein dan l'esperance,
Me dire queicun, ma je repon,
que si
Aifureainsi töjor lai sandormi,
40 El üre ma foi belle patiance.
No, quan lai mor
Venre graisse no böte,
X. 3 metei, melier, besom. 4 ecoussei, batteurs en grange,
vanneurs, du verbe ecourre. 5 lei, eile. 6 boisse, baissent; crete,
crete. [Bon-mot du glossaire: Deux Vignerons a Dijon voyant passer une
jeune fille qui avoit sur la tete une belle fontange rouge: Padei, dit Tun,
eile pondre be to. Coman don? dit l'autre: 9'ä, reprit le premier,
qu'elle 6 lai crete be rouge. La plaisanterie consiste en ce que les
poules n'ont jamais la crete si rouge, que lorsqu'elles sont pretes a pondre.]
9irriti, irrita. 10 öpoise, apaise. 15 fromai, ferme. 17 dö qu', des
qu'. 18 u, eut; vaulö, valets. 21 retandi, retendit. 24 arcainge,
archange; vargeti, vergeta. 27 epreti, appreta; caquetore, caquetoires.
28 mölai, mollets; ran, rang. 30 bandore, prison. 33 Seth, troi-
sieme fils d'Adam; Lamech; Jared. 34 Malaleel; Mathusalem.
35 trövire, trouverent. 36 riäche, dur, coriache, dont on a fait par
corruption riäche. 40 üre, eurent. 42 on se rappelle involontai-
rement, en lisant ce vers, la plaisanterie du bonhomme Rabelais , qui , apres
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 277
Je no feson for Et quan d'y geitai , je coron
D'alai dan lai Celeste cor, queique hazar, [bar,
45 San raibö ni detor Le padon de monsieu S. Feule-
Qui nos anröte; 50 No juche an ein vire-main dan
Je no detraipon du precatoire, lai gloire.
Pour jeter encore un coup d'oeil sur ce langage, le glossa-
teur a sans doute raison de dire (v. echarre, chiche, mesquin),
que l'auteur s'est efforce' de parier le bourguignon le plus ex-
quis, c'est-ä-dire le langage le plus grossier des vignerons les
plus rustres. Donc, il a traite conforrnement et la declinai-
son et la conjugaison.
Quant ä la declinaison, l'article du sing, pour le mas-
culin est le devant une consonne et 1' devant une voyelle, pour
le feminin lai et 1'; du pluriel devant une voyelle les, devant
une consonne le, car c'est une des principales regles, tant de
l'orthographe que de la prononciation de cet idiome, que tout ce
qui ne ee prononce pas est retranche. Ainsi , aussi les sub-
stantifs ont tout-ä-fait la meme forme au sing, et au plur., p.
ex. noei signifie et noel et noels. Du reste on dit, comme
en francais du et au, tandisque le simple ä du datif se pro-
nonce ai, p. ex. ai dei, ä dieu; des enfin s'ecrit, selon les
circonstances, de et des, et au lieu d'aux on dit e ou es,
p. ex. e medecin, aux medecins , es aivöcar, aux avocats.
La conjugaison est des plus rüdes et des plus ^lementaires,
mais, de nos jours encore , je Tai assez souvent retrouv^e ä
la campagne. Les pronoms, a l'aide desquels eile se fait, sont
pour la premiere personne du sing, indifferemment je et i, je;
puis tu, tu; el devant une voyelle, ai devant une consonne,
il; je et i, de meme nous; vos, vous ; ai et el, ils. Seulement
dans les questions, on met i pour il et ils.
Voici la conjugaison des verbes avoir et etre.
1. Avoi, avoir; pres. de l'ind.: j'ai, j'ai; tu e, tu as; el
avoir humblement recu le viatique, ne put cependant s'empecher de dire
qu'on lui graissait les bottes pour un grand voyage. 45 raibö, inegalite
de pave, endroit raboteux dans le chemin. 46 anröte, arrete en routc.
47 ddtraipon, debarassons; precatoire, purgatoire. 48 gditai, jetds.
50 vire-main, tournemain.
278 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
6, il a; j'aivon etj'on, nous avons ; vos aive et vos e%
vous avez; el on, ils ont; du subj.: j', tu, el 6 ouoo1) (des
trois personnes), j', vos, el ain (ain de meme des trois pers.);
imperatif: 6 ou oo, aie; ain, ayez; impf.: j', tu, el aivö ou
aivoo, j', vos, elaivein; parfait de l'ind.: j ', tu, el u,
]', vos, el ure; du subj.: j', tu, el eusse2) (aussi pour
eüt), j', vos, el eussein; futur: j'airai, tu aire, el aire,
j'airon, vos aire, el airon; conditionnel: j', tu, el airö,
j', vos, el airein.
2. Etre ou e'te, etre; ötan, etant; pres. de Find.: je
seü3), tu e\ el a devant une consonne, el at devant une voyelle
(a-ce, est-ce, c'a, c'est), je son, vos ete, ai son; du subj.:
je, tu, ai so, je, vos, ai sein; imperatif; so, sein; impf,
^tö, e'tein; parfait de Find.: fu, füre; du subj.: feusse,
feussein; fut.: sere (des trois pers. du sing.), seron, sere,
seron; condit. : serö, serein.
La conjugaison des deux verbes auxiliaires exposee, la con-
jugaison des autres verbes s'entend presque d'elle-meme. Je n'ai
donc qu'a ajouter quelques particularites. Ainsi le parfait de
l'ind. de la Ie conjugaison se forme pour toutes les personnes
du sing, en i, p. ex. alli, allai, alias, alla; pour toutes les
personnes du plur. en ire, tandisque, pour toutes les personnes
du sing, et du plur., le parfait du subj. n'offre que la seule ter-
minaison en isse, p. ex. allisse. Dans la IIe conjugaison
l'r final de l'innnitif est partout retranche: les verbes reguliers
forment le parfait en i s s i , p. ex. je f r e m i s s i , je f r e m i s
[dire de la IIIIe conjug. suit la meine analogie et fait disi
(en lat. dixi), je dis]: les verbes irreguliers suivent autant
que possible la flexion des verbes frangais , p. ex de cori,
courir: pre's. de l'ind. je, tu, ai cor, je coron, vos core,
x) ö ou 00. Le redoublement ne sert qua marquer la longueur de l'o
final.
2) eusse. La diphthongue e u s'y prononce comme dans les mots
j eu, feu.
3) Seü. La prononciation de cet eü est particuliere. Le son ressem-
ble a celui que formerait eü on ehu prononce aussi vite que si c'etait un
monosyllabe des plus brefs. II en est de meme de l'o bourguignon qui se
prononce ohu p. ex dans aivö, avec.
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 279
ai core; imp&ratif cor, coron; parf. cori, corire; de veni,
venir : ven, viens ; pres. du subj. veigne; fut. varre" et
venre, condit. varro ; de t e n i , tenir : pres. du subj. t e i g n e ,
impf, t e n 6 , fut. tarre. Dans la Ille il se trouve ä cote" de
formes comme I m e s e ü eporsu, je me suis apercu et I
m'^porsu, je m'apercus (subj. aperceusse) des parfaits
tels que concevi, concus. — Surtout la conjugaison est plai-
sante k l'optatif, p. ex. Ai vorö que je vos ha'isseusse,
et au pluriel que je vo s hai's s eu s s ein, il voudrait que je
vous haisse, que nous vous hai'ssions.
Ce patois s'approche donc en g^neral beaucoup des formes
francaises, et cela, je crois , deviendra encore plus clair , quand
nous aurons donne quelques remarques sur la grossierete de sa
prononciation.
Pour en eommencer par l'h initial, le bourguignon n'ad-
met aucune aspiration. Ainsi l'on dit je l'hai, je 1' hai's -
son, je le hais, nous le haissons.
Passons a la prononciation des voyelles et des diphthongues.
I. A.
a) l'a francais se prononce en general comme ai ou ce
qui veut dire le meme d'apres l'orthographe de Barözai, comme
e : p. ex. checun chacun, b r a i bras, 9 a i 9a , c e 1 a i cela,
echevan achevant , ecode accorde , 1 a i et i 1 a i lä , P a i r i
san par Paris sans pair; quelquefois aussi comme e ouvert,
p. ex. reige rage, er ei che cracher; comme emuetenfin
dans p e n e i panier.
b) Tai francais au contraire se prononce souvent comme
a, p. ex, par pair, clar clair, ar air; quelquefois aussi comme
o i , p. ex. raoison maison, m o i t r e maitre, p o i paix, p o i r e
payera, p 0 i t r e paitre, r e b o i s s i rabaissai.
c) au comme e, p. ex. scerö saurais, scerein t.-aurions.
d) eau comme eä, ainsi que le dernier a est allonge
dans la prononciation, p. ex. eä eau, növeä nouveau, ozeä
oiseau, I z aibeä Isabeau *).
e) al et ab devant 1, devient au, p. ex. mau mal, e-
') On dit encore en francais au lieu d' Elisabeth Isabellc, Babet,
Babette, Babeau, Belon et peut - ein; dautres que je ne connais pas.
280 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
t a u 1 e Stahle, t a u 1 e table, 6 z e r a u 1 e erable. [D'une maniere
analogue on fait de o 1 ou, p. ex. s o u d a r t soldat, comme dans
ces fatneux vers de Ronsard :
Je ne suis pas, m a guerriere Cassandre,
Ny Myrmidon, ny Dolope soudart.
(Amours I 4).]
IL E.
a) l'e rauet se prononce ä l'ordinaire comme a, p. ex.
clar clerc, convarsion conversion, couvar couvert, ofar
offert, ovar ouvert , garre guerre , hyvar hiver , m a r mer,
marci merci , m a r 1 e merle, parche perche, p a m e 1 1 e per-
mettez , par sonne personne , P i a r r e Pierre , provarbe
proverbe , sarmon sermon, s a r p a n serpent , s a r v i servir.
[De cette categorie est aussi ran rien.]
b) e muet et e ouvert comme o, p. ex. borgei berger,
b o r g e i r e bergere , d e p 6 c h e depeche , d ö q u e des que , e-
b o r g e r heberger , e 1 e m 6 t e allumette , pro pret , p r 6 c h e
precher, 1 6 f r e levre , m o r c e i mercier (marchand) , poche
peche; quelquefois on trouve aussi au pour e, p. ex. maule
mele, maulin-raaulo pele - mele [ c r 6 creux],
c) e comme e i , p. ex. p e i c h e peche.
d) e comme e u , p. ex. m e u n e mene.
e) ei et e comme oi, p. ex. foindre feindre, fointe
feinte, m o i m e meme, p a r o i 1 1 e pareille [ n o g e neige, p o n e
peine, anciennement poine].
f) e 1 devient ou a i ou ei, p. ex. a u t a i autel , G a b r i a i
Gabriel ; q u e i quel, quelle, quels , quelles et quoi ; q u e i c u n
quelqu'un , q u e i q u e quelque , t e i tel , s e i sei (mais m i e r
miel, cier ciel).
Qu'on note encore que, quand apres a et e il suit la syl-
labeli, on prononce, comme s'ilyavait gli avec im son mouille,
p. ex. d e g 1 i c e deüces, m a g 1 i c e malice.
III. L
L'i francais se prononce dans ce patois ou purement ou
comme ei. Au lieu de ine on dit ä l'ordinaire eigne, ainsi
que le gn se prononce comme dans cygne (pour la termi-
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 281
naison une on dit de meme eügne), p. ex. coqueigne co-
quine, couzeigne cousine (mais cusene cuisine), ai d eigne
il dine (et d eigne digne), diveigne divine, efeignai affine,
epeigne epine, fameigne famine, feignance finances, feigne
fine, i mag eigne imagine, ordignaire ordinaire, lumig-
naire luminaire, Meignerve Minerve, meigne mine, mi-
gnute minute, Robeigne Robine, veignaigre vinaigre; fo-
teügne fortune, leugne lune, pugni puni [pegnitance pe-
nitence.]
Qu'on remarque encore separement dei dieu, be bien,
mene mien, raeü mieux, et a la fin des mots ei pour ier et
er, eire pour iere ou ere, p. ex. borgei berger, borgeire
bergere, grenei grenier, lizeire lisiere.
im. o.
a) o = ou, p. ex. pouaite poete.
b) o = e, p. ex. senai sonner [ai seune il sonne], que-
m a n comment et commence, dremedaire dromadaire.
c) ou = o1), p. ex. a u t o r autour , c 6 coup et cou , a i
c 6 1 e il coule ; c o r court , coronne couronne, g 1 6 1 o n glou-
ton, g 6 1 e goutte, d e t o r detour, d i s c o r discours, d 6 z e douze,
jor jour, növelle nouvelle , öbliai oublier, övraige ou-
vrage.
d) o u = u , e u et e : p. ex. s u c he souche, Juan jouant,
jueu joueur, juejoue, peücepouce, peuvepouvez, meuri
mourir, meure mourez, v e 1 a n voulant, v e 1 o n voulons, v e 1 i
voulus, velantei volontiere.
e) o i = o , p. ex. b 6 bois ; mais quand on rencontre d e* -
p 1 i e pour deployer, anvie envoyez, m i t i e pour moitie,
viaige pour voyage, cela s'explique de la vieille langue 2).
') Quand on trouve des formes telles que genon genou, genoux, l'n
final est parasite; de meme dans nun nul, aimin ami , venun venu; pour
prin pris et je prin, je pris (plur. prinre) il faut, comme dans beau-
coup d'exemples deja cites, reeourir ä l'ancienne langue.
2) Quant ä la forme revoiron reverrons , il faut se rappeler que
p. ex. chez Ronsard il se trouve dans le meme sonnet voirra ä cöte de
verra (Amours I 1):
282 Sur le soi-disant idiome bourguignon.
V. u.
a) u = e, a et eu, p. ex. 1 e m e i r e lumiere, marraure
murrnure, pleume plume, preune prune, seur sür.
b) u i = u et eil, p. ex. neu, nuit, meneü minuit, p e ü
puis, pussance puissance , c o n d u z 6 conduisait , detrure
d&ruire; fru fruit, instrure instraire.
A j outons quelques autres grossieretös de la
prononciation:
1) r au niilieu des mots devant une autre consonne est par-
tout supprime, p. ex. clatai clarte , codon cordon , conai
corner (sonner du cor), cone corne, couvature couverture,
d e b o d e deborde , e" t o d i etourdi, g a d e garde , j a d i n jardin,
Jodain Jourdain, j o n e e journee , libatin libertin , lode
lourde , M a t i n Martin , mote morte , moutade moutarde,
n o t e notre, v o t e votre, p a d a n perdant, p a d e i pardieu (par-
bleu), padon pardon et perdons, pal an parlant, pati partir,
p o t a n pourtant , p o t e porte , p r e t e pretre , quate quatre,
quatoze quatorze, regadö regardais, s o t a n sortant, sote
sorte, vatu vertu.
2) Suppression d'autres lettres au niilieu des mots: diale
diable (comrae disent aussi les Picards), nonostan nonobstant,
s u t i e subtile, p ü plus, ressanne ressemble, a n s a n n e en-
semble, v e n o n g e vendange, v o r e i n voudrions, v a u r a n vau-
rien, vaurö vaudrait, tarbe terrible (par syncope de tarible,
taribe), p a r r e prendre avec ses composds.
3) Transposition de lettres: breusse berce , fremille
fourmille, fromai ferine, prövepauvre, t r e b i (du lat. turbo)
sabot, sorte de toupie.
4) Lettres parasites: ddbille debile (se prononce
comme fille), jambion jambon, rizan riant, vou ou, voü
oü, vou ei (niais aussi ouei, oui et 6) oui.
et ensuite:
Qui voudra voir une jeunesse pronte
A suivre en vain l'objet de son malheur,
Me vienne voir, il voirra ma douleur,
Et si verra queje suis trop heureux
D'avoir au flaue l'aiguillon amoureux,
Plein du venin dont il faut queje meure.
Sur le soi-disant idiome bourguignon. 283
5) r final est presque partout retranche, p. ex. auteu
auteur, coeu coeur, fezeu faiseur, grenei grenier, impri-
meu imprimeur, ligei leger (mais au fem. ligeire), man-
geu mangeur, m e t e i nieder, o c a i or ca , 6 v r e i ouvrier,
p r e m e i premier.
6) de nieme on retranche f final, p. ex. cheti che'tif,
Jui Juif, neu neuf dans toutes ses significations , poussi
poussif, s o i soif.
7) la terminaison ique se prononce icle, p. ex. can-
ticle cantique, catolicle catholique, m u siele musique, jeü-
daicle judaique.
Du reste, il y a dans ce langage bien des choses qui rap-
pellent la langue de Ja renaissance , p. ex. la construetion des
prepositions dessu (dessus) , dezo (dessous) , deve (devers),
mais avant tout l'emploi frequent des diminutifs. A l'ordinaire
on croit que la langue francaise n'en a pas beaueoup, mais,
dans la conversation on en rencontre de fort jolis qui assure-
ment ne sont pas tous dus ä Eonsard. Catulle en avait donne
l'exemple en latin et Ronsard, en imitateur spirituel, est tout
plein de ces sortes de diminutifs. Ainsi, il n'y a rien de plus
joli que ce fameux sonnet (Amours liv. I 18):
Un chaste feu qui en l'äme domine l),
Un or frise de maint crespe anelet,
Un front de rose, un teint damoiselet,
Un ris qui Tarne aux astres achemine,
Une vertu de telles graces digne,
Un coeur de neige, une gorge de lait,
Un coeur ja meur en un sein verdelet,
En dame humaine une beaute divine,
Un oeil puissant de faire jours les nuits,
Une main forte ä piller les ennuis,
Qui tient ma vie en ses doigts enfermee,
Avec un chant decoupe doucement,
Or' d'un sous-ris, or' d'un gemissement,
De tels sorciers ma raison fut charmee.
Voici donc quelques diminutifs que nous avons notes dans
les noels de Barozai 2) : aimoröte amourette, Blaizote nom de
l) Var. : Une beaute de quinze ans enfantiue.
-) Aussi les poemes de Jasmin sont riches en tres - beaux diminutifs,
284 Sur lc soi-disant idiome bourguignon.
fille, boucote petite bouche, caic benote cachette, chambrote
charubrette, chansenote chansonette, clochote clocliette, dou-
96, dim. de doux, ftm. doucote (poulo douco poulet doux),
drölai petit drole, emusöte amusette, fammelöte pauvre pe-
tite femme, fillote petite fille, garceno petit garcon, joliote
joliette, lugnöte lunettes ; pechö, diminutif de peu; Peucö
Poucier. A cöte de ces diminutifs on rencontre tels que Clai-
ron, petite fille nommee Ciaire, Madeion diminutif de Ma-
deleine, Mairion, dim. de Marie.
p. ex. agnelous petits agneaux, amiguets petits amis, amiguetos
petites amies, bestiolo bestiole, biloto petite ville, caoudeto chaude,
clareto claire, caminols sentiers, coumayreto commere, cram-
beto chambrette, da meto jeune dame, ditous petits doigts, diablo-
tous diablotins , doumayzeleto demoiselette , eillous petits yeux,
esteletos petites e'toiles, filletos fillettes, glouriölo petite gloire,
gleizeto petite eglise, houreto petite heure, moussuret petit monsieur,
muzeto petite muse, oustalet maisonnette, pastourelet petit berger,
pastoureleto petite bergere, paouret (et paourot) pauvret (fem. pac-u-
reto etpaouröto), penou petit pied,fpaperou petit papier, pitcbounet
petit (fem. pitchounet o) , pugnadet poignee, reyneto jeune reine,
souleto seule, soureillet petit soleil.
Julius Wollenberg.
Sitzungen der Berliner Gesellschaft
für das Studium der neueren Sprachen.
40. Sitzung am 11. September 1860. — Herr Pröhle gab einen
Bericht über eine Reise zur Erforschung der Volksüberlieferungen von
Questenberg und dem Kyffhäuser. Für die Prinzessin im Kyffhäuser
hat er den Namen Utchen gehört. Die schon in Grimm's Mytho-
logie kurz besprochenen Pfingstsitten von Questenberg theilte er in
grosser Ausführlichkeit mit und brachte den Questenberger Pfingstbaum,
da er behauen ist und das ganze Jahr hindurch steht, mit der Irmen-
säule in Verbindung. Zum ersten Male hat er ausserdem Sagen von
Questenberg gesammelt, welche, wie er hofft, mehr zur Erläuterung der
Questenberger Alterthümer beitragen werden, als die Sagen zur directen
Erläuterung des Questenberger Pfingstgebrauches , welche mit dem
Wunderbaren des „Rostes des Alterthums^ ermangeln und vielleicht
erst durch den sächsischen Prinzenraub , an den sie anklingen , ent-
standen seien.
Herr Schmidt theilte Einiges aus einem nunmehr als Programm-
schrift erschienenen Aufsatz über Milton's Comus mit , namentlich die
Untersuchungen über Milton's Verhaltniss zu andern Autoren , die den
Comus auftreten lassen, was zu einer ausführlicheren Inhaltsangabe
des Comus des Erycius Puteanus Anlass giebt. Dann erwägt er die
verschiedenen Urtheile, die über den Comus des englischen Dichters
gefällt worden sind und schliesst mit einer Erläuterung der verschie-
denen Factoren des Milton'schen Stils, von denen er den klassischen
Bestandtheil besonders hervorhebt.
In einem in italienischer Sprache gehaltenen Vortrag sprach Herr
Boltz über das sicilianische Volkslied. Er legte mehrere Volkslieder
vor. Die Vergleichung mit ähnlichen Liedern anderer Nationen be-
wegte sich besonders in einer Charakteristik Beranger's und Heine's.
Der Vortrag gab Anlass zu einer lebhaften Debatte über den Begriff
Volkslied und über die Merkmale des letzteren. Es betheiligten sich
daran namentlich die Herren Lasson, Herrig, Pröhle.
286 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
41. Sitzung am 9. October 1860. Herr Lasson spricht über
das logische Element der Sprache. Alle tieferen Denker haben ein-
geräumt, dass die Sprache nicht auf mechanischem Wege, durch Ueber-
einkunft, entstanden sein könne. Es sei Wilhelm von Humboldt's Ver-
dienst, die Sprache als selbständige Macht aufgefasst zu haben ; Becker
habe Humboldt ergänzt, indem er diesen Satz zur Erklärung der Sprach-
erscheinungen ausgeführt und das Denken, die Logik, als das innerste
Gesetz der Sprache in den einzelnen Gebieten derselben nachgewiesen
habe. Doch sei mit dieser Logik nicht die formale, sondern die meta-
physische gemeint. Wäre das Sprechen nur ein Spieltreib, wäre es
nur die Befriedigung des Bedürfnisses der Mittheilung, so würde sich
auch dann das Logische als der letzte Grund der Sprache ergeben. Sie
sei jedoch kein Act freier Selbstbestimmung, sondern entstände aus
einer innern Noth wendigkeit. Es gäbe daher nur eine Sprache, da
alle einzelnen Sprachen von denselben Gesetzen beherrscht würden ;
Verschiedenheit dieser einzelnen Sprachen entstehe ebenfalls auf lo-
gischem Wege. Die Kategorien, die den einzelnen fehlten, würden auch
in ihnen stillschweigend mitverstanden, und es sei demnach die Auf-
gabe der besonderen Grammatik nachzuweisen, welche Kategorien eine
Sprache ausdrücke, und welche sie verschweige. Neben dem logischen
Element existire noch ein zweites, das ethische. — Die Herren Schwerin
und Schmidt verständigten sich mit dem Vortragenden über Einzelheiten.
Letzterer hob das ästhetische Element der Sprache hervor und bat um
eine Erläuterung hinsichtlich des von Schiller eingeführten Wortes
Spieltreib, das der Vortragende in einer abweichenden Bedeutung an-
gewendet hatte.
Herr Holtze besprach die Etymologie des Wortes Pistole, suchte
die Willkürlichkeit der bekannten Herleitungen darzuthun, machte na-
mentlich auf den in einem Verzeichniss des Nürnberger Zeughauses
vorkommenden Ausdruck für diese Feuerwaffe „Bettstolln" und den
Umstand aufmerksam, dass in Frankreich dieselbe einst ausdrücklich
als eine deutsche Waffe verboten wurde , und forderte zu näherer Be-
trachtung der Etymologie dieses Wortes auf. Nach einigen Bemer-
kungen der Herren Planer und Hermes kam dieser Aufforderung sofort
Herr Mahn nach , indem er nach erschöpfender Aufzählung der
versuchten Herleitungen schliesslich die durch den Vorredner be-
zweifelte von der Stadt Pistoria mit geschichtlichen und sprachlichen
Gründen aufrecht erhielt. Zugleich erwies er die Herkunft des Wortes
Pistole als Münze aus dem italienischen piastra oder vielmehr aus
dessen Diminutiv piastruola.
Herr Herrig bespricht die Unzulänglichkeit der Ausgaben von
Bossuet's Predigten, indem die Herausgeber, statt auf die Manuscripte
zurückzugehen, sich damit begnügt haben, einfach die Benedictiner- Aus-
gabe von 1772 nachzudrucken. Ein Besuch der kaiserlichen Bibliothek
in Paris hat ihm die Ueberzeugung verschafft, dass selbst Deforis,
für das Studium der neueren Sprachen. 287
welcher verspricht, in seiner Ausgabe Bossuet, tout Bossuet, rien que
Bossuet zu geben, keineswegs befriedigt. Unter andern erlaubt er sich
mancherlei höchst willkürliche Veränderungen des Textes vorzunehmen,
Correcturen, welche Bossuet selbst gemacht, ganz unberücksichtigt
zu lassen und einzelne Stücke mit einander zu vermischen, welche zu
ganz verschiedenen Reden gehören. Bossuet benutzte mehrfach eine und
dieselbe Predigt bei verschiedener Veranlassung und nahm dabei man-
cherlei Aenderungen vor, indem er namentlich theils neueExordien machte
und auch den paränetischen Theii seines Vortrags den besonderen Umstän-
den angemessen neu abfasste. Deforis hat nun seltsamer Weise geglaubt,
nichts fortlassen zu dürfen und die alten und neuen Stücke mit ein-
ander vermischt; das kürzere Exordium z. B., welches neu ist, erscheint
meistens schöner und kräftiger: Deforis wählt indessen durchgängig
das längere und nimmt aus dem kürzeren noch diejenigen Stellen hinzu,
welche irgend einen neuen Gedanken enthalten, der aber in den so ge-
stalteten Zusammenhang gar nicht recht passen will.
Ganz besonders auffallend ist es aber, dass sich in der Sammlung
von Deforis eine Predigt befindet: „Sur les obligations de la vie re-
ligieuse," welche gar nicht von Bossuet herrührt, sondern ein Werk
Fenelon's ist (Vergl. Fenelon XVII Entretien sur les avantages et les
devoirs de la vie chretienne). Endlich rügte der Vortragende, dass in
der Deforis'schen Ausgabe die höchst wichtigen Varianten fehlen.
Danach macht er auf die Nothwendigkeit einer Eintheilung der
Predigten aufmerksam , die sich leicht aus der allmäligen Umänderung
des Styles so wie nebenbei aus der veränderten gesellschaftlichen Stel-
lung Bossuet's ergäbe. An Bossuet's Werken, der zu schreiben be-
gann, bevor die Lettres provinciales erschienen waren, und aufhörte,
nachdem die klassischen Werke der Zeit Ludwig's XIV. bekannt ge-
worden , spiegele sich die ganze Sprachentwicklung jener Epoche ab.
An einer Reihe von Ausdrücken, deren sich Bossuet in späteren Jahren
schwerlich bedient haben würde, zeigt er endlich die Nachlässigkeit
und Härte der Diction in den ersten Werken dieses Schriftstellers,
welcher anfangs wie seine Zeitgenossen viele gelehrte Citate gab und
seine ganze Beweisführung auf scholastische Discussion stützte.
Die statutenmässig in der letzten Sitzung des Vereinsjahres vor-
zunehmende Neuwahl der Vorstandsmitglieder fand statt und ergab die
frühere Vertheilung der Aemter. Nach der Sitzung machte der Vor-
sitzende noch folgende Mittheilung: Das geschätzte englische Blatt
Notes and Queries pflege Fragen , die im Verein erörtert werden , ab-
zudrucken. Ein Mitglied desselben hat nun an die Redaction ein Dank-
schreiben für diese Aufmerksamkeit zugleich mit der Bitte gerichtet,
künftig doch auch die Quelle angeben zu wollen.
42. Sitzung am 2G. October 1860. — Herr Kannegiesser
spricht über die Art und Weise, in welcher die verschiedenen Künste
Motive zu neuen Schöpfungen aus Dante entlehnt haben, und schildert
288 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
dann eingehend ein Bild von Vogel von Vogelstein, welches in' Gestalt
eines gothischen Kirchenportals auf seinen verschiedenen Feldern die
Hauptziige aus Dante's göttlicher Komödie zur Anschauung bringt.
Herr Herr ig hielt hierauf einen Vortrag über Edmund Spenser.
Nach einer Betrachtung der beiden Hauptrichtungen der Poesie sprach der
Vortragende über das Wesen und die Bedeutung der alten englischen
episch - allegorischen Dichtungen. Spenser wurde hierauf nach seinem
Leben und seiner Wirksamkeit charakterisirt, woran sich eine eingehende
kritische Behandlung der Fairy Queen nach Inhalt und Form knüpfte.
Indem zum Schlüsse darauf hingewiesen wurde, dass Spenser jenem
zweiten Abschnitte der Sprachentwicklung angehört habe, der sich
gleichsam in fortwährender Fluctuation befand und in der Anwendung
fester Regeln vielfach hin- und herschwankte, wurden in aller Kürze
die Gesetze dargelegt und mit Beispiele belegt, nach denen sich bei Spenser
und seinen Zeitgenossen die Vocale und Consonanten in den aufge-
nommenen Wörtern umgestalteten; es wurden die Abweichungen ge-
zeigt, welche sich Spenser in der Accentuation erlaubt, seine ortho-
graphischen Inconsequenzen , das ihm Eigentümliche in der Flexion
und Bedeutung der Wörter.
Zum Schluss las Herr Plötz eine literarhistorische Skizze des
französischen Schriftstellers Octave Feuillet. Nachdem er die Zeit des
Auftretens dieses Dichters politisch und literarisch charakterisirt und als
die Periode des sinkenden Romantismus bezeichnet hatte, suchte er zu
zeigen, wie sich Octave Feuillet aus Anfangen, die ihn zu den Nach-
ahmern von Alfred de Musset zählen Hessen , zu seiner Eigentüm-
lichkeit emporgearbeitet hat, und in seinen späteren Dichtungen als den
Begründer einer sittlichen Reaction gegen die materialistische und un-
sittliche Richtung der modernen französischen Literatur erscheint. Da
die Zeit dem Vortragenden für die meisten Werke Feuillets nur eine
skizzenartige Angabe des Inhalts und der Tendenz erlaubte, so suchte
er seine Auflassung der literarischen Bedeutung des Dichters durch eine
eingehende Analyse seines Hauptwerks Dalila zu begründen, von
welchem Stücke er besonders charakteristische Stellen vorlas.
Mit diesen Vorträgen und einem sich anschliessenden festlichen
Mahle feierte die Gesellschaft den dritten Jahrestag ihrer Stiftung.
Wie im vorigen Jahre, beehrten zahlreiche Gäste, zu denen wir den
Herrn Geheimerath Stiehl, den Herrn Geheimerath Olshausen, den
Herrn Schulrath Mützell, den Gesandten der Vereinigten Staaten, Herrn
Wright etc. zählen durften, das Fest mit ihrer Gegenwart.
43. Sitzung am 6. November 1860. — Herr Stadler schliesst
an die Besprechung der italienischen Grammatik von Mussafia, der er
Lob ertheilt, einige auf den Sprachunterricht bezügliche Bemerkungen.
Es läge bei Lehrbüchern, die die pädagogische Zweckmässigkeit zum
höchsten Gesetz ihrer Anordnungen erhöben, die Gefahr nahe, dass
für das Studium der neueren Sprachen. 289
bei dem auseinandergerissenen Lehrstoff die Uebersichtlichkeit des
Ganzen leide und dem Lernenden kein Bild der organischen Gliederung
der Sprache gegeben würde. — Es- sei ferner irrthümlich, dass eine
jede zu erlernende Form zuvor in einem Satze angeschaut worden sein
müsse. — Satzlehre und Formenlehre seien beim ersten Unterricht
überhaupt auseinanderzuhalten. — Von keiner Seite wurde ein Wider-
spruch gegen die vorgetragenen Ansichten eingelegt. —
Danach spricht Herr Beauvais über die Endungen französischer
Gentilien.
Er erinnerte an Mätzner's Untersuchungen über die Bildung der Namen
der Bewohner von fr. Ortschaften und suchte die Liste der in Mätzner's
Grammatik angegebenen Namen zu vervollständigen. Indem sich der Vor-
tragende auf die Namen franz. Ortschaften beschrankte, ordnete er sie in
folgender Weise:
I. Die Endung ois ist am häufigsten in den franz. Gentilien verwendet
und ist der lateinischen Endung ensis nachgebildet. Mätzner führt nur einen
einzigen Namen mit dieser Endung an und zwar den Namen Embrunois von
Embrun an. Ich werde den Namen der Stadt, deren eigenthümliche Aus-
sprache vielleicht zu Erörterungen Veranlassung geben kann, jedes Mal vor
den Namen der Bewohner setzen:
I. Brest — Brestois. 2. La Rochelle — Rochelois. 3. Nantes —
Nantois und Nantais. 4. Reims — Remois. 5. Champagne — Champenois.
6. Amiens — Amienois. 7. Auxerre — Auxerrois. 8. Arras — Arrageois.
!). Saintonge — Saintongeois. 10. Carcassonne — Carcassonnois. 11. Nimes
— Nimois. 12. Clermont — Clermontois. 13. Vienne — Viennois. 14. Dun-
kerque — Dunkerquois. 15. Dieppe — Dieppois. 16. Rennes — Rennois.
17. Vendöme — Vendömois. 18. Verdun — Verdunois. 19. Toul — Tou-
lois. 20. Blois — Blaisois und Blesois. 21. Lille — Lillois. 22. Le Dau-
phine — Dauphinois. 23. La Berri — Berrois und Berrichon. 24. La
Franche-Comte — Franc- Comtois. 25. Sedan — Sedanois. 26. Loudun
— Londunois. 27. Auch — Auchois. 28. Lucon — Lnconnois. 29. Stras-
bourg — Strasbourgeois.
II. Die lateinische Endung ensis ist bei vielen Namen in ais verwandelt
worden und ist nach ois die gewöhnlichste. Mätzner führt nur 7 Namen
mit dieser Endung an:
1. Boulogne — Boulonnais. 2. Bordeaux — Bordelais. 3. Lyon —
Lyonnais. 4. Marseille — Marseillais. 5. Orleans — Orleanais. 6. France
— Francais. 7. Navarre — Navarrais. 8. Le Roussillon — Roussillonnais.
9. Le Bom-bonnais — Bourbonnais. 10. Rouen — Rouennais. 11. Laon
— Laonnais. 12. Sens — Senonais. 13. Dijon — Dijonnais. 14. Le Havre
— Havrais. 15. Narbonne — Narbonnais. 16. Mäcon — Mäconnais. 17.
Bearn — Bdarnais. 18. Toulon — Toulonnais. 19. ftivernais — Nivernais.
20. Briancon — Brianconnais. 21. Soissons — Soissonnais. 22. Alencon —
Alenconnais. 23. Chälons — Chalonnais.
III. Nächst diesen beiden Endungen folgen die auf in, lateinisch inus:
1. Angers — Angevin. 2. Poitou — Foitevin. 3. Poitiers — Foitevin
4. Limoges — Limousin und Limosin. F. Metz - Messin. 6. Beauvais —
Beauvaisin sind die von Mätzner angeführten Namen. 7. Angoumois — ■ An-
goumoisin. 8. Perigord — Perigourdin. 9. Avranches — Avranchin. 10.
Cahors — Cahorsin. 11. Le Quercy — Caorcin. Für Poitevin findet man
auch Pictonique und Pictave.
IV. Nun folgen die auf ien , die in den meisten Fällen an die Stelle
der lateinischen auf us und ius getreten sind.
Archiv f. n. Sprachen. XXVI11. 1 9
290 Sitzungen der Berliner Gesellsch af't
1. Alger — Algerien. 2. L'Alsace — Alsacien. 3. Artois — Artesien.
4. Paris — Parisien sind die von Matzner angeführten Namen. 5. Nancy
— Nanceien. 6. Languedoc — Languedossien. 7. Courbevois — Courbe-
voisien. 8. Cahors — Cadurcien. 9. Pontarlier — Pontisalien (Pontarlum).
10. La Savoie". — Savoisien und Savoyard. 11. Louis — Ludovisien. 12.
Thierache — Tbieracbien. Als eine Curiosität füge ich bier den Namen
Oxonien für die Bewohner von Oxford und Solarien für die vermeinten
Bewohner der Sonne und Lunarien für die Bewohner des Mondes hinzu.
V. Die Endungen ain, von dem lateinischen anus. Mätzner führt nur
einen Namen einer französischen Stadt mit dieser Endung auf und zwar
Cbartres — Chartrain. Ich gebe noch folgende:
1. Toulouse — Toulousain. 2. Aquitaine — Aquitain. 3. La Lorraine
— Lorrain.
VI. Die Endung on, welche der lateinischen Endung auf o entspricht,
kommt wenig vor und habe ich trotz aller Mühe nur einen Namen ausser
denen von Mätzner angegebenen gefunden. Diese lauten:
1. La Bretagne — Breton. 2. La Beauce — Beauceron. 3. Bourgogne
— Bourguignon. 4. La Gascogne — Gascon. 5. Perche — Percheron.
VII. Die Endung en, von der lateinischen aeus hergeleitet, findet sich
meines AVissens nach nur in:
1. Vende — Vendeen. 2. Troyes — Troyen und in dem annexirten
Nice — Niceen.
VIII. Anf an sind mir nur folgende bekannt:
1. Bigorre — Bigordan ou Bigourdan. 2. Le Conserans — Consoran.
3. Le Maine — Cenoman.
IX. Auf ard habe ich nur folgende zwei gefunden.
1. La Picardie — Picard. 2. Brie — Briard.
X. Auf al findet sich nur Provence — Provencal.
XL Auf and findet sich nur Normand von Normandie.
XII. Auf at findet sich nur in Auvergne — Auvergnat.
Alsdann trägt Herr Boltz von ihm übersetzte Dichtungen der
russischen Dichter Krassow und Feth vor und überreicht in zahlreichen
Exemplaren sein Werk : Gedichte und Uebersetzungen nebst beigefügten
Originaltexten. Berlin 1860.
Demnächst bespricht Herr Pro hie: „Gallerie berühmter Päda-
gogen, verdienter Schulmänner, Jugend- und Volksschrif'tsteller aus
der Gegenwart in Biographien und biographischen Skizzen, Heraus-
gegeben von Joh. Bapt. Heindl. 2 Bände. München. Finsterlein. 1858.
1859." Er summirt die in der Sammlung niedergelegten Ansichten und
Aussprüche zu einem Bilde des Standes der gegenwärtigen Pädagogik.
Herr Buch mann entwirft an Somaize, dem Herausgeber der
grands dictionnaires des precieuses das Bild eines literarischen Char-
latans der Zeit Ludwig's XIV. Er zeigt, dass das erste jener Wörter-
bücher nicht aus eigner, sorgfältiger Beobachtung entstanden, sondern
aus verschiedenen Schriftstellern , namentlich aus Moliere's Precieuses
ridicules zusammengeschmiert ist, und fügt eine Liste von 40 aus
Moliere entlehnten Ausdrücken bei. Er spricht seine Verwunderung
darüber aus, dass Commentatoren Moliere's Stück aus Somaize erläu-
tern , während sich Somaize nur aus Moliere erläutern lasse, den er
mitunter sogar missverstehe. Er schildert dann die tölpelhafte Art
für das Studium der neueren Sprachen. 291
seiner kleinlichen Angriffe Moliere's, den er nie anders als den Marquis
de Mascarille nenne, und glaubt daraus erklären zu können, dass Me-
liere später überhaupt keine Mascarille mehr schrieb, Rollen, die er
immer selbst gespielt hatte. Zuletzt theilt er eine Liste pretieuser Aus-
drücke mit.
Herr Herr ig sprach über die scheinbar seltsame Regel der franz.
Versification, nach welcher sich in den Reimen die Worte auf denselben
Consonanten oder einen Consonanten derselben Classe enden müssen,
also parents und rangs, aber nicht parent und rang. Die Regel wird
dadurch begründet, dass im 16. Jahrhundert die Schlussconsonanten
der Wörter gehört wurden (also sait = sept) , wenn dem Worte eine
Pause folgte. Uie Grammatiker von verschiedenen Nationen bekunden,
dass die bezeichnete Aussprache die anerkannt richtige war; die Gram-
matiken von Palsgrave und Du Guez, sowie die Isagoge in linguam
Gallicam von Jacobus Sylvius Ambiduus stellen die Sache ganz ausser
Zweifel. Der Vortrag weist hierauf nach , wie die völlige Auslassung
der Endconsonanten in der Aussprache im Norden begonnen habe und
zur Zeit Heinrich's IV. unter den höheren Ständen ganz allgemein ge-
worden sei. Schliesslich wird darauf aufmerksam gemacht, dass gleich-
wie das weggefallene s in der Mitte der Wörter die Sylbe verlängert
habe, dieses auch in Beziehung auf das Ende der Wörter zutreffe ; der
Abbe d'Olivet lehre in seiner Prosodie francaise, dass jede masc. Sylbe
im plur. lang sei, also sei und sels, pot und pöts, sac und säcs : ein
Nachklang von dieser Regel sei in der jetzigen Aussprache nur noch
in einigen wenigen Wörtern zu finden, z. B. l'oeuf und les oeufs, boeuf
und les boeufs.
Schliesslich legte der Vorsitzende der Gesellschaft die nachstehende
Mittheilung vor, welche von dem correspondirendem Mitgliede, Herrn
W. Lowes Rushton in Liverpool eingegangen war.
Shakspeare's Tenures.
Tenure in Villenage.
In many and divers cases, the lord raay make manumission and enfran-
chisement to his villein.
Armado.
Sirrah Costard, I will enfranchise thee.
Costard.
O, raarry me to one Frances: — I sniell some Tenvoy, some goose,
in this.
Armado.
By my sweet soul, 1 mean setting thee at liberty, enfreedoming thy
person; thou wert immured, restrained, eaptivated, bound.
Love's Labour Lost. Act 3 Scene 1.
Manumission is properly where the lord raakes a deed to his villein to
enfranchise hini by this word (manu-mittere ) whieh is the same as to put
him out of the hands and power of another. And because, by such deed
the vellein is put out of the hands and out ut' the power of his lord,
it is called manumission. And so every manner of enfranchisement made
to a villein may be said to be a manumission (Litt. See. 204). Enfran-
19*
292 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
chisement is derived from the French word franchise, that is liberty;
and in the Common Law it hath divers significations : sonietimes the incor-
porating of a man to be free of a Company or body politic, as a freeman
of a city, or burgess of a borough etc., sometimes to make an alien a de-
nizen; and here to manumise a villein or bondman. So this word (en-
franchis ement ) is more general and therefore every manumission is au
enfranchisement but every enfranchisement is not a manumission. There be
tvvo kinds of manumissions , one express, and the other implied. Express,
when the villein by deed in express words is manumised and made free.
(Co. Litt. 137 b.)
Paulina.
The child was prisoner to the womb; and is,
By law and process of great nature, thence
Free'd and enfranchis'd.
Winter's Tale. Act 2 Scene 2.
The other implied, by doing some act that maketh in judgment of law
the villein free, albeit there be no express words of manumission or en-
franchisement. (Co. Litt. 137 b.)
Norfolk.
Never did captive with a freer heart
Gast of his chains of bondage, and embrace
His golden uncontroll'd enfranchisement,
More than my dancing soul doth celebrate
His feast of battle with mine adversary —
Most mighty liege, — and my companion peers, —
Take from my mouth the wish of happy years.
Richard II. Act 1 Scene 3.
Liege sometimes signifies liege -lord: and sometimes liege -man.
Winchester.
You shall become true liege man to his crown.
First Part Henry VI. Act 5 Scene 4.
Liege -lord is one who acknowledges no superior ; whilst liege -man is
one who owes allegiance to the liege -lord:
L e o n t e s.
We enjoin thee,
As thou art liegeman to us.
Winter's Tale. Act 2 Scene 3.
Francisco.
Stand who is three?
Horatio.
Friends to this ground!
Marcellus.
And liegemen to the Dane.
Hamlet. Act 1 Scene 1.
The subjects of the Sovereign are called liege -people.
Macbeth.
It shall make honour for you.
Banquo.
So I lose none
In seeking to augment it, but still keep
My bosom franchised and allegiance clear,
I shall be counsell'd.
Act 2 Scene 1.
für das Studium der neueren Sprachen. 29S
Bedford.
Fore God bis Grace is bold to trust these traitors.
Ex et er.
Tbey shall be apprehended by und by.
Westmorland.
How smooth and even they do bear themselves!
As if allegiance in tbeir bosoms sat,
Crowned with faitb and constant loyalty.
Henry V. Act 2 Scene 2.
Allegiance is the natural and sworn allegiance, or legal obedience every
subject owes to his prince. So Littleton See. 198 of Tenure in Villenage
speaks of an alien as one „born out of the legiance of our sovereign lord
the king."
York.
Then swear allegiance to his Majesty;
As thou art knight, never to disobey,
Nor be rebellious to the Crown of "England,
Thou nor thy nobles, to the crown of England.
First Part Henry VI. Act 5 Scene 4.
This allegiance is not confined to any particular kingdom, but follows
the subject wherever he goes. Whence the people are called liege people,
and by their allegiance are bound to go with the king in his wars, as well
at honie as abroad (1. Inst. 2, 329; 2. Inst. 741).
Queen Katherine.
I am much too venturous
In tempting of your patience; but am bolden'd
Under your promised pardon. The subject's grief
Comes through commissions, which compel from each
The sixth part of his substance, to be levied
Without delay; and the pretence for this
Is named, your wars in France: This makes bold mouths:
Tongues spit their duties out, and cold hearts freeze
Allegiance in them; their curses now
Live where their prayers did; and it's come to pass,
That tractable obedience is a slave
To each incensed will.
Henry VIII. Act.
King John.
Our discontented counties do revolt;
Our people quarrel with obedience,
Swearing allegiance, and the love of soul
To stranger blood, to foreign royalty.
Act 5 Scene 1.
The reader will pereeive that Shakespeare uses the terms allegiance
and obedience in connection with each other: and aecording to Coke, „as
the subject oweth to the king his fcrue and faithful ligeance and obedience,
so the Sovereign is to govern and protect his subjeets, regere et pro-
tegere subditos suos; so as between the Sovereign and subject there is
duplex et reeiprocum ligamen, quia sicut subditusregi tenetur
ad obedientiam, ita rex subdito tenetur ad pro tectionem: me-
rito igitur ligeantia dicitur a ligando, quid continet in se du-
plex ligamen." And again „This word ligeance is well expressed by di-
vers several names or synonym a which we und in our Books. Sometime
294 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
it is called the obedience or obeysance of the subject to the king, obe-
dientia regi (9 E. 4. 7. b. 9 E. 4. 6. 2 R. 3. 2. a. in the Book of Entries,
Ejectione firm' 7. 14. H. 8. cap. 22 H. 8. cap. 8 etc. Coke Rep. Calvin's
case 7. 5.). I venture to suggest that the word „soul" in this pasgage may
be a misprint of the word „soil" which is commonly used by the poets in
the sense of „land" or „country." In the ancient spelling of the Folio
„soul" is speit „soule" and „soil" „soyle," so that the „y" in the manu-
script or in the type may, very naturally, have been mistaken by the
printer for „u."
Title by Occupancy.
Occupancy signifies the tiiking posscssion of those things which have
no owner. When it was agreed that every thing eapable of ownership
should have an owner, natural reason suggested , that he who first took
possession of anything for his own use, should become entitled to it, accord-
mg to that rule of nations, and of the laws ofRome, Quod nullius est,
id ratione naturali occupanti conceditur. (D. 41. I. 3.; I. 2. I. 12
See Bla. Com.)
Doli Tearsheet.
He a captain! Hang him, rogue! He lives upon mouldy stew'd prunes,
and dry'd cakes. A captain ! These villains will make the word captain
as odious as the word occupy; which was an excellent good word before
it was ill sorted: therefore captains had ueed look to it.
Second Part Henry IV. Act 2 Scene 4.
Tenant for term of life is where a man letteth lands or tenements to
another for term of the life of the lessee, or for term of the life of an-
other man. In this case the lessee is tenant for term of life. But by com-
mon speech he which holdeth for term of another's life, is called tenant for
term of another man 's life. (Litt. See. 50.) And this estate which is held
for the term of another man's life is called in the Norman French of Litt-
leton's Tenures an estate pur autre vie; and the person for svhose life
the land is holden, is called the cestui que vie. If a man was tenant
pur autre vie, or had an estate granted to bimself only (and not to his
heirs also) for the life of another man, and died during the life of the
cestui que vie, without having aliened the estate, in such case he that
first entered on that land might lawfully, -during the life of the cestui
que vie, — retain the possession by right of occupancy: for it did not
revert to the grantor, though in very early times it was supposed to do so.
(See Bracton. üb III. c. 9, fol. 27, a; lib. IV. tr. 3, c. 9. par. IV fol. 263. a;
Fleta, lib. III. c. 12, s. 6; lib. V. c. 5, s. 15). He that so entered was
within Littleton's words, viz. tenant pur autre vie, and was punishable
for waste as tenant pur autre vie, andsubjeet to the payment of the rent
reserved, and was in law called an oecupant (oecupans) because his title
was by his first oecupation : but if the estate had been granted to a man and
his heirs during the life of the cestui que vie, the heir might, and still
may enter and hold possession, and in such case he is called in law a spe-
cial oecupant, having a special right of oecupation by the terms of the
grant. The title by common occupancy, to which Doli Tearsheet probably
refers, was long considered to be a great evil , and it was at length abo-
lished by successive acts ofParlianient, viz. the Statute of Frauds 29 Car. II.
c. 3, 14 Geo. IL c. 20, and 7 Will, and I. Vict., c. 26.
Tenure by Devine Service.
Clown.
By my troth, I take, my young lord to be a very melancholy man.
Countess.
By what observance, I pray you?
für das Studium der neueren Sprachen. 295
Clown.
Why he will look upon his boot, and sing; mend the ruff, and sing:
ask questions, and sing; pick his teeth and sing: I know a man that had
this trick of melancholy hold a goodly manor for a song.
All's Well That Ends Well. Act 3 Scene 2.
In the old edition the Clown says „hold a goodly manor for a song;"
in the tbird Folio he is made to say „sold a goodly manor for a song:"
and this supposed emendation has been very generally adopted: even in
the admirable translation of Schlegel and Tieck, the Clown says „ich kannte
einen, der solchen Ansatz von Melancholie hatte, und einen hübschen Maier-
hof für ein Singsang verkaufte." I do not consider this alteration neces-
sary because the Clown seems to refer to tenure by devine service, in which
the tenants were obliged to do some special devine Services in certain, for,
in the language of Littleton „if an abbot, or prior, holds of his lord by a
certain devine service, in certain to be done, as to sing a mass every Friday
in the weck for the souls of their grantor or feoffer, and for the souls of
their heirs which are dead, and for the prosperity and good life and good
health of their heirs which are alive, or every year at such a day to sing
a place bo et der ige etc. or to find a chaplain to sing a mass, etc. or
to distribute in alms to au hundred poor men an hundred pence at such
a day; in this case, if such devine service be not done, the lord may distrain etc.
because the divine service is put in certain by their tenure, which the abbot or
prior oiiiiht to do. And such tenure is called tenure by devine service (Litt. sec.
137). Abbots and priors may be said to have that „trick of melancholy men-
tioned by the Clown. The reader will perceive that the Clown says ,.I know
a man that had this trick of melancholy „hold" a goodly manor for a song,"
and that Littleton speaks of abbots and priors, who ..hold" of their lords
by devine service. It may be suggested that because a tenant is said, in
the language of the Law, to hold by a certain tenure, as, for example,
„tenant by homage ancestrel is where a tenant holdeth of his lord by
homage" (,Litt. sec. 143) , — therefore, if this passage contained an allusion
to tenure by devine service, Shakespeare would have spoken of a man
holding by, and not of a man holding for a song; but the Clown does not
refer to the tenure itself, but to that service, namely singing a song , for
the performance of which the tenant held the „goodly manor." If however
it could be proved by the discovery of a manuscript that Shakespeare wrote
„sold," such proof would not render an allusion to tenure by devine service
less probably, because although the man who sold the goodly manor for a
song would not hold it yet he, to whom the manor was sold, might. Froru
tbese explanations the reader may consider that if any word in this passage
needs alteration it is the word „know" which may be a misprint of „knew"
or the word „hold" wich may be a misprint of „held."
Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Vorschule der Dichtkunst, theoretisch - praktische An-
leitung zum deutschen Vers- und Strophenbau mit vielen
Aufgaben und beigegebenen Lösungen, von Heinrich
Viehoff. Braunschweig. 1860.
Der Verfasser gibt in der vorliegenden Schrift eine deutsche
Metrik und lehrt die gegebenen Regeln an geeigneten Stoffen verarbeiten.
Namentlich soll damit den Schulen genutzt werden, welche deutsche Me-
trik in besondern Unterrichtsstunden behandeln , indem der Verfasser der
richtigen Ansicht ist , dass die Gesetze erst dann wahrhaft gewusst wer-
den, wenn man sie anwenden kann. Zugleich soll die Anleitung im Vers-
und Strophenbau zur grösseren Einsicht in Beurtheilung poetischer Producte
führen. Denn wer selbst versucht habe zu dichten, werde besser die poeti-
schen Schönheiten entdecken, eingehender Fremdes beurtheilen können, als
wer nur immer gelesen und genossen hat. Durch eigne Bearbeitung poeti-
scher Stoffe würden mannigfache Geistesoperationen nöthig , durch die zu-
gleich der Sprachschatz an Reichhaltigkeit, jeder Ausdruck an Gelenkigkeit
gewinne.
So stellt das Buch ausgedehnten Nutzen für die Bildung des Geschmacks
und der Sprachgewandtheit in Aussicht; — und wer wollte leugnen, dass
poetische Versuche, geschickt angestellt und geleitet, das Angegebne wirk-
lich leisten können? Weiss doch schon Aristoteles, wie „schwer und fast
unmöglich es ist," ein competenter Beurtheiler von Werken zu sein , an
denen man sich nicht selbst versucht hat. Und wenn er aus diesem Grunde
den Unterricht in der Musik empfiehlt (Pol. V., Beck 1340 b), so ist leicht
zu sehen, wie dieselbe Empfehlung für das verwandte Gebiet der Poesie in
Anspruch genommen werden kann. Wer selbst ein Gedicht zusammengestellt
hat, wird einsehen, worauf es ankommt, zumal wenn ihm dabei ein geschmack-
voller Beurtheiler und Lehrer zur Seite gestanden hat. Es wäre daher sehr
wünschenswerth , dass höhere Lehranstalten dem deutschen Unterricht so
viel Platz vergönnten und Aufmerksamkeit zuwendeten, dass es möglich würde,
auch durch poetische Versuche ästhetische Bildung des Geistes und zugleich
freieren Umgang mit der Muttersprache zu gewinnen. Namentlich möchte
in höhern Töchterschulen aus solchen Uebungen reicherer Nutzen gezogen
werden, als aus manchem Andern, was dort getrieben wird ; indem die weib-
liche Seele hieraus wirkliche, natürliche Nahrung schöpft, was bei der aus-
gedehnten Bekanntschaft mit fremden Sprachen und historischen Notizen
nicht immer der Fall sein wird. Zugleich ist das Weib später leicht in dem
Fall, solche Uebungen praktisch zu verwerthen. Wie Manche möchte wohl
einen gut gebauten eignen Vers in ein Stammbuch schreiben, ein häusliches
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 297
Fest durch eigne Poesie zieren, oder Erlebtes, Gedachtes in sauberer Form
dem Tagebuch anvertrauen? Hat doch selbst W. v. Humboldt eine Zeitlang
allabendlich das am Tage Gedachte in ein Sonett einzukleiden gemocht.
Auch künftigen Dichtern könnte die Einübung der strengen metrischen
Technik Nichts schaden. Man halte nur nicht Etwas für zu erniedrigend,
dessen die geistvollen Griechen sich nie geschämt haben!
Gegen den Zweck des Verfassers wäre also so wenig Etwas zu erinnern,
dass das Buch vielmehr mit aller Dringlichkeit empfohlen werden muss.
Sollen wir näher auf den Inhalt eingehen, so ist Jeder gewiss zunächst
begierig zu erfahren, was denn unter der praktischen Anleitung zum Dichten
verstanden sei. — Der Verfasser spricht zunächst eine Versart genau durch,
charakterisirt sie, weist auf ihre Gesetze hin: dann proponirt er einen Stoff
zu eigner Bearbeitung gewöhnlich in der Art, dass er den Inhalt, weichender
Schüler in Verse zu bringen hat, in ungebundner Rede, aber für den Zweck zu-
rechtgemacht, vorführt. Dem Lehrling wird dabei allmählich immer mehr zuge-
muthet. Währender anfangs hauptsächlich nur die Wörter umzusetzen, selten
mit verwandten zu vertauschen hatte, hat er später immer mehr Ausdrücke,
<ranze Wendungen durch poetischere, passendere zu ersetzen, er bewegt sich
immer freier, selbstthätiger. Man sieht, dass die Sache nicht praktischer
angefasst werden kann. — Die Uebungen fangen damit an, dass eine Gess-
ner'scbe Idylle in fortlaufende Jamben umzusetzen verlangt wird. Die vorher
gewonnenen metrischen Gesichtspunkte sollen nun berücksichtigt werden.
Dann soll ein Stück aus Goethe's Elpenor, das in ungleich langen jam-
bischen Versen abgefasst ist, zu jambischen Quinaren werden. Herder'-
sche Parabeln, an denen zuerst noch die zukünftige Verslänge bezeichnet ist,
werden ebenfalls als Blankverse gewünscht. Zur Regulirung des Geleisteten ist
dann jedesmal eine Lösung zum Vergleich mitgetheilt. Man sieht ein, wie
überall der Stufengang vom Leichteren zum Schwereren beabsichtigt ist; —
ich wüsste nicht, wo das Gesetz der Allmählichkeit dabei unbeachtet ge-
blieben wäre Rechten muss ich aber mit dem Verfasser über die Wahl
mancher Stoffe und ihre Lösungen. Ich glaube nämlich, dass dafür zweierlei
als Canon aufgestellt werden muss, 1. dass die Stoffe auch auf der Stufe,
wo dem Schüler noch das geringste Maass von Selbstthätigkeit gestattet ist,
für denselben ein lebendiges Interesse haben. Sonst wird er nicht genug
angestachelt, sie so fleissig als möglich durchzuarbeiten, 2. muss die Muster-
lösung eben ein Muster sein. Was soll's fruchten, das Geleistete mit Un-
vollkommenem, vielleicht noch Mangelhafterm als das Selbstgewonnene zu
vergleichen ?
Gehen wir nun nach dem ersten Canon die Stoffe durch, so ist es
gewiss sehr zu loben, dass schon anderweitig poetisch oder annähernd
poetisch behandelte , anziehende Stoffe zur Umarbeitung vorgeschlagen
werden. Vor Allem lobe ich in dieser Beziehung die Stücke aus Goethe's
Elpenor, die Htrder'schen Parabeln, die Uebersetzungen, zumal wenn
mustergiltige Uebersetzungen unsrer Klassiker an die Seite gestellt werden
können. Doch möchte ich dem Verfasser von dem Eigengewählten Manches
abreden. In diesen Stücken sind die Gedanken nicht selten zu sehr zusam-
mengerechnet, zu kalt und auch wohl nicht hoch genug, z. B. was der Verf.
als Blätter eines Laienbreviers gibt, enthält auch Mattes: „O quälender, un-
seliger Hang des Menschen, sich immer nur aufwärts zu vergleichen! Warum
nicht auch abwärts? Hättest Du Dich gewöhnt, die Stufenleiter der Wesen
hinauf und hinabzublicken und dann zu fragen wo Du stehst: wahrlich, Du
würdest dankbar und zufrieden sein lM Nachdem dann der Mensch auf die
Thiere (!) uud niedrigeren Menschenclassen hingewiesen ist, schliesst die
Betrachtung: „Wenn Du Dich redlich fragst, an welchen Platz das Schick-
sal Dich hingestellt, so musst Du dankbar bekennen: Mir ist ein besseres
als ein Mittellos zu Theil geworden!" Ob der Jüngling sich an diesen
Gedanken, auch wenn er sie in Blankversen vor sich sieht, wirklich
298 I! curt h eilu ngen und kurze Anzeigen.
erbaut? Matt uuil durch die Eiuschliessung in einen ziendich prosaischen
Gedanken peinlich ist das Stück d im Brevier, anhebend: Willst Du der
Mußestunden rein geniessen, So halte freies Scliafl'en und Geschäft, Lieb-
haberei und Pflichten streng gesondert! Nach der Ausführung dieses Satzes
folgt der Schluss: Drum halte freies Schaffen und Geschäft, Liebhaberei
und Pflichten etc. — Zu gesuchte Gedanken möchten die in Disticheu
zu kleidenden Gnomen und Epigramme enthalten. Z. ß. Nro. 59: „Wie
die belle de nuit auf den Fluren von Peru (weither!) beginnt das Menschen-
herz erst, wenn sich die Sonne gesenkt hat, zu blühen und zu duften! —
Dergleichen ist zu ängstlich geistreich !
Gelungener finde ich die Idee, zu Goethe - Schiller'schen Votivtafeln bil-
ligende, kritische, explicative etc. Distichen hinzufügen, oder Motto's machen
zu lassen auf Dichtungen, oder Epigramme auf bekannte literarische oder
weltgeschichtliche Personen und Ereignisse.
Au diesen Vorschlägen merkt man den an der Jugend gereiften Schul-
mann, der weiss, wie's die junge Seele drängt, an Gelesenes, Mitgetheiltes
eigne Urtheile zu knüpfen. AVie lockend, diese poetisch gestaltet vor sich
zu sehen ! So muss ich auch als einen sehr glücklichen Griff bezeichnen den
Vorschlag, aus Sebiller's ästb. Erziehung die Zeichnung des Künstlers zu
einer Reihe von Distichen zu benutzen. Wo der Gegenstand so anziehend
und die pros. Darstellung schon einen so poetischen Color hat, wird der
Schüler leicht und mit grossem Vergnügen das metrische Gewand suchen.
Ich glaube, dass nach dieser Richtung, aus prosaischen Stücken, sei es durch
Umsetzung der darin gegebenen Gedanken oder im Anschluss an die ge-
zeichneten Charaktere oder erregten Gefühle, sich noch Stoffe des erfreuend-
sten Inhalts finden lassen. Der Verf. hat ja, wie Jeder weiss, selbst eine
so reiche Bekanntschaft in der Literatur, und so weisen praktischen Sinn,
dass ihm mit Berücksichtigung des gegebenen Canons vielleicht eine noch
tadelfreiere Auswahl möglich wäre. So liesse sich z. B. in Anschluss an
§. 21 in leichten antiken Formen darstellen der glänzende, „von tiefer und
reiner Empfindung'4 zeugende Hymnus auf die Natur, der sich im ersten
Theil des Briefs vom 18. August aus den Leiden des jungen Wrerther findet
(Wenn ich sonst etc.). Der Verfasser wird die noth wendigen Aenderungen
selbst sehen.
Ganz lokale aber, nur für bestimmte, individuelle Situationen passende
Stoffe liesse ich ganz weg, also aus dem 1. Theil Nro. lOt , aus dem 2.
51, 85, 86, die sich zum Theil auf Trierer Feierlichkeiten beziehen.
Den 2. Canon hat der Verf. selbst theoretisch beanstandet, und praktisch
fortwährend dagegen gehandelt. Es bedarf daher einer Verständigung. Hören
wir seine Gründe! Er fragt: Wäre es nicht zweckmässiger, wenn die Lö-
sungen, die dem Lehrling zum Vergleich mit seinen eigneu Arbeiten dar-
geboten werden, ihm das Angestrebte in möglichst vollendeter Ausführung
zeigten? Ist nicht das Allerbeste eben gut genug zum Vorbilde V Antwort:
„Wenn es auf praktische Uebungen ankommt, so ist es nicht paedagogisch,
nicht methodisch, den Anfänger in einer Kunst auf Schritt und Tritt durch
die Höhe des vorgehaltenen Ideals zu demüth igen und zu entmuthigen.
— Die angehängten Lösungen sollen dem Lehrling zeigen, was vorläufig,
auf der Stufe, wo er eben steht, von ihm erwartet und verlangt wird." Ich
übergehe, dass hiermit der Verfasser der pag. X ("der Vorrede) geäusserten
Absicht, durch Aufstellung des zu einem wahren Gedicht Erforderlichen die
Verlockung zu unberufenem öffentlichen Hervortreten ferner zu rücken, ge-
radezu entgegenarbeitet. Ein ganz anderer Zweck liegt der eben mitge-
theilten Argumentation unter.
Ueberhaupt weiss ich nicht, ob der, welcher sich einmal zu poetischen
Uebungen angereizt gefühlt hat, wirklich mehr gedemüthigt und entmuthigt,
als angestachelt wird, immer Vollkommneres zu leisten, wenn er spezifisch
Besseres vor Augen sieht. Stellt der Lehrer die bessere Lösung dem Ge-
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 299
leisteten gegenüber, so kommt's ja, denke ich, vorzüglich auf dessen Manier an,
ob der Schüler entmuthigt oder zu rüstigein Weiterschreiten veranlasst wird.
Fehlt ihm aber der Lehrer, so wird er jetzt leicht die mit Mängeln ange-
füllten Muster für mustergiltig halten (denn woher soll der Lernende schon
das Unvollkommene kennen V) und sich zu frühzeitig bei stümperhaften Pro-
ducta! beruhigen. Erkennt der Leser trotz der Hinweisung auf ganz Voll-
kommenes auch in dem fehlerhaften Product das Verdienstliche, die Fort-
schritte an, weckt er durch hinzugefügte Ermunterung das (Selbstvertrauen,
so wird das vorzügliche Muster keinen schrecklichen Schaden anrichten.
Will doch Viehoff selbst, dass der Lehrer an der noch nicht vollkommen
durchgefeilten Lösung das Tadelnswerthe aufzeige und durch Besseres er-
setze! Was vom Lehrer erwartet wird, konnte füglich auch das Buch leisten,
zumal da es auch für Selbststudium berechnet \>t. Ruft die Hinweisung auf
die Verbesserung auch des Musters keine abschreckende Wirkung hervor,
so war sie überhaupt nicht zu fürchten. Wenigstens konnten doch, um die
Aufmerksamkeit darauf zu richten, und das Bewusstsein von den Mängeln
rege zu halten , die schadhaften Stellen durch den Druck markirt werden !
Anmerkungen konnten Vorschläge zur Besserung geben ! Da einmal die
Lösung dem Lehrer bei der Verbesserung zu Hülfe kommen soll, warum
ist nicht auch diese Erleichterung noch hinzugefügt? So wäre wenigstens
die Wegschaffung alles Incorrecten mehr gesichert, als wenn man sie
dem Geschmack eines vielleicht metrisch und ästhetisch nicht ganz taetfesten
Lehrers völlig überlässt. — Uebrigens konnten auch manche Gedichte unsrer
besten Autoren, die nicht allzu bekannt sind, für neue Bearbeitung verwandt
werden, — was der Verfasser aus demselben horror vor dem Vollkommen-
sten abweist.
Jetzt kann eigentlich die Kritik des Buches nicht einmal auf die Fehler
der Lösungen sich einlassen, da der Verf. allgemein ihre Absichtlichkeit
betont. Nur mag man sich bei der Betrachtung holpriger, unkünstlerischer,
zusammengerechneter Verse manchmal fragen, wozu überhaupt so Etwas
als Lösung mitgetheilt wird, das unmöglich bessern , höchstens das Ohr an
das Schlechte gewöhnen kann. Folgende Pröbclien, an denen man sich
diese Frage vorlegen mag, sind aus den Hexametern (pag. 182, 18):
Sanft ge | dämpft war mein | Licht. . . .
? Blättern | gleich, wenn sie | losgejrissen vom schwankenden Stengel —
Einer der | zur Handjtrommel ein ....
Aus den Distichen: pag. 192, 81. 10; 88, 1:
Wohl ihm, | dass ihn ein | günstig Geschick etc.
Vs. 9 hat „darob" der Vers verschuldet etc.
Pag. 2U8 heisst's in einer alcaeischen Strophe: Dem Tag geweiht ent-
führet sie auch der Tag. Jch glaube, der Ictus an der hervorgehobenen
Stelle ist zu stark, um nicht an begriffsschwere Wörter gegeben zu werden.
Dasselbe gilt von den Asclepiacleenenden (p. 213): schon der Mensch, seinem Joch,
edle Ross, stete Wahn geben der drittletzten Silbe sinnwidriges Gewicht.
Jedoch da nie zu wissen ist, was der Verfasser übersah und was er
gerade so lassen wollte, — ist ein längeres Verweilen bei diesem Gegen-
stand unnütz. Es bleibt aber die Frage, was die Angabe des ganz Richtigen
in einer Note geschadet hätte? Würde nicht die Vergleichung mit dem
Fehler in der Lösung den Tact für gute Verse geschärft haben? - immer
nur bildend gewesen sein?
Ich komme schliesslich auf den theoretischen Theil, der mit den fein-
sinnigsten Bemerkungen geziert ist, auf scharfer Beobachtung deutscher
Verse und dem gebildetsten Geschmack beruht.
In §. 1 wird eine Prosodie gegeben. Das im Deutschen sehr seh wie-
300 Beurtheilnngen und kurze Anzeigen.
rige Thema ist mit grosser Sicherheit und feinem Tact behandelt. Manch-
mal treten die Behauptungen über Länge und Kürze der Silben zu em-
pirisch auf, sie sind nicht immer auf allgemeine Gesetze als ihre Gründe
zurückgeführt. So erscheint Manches zu willkürlich oder nur aus der Er-
fahrung aufgerafft. Es sollten die Momente, welche eine Silbe hochtonig
oder lang machen, geordnet und aufgezählt sein. Nach des Verfassers
eignen Beobachtungen, deren Resultate jetzt durch's ganze Buch zerstreut
sind, Hessen sich hierfür folgende 4 Sätze aufstellen:
Hochtonig ist eine Silbe 1. durch wichtigen Begriffsinhalt, daher Wurzel-
und Stammsilben.
2. durch Lautschwere, daher wohl breite Diphthongen und gehäufte
Consonannten am Ende eine Silbe so wuchtig machen können, dass sie, zu-
mal wenn eins der folgenden Momente hinzukommt, als hochtonig gilt. Meist
ist solche Silbe wenigstens mitteltonig, als lange Thesis zu verwerthen.
3. durch Gegensatz gegen folgende oder vorhergehende ganz leichte
Silben (mit kurz e z. B.) wird eine andere so gehoben, dass Niemand an
ihrer Hochtonigkeit Anstoss nimmt. Belege dafür gibt der Verfasser sehr
häufig, z. B. pag. 74, 112, 114 etc.
4. kann sogar die Wucht des Rhythmus eine nicht zu leicht wiegende
Silbe in die höchste Tonhöhe heben. Die Regel des Verses hat sich dem
Gefühl so eingelebt, dass man, um sie nicht verletzt zu sehen, ohne Be-
denken die mitteltonige Silbe hochschnellt. Natürlich darf die Differenz von
der gewöhnlichen Betonung nicht zu schroff' sein. Auch auf diese Regel
recurrirt der Verfasser an vielen Stellen mit Recht. Z. B. heisst's pag. 104 :
P^s kommt nur darauf an, den reineren Anapästen ein solches numerisches
Uebergewicht zu geben, dass sie die Füsse von schwebender Messung, die
sich unmöglich ganz vermeiden lassen, in ihre Bewegung mit fortreissen und
ihnen ein entschiedenes anapästisches Gepräge aufdrücken.
Diese Regeln waren am Besten zusammenzustellen und von dem beob-
achtungsreichen Verfasser durch passende Beispiele gründlich zu belegen.
Die Zusammenstellung an einen Ort hätte auch die häufigen Wiederholungen
derselben Sache, die jetzt stören, vermieden, indem man sLh durch ein
kurzes Citat auf den betreffenden §. beziehen konnte , wo der Gegenstand
ausschliesslich und erschöpfend behandelt war. Da gerade von Wieder-
holungen die Rede ist , möchte ich den Verfasser überhaupt warnen , Lieb-
lingsmaterien, wie über Lautmalerei, worüber er freilich immer Treffendes
bringt, zu oft zu behandeln. Er muss dem Leser zutrauen, dass er durch
ein Citat auf den Ort, wo das behandelt ist, sich an das Nothwendige er-
innern lässt.
Die Behandlung der Metrik im Allgemeinen zeugt von der reifen Ein-
sicht in den Charakter der deutschen Sprache, ihrer Laute und des Rhyth-
mus, die an dem Erklärer der Schiller'schen Gedichte bekannt ist. Die
Reichhaltigkeit des Materials, die Eindringlichkeit der Beobachtung, das
fortwährende Bestreben, möglichst bestimmt die Natur einer Versart, die
Stoffe, für die sie am Besten verwandt wird, zu kennzeichnen, gibt auch
dem, welcher im Einzelnen abweichender Meinung ist, die belehrendsten
Anregungen. Namentlich ist bei den schwierigsten Gegenständen seine
immer fassliche, nie in vage Allgemeinheit und Phrasenhaftigkeit versin-
kende Sprache sehr wohlthuend.
Er erlaubt gewiss einzelne Bedenken.
Zu viel Gewicht wird auf Uebereinstimmung der Verse und Sätze ge-
legt; — da doch der Verf. selbst häufig genug andeutet, dass das Versende
vom Anfang sich durch Vermeidung aller Freiheiten unterscheidet, am schärf-
sten den Gruudrh) thmus, der sich am Anfang verwischen kann , markirt.
Werden jene natürlichen Beschränkungen genau eingehalten, so muss das
Versende meist ohne Interpunktion deutlich werden.
In dactvlen Versen duldet der Verfasser zu leicht Trochäen. Die beiden
Beur theilungen und kurze Anzeigen. 301
Kürzen durch eine sinkende Länge zu ergänzen, diese Freiheit hält wenig-
stens das Zeitverhältniss von Arsis und Thesis inne. Setzt man aber einen
Trochäus mit leicht wegzuschnellender Kürze, wie die Endsilben mit e ohne
consonantische Lautfülle sind, so wird Arrhythmie erzeugt. Von den sin-
kenden Trochäen würde ich schon die in der 2. Silbe möglichst gedehnten
aussuchen. Herrscht auch der Rhythmus, der Gegensatz von Arsis und
Thesis bei uns vor, so wird doch, nach des Verfassers eignen Zugeständ-
nissen, die Zeitdauer nicht ganz ausser Acht gelassen. Ich kann daher die
Einmischung von Trochäen nicht einen „schönen Vortheil" nennen, da sie
mir zu sehr die von dem Vers verlangte, durch Verdopplung der kurzen
Thesen im Dactylus indicirte Quantitätsgleichheit von Arsis und Thesis stört.
Schön scheint mir der Vortheil nur für den überall nach Licenzen haschenden
Anfänger.
Die Construction der antiken Verse (pag. 140 sq.) ist zu missbilligen.
Der Choriamb ist bei der Analyse zu sehr in den Vordergrund gedrängt.
Da der Verfasser ihn am Anfang aus dem deutschen Versbau verwiesen hat
und hier doch unmöglich von Wortfüssen die Rede ist, begreift man das
eigentlich nicht.
Es ist doch natürlicher, den Glyconeus logaödisch sinken zu lassen,
als ihn zuletzt jambisch aufzuschnellen Die letzte Silbe ist zu mittelzeitig
(tonig), um eine Arsis für den einen, neuen Jambus abzugeben, der
durch seine Isolirtheit ja noch viel energischer als sonst sein Gesetz fest-
halten müsste. Dasselbe gilt von dem Schluss der Asclepiadeen. Die leichte
Erweiterung aus dem Glyconeus durch einfache und doppelte Hinzufügung
eines Choriamb hat den Verfasser gewiss bestochen, überhaupt den Cha-
racter dieser Verse im Choriamb dargestellt zu finden. Bei den Asclepiadeen
geben aber lateinische Verse eine hinlänglische Hinweisung gerade auf den
Unterschied zwischen Ende und Mitte. Der (od. beim Asel. major beide)
Choriamb der Mitte hat der Regel nach eine Diärese (oder wie der Verf.
spricht eine Incision, oder nach pag. 141 eine Cäsur), während das Ende
ganz flüssig, also logaödisch abrollt.
Maece nas atavis || edite regtbüs
Nullam | Vare sacra || vite prius || sevens ärbörem.*)
Dasselbe logaödische Ende findet sich im Hendekasyll. der alcaeischen
Strophe. Der erste Theil desselben wird besser als doppelte Basis mit Ana-
crusis bezeichnet. Diese Herrmann'sche Theorie klärt am Besten solche
Anfänge nach musikalischen Analogien auf. Dieselben aber als überflüssige
Jamben aufzufassen, ist unnatürlich. Das Jambische widerspricht dem Loga-
ödischen. Und überzählige Verse vermeidet man überhaupt besser, anzu-
nehmen. Jeder Vers muss ein abgeschlossenes Ganze sein, wenn er auch
erst durch Pausen dazu würde. — Auch in der Sapphischen Ode ist die
trochäische Bewegung von der logaödischen begleitet, die ja im Schluss-
adonius so rein hervortritt. Diesen freilich ist der Verf. sogar geneigt,
choriambisch zu fassen ! Lassen wir nun in der Sapphischen Strophe über-
haupt nie Choriamben gelten, so kann die Matthisson'sche Umsetzung,
welche den Choriamb nach dem 1 . Trochäus hat :-«.|-ww_|'w_«_,«j nicht
für eine Variation der Sapphica, sondern muss für einen Vers andern
Charakters gehalten werden. In der alc. Strophe ist der 3. Vers wieder
kein überzähliger Jambicus, sondern eine mit Anacruse versehener Trochaicus.
Was sollte der jambische Rhythmus zwischen Logaödicis? Der letzte Vers
gibt, wie der 3. die Verdoppelung des 1. Theils der beiden ersten Verse,
eine Ausführung des Themas ihres 2. Theils.
*) Die Vernachlässigung" dieser Diärese würde ich auch im Deutschen
nicht billigen, wie's der Verfasser pag. 144 thut. Sie ist zur Absetzung des
Choriamb, nach dem man eine natürliche Pause macht, gegen den loga-
ödischen Fall nothwendig.
302 B eurtli eilungen und kurze Anzeigen.
Der 2. Thoil des Buchs handelt von Reimversen und Reimstrophen.
Als Vorbereitung dazu werden Alliteration und Assonanz durchgesprochen.
Der Zweck des Reims, der Alliteration und Assonanz, der verschiedene Cha-
rakter der einzelnen Arten wird von dem Verfasser mit gebildetem Gefühl
für den Geist der Sprachlaute behandelt. §. 3 gibt auch eine historische
Entwicklung des deutschen Reims, der schon bei Otfried die Alliteration
liherwiegt. Er unterscheidet sich von dieser dadurch, dass er gliedert , was
die Alliteration als Eins darstellen wollte. §. l werden die Arten des Reims
gegeben. Wenn hier auch die Kettenreime berücksichtigt werden, so bin
ich, wie auch spater bei andern Gelegenheiten, der Ansicht, dass dergleichen
Spielereien, die zu sehr die Aufmerksamkeit auf die Form hinziehen, für
den praktischen Zweck des Buches besser unberücksichtigt blieben. Der
Verfasser hat hier selbst seine Missbilligung geäussert. Zu den Mängeln,
die er selbst angibt, kommt nicht als kleinster hinzu die Ungleichheit der
sich aufeinander beziehenden Versstücke, zumal diese zu kurz sind, um
das Disharmonische zu verwaschen. So wird das Gefühl zerzerrt. — Denn
mögen auch die Verse ganz symmetrisch gedruckt erscheinen, so sind doch
die einzelnen Verse durch den Reim in 2 Theile gespalten , von denen der
1. auf den vorhergehenden, der 2. auf den folgenden Vers sich bezieht. So
kommt folgender unerträgliche Vortrag zu Stande :
_ , jWenn langsam Welle sich an Welle schliesset,
(Im breiten Bette fliesset
jStill das Leben,
4: 7, erst (Wird jeder Wunsch verschweben
Trochäen, dann T i
T , ' , (In dem emen :
Jamben! v. , , ,, , x-.
j Wichts soll des Daseins reinen
'Fluss Dir stören.
Welche Verhältnisse! Ihre ganze Gesetzmässigkeit ruht in der Wieder-
kehr des Unverhältiiissmässigen !
In den musterhaften Erörterungen über die komische Kraft des Reims
(240) findet sich das besser vermiedene Wort: Klangfocus. Zu den Regeln,
welche der Verfasser über die Wirkungsweite des Reims gibt (man sieht,
wie reichhaltig das Buch ist!), die gewiss alle richtig und aus langer Be-
obachtung geschöpft sind, würde ich noch hinzufügen, dass sich die Reime
zweier Verse auch nach 4 zwischenstehenden noch auf einander beziehen,
wenn die Verse sich durch ihre Structur scharf gegen die andern absetzen
und so selbst hervorheben. So sind doch der 5. und 10. Vers in dem Fou-
que'schen Stück (pag. 239) noch sehr gut als zu einander gehörig zu em-
pfinden, und das Ganze wird durch dieselben sehr schön abgerundet.
Da der Verfasser pag. 243 selbst gesteht, dass sich über die Reinheit des
Reims wegen der Ungleichheit der Aussprache in den verschiedenen Orten
Deutschlands keine festen Regeln aufstellen lassen, so ist es nicht nöthig,
manche Reime, die er schon als unrein tadelt, dafür zu halten.
Aus dem sehr inhaltreichen Abschnitt über den Gebrauch des Reims
(249 — 57) erwähne ich nur, um dem Leser dieser Zeilen einen Begriff von
dem gesunden Tact des Verfassers zu geben, kurz die Gesetze, die er weit-
läufiger durchspricht: 1. Die Gleichklänge müssen vorherrschend auf die-
jenigen Wörter und Silben fallen, welche die relativ bedeutsamsten Begriffe,
Vorstellungen, Bilder und Empfindungen ausdrücken. 2. Man benutze die
phonetische Beziehung der Reimwörter, um die innern Beziehungen der dar-
zustellenden Gegenstände anzudeuten. 3. In den Reimklängen lasse man
die Sprache den Rest ihrer alten onomatopoetischen und musikalischen Kraft
möglichst entfalten. 4. Die Wahl der Klänge ist bedingt durch den Ge-
sammteharakter des Gedichts, durch die in ihm vorwaltende Stimmung und
Gemüthsart. 5. Man vermeide allzu verbrauchte Reime. 6. Andererseits
B eurtheilungen und kurze Anzeigen. 303
hüte man sich vor zu gesuchten. 7. Auch die reichen Reime (Wogen —
gewogen) sind zu meiden. 8. Anders ist's mit den Wiederholungen des-
selben Worts , den gleichen Reimen. 9. Entsprechende Lautmalerei im
Innern der Verse kann dazukommen. 10. Der Reim entspricht passend
dem Rhythmus. 11. Man ■vermeide ihn bei künstlich gebauten Versen. Zu
4 ist weiter von der Geschlechtsverschiedenheit der Reime die Rede. Sinnig
wird auf die Verschiedenheit der Empfindung hingewiesen, die durch männ-
liche oder weibliche oder gleitende (- ~ -) Reime ausgedrückt wird. Die
Reimstellung, ihre Ordnung und Entfernung, die Lautbeschaffenheit der-
selben, wird durchgesprochen. — Nach dieser Abhandlung wird die Natur der
Strophe behandelt. Es wird der Verfasser, dessen Verdienste ich hoch-
halte, nicht missfällig bemerken, dass ich über Einiges abweichende Meinung
äussere.
Die Strophe ist eine höhere Einheit, zu der eine Reihe Verse zusam-
mengeschlossen werden. Strophe ist nur überall da, wo noch die Einheit
empfunden wird. Ein Gedicht, das auch noch so sehr durch den Druck
die Strophen kennzeichnet, zerfällt doch in Verse, sobald das Ohr die Ein-
heit nicht mehr wahrnimmt. Darin stimme ich mit dem Verfasser überein.
Aber er scheint mir die Einheit zu selten noch zu empfinden. Er
lässt z. B. eine Strophe von 4 Versen mit 2 auf einander folgenden gleich-
artigen Reimpaaren in 2 Theile zerfallen. Erstens schlägt er dabei den Werth
der syntaktischen Einheit zu genug an, den er doch bei den Versen so sehr
berücksichtigt (s.o.). Er gibt pag. 260 nur zu, „dass diese ausnahmsweise
einen Ersatz bieten kann!" In Gedichten, wo der Stoff regelmässig zu Einheiten
von 4 Versen gruppirt ist, wird das Gefühl auch paarige Strophen empfinden.
Dazu kommt noch, dass in Gedichten, wo man neben und über der Vers-
einheit und der durch den Reim erzeugten Verbindung nach einer höhern
Zusammenfassung zu Einem strebt, wo das Gefühl das Gedicht noch in
grössere Massen zergliedern möchte, es zunächst wie von selbst 4 Verse
zusammenschliesst. Auch der Lateiner fasste 4 Asklepiadeen als eine Strophe
auf, obwohl die Verse sich vollkommen gleichen; er, weil er an den natur-
gemäss vierzeiligen (Sapph. und Alcaeisehen) Strophen sein Ohr an solche
Zusammenfassung gewöhnt halte. Aber auch wir, die wir durch den Reim
hinlänglich zu paarweiser Verbindung geschult sind, werden überall,
wo wir grössere Einheiten , als sie die Reimpaare geben , verbunden sehen
möchten, uns sogleich zur Zusammenschliessung von einem Paar solcher
Reimpaare aufgefordert halten, zumal wenn die syntaktische Einheit zur
Hülfe kommt. Eine Erwartung aber, dass die kleinen Massen noch einmal
zusammengeschlossen werden, wird bei Reimpaaren mit kurzen Versen
rege. Der Inhalt ist zu winzig, als dass das Gefühl schon einen Abschluss
machen könnte. Aus demselben Grunde machen wir wie von selbst aus 2
vierzeiligen Reim verschlingungen mit kurzen Versen eine Strophe von
8 Versen.
Nach dem Gesagten kann ich daher nicht mit dem Verfasser finden,
dass z B. in dem Goethe'schen Gedicht Epiphanias die Strophe zerfällt:
Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern,
Sie essen, sie trinken und bezahlen nicht gern,
Sie essen gern, sie trinken gern,
Sie essen, trinken und bezahlen nicht gern.
Erstens fordert der Inhalt Zusammenfassung beider Paare. Dann ist
das letzte Paar durch die Wiederholung und Variirung des 2. Verses so an
diesen geknotet, dass das Gefühl sich schwer zur Spaltung entschlösse.
Dazu kommt, dass man aber nach zwei so kurzen Versen keinen relativen
Abschluss eintreten lassen mag, man will erst noch mehr aufnehmen; und
so hält man zuerst nach dem 4. Vers inne. Erst nach der Aufnahme eines
gewissen Quantums sehnt man sich nach einer Pause. Hier kommt aller-
304 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
dings nichts Neues hinzu, aber der Inhalt wird durch die Variation wichtiger,
das Gefühl gefüllter. Bei langen Versen ist ein Reimunterschied nöthiger,
weil hier die Seele nach Aufnahme zweier Verse nicht nothwendig und von
selbst nach einer höhern Einheit strebt, sondern sich leichter genügen lässt.
Doch möchte auch hier schon syntaktische Vierzeilengruppirung parallele
Stropheneinheit unschwer veranlassen.
Das Gesagte gilt auch von den achtzeiligen Strophen nach der Ordnung
ababcdcd. Das Zerfallen in die beiden Theile ist auch hier nicht durchaus
nothwendig. Man kann sich sehr gut nach dem 2. b noch nicht hinlänglich
gesättigt fühlen , um schon Ruhe zu machen. Kommt syntaktische Einheit
zur Hülfe, so wird sogar die Trennung schwer, natürlich immer nur bei
kurzen Versen ; wenn man nicht eine zu kurzathmige Empfindung hat. Daher
ist mir die häufige Verwendung dieser Strophe bei Goethe nicht wunderbar.
Es sind wirkliche achtzeilige Strophen, keine Scheinstrophen. Wer möchte
den Goethe'schen Fischer zu vierzeiligen Massen gliedern! Ich glaube sogar,
dass der König in Thule sich leicht in 3 achtzeilige Strophen zerlegt hätte,
widerspräche nicht der Inhaltseinschnitt nach der jetzigen 3. Strophe zu
sehr der Verbindung. Die beiden ersten Strophen ist man sehr geneigt, als
Paare zu einer höhern Einheit verbunden zu betrachten und durch den Vor-
trag darzustellen. Wie nahe übrigens im Allgemeinen paarweise Verbin-
dung liegt, sieht man am griechischen Strophenbau, an der Gliederung der
Verse in Dipodien etc.
Manchmal hat der Verfasser übrigens Recht, wenn er achtzeilige Ver-
bindung nur für eine Scheinstrophe hält. So geht das Goethe'sche Gedicht :
„an Lima," (nicht „an Laura, wie 274 steht), nach dem Schema abbacddc
gebaut, auch meinem Gefühl nach aus einander.
In §. 9 folgt zunächst eine feine Auseinandersetzung über die verschie-
denen Verslängen und ihr Verhältniss zur Strophe. Dann werden mehrere
Strophen analysirt und characterisirt ; italienische, französische, spanische,
selbst orientalische Formen. In diesem Abschnitt wünschte ich Manches
als unpraktisch und spielend weggelassen, oder wenigstens, wenn der Ver-
fasser den Vorwurf der Unvollständigkeit fürchtete, hätte er energischer
vor zu künstlichen Systemen warnen müssen, weil die Aufmerksamkeit in
ihnen zu sehr auf das Nebensächliche, das ja nur zum Schmuck des we-
sentlichen Gedankens da ist, abgelenkt wird. Sogar Ghaselen, Makamen,
Decimen und vieles noch Künstlichere hätte ich nicht der praktischen Ein-
übung werth gehalten.
Neben manchem Einzelnen möchte ich also, um schliesslich das Ge-
sagte zusammenzufassen, in der Auswahl der zu bearbeitenden Stoße noch
grössere Berücksichtigung des allgemein Interessanten und Bilden-
den wünschen, Aufstellung des möglichst Musterhaften, und sei's auch
nur in Noten , Fortlassung oder Beschränkung des blos Spielenden , Ge-
künstelten, das der kosmopolitische Sinn der Romantiker unsrer Sprache
aufgezwängt hat. In dem theoretisch -metrischen Theü ist Manches wieder-
holt, in der Prosodie die Darstellung stellenweise zu empirisch, und nicht
auf die letzten Gesichtspunkte zurückgeführt. Die Theorie der Strophe
sieht zu sehr auf die äussern Reimunterschiede , und lässt sie Einwirkung
der Inhaltseinheit und das unmittelbare Streben des Gefühls nach paarweiser
Verbindung kleinerer Massen zu höherer Einheit zu unberücksichtigt. Die
Analyse der antiken Strophen ist nicht naturgemäss.
Uebrigens empfehle ich das Buch mit aller Wärme, als ein gründlich
durchdachtes, auf langausgedehnter Forschung und reifem Urtheil beruhendes,
das sich ebenso durch die Reichhaltigkeit, wie durch praktische Ordnung
des Materials auszeichnet, und namentlich durch seine Grundtendenz, wovon
am Anfang der Recension die Rede war, sehr einnimmt. Höhere Lehran-
stalten werden es mit grossem Nutzen für die Bildung des Geschmacks und
ästhetischen Urtheils benutzen. — Berlin. Dr- E. Laas.
ßeurtheilungen und kurze Anzeigen. 305
Lehrbuch der Französischen Sprache. I. Cursus oder
Elementar - Grammatik, von Dr. Carl Plötz. Berlin. 1860.
Dieses neue Schulbuch von dem Verfasser der französischen Lehr-
bücher verdankt seine Entstehung der Verordnung vom C. üctober 1S59,
nach welcher der französische Unterricht, wie auf den Gymnasien schon
lange Zeit, in der Quinta beginnen sollte. Der erste Cursus oder
Elementarbuch, welches bisher den Anfang des französischen Unterrichts
leitete, soll nun durch diese Elementar -Grammatik für den Unterricht auf
Gymnasien und Realschulen ersetzt werden. Beide Bücher schliessen ein-
ander aus und sind nach einem andern Plane gearbeitet. Die Grammatik
ist offenbar für vorgerücktere Schüler und besonders solche bestimmt, welche
bereits Latein zu lernen angefangen, was in Preussen bekanntlich auf dieser
Stufe auch in den Realschulen schon geschehen ist. Eine übersichtliche
systematische Elementargrammatik geht dem methodischen Theil voraus, wie
dies auch in der letzten Ausgabe des zweiten Cursus oiler der vollständigen
Schulgramina lik angeordnet ist, damit, wie billig, der Schüler sogleich die
methodisch eingelernten Sprachelemente nach dem grammatischen Schema
geordnet übersehen kann. Im Anfange ist für die Einübung der echt fran-
zösischen Laute mehr gegeben als in dem Elementarbuch; erst in Lection 4
gelangt man zu Uebersetzungsstücken. Alle diese im Buche gestellten
Liebungsaufgaben setzen im Allgemeinen einen reiferen und geschulten
Geist beim Schüler voraus. Der Stoff" der Beispiele ist der durch das Ele-
mentarbuch bereits bewährte auch hier geblieben, Geschichte, Geographie
und Verhältnisse des täglichen Lebens. Die Materie ist auf die beiden
Classen, für die es bestimmt ist, sehr praktisch vertheilt. Der Cursus für
Quinta (halbjährig) enthält in 60 Lectionen die Regeln über die Aussprache,
avoir und etre, die Hauptformen der ersten Conjugation, article, defini und
inde'fini, Zahlen, adjeetifs possessifs und demonstratifs, interrogatifs. Der
für Quarta, die Formenbildung der regelmässigen Verben, pronoms per-
sonnels, demonstratifs, relatifs, article, den unregelmässigen Plural und die
gebräuchlichsten unregelmässigen Verben ; im dritten Theil folgt eine Samm-
lung französischer Lesestücke zum Uebersetzen und Auswendiglernen. Nach
Absolvirung dieses Pensums geht der Schüler, wohl vorbereitet, zum zweiten
Cursus über. Wir könnten zur Empfehlung dieses Buches nichts hinzu-
setzen, was nicht schon in jedes Schulmannes Kenntniss wäre. Wir wünschen
ihm einen guten Erfolg und empfehlen es besonders den Anstalten , welche
ihr Französisch auf der fünften Stufe beginnen und bereits eine Classe
vorher Latein angefangen haben.
Dessau. Dr. O. Weiss.
Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Alterthumskunde.
Herausgegeben von Fr. Pfeiffer. 5. Jahrgang. 1. Heft.
Wien 1860.
Ueber Walther von der Vogelweide. Von Franz Pfeiffer.
Der Herausgeber eröffnet den 5. Jahrgang seiner Zeitschrift mit einer
eingehenden Untersuchung über Walther's Heimat und Geschlecht, der er
Erklärungen seiner Lieder folgen lässt. Nach Erwähnung der mannigfachen
Vermuthungen über Walther's Heimat, und eine Burg Vogelweide, die man
bald in der Schweiz und in Böhmen, bald in Baiern, Oestreich und Franken
gesucht hat, und die es doch ohne Zweifel nie gegeben hat, kommt er durch
einfache Erklärung von 2 Stellen in Walther's Liedern (32, 14 und 84, 14)
zu dem Resultat, dass Walther kein Oestreicher sein könne, sondern ein
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 20
306 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Franke sein müsse. Er nennt den fränkischen Adel „unser Fürsten,"
er ist in der Hauptstadt des Frankenlandes, in Würzburg, gestorben und
begraben ; der dort befindliche Leichenstein mit der Inschrift ist bekanntlich
nur von VV. Grimm (Z. f. d. A. I, 30) angezweifelt worden. Im Anfange
des 14. Jahrhunderts gab es in Würzburg einen Hof „zur Vogelweide" (S.
Reuss Skizze S. 7). „Mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit darf man
annehmen, dass Walther einst jenen Hof bewohnt und sein Leben dort be-
schlossen habe, und dass der Hof deshalb von ihm den Zunamen empfangen
habe, wie das Haus zu Basel von Konrad von Würzburg, und so gewiss
noch viele andere." Dadurch erhält denn auch das schöne Lied 124 „Owe
war sint verswunden alliu miniu jär!" seine volle Bedeutung. Nach langer
Abwesenheit ist er als Greis in seine Heimat zurückgekehrt. — Der Hoftag,
dessen Walther 84,15 gedenkt, fällt in das Jahr 1224 und dadurch erhalten
die von Daffis in seiner hübschen kleinen Schrift (Berlin 1854) dargelegten
feinen und scharfsinnigen Untersuchungen, wonach Walther von 1220 bis
1224 Erzieher und Zuchtmeister des König Heinrichs VII. war, ihre volle
Bestätigung. Franken ist also die Heimat, Oestreich das Land, in
welchem Walther sein schönes Talent ausgebildet und zur vollen Reife ge-
bracht hat. Ueber Walther's Familie und Namen erfahren wir Alles, was
darüber gesagt werden kann, in einfacher und doch erschöpfender Darstel-
lung, gelegentlich auch über Heinrich von Veldecke's Namen ausreichende
Belehrung. Den Schluss dieser wichtigen Abhandlung bilden Besprechungen
einzelner Stellen, die dem Verständniss des Dichters, so wie überhaupt den
mittelalterlichen Studien, namentlich auch der Lexicographie erspriessliche
Dienste leisten. Es könnte meiner unmassgeblichen Meinung nach Walther's
Gedichten nichts Besseres begegnen, als wenn Herr Pfeiffer eine neue Aus-
gabe derselben veranstaltete unter Benutzung und Aufnahme alles dessen,
was Andere, vorzüglich Lachmann, Gutes und Unantastbares zur Erklärung
des Dichters geleistet haben.
Beiträge zur Priamelliteratur. Als Nachtrag zu den von Moritz
Rodler bekannt gemachten Priameln (Germania III, 368) theilt Zingerle
vier Gedichte der Art aus der Wiltener Handschrift und aus Vintlers Tu-
gendblumen mit.
Zu den Nugae Curialium des Gualterus Maper. Felix Lieb-
recht zu Lüttich giebt einige Beiträge zu der Geschichte mehrerer in ge-
nannter Sammlung enthaltenen Sagen.
Das Grab und seine Länge. Von Reinh. Köhler in Weimar.
Einige Nachträge zu Liebrecht's Bemerkungen. Germania IV, 374.
Zur deutschen Liederdichtung. Von K. Bartsch. Zwei kleine
Lieder, von denen das eine die Herausgeber des Minnefrühlings, das andere
von der Hagen nach der Ansicht des Herausgebers übersehen haben.
Wuotan-Ziu. Von Zingerle. Der Verfasser vermuthet, dass in
dem Worte Züenz, womit in Utten, einem abgelegenen, an die wälschen
Marken anstossenden Thale, der Teufel bezeichnet wird, der Name Ziu
enthalten sei.
Ohne Schatten, ohne Seele. Der Mythus von Körperschatten und
vom Schattengeist. Von E. L. Rochholz. Der Verfasser stellt nach seiner
reflectirenden Weise und seiner Belesenheit ein umfangreiches und mannig-
faltiges Bild zusammen von Allem, was er in Volksanschauungen und lite-
rarischen Ueberlieferungen über seinen Gegenstand vorgefunden hat.
B eurtheilungen und kurze Anzeigen. 307
Der Zauberer Virgil. Von K. Bartsch. Bemerkung zu Germania
IV, 237, dass die älteste Fassung des dort herausgegebenen Gedichts sich
in einer Erzählung der Cukasaptati finde. S. Benfey's Pentschatantra I, 456.
Morgend als Adjectiv. Von Vernaleken.. Beispiele über mor-
gend, das sich erst im 16. Jahrhundert findet. Der Behauptung „Unsere
Zeitgenossen sagen fast alle: der morgige Tag, und finden das ganz in
der Ordnung," kann ich wenigstens nach Leetüre und Erfahrung nicht
beistimmen. —
Einiges über silete. Von Reinh. Bechstein. Der Verfasser
nimmt mit Mone gegen Hase und L. Bechstein an, dass dieser Zuruf an das
Publicum gerichtet sei und bei Scenenwechsel eine Pause bezeichnen solle.
Eine weitere Ausführung behält er sich vor.
Adler und Löwe. Von Zingerle. Zu Walther von der Vogel-
weide 12, 24 werden einige Beispiele von des aren tugent, des lewen kraft
beigebracht.
Das goldene Hörn. Zingerle theilt aus der Wiltener Handschrift
ein Gedicht aus dem Sagenkreise des Königs Artus mit, welches irriger
Weise Konrad von Würzburg zugeschrieben wird. Es besteht aus 9 zwölf-
zeiligen Strophen und behandelt die bekannte Episode von dem Zauberhorn
(hier aus Elfenbein mit goldenen Buchstaben), wobei auffallender Weise die
stehende, Figur des Truchsessen Kei fehlt. Vergl. das franz. Gedicht „Le
Lai du corne" bei F. Wolf: Ueber die Lais, Sequenzen und Leiche, p.327
und meine kleine Schrift: Ueber den Ritter Kei, Truchsess des
Königs Artus. Obiges Gedicht ist ohne Zweifel spätem Ursprungs. —
Abor und das Meerweib. Von K. Bartsch. Ueber Anordnung
eines schon von J. Grimm in Haupts Zeitschrift f. D. A. V, p. 6 bekannt
gemachten Bruchstücks eines älteren Gedichts.
Eigennamen aus Tirol. Zingerle zählt eine Reihe von tyrolischen
Ortsnamen auf, die auf alte Sagen oder alte Gebräuche hinweisen.
Recensionen. Etmüller: Orendel und Brida, eine Rune des deutschen
Heidenthums, recensirt durch K. Bartsch. — Choice - Notes from „Notes
and Queries." Folk - Lore - London 1859, rec. von Felix Liebrecht.
Vernaleken: Mythen und Bräuche des Volkes in Oestreich 1859.
Schönhuth: Aus der Oberpfalz 1859. A. Stöber: Elsässisches Volks-
büchlein. 2. Aufl. 1859, rec. von Zingerle.
Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Alterthumskunde.
Herausgegeben von Fr. Pfeiffer. 5. Jahrgang. 2. Heft.
Wien 1860.
Die deutschen Gedichte von St. Oswald. Von Karl Bartsch.
Eine specielle Untersuchung über das Alter der beiden deutschen Gedichte,
welche die Legende vom heil. Oswald behandeln. Nachdem die Ansichten
Ettmüller's, Wackernagel's , Zingerle's , Gödeke's, Mone's und Schmeller's
mitgetheilt siud, suchte der Verfasser aus Reimen und aus Wörtern darzu-
thun, dass die Gedichte gar wohl dem 14. oder 15. Jahrhundert angehören
20*
308 ßeurtheilungen und kurze Anzeigen.
können, dass aber auch der Annahme , sie seien Umarbeitungen alterer Ge-
dichte des 12. Jahrhunderts, nichts im Wege stehe. Für das zweite Gedicht
ist der Nachweis der niederrheinTschen Elemente von Wichtigkeit, ebenso
für die ganze Sage die genaue Vergleichung der beiden Gedichte und der
zuerst von Schmeller bekannt gemachten prosaischen Erzählung.
Ohne Schatten, ohne Seele. Von Rochholz. 2. Abhandlung:
Der Schattengeist. Der den Menschen als Schatten begleitende Schutz-
geist wird nach deutschem Volksglauben ihm bei der Geburt beigegeben,
er verlässt ihn im Tode. Der Schatten ist also von Wichtigkeit und es ist
nicht mit ihm zu spielen. Schattenraub und Schattenkauf wird an mancherlei
Beispielen nachgewiesen. Der Aufsatz , dessen mannigfaltiger Inhalt nicht
auszugsweise gegeben werden kann , schliesst mit Peter Schlemihl und einer
allgemeinen mythologisch- philosophischen Reflexion.
Diu wende. Von Franz Pfeiffer. Zum richtigen Verständniss des
Verses im Nibelungenliede 1280, 4, L. werden aus dem Alt- und Mittelhoch-
deutschen Beispiele zusammengestellt und manche derselben erklärt Diu
wende, conversio ist synonym mit ende. Die vier wende sind nicht sowohl
die vier Himmelsgegenden nach heutigen Begriffen, als vielmehr die vier
Enden der Welt. Der Vers in dem Nibelungenliede bedeutet also: sie
zogen ihre Pfeile mit kräftiger Hand bis dorthin, wo sie aufhörten, endigten,
bis an's Ende, wie Simrock ganz richtig übersetzt I at, d. h. sie gaben ihrem
Bogen die grösstmögliche Spannung." —
Meistergesänge des 15. Jahrhunderts. Von A. Holtzmann.
Vergl. Germania III, 307. Zum Theil aus dem Kolmarer, zum Theil aus
einer Heidelberger Handschrift abgedruckt. Gedichte von Peter Zwinger,
Meffrid und dem Lieber.
Zur Germania des Tacitus. Von Zingerle. Zu Tacit. Germ. 19
wird hinsichtlich der schweren Strafe des Ehebruchs bei den alten Deutschen
auf eine Stelle in einem Briefe des Bischofs Bonifacius an Ethelbald, König
der Angeln, hingewiesen und dieselbe mitgetheilt.
Der Spruch der Todten an die Lebenden. Von Reinh. Köhler.
Die bekannte Anrede der Todten an die Lebendigen bei Freidank:
Daz ir da sit, daz wäre wir;
daz wir nü sin, daz werdet ir.
wird hier in der deutschen, wie in fremden Literaturen nachgewiesen.
Recensionen. R. v. Lilienkron. Düringische Chronik des Joh.
Rothe, rec. von Fedor Bech; Feifalik's Ausgabe der Kindheit Jesu,
rec. von K. Bartsch.
Berlin. Dr. Sachse.
Leitfaden zur Geschichte der deutschen Literatur
von H. Kurz. Leipzig 1860.
Man fragt füglich bei einem neuerscheinenden Buch nach seinem Zweck.
Welche Klasse von Personen soll es und zu welchem Nutzen brauchen?
Der Verf. des Leitfadens will selbst denjenigen Lehrern, die nach
seiner Literaturgeschichte vortragen, die zeitraubenden Dictate sparen. Auf
Beurtheilu ngen und kurze Anzeigen. 309
Schüler scheint er also berechnet. Eigentlich soll er aber wohl für Stu-
denten sein. Wenigstens spricht der Verf. (Vorwort IV) von den Anfor-
derungen, die an einen Leitfaden zu stellen sind, der Studirenden in die
Hände gegeben wird — mit Beziehung auf den seinigen. Dass diese aber
das rechte Publikum sind, an das der Verf. sich richten konnte, bezweifle
ich. Studenten werden sich beim Vortrag die nöthigen Bemerkungen von
selber machen; es ist also so wenig ein Leitfaden nötbig, als Dictat statt-
findet. Ausserdem wird sich ein Universitätslehrer nicht so genau an Kurz's
Literaturgeschichte binden, dass der Leitfaden von den Zuhörern praktisch
verwandt werden könnte. Die Hauptsache ist aber, dass man Studirenden
für gewöhnlich so viel Selbsttätigkeit zutraut, dass sie das Nöthige kurz
notiren. Erwartet doch der Verf. selbst von seinen Lesern, dass sie die
vom Lehrer mitgetheilten Urtheile und Notizen anfügen (a. a. O. IV). So
gut sie das können, darf man ihnen auch jenes zumuthen.
Ich möchte daher den Leitfaden von den Universitäten nach Gymnasien
und Realschulen verweisen. Genügt er da aber?
Der Lehrer verlangt bei Repetitionen gewisse Thatsachen mit Bestimmt-
heit. Da er den Schülern im Ganzen nicht den richtigen Tact für Auf-
findung des Wichtigen zutrauen kann, dictirt er, wenn er sich nicht auf ein
brauchbares Compendium verlassen kann. Da der Lehrer abfragt, ist das
Kriterium des Notwendigen hier nicht so subjectiv wie bei Studirenden;
es muss also bestimmt bezeichnet werden. Trägt nun ein Lehrer nach der
Kurz'schen Literaturgeschichte vor, so hat er gewiss an einem parallel ge-
henden, praktisch angelegten Leitfaden das beste Mittel, schnell anzugeben,
was nothwendig gewusst werden muss.
Praktisch angelegt ist der Leitfaden aber nur dann, wenn er in allen
Theilen den Standpunkt seiner Leser festhält.
Der Verf. hat's nun für „unerlässlich" gehalten, sein grösseres Werk
durch das kleine insofern zu vervollständigen, als er „die Quellen und Hülfs-
mittel sowohl für die längeren Perioden als für kleinere Abschnitte der
Literatargeschichte, so wie für die einzelnen Schriftsteller in möglichst voll-
ständiger Weise mittheilt." „Eine möglichst- reiche Auswahl von biogra-
phischen Notizen zu geben, war," sagt er, „für einzelne Weiterstrebende
nöthig." Es war unnöthig. weil unpraktisch, für den Standpunkt, auf den
wir das Buch zu seinem Besten verweisen möchten ; — auf Gymnasien ist
ein Weitergehen unthunlich; — aber es war auch unnöthig für Studirende.
Man kann doch im Allgemeinen sagen, dass literarhistorische Vorlesungen
auf Universitäten nicht aus gelehrten Gründen gehört werden. Es kommt
den Meisten wenig auf Einzelheiten und genaue Quellenangabe an, sie wollen
nur einen anregenden Ueberblick über die Fortschritte der nationalen Li-
teratur. Wenn man diesen Dilettantismus tadelt, so bedenke man, dass
nicht überall bis in's gelehrte Detail gegangen werden kann und dass auch
eine geistvolle Uebersicht fruchtbar wirkt auf die Bildung des Geistes und
Herzens. Vor Allem aber erkenne man das Factum an, so tadelnswerth es
gelehrterseits ist.
Jedoch: „Einzelne streben weiter." Für diese ist nur schon gesorgt.
Beschäftigen sie sich wissenschaftlich mit dem Gegenstand, so können sie
Gödeke's Grundriss schon auf den nächsten Wegen nicht entbehren. Da
Kurz diesem nichts Wichtiges hinzugefügt hat, ist er selbst entbehrlich, ob-
wohl ich nicht leugne, dass man eine Zeitlang mit ihm auskommen wird.
Gödeke gibt aber die Materialien zu weiterer Forschung sehr vollständig .
und Kurz's Urtheil, dass er hätte etwas Besseres leisten können (Bl. für
lit. Unterhaltung 1858, 169 — 71), wenn es ihn auch wahrscheinlich zu der
unpraktischen Belastung des Leitfadens durch Quellenangaben und sonstige
Notizen verführt hat, muss füglich auf sich beruhen.
Zu dem U eberflüssigen, das der Verf. in das Buch gebracht hat, ge-
hört die erdrückende Menge von Namen und Lebensnachrichten der unbe-
310 Beur theilungen und kurze Anzeigen.
deutendsten Schriftsteller. Was soll man in einem Leitfaden von 281 Seiten
mit ca. 1500 Schriftstellern und Notizen aus ihrem Leben! Dergleichen ver-
drängt ja jeden wirklich bildenden und leitenden Inhalt. Das Buch soll do<h
für Lernende sein! Was glaubt man diesen zu leisten, wenn man sie In
eine Fluth von Namen stürzt. Die Sperlinge verdunkeln ja die Adler. —
Mag man auf Universitäten oder Gymnasien vor Anfängern, — die allein
brauchen einen Leitfaden — Literaturgeschichte vortragen, so wird der Zweck
zunächst nicht ein gelehrter sein. Man will auf die Hauptmomente der
Entwicklung hinweisen, dafür das Interesse der Seele gewinnen. In grossen
Zügen wird man daher die Epochen des Wachsens und Fallens zeichnen,
mit hervorragenden, klassischen Geistern sich eingehend beschäftigen, an
ihnen Herz und Geschmack zu bilden suchen, das Geringere schnell durch-
eilen, das Unbedeutende lassen. In den Heroen wird man die Zeit an-
schauen und die niedrigeren Geister nur als Staffage gebrauchen. .
Was sollen denn die vielen Namen und Zahlen, die in Keines Kopf
sitzen, aber von Papier zu Papier geschrieben werden — voller Druckfehler!
Man verstattet ihnen in gelehrten Sammelwerken einen Platz, damit sie dort
der Forscher bei Gelegenheit genau finde: aber wozu soll ein Leitfaden
Alles aufnehmen, blos weil es war und nicht allein deshalb, weil es wichtig
ist zur Bildung und Aufklärung! Muss nicht das zu viele Material den
Schüler verwirren? Auch findet kein Lehrer Zeit vor Anfängern, und solche
unterrichtet er allein, von Aal, Abele, Abschatz, Achenwall, Ackermann, vom
Agesabök, von dem Geistlichen Alberus aus dem 12. Jahrhundert, von Albrecht
von Halberstadt etc. viel Worte zu machen ; am Besten schweigt er von ihnen,
wenn es ihm nicht nur auf Vollständigkeit der Aufzählung des Dagewesenen
ankommt. Ich glaube daher, dass der Verfasser in späteren Bearbeitungen
ein Drittel der Namen ganz nützlich streichen wird. Er gewinnt dadurch
zugleich Raum für Wichtigeres. Erspriesslicher ist es doch, dass der Schüler
erfahre, was denn in den bedeutenderen Werken jeder Zeit stehe, was jene
Zeit an ihnen gehabt hat, was sie in der culturhistorischen Entwicklung ge-
leistet haben, als dass er die Seiten mit Dutzenden von Nullen gefüllt sieht.
Am Meisten kann der Verf. in der neusten Zeit streichen. Es verschlägt
Nichts, von gewissen Dichterlingen Nichts zu erfahren.
Wozu ist es ferner nöthig, von Fichte z. B. zu sprechen, wenn man
neben 5 Reihen Lebensnachrichten nur erfährt: „Einflussreich auf die Aus-
bildung der Philosophie und durch dieselbe auf die übrigen Wissenschaften,
so wie auf die Poesie (Romantiker)," dann noch die. Titel der Hauptwerke
liest nebst den verschiedenen Ausgaben seiner Werke? Wenn man nicht
Platz hat, seinen Einfluss auf die Literatur näher zu characterisiren (und
man hätte ihn , fehlten viele Namen und auch hier die Lebensnachrichten,
die man füglich der Geschichte der Philosophie überlassen dürfte, und die
Büchertitel), so lasse man ihn weg. Was lernt man aus dem Gesagten?
Bei Kant steht neben Büchertiteln und Lebensnotizen die einzige Be-
merkung: Begründer der deutschen Philosophie, aber auch des philosophischen
Jargon.
Kurz der Verfasser hat eine Liebhaberei, jeden Namen, der sonst in
Literaturgeschichten vorkommt, wenigstens zu nennen. Er verbraucht den
Platz, der anzuwenden war für kurze, aber belehrende Hinweisungen auf
den Geistesinhalt der Hauptschriften und auf ihre Bedeutung für Förde-
rung oder Depravation des Geschmacks.
In frühern Perioden gibt er dankenswerthe Inhaltsangaben bei den
bedeutenderen Werken. Wenn er diese Gewohnheit noch ausdehnt, und
den gelehrten Ballast fortwirft, wird das Buch nützlicher sein. Man glaubt
heut freilich häufig, durch Aufspeicherung aller möglichen, äusseren Notizen
zu belehren; aber man sollte Leitfäden wenigstens damit verschonen. Sehe
der Verfasser, ob er praktischere Ansichten über Unterrichtsbücher zu den
seinigen machen kann. Suche er sich zu beschränken, verständig das wirk-
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 311
lieh in der deutschen Literaturgeschichte Leitende auszuwählen. Gedanken
bereichern, Namen in U eberzahl verwirren; sie bleiben ein notwendiges
Uebel. °
Es bleibt ihm für neue Bearbeitung nach Wegschneidung der unnützen
Schösslinge ein ganz gesunder Kern. Man findet die Hauptschriften nicht
blos angeführt, es wird der Inhalt, auch wohl seine zeitliche Genesis an-
gegeben, eine das Absprechen der Schüler verständig vermeidende Werth-
abschätzung hinzugefügt.
Jedoch muss der Stil, namentlich in den Beurtheilungen mehr durch-
gearbeitet werden, indem die jetzt gewählten Prädikate häufig zu abgenutzt
sind, zu nichtssagend und allgemein. Sie müssen möglichst individuell und
treffend sein.
Liegt dem Verfasser etwas daran, so will ich ihm an der Behandlung
Goethe's das Mangelhafte zeigen.
S. 244 b wird gesagt: die Leipziger Zeit wurde für G. dadurch einfluss-
reich, dass er begann, seine Erlebnisse poetisch zu gestalten. Der Haupt-
punkt entgeht den Schülern, wenn nicht „seine Erlebnisse" gesperrt gedruckt
wird. Zugleich würde ich, um nicht in dem abstracten Gedanken zu
bleiben, auf die concreten Beispiele hinweisen, also in Parenthese: Laune
des Verliebten, die Mitschuldigen, Breitkopfsche Lieder.
Anstatt nachher zusagen, dass Herder ihn „mit seinen belebenden Ideen
über Poesie" bekannt machte, war es fasslicher und instruetiver zu sagen,
dass diese Ideen von dem Dichter verlangten zu schaffen aus dem „Noth-
drang" eigner Empfindung, dass er aufhören müsse, in gemachten Gefühlen
zu tändeln. Wenn hierdurch jedes wirklich Empfundene Berechtigung er-
hielt, begreift man zugleich, wie diese Theorie zur Schrankenlosigkeit führte,
zum Ungestüm eigner Leidenschaft. (Auch bei Herder ist davon viel zu
unbestimmt gesprochen.)
Was „volksthümliches Element" sei, war scharf und für Schüler fasslich,
vielleicht am Gegensatz, zu definiren.
AVenn der Verf. sagt, Goethe stellte sich als Versöhner von Natur
und Kunst zwischen die Geniemänner und Lesssing — so hat doch
auch Lessing die Stichworte der- 7oer Jahre: Natur und Shakespeare laut
gesprochen. Jene sind nur die extremen Weiterbildner seiner Lehre.
Das Wort lebensvoll würde ich nicht auf jeder Seite gebrauchen (244.
5. 6.) : der Verfasser mag sich Etwas dabei denken ; für den Leser ist es
zu abgenutzt, um Inhalt zu haben.
Die Idee der Weltliteratur sollte man anstatt auf Goethe's westöstlichen
Divan auf Herder zurückführen, den kosmopolitischen Vorläufer der Ro-
mantik.
Es heisst unter c: „Goethe ist ein durchaus objeetiver Dichter;" so sagt
jeder Tertianer, und das „durchaus" macht's nicht besser. Es war daher
richtig, eine Erklärung hinzuzufügen, wenn sie nur schärfer den Hauptgrund
hinstellte, als es die folgenden Worte des Verf. thun: „denn er schöpfte
alle seine Stoffe aus dem Leben, um sie dichterisch und künstlerisch zu ge-
stalten." Welcher von beiden Sätzen, der Hauptsatz oder sein Zweck, enthält
nun die wirklich gemeinte Erklärung? fragt der Schüler, zumal durch die
folgende Bemerkung: „Diese Richtung Goethe's wurde durch die Beschäf-
tigung mit der bildenden Kunst wesentlich gefördert," Alles zerrinnt, was
man halten zu können glaubte.
Schärfere Sätze über Objectivität gibt Lewes L. G. Buch II, Abschn. 2;
vergl. auch was Merek bei der Vergleichung zwischen Goethe und den Stol-
bergen in D. und W. bemerkt. Wurde daraus ein kurz zusammengedrängter
Satz gezogen, war die Sache mehr aufgeklärt.
Wenn neben Goethe's Vielseitigkeit hervorgehoben wird, dass es fast
keine Gattung der Poesie gäbe, in der G. nicht Grosses geschaffen, so be-
lehrt der Satz nicht gross. Solche Redensarten sind zu platt, und können
312 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
sieh mit geringen Abweichungen bei Jedem wiederholen. Was hat man also
davon zur Characterisirung eines bestimmten Schriftstellers? Dass Prädikate,
die mit Schärfe die Individualität der Sache treffen, mich über ihr beson-
deres Wesen aufklären, nicht leicht zu finden sind, will ich zugeben; aber
sie allein sind belehrend, für Schüler bildend, und ein gutes Schulbuch zu
machen, muss auch nicht das Leichteste sein.
Alles, was über die Lyrik gesagt ist, leidet an der allgemeinen Phra-
senhaftigkeit. Dass Goethe's Hymnen „zu den vollendetsten Schöpfungen
der lyrischen Poesie gehören," diese Mittheilung wird Niemand weiser machen.
Wenn Kurz unter f sagt: „Als epischer Dichter entwickelte Goethe
die grösste Mannigfaltigkeit; er hat beinah alle Gattungen behandelt, manche
nur in einzelnen Gedichten, immer aber meisterhaft!" so ist 1) das Adjectiv
meisterhaft wenig meisterhaft für einen instruetiven Lehrer und füglich
den Zeitungen zu überlassen, und 2) scheint der Verfasser ein zu grosses
Gewicht darauf zu legen, dass möglichst viele Gattungen aus der Aesthetik
in den gesammelten Werken eines Dichters aufgeführt sich vorfinden. Unter
c war das im Allgemeinen lobend erwähnt, unter d steht's bei der Lyrik,
hier beim Epos. Der Verf. misst zu sehr nach der Elle, gerade wie er
s-elbst die Vortrefflichkeit seines Buches in die Fülle des Stoffs, der Namen
zu setzen schien.
„Unübertrefflich ist er in der Ballade" ist für mich ein vollkommen
todter Satz. Er lehrt Nichts über das, was die Goethe'scbe Ballade eigent-
lich innerlich von andern scheidet, sondern ex weist nur, wie der Verf. es
in seinen Urtheilen liebt, die Stellung in einer Reihe an, die Jeder nach
seinem Geschmack anders ordnet.
Dass G. die Balladen volksthümlich behandelt hat, wird richtig sein,
wenn nur dem Schüler gleich klar wäre, was das heisst.
Auch die Behauptung, dass G. in Hermann und Dorothea einen höchst
einfachen Stoff „zu wahrhaft epischem Leben" „entfaltet" habe , ist viel zu
vage, allgemein und unbestimmt.
S. 24G heisst's von Tasso und Iphigenie: „Während er in jener „das
innere Leben hervorkehrt, d. h. plastisch veranschaulicht" (nun wird's be-
griffen!), „wird es in T. in beinah lyrischer Weise dargestellt. Daher liegt
ihm auch nicht eigentlich eine Handlung zu Grunde." Meine Absicht ist
nicht sowohl das Falsche, als das Unpraktische, zu zeigen; ich frage bloss,
was der Benutzer des Buchs bei der beinahe lyrischen Weise sich denken
soll, mit welcher das innere Leben im Tasso, anders als in der Iphigenie,
dargestellt wird. Der Gegensatz ist schwimmend , unfassbar. — Das Wort
„plastisch" spielt übrigens eine ebenso grosse Rolle, wie lebensvoll und die
Angabe der Höhe, die die Producte in einer gewissen Reihe einnehmen.
In Werther's Leiden wird „jjrossartige (nichtssagend!) Anlage und Aus-
führung" bemerkt; aber „die höchste Bedeutung liegt in der Darstellung
und Sprache, die bei all ihrem poetischen Schwung doch von höchster Klar-
heit und Reinheit ist." (Und weiter nichts? Nichts von der taumelhaften
Wirkung auf die Zeit!?) In den Wahlverwandschaften ist „die Haltung zu
dogmatisch."
Ich breche ab. Was ich nachweisen wollte , wird für den einsichtigen
Pädagogen klar sein , dass nämlich die von dem Verf. zur Characterisirung
gebrauchten Prädikate theils nichts über das innere Wesen aussagen, sondern
die Producte nach allgemeinsten Werthbestimmungen abschätzen, theils
unklar sind, theils alles Inhalts mangeln. Bei nochmaliger Durcharbeitung
wird er also, will er praktisch verfahren,, und auf Gymnasialschüler wirksam
sein, (denn der gelehrte Zweck ist überflüssig) , eine Menge äußerlicher No-
tizen und unbedeutender Namen weglassen, die Inhaltsangaben, das Beste
am Buch, ausdehnen, die Urtheile prägnanter, individueller, frischgeprägter
machen müssen.
Berlin. Dr. Laas.
Be urtheilungen und kurze Anzeigen. 313
Friedrich der Grosse und sein Verhältniss zur Entwick-
lung des deutschen Geisteslebens. Von K. Biedermann.
Braun schweig, 1859.
In der vorliegenden kleinen Schrift hat sich der Verfasser die inter-
essante und dankbare Aufgabe gestellt, darzulegen, wie sich Friedrich der
Grosse der geistigen Thätigkeit Deutschlands gegenüber verhielt und welche
Einflüsse dieselbe von ihm erfahren hat. Die hauptsächlichsten Gesichts-
punkte, von denen aus dieser Gegenstand betrachtet werden konnte, boten
die Wissenschaft überhaupt und namentlich die deutsche Literatur dar. Da
nun die letztere bekanntlich Friedrich dem Grossen unmittelbar nichts zu
verdanken hat, ja da derselbe nur mit Verachtung auf sie herabsah, so sucht
der Verf. zunächst die Gründe dieser Stellung des Monarchen darzulegen,
die er sowohl in dessen eigenthümlicher Erziehung als auch in dem Zu-
stande der Literatur selbst und in den Persönlichkeiten ihrer Vertreter, so-
weit Friedrich sie kennen lernte, findet. Wir finden hier im Allgemeinen die-
selben Gedanken weiter ausgeführt, wie sie von Gervinns (Gesch. der deutschen
Dichtung IV, S. 209 ff.) in der Kürze angedeutet worden sind. Indem nun
der Verf. auf die positive Seite des Einflusses Friedrichs auf das deutsche
Geistesleben übergeht, giebt er zu, dass weder die eigne literarische Thä-
ligkeit des grossen Königs, noch das, was er für den Unterricht in Schulen
und Universitäten gethan, für die Förderung geistiger Bildung nennens-
werthe Bedeutung gehabt; den eigentlichen Kern des erwähnten Einflusses
findet er einmal darin, dass Friedrich der geistigen Thätigkeit und ihrer
Entwicklung keine hemmenden Schranken entgegengestellt, und wo solche
vorhanden waren, sie zum grossen Theil beseitigt habe, andrerseits dass die
Freisinnigkeit seiner eignen Denkweise auch die geistige Freiheit seines
Volkes und der übrigen Deutschen gehoben, endlich dass seine Helden-
thaten ein nationales Gefühl hervorgerufen uud gekräftigt haben. Wenn man
auch in der vorliegenden Schrift neue Gedanken und eine neue geistreiche
Weise, den schon von anderen öfter berührten Gegenstand zu behandeln,
nicht gerade findet, und wenn auch der Gegenstand selbst keinesweges er-
schöpfend behandelt ist, da doch jedenfalls auch die politische Stellung des
Volkes und das gesellschaftliche Leben manches nicht unwichtige zur Er-
örterung der Frage geliefert haben würde , so ist das Büchlein jedenfalls
anziehend genug, um aufmerksam gelesen zu werden.
Berlin. Dr. Büchsenschütz.
Niemeyer, Dr. E., Abriss der deutschen Metrik. Crefeld, 1860.
Nachdem jetzt durch die Regulative eine strenge Beseitigung aller
Dictate in den Realschulen angeordnet ist, tritt die entschiedene Nothwen-
digkeit heraus , ein Handbuch der deutschen Metrik unter die Schulbücher
aufzunehmen. Zum Verständniss eines Gedichts gehört das Verständniss
seines Metrums, und dies kann dem Schüler nur durch eine systematische
Behandlung der Metrik verschafft werden Auf den Gymnasien hilft die
lateinische Prosodie dem deutschen Unterrichte aus; auf den Realschulen
muss dagegen die deutsche Metrik einen gesicherten Platz bekommen. Als
Grundlage hierzu empfiehlt sich der vorliegende Abriss der Metrik von
Niemeyer. Das Buch zerfällt in vier Abschnitte, welche auf 55 Seiten
die Versmessung, den Gleichklang, die Versmasse und den Strophenbau
behandeln.
Die Darstellung der beiden ersten Abschnitte knüpft der Verf.
314 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
an die historische Entwicklung der deutschen Metrik und belebt dadurch
den Stoff in einer glücklichen und zweckmässigen Weise. Die Entwicklung
selbst ist kurz und klar, sie beschränkt sich auf das Noth wendigste, giebt
aber dies in voller Verständlichkeit. Ein kürzeres und schärferes Urtheil
hätten wir über die Assonanz p. 1 2 gewünscht , die eigentlich nur der ro-
mantischen Schule angehört und jetzt als undeutsch längst beseitigt ist.
Der dritte Abschnitt entwickelt die hauptsächlichsten Versmasse,
das trochäische, jambische, daktylische und anapästische, durchweg in Bei-
spielen mit kurzer Characteristik. Das Beispiel, welches die Anmerkung
p. 21 bringt, ist nicht glücklich gewählt: seinem Tonfall nach ist es nicht
als Siebenfüssler, sondern als achtf üssiger katalektischer Trochäus zu fassen.
Pag. 20 hätte bemerkt werden können , dass der vierfüssige Trochäus das
Metrum des spanischen Dramas ist.
In dem vierten Abschnitte von der Strophe hat der Verf. sich etwas
zu streng auf die alcäische und sapphische Strophe beschränkt ; einige klop-
stockische Masse konnten noch hinzugefügt werden, da der Lehrer deren
bedarf. Dann folgen mit richtiger Auswahl die Terzine, die Stanze und
das Sonett.
Den Schluss des Buches bilden eine Reihe metrischer Aufgaben: in
Prosa aufgelöste Gedichte, welche durch leichte Umstellung wieder in Verse
verwandelt werden können. Für den ersten Bedarf reichen diese Aufgaben
vollständig aus; für die weitere Anwendung bietet die jetzt erschienene
Poetik von Viehoff eine reiche Auswahl solcher Aufgaben. —
Zu loben ist an dem Niemeyer'schen Buche die Sicherheit, mit welcher
der Verfasser durchweg seinen Stoff beherrscht, und der pädagogische Takt,
mit welchem er die Hauptmomente herauszuheben und zu gruppiren weiss,
vor allem aber verdient die gewissenhafte, sorgfältige Durcharbeitung des
Werks rühmende Anerkennung. Wir wünschen dem Buche eine recht weite
Verbreitung -und empfehlen seine Einführung in Schulen auf das Ange-
legentlichste.
Fragments du Faust de Goethe, traduits en vers par le
Prince de Polignac, et en prose par Guillaume Braun-
hard, docteur en philosophie , professeur au Gymnase
d'Arnstadt. Arnstadt, 1860.
Die Arbeit enthält nach einer kurzen Einleitung den Goethe'schen Text
von drei Bruchstücken des Faust mit nebengedruckter poetischer Ueber-
setzung des Fürsten Polignac und prosaischer Uebersetzung des Verfassers,
nämlich: I. Dialog des Faust und Wagner von: „Verzeiht, ich hör' euch
deklamiren" bis: „Als festlich hoher Gruss dem Morgen zugebracht."
II. Monolog Faust's: „In jedem Kleide werd' ich wohl die Pein" bis: „der
Tod erwünscht, das Leben mir verhasst." III. Die Worte Faust's zu Gret-
chen: „Wer darf sagen: Ich glaub' an Gott?" bis: „Warum nicht ich in
der meinen?" In einem Nachtrage folgen sodann die schwierigsten Stellen
noch einmal in der Uebersetzung von ßlaze, die der Verfasser erst während
des Druckes erhalten hat. In der Einleitung erklärt Herr Br., dass er seine
Arbeit ganz selbstständig, d. h. ohne eine französische Uebersetzung zu
kennen, verfasst habe, und dass ihm erst nachträglich die Polignac'sche
Uebertragung zugekommen sei. Die Berechtigung einer möglichst wortge-
treuen und darum prosaischen Uebersetzung neben den bereits vorhandenen
poetischen wird man nicht bestreiten; ebenso wird wohl Jeder nach den
mitgetheilten Proben in das von dem Verfasser dem Fürsten Polignac ge-
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 315
spendete Lob einstimmen. Leider sind der aus der Blaze'schen Uebersetzung
mitget heilten Stellen zu wenige, um ein Urtheil über das Verhältniss beider
Uebersetzungen zu einander zu gewinnen. Die letztere scheint nur zum
Theile das poetische Gewand zu tragen und sich dem Originale enger an-
zuschliessen als die Polignuc'sche. A\ir wollen weiter unten dem Leser Ge-
legenheit geben, selbst zu vergleichen. Andere Uebersetzer, wie Gerard de
Nerval, Ary Scheffer, Goanod kennt der Verfasser nur aus der Vorrede
Arsene Houssaye's zu Polignac's Uebertragung. "Was nun seine eigene Arbeit
betrifft, so gestehen wir gern, dass er seine schwierige Aufgabe mit Glück
gelöst hat. Dass wir hier und da anderer Meinung sind, wird er uns nicht
verübeln. Hier und da scheint uns H. Br. ohne Noth von einer ganz wort-
getreuen Uebersetzung abgegangen zu sein, an andern Stellen wörtlicher
übersetzt zu haben, als es die französische Sprache zulässt ; an andern end-
lich stimmen wir mit der Auffassung des Sinnes nicht überein. Hier einige
Belege zu unserer Behauptung:
S. G. Wie soll man sie durch Ueberredung leiten? —
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Comment pourrait - on acquerir l'art de persuader? — Vous ne l'attra-
perez jamais, si vous ne le sentez pas , et que ca ne provienne dulbnd de
l'äme pour gagner par la plus violente Emotion, les coeurs de tous les au-
diteurs.
Das Göthe'sche es (ihr's) scheint mir ohne Umschreibung nicht wohl
übersetzbar. Le in Tattrapperez und le sentez wird jeder Franzose auf art
beziehen. „Mit urkräftigem Behagen" bezieht der Verfasser auf die Zu-
hörer, während es wohl auf den Redner geht. Wir schlagen vor: Comment
acquerir l'art de persuader? Vous ne l'acquerrez point (cet art), a moins
que vous ne sentiez ce que vous dites, et que vos paroles provenant du
fond de Täme, n'entrainent sans effort, mais irresistiblement, les coeurs de
tous les auditeurs.
S. 8. Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Est - ce donc que le parchemin est la sainte fontaine oü un trait de"sal-
tere la soif pour jamais?
Wir würden gesagt haben: „Le parchemin est-il donc" und bezweifeln,
dass desalte'rer la soif gebräuchlich ist. S. 9, V. Gl und 62 sind eine wahre
Crux für den Uebersetzer. Wir geben alle drei Uebersetzungen zur
Vergleichung.
Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen.
Braunhard :
Un pot ä ordures et une chambre poudreuse, ou tout au plus une piece
ä grand spectacle avec de süperbes maxiines de morale, telles qu'elles sieent
bien ä la bouc'.ie des marionnettes.
318 Beurtheilungcn und kurze Anzeigen.
Po lignac:
De sales oripeaux, de la pourpre en haillons,
Quelque panier rempli d'ordures et de chiffbns,
Sont les decors abjects de cette farce imnionde
Qu'on joue impudemment sur la scene du monde:
Grotesques sentiments, preceptes infantins,
Spectateurs idiots . . . theätre de pantins !
B 1 a z e :
L'n sac ä ordures, un vieux garde-meuble, ou tout au plus une parade
de carrefour, avec de belies maximes de morale, comme on en raet dans la
boucbe des marionettes.
S. 10. Allein die Welt! Des Menschen Herz und Geist!
Möcht' jeglicher doch was davon erkennen. —
Ja, was man so erkennen heisst!
Mais le monde! le coeur et l'esprit de l'homme! Que chacun en puisse
reconnaitre quelque chose! C'est justement ce qu'on appelle reconnaitre!
„Möcht' jeglicher" ist kein Wunschsatz; es fehlt auch das ! bei Goethe.
Wir übersetzen : Chacun en voudrait connaitre quelque chose, und fahren
fort: Ce qu'on appelle connaitre! Oder Connaitre et connaitre sont deux.
S. 11. Ach! die Erscheinung war so riesengross,
Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
H£las! Papparition dtait si gigantesque que je devais me croire un ve-
ritable nain.
Wir übersetzen: „pour que je me sentisse," da der Nachsatz nicht eine
Folge, sondern eine Absicht ausdrückt.
S. 13. Sein selbst genoss in Himmelsglanz —
qui vivais en moi - meme —
Warum nicht wörtlich: jouissait de moi- meme?
S. 13. Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heisst das Bess're Trug und Wahn.
Quand nous parvenons aux splendeurs de ce monde, tout ce qu'il y a
mieux s'appelle illusion et chimere.
Splendeurs setzte der Verfasser, wie er in einer Note erklärt, als aus-
drucksvoller und bezeichnender, obgleich in splendeur mehr äusserer Glanz,
Ehre, Ruhm und dergl. liegt als innere Güte. Unter dem Guten versteht
Goethe hier das Schauen, die Einsicht, Erkenntniss. — Wir verstehen die
Stelle so: Der Besitz irdischer Güter ist oft der Grund, dass der Mensch
das ideale Streben (das Bessere) aufgiebt, vergisst und verachtet. Splendeur,
welches wir übrigens mit biens, schon wegen des folgenden mieux vertauschen
würden, ist parce que, nicht quoique richtig.
Zum Schluss noch eine Stelle zur Vergleichung:
S. 19. Der selbst die Ahnung jeder Brust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
Die Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 317
Braun hard:
Ce jour qui par des tourments bizarres dnervera iuscm'au pressentiment
de chaque plaisir, qui sous mille fantömes paralysera les inspirations de rnon
coeur agite".
Polignac:
Qui va meme tarir la source
De nies divins pressentitnents ;
Ces fantömes cneris de ma poitrine emue,
Qu'empoi tent loin de moi mille petits tourments.
Blaze :
Qui meme, contre les pressentiments de toute joie, a d'opiniätres fle'aux,
et fait avorter, avec les mille grimaces de la vie, les crdations de ma poi-
trine ämue.
Bromberg. Weigand.
Programmenschau.
Ueber deutsche Orthographie. Von Oberlehrer Dr. Pfefferkorn.
Programm des Gymnasiums zu Neustettin. 1859.
Der Verfasser bat seine Abhandlung zunächst für die Scbüler der oberen
Klassen des dortigen Gymnasiums bestimmt, um bei der herrschenden Un-
sicherheit in der Orthographie ihnen ein Hilfsmittel der Belehrung zu bieten.
Dazu schien ihm aber nicht eine blosse Anführung empirisch zu befolgender
Regeln hinreichend, sondern eine Begründung derselben durch Zurückgehen
in die Vergangenheit der Sprache notlvwendig. Der Grundsatz ist gewiss
zu billigen, sowie nicht minder die Ansicht, sich soviel als möglich an den
herkömmlichen Gebrauch anzuschliessen. Wegen der massvollen Behandlung
der Sache verdient die Abhandlung des Herrn P. die Beachtung aller Leh-
rer; sie werden vielfach Uebereinstimmung mit dem Hannoverschen Regu-
lativ, sowie mit der Norm der Leipziger Lehrerconferenz, ohne dass diese
von dem Verf. erwähnt würde, bemerken, mitunter Abweichungen, deren
Gründe immer gut entwickelt sind.
Nach einer kurzen Uebersicht über die Geschichte der deutschen Sprache
spricht der Verf. von den drei orthographischen Gesetzen jeder Sprache:
Schreib' wie du sprichst, schreib' nach der Herkunft der Wörter, richte dich
nach dem herrschenden Gebrauch, die alle drei für die deutsche Sprache
gelten. Darnach folgen die einzelnen Regeln und zwar 1) von dem Ge-
brauche grosser Anfangsbuchstaben. Er zeigt sich hier gemässigt; in den
zu Adverbien gewordenen Substantiven in den Zusammensetzungen haus-
halten, stattfinden, statthaben, überhandnehmen, schreibt er auch in der
Trennung die Substantive mit kleinen Anfängsbuchstaben, ebenso: niemand,
jemand, nichts, der eine etc. '/) Schreibung der langen Vocale. Die Be-
zeichnung der Länge durch Quantitätsbezeichnungen (Vocalverdoppelung,
Einschiebung des e und i) will er bei den allgemein sich ihrer bedienenden
Wörtrern beibehalten, bei Schwankungen vermeiden (daher: Herd, Herde).
Die Entstehung der Dehnung des i durch nachgesetztes e, sowie der Vocale
überhaupt durch nachgesetztes h ist gut, klar auseinandergesetzt, daher die
Frage nach der Berechtigung leicht zu entscheiden; die Norm über die
Setzung des Dehnungs-e verdient Beifall. In der Beibehaltung des h na-
mentlich bei t ist der Verf. vielleicht zu conservativ, allerdings ist aber das
Auge an das th im Anlaute so gewöhnt, dass leicht au einer Aenderung An-
stoss genommen wird. Hierauf wendet er sich zur Konsonantenverdoppelung
nach kurzem Vocal, deren Geschichte zuerst mittheilend. Die aufgestellten
Regeln, hinsichtlich der Schreibung der Verbalformen die des Infinitivs, der
Nomina die des Genitivs oder Plurals bei hochtonigen Silben massgebend
anzusehen (daher kann, Mann, aber Königin, Kenntnis), in den Ableitungen
durch tieftonige Bildungssilben und in den Zusammensetzungen die Schrei-
bung der Stammwörter unverändert beizubehalten (Hemmnis, Hemmschuh, aber
Programinenschau. 319
herschen von her; dreimal wird derselbe Buchstabe nicht geschrieben, daher
Mittag, dennoch, Schiffahrt, helleuchtend), in Partikeln, Compositions- und
Flexionssilben die Verdoppelung auszulassen (un-, des, wes, mit wenigen
Ausnahmen wie dann), ferner wenn auf den kurzen Vocal in derselben Silbe
zwei oder mehrere Consonannten folgen, den ersten derselben nicht zu ver-
doppeln (-schaft, Amt, also auch nakt, Samt, Taft oder nacket, Sammet,
Tatfet zu schreiben, auch samt, Wams), bei Fremdwörtern sich nach der
Muttersprache zu richten (Perrücke, Adresse, Almosen; doch kommen Aus-
nahmen vor: Ball, Kaffe, Suppe, nett u. ä.) sind grösstenteils von Ruprecht
entlehnt; auch sie verdienen Einführung in den Schulgebrauch. Der letzte
Theil des Programms behandelt die Schreibung einzelner Buchstaben: 1) ä
und e. 2) äu und eu (nur Reude, zerbleuen zu schreiben), 3) ai und ei (der
Verf. behält Haide noch bei). 4) dt; die Entstehung dieser Verbindung
wird dem Schüler sehr deutlich gemacht; die Schreibung tot und töten wird
nicht leicht durchzuführen sein. 5) ph, f, v; der Verf. verlangt Sofa, will
aber noch Gustav festhalten. 6) g und eh. Der Verf. hält sich hier an den
Usus, doch in der Schreibung von adelig möchte demselben zuviel nachge-
geben sein. 7) c, k, ch, x; mit Recht wird die Schreibung Kurfürst und
Karfreitag verlangt. 8) Ueber die S-Laute. Die aufgestellten historischen
Regeln werden insoweit eingeschränkt, dass vom gewöhnlichen Gebrauche
nicht zu sehr abgewichen wird.
Diese Uebersicht des Inhalts wird genügen, um zu näherer Prüfung des
Gegebenen einzuladen.
Kern: Etymologische Versuche. Programm des Gymnasiums
zu Stuttgart. 1858.
Die Reihe beginnt mit Geist, abgeleitet von gähren; Gest in "Westfalen
= Hefe; altn. geysir = fons bulliens; dazu auch gern und begehren, sowie gar.
2) W erden und Werben. Werden = vertere; dazu auch Welt (werld),
-wart, -wärts, werben, Wirbel, vielleicht auch Werk. 3) Halde, Held, Hilde,
hold, Huld. Alle vom alten he.ldjan, neigen: Halde = geneigte Fläche,
Held — der seinen Feind Neigende, Hilde = die Handlung desselben, hold
= zu Boden geneigt, unterworfen, Huld = dessen Lage (huldigen).
4) Damm. Gl. Stammes mit zahm, Sa/unco, Sucöi. 5) Ergetzen, Causativuni
von vergessen. C) Thräne, Zähre. Beide sind identisch. 7) Sixchen. Diese
Betheurungsformel von der sächsischen Nationalwaffe Sachs (diese Etymol.
ist auch schon früher aufgestellt). 8) Schaar. Schaar als Anzahl und Schaar
am Pfluge ist dasselbe, von schaaren, = geschnittene, zugeschnittene Anzahl.
9) Degenmässig, ein schwäbisches Wort = gehorsam, von Degen = re'xvov
== Knecht. 10) Hag und Hof identisch (Hof sonst von haben abgeleitet),
wie gleicher Wechsel in Schlaf und Schlag, Ofen und ignis. 11) Bärig,
schwäbisch = kaum, von bar = hervorbringen, intrans. wachsen, daher bor
= übermässig; bärig war eigentlich ironisch gemeint. 12) Holz, Wald, sal-
tus identisch. 13) Placat vom mittellat. placare, dies aber vom deutschen
Placke, ausgestochenes Rasenstück, eig. ein Fläche hervorbringen, vgl. Blaoh-
feld. 14) Platz, a) = Kuchen, von placenta, nlaxöeig. b) = Ort, aus nlarve,
platea. 15) Tabula, von ia-, ravvco, rsiveo. 16) Per und Siä, Sid = Sig,
per zu nepäa). 17) Capelle, von dem getheilten Mantel des heil. Martinas.
18) Reprisalie. Warum wird das Wort Repressalie im Deutschen geschrieben,
da es doch von reprehendere kommt? Weil es Adelung falsch von repri-
mere ableitete. 19) Ridicule, reticule. Der Arbeitsbeutel heisst re"ticule.
20) Poltron, hängt nicht mit dem deutschen poltern zus., auch nicht mit
Polster, sondern ist = pollice truneus. 21) Scorzonera, die ital. Schwarz-
wurzel, von ex cortice, abgeschält. 22) Boule, Kegelkugel, nicht von bulla,
320 Programmenschau.
einer hohlen Kugel, bes. Wasserblase, bulla giebt franz. bouillir, bouillon etc.,
boule vom deutschen Ball. 23) Einsilbige Eigennamen auf — z. Diese Form
ist Deiuinutiv-Form; man weiss aber nicht immer, ob der ursprüngliche Na-
men einfach oder zusammengesetzt war, denn bei der Deminutivform wird
der 2. Theil der Zusammensetzung weggelassen, vgl. Fritz, Götz. Denzel
oder Denz kommt von Deinhard, Enslin oder Enz von Einhanl, Menzel oder
Menz von Meinhard, Renz von Reinhard, Wenz von Weinhard ; Deinhard
von Degenhard, Einhard von Eginhard, Meinhard von Maginhard, Reinhard
von Reginhard. - Lanz kommt von Lantfrid oder Eandfromm, Lutz von Lud-
wig, Butz von Burkhard, Ritz viell. von Ridbracht, Seiz von Seifried oder
Seibrand oder Siegebrecht, Lenz von Leonhard, Weiz aus Weikhard. Benz
von Bernhard. 24) Vermischtes über Eigennamen, a) Die Namen aus Hruod.
b) Rumelin. c) Kapf, Familiennamen, nicht aus Kopf, sondern chapf =
specula d) Namen auf — beck niedersächsich (Overbeck = jenseits des
Baches), e) Hornbostel von Bastei = Sebastian u. A. —
Das Epitheton ornans. Von Dr. H. Storch. Programm des
Gymnasiums zu Ratibor. 1858.
Der Gegenstand, um den es sich hier handelt, berührt die Poesie, selbst
die Prosa aller Völker, die genauere Kenntniss desselben trägt zur besseren
Würdigung des Gedankens, des Ausdrucks, des Schriftstellers bei; da der-
selbe in der vorliegenden Abhandlung scharfsinnig behandelt ist, so verdient
sie die Aufmerksamkeit der Leser des Archivs.
Der Verf. geht aus von der Erklärung der Nolhwendigkeit der sogen.
Figuren überhaupt für die poetische Darstellung. Zu ihnen gehört das Epi-
theton ornans. Es unterscheidet sich von anderen Attributen dadurch, dass
es nicht wie diese substantivische Artbegriffe auf Unterarten zurückführt,
dass es ganz auf die ästhetische, nicht logische Seite der Darstellung fällt;
auch da, wo es nach Becker den logischen Werth des Begriffs hervorheben
soll, belebt es nur durch Veraunschaulichung die Darstellung. Als Figur
unterscheidet sich aber das Epitheton ornans von der Synekdoche und Me-
tapher und ist zu definiren als eine Figur, welche der Darstellung dadurch
Anschaulichkeit verleiht, dass sie an dem Begriffe ein bedeutsames Merkmal
hervorhebt, durch welches unsere Imagination den Impuls erhält, das Bild
des Ganzen zu schaffen, mit einem Schlage, wie es vor der dichterischen
Anschauung stand. Aus dem Begriffe ergeben sich seine Eigenschaften:
1) Bedeutsamkeit des Epitheton ornans. Es ist nicht willkürlich gewählt
oder zu wählen, sondern ergibt sich aus dem Gedanken des Ganzen.
Wenn Klopstock singt: „Ach, in schweigender Nacht ging mir die Todten-
erscheinung, unsere Freunde, vorbei," so ist das Epitheton durch den
Gedanken bedingt, dass im geheimnissvollen Schweigen der Nacht, wenn
Dunkel alles Irdische verhüllt, die Seele von der Ahnung einer Geisterwelt
wunderbar berührt wird. Auch in Naturschilderungen dürfen die epitheta
ornantia nicht der Bedeutsamkeit, welche den Geist befriedigt, nicht der Be-
ziehung auf den Gedanken entbehren. Nach dem plastischen Charakter ihrer
Sprache waren die alten Dichter reicher daran als die neuern, vor allen Homer,
aber seine epitheta enthalten immer die Beziehung auf den Zusammenhang.
Von deutschen Dichtern zeichnet sich durch weisen Gebrauch der Epitheta
Herder aus. 2) Anschaulichkeit. Die rechten sinnlichen Epitheta haben wir
im Epos aufzusuchen, Homer leuchtet voran, ihm ist das Epitheton das wirk-
samste Mittel zur Veranschaulichung der menschlichen Gestalt, so weckt
der „Rufer im Streit Menelaos" gleich das Bild eines Helden mit gewölbter
Brust u. ä., die Klarheit des blonden Haares des Menelaos u. s. w. theilt
sich auch seinem ganzen körperlichen Bilde mit; durch die öftere Wiederkehr
Programmenschau. 321
aber werden die homerischen Epitheta eine feste sinnliche Grundlage für
das Charakterbild. Ihre vollkommene Wahrheit ist der Ausdruck der tiefen
Innigkeit des Naturgefühls des Dichters. Was im Besonderen die homeri-
schen Epitheta so sehr die Thätigkeit der Phantasie energisch erregen lässt,
ist diese ihre Eigenschaft, dass sie sich vorwiegend auf Erscheinungen des
Gesichtssinnes beziehen und gern die Dinge in Bewegung zeigen. 3) Nume-
rische Einheit. Wie Lessing treffend im Laokoon ausgeführt hat, gebraucht
der Dichter nur ein Attribut, weil bei Entwickelung der Handlung die aus-
führliche Schilderung körperlicher Gegenstande den Uörer unthätig verweilen
und Anhäufung der Epitheta, um daraus ein ganzes Bild zu erzeugen, die
Phantasie, gegen den Willen des Dichters, zu sehr anstrengen würde. Wenn
Homer ein Ding durch mehrere Epitheta malt, so sind dieselben doch der
Art, dass ein in sich harmonisches Bild dadurch leicht erzeugt wird. Die
Epitheta treten hinter das Substantivum, die Vorstellung des Dinges trägt
die Vorstellungen der Epitheta, deren enge Beziehung zu jenem dadurch,
dass sie die Flexion behalten, klar ist. Da die deutsche Sprache die Flexion
des nachgesetzten Adjectivs eingebüsst hat, so ist die Nachstellung nur dann
erlaubt, wenn die Beziehung leicht verständlich ist, wie in dem Goethe'schen :
„Im Kämmerlein, so nieder und klein, so rings bedeckt u. s. w.," natürlicher
macht man daraus einen relativen Nebensatz. Die masslose Anhäufung von
Epithetis in der indischen Poesie nöthigt uns zwar Bewunderung der Kunst
ab, gewährt aber keine ungetrübte Freude. Die Lyrik endlich kann ihrer
Natur nach eine Reihe von Epitheta, welche die Ruhe der Anschauung er-
fordern, nicht vertragen.
Das Fest der Sonnenwende. Von Dr. Witzschel. Progr. des
Gymn. zu Eisenach. 1858.
Die vorliegende Abhandlung ist ein schätzbarer Beitrag zu den vielen
Sammlungen der Märchen, Sagen und Sitten, welche die neueste Zeit uns
gebracht hat, eine fleissige Zusammenstellung der mannichlächen, aus heid-
nischer Zeit stammenden Gebräuche, welche sich an die Sonnenwende knüpfen.
Der Verf. berührt zuerst die vormals übliche Sitte, in der Nacht vor Jo-
hannis in Flüssen oder Quellen zu baden oder aus heilkräftigen Brunnen zu
trinken (S. 4). Dem Glauben an die besondere Kraft des Johannisbades
geht eine gewisse Scheu vor dem Elemente zur Seite, das Wasser verlangt
seine Opfer am Johannistage (S. 5). Den Wassorcultus fasst der Verf. als
Versöhnung für die dem Wassergeiste zugefügte Gewalt (S. 6). Weit ver-
breitet waren und sind die Johannisfeste (S. 7). Von dem üblichen Johan-
nisfeuer, an dessen Stelle Niederdeutschland die Osterfeuer kennt, kommen
zwei Formen vor: Feuerräder und Scheiterhaufen, jene besonders als Sim-
metsfeier in Baiern und Schwaben, aber auch in Frankreich, Spanien, slavi-
schen Ländern ; die mannichfachen Gebräuche an verschiedenen Orten zählt
der Verf. auf. Dem Feuer folgte ein Schmaus. Johannisbäume (S. 13) kom-
men noch vor, die wohl nicht von den Pfingstbäumen herrühren. Der man-
nichfachste Aberglaube knüpft sich noch jetzt an die. Kraft der Johannis-
nacht. Dass der Gott, der den Mittelpunkt dieser Gebräuche und Meinun-
gen bildet, Wuotan sei, ist höchst wahrscheinlich.
Ernst: Grundlinien zu einer Geschichte der deutschen National-
literatur. Alte und mittlere Zeit. Prog. des Gymnasiums
zu Güstrow. 1859.
Der Verfasser bemerkt, in dem Vorwort, dass der Kenner von Gervinus
einer Arbeit sogleich abmerken werde, wie sehr er ihm das Beste verdanke.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 21
322 Prograrumenschau.
Freilich ist das alsbald zu sehen, dabei aber darf man dreist dem Verf. zu-
gestehen, dass er ihn nicht excerpiert hat, er hat an ihm seine Studien ge-
macht und das dadurch gewonnene selbständige Urtheil ist ersichtlich. In-
dess der ganze Standpunkt von Gervinus, der Standpunkt der Räsonnements
ist dem Verf. geblieben, und wenn er nun an Gervinus auszusetzen hat,
dass seine Darstellung für die Schule nicht angemessen sei, so ist auch
seiner Behandlung derselbe Einwurf entgegenzuhalten, weil auch sie zu
wenig objectiv gehalten ist, zu wenig den Stoff' selbst als einen noch gänz-
lich unbekannten behandelt, zu sehr über ihn räsonniert. Der Verf. stellt
sich auf den Standpunkt, dass in der Geschichtserzählung ebensoviel von
dem Volke oder dem Publicum, für welches die Autoren arbeiteten, die
Rede sein müsse, als von den letzteren selbst, erst die Wechselwirkung
beider geben den Volksgeist , dessen Geschichte das Hauptinteresse in der
Literaturgeschichte ausmache. Dieser Standpunkt geht über den Kreis der
Schule hinaus ; die Schule hat sich an die Literatur anzuschliessen und soll
aus ihr erst die Zeit erkennen lernen. Jene Art und Weise wird den Ge-
genstand gewiss sehr anziehend behandeln können, und die kurze Arbeit
des Verf. bietet des Geistvollen Manches dar, sie setzt aber ein so gereiftes
Urtheil voraus, wie man es von dem Schüler nicht erwarten kann. Gerade
darum hat auch der Auszug aus Gervinus, weil das grössere Werk für Er-
wachsene und Kenner geschrieben ist, auf Schulen so wenig Eingang finden
können. In der Behandlung des Einzelnen bringt der Verf. manches Neue,
einiges Zweifelhafte vor, seine Anschauungs- und Anordnungsweise regt zum
Nachdenken an, und die Abhandlung verdient die Beachtung aller Fachge-
nossen; die Norddeutschen lernen in ihm einen sehr beredten Anwalt ihrer
Nationalität kennen. Entgangen ist dem Verf., dass dem König Heinrich VI.
die ihm gewöhnlich zugeschriebenen Lieder von Haupt im Berliner Index
abgesprochen sind.
Madiera: Vergleichende Charakteristik des Achilles aus der
Uiade und des Siegfried aus den Nibelungen. Progr. des
Gymn. zu Neusohl. 1858.
Das vorliegende Thema ist schon öfters behandelt. Der Verf. erklärt,
er habe mit seiner kurzen Arbeit nur beabsichtigt, den Schülern einige An-
deutungen zu geben, wie sie bei ähnlichen Themen etwa zu Werke gehen
könnten, zugleich aber auch zu zeigen, wie sehr man bei der Leetüre immer
auf das geistige Leben eines Volkes, das sich in der Literatur am treuesten
abspiegele, Rucksicht nehmen müsse. Dieser letztere Gesichtspunkt hat ihn
bewogen, einige allgemeine Sätze über Volksepos, aus den Schriften von
Grimm und Vilmar entlehnt, vorauszuschicken. Was die Charakteristik be-
trifft, so hebt er richtig als wesentliche Züge in beiden Helden einerseits
die Freundschaft, andererseits die Liebe hervor, übersieht aber das Verhält-
niss beider Helden zu den Königen; was das Uebrige betrifft, so sind die
Hauptmerkmale kurz angegeben, aber die Anordnung ist nicht so übersicht-
lich, dass sie den Schülern als Muster dienen könnte. —
lieber den Charakter Kriemhildens in dem Nibelungenliede und
der Nibelungennoth. Von Ed. Dressel. Einladungsschrift
zur Feier des Stiftungsfestes des Gymnasiums zu Coburg.
Coburg. 1857.
In dem Streite- über das Verhältnis der Handschriften A und C ver-
sichert der Verf., auf neutralem Boden zu stehen: er will aber aus der Cha-
Programmenschau. 323
rakterzeichnung Kriemhildens im zweiten Theile des Nibelungenliedes den
Nachweis liefern, dass in diesem engeren Gebiete sich C als die ursprüng-
lichere Redaction herausstelle. Die Handschrift A steht ganz auf Seiten
Hagens, C kann seine Abneigung nicht verbergen, A bricht über Kriemhilde
den Stab, C bewundert sie ob ihrer Treue und lässt sie nur durch das
Schicksal bis an ihr Ziel fast willenlos fortgetrieben werden. Aus der ge-
naueren Verfolgung der einzelnen Charakterzüge im Gedichte kommt der
Verf. nun zu dem Resultate, dass Kriemhilde, wie sie in C erscheint, in sich
einiger und der Mittelpunkt des Ganzen sei, dass dagegen in A verschiedene
störende Züge seien. Es sei die Darstellung in A allmählich aus der in C
entstanden; jene habe, um alle Schuld auf die Königin zu werfen, ihr mis-
liebige Strophen weggelassen, ungeschickte Aenderungen gemacht, ohne aber
in ihrer Unbehülflichkeit das alte Bild ganz verwischen zu können. Wenn
A der älteste Text gewesen, so müsste ein sonst schwerfälliger Ueberarbeiter
in C erst Harmonie in den Charakter gebracht haben, der Sammler in A
aber widersprechende Eigenschaften, Kunstgefübl und Geschmacklosigkeit,
in sich vereinigt haben. Aber selbst in A erscheint der Charakter Kriem-
hildens noch von einer solchen psychologischen Einheit und tritt uns eine
so stufenmässige Entwicklung entgegen, dass die Entstehung des Gedichts
selbst zu einer neuen Frage wird. Wenn sich ohne Ueberarbeitung die Ge-
sänge von zwanzig und mehr Dichtern zu einem Ganzen verbunden hätten,
konnte dies Ganze so wie aus Einem Guss erscheinen? Scheint nicht eher
in der Einheit der Idee und der kunstvollen Einflechtung von Episoden ein
genialer Dichter sich uns anzukündigen, der allerdings alte Volksgesänge
vorfand, benutzte und selbst in einer gewissen Ausdehnung in seinen Stoff
verwebte? — Dies die Ansicht des Verfassers ,die auf einer gründlicenh
und feinen Darlegung des Charakters Kriemhildens, wie er hier in A, dort
in B erscheint, beruht. Die Hauptfrage scheint aber damit immer nur neu
angeregt, noch nich abgeschlossen zu sein. Was der Verf. auch berührt,
dass nämlich in den nordischen Liedern der Charakter Kriemhildens so er-
scheint wie in A, dass daraus aber noch kein Schluss auf die Ursprünglich-
keit der Auffassung gemacht werden dürfe, so scheint zu schnell über diesen
für die Vergleichung hinreichend wichtigen Punkt hinweggegangen zu sein.
Es ist doch etwas anderes, wenn in den spätem Gedichten, wie im Rosen-
garten, Kriemhilde ebenfalls mordlu«tig erscheint; der Verf. sehliesst daraus,
dass deshalb überhaupt weder aus Früherem noch aus Späterem auf die ur-
sprüngliche Auffassung im Nibelungenliede geschlossen werden dürfe. Ab-
gesehen aber von dieser kritischen Frage ist die Abhandlung schon für die
genaue Kenntnis der bedeutendsten Person unsers alten Volksliedes durch
die höchst sorgfältige Aufmerksamkeit auf die kleinsten Charakterzüge sehr
lesenswerth.
Ueber die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Wei-
mar. Ein Beitrag zur Geschichte der Schulcomödie. Vom
Director Dr. Heiland. Progr. des Gymn. zu Weimar. 1858.
Wie der Titel anzeigt, handelt die vorliegende Abhandlung überhaupt
über die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Weimar, sie geht
demnach bis auf die Gegenwart fort, sie berührt auch die Inconvenienzen,
welche dem Gymnasium dadurch entstanden, dass Goethe für die Auffüh-
rungen im Hoftheater die Hilfe der Gymnasiasten, nämlich für den Chor,
damit die Statistenrollen durch wirklich nachdenkende Menschen vertreten
seien, in Anspruch nahm, vorzugsweise aber natürlich berührt sie die Zeit,
der eigentlichen Schulcomödie, zu deren Verständnis« der Verf. eine Ueber-
sicht über die Entwicklung der Schulcomödie vorausschickt. Schon dafür sind
die Freunde der deutschen Literaturgeschichte ihm zum-Dank verpflichtet, da er
21*
324 Program mensch au.
auch hiefür, wie für alles Folgende, den reichen, sonst wenig benutzten StofI,
der in Sehulprogranimen niedergelegt ist, mit grossem Fleiss vollkommen
übersichtlich zusammengestellt und dadurch noch die reichhaltigen Samm-
lungen Gödeke's vervollständigt hat. Er berührt hiebei auch schliesslich das,
was in alter und neuer Zeit für und gegen solche Aufführungen gesagt ist. Es
versteht sich von selbst, dass die Art und Weise, wie in alter Zeit sie be-
trieben wurden, nicht zu empfehlen ist. Der Redeactus der Gegenwart ist
etwas ganz anderes, gegen denselben wird wohl Niemand etwas einzuwenden
haben Die in neuester Zeit veranstalteten Reproductionen des antiken
Dramas finden auch wohl keine Gegner. Deutsche dramatische Auf-
führungen, meint der Verf., haben in neuerer Zeit wohl nur in Privatan-
stalten stattgefunden. Das ist ein Irrthum. Ref. erinnert an die Uebungen der
Schüler zu Lübeck, für welche Jacob die schonen Lübischen Spiele schrieb,
und wenn mit jenen Worten der Verf. es zu billigen scheint, dass die öffent-
lichen Schulen sich jetzt ganz der Aufführungen enthalten, so erlaubt sich
Ref. auf die Vorrede Jaeob's zu den Spielen hinzuweisen, die alles enthält,
was gegen die Allgemeinheit des verwerfenden Urtheils sich sagen lässt.
Es kommt eben auf eine Berücksichtigung der Verhältnisse auch hier an,
der Individualität der Schüler oder einer Schule, des Ortes, der Zeit. Die
Schillerfeier hat mancher Orten dramatische Schüleraufführungen gesehen;
gewiss an manchen Orten hat mau allen Nachtheil zu vermeiden gewusst
und sich von dem wirklich bildenden Element überzeugt.
Die Mittheilungen sodann über die dramatischen Aufführungen im Gym-
nasium zu Weimar (S. 6 fgg.) sind sehr werthvoll, da sie sich grösstentheils
auf ungedruckte Quellen stützen. Die Stoffe waren auch hier zuerst bibli-
sche. Die älteste Nachricht von 1565 erwähnt der Susanna; 1572 wurde der
verlorne Sohn aufgeführt. Der Verf. bespricht dann das Gregoriusfest und
ausführlicher die Christcomödien (S. 8 fgg.), in denen später Hans Pfriem
(S. 12 fg.) eine Rolle spielte; die letzte Nachricht über die Weimarische
Christcomödie ist von 1694. Zahlreiche Aufführungen zum Theil eigner
Schauspiele veranstaltete der gelehrte Rector Philipp Grossgebauer 1687 bis
1711 (S. 15 fgg), meist in fremden Sprachen. Die in einem Actus von 1688
auftretenden Musen sangen von den Schülern selbst gefertigte Verse, jede
in einer andern Weise : in genere Anapaestico, Scazontico, Phalaecio, Chori-
ambico, Glyconico, Sapphico, in Asclepiadeo cum Glyconico, in Jambico, in
Hipponactico; im 4. Akte traten die drei Hierarchien auf und lobten den
Landesherrn 1) in statu politico, 2) in statu ecclesiastico, 3) in statu oeco-
nomico. Das Thema dieser Actus war schon durch das Programm bezeich-
net; beliebt war das Thema von der Martinsgans; und so lud zu einem Actus
ad anserem Martinianum celebrandum 1C90 Grossgebauer durch eine Abhand-
lung de. anseribus britaunicis ein. Auch auf die noch gegenwärtig in Eng-
land üblichen dramatischen Aufführungen geht der Verf. ein. — Die Mit-
theilungen über die Weimarischen Spiele sind durch umfangreiche Parallelen
erläutert. —
Ueber Gebrauch und Auffassung der griechischen Götter in
Schillers Gedichten. Von Dr. W. Grosser. Progr. der
höhern Bürgerschule zum h. Geist in Breslau. 1858.
Die Forderung Herder's, dass die alte Mythologie als poetische Heuristik
studirt werden solle, um eine Quelle neuer poetischer Erfindungen zu wer-
den, hat, beginnt der Verf., kein deutscher Dichter besser erfüllt als Schiller.
Wie Schiller die Mythologie benutzt und aufgefasst hat, erhellt genau -erst
aus einer Scheidung seiner Gedichte nach den verschiedenen Perioden. In
der ersten tritt uns besonders der „Triumph der Liebe" entgegen. Der
Programm ensch au. 325
Dichter halt sich im Ganzen an die antiken Bilder, aber er malt manche
zarter aus als sie vom Altherthum uns überliefert sind, und lässt auch hier
schon aus dem mythischen Gewände die reinen Begriffe hervorleuchten. In
der 2. Periode beginnt erst ein eigentliches Studium der Alten, seine Phan-
tasie bereicherte sich mit einen Schatze von mythologischen Anschauungen,
deren schönste Frucht die „Götter Griechenlands" waren; neben my-
thisch-treuer Darstellung zeigt sich auch hier freie Erfindung. In dem Hym-
nus an die Freude tritt das Mythische fast ganz zurück. In den „Künst-
lern" haben alle mythischen Figuren einen ethischen Charakter. In der
Meisterperiode sind die Dichtungen anderer Art, hier haben sich Anschauung
und Reflexion, Symbol und Gedanke aufs innigste durchdrungen, die mytho-
logischen Personen sind Trager der tiefsten Ideen. Der Dichter schliefst
sieh enger au die Mythen an, aber die Götterwelt ist freier auf'gefasst. Man
denke nur an die Macht des Gesanges, den Spaziergang, Klage der Ceres,
Dithyrambe. Es treten aber auch schon statt der Figuren die reinen Be-
griffe auf, die Gestalt, der Wohllaut, das Gewissen, die Freiheit (Spaziergang,
Tanz). In den letzten Jahren, wo er sich fast ausschliesslich mit den grie-
chischen Dichtern beschäftigte, zeigt sich noch mehr Mannigfaltigkeit in der
Benutzung der Mythen, und so hatte er sich in die Fabelwelt hineingelebt,
dass auch in moderner Umgebung die alten lieben Gestalten auftauchen (die
Glocke, Maria Stuart). Der Dichter gebietet mit einer solchen Freiheit
über sie, dass sie, wie neu und zu einem edelern Dasein beseelt, eine Fülle
neuer grossartiger Vorstellungen ins Leben rufen, dass sie die Schöpfer einer
idealen Geisteswelt werden (Eleusisches Fest). So dürfen wir wohl mit Recht
sagen, dass Schiller nicht blos auf bewundernswerthe Weise sich die grie-
chische Mythologie angeeignet, sondern sie auch poetisch weitergebildet
hat. — Dies ist der Gang der Abhandlung. Mit Fleiss hat der Verf. seine
Beweisführung durchgeführt, die einzelnen Gedichte nach dieser Seite hin
näher betrachtet, Erläuterungen aus dem Briefwechsel mit Humboldt und
Körner beigefügt.
Shakspeare und unsere Schulen. Abh. des Dr. L. Bernhard.
Programm der Löbenicht'schen höheren Bürgerschule zu
Königsberg. 1858.
Der Verfasser vertheidigt in dieser Schrift die hier und da angefochtene
Ansicht, dass Shakspeare auf Schulen zu lesen sei. Wenn man nämlich
auf die Unsittlichkeiten in diesem Dichter hinweise, so sei zu entgegnen,
dass das Unsittliche bei ihm überall im Dienste höherer Zwecke stein', das
Laster, auch wo es bis ins Kleine ausgemalt werde, Abscheu gegen die
Sünde einflösse. Er sei aber weiter uns durchaus verwandt, er stehe nach
Gemüth und Ideengehalt wie nach seiner gesammten Weltanschauung mi( dem
deutschen Volke in inniger Berührung; er ferner schildere die menschlichen
Verhältnisse und Zustände wahr wie irgend ein Dichter; er sei der consequen-
teste Charaktermaler, weil er ein ächter Kenner des menschlichen Herzens ist :
seine Sprache erhaben und anmuthig zugleich und daher geeignet, der Darstel-
lungsweise des Schülers Schwung zuverleihen; wahres Gefühl von affectiertem
unterscheiden zu lernen, gebe kein Dichter bessere Anweisung. Aus allen
diesen Gründen müsse, schliesst der Verf., neben den vaterländischen Dich-
tern die Schule auch im deutschen Unterrichte mit Shakspeare bekann I
machen, natürlich mit Auswahl, die nationalenglischen Dramen z. B. setzen
zuviel Lebenserfahrung voraus, um von der Jugend verstanden zu werden,
am geeignetsten seien die römischen Dramen.
3-g Programmenschau.
Frau von Guiun, die Freundin Fenelons. Zur Geschichte der
christlichen Mystik. Progr. des Gyinn. zu Weimar. 1858.
Schon wegen der Beziehung der Frau von Guion zu zwei so bedeutenden
französisshen Schriftstellern, wie Fenelon und Bossuet, verdient eine literar-
historische Schrift über sie im Archiv erwähnt zu werden. Die vorliegende Ab-
handlung gibt uns mit Berücksicht gung alles dessen, was über sie geschrieben
ist, vorzüglich aber aus ihren eigenen Schriften eine die_ früheren an Ge-
nauigkeit und Ausführlichkeit überbietende Darstellung ihres äussern und
inneren Lebens. Sie macht, abgesehen von dem Werthe ihrer Schriften für
die Religionsgeschichte, auch auf den literarischen Vorzug derselben, auf
die Fülle treffender Gleichnisse in denselben aufmerksam. Wir heben aus
dem reichen Inhalt nur die Hauptpunkte hervor. Frau von Guion, ursprüng-
lich Jeanne Marie Bouvieres de la Mothe, wurde in vornehmem Stande am
13. April 1648 (nicht 1613) zu Montargis in Orleannais geboren. Ibre Natur
und mancherlei Leiden, denen sie sich zu entziehen für unrecht hielt, führten
sie früh zu einer beschaulichen Tiefe; bald galt sie in Frankreich als Ver-
treterin der quietistischen Richtung. Nun begannen aber dia Verfolgungen,
sie ward aller denkbaren Schande angeklagt und nach ihrer Rückkehr nach
Paris, ähnlich wie Lacombe, der Verbindung mit dem spanischen Quietisten
Moliuos beschuldigt; 1688 wurde sie zum ersten Male gefangen gesetzt; er-
dichtete Anklagen stellten jedoch die Reinheit ihres Wandels ins Licht. 1695
ward sie wiederum in Halt in Vincennes gebracht, ihre Sache geht jetzt in
den Streit zwischen Fenelon und Bossuet aus, Fenelon fühlte sich zu ihr hin-
gezogen. Als der Streit zwischen Fenelon und Bossuet zu Ende gekämpft
war, ward sie entlassen, aber für immer aus Paris entfernt, sie starb im
Kloster zu Blois 1717. — Ihre kleinste, aber für die Erkenntnis ihrer An-
sichten wichtigste Schrift heisst: Kurzes und leichtes Mittel zu beten. Der
Verfasser gibt eine ausführliche Analyse derselben; es erhellt daraus, dass,
wenn auch in ihr das Echte christlicher Mystik zum Ausdruck kommt, der
Gedanke nämlich, dass sie stets die Ursprünglichkeit und Notwendigkeit
der göttlichen Wirkung hervorhebt, gegen welche das, was der Mensch zur
Herstellung eines gottinnigen Denkens und Wollens herzubringt, lediglich
als ein Leiden erscheinen kann, sie doch selbst, wenn auch unbewusst, die
Grenze pantheistischer Irrthümer mehrfach übersprungen hat. Wie Bossuet
erkannte, verwechselte sie das Wandeln im Glauben mit dem Leben des
Schauens; sie stellt, und dadurch entfernt sie sich von den protestantischen
Mvstikern, das Verdienst Jesu Christi zu wenig in den Vordergrund, ihre
Gelassenheit gegen die Sünde, welche ihr in dem beschaulichen Zustande
wie von selbst zu unterliegen scheint, contrastiert mit dem evangelischen Ge-
bot eines ernsten männlichen Ringens mit derselben. Ihr Einfluss hat sich
übrigens über Frankreich hinaus nach dem Niederrhein und Westfalen er-
streckt; M. Göbel in seiner Geschichte der rheinisch -westfälischen Kirche
hat hierüber ausführlich gehandelt.
Herford. Hölscher.
M i s c e 1 I e n.
Fragments d'un Traite de versification francaise.
Vorbemerkung.
Herr Dr. Bernhard Schmitz hat mir die Ehre erwiesen , in seiner En-
cyklopädie des philologischen Studiums der neueren Sprachen i Greifswald
1859) S. 70 — 71 meiner Abhandlung im Osterprogramm der Bromberger
Realschule (1857): „De la Mesure des Syllabes" einige Zeilen zu widmen.
Ich werde mich schon darauf gefasst machen müssen, dassHerrDr Schmitz
beispielsweise auch die folgende Arbeit über den Reim langweilig findet, da
ich ihm auf der Bahn der kurzweiligen Behandlung wissenschaftlicher Ge-
genstände, die er mit so vielem Glücke beschreitet, nicht zu folgen vermag.
Wenn Herr Dr. Schmitz wünscht, dass ich aus meinem Buche über die fran-
zösische Metrik, „in dem der Rhythmus zum leitenden Princip gemacht
worden ist," statt der Mesure des Syllabes lieber die Lehre vom Rhythmus
selbst mitgetheilt hätte, so muss ich allerdings zugeben, dass aus jenem Ca-
pitel der Leser Nichts vom Rhythmus erfährt, aber zugleich bemerken, dass
dieser Wunsch innerhalb der engen Gränzen einer Programmabhandlung
nicht wohl zu erfüllen war, da das Material in den einzelnen Abschnitten
über die verschiedenen Versarten zerstreut ist. Herr Dr. Schmitz meint
ferner, dass ich das Buch von Quicherat nicht kenne; hätte er sich aber
nicht „abschrecken lassen", meine Abhandlung mit einiger Aufmerksamkeit
zu durchblättern, so würde er wenigstens gefunden haben, dass ich dasselbe
S. 2, 6, 8, 18 ausdrücklich citire.
Da die bruchstückweise Veröffentlichung meines Traite in der That die
Beuitheilung des Ganzen erschwert, so sei es mir an dieser Stelle zugleich
gestattet, mich mit einigen Worten über die Absicht, die mich bei meiner
Arbeit geleitet hat, auszusprechen — eine Auseinandersetzung, welche in die
Vorrede zum vollständigen Traite gehören würde. Ich habe dieselbe unter-
nommen, weil ich in dem Buche Quicherat's (Traite de versification francaise,
Paris 1850) — dem besten und ausführlichsten, welches ich kenne — ver-
schiedene Mängel bemerkte. Erstens vermisse ich in demselben eine durch-
greifende Systematik nach den logischen Grundsätzen der Partition und
Division. Zusammengehöriges ist aus einander gerissen, Wichtiges und Un-
wichtiges ist im Texte, in den Noten unter und hinter dem Texte unterein-
andergemischt. Man vergleiche z. B. das Capitel über den Reim mit der
folgenden Bearbeitung. Zweitens behandelt Quicherat den Rhythmus nur ganz
kurz und giebt über die Stelle des accent tonique keine erschöpfenden Regeln.
Ich habe dieselben im Anschluss an P. Ackermann, Traite de l'accent (Paris
1843) hinzugefügt, und den Rhythmus in der That zum leitenden Princip
des Buches gemacht, wodurch die Eintheilung des Ganzen und die Stellung
der einzelnen Theile wesentlich modificirt wird. Drittens hat Quicherat die
neuromantische Schule wenig berücksichtigt, und nur selten findet sich eine
3->8 Mise eilen.
Hinweisung auf die Dichter des neunzehnten Jahrhunderts. Ich habe auch
diese in den Kreis der Betrachtung gezogen und ihnen die Stelle angewiesen,
welche ihnen gebührt. Viertens citirt Quicherat nach Art der Franzosen
meist nur so: Com., Mol. etc.; ich setzte, so oft es mir möglich war, zu
meinem Citat auch das Stück, den Act und die Scene hinzu. So kann man
sich jeden Augenblick überzeugen, ob das Citat richtig ist; es ist auch kei-
nesweges gleichgültig, in welchem Stücke eines Dichters eine Licenz sich
findet. Sehr oft ist es wünschenswerth , zur Beurtheilung eines Citats das
Vorhergehende oder das Nachfolgende nachzulesen. Bei Quicherat's Art zu
citiren, muss man darauf verzichten. — Wie oft ich in einzelnen Punkten
Quicherat ergänze, wird eine Vergleichung beider Bücher lehren; mit welchem
Rechte i<'h in Einzelnheiten von ihm abweiche, muss ich der Beurtheilung
überlassen. Definitionen, Regeln und historische Notizen, deren Richtig-
keit mir kein Bedenken erregten, habe ich, wenn es der Zusammenhang er-
laubte, da ich einmal den Versuch gewagt, den Gegenstand französisch zu
behandeln, am besten wörtlich meinem Gewährsmanne zu entlehnen geglaubt.
II.
Chap. VI. De la Rime.
§. 44. Definition.
La rime que Madame de Stael appelle l'echo de la pensee, la princi-
palc difficulte et le charme supreme du vers, est le retour de la meine con-
sonnance ä la fin de deux ou de plusieurs vers.
A l'hospice un gueux tout perclus
Voit apparaitre son bon ange;
Gaiinent il lui dit: Ne faut plus
Que votre altesse se der ange. Berang., L'ange gardien.
Ce n'est point Tegalite des lettres, mais Fegalite des sons qui eonstitue
la rime. Ainsi jouissent ne rime pas avec repaissent, quoique les der-
nieres six lettres soient les meines.
§. 45. Rime masculine , feminine.
La rime est ou masculine ou feminine ; la premiere a lieu entre deux
syllabes qui ne contiennent pas d'e muet: bonte, sante; loisir, plaisir;
vertus, abattus. Les rimes feminines sont termine"es par e muet, ou es,
syllabe muette, ou ent, syllabe muette, terminaison plurielle de la troisieme
personnc du present. La rime porte alors sur la syllabe qui precede e muet,
c'est-ä-dire sur la penultieme: belle, rebelle; belles, rebelies; re-
vent, enlevent, desavouent, renouent.
Ce choix me desespere, et tous le desavouent;
La partie est rompue, et les dieux la renouent;
Rome semble vaineue, et, seul des trois Albains,
Curiace en mon sang n'a point trempe ses mains.
Com. Hör., IV, 4.
L'e (ent) muet des imparfaits et des conditionnels est absolument
sourd: ces terminaisons sont comptdes parmi les rimes masculines.
Pour un äne cnleve deux voleurs se battaient;
L'un voulait le garder, l'autre le voulait vendre.
Tandis que coups de poing trottaient,
Et que nos Champions songeaient ä se defendre.
La Font. Fabl. I, 13.
Miscellen. 329
§. 46. Riine riche, süffisante.
On dit la rime riche ou pleine, quand eile presente non seulement une
consonnance, mais encore tonte une articulation. l) La rime süffisante ou
commune ofl're une ressemblance de son, mais non d'articulation.
Rimcs riches: pere, prospere; vers, divers; paisible, visible;
enfant, triomphant. Rimes süffisantes: soupir, dcsir; usage, par-
tage; doux, nous.
§. 4 7. Histoire.
La rime qui consiste en une correspondance de sons, est essentiellement
faite pour l'oreille. Dans les premiers essais de la poesie franeaise, la rime,
quoique du reste bien incorrecte, etait toujours basee sur une conformite
de sons. Ce n'etait souvent qu'une simple assonance,2) c'est-ä-dire paritc
de la voyelle et du son, abstraction faite de l'articulation. Les poetes ne
se faisaient pas scrupule de torturer Ja desinence des mots places ä la fin
du vers, pour les forcer a rendre le son reclame par l'oreille.3) Au Xllle
siecle, l'assonance a deja fait place ä la rime proprement dite: quelques ter-
minaisons demandent meine une rime riche: plusieurs consonnes finales etant
devenues muettes, on en exige neanmoins la correspondance: on veut que
la rime satisfasse aussi l'ceil. La langue francaise subit suceessivement bien
des modifications dans ses formes, sa syntaxe, son orthographe, et aussi
dans sa prononciation. Quand cette derniere avait chanpe, on trouvait tres-
Commode de rimer et suivant la nouvelle prononciation et suivant l'ancienne
prononciation, c'est-a-dire de ne rimer souvent que pour l'ceil. Les poetes
du XVIe siecle etablirent la regle de la succession des rimes et poserent
en principe qu'une bonne rime ne doit pas seulement rimer pour l'oreille,
mais encore pour l'ceil. A quelques rimes pres qui sont devenues fausses
par la prononciation chungee , Ronsard et son ecole riment eomme on rime
aujourd'hui : mais pour rimer aussi pour l'ceil, ils transforment souvent les
desinenees des mots.'*) Malherbe a outre cette fausse maxime: ä Ten croire,
') Les anciens poetes appelaient rime le'onine (Fabri derive ce mot
du lion, la plus belle des bestes, Pasquier du poete Leonius ou Le-
oninus) la rime riche qui est fondee sur l'egalite de deux syllabes, par ex-
emple Denis, fenis. Rime leonine signifie aussi le Systeme de rimes uni-
formes suivi dans la plupart des romans de gestes. Les vers latins dits
leonins sont des vers dout le milieu est consonnant avec la fin.
2) Ces assonances, que les anciens appellent rime de göret ou de bou-
techouque, se trouvent par exemple dans le Poeme de Charlemagne, les
Enfans d'Ugier, Garin le Loherain. Voici une suite de rimes extraites de
la Chanson de Roland: Charles, message, masse, muables, Arabe,
marches, garde; de Garin le Loherain (Idel. Einleitungsband, II, p.271):
II ervis, dit, gentis, m oulins, pris, pis, oi, servi r , amis, peril, etc.
On s'est servi de ces rimes encore beaueoup plus tard dans les chansons
populaires, p. ex., dans celle citee par Moliere, le Misanthr. I, '2 :
Si le roi m'avait donne
Paris, sa grand' ville,
Et qu'il m'eüt fallu quitter
L'amour de ma mie, etc.
3) Exemples de la transformation de mots ä cause de la rime, puises
dans le Ille volume de Barbazan et Mdon: dclui (delai); «luol (duel. peine;;
liet (leve>, loit (lie, Joint), menoir (mineur), porces (portes), vallos
(valet).
') Exemples puisds dans les Oeuvres choisies de Ronsard (Paris 1841):
Heleine, pleine, leine p. 12; lours, discours p. 10; pourquoy,
330 Miscellen.
puissance et innocence, progres et attraits sont des rimes illegi-
times.5) Les poetes du siecle de Louis XIV se sont affranchis un peu des
regles trop scrupuleuses de Malherbe , mais ils ont conserve quelques rimes
fausses qui n'dtaient plus que des rimes pour Foeil, et que leurs successeurs
ont proscrites a juste titre. Au XVIIIe siecle, la rime fut neglig^e par
plusieurs poetes, notamment par Voltaire. De nos jours (De Castres, Chefs-
d'ceuvre, p. 21) on est revenu a la rime riebe, surtout dans la poesie ly-
rique, quelquefois aux ddpens de la rigueur du sens et de l'expression, mais
tout au moins au profit de rharmonie.
Les regles actuelles de la rime, qui resultent d'un amalgame de deux
systemes (celui de la rime pour l'ceil et celui de la rime pour l'oreille) sont
caprieieuses et incohdrentes. II faut les aeeepter telles qu'elles sont. Le
the"oricien n'a qu'a constater les faits ; il ne doit pas oser les changer. Ce
serait l'affaire de poetes eininents. Disons ce qui est, en notant, sous le
texte, ce qui a et6; puis nous dirons ce qui devrait etre.
Les genres simples, tels que la comeclie, l'^pitre badine, la fable, le
conte, la cbanson, ne demandent pas la meme rigueur dans les rimes que
les ouvrages d'un genre eleve. La trage"die, l'e"pitre serieuse, mais surtout
l'öpop^e et Tode, veulent des rimes tres-soigne'es.
De la partie principale.
§. 48. Rimes parfaites.
Nous distinguons trois parties dans la rime: 1° la partie principale, ou
la voyelle, 2° les lettres qui suivent la partie principale, 3° lee consonnes
qui prdeedent la partie principale dans la meme syllabe.
Le son de la lettre doit etre le meine; les lettres peuvent difleVer. II
y a des rimes qui ne sont que d'une lettre, commeNod, avoue, Boileau,
Sat. X.
1° Les memes lettres rirnent: France, naissance; iminortalitd,
bont£; Alhambrah, celebra. 2° Une voyelle rime avec une autre: Alex-
andre; cendre, Rac. Alex. I, 1 ; fa(;on, de*corum, La Font. Cont III, 2.
3° Une voyelle accentu^e rime aveo une voyelle non accentude: Zele,
d'elle Rac. Alex. I, 2; flamme, äme Ibid. I, 3; miserere, entoure"
Berang. Chant funer. 4° Deux voyelles accentu^es differemment riment en-
semble: diademes, memes Rac. Alex. II, 2. 5° Une voyelle rime avec
deux autres voyelles: etre, maitre Rac. Alex. II, 5; chemin, main Ibid.
II, 2; nötres, autres Ibid. III, 2; cbacun,jeun La Font. Fabl. IX, 18;
nus, n'eus Hug. Hern. I, ?. 6° Une voyelle rime avec trois autres voytlles :
mots, beaux Dorat. 2 (II Idel.). 7° Une couple de voyelles rime avec
une autre couple de voyelles: plaine, reine Rac. Alex III, 1. 8° Deux
voyelles riment avec trois voyelles: valeur, sceur Rac. Alex. I, 3. 9° Trois
voyelles riment avec trois voyelles: aecueil, coup d'ceil Volt. 2 (II Idel.).
§. 49. Rimes des syllabes longues avec les syllabes breves.
Les rimes suivantes qui ne satisfont pas completement l'oreille, doivent
etre censees le*gitim£es par l'usage frequent que les meilleurs poetes en fönt
danse p. 92:
>cous (secoue) vous p. 95; presens, vens (vents)
c<
^ps
5) Cotin bläme Boileau k cause de la
enne ddsapprouve les rimes pain et pin, vain et vin.
Miscellen. 331
1° Les ritnes d'une syllabe longue avec une syllabe breve:6) gräce,
fasse Com. Cinn. III, 3; passe, chasse Regn. D^mocr. I, 6; haine,
mienne Rac. Theb. IV, 1: äme, madame Id. Beren. III, 3; abime, op-
prime Id. Athal. IV, 3; chöme, homme La Font. Fabl. III, 9: hutte,
flute Berang. Roger Bonteinps; vite, quitte Delav. le Depart.
§. 50. Rimes des diphthongues avec les finales qui sont ecrites de raeme,
mais qui formen t deux syllabes.
2° On rime des accouplements de voyelles qui sont monosyllabes daus
Tun des deux mots et dissyllabes dans l'autre: injurieux, adieux Rac.
Be're'n. 1,4; complexions, repentirions Mol. le Misantbr. I, 2; liens,
ehr dtiens Volt. Alz. I, 1: oui, rejoui Lamart. Jocel. Par. 1851. p. 44.
§. 51. Rimes des sons simples avec les diphthongues.
3° On rime les sons simples avec les diphthongues. Ce6 rimes sont
rares dans Racine: vivre, suivre Com. Herael. II, 3; premiere, pere
Rac. Iphig. IV, 4; assidge, sacrilege Id. Athal. V, 2; essuie, ravie
Chdnier Ode de Klopstock; Sinai, oui Hug. Napol. II.
§. 52. Rimes d'e ferme avec e ouvert. Rimes des accouplements de
voyelles qui forment deux syllabes avec les sons simples.
Quoique les voyelles longues riment assez souvent avec les voyelles
breves; quoique les diphthongues riment bien avec les finales exrites de
indme et de meine consonnance, qui forment deux syllabes, et avec les sons
simples, la rime d'e ferme avec e ouvert n'est pas bonne, et les accou-
plements de voyelles qui forment deux syllabes, ne riment pas avec les sons
simples, p. e. sais ne rime pas avec essais; i-e, i-er, i-ee. i-on ne ri-
ment pas avec e, er, ee, on7).
§. 53- Rime normande.
Les rimes suivantes qui se trouvent encore dans les poetes du siecle
de Louis XIV, ne sont plus permises aujourd'hui :
1° La rime de la terminaison e r prononcee coinine e avec la m^me
terminaison prononcee comme aire. Teile est la rime d'enfer avec tri-
ompher Com. Polyeucte V, 38).
6) Les provencaux rimaient toujours tröne et couronne, etc. C'est
pourquoi cette rime s'appelle aussi rime provencale.
7) La rime de sais et essais (Com. le Ment, IV, 1») est blämde par
Voltaire. Racine a mis , mais dans une come'die: fait-on et exdcution,
les Plaid. I, 7. Voltaire öftre souvent de pareilles rimes, comme poisons
et facti ons, relevees par La Harpe.
8) On rimait ainsi ge'neralement jusqu'a la seconde moitie du XVIIe
siecle. Les anciens poetes ne rimant que pour l'oreille, il est probable qu'on
pronon^ait autrefois ou enfe et triomphe ou enfaire et triomphaire.
G^nin, qui, dans son ouvrage Des Variations du language fran9ais
depuis le Xlle siecle, entreprend de prouver que toutes les consonnes
finales dtaient muettes dans l'ancien francais, croit decouvrir les traces de
la prononciation premiere dans le dialecte Normand, ou l'on prononce en-
core, dit-il, la ine pour la mer, du fe pour du fer. Quicherat (p. 334 —
339) se ränge de son avis, en alldguant Manage et Port -Royal qui repetent
l'origine de' cette rime de~la mauvaise prononciation de la Normandie. Md-
nage dit expressdment que ces rimes s'appellent normand es. Burguy Gramm.
p. 207 au contraire, conclut de ces rimes que le r de l'iniinitif de la pre-
miere conjugaison ötait sonore au commencement. J'ai trouve trois pas-
332 Mise eilen.
§. 54. Oi et ai.
2° La rinie de la voyelle oi prononcee comme dans roi et prononce
comme ai: paraitre, cloitre Boileau, Kp. III. n)
sages, deux dans Corneille (dissimilier, en l'air Medee I, 5; l'air,
parier Le Ment. V, C), un dans Moliere (arracher, chair L'Etourdi
V, 14) qui semblent confirmer cette opinion: je voudrais bien pouvoir les
augmenter par un passage puise dans les auteurs du moyen äge. La ten-
dance generale ä faire taire les consonnes Hnales ne peut pas etre nie-
connue. Elle est conforme au genie de la langue; an Xllle, au XlVe et
au XVe siecle, beaueoup de consonnes etaient muettes qui ne le sont plus ;
l'orthographe demontre ce fait d'une maniere evidente (dus, ducs; Turs,
Turcs). Mais je n'ai trouve nulle part l'omission du r de Finfinitif de la
premiere conjugaison, et il est assez naturel de penser que ce r sonnait
autrefois, comme il sonne encore dans-ir, -oir, -re.
Dejä vers la fin du XVe siecle, l'auteur del'Au des sept daraes
appelle rime de göret, c'est-a-dire mauvaise rime celle de chauf'fer avec
f e r. II faut donc que la prononciation ait change pour les infinitifs. Mais
dans les adjeetifs (et les substantifs?) polysyllabes en ier on faisait encore
sonner, pendant quelque temps, la finale r. Oudin (Grammaire, 1642) dit
que, de son temps, altier, entier se prononcait comme fier, mer. (Com.
Nicom. IV, 4 rime heritier et fier; Rac. Mithrid. III, 1 fiers, foyers,
lbid IV, 6: premiers et fiers; Boil. Art poet: 111,133 altiers et fiers;
Id. Le Lutrin IV, 179: Garnier, hier). Du temps de Corneille, il n'y a
plus de doute sur le changement de la prononciation : car Menage critiquant
la rime de Malherbe vanter et Jupiter, Port -Royal parlant sur la rime
du meme poete philosopher et enfer, sur celle de Ronsard ab i mer et
mer, Mourgues, De Lacroix et plus tard Voltaire s'aecordent a declarer
ces rimes vicieuses, et disent qu'elles ne satisfont que l'oeil.
Aux exemples cites precedemment j'ajoute encore d'autres: pour Racine
et Boileau, la liste en est complete. Ronsard: arriver, hyver p. 148;
mer, ramer p. 159; coucher, eher p. 177. Cl. Marot: aimer, ainer
Eleg. IV. Corneille: ramer, mer La Mort II, 2; eher, bücher Ibid.
V, 1; toucher, eher Heracl. HI, 1; Polyeucte IV, 5. Racine: fier, as-
socier Bajaz. 11,1; eher, arracher Ibid. 11,3; eher, chercher Beren.
V, 6; toucher, eher Theo. V, 2; approcher, eher Phedr. III, 5; mar-
cher, eher lbid V, 1. Moliere: eclater, Jupiter Amphitr. III, 11;
eher, toucher Le dep. am. II, 3.
Au XVII le siecle, Voltaire comme t quelquefois lui-meme la faute qu'il
improuve dans les autres : fers, legers; leger, l'air. Au XIXe siecle,
A. de Lamartine et A. de Vigny sont les seuls, que je sache, qui se soient
permis des rimes normandes: mer, s'allumer Jocel. p. 142; renfermer,
mer p. 148; eher, toucher p. 232; nommer, mer La Fregate la .Se-
rieuse (Heirig la Fr. p. 563). Je ne vois pas pourquoi Seheier , editeur de
Lucrece par Ponsard dans la Bibliothcque de Schwalb, dit que ronger et
etranger (II, 2) fönt une rime vicieuse. La rime des verbes et des ad-
jeetifs est -eile defendue?
9) Le son o i correspond en latin ii un o - i , a u - i, p. e. dans T r o i e ,
joie (gaudium), oratoire, a un o, au ou u, p. e. dans voix, cloitre,
noix, a un e, i, p. e. dans j'aimois, j'aimerois (-ebam, habebam) lo i , soit,
a un ae, oe, p. e. dans proie, foin (praeda, foenum). Dans les anciens
textes, oi provenant d'un e ou d'un i est souvent remplace par ai, ci.
Quicherat p. 339 — 354 täche de prouver 1° que oi a represente, des
le commencement, deux sons differents oi (oua) et ai, 2° qu'on n'a jamais
prononce en oi les imparfaits et les conditionnels, 3° que les mots fran^ais
Miscellen. 333
§. 55. Eu et u; ai et a; oi et o; a et e; ou et o-, oeu et ou.
Les riines suivantes qui e'taient bonnes autrefois, ne le sont plus, la
prononciation etant changee. Teiles sont erneute, dispute La Font.
de"rives d'un mot latin ayant un o a sa desinence, ont 6te prononces d'abord
avec o , plus tard avec o i , 4U que les mots qui ont un e ou un i dans le
latin se sont prononees d'abord par ai , mais qu'au XVIe sieele, pdriode de
la fixation de la prononciation, on a change pour un grand noinbre de mots
ai en oi, et qu'on y a ete pou^se par l'influence presque irresistible des textes
imprimes (il n'y avait pas de raison pour que roi ne sonnät pas coraine
gloire). Ce resultat de sa longue note est peu satisfaisant. II est bien
invraisemblable que le meine signe orthographique, propre a ridiöme francais,
ait ete destine pour deux sons tout- a-fait diflerents : il est difficile de croire
que la langue ait souft'ert, jusqu'ä ce degre, la tyrannie des textes im-
primes. Quant aux imparfaits et aux conditionnels, le temoignage de Henri
Estienne, invoque par Quicherat lui-meme, fournit une preuve sans rä-
plique que de son temps le peuple prononeait j'aimo-is, puisqu'il attribue
aux Romipetes, comme on les appelait, la prononciation j'aimais qu'il ridi-
culise en eerivant j'aimes. Par complaisance pour Messieurs les Italiens
qui, avec Catherine de Medicis, vinrent a la cour de France et qui ne pou-
vaient prononcer o-i, les courtisans cbangerent oi en ai. Port -Royal (1663)
enseigne dejii positivement la prononciation moderne. En proötant des
idees de Fallot (Recherches sur les fonnes grammaticales , etc. Paris, 1839)
Burguy a montre que le son oi remplacant e ou i est aussi organique, aussi
ancien que le son ai, et qu'il appartient aux dialectes de Picardie et de
Bourgogne, ses correspondants etant ei ou e dans la Normandie , ai en
Touraine. Les exemples que Quicherat cite pour preuve de son assertion,
sont tous pris dans des livres normands (Chanson de Roland, Chronique
des ducs de Normandie, Roman de Rou, Chroniques anglo-normandes).
De nos jours, le dialeete de Touraine l'a empörte pour les imparfaits
et les conditionnels, pour les verbes en oitre, ä, l'exception de croitre,
meme pour eonnaitre provenant de noscere, pour faible, etc., pour
beaucoup de noms tels (pie Änglais, etc.: le dialeete de Picardie et de
Bourgogne l'a empörte pour les mots tels queroi, droit , Ca rthaginois, etc.
Dans quelques mots, comme harnois, roide ni la prononciation ni l'or-
thographe ne sont encore fixes tout-ä-fait. — II est curieux de voir qu'il
y eut un temps (le XVe et le XVIe sieele) oü le son oi envahit meme des
syllabes dont la racine montre un a, comme je foys (fais, facio), je voy,
voys (vais, vado). De lä les rimes de fois (vicis) avec fois (fais), Farce
de Patbelin, Herrig p. 75; de toutefois avec je m'en vois dans Marot.
II y eut encore un temps oü l'on prononeait aussi de la maniere de Tou-
raine, des mots tels que croitre, etroit, droite, qui n'ont aujourd'hui
que le son oi. Corneille: etre, croitre Theod. I, 1; renaitre, croitre
fciertor. III, 4; maitre, croitre Ibid. IV, 3. Racine: maitre, croitre
Androm. IV, 1. La Fontaine, Fables: fluet, etroit III, 17, etroites,
retraites III, 8; belettes, etroites IV, 6. Contes: droite, Annette
IV, 4. Voltaire: faite, draite La Puc. 5; etre, craitre.
Pour prouver qu'on prononeait dejä- tres - anciennement oi dans les
verbes, Ideler (Einleitungsband I, p. 67) cite les vers suivants :
Borjois l'esgardent, plus devint
Qui disoient tout en riant.
oü disoieut est trissyllabe, dit-il. II faut qu'il se soit imagine qu'on pro-
noneait disoient, comme di - so - a. Mais oi prononce comme o - a n'a
jamais 6te dissyllabe. II est vrai que disoient etait souvent trissyllabe:
334 Miscellen.
Fabl. VII, 18 10), montaignes et dddaignes (Ronsard)11), cigoigne et
c'est que ent comptait pour une syllabe. Mais le vers ne prouve rien pour
la prononeiation de la bivocale o i.
Comme la fixation de la prononeiation moderne ne s'est pas faite d'un
seul coup, mais n'a dte que le re"sultat de bien des efforts et des combats
dont nous ne connaissons pas assez tous les dätails; nous dirons bien juste-
ment que les rimes suivantes sont fausses, que ce ne sont que des rimes pour
l'ceil, consid^rees du point de vue de la prononeiation d'aujourd'hui, mais
nous ne saurions assurer qu'elles l'eussent ete" dejä au XVIIe siecle, encore
moins au XVIe siecle.
P. Corneille: maladroit, perdroit Polyeucte V, 1: connoi, toi Le
Ment. II, 3; connoi, moi HeYacl. II, 4.
J. Racine: exploit, lisoit; franeois, exploits Les Plaid. II, 3;
aecroitre, connoitre Mithrid. II, 6; reconnois, fois Ibid. IV, 5.
Moliere: connoi, moi Don Gare. I, 5; joie, monnoie Le Misanthr.
I, 1 ; Les Fach. I, ?.
Regnard: envoie, monnoie Le Joueur III, 4.
Boileau: franeois, lois Art po6t. II; franeois, fois Sat IX.
La Fontaine Fables: endroit, souffro it IV, 8; sois, franeois VI, 8;
franeois, emplois VII, 18; monnoie, joie XI, 3; disoit, droit
XII, 10. Contes: franeoise, bourgeoise IV, 8; apereoit, parloit
rv, 9.
Th. Corneille: arreteroit, froid Festin de P. I, 1.
Cette rime se montre encore quelquefois au XVIIIe siecle. L. Racine:
reconnoitre, croitre Relig. I; Bernis: franeois, voix (II. Idel. I).
Rousseau: exploits, franeois; endroit, öcrivoit; froid, croi-
roit. Gresset: cloitre, connoitre. Chaulieu: franeois, lois; an-
choi s, polonois.
10) La bivocale eu provenant d'un o latin (au, u, i ) se montre tres
rarement dans les plus anciens monuments: eile est plus fre"quente au Xlle
et au XHIe siecle (Ue remplacant o latin ne semble etre qu'un signe or-
thographique pour eu). La prononeiation de cet eu a ete' de bonne beure
celle du francais moderne, comme dit Diez. Mais, pendant assez longtemps,
cette prononeiation n'a ete, selon mon opinion, ni generale ni gdneralement
adoptee. Encore Cre^tin (1560) fait une rime dquivoque la plante heu-
reuse et plantureuse. Cl. Marot rime heureux et plantureux. Theo-
dore de Beze (1585) dit: „Tout ce qui parle bien en France prononce hu-
re ux." Beaucoup de mots discordants aujourd'hui pouvaient autrefois etre
accoupläs par la rime, comme honneur (honnur) et amour (amur) dans
Marie de France (Idel. Einl. II, 33), müres (ineures, mora) et heures
teures), Du Provoire qui menga les mores (Herrig, la France, p. 36); de-
meure et müre (meure, morum), Villon (Idel. Einl. II, 159). Je n'ose d6-
eider si Ton prononcait eu ou u.
Eu peut aussi resulter de la suppression d'une consonne, comme dans
j'eus (habui), meur (mür, maturus), seu (su, saputum), seur (sür, securus),
veu (vu, vidutum"). Cet eu semble, de tout temps, avoir sonne comme u.
Coquillart (1478) rime dicitur et seur, Marot: blessure et asseure.
Pen ä peu on commencait a ne plus noter e par l'ecriture. Dans quelques
mots, comme seur, e a 6t6 conserve" bien longtemps; dans le verbe auxi-
liaire il s'est conservä jusqu'a nos jours, et ce fut en vain que Ba'if (1572)
tenta d'introduire l'orthographe j'us, j'usse. Les substantils en eur dans
lesquels eu resulte d'une contraction, comme dans pdcheur (peccator, p^-
cheor) ont suivi la regle des autres, dans lesquels eu remplace tout sim-
plement o latin, comme dans cröateur, et ont pris le son eu, de meme
que jeüne (jejunium) et veuve (vidua). — II y a quelques mots dont l'eu
Miscellen. 835
äloigne (Du Perron)12), armes et termes (Marot")13); epouse et ar-
rouse (La Font. Fabl. IV, 13)U); nouds et doux (Ronsard p. 3) ,5).
est radical: Eugene, Eure, Europe, Eustache. Une prononciation
populaire donne a cet eu le son d'u. - Tous les trois eu pouvaient ancien-
nement souffrir la die"rese. Elle est rare pour le premier et le troisieme:
Proiez pour nos, Virge bien eür£e. Thibaut (Herrig, p. 43).
Ricliault parla ä li; uessur l'eve d'Eüre. Wace, Rou.
Quant au second eu, la die"rese est la forme reguliere:
Pur la joie qu'il ot eüe
De s'amie qu'il ot veüe. Marie de France (Herrig, p. 34).
Le premier eu et le second eu riment entre eux.
La mort ne douc ne grain ne peu (paucum) ;
Que onques mais trouver ne peu (pus, potui).
Herrig , Roman de la Violette, p. 32.
II est probable qu"on prononcait u dans les deux cas.
Du temps de Ronsard, la Separation entre eu et u, selon Quicherat, etait
d£jä faite, et depuis ce temps, la rime de la bivocale eu avec eu prononce"
conirae u, serait donc deTectueuse, comme ne satisfaisant plus que l'oeil. Ex.:
Ronsard : p e u (pu), f e u p. 47 ; f e u , v e u (vu) p. 171; feu, beu (bu) p. 173.
Ces rimes, tres frequentes dans l'ecole de Marot, deviennent tres rares dans
l'deole de Malherbe, et ne paraissent plus dans Corneille, Moliere, Boileau,
Racine. La Fontaine, qui recherche tout ce qui est vieux, a rime dmeute
(e"mute) et dispute. Encore Voltaire rime Eure avec nature (La Henr.
VIII, 65) et avec structure (Ibid. LX, 125).
n) Le radical latin a a ete tantöt conserve" (claritas, clarte*), tantöt
change en ai (clarus, clair). Au commencement , les deux formes exis-
taient souvent ensemble dans le meine mot: am er, aimer; char, chair.
Beaucoup de mots qui ont la simple voyelle aujourd'hui avaient la double autre-
fois. On öcrivait au XVIe siecle encore montaigne, compaigne, Alle-
mai gne, etc. Bien des rimes, bonnes autrefois, sont devenues fausses,
comme celle de baigne, Campaigne (C. Marot, Epigr. p. 405), de
Espagne, bagne (Id. Eleg. I), de accompaigne, baigne (Ronsard).
12) Les finales en ogne et oigne ddrivees des terminaisons latines —
oneus, onia, undia, qui sont distinctes aujourd'hui, ne formaient primi-
tivement qu'une meme desinenee. L'i fut fort anciennement intereale': Bo-
loingne, vergoingne Bible Guyot (Idel. Einl. II, 37). Au XVIe siecle
encore, on eerivait Bourgoigne, Bourgogne, Bourgoinge. Le verbe
61oigner (elongare) pouvait s'^crire dlogner. De nos jours, la termi-
naison ogne l'a empörte" dans les substantifs, mais on dit eloigner, t^-
moigner (testimoniare). De lä des rimes deTectueuses aujourdhui: te-
moingne, Bourgoingne (Chr. de Pisan) ; £logne, Pologne (Sarrasin);
vergongne, s'^longne (Ronsard p. 56).
13) La prononciation vicieuse a au Heu d'e qui s'est conservde dans
quelques campagnes (farme au lieu de ferme), et dont Moliere a fait
usage dans quelques scenes du Festin de Pierre (renvarses, dans la mar,
un varre de vin, Piarrot, etc.) a donne" lieu ä beaucoup de fausses
rimes. J. Marot rime armes, termes; vacarmes, fermes; dame,
gemme. Hier et soir a donne le compose' arsoir, harsoir. II y u
aussi des exemples d'e mis a. la place d'a: lermes (lavmes), infermes
Agnes de Bragelongne de Plancy (Idel. Einl. II, 43); tescb.es, flesches
Roman de la Rose (Ibid. p. 248): guiterre, pierre, Ronsard.
336 Miscellen.
Des lettres qui suivent la partle principale.
§. 56. Rimes parfaites.
Regle generale. Tont ee qui suit la partie principale (consonnes, e
rauet) doit etre egale pour l'oreille et pour l'ceil: Racine, Messali ne;
immortalites, bontes16).
1° Les rimes suivantes qui satisfont l'oreille, sont legitimes, quoiqu'elles
ne satisfasseut pas l'oeil :
a) La rime dune consonne simple avec une consonne double: Taxile,
tranquille; äme, flamme Rac. Alex. I, 3; Pape, echappe La Font.
Fabl. VII, 12; Euphrate, flatte ]I, 2.
b) La rime d'une consonne avec une autre consonne qui a la men.e
prononciation: dis-je, oblige La Font. Fabl. IX, 1; maison, nom Ibid.
IV, 17; coq, roc Flor. La Poule de Caux; def'iances, defenses Rac.
Alex. II, 1 ; Caucase, gaze Barthel. Napol. II.
c> La rime d'une consonne avec deux autres qui se prononcent de
meine: basse, menace Rac. Alex. I, 1; philosophe, Stoffe ßerang.
Les Bohemiens.
u) Beaucoup de mots oü l'o (au) latin s'est conserve" aujourd'hui, s'e-
crivaient autrefois par ou. (Le dialecte picard substituait souvent ou a o).
Pendant une grande partie du XVIe siede, la bivocale ou pr^dominait.
Francois I ecrit ouse = ose; Meigret ecrit: pourtrait. H. Etienne se
moque de cette maniere de prononcer:
N'etes - vous pas de tres - grands fous
De dire cbouse, au lieu de chose?
De dire j'ouse, au lieu de j'ose?
Dans Rabelais, nous lisons, entre autres: rousee, gousier, cour-
beau, cbouse, pourte, repous, pentecouste, houste, propous,
subourner, expouse, ouste (üte). Au contraire, troupe s'eerivait
trope. De la, des rimes fautives aujourd'hui: approuche, bouche Rute-
beuf (fdel. Einl. II, 90); approuche, couche, Ronsard p. 33; trope,
Ethiope, Id. p. 79. Au XVIIe siecle, ces rimes disparaissent: La Fon-
taine seul, ce fanatique imitateur des anciens, a ose exhumer la rime epouse
et arrouse.
15 ) II y a une affinite entre les bivocales eu et ou (veux et vouloir,
noeud et nouer, coeur et courage). Eu est le renforcement de la voyelle
ou. „Le vieux langage diphthongue les anciennes breves devant une con-
sonne simple aussitöt qu'elles ont raccent." (Burguy Gram. I, 1i.) Le lran-
cais moderne ne reconnait plus cette regle: on dit: je demeure et nous
demeurons; je trouve et nous trouvons. Treuve appartient encore
au siecle de Louis XIV. Moliere et La Fontaine riment veuve et treuve.
Voici des rimes qui sont impossibles aujourd'hui: decceuvre, ceuvre
C. Marot (Epp., p. 200), nouds (noeuds) et genoux Id. (p. 239); nouds,
doux, Ronsard (p. 3).
1G) De tout temps, on a demande la correspondance des consonnes
finales muettes, on n'a jamais rime p: ex. Maine et semaines, je por-
tais et il etait. Cette Observation semble etre contraire a notre asser-
tion que les anciens ne rimaient que pour l'oreille. Mais ces consonnes
finales n'etaient probablement pas muettes au commencement (nous allons
traiter cette matiere §. 62). Quand elles devinrent muettes, la force de l'ha-
bitude etait si grande que ces sortes de rimes (celle de deux consonnes
muettes difierentes, et celle d'e muet avec e muet suivi d'une consonne
muette) restaient interdites.
Miscellen. 337
d) La rime de t avec th: suite, Scythe Rac. Alex. II, 1.
e) La rime de n ou nn avec nin: Axiane, condarane Rac. Alex.
II, 5; automne, bonne La Font. Fabl. VI, 3.
f) La rime de s ou de t avec les meines lettres prece"d£es d'une ou de
deux consonnes muettes: pas, ätats Rac. Alex. I, 2; e"pars, etendards
Roid. II, 2; Memphis, fils Barthel. Napol. I; bois, doigts Niveru. (II
Idel. 2.), bas, almanachs Regn. Demoer. 1,2, rit, Jäsus- Christ Hugo,
Dieu est toujours lk; eclatants, temps Rac. Alex. III, 2. — Cette licence
n'existe pas pour r: venges et bergers ne riment point. 17J
g) La rime de d avec t, celle de c avec g: attend, inconstant Rac.
Alex. IV, 4; flanc, sang La Harpe (II Idel., 1.).
h) Les mots termines par s, x, z riment entre eux (x = cs, gs; z =
ds, ts); doux, vous Rac. Alex. I, 3; preeipit^s, souhaitez Ibid.
III, 1; malheureux, nceuds Ibid. IV, 2; eux, boeufs La Font. Fabl.
IV, 21.
§. 57. S sourd avec un s qu'on fait sentir; Monsieur et honneur.
2° Les rimes suivantes qui satisfont bien l'oeil, mais qui ne satisfont pas
l'oreille, sont consaerdes par l'usage des poetes :
a) La rime de deux terminaisons masculines dont l'une presente un s
sourd et l'autre un s que la prononciation fait sentir. Corneille: Carlos,
mots Don Sanche I, 3; h£ros, Carlos Ibid. II, 4. — Racine: soldats,
Menälas Iphig. IV, 6; bras, Pallas Britann. IV, 2; confus, Pyrrhus
Androm. I, 1; plus, Laius Theb. II, 1; vous, tous Be"ren. III, 3; se-
courus, Porus Alex. IV, 2; crus, Porus Ibid. IV, 3. — Boileau: ob-
tenus, Venus Sat. X. — Moliere: acces, Agnes Ec. d. f. IV, 6. —
Voltaire: attraits, Agnes La Puc. VII. — Pousard: pointus, Sextus
Lucrece I, 1. — Lamartine: nus, angelus Jocel., p. 221.
b) Dans le genre l'amilier, Monsieur rime souvent avec un autre mot
termine en eur. Racine: Monsieur, honneur Les Plaid. II, 4. Moliere:
humeur, Monsieur L'e'c. d. f. III, 2. — La Fontaine, Fables: Monsieur,
flatteur I, 2; IV, 1; Monsieur, rieur VIII, 2.
§. 58. Rimes vicieuses: Rime de deux consonnes muettes diffiSrentes.
Les rimes suivantes qui satisfont l'oreille, mais qui ne satisfont pas 1'ceil,
sont vicieuses :
a) La rime de deux consonnes muettes differentes (excepte" s, x, z ; d,
t; c, g). On ne rime ni embrassa et soldat, ni jamais et parfait;
ni je dors et il sort, ni disent et marchandise s, ni coup et tout,
ni loup et courroux, ni paix et forfait, etc.18;
§. 59. Rime dune voyelle aecompagnee d'une consonne muette avec
une voyelle finale.
b) La rime de deux mots dont Tun finit en une voyelle et l'autre en
une consonne muette. On ne rime pas loi et voix; ve>ite et m^ditez;
homme et pommes; change et berger19).
17) Volt. Puc. XIII rime reUvent et observeut, chose impossible
sans doute.
"*) Regnard: mots, sursaut Epitr. 4; sot, trop Ibid. 5 ; consentit,
fils Sapor I, 1; rüt, propos Le Bai 1; dix, lit Voyage de Norm. -
Lamartine: tout, loup Toussaint V, 5; coup, debout Jocel., p. 115. —
Ponsard: coup, gofit L'honneur IV, 10.
19) Regnard: toi, Louvois Epitr. 5; soül, Ion Democr. I, 4. — Mo-
liere: noeud, peu Le Misanthr. 1, 2. — La Fontaine, Fables: soül, trou
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 22
338 Miscellen
§. CO. Rime d'une voyelle nasale suivie d'une consonne avec une
voyelle nasale.
c) La rime (Tun raot termine en une voyelle nasale avec un autre dans
lequel le son nasal est suivi d'une consonne sourde, ou la rime de deux
mots dans lesquels le son nasal est accompagne de deux consonnes muettes
difterentes. ün ne rime ni maintien, vient Regn. Demoer. II, 3; ni
etang, autant, camp La Font., Fabl. II, 1420).
§. 61. La Rime d'ar, er, avec ard, art, etc.
d) La rime d'un mot finissant en ar, er, or, our avec un autre finis-
santenard, art, ars, etc. La Font, Fabl. I, G : encor, fort, d'abord21).
§. 62. Rime d'une consonne muette avec une consonne qu'on fait
sentir, ou de deux consonnes dift'erentes qui ont une prononciation diffe'rente.
Les rimes suivantes qui satisfont bien l'oeil, mais qui ne satislont point
l'oreille, ne sont pas permises:
a) La rime d'une consonne sourde avec une consonne que l'on fait sentir
(excepte s et r dans Monsieur), ou de deux consonnes diff&rentes qui ont
II, 2; beaueoup, cou III, 9; coup, cou III, 12; VIII, 9. — Barbier:
coup, soül (IV Idel. p. 566). — Augier : soi, soit La Cigue I, 1. — Gi-
rardin: Sappho, defaut Cleop. II, 2. — Be"ranger: ciseau, eaux Les
Parques; do, tantöt Ma nourrice.
20) Ces rimes sont tres frequentes. Racine: donc, pardon Les Plaid.
II, 4; seing, main Bajaz. IV, 3. — Moliere: nom, repond L'dc. d. m.
III, 2. — Regnard: comprend, alcoran Menechm. II, 3. — La Fontaine,
Fables : talon, long II, 12; autant, camp II, 14; croyez m'en, nul-
lement VIII, 21; faon, content VIII, 27; menton, donc IX, 4; bon,
bond IX, 14. — Voltaire: chre"tien, souviens Alz. V, 7. — Grecourt:
champ, tremblant (II Idel., 2). — Moncrif: sang, plaignant (II Idel.,
3). — Thomas: rang, grand (II Idel. 2). Be"ranger: l'an, blanc Le Roi
d'Yv. ; gland, blanc Les Gaulois; Acoran, Ferrand La sainte All.;
violon, long Le Violon brise; bourdon, donc Le pelerinage de Lis. —
Hugo: pardon, donc Ruy Blas, IV, 3; passant, sang Pour les pau-
vres. — Chenier: sang, mugissant Le Malade. — Delavigne: sang,
menacant Louis onze II, 7; compatiss ant, sang Mar. Fal. I, 3. —
Barth eleiny et Mery, Napol.: canons, nom III. — Lamartine: sang,
tisserand Toussaint II, 8; sang, descend Jocel., p. 120; glissant,
sang Ibid. p. 178; nourrissant, sang Ibid., p. 206 ; cliamp, couchant
Ibid., p. 221. — Dumas: blanchissan t , sang Christ. IV, 7. — Augier,
La Cigue: front, poltron II, 5; libertin, et eint II, 7. — Ponsard:
camp, rang Lucrece I, 1; vacant, camp Ibid. II, 2; point, poing
Agnes I, 3. — Ddsaugiers , L'Hötel garni: vraiment, Maman sc. 14;
champ, penchant sc. 20.
21) Ces rimes sont aussi tres - frequentes. Regnard: essor, d'aecord
Epitr. 5. — Racine: hasard, car Les Plaid. III, 3. — La Fontaine, Fables:
fer, couvert V, 2; hiver, vert V, 8; encor, d'aecord VI, 6; tresor,
fort X, 1; encor, port X, 15; fer, s'en sert XII, 16. — Florian,
Fables: encor, bord I, 7. — Voltaire, Tragedies: eher, ddsert; enfer,
entr'ouvert; char, rempart; Ödes: char, hasard; Luxembourg,
jour. — Hugo: Cesar, hasard Hern, IV, 2. — Bdranger: cour, court
Le Carnaval de 1818; neetar, lard Ma nourrice. — Dumas: Cdsar, ha-
sard Calig. prol 3. — Girardin: or, trdsors Cldop. I, |. — Chateau-
briand: l'or, d'abord Milton et Davenant. — Augier: mort, encor La
Cigue I, 8.
Miscellen. 339
une prononciation diß'erente :•-) arre.ste et reste; dextre, estre; pro-
pice, prolixe; precepte, faite; sujet, abject; Corinne, hyrane;
croc, hoc; apprentif, inventif; fusil, exil; Alix, paradis; Christ,
esprit; Jacob, trop; David, fini; Abraham, an; benigne, fe-
minine.
—) II est probable qu'au commeneement toutes les lettres finales etaient
sonores. Mais la tendance du Francais a ne les point faire sentir semble
etre presque aussi vieille que la langue. Pendant le travail de la formation,
c'est - a - dire jusqu'au XVIe siecle, cette tendance est alle"e en croissant.
Enfin la prononciation moderne, qui rend leurs sons ä plusieurs consonnes
sourdes pendant quelque teinps, sest etablie. Teile est la theorie que les
exemples vont prouver et qui semble etre plus naturelle que l'opinion de
Quicherat, fondee sur le livre de Genin. Selon lui, „du Xllle ä la fin du
XVIe siecle, on ne faisait generalement pas sentir les consonnes finales."
II est plus vraisemblable d'adopter une tendance, conforme au genie de la
langue et qui n'exclut pas la prononciation de quelques - unes de ces con-
sonnes qu'on prononce encore de nos jours, que de croire ä une sorte de
Convention aussi inconcevablement faite qu'abrogee dans une periode oü rien
n'etait encore fixe et determine. Matzner, pour refuter l'opinion de Genin,
it que rien ne ser ait plus etrange que la restitutio!! des sons que la langue
avait abandonnes. Les exeinples qu'on va lire prouveront que quantite de
finales qui sonnent aujourd'hui n'ont pas sonne pendant quelque temps. Des
les premieres annees du Xllle siecle, les consonnes c, d, i, p se retiraient
regulierement devant le s dupluriel: les chies (chefs), lesdus (ducs), etc.
La restitution de consonnes muettes, Strange ou non , s'est donc faite assez
souvent en francais : mais il serait sans doute un peu etrange que toutes
les consonnes finales ayant äte muettes pendant trois siecles, on se füt avise
d'en faire sonner quelqnes - unes.
I. Deux consonues mediales.
1) C se negligeait generalement devant t (sujet, objet): faict, in-
fect (Idel. Einl. II, p. 356); violette, delecte C. Marot, Eleg. XXVII;
infects, contrefaits Id. l'Enfer; sujet, abject Corn. Nicom. II, 1;
projets, abjets Cinn. IV, 4; dicte, depite Regn. Sat. XV.
2) Mn se prononcait toujours nn (condamner, solemnel): chre-
tienne, contemne J. Marot; Corinne, hymne C. Marot Ep., 193. Gm
se prononcait comme m: dragme, äme C. Marot.
3) P ne se prononcait pas devant t (bapteme): precepte, faite;
eclipse, embellisseRom.de la Rose; croitre, sceptre J. Marot; re-
cepte, acccpte Cl. Marot; Egypte, petite Rutebeuf.
4) St: arreste reste. Cette rime a pu etre legitime, quand on pro-
noncait le s dans les deux mots, et quand on ne le prononcait dans aucun.
Elle est fausse depuis le XVIIe siecle. Prestre, Silvestre Cortebarbe
(Idel. Einl. II, p. 7t); feste, geste Fabliau (Ibid. p. 76); celestre,
maistre Mystere (Ibid., p. 255) ; prestre, terrestre (Idel. Einl. I,p.214);
estre, terrestre Cl. Marot, le Temple de Cup.; epistres, registres Id. Ep.,
p. 128. (Quelques-uns, dit l'Academie, ecrivent et prononeent regitres); Ma-
jeste, este LI. Ep., p. 134; 6pitre, tistre Id. Eleg. XII; brüte, robuste
J. Marot; depute, j uste Coquillart; ddsastre, alba stre Ronsard (p. 35).
5) La lettre x prenait le son de s dans dextre et rimait avec les mots
en estre: destre senestre Rom. du Renart (Idel. Einl. II, p, 238);
adextre, estre Cl. Marot Epitaph., p. 422. Entre deux voyelles, le x se
prononcait comme ss (Auxerre, Auxonne, Bruxelles) : propice, pro-
lixe Marot.
II. Les consonnes finales des rimes masculint s :
1) B. Villon: Jacob, trop. — Coquillart: Job, trop.
2) C: draps, sacs Coquillart; arcs, etendards; Grecs, discrets.
22*
340 Miscellen.
§. 63. La rime d'un 1 mouille' avec un 1 non mouille\
b) La rime des diffgrents 1: fille, file23).
Des consounes qui pr^cedent la Partie principale dans
la meme syllabe.
§. 64. Rime des monosyllabes entre eux.
Pour les monosyllabes on ne veut pas la rime riche; car un mot ne
doit pas rimer avec lui - meme, excepte deux cas dont nous allons parier
§. G8.
II est temps que mon cceur, pour gage de sa foi,
Montre qiiil n'a pu vivre un moment apres toi.
Rac. Alex. IV, 1.
§. 65. Rime des monosyllabes avec les polysyllabes.
II. Le monosyllabe peut rimer richement avec le polysyllabe; mais on
se contente ordinairement de la rime süffisante.
D'un odieux amant sans cesse poursuivie,
On pretend, malgr£ moi, m'attacher a la vie.
Rac. Alex. IV, 1.
Je tremble pour mon frere, et crains que son tr^pas
D'un ennemi si eher n'ensanglante le bras.
Ibid. II, 1.
§. 66. Rime des polysyllabes entre eux.
III. En g^neral, deux mots polysyllabes doivent rimer richement. Plus
J. Marot; 6pars, parcs C. Marot, Eglogue au roi; aspics, pis Id., l'En-
fer; roc, croc Ibid.; las et lacs Id. Metam. I, p. 535; Turcs, durs Le
Maire; croc, hoc La Font.; estomac, sac Flor. Fabl. II, 1.
3) D: Wace, Brut: Davi (David), fini.
4) F: serfs, revers Chr. de Pisan; clef, chef C. Marot; gentils,
craintifs Id. Ep., p. 106; racourcis, massifs Id. p. 107; petits,
craintifs Id. Compl., p. 457; Juifs. fuis Id. p. 499. — Regnier: ennuis,
j uifs Sat. VIII; apprentif, rätif Sat. IX. — La Fontaine, Contes: ap-
prentif, inventif IV, 13.
5) Gn se prononcait comme n (signet) J. Marot: signe, mine. —
C. Marot: machine, digne Au Roi; benigne, feminine El£g. XX;
digne, pelerine Ep., p. 98. — Ronsard: cygne, Jaqueline. — La Fon-
taine, Fables: maline (maligne), machine VI, 15.
6) L: Coquillart: perils, ris; deux, seuls. — Meschinot: nuls,
nuds, retenus. — C. Marot: babils, habits Ep., p. 122; cruels, tue's;
autels, beautes. — Lamartine, Jocelyn: fusil, exil p. 71; sourcils,
eils p. 114; outils, fils p. 342.
7) Les mots h^breux termines en m ou n suivaient autrefois la pronon-
ciation francaise que le mot Adam a retenue. Guilleville: Abraham,
Adam. — Villon: an, Amen. — Marot: Jerusalem, en: La Fontaine:
Abraham, an.
8) T: Coquillart: sept, scet (sait). — Villon : huit, bruit. — Lamar-
tine, Chute d'un ange: L' II omine- Christ, esprit Vlle vision.
9) X. Roman de la Rose: Denis, phenis (phdnix); Marot: Alix,
lits; Crätin: perplex, pledz. La Fontaine, Contes: Alix, paradis
III, 10.
R des rimes normandes a dejä ete" discute\
2S) J. Marot: style, fille. — Sarrasin: villes, quilles. — Ronsard:
Miscellen. 341
une terminaison est frequente, moins le poete doit se contenter de la rime
commune; plus une finale est rare, plus il faudra lui pardonner les rimes
süffisantes-'4). Examinons les desinences finales.
1) Les finales suivantes doivent rimer de l'articulation :
a, dans les verbes. Ces rimes sont du reste t res - rares dans le style
noble. Ex.: pilla, habilla C. Marot, au Roi25).
e, es, ee, ees, er, ez. Ex.: inanime, arme Rac. Alex. II, 2;
desesperes, f'ourres Regn. De"mocr. I, 6; picoree, egaree
Ibid. I, 5; disputer, öter Rac. Alex. I, 1; parlez, voulez
Regn. Demoer. I, 6 26).
Quand ces finales sont precedees de deux consonnes dont la seconde
est une liquide, on permet de ne faire entrer dans la rime que la seconde
des deux consonnes. Ex.: troublee, aveuglee Com. Cinn. IV, 6; de-
solee, troublee Rac. Bajaz. V, 1. La memo licence est aecordee pour
la finale gner, qu'on peut faire rimer avec uer: confiner, regner Rac.
Beren. IV, 4.
i, is, ie, ies. Ex.: r affer mi, ennemi Rac. Alex. III, 2-7).
u, us, ue, ues. Ex. : combattu, vertu Rac. Alex. IV, 2 ; c o n -
nue, nue Ibid. I, 2-8).
fille, file, p. 38. La rime de style et gentile (C. Marot p. 219) etait
juste, le dernier mot n'etant pas mouille alors. Corneille, Don Sanche I, 3
et Le Cid II, 7 rime Ca stille et Seville. Le dernier mot, dit Quicherat,
devrait etre mouille. Lamartine, Jocelyn p. 279: epagneul, cercueil. —
Voltaire, Henriade IV, 449: Bayeul, Longeuil.
-1) Dans les premiers siecles, on etait content de la rime commune.
Marie de France, le Lai du Chevrefoil: eungea, ama; sera, haita;
aler, trespasser; este, surjurne; chevachant, pendant; aperceut,
conut; arester, reposer (Herrig, p. 33.). Eustache Deschamps: con-
vertie, chevalerie; enfant,. amoureu sement, disant, urgent; ju-
ment, argent; trouvee, annee; souris, ennemis.
2') Rimes vicieuses. Moncrif: pleura, enferma (II Idel., 3.). — La
Fontaine, Fables: compta, depeca I, 6; retourna, arriva IX, 2.
26) Rimes vicieuses. Racine: frappee, tombee Tlieb. V, 5 (l'auteur
n'a peche que cette seule fois contre la regle: c'est dans sa premiere piece).
— Regnard: ABC, ete Le Legat. II, 11. — Grecourt: damne, grille
(II Idel., 2.). — La Fontaine, Contes: fee, obligee, cachee III, 13.
Fables: feli cite, p ele, a ttache, I, 5; deli be'rer, execut er II, 2; vole,
appele, plaidc, travaille, embrouille, conteste, tempete II, 3;
eure, naivete VIII, 2; dine, cherche VIII, 7; enlever, porter IX, 1 :
bigarree, marquetee, mouchetee IX, 3; empaqueter, porter,
trainer X, 1 — Quicherat, p. 23 dit que le mot oser ne rime pas avec
ren verser. Pourquoi pas? — Racine, Phedre I, 1 rime envoye et Pa-
siphae. Quicherat cite ce vers, ä tort, parmi les exemples de deux e de-
tach^s.
27) Rimes vicieuses. Moncrif: melancolie, Armenie; tragedie,
cherie (II Idel., 3.). — Racine: reunis, amis Theb. V, 3. — La Fon-
taine, Fables: promis, peris I, 4; Iris, avertis VI, 3; logis, soucis
VIII, 2; puni, rempli VIII, 14; compagnie, plaisanterie VIII, 8;
convie, supplieIX, 1; envi, ainsi IX, 14. — Lamartine, Adieu: Bissy,
ami.
-8) Rimes vicieuses. Gresset: inconnu, perdu (II Idel., 1.); con-
vaineu, vertu Ververt, 4. — Colardeau: connu, vc'cu (II Idel., 2.). —
La Fontaine, Fables: apparue, reconnue VIH, 14.
342 Mise eilen.
ment. Ex.: ^loignement, tourment Kac. Alex. III, l-'J).
2) Les finales suivantes rinient mieux ou riment plus generalement, sur-
tout dans le style noble, de toute rarticulation :
aire, ere, ant, ent, eur, eux, euse, ir, on30).
3. On se contente de la rime süffisante pour les terminaisons plus rares,
telles que age, al, at, ais, ait, ebre, es, este, ible, ice, ide, ile,
ime, ique, it, onne, or, ours, ure, ut.
§. 67. Critique du Systeme actuel de la rime.
La plupart des critiques francais sont d'avis que la rime n'a pas ete
faite pour l'oeil, mais pour roreille. , que le principe de Malherbe de rimer
pour l'oeil a eu une influenee de*säslreuse sur la poesie; que le Systeme ac-
tuel est im melange caprieieux de la rime pour l'oeil et de la rime pour
l'oreille 31).
Les rimes qui ne satisfont que l'oeil devraient etre bannies de la poesie:
au contraire, nombre de rimes qui satisfont l'oreille sans satisfaire l'oeil, de-
vraient etre permises.
Ie classe: 1° Les rimes d'une syllabe breve avec une syllabe longue
(couronne, tröne)32).
29) Voltaire: enfans, sentimens.
30) Quicherat se contredit, en disant p. 33 qu'on met bien Valere,
contraire comme desinence peu abondante, tandis que, p. 34, il pretend
qu'il est defendu de se contenter d'une rime süffisante pour les finales en
aire ou ere. — Racine a mis, dans sa premiere piece: enfans, inno-
c e n s Theb. II, 2. — La Fontaine , bien que reconnaissant Fables II, 1 la
legitimite de la regle, la viole pourtärit Fables IX, 1: pourtant, enfant,
pleurant. — Lamartine, Jocelyn, p. 162: amant, enfant. — Racine,
Theb. V, 2: terreur, vainqueur. -- Racine, Phedre I, 1: dedaigneux,
honteux. — Corn., le Cid II, 3 plaisirs-, soupirs. Rac. Theb. V, 3:
desirs, soupirs. La Harpe bläme dans Voltaire la rime de repentir
avec souffrir. — Corn. Nicom. IV, 2: Zenon, raison; V, 7: maison,
Zenon. La Font., Fabl. VIII, 16: dit-on, maison.
31) Sibilet approuve dans Marot les rimes demets, ja mais „et autres
tels, plus soutenus par le son de roreille (que je te dis encore estre le
prineipal du College de la rime) que rejetes par l'orthographe, (jui n'est que
le ministre du son." Voltaire : „II est indubitable que la rime n'a ete in-
ventee que par Toreille." — „Nous avons toujours ete persuades qu'il fallait
rimer pour les oreilles, non pour les yeux " Marmontel: „La rime doit etre
sensible ä roreille, mais ce n'est point assez: on veut aussi qu'elle frappc
les yeux. Pourquoi? pour la rendre plus difficile, et pour ajouter an plaisir
«jue fait la Solution de ce petit probleme. Je n'en vois pas d'autre raison:
c'est im defi donne aux versificateurs." La Harpe: „Voltaire est celui qui
a insiste le premier sur la necessite de rimer principalement pour l'oreille.
II a eu raison." Ste-Beuve: „Malherbe ne s'est pas abstenu de l'exces.
Oubliant que la rime releve de l'oreille plutöt que des yeux, et qu'il est
meme piquant quelquefois de rencontrer deux sons parfaitement semblables
sous une orthographe differente, il blämait les rimes de puissance et in-
nocence, de conquerant et apparent, degrand etprend, de pro-
gres et attraits." Quicherat, p. 378 — 386.
32) J. dußellay, Ulustr.de la 1. fr. (1549): „Garde -toi de rimer des mots
manifestement longs avec les brefs aussi manifestement brefs. " Dict. de l'Aca-
deniie; Rime: „on ne peut faire rimer paume avec pomrae." Voltaire: „Je
me häte ne peut rimer avec je me flatte, parceque flatte est bref et häte
Miscellen. 348
2° Les rimes d'une voyelle simple avec nne diphthongue ( poursuivre,
vivre).
3° Les rimes d'un s muet avec un s sonore ( vertu s, Titus).
4° Les rimes des differents sons ouverts de e, ai, o, oi etc. (lois,
voix, droits, etroit avec bois, noix, poids, trois).
Ile classe: Les rimes des consonnes muettes dißerentes (raison, Sai-
sons; courais, esperait; aima, an imät; viendra, voudras; berger,
change, obligez; long vallon; cour, accourt). On n'aurait pas
besoin d'ecrire pie, cle; pied rimerait avec fie p. ex.
D'autres regles sur la rime.
§. 68. Rime d'un mot avec lui - meme.
En suivant exactement toutes les regles que nous venons d'exposer, on
pourrait encore faire bien des fautes.
I. La rime n'etant pas fondee sur une ressemblance du sens, mais sur
une ressemblance du son,
1° un mot ne peut rimer avec lui - meme. Ainsi les exemples suivants
sont condamnables :
Temoin trois procureurs, dont icelui Citron
A de"chire la robe. On en verra les pieces.
Pour nous justiner voulez -vous d'autres pieces?
Rac. Les Plaid. III, 3.
Son image est toujours presente a ma tendresse.
Ali ! quand la pale automne aura jauni le bois,
() mon pere, je veux promener ma tendresse
Aux lieux oü je te vis pour la derniere fois.
Millevoye , l'Anniversaire.
II y a des monosyllabes qui, plaees ä la fin de certains mots, se com-
binent avec eux de maniere a n'en former qu'un. La rime de deux mots
termines par ces monosyllabes est admise dans le genre simple. Ex.:
Aime - 1 - eile quelque autre? — Encor moins. — Qu'obtiendrai - j e?,—
Je ne sais. — Mais enfiü, dis - moi. — Que vous dirai-je?
Com. Le Ment. V, 5.
A vous, marquis! pour cette epreuve - la
Les grosses voix sont toujours les meilleures.
Lors le Marquis de crier: Es - tu lä?
Tons de Verdun, I'Echo merv.
Quand les poetes tächent de produire un efl'et particulier par la rime
du meine mot, il faut leur permettre de s'ecarter de la regele generale. C'est
ce qu'a fait le poete Le Brun , pour imiter un echo, dans la traduction d'un
episode de Virgile:
Sa voix disait encore: O ma chere Eurydice!
Et tout le fleuve en pleurs repondait: Eurydice!
est long." La Harpe: Renes et renn es, dont Tun est tres-long et l'autre
tres - bref, riment d'autant plus mal que les deux mots sont plus ressem
blans. — D'Olivet, prosod. frany-, p. 131: „Une breve, a la rigueur, ne doit
rimer qu'avec une breve, et une longue avec une longue." Port -Royal: „11
faut eviter autant qu'on peut d'allier les rimes feminines qui ont la p^nul-
tieme longue avec Celles qui l'ont brevo." — Marmontel condamne les rnnes
troinpette et tempete, homme et Symptome, boussole et pole,
couronne et tröne.
344 Miscellen.
et Chateaubriand, La Patrie:
Helene appuyait sur mon coeur
Son cceur.
2° Quand deux mots, s1ecrivant de memo, ont un sens diflerent, ils pen-
vent rimer ensemble. Souvent l'egalite du son n'est que fortuite. On dit a
cet e"gard que la rime des homonymes est recue. Ex.:
Contre un fier ennemi precipitez vos pas;
Mais de vos allids ne vous separez pas.
Rae. Alex. I, 3.
Notre malheur est grand, il est au plus haut point.
Je l'envisage entier, mais je n'en fremis point.
Com. Hör. II, 3.
Tel que vous me voyez, monsieur, ici present
M'a d'un fort grand souiflet fait un petit present.
Rac. Les Plaid. II, 5.
Belle necessite' d*interrompre mon somme!
Le sort, de sa plainte touche
Lui donne un autre maitre; et l'animal de somme
Passe du jardinier aux mains d'un corroyeur.
La Font. Fabl. VI, 11.
Savez-vous qui je suis
Maintenant? — Monseigneur, qu'importe! je vous suis.
Hug. Hern. I, 2.
3° Un substantif ne peut rimer avec son verbe. Ainsi, Racine, Les Plaid.
II, 11 a eu tort de mettre:
N'en sorte d'aujourd'hui. L'Intime, prends - y garde —
Gardez le soupirail. — Va vite, je le garde33).
§. 69. Rime d'un simple avec son compose, ou de deux composes.
Un mot ne peut rimer avec son compose, ni deux composes ensemble,
quand ils ont conserve une grande analogie dans leurs acceptions, comme
jeter, rejeter: prudent, imprudent: juste, injuste; bonheur,
malheur; nom, surnom; faire, defaire, refaire; ami, ennemi;
jours, toujours. Ainsi l'on condamnera les exemples suivants:
En sais - tu tant que moiV J'ai cent ruses au sac.
Non, dit-1'autre, je n'ai qu'un tour dans mon bis sac.
La Font. Fabl. IX, 14.
Ah! — J'entends eclater des bravos imprevus,
A mille traits d'esprit que je n'avais pas vus.
Delav. Les Comed. V, 3.
33) Ces rimes sont assez frequentes dans Marot et encore dans Ronsard.
Je ne sais pas, s'il faut condamner Thomas (II Idel., \)
Tandis que ton pouvoir m'entraine vers la tombe
J'ose, avant que j'y tombe.
et Lamartine, Chute d'un Ange, le vision: eile brise et une brise. (Du-
cheril bläme cette rime en effet.)
Diez derive la tombe de tumba (rvfißos) et tomber de tumbjan
mot anglosaxon; il derive briser de brize (eclat) mot allemand et dit que
lorigine de la brise est obscure. La ressemblance des deux mots ne se-
rait donc que fortuite et la rime excusable.
Miscellen. 345
Quicherat bläme aussi dieux, adieux Rac. Androm. II, 2, etre,
peut- etre Id. Beren. II, 43i>.
La rime est permise, si le simple et le compose, ou deux coinposes,
ont une signification eloignee, ou si deux mots presentent une ressemblance
fortuite de lettres, sans que l'un soit derive de lautre. On pourra rimer:
garder, regarder; conser ver, observer ; couri r, secourir; lustre,
illustre; temps, printemps; soin, besoin; separe, prdpare ; fait,
effet, parfait; perraettre, promettre, commettre, soumettre;
fort, effort; front, affront; naissance, reconnaissan ce35).
Apprends que la seule sagesse
Peut faire des heros parfaits:
Qu'elle voit toute la bassesse
De ceux que la faveur a faits.
J. B. Rousseau (II Idel , 2.).
Son visage etait ealme et doux ä regarder;
Ses traits pacifies semblaient encore gar der.
Lamart. Jocel. prol.
Aux premiers lueurs de l'aube, sur la rive
Epuise de sa course, un messager arrive.
Barth. Napol., eh. II.
Dejä les Mamelucks, lances de toutes parts,
Assiegent des Chretiens les mobiles remparts.
Ibid., eh. III.
On trouve quelquefois en rime deux substantifs composes et derives du
grec: eglogue, prologue Boil., Disc au roi : bibliot heque, hypo-
theque Id. Le Lutrin, eh. IV; paradoxe, orthodoxe Rousseau.
§. 70. Rimes banales.
II. La langue francaise ne fournit pas de rimes pour tous les mots: il n'y
a pas de rime pour triomphe, perdre3'"'). II n'est pas meme permis de
faire usage de toutes les rimes qui existent. II faut eviter les rimes ba-
nales, les rimes bizarres, les rimes desagreables.
1" Les rimes banales sont surtout les rimes de certains mots qui trou-
vent tres - peu de terminaisons homophones (jui leur correspondent, en sorte
que la presence d'un de ces mots fait deviner eelui qui viendra ensuite. Ce
pressentiment nuit au charme du vers. Parmi ces rimes Quicherat, p. 45,
M) Le meme critique dit qu'il n'aime pas ä voir en rime sau ver et
conserver (Corn. Cinn. II, 6; Rac. Alex. V, 3;, deux mots dont la signifi-
cation est la meme et retyinologie si voisine. — De Castres, chefs d'oeuvre,
p. 26: Du temps de Marot, cette regle n'etait pas encore adoptee. Sibilet
assurait meme que ceux qui blämaient ces sortes de rimes n'avaient aueune
apparence de raison.
3B) Malherbe ne se permettait jamais la rime du simple avec le compose,
ni celle de deux composes. Heureusement son autorite n'a pas fait loi sur
ce point.
36) Scarron se plaint de Timpossibilite' de trouver deux mots en erdre:
Dans le Cocyte va se perdre
(Rime qui peut rimer en erdre,
Je le laisse ä plus fin que moi).
La langue ancienne possddait cette rime :
Li mauz des denz vous puist a erdre
Aincois que james ne puist perdre.
Barbaz. T. III, p. 376.
34G Miscellen.
eompte : larmcs, alarmes; famille, file; prince, province; poudre,
foudre: juste, auguste; illustre, lustre; marque, monarque;
son^e, niensonge; sombre, nmbre; hommes , n ous sommes; Die u,
adieu, lieu.
§. 71. Rimes bizarres.
2° La Harpe accuse dans La Motte les rimes suivantes d'etre bizarres,
burlesques, heteroclites : evoque, e"poque; Io, Clio; strophe, apo-
strophe; enthousiasme, pleonasme; dans Le Mierre: fleehe et
breche; dans Piron boursoufle, souffle, maroufle; bise, Cambyse;
outre, poutr e ; masque, fantasque, fr as que, flasque, bourrasque;
demasque. Teiles sont encore les rimes en ote: denote, cornpatriotu
(Favart) ; les rimes Zoroastre, astre; exaete, acte; secs, Grecs.
Voltaire releve dans Boileau (Ode au siege de Namur) piques et briques,
Quicherat dans La Chaussee sexe, perplexe.
§. 72. Rimes choquantes.
3° Quicherat dit que les rimes de quelques terminaisons verbales sont
desagreables ä l'oreille.
a. De la ffle personne du singulier du detini de la le conjugaison :
leva, cultiva. b. De la le et de la Ile personne du pluriel du detini:
mites, recütes, vimes. Ex.: transmistes, mistes G. Marot Ep. p. 1 39.
c. des imparfaits du subjonctif: f'lattasse, recusse, aimät, aimassent.
Ex.: recherchasse, enseignasse Regn. Sat. XII; s'ostassent, sc
boutassent C. Marot. Ep., p. 137. d. Des Illes personnes du futur:
aimera, aimeront. Ex.: noircira, blanchira C. Marot, Ep., p. 130;
louera, desavoueraRegn. Sat.XV; blasmeront, trouveront Ibid., XII.
e. Des participes du present: regardant, commandant Com. La Mort III, 2.
La raison, dit Quicherat, qui f'ait prosirire le partieipe de la rime, est moins
une raison d'harmonie qu'une raison de logique: un mot formant phrase in-
cidente ne merite pas d'etre mis a une place oü il frappera l'oeil, l'oreille et
l'intelligence.
§. 73. Rime de l'hemistiche avec la fin.
III. La rime destinee ä marquer la fin du vers ne doit pas etre eflacee
pär un autre mot qui rime ou qui semble rimer dans le voisinage de la
rime principale, de sorte que l'oreille puisse etre en suspens et sur la rime
principale et sur la longueur du vers.
1" L'liemistiche ne doit ni rimer ni sembler rimer avec la fin du vers.
Cette regle est due a Malherbe37). Ex.:
ünt jadis dans mon camp tenu les premiers rangs.
Com. Cinn. V, 1.
Je tiens mon ennemi, mais je n'ai plus de f il s
Id. Heracl. IV, 4.
Sur un de vos coursiers pompeusement orne.
Rac. Esth. II, 5.
Ses yeux, coniuie effrayes, n'osaient se deto urner.
Id. Athal. II, 2.
Aux Saumaises futurs preparer des tortures.
Boil. Sat. IX.
Cette consonnance vicieuse a ete evitee ä dessein dans les vers suivants:
Car c'est ne regner pas qu'etre deux ä regner.
Com. La Mort I, 2.
N'aura coule jamais que pour la liberte. Voltaire.
:") Au XVIe siecle, cette laute etait une beaute du vers et s'appelait
rime renforcee.
Mise eilen. 347
§ 71. Rime dans le corps d'un vers.
2° En general, deux mots du meine vers ne doivent ni rimer ni avoir
l'apparence de rimer:
J'ai b esoin de tes so ins dans cette conjoneture.
Regn. Les Fol. I, 3.
De sorte qu'en sortant, nous trouvant tout hilares.
Dum. Calig., prol. 3.
§. 75. Rime de l'hemistiche avee une rime voisine.
3° Malherbe a defendu qii'un hemistiehe offrit une eonsonnanee avec
une rime voisine.38). Ex.:
Ce Dieu t'a trop longtemps abandonne les siens.
De ton heureux destin vois la suite effroyable;
Le Scythe va venger la Perse et les chretiens.
Corn. Poly. IV, 2.
Je ne t'aecuse point, je pleure mes malheurs.
Je sais ce que l'honneur, apres un tel outrage.
Id. Le Cid III, 4.
Enfin las d'appeler un sommeil qui le fuit,
Pour ecarter de lui ces images funebres.
Rac. Esth. II, 1.
II est pour le village une autre providenee,
Quelle obscure indigence eebappe a ses bienfaits?
Delille, Le eure de camp.
Voltaire s'est evidemment efibree d'eviter cette faute:
Et que de votre epoux . . . Vous ne le croyez pas. —
Non, je ne le crois point, et c'est vous faire injure.
Cette rime n'est. pas oft'ensante, quand le poete veut produire un certain
effet par la repetition de terminaisons pareilles:
Et revenant toujours, et toujours ecarte
Et moleste, heurte, porte, presqu'insulte.
Delav. L'ec. d. Vieill. II, 1.
§. 76. Rime des hdmistiches.
4° Les hemistiebes de deux vers ne doivent pas rimer entre eux •''•').
Je sais ce que l'honneur, apres un tel outrage,
Demandait ä l'ardeur d'un genereux courage.
Corn. Le Cid III, 4.
Qui sait si cet enfant par leur crime entraine
Avec eux en naissant ne fut pas eundamne?
Si Dieu le separant d'une odieuse race . . .
Rac. Athal. 1, 2.
Mais j'entends au harne au la pauvrete qöi chante.
La beche et le fuseau viennent a leur secours.
Ducis, le liamcau et la ville.
L'enseignement i'ut long, du moins i|u'il nous protege!
Dans cet hötel, suivons un plus adroit manege.
Arag. les Aristocr. I, 6.
38) Au XVIe siecle, cette rime fut recherchee. Elle se nommait rime
batelee.
3») Au XVIe siecle, cette rime öteit aflectee : eile B'uppelail alöra rime
b r i s e e.
Ex.
348 Miscellen.
Cette rime est permise quand le poete s'en sert pour produire un effet
determine. C'est ainsi que Moliere , Le Misanthr. I, 1, par la ressemblanee
des sons, peint la ressemblanee des personnes et en semble augmenter le
nombre :
De tous ces grands faiscurs de protestations,
Ces affables donneurs d'embrassades frivoles,
Ces obligeants diseurs d'inutiles paroles.
La repetition du meine mot n'est pas repiehensible.
Je Tai vu, dis-je, vu, de mes propres yeux vu,
Ce qu'on appelle vu. Mol. Le Tart. V, 3.
Crom well de ce clinquant veut s'entourer encor.
Quand je dis ce clinquant, c*est bien de tres-bon or.
Hug. Cromw. V, 3.
§. 77. Retour de la meme rime.
IV. Une loi principale de la beaute c'est l'unite dans la vari^te et la Va-
riete dans l'unite. La rime qui l'ait sentir l'unite du vers dans la varieHe des
mots, est en elle-meme une unite qui ne doit pas etre uniforme, mais variee.
1° Un mot qui vient d'etre place' a la rime n'y doit pas reparaitre
avant une quinzaine de vers. Ex. :
Je tiendrai ma parole et tu n'en doutes pas.
Meleriez - vous du sang aux pleurs qu'on va repandre,
Aux llammes du bikher, a cette auguste cendre?
Frappes d'un saint respect, sachez que vos soldats
Reculeront l'honneur, et ne vous suivront pas. Voltaire.
Mais, quand on veut repondre ä quelqu'un, ou qu'on repete ses propres
paroles, le retour du meme mot en rime est permis. Ex.:
Malheureux Polyeucte! et la loi des chretiens
T'ordonne - t-elle ainsi d'abandonner les tiens? —
Je ne hais point la vie, et j'en ahne l'usage,
Mais sans attachement qui sente l'esclavage,
Toujours pret ä la rendre au Dieu dont je la tiens;
La raison me l'ordonne et la loi des chretiens.
Corn. Poly. V, 2.
2° II faut prendre garde que les rimes masculines et les rimes femi-
nines dans les rimes croisees naient le meme son. Ex.:
Vous etes le. phenix des hötes de ce bois.
A ces mots le corbeau ne se sent pas de joie;
Et, pour montrer sa belle voix,
II ouvre un large bec, laisse tomber sa proie.
La Font Fabl. I, 2
3° II faut se donner de garde que les rimes masculines et feminines
qui se suivent dans les rimes plates naient la meme consonnance. Ex.:
Je voyais les moissons du soleil eclairees,
Ondoyer mollement sur les plaines dorees;
Des forets s'elever sur les monts ecartes,
Des arbres couronner les bourgs et les cites.
St. Lambert (II Idel., 2)
4° Dans les rimes plates, la meme consonnance ne doit pas reparaitre
deux fois de suite ä une rime masculine ou a une rime feminine. Ex.:
Soudain Potier se leve, et demande audience:
La rigide vertu faisait son eloquence.
Mise eilen. 349
Dans ce temps malheureux par le crime infectä
Potier fut toujours juste, et pourtant respecte\
Souvent on l'avait vu, par sa male constance,
De leurs emportements reprimer la licence,
Et conservant sur eux sa vieille autorite
Leur uiontrer la justice avec impunite.
Volt. La Henr., eh. VI.
Dans Racine, Iphig. IV, 4, nous rencontrons cette suite de rimes: re"-
sist£, atteste, dire, souscrire, empörte, sürete, entr^e, ren-
conträe, infortun£, condamne, puissance, licence, indiscret,
regret, arrive"e, e"levee, re9oi, moi, n£e, condamn^e, im moler,
couler. Dans le meine poete, Bajaz. I, 4, toutes les rimes de quatorze
vers qui se suivent, ont la finale e (e, e) : opposer, däsabuser, formte,
aimöe, assez, commences, niere, frere, volonte^, £cart6s, plaire,
taire, defier, associer. — Les vers a rimes mele'es admettent le redou-
blement des rimes.
De la succession des rimes.
§. 78. Regle generale de la succession des rimes.
Une rime masculine ne doit pas etre suivie immediatement d'une rime
masculine difl'eVente, ni une rime feminine d'une rime feminine diffiSrente.
La rime masculine doit etre suivie ou de la rime masculine correspondante
ou d'une rime feminine; la rime feminine ou de la rime feminine correspon-
dante ou d'une rime masculine Marmontel dit: „Les vers masculins sans
mälange auraient une marche brusque et heurtee ; les vers fäminins sans
melange auraient de la douceur, mais de la mollesse. Au moyen du retour
alternatif ou periodique de ces deux especes de vers, la durete" de l'un et
la mollesse de l'autre se corrigent mutuellement." II n'en etait pas toujours
ainsi : les anciens poetes melaient les rimes a leur grei0). Du Bellay et Pas-
quier disent que Marot, dans ses psaumes, a ete conduit par les exigences de la
musique ä alterner les rimes. Bien anterieurement la meme cause avait
du produire et avait produit le meme rdsultat. Nous voyons dans beaueoup
d'anciennes chansons les rimes se suceäder selon la regle moderne. Des
i0) Rutebeuf, li testament de l'asne (Idel. Einl. II, p. 87; Herrig La
France, p. 37).
Qui vuet au sie"cle a honeur vivre,
Et la vie de ceux ensuyre
Qui beent a avoir chevance,
Mout treuve au siecle de nuisance,
5 Qu'il at mesdizans davantage
Qui de ligier li fönt damage,
Et si est touz plains d'envieux;
Ja n'iert tout biaux ne gracieux,
Se dix en sont chiez lui assis,
10 Des mesdizans i aura six
E d'envieux i aura nuef.
Par dernier ne prisent un oes,
Et par devant li fönt teil feste,
1 5 Cbascuns 1'encline de la teste, etc.
Dans le livre de Herrig, il y a une faute. Le copiste cu le compositeur
a fait un des deux vers 10 et 11:
Des mesdizans i aura nuef.
350 Miscellen.
disciples <io J. Marot, Ch. Fontaine et J. Beuchet, s'imposerent l'obligation
de faire sucedder les rinies masculines aux rimes feminines: vers le milieu
du XVIe siecle, on voit la regle s'etablir. Konsard ne la respecte pas encore
dans ses Premiers livres d'Amours (h Marie); mais, plus tard, on l'y trouve
toujours fidele, et c'est a lui que doit revenir l'honneur d'avoir fait passer
la loi concernant la succession des rimes. non seulement pour les vers ä
rimes croisees, mais encore pour les vers ä rimes plates. Jodelle fut le seid
qui voulüt marcber dans l'ancienne voie plutot que de se soumettre a la
regle. Ce fut Granier qui l'observa le premier dans la tragedie. Richelet
protesta contre la reforme encore au milieu du XVlIe siecle.
Dans les poetes modernes, cette loi a ete rarement violee. Dans les
dpigrammes, les impromptu, les Couplets destines ä etre chautes (Beranger),
on trouve quelquefois deux rinies diflerentes du Dieme genre qui se suivent
immediatement. Malherbe a compose des chansons dont toutes les rimes sont
ou masculines ou feminines.
Qu'on parle mal ou bien du fameux Cardinal,
Ma prose ni nies vers n'en disent jamais rien;
II m'a fait trop de bien pour en dire du mal,
II m'a fait trop de mal pour en dire du bien.
Corneille41).
A. Rimea de deux consonnances pareilles.
§. 79. 1° Rimes plates.
On commence une piece de vers indiileremment par une rime mascu-
line ou par une rime feminine. La premiere rime une fois etablie , voila
les diflerentes combinaisons qu'on pcut admettre:
1° Les rimes plates ou suivies, appelees autrefois consonnantes, sont
Celles qui se succedent par couples de deux, alternativement masculines
et feminines. Ex:
Quoi! vous allez combattre un roi dont la puissance
Sembla forcer le ciel a prendre sa defense,
Sous qui toute l'Asie a vu tomber ses rois,
Et qui tient la fortune attacbee ä ses lois!
Mon frere, ouvrez les yeux pour connaitre Alexandre:
Voyez de toutes parts les trönes mis en cendre,
Les peuples asservis, et les rois enchaines;
Et prevenez les maux qui les ont entraines.
Rac. Alex. I, 1.
§. 80. 2U Rimes croisees.
2° Les rimes croisees presentent alternativement un vers masculin
41) Les passages de Regnard:
Et mon sort de tout point est si conforme au vötre
Qu'il semble que le ciel nous ait faits Tun pour l'autre.
Ilomme, veuf ni gar9on! — Fille, femme ni veuve. —
Le cas est tout nouveau. — L'aventure est tres - neuve.
Demoer. IV, 7.
et: Je veux sur votre front mettre le diademe. —
Ne va pas t'y fier; ce n'est qu'un strafageme. —
Seigneur, il court un bruit que je ne saurais croire.
Ibid. V, 4.
doivent etre attribues, je crois, ä une ndgligence du poete.
Miscellen. 351
et un vers feminin. On .lonne eneore ce nom a deus rimes maseulines sd-
parees par deux rmies feminines suivies, ou reciproquement4-). Ex.:
Le passe n'est rien dans La vie,
Et le preseut est moins encor:
Cest ä l'avenir qu'on se fie
Pour nous donner joie et tresor.
. Chateaubr., Nous verrons.
lout esprit orgueilleux, qui s'aime,
Par mes lecons se voit gueri,
Et dans mon livre si cheri,
Apprend a se hair soi - in e in e.
Boileau. Epigr. XLVIII.
§.81. 3° Rimes melees.
3° Les rimes melees sont celles dont la succession n'est soumise qu'a
la regle generale donnee ci-dessus. Ex.:
Travaillez, prenez de la peine:
Cest le fonds qui manque le moins.
Un riebe laboureur, sentant sa mort prochaine,
Fxt venir ses enfans, leur parla sans temoinS.
Gardez - vous, leur dit - il, de vendre l'heritage
Que nous ont laisse nos parens:
Un tresor est caehe dedans.
Je ne sais pas l'endroit; mais un peu de courage
Vous le fera trouver: vous en viendrez ä bout.
Remuez votre cbamp des qu'on aura fait l'oüt:
Creusez, fouillez, bechez; ne laissez nulle place
Oü la main ne passe et repasse.
Le pere mort, les fils vous retournent le champ,
De9ä, delä, partout; si bien qu'au bout de Tan
II en rapporta davantage.
Dargent, point de caehe. Mais le pere f'ut sage
De leur montrer, avant sa mort,
Que le travail est un tresor.
La Font. Fabl. V, 9.
B. Rimes redoubMes.
§. 82. 1° Rimes suivies.
Le nombre des consonnances pareilles est ordinairement de deux: les
rimes redoubl ees ofl'rent plus de deux consonnances pareilles.
Le Systeme des rimes rcdoublees dans les rimes suivies n'a pas 6te
admis. Martin Lefranc, dans une piece d'uhe quarantaine de vers, a em-
ploye la succession de rimes procedant regulierement par trois.
O bomme, reconnois ce que peux et que vaulx;
L'oail en terre ne mets, ne sur monts, ne sur vaux.
Sans priser or, argen t, armures ou chevaux,
■'■) De Castros, Chefs d'ceuvre, etc. p. 24: „L'usage des rimes croisdes
est fort ancien, mais les poetes n'cn distinguaient pas toiijours deux especes,
conmie on peut le voir dans un vieux cantique sur Saint Landry citd par
l'al.b,-. Lebeuf; F
Au tans Clovis, fils du roi Dagobert,
Fu saint Lundrv, evesque de Paris:
Dien fit ppur lui maint miracle en appeyt
Sur les malades qui mmi alloient gueri.«.
352 Miscellen.
Regarde vers le ciel: rends ton devoir a eil
Qui note tous les faits jusques un poil de eil,
Et ne fais, comme Adam, condamner en exil:
Qui ne voulant user de sa bonne puissance,
Fourfit vers son Seigneur par d£sob£issance.
Fiche ton coeur en Dieu, car tu ne peux sans ce.
§. 83. 2° Rimes eroisees.
Le Systeme des rimes redoublees n'a pas non plus 6t6 adopte- dans les
rimes eroisees. Je ne connais que deux auteurs qui l'aient tente\
O bouteille
Pleine toute
De mysteres,
D'une oreille
Je t'e'coute:
Ne diff^res. Rabelais.
Que fit CeVes,
Que fit Isis,
Que fit Araigne?
L'une les bleds,
L'autre courtils,
L'autre la laine. J. Marot.
§. 84. 3° Rimes mele'es.
Le Systeme des rimes redoublees est g^neValenient admis dans les
rimes meines. Ex. :
Rions, ehantons, dit cette troupe impie,
De fieurs en fleurs, de plaisirs en plaisirs,
Promenons nos de'sirs.
Sur l'avenir insense" qui se fie!
De nos ans passagers le nombre est incertain
Hätons - nous aujourd'hui de jouir de la vie;
Qui sait si nous serons demain?
Rac. Athal. II, 9.
Quelquefois trois rimes pareilles sont placees de suite. Ex.:
Cieux, ecoutez ma voix. Terre, prete l'oreille.
Ne dis plus, 6 Jacob, que ton Seigneur sommeille.
Pecheurs, disparaissez; le Seigneur se räveille.
Rac. Athal. III, 7.
Votre fait
Est clair et net;
Et tout le droit,
Sur cet endroit
Conclut tout droit.
Mol. Pourceaugn. II, 13.
La Fontaine met assez souvent trois rimes semblables de suite ; rarement
il en met quatre; une fois meine cinq.
II ne faut pas prolonger ces rimes au dela de la periode: ce qui a ete
reproche a Bernis. Les anciens poetes et parmi les modernes, Gresset,
Chapelle, Chaulieu, Voltaire ont compose des pieces de vers ou ils n'em-
ploient que deux rimes. Les poetes s'imposent meme l'obligation de re-
produire non seulement les meines rimes, mais encore les meines mots ä la
fin de chaque vers. Ainsi Du Bellay a fait un sonnet, c'est-ä-dire qua-
torze vers qui finissent tous par Tun des deux mots vie et mort. Ces jeux
d'esprit n'ont guere de m^rite que celui de la difhculte vaineue II arrive
Miscellen. 353
aussi que l'une des deux rimes seulement est redoublee. On lit, dans La
Fontaine, une dedicace, de 22 vers, dont toutes les rimes masculines sont
en i s. Madame Deshoulieres a fait plusieurs pieces dont les rimes femi-
nines sont en ailles, en eilles, en ille, en ouille.
§. 85. Pieces monorimes.
On trouve meme des pieces monorimes, dans lesquelles les poetes n'ont
fait usage que d'une seule rime. C'est le Systeme des anciens poemes h6-
roiques. Fauchet, Recueil de l'origine de la langue et de la poe"sie fran-
caise, p. 554 : „Ces poetes faisoient la lisiere ou fin de leurs vers toute une,
tant qu'ils pouvoient fournir de syllabes consonnantes, afin, comme je crois,
que celui qui touchoit la harpe, violon ou autre instrument, en les chantant,
ne fust pas contraint de muer trop souvent le ton de sa chaoson, estans les
vers masculins et feminins mesles ensemble irr^gulierement. Ideler (Einl.
II, p. 260) a des fragments de Berte aux grans pies, par Adenez, dont
voici un:
Berte la debonaire a moult grand meschief ere,
Qua l'ajorner fist temps de moult froide matiere:
„Ha! Diex," fait - ele, „sire, vrais rois, vrai gouvernere,
De mon cors et de m'ame soiez vous hui gardere.
Car la nuit qu'ai passee ai trouve moult amere;
De moi faire assoufrir n'a pas este avere:
Ahi! vieille," fait - ele, „et Tybers mauvais lere
Vostre grant traison convient que je compere.
Diex doint par sa pitie que encontre vous pere."
Ainz que gueres de jour la endroites apere
S'en depart la royne, car la lune luist clere
Ce morceau est suivi de cinquante vers avec la finale e; de soixante-un
avec la finale ee; de quarante - huit avec la finale ment, etc. Tous ces
vers monorimes ou leonins, selon les anciens, sont ou vers de douze ou vers
de dix syllabes. On ne s'avisait jamais de faire des vers de huit syllabes
monorime?: ce vers, employe aussi dans la poesie e"pique, est essentiellement
a rimes plates (Le Roman de Brut par Wace, la Chronique des ducs de
Normandie par Benoist de Sainte - Morej. La succession monorime demeura
bien longtemps une loi de l'alexändfin. A la renaissance, on vit disparaitre
tout a la fois les romans de gestcs, l'alexandrin et le Systeme monorime. La
proscription dont l'alexandrin fut frappe venait certainement de ce qu'on
s'imaginait qu'il demandait essentiellement une succession monorime. Marot
a inscrit quelques-uns de ses poemes: Vers alexandrins comme pour
annoncer quelque chose d'extraordinaire, de nouveau. Ce fut Ronsard et ses
eleves qui le rmirent en honneur.
C'est par exception, et dans des morceaux peu etendus du XVe siecle
surtout, que le Systeme monorime fut applique au vers de huit syllabe s
(Alain Chartier, Espdranee). Ce Systeme est reste un Jeu d'esprit, dans
lequel les poetes modernes se sont quelquefois exerces. (Chapelle et Bachau-
mont, Le Voyage; Le Franc de Pompignan, Le Voyage de Languedoc et
de Provence; Collin d'Harleville, La bonne journee.)
§. 86. Vers blancs.
II n'est pas permis de laisser un vers sans rimes (vers blanc). J'en ai
trouv^ un dans La Font. Fabl. VII, 7, 21,
Et, flatteur exessif, il loua la colere,
un autre dans Le Franc de Pompignan, Rois et sujets:
II depose en leurs mains sa balance et sa foudre,
pourvu que le texte soit pur.
Archiv f n Sprachen XXVIII.
2S
854 Miscellen.
Nous en rencontrons aussi dans les refrains de B^ranger, par exemple,
La Musique :
Purgeons nos desserts
Des chansons ä boire,
Vivent les grands airs
Du Conservatoire.
Bon!
La farira dondaine.
Gai!
La farira donde\
La traduction de Ce'sar, tragädie de Shakespeare, par Corneille, est
äcrite en vers blancs. Les vers mesure's (Chap. XXI.) sont pour la plupart
des vers blancs.
Bromberg. Gustave Weigand.
Südliche Mundarten.
Es ist eine unschwer wahrzunehmende Erscheinung, dass eben so sehr,
wie die jetzigen Büchersprachen von Italien, Spanien und Frankreich: das
Nordfranzösische, das Toskanische und das Castilische von einander ab-
weichen , umgekehrt einzelne Mundarten der entsprechenden drei Länder
sich einander nähern. Das Provenzalische schwankt zwischen den volleren
südlichen Endungen und den verkürzten hin und her, so z. B. heisst es in
einem und demselben provenzalischen Gedichte:
(chanto')ls auzellos und
chanton li auzel,
„die Vögel singen." — Nirgend ist wohl der Unterschied in den Endungen
jener drei Sprachen grösser, als beim Zeitworte. Während dort im Ita-
lienischen , Spanischen, Portugiesischen meistens der weibliche Tonfall vor-
herrscht, ist beim Französischen das Gegentheil der Fall, dem sich das
Provenzalische, die Mundarten von Valencia und Venedig etc. hierin nähern.
Die drei südlichen Büchersprachen haben also, dem Augenschein nach zu ur-
theilen, die älteren Bildungen bewahrt, da es die längeren sind.
Man vergleiche
ital. span. u. portug. franz. provenz. valenc.
amato amado ahne" amat amad
amando amando aimant amant amant.
So bedeutet im folgenden Gedichte aus Piemont oder Umgegend , vist :
visto, veduto.
(Möge es vergönnt sein , hier gleich einige kleine Stücke Volksdich-
tung etc. mit Umschreibung folgen zu lassen.)
Rivista Contemporanea.
Lezione Canavese.
L'Assedio di Verrua.
Castello de Verüa Castello di Verrua
S'a l'e tan bin pi'antä Sel'e cosi bene pi'antato,
Piantä su cule röche, Pi'antato in su quelle rocele,
Ch'ai passa '1 Po da lä, Che lü passa '1 Po da lato,
La bela a la fmestra La bella alla finestra
An bas l'ha risguardä; In giü ella ha sguardato
L'ha vist veni na barca Ella ha visto venir una barca
Miscellen
855
Cariä de gent armä,
Con j'arme ch'ai lürio,
Ch'a smiavo andorä.
La bela tira napera,
La barca le sparfondä.
Na füssa de cula pera,
Verüa saria piä,
Sarfa piä Verüa,
Castel de Monfera.
Carica(ta) di gente armata,
Colle arme che h rilucevano
®» {ESS»} *"»-•
La bella tira una pietra,
La barca ella e sprofondata.
(Se) Non fosse (di) quella pietra,
^errua ( sarebbe j Presa'
Sana presa Verrua
Castel di Monferrat.
. Man sieht die Annäherung an's Französische, das ja schon jenseits der
lpen gesprochen wird. Das ü ist sonst dem Italienischen fremd; durch
"iese Abwerfung der Endungen , die diesen Mundarten und dem Franzö-
sischen nicht allein eigenthümlich ist, durch die auch das Deutsche verkürzt,
wenn auch wahrlich! nicht verschönert ist, scheint das Italienische auf den
ersten Blick in Beziehung auf den Wörterfall vermannichfacht und somit
für das Lied geeigneter zu sein ; hat es auf diese Weise aber an männ-
lichem Wörterfall gewonnen, an dem es ihm sonst fehlt (während im Fran-
zösischen das Gegentheil der Fall ist), — so hat es doch andrerseits den
Unterschied der Geschlechter in den Mittelwörtern, wie risguardä, armä ein-
gebüsst (vgl. auch hierin das Französische in Bezug auf die Endungen e
und ee). Das 1 in pi'antä ist acht italienisch , an bas dagegen ist durchaus
untoskanisch und scheint durch die Nachbarschaft des Französischen ein-
gedrungen. Das F deute ich durch ella. Das j'arme kann auf den Ge-
danken bringen, als sei, wie gli für li (i), das noch vor dem „unreinen s"
(s impura) gebraucht wird, auch glie für le gesprochen. Mit ai vgl. französ
y, smiavo entspricht sembiavano.
Hier folge etwas aus dem „befreiten Jerusalem" venezianischer Gon-
doliere leider! vergangener Zeiten, wie es Byron in seinen Anmerkungen
zu „Ritter Harold's Wallfahrt" veröffentlichte:
Mundart von Venedig.
Lärme pi'etose de cantar gho vogia,
E de Goffredo la immortal braura
Che al fin l'ha lfbera ea strassia, e
dogia
Del nostro buon Gesü la Sepoltura
De mezo mondo unito, e de quel Bogia
Misster Pluton no l'ha bu mai paura :
Dio l'ha agiutä, e i compagni spar-
pagnai
Tutti '1 gh'i ha messi insfeme i di
del Dai.
und folgende Wörter und Redensarten in der Mundart von Valencia:
Esta manana me levante a las cinco y media
Este mati malsad ä las cinq y micha en el peuiament en
escribir todo hacer media,
te ascriute tot lo que habiade fer hasta meodia.
Fer, franz. faire, für hacer, facer ist auffallend, das c fehlt übrigens
auch im italienschen fare.
Uebertragung.
Le arme pi'etose di cantar ho voglia,
E di Goffredo la immortal braura
Che al fin l'ha liberata con istrazio
e doglia
Del nostro buon Gesü la Sepoltura.
Di mezzo mondo unito e di quel Boja
Signor Pluton non egliba avuto mai
paura :
Dio l'ha ajutato e i compagni spar-
pagliati
Tutti egli vegl'ha messi insieme i
giorni del Dai (?).
23*
356 Miscellen.
Aus der niederdeutschen mundart.
Die lutherische Übersetzung des griech. tiqos y.iwzQa Xaxri^siv (apostel-
geschichte 9, 5. 26, 14) lautet: wider den stachel locken. Von dem sonder-
baren und lächerlichen misverstande, zu welchem der ungewohnte ausdruck .
veranlaßung geben kann und oft gibt, soll hier nicht weiter die rede sein;
der eigentliche sinn der worte pflegt schon im Schulunterricht hinreichend
aufgedeckt zu werden. Schwieriger ist es mit der form locken ins reine
zu kommen. Zwar hat die etymologie längst das der hochdeutschen spräche
unbekannte wort mit dem goth. läikan (prät. läilaik), angels. läcan, altn.
leika, mhd. 1 eichen, worunter springen, spielen verstanden wird, zu-
sammengestellt; aber dabei ist es verblieben, höchstens noch angemerkt
worden, daß richtiger lacken geschrieben werde.
Ein vergleich mit mhd. leichen lehrt, daß das wort auf niederd. stufe
steht; und buchstäblich entsprechend der mhd. form würde die niederd.
leken zu lauten haben (vgl. mhd. u. nhd. zeichen, bleich, niederd. teken,
blek). Das mit leichen unmittelbar zusammenhangende subst. leich, in
froschleich erhalten, heißt auch heute lek (poggelek) im niederd., und man-
chen gegenden ist leken selbst wolbekannt (vgl. archiv XIV, 13G). Der
eintritt des ö für e mag wie in dörren, löschen u. a., die freilich hochd.
sind, zu beurteilen sein ; auch kann das bestreben abstand von „lecken" zu
erhalten in anschlag gebracht werden.
Locken d. i. leken begegnet übrigens in der bibel noch ferner, teils
n derselben bedeutung von Xay.ii^eiv (1 Sam. 2, 29), teils im eigentlichen
sinne von hüpfen und springen, besonders der weidestiere (Psalm 29, 6. Jerm.
50, 11. Weish. Salom. 19, 9).
Dem neuhochd. adv. immer liegt mhd. iemer zu gründe, ahd. iomer,
welches aus io mer (je mehr) zusammengestellt ist; vgl franz. jamais aus
jam magis. In der niederd. form jümmers treten j, ü und s hervor. Der
Kons, j erklärt sich wie die entwickelung von je aus mhd. ie; niederd. jig-
gens (nhd irgend) entspringt aus mhd. iergen. Der eintritt von ü für i
gründet sich auf die noch heute lebendige Vorliebe der niederd. mundart für
diesen Wechsel (vgl. hülp, sülwer, twüschen; hochd. hüte , silber, zwischen);
im holländ. gelten ommers und immers nebeneinander. Der anhang des s end-
lich ist wie in dem bereits verglichenen j ig gen s, in blots (bloß), gliks
(gleich), förts (sofort), sowie in den im früheren nhd. üblichen ferner s,
weiters im dän. ovrens (überein) und manchen anderen Wörtern nichts
als eine unorganische Verdeutlichung des adverbs.
Mise eilen. 357
Die bemerkung Grimms (gramm. IV, 352): „in einigen gegenclen Nieder-
deutschlands -wird dem höflichen äe (ihr) der anrede noch ein s e vorgesetzt :
dat is se ae tüffel (das ist ihr pantoffel, oder genau: sie ihr pantoffel) :
hier vertritt nun gar den dat. der acc." ist geeignet bei Nichtkennern des
niederd. eine folgerung hervorzurufen, welche mit der weise dieser mundart
nicht zusammenstimmt. Die niederd. rede nemlich kennt einen vom accus,
unterschiedenen dativ des persönlichen pronoms überhaupt nicht, mithin kann
eine dem hochd. ihnen entsprechende form nicht vorhanden sein, sondern
se trifft für alle fälle zu, also auch z. b ik hef se den tüffel gewen (Ihnen
den pantoffel gegeben). Wie nun hier se als dativ zu fassen ist, ebenso in
jener Verbindung se äe (anderswo richtiger: se är). Niederd. Ihnen ist
allezeit hochdeutsche art und gilt so gut vom accus, als vom dat., z. b. ik
sali Ihnen gröten (grüßen), wie häufig aff'ektirt gesprochen wird.
Allgemeinen beifall hat die ansieht Schmellers (wörterb. II, 632. III, 1 93)
gefunden, dal] meß er, mhd. mezzer, ahd. mezzirahs (vgl. mezziras, me-
zaras und andere zwischenformen) für mezzisahs (mazsahs), mit maz
; speise, engl, meat) und sahs (angels. seax, kurze seitenwaffe, ursprünglich
vom lat. saxum) zusammengesetzt sei, und also eigentlich eßmeßer (vgl. Gr.
gr. II, 435) bedeute. Verwandlung von s in r zeigt sich auch sonst in der
spräche sehr häufig (gr. I-, 121). Was die niederd. formen anlangt, so stellt
sich zunächst die beibehaltung des s heraus: vorherrschend mes oder mest.
Aber beide stehn ziemlich weit ab von einem im alts. anzunehmenden me-
tisahs oder metsahs. Zur vermittelung dürften indessen die in anderen
niederd. gegenden üblichen formen metser, mets (befier so als mit tz. wie
andere tun, geschrieben) dienen; nemlich aus mets, das aus mets er gekürzt
ist, scheint durch assimilation oder erweichung mes (auch niederländisch)
hervorgegangen und diesem wieder t angefügt zu sein (vgl. einst, palast
aus mhd. eines, palas). Umgekehrt läßt AYoeste bei Frommann III, 421 und
bei Kuhn IV, 177 mes aus mest entstehen, nimmt aber für diese Formen
zugleich einen anderen stamm an.
In dem hannov. wörterverzeichniss für deutsche rechtschreibung befinden
sich die wörter boßeln und boßel „von bözen, stoßen." Natürlich wird
verstanden, daß ß die genaueste folge des mhd z sei, was gleichwol, näher
betrachtet, nicht der fall sein kann Denn jene beiden wörter sind ohne
zweifei niederdeutsch, werden auch in den verschiedenen Wörterbüchern dieser
mundart erzeichnet: Adelung nennt sie gemein. Zwar bezog sich schon
bas mhd. bözen ausdrücklich auch auf Kugel und Kegel (vgl. schiben undc
bözen) und noch heute wird in Baiern boßen in diesem sinne gebraucht
(Schmeller I, 211); aber das subst. boßel bedeutet wie im mhd. prügel oder
bleuel, nicht Kegelkugeln, und ein verb boßeln ist im oberd. gar nicht vor-
handen. Allein wie kommt es, daß im niederd. allgemein boßel, boßeln,
nirgends botel, botein, wie nach der regel das Verhältnis zum hochd. ver-
358 Miscellen.
langen müste, gesagt wird? Die entwickelung scheint folgende zu sein.
Dem nihd. bnzen entspricht ein mittelniederd. böten; der Holländer braucht
bötsen, eine form welche auch in niederd. gegenden heimisch ist. Darnach
wäre boßel durch assimilation aus botsei hervorgegangen (vgl. Spessaet
aus Spehteshart), und erst nach dem subst. das verb gebildet worden (wir
meißeln, meißel, meizen). Mithin begreift es sich , daß ß für durchaus un-
organisch gelten muß und nur als das bequemste mittel der ausspräche zu
genügen behalten werden kann.
Mülheim a. d. Ruhr. K. G. Andresen.
Bibliographischer Anzeiger.
Allgemeines. -
R. Müller, On the origin, development, peculiarities and destiny of the
English language. (Gottingen, Vandenhoeck & Ruprecht.) 8 Sgr.
Stirling's Literature of Proverbs (London, Quaritch.) 21 s.
J. B. Meyer, Gedanken über eine zeitgeinässe Entwicklung der deutscheu
Universitäten. (Hamburg, Meissner.) 15 Sgr.
Lexicographie.
D. Sanders, Wörterbuch der deutschen Sprache. 13. Lieferung. (Leipzig,
Wigand.) 20 Sgr.
Literatur.
L. v. Lancizolle, Geistesworte ans Goethe's Werken. 2. Aufl. (Berlin,
Nicolai.) 25 Sgr.
— — Geistes worte aus Goethe's Briefen und Gesprächen. (Berlin, Nicolai.)
lVe Rthlr.
H. Düntzer, Goethe und Karl August während der ersten 15 Jahre ihrer
Verbindung. (Leipzig, Dyk.) 21/,, Thlr.
Vier Jahreszeiten von Goethe. Gedichtet 179G. Gedeutet 1860 von Martin.
(Berlin, Nicolai.) 1 Thlr.
A. v. Keller, Nachlese zur Schillerliteratur als Festgruss der Univ. Tü-
bingen zum 400. Jahrestag der Stiftung der Univ. Basel. 9 Sgr.
R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des
19. Jahrh. 2. Aufl. 2. Liefrg. (Breslau, Trewendt.) 12 Sgr.
Deutsche Dichter und Denker. Die Schätze der deutschen Nationalliteratur
in Wort und Bild. Herausgegeben von L. Lenz. (Hamburg, Vereins-
buchhandlung.) 1. Bd. 1. Liefrg. 10 Sgr.
J. W. Schaefer, Literaturbilder. Darstellungen deutscher Literatur aus den
Werken der vorzüglichsten Literarhistoriker. (Leipzig, Brandstetter.)
2'/2 Thlr.
F.W ernick, Handbuch der Geschichte der deutschen Nationalliteratur.
(Leipzig, Woller.) 1 Thlr. 20 Sgr.
E. Guion, Rousseau et le 18. siecle. Essai d'une characteristique litt£raire,
philosophique et religieuse. Strasbourg. (These pr. a 1. f. tb.)
Huon de Bordeaux, Chanson de geste publice p. Guessard et C. Grand-
maison. (Paris, Vieweg.)
800 Bibliographischer Anzeiger.
Shakspere's Werke. Herausgegeben und erklärt von N. Delius. (Elberfeld,
Friedrichs.)
Pericles 16 Sgr.
Poems 1 Thlr. 2 Sgr.
Milton's Comus übers, und mit einer erläuternden Abhandlung begleitet von
Immanuel Schmidt. (Berlin, Weidling.) 20 Sgr.
Heilige Lieder. Aus dem Engl, übertragen von J. M. Griem. (Hadersleben,
Griem.) 24 Sgr.
E. Götzinger, über die Dichtungen der Angelsachsen, Caedmon und deren
Verfasser. (Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.) 8 Sgr.
Hilfsbücher.
A. Bährens, Kleine leicht fassliche deutsche Sprachlehre. (Münster.
Brunn.) 7]/2 Sgr.
Auswahl deutscher Gedichte für die mittlem und obern Classen von Dr.
C. F. Schmid. 2. Tbl. (Friedberg, Bindernagel & Schirapff.) 17y2 Sgr.
K. A. J. Hoffmann, Rhetorik für Gymnasien. 2. Abthlg. (Die Lehre von
der Erfindung, von der Anordnung, von den wichtigsten Kunstformen
der pros. Darleg. (Clausthal, Grosse.) I 1 V-, Sgr.
F. d'Hargues, Method. Lehrgang für den Unterricht in der franz. Sprache.
I. Cursus. 3. Aufl. (Berlin, Schneider.) 8 Sgr.
L. Noire. Aufgaben zu franz. Stilübungen für höhere Unterrichtsanstalten
in 4 Stufen. (Mainz, v. Zabern.) 12 Sgr.
Anthologie de litterature francaise publ. p. A. G. Lundehn. vol. I. Cinna
p. Corneille. (Stolp, Kölling. ) 7x/a Sgr.
G. L. Stadler, Lehr- und Uebungsbuch der italienischen Sprache. (Berlin
Haude & Spener.) D/a Thlr.
Schiller' s
historisches Taschenbuch für Damen für das Jahr 1792.
Ein Beitrag zur Feststellung des Schiller'schen Textes.
Die Gedächtnisstage unsres Schiller haben dem Vaterlande
immer unverkennbaren Nutzen gebracht. Wie der achte Mai
des Jahres 1839 neben des Dichters ehernem Standbilde zu
Stuttgart eine reiche, der Erforschung seines Lebens und Schaffens
gewidmete Literatur hervorrief, ebenso ist seine Säcularfeier die
Geburtsstunde einer unendlichen Fülle von Liebesgaben geworden,
die das deutsche Volk begeisterungsvoll den Manen Schiller's
opferte. Manche dieser Gaben mögen als Ergüsse der Festes-
freude , als Kinder des Augenblicks nur ein flüchtiges Dasein
genossen haben ; viele aber werden auch noch den spätesten
Geschlechtern Zeugniss ablegen, dass des Deutschen Liebe zu
seinem Schiller stets mit dem Streben nach lauterer Erkenntniss
seines Lebens und Dichtens sich paart. Dass unter diesen No-
vemberfrüchten des Jahres 1859 die Säcularausgabe der Werke
eine der vorzüglichsten Stellen einnimmt, wird Niemandem zwei-
felhaft erscheinen. Ihren Schöpfern , Männern , wie Wendelin
von Maltzahn und Joachim Meyer, wird die ganze Nation um
so mehr zum wärmsten Danke sich verpflichtet glauben, je un-
haltbarer anerkanntem! assen die Schwierigkeiten ihrer Arbeit
sind, je lebendiger- das Bedürfniss eines unverkümmerten, un-
verdorbenen Schiller -Textes schon längst aller Orten gefühlt
wird. Diesen Männern nach besten Kräften zu helfen, möchte
bei der schweren Last, die sie zu tragen übernommen, bei dem
grossen Dienste, den sie der Welt zu leisten im Begriff sind,
Pflicht eines Jeden sein, der Schiller, der sein Vaterland liebt.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIU. 24
362 Schiller's Taschenbuch für Damen.
Wenn wir, dieser unsrer Verbindlichkeit eingedenk, zunächst
jenen Männern die folgende Untersuchung zu widmen uns er-
lauben, so befinden wir uns mit derselben allerdings nicht in der
glücklichen Lage, aus gänzlich unbekannten, handschriftlichen
Urkunden eine verborgene Wahrheit an's Licht zu fördern. Wer
könnte wohl ihnen noch zeigen, was sie nicht längst mit eigenen
Kennerauo-en o-eschaut! Wir möchten indessen ihren Forscher-
es ö
blick auf ein Feld lenken, das, von der grossen Heerstrasse
weit abgelegen, von Gestrüpp umwuchert, Jahre lang vernach-
lässigt und vergessen, dem Dichter wunderbarer Weise Früchte
trug, die nicht sein waren. Als Beitrag zur Feststellung des
Schiller'schen Textes geben wir daher nur ein Scherflein ; wir
bringen jenen beiden Männern und allen Freunden unsres Dich-
ters dies Scherflein mit der Bitte dar , die folgenden Worte
einer geneigten Aufmerksamkeit nicht unwerth zu erachten.
Für ein kleines Buch nämlich wünschen die nachstehenden
Zeilen des Lesers Interesse in Anspruch zu nehmen, so wie für
eine kleine kritische Untersuchung. Das kleine Buch ist Schiller's
historisches Taschenbuch für Damen für das Jahr 1792 (Leipzig
bei Göschen), und die daran sich knüpfende Untersuchung be-
trifft drei in demselben unter dem Namen von „Bildnissen" sich
findende Abhandlungen. Dieser Damenkalender enthält bekannt-
lich ausser einer längeren Vorrede Wieland' s und einem kurzen
Bruchstück aus der Geschichte des dreissigjährigen Krieges,
dem Anfange des dritten Buches , vier sogenannte Bildnisse
denkwürdiger Personen aus der Zeit jenes grossen Kampfes:
der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen -Kassel (f 1651),
des Kardinals Richelieu, des Kurfürsten Maximilian von Baiern
und des Kanzlers Oxenstierna.
Obwohl die drei ersten dieser Lebensgemälde, um die es
sich hier namentlich handelt, nur eine verhältnissmässig geringe
Anzahl der kleinen Kalenderseiten ausfüllen, so können wir den-
noch dem Leser die Mühe nicht ersparen, die Schicksale der-
selben bis in die neueste Zeit in kurzem Umrisse sich zu ver-
gegenwärtigen. Lange Jahre hatten sie mit vielen andern Auf-
sätzen und Gedichten Schiller's dasselbe Loos; sie waren ver-
gessen. HofFmeister gebührt das Verdienst, in seinem grösseren
Werke über den Dichter (Schiller's Leben, Geistesentwicklung
Schiller's Taschenbuch für Damen. 363
und Werke. 1838, Bd 3, S. 183) zum ersten Male an sie er-
innert zu haben. Nach seinem Vorgänge wurden diese Bild-
nisse von den Kennern der Schiller-Literatur bis auf die Gegen-
wart unbedenklich dem grossen Meister selbst zugeschrieben
und daher auch von Hoffmeister und Boas in die Supplemente
zu seinen Werken aufgenommen. S. Hoffmeisters Nachlese zu
Sch.'s W. Bd 4. S. 474 und folg., Boas' Nachträge Bd 2. S.
196 und folg. Mit derselben Uebereinstimmung erkannte man
in dem vierten Lebensabriss, in dem des Kanzlers Oxenstierna,
gestützt auf eine Aeusserung Schiller's in dem Damenkalender
von 1793, wo der Dichter S. 644 denselben eine „vortreffliche
Schilderung" nennt, um so mehr die Hand eines andern Ver-
fassers , als ein so scharfsinniger Kenner der Schiller'schen
Schreibart, wie Hoffmeister, schon dem ersten Satze der Bio-
graphie es angesehn, dass sie nicht aus des Dichters Feder ge-
flossen sein könnte. Da seine Ansicht über die drei ersten
Bildnisse für die folgenden Jahrzehende im Allgemeinen mass-
gebend blieb und keine Widerlegung hervorrief, so sind wir
verpflichtet, die Gründe dieses Forschers zu hören. Er findet
(Schiller's Leben. Bd 2. S. 184) das Bild der Landgräfin le-
bendig, anziehend und mit Neigung geschrieben, das Leben
des Kurfürsten Maximilian in's Allgemeine zusammengezogen
und nur dem Verstände zugänlich, die Skizze Richelieu's durch
scharfe Hiebe gegen Priester und Höflinge charakterisirt —
zum Zeichen, dass damals beide in der Gunst bei Schiller noch
nicht gestiegen waren. Bei dem nach seiner Ansicht entschei-
denden Gewicht dieser inneren Gründe forschte Hoffmeister
nicht weiter nach einer äusseren Unterstützung seiner Annahme;
das Dasein der Bildnisse in Schiller's Kalender sprach ja ent-
schieden für ihre Abfassung von des Dichters Hand. Ausser-
dem glaubte dieser Gelehrte in dem Lebensgemälde Richelieu' s
eine nicht näher bezeichnete Stelle gefunden zu haben, in welcher
der Schreiber sich selbst den Verfasser des dreissigjährigen
Krieges nennt. Somit schien durch Schiller's eigne Worte
jeder nur mögliche Zweifel für immer beseitigt zu sein. Indem
wir uns in Betreff dieses letzten Punktes gleich hier die Bemer-
kung erlauben, dass in dem ganzen Aufsatze über Richelieu
nirgends eine Stelle sich findet, welche eine derartige Deutung
24*
364 Schiller's Taschenbuch für Damen.
zulassen könnte, haben wir nur noch zu erinnern, dass Boas in
den Nachträgen (Bd 2, S. 505) ganz an Hoffmeister's Ansicht
sich anschliesst und zu den Beweisen dieses Forschers im We-
sentlichen nichts Neues hinzufügt. Nach Hoffmeister's gewich-
tigem Worte erschien die Frage über die drei Bildnisse nun ein
für alle Mal als erledigt.
Dies möchte im Allgemeinen auch noch der gegenwärtige
Stand einer für des Dichters Freunde, sowie für die Feststel-
lung des Schiller'schen Textes nicht ganz unwichtigen Unter-
suchung sein; denn die Angelegenheit des Damenkalenders hat
in den letzten Jahrzehenden eine eingehende Besprechung nicht
hervorgerufen und Hoffmeister's Ansicht bis in die neueste
Zeit keinen entschiedenen Gegner gefunden. Den bedeutenderen
literaturhistorischen Werken lagen die kleinen Anhänge des
dreissigjährigen Krieges natürlich zu fern ; auch Emil Palleske
konnte sie nach der ganzen Anlage seines Buches nicht berück-
sichtigen. Leise Andeutungen einer entgegengesetzten Ansicht
sind mir nur an zwei Orten aufgestossen. Karl Goedeke führt
nämlich in seinem Grundriss zur Geschichte der deutschen
Dichtung (Bd II. S. 1023) bei dem Taschenbuch für das Jahr
1792 zwar auch die Bildnisse auf; an einer andern Stelle aber
(a. a. O. S. 1128) nennt er den Verfasser des heimlichen Ge-
richtes, Ludwig Ferdinand Huber, als Mitarbeiter bei Schiller's
Kalender. Julian Schmidt endlich spricht sich (Schiller und
seine Zeitgenossen. S. 240) bei der Betrachtung der Behand-
lungsweise des dreissigjährigen Krieges, gestützt auf das Dasein
der vier Bildnisse, dahin aus, Schiller habe zuerst die Idee ge-
habt, das Ganze in Biographien zu zerbröckeln, wie denn auch
Maximilian von Baiern , Amalie von Hessen und Richelieu
wirklich ausgeführt seien. An einer anderen, für unsere Zwecke
nicht unwichtigen Stelle (S. 242) sagt derselbe Gelehrte: „Mit
Körner gemeinschaftlich wollte er (Huber) eine Geschichte der
Fronde schreiben, und die Charakteristik des Kardinals Retz
erschien auch wirklich in Schiller's historischem Kalender auf
das Jahr 1792 (derselbe enthielt von Huber: Kurfürst Ma-
ximilian von Baiern)." Abgesehn davon, dass die Charak-
teristik des Kardinals Retz in jenem Kalender nirgends sich
findet, wird im Verlauf unsrer Betrachtung sich unzweifelhaft
Schiller's Taschenbuch für Damen. 365
herausstellen, dass eine solche Idee über die Behandlungsweise
des dreissigjährigen Krieges, die Fülle der Stoffes in eine An-
zahl Biographien zu zerbröckeln, dem Verfasser keineswegs zu-
geschrieben -werden kann.
Im Gegensatz zu diesen vereinzelten Spuren einer von Hoff-
meister's Behauptung abweichenden, die Frage aber durchaus
nicht erschöpfenden Ansicht, - — den einzigen Spuren, die uns
bisher begegnet sind — erklären die in neuster Zeit über
Schiller erschienenen bibliographischen Werke sämmtlich den
Dichter für den Verfasser der drei Bildnisse, welche in dem
Kalender bis Seite XXVIII reichen. So Saupe (Schiller's
Leben und Werke, 1855. S. 54), Wenzel (Aus Weimars gol-
denen Tagen, 1859. S. 210) und das Wiener Schiller-Buch
(Marg. 1627). Unter solchen Umständen möchte eine Unter-
suchung über den Damenkalender für das Jahr 1792 den Vor-
wurf einer ganz überflüssigen Arbeit nicht verdienen, und wenn
auch bei der Darlegung dessen, was in Zukunft als wohl be-
gründete Wahrheit zu erachten, das sonderbare Ergebniss an's
Licht treten sollte, dass die drei kurzen Biographien oder we-
nigstens zwei derselben aus Schiller's Werken zu streichen und
ihrem eigentlichen Verfasser zurückzugeben seien, so glauben
wir, selbst mit einem solchen Resultate unsrer Bemühung dem
Lorbeerkranz des grossen Mannes nicht ein Blättchen zu ent-
winden.
Es ist übrigens eine auffallende, der Schiller -Forschung
gerade nicht zur Ehre gereichende Erscheinung, dass Hoff-
meister's Ansicht über die vier genannten Bildnisse so lange
Zeit unangetastet eich erhalten konnte, da die Unrichtigkeit der-
selben keineswegs etwa aus neu eröffneten , handschriftlichen
Quellen, selbst nicht aus dem an diesem Orte sehr lückenhaften
Briefwechsel Schiller's mit Körner allein sich ergiebt, und da
ihr erster Vertreter die zur Entdeckung des wahren Sachver-
hältnisses nöthigen Schriftstücke zum grossen Theil in Händen
gehabt und zu wiederholten Malen benutzt hat. Wir stützen
uns nämlich bei unsrer Beweisführung theils auf ein unten mit-
zuteilendes Schreiben Wieland's an Schiller's Gattin und auf
die Briefe desselben an seinen Verleger Göschen (S. Wieland's
Leben von Gruber, 1828. Bd 4, S. 225 und folg.), theils auf
366 Schiller's Taschenbuch für Damen.
den Briefwechsel Schiller's mit Körner und auf die Briefe Hu-
ber's an Letzteren, enthalten in L. F. Huber's sämmtlichen
Werken seit dem Jahre 1802, Tübingen 1806, Bd I, S. 247
und folg. Während Hoffmeister die Schiller -Körner'sche Cor-
respondenz bei der Abfassung seines Werkes natürlich nicht in
Anwendung bringen konnte, haben ihm die angeführten Schreiben
Wieland's sämmtlich vorgelegen; aber unsere letzte Quelle hat
er leider unbeachtet gelassen. Diese veranlasst uns zu einer
kleinen , vielleicht nicht ganz unnöthigen Bemerkung. Die
Hälfte des ersten Bandes von Huber's Werken füllen nämlich
seine Briefe an einen ungenannten Freund aus den Jahren
1783 bis 1792. Dass dieser ungenannte Freund Niemand an-
ders als der Appellationsrath Körner in Dresden war, wussten
die gleichzeitigen Recensenten des Buches genau; nur unsere
Zeit hat es vergessen bis auf den Herausgeber der neuesten
Ausgabe von Theodor Körner's Werken (Berlin 1858. Bd 4, S.
76). Jene Huber'schen Briefe nun, mochten sie auch bei der
beklagenswerthen Verkürzung und Verstümmelung, in der sie
uns leider noch immer vorliegen , vor der Erscheinung der
Schiller-Körner'schen Correspondenz vielleicht von geringerer
Bedeutung sein, haben nach der Veröffentlichung derselben je-
denfalls an Interesse und Wichtigkeit gewonnen, da Huber der
Dritte in dem Freundesbunde war, welcher einst in Leipzig
unter dem Klange silberner Becher geschlossen wurde, und da
seine Schreiben die der beiden andern Männer eine Reihe von
bedeutungsvollen Jahren hindurch begleiten.
Nach diesen Vorbereitungen können wir auf» die Erörterung
unsrer Frage näher eingehen und vergegenwärtigen uns, um
den Damenkalender in seinen einzelnen Bestandtheilen vor un-
sren Blicken sich entfalten zu lassen, Schiller's Schaffen und
Leiden während des Jahres 1791, in dessen Verlauf die Arbeit
vollendet werden musste. Der Dichter erkrankte bekanntlich
im Januar dieses Jahres während eines Aufenthaltes in Erfurt
so bedenklich und wurde in den folgenden Monaten so oft von
beängstigenden Brustkrämpfen befallen, dass seine Freunde und
Verehrer nah und fern mit der ernstesten Besorgniss um das
Leben des theuren Mannes erfüllt wurden. Mitten unter diesen
wiederholten Krankheitsanfällen , die ihn nöthigten , für den
Schiller's Taschenbuch für Damen. 367
Sommer seine Vorlesungen auszusetzen, quälte ihn die Anhäu-
fung unabwendbarer schriftstellerischer Arbeiten und besonders
die Sorge um die Erfüllung seiner gegen Göschen übernom-
menen Verpflichtungen , die Sorge um die Fortsetzung des
Damenkalenders. Je unerwarteter und gewaltiger das Glück
war , welches der Verleger mit diesem neuen Producte der
Schiller'schen Muse im ersten Jahre gemacht hatte , um so
mehr musste ihm an der ununterbrochenen Fortsetzung eines
Werkes liegen, bei dem er für das Jahr 1792 auf einen Absatz
von mehr denn siebentausend Exemplaren mit Bestimmtheit
rechnen zu können glaubte. Es hatten ja diese jüngsten Kinder
der Literatur, die Taschenbücher und Kalender, die im letzten
Drittel des vorigen Jahrhunderts zum ersten Male, Nutzen und
Vergnügen spendend, meist an die Herzen der Damen zunächst
appellirend, in reicher Fülle von den ernsten Gipfeln des deut-
schen Parnass hernieder gestiegen waren, mit überraschender
Schnelligkeit die Gemüther für sich gewonnen. Was die
Wissenschaft in rastloser Arbeit, in gründlichster Forschung
erbeutet, das brachten die Taschenbücher und Kalender ohne
den Staub der Gelehrsamkeit in geschmackvollster Form auf
den heiteren, Allen zugänglichen Markt des Lebens; dabei er-
schienen diese niedlichen Musenkinder in zierlichen Gewändern
von Sammet und Seide, mit Blumen und Gold reich geschmückt,
und überall waren sie gern gesehen, in der Actenwelt der Be-
amten wie im Prunkgemach der Damen. Wer damals zum
grossen Publikum mit dauerndem Erfolge reden wollte, musste
die unwiderstehliche Gnomengewalt dieser Kalender zur Bundes-
genossin seines Strebens sich erwerben. Diesen Einfluss eines
Almanachs auf die grosse Menge der Gebildeten kannte Wie-
land sehr wohl, als er auf seines Freundes Göschen Veranlassung
mit Archenholz im Jahre 1789 das historische Taschenbuch für
Damen gründete, welches von 1790 an überhaupt fünf Mal er-
schienen ist; diesen Einfluss kannte der Verleger selbst sehr
wohl, als er Schiller's Feder für seine Zwecke gewann, und
Schiller's dreissigjähriger Krieg ist es auch einzig und allein,
der das Gedächtniss dreier Bändchen des Kalenders in alle
Zukunft erhalten hat, während die Jahrgänge 1790 und 1794
jetzt längst vergessen und fast gänzlich untergegangen sind.
368 Schiller's Taschenbuch für Damen.
Schiller selbst endlich wusste die periodisch wirksame Allge-
walt der Kalendergenossenschaft auf das bildungsbedürftige
Vaterland am besten zu würdigen. Er, der in jeder Weise zu
seinen Deutschen geredet, auf dem Katheder wie auf den Bret-
tern der Bühne, in dem engen Gelehrten -Zirkel der deutschen
Gesellschaft zu Manheim wie auf der breiten Heerstrasse der
Journalistik; — er redete durch die kleine Zunge der Kalender-
muse, um durch ihre Vermittelung auf dem damals für das
grössere Publikum noch wenig erschlossenen Gebiete der Hi-
storiographie Allen zu genügen und Alle zu gewinnen. Sobald
er die Kalenderarbeit übernahm, gab er sogleich die Idee seiner
Vorgänger auf und betrat — das kann uns nicht auffallen —
auch hier seine eigene Bahn. Wieland und Archenholz hatten
nämlich den Inhalt des Kalenders von 1790 unter sich getheilt,
der Erstere die Geschichte der Königin Elisabeth von England
in gefälliger, prunkloser Manier erzählt, der Letztere zunächst
die pythagoreischen Frauen geschildert und dann mit feiner und
gewandter Hand eine Apologie der Aspasia und der Julie, des
Augustus Tochter, entworfen. Auch in einer solchen Zerrissenheit,
auch mit diesem deutsches Leben so wenig berührenden Inhalt
fand der Kalender nicht ungünstige Beurtheilung, und der Ab-
satz des Buches rechtfertigte vollkommen die Erwartungen seines
Verlegers. Trotz dieses Erfolgs war Schiller, als er dem Iva-
lender seine Feder widmete, in Bezug auf Inhalt und Form
durchaus gegen den Plan seiner Vorgänger. Auf den ersteren
Punkt haben wir hier nicht näher einzugehn ; aber welch' ein
Unterschied zwischen seinem tief in das nationale Leben des
Volkes eingreifenden dreissigjährigen Kriege und den meist
leichtfertigen Aufsätzen des Kalenders von 1790! Der zweite
Punkt, die Form, ist für uns wichtiger. Die Idee nämlich, den
dreissigjährigen Krieg in einzelne Biographien zu zerbröckeln,
lag ihm durchaus fern. Er hat dies nicht allein durch den Ka-
lender von 1791 bewiesen, der ganz seine und nur eine Arbeit
war ; sondern er hat sich auch über die Verkehrtheit einer solchen
Behandlungsweise in folgenden klaren Worten an seinen Freund
Körner ausgesprochen (B. mit K. II, S. 349): „Ich bin gar
nicht für ein Quodlibet von mehreren Verfassern. Das ruinirt
Göschen; denn kein Mensch wird es kaufen. Es muss ein Ver-
Schiller's Taschenbuch für Damen. 369
fasser und eine fortlaufende Geschichte sein, wenn das Publi-
kum sich darauf einlassen soll." Diesen Grundsätzen gemäss
übernahm Schiller den Kalender für 1791 allein und lieferte
ohne den überflüssigen Schmuck der Bildnisse eine zusammen-
hängende Arbeit, und diese, sein dreissigjähriger Krieg, wurde
vielleicht das belesenste historische Buch der damaligen Zeit.
Nach dem glänzenden Erfolge des ersten Jahrgangs seiner
Arbeit war Schiller's Lage um so peinlicher, als er im Früh-
ling und Sommer 1791 durch die unaufhörlichen Krankheits-
anfälle sich fast in die Unmöglichkeit versetzt sah, den Anfor-
derungen Göschen' s zu genügen. Wohl mahnten die Freunde,
namentlich Körner, zur Ruhe, zur Erholung ; die Brustkrämpfe
kehrten wieder und mit ihnen die täglich sich steigernde Sorge
D OD
um den „verwünschten" Kalender. Unter solchen Verhältnissen
ist der folgende Brief Wieland's an Schiller's Gattin, datirt
Weimar den 17. Juni 1791, ein wichtiges Dokument; denn er
sagt in klaren Worten, dass, da Schiller für seine Person zum
Schweigen verurtheilt sei , Andere für ihn eintreten müssten.
Diesen Brief hat Hoftmeister in dem grösseren Werke benutzt
und zum Theil abdrucken lassen (Bd 2, S« 268), nur gerade die
Stelle , welche ihn auch ohne die Körner'sche Correspondenz
auf die richtige Spur hätte leiten können, nicht weiter zu Rathe
gezogen. Das Schreiben Wieland's befindet sich in der Aus-
wahl von Briefen berühmter Personen, veröffentlicht in dem Pro-
gramm des Gymnasiums zu Trier vom Jahre 1829. Da eine
solche Gelegenheitsschrift schwer zu erreichen ist, so lassen
wir die betreffende Stelle folgen. Wieland schreibt nämlich an
Schiller's Gattin (A. a. O. S. 23): „Ich bin überzeugt, dass
Ruhe des Geistes und gänzliche Enthaltung von aller auch nur
mit einiger Anstrengung verbundener Beschäftigung nothwen-
dige Bedingungen zur Erhaltung eines Ihnen und uns und mit
uns vielen Tausenden so theuren und wichtigen Lebens sind, —
und ich kann daher nicht bergen, dass ich nicht eher ruhig
seyn kann, bis ich weiss, dass Ihr 1. Gemahl sich wenigstens
für dieses Jahr von dem Engagement gegen das Publikum
und Herrn Göschen wegen Fortsetzung und Beendigung der
Geschichte des dreissigjährigen Krieges losgemaeht^habe. Ge-
wiss — gewiss wird das Publikum ihn dieser Verbindlichkeit
370 Schiller's Taschenbuch für Damen.
mit der grössten Bereitwilligkeit entbinden , so bald es erfährt,
wie theuer es seine bäldere Befriedigung zu erkaufen Gefahr
laufen könnte. Gewiss wird es sich allenfalls gerne an einem
oder zwei Bogen der Fortsetzung — als blossem Be-
weise des guten Willens mehr zu geben, wenn's möglich ge-
wesen wäre — begnügen lassen, und Herr Göschen wird leicht
Mittel und Wege finden, den leeren Raum durch andere,
freilich nicht aequivalirender, aber doch wenigstens im
Nothfall unser so leicht zu vergnügendes Publikum contenti-
render Aufsätze auszufüllen. Mich dünkt, so soll und muss
es arrangirt werden! Denn der blosse Gedanke, dass die Ge-
sundheit, geschweige das Leben eines Mannes wie Schiller um
des historischen Damen-Kalenders willen gefährdet werden sollte,
empört meine ganze Seele." —
Nach diesen Worten Wieland's ist es unzweifelhaft, dass
Schiller's Theilnahme an dem neuen Kalender nur eine be-
schränkte sein konnte. Wer aber sollte ihn ersetzen? Die Auf-
gabe war schwer! Es galt ja, in der Kunst der Historiographie
mit einem Meister zu wetteifern und zwar nicht in den engen
Schranken einer gelehrten Abhandlung, die das Tageslicht scheut,
sondern auf der weiten Arena eines Kalenders, wo die gesammte
Damenwelt und hinter ihr das ganze gebildete Publikum , so
weit die deutsche Zunge reichte, zu Kampfrichtern berufen
waren. Wer schien fähiger, würdiger, dieser Aufgabe zu ge-
nügen, als Wieland, der Mitbegründer des Taschenbuchs? Wer
musste durch freundschaftliche und schriftstellerische Verbindung
mehr zur Uebernahme einer solchen Arbeit sich verpflichtet
fühlen, als er? Das Wagstück, so verführerisch für Manchen,
lockte indessen den vorsichtigen, um seine schriftstellerische Re-
putation äusserst besorgten Wieland keineswegs, obgleich drin-
gende Aufforderungen dazu an ihn von Göschen oder mittelbar
von Schiller's Gattin ergangen sein mögen. Er schreibt am
23. Juni an Göschen (a. a. O. S. 225): „Es ist zur Erhaltung
unsers Schiller's schlechterdings nothwendig, dass er wenigstens
ein halb Jahr von aller Arbeit und Anstrengung des Geistes
sich enthalte. In dieser Ueberzeugung hatte ich mir vorgesetzt,
Ihnen mit ehestem über diese Sache zu schreiben und Ihnen vor-
zuschlagen , dass Sie den Kalender pro 1792 von irgend
Schiller's Taschenbuch für Damen. 371
einem oder mehreren allezeit fertigen Beaux-E sprits
von Ihrer Bekanntschaft, es sey womit es wolle, ausfüllen lassen,
und dem Publikum, welchem gewiss an Schiller's Leben unend-
lich mehr gelegen ist, als an der bäldern oder spätem Vollen-
dung des dreissig jährigen Krieges, die wahre Ursache, warum
Schiller diesmal nicht Wort halten konnte, sagen möchten. Aber
dass Madame Schiller oder Sie darauf fallen würden, dass ich
der Heilige seyn könnte, der Ihnen aus dieser Noth helfen sollte,
das fiel mir nicht ein. Bedürfte es indessen nichts dazu als
des guten Willens, so sollten Sie demungeachtet keine Fehl-
bitte thun. Aber, mein lieber Freund, was Sie von mir ver-
langen, ist mir aus mehreren wichtigen Ursachen ganz unmög-
lich. Ich kann mich jetzt nicht darüber expliziren; genug, ich
würde Ihnen versprechen, was ich nicht halten könnte, wenn
ich Ihren Auftrag übernehmen wollte. — Mir thut es herzlich
leid, dass ich die Meinung, welche Sie und (wie es scheint)
auch Schiller von mir gefasst haben, nicht rechtfertigen kann.
Aber ich kann nichts dafür, dass meine Kräfte und mein Talent
weit engere Schranken haben , als Sie sich vorstellen. Und
nun kein Wort weiter über diese Sache, die mir mehr als Einen
Tag verbittern wird." — Im Anfange des folgenden Monats
befindet sich die Angelegenheit des Damenkalenders noch ganz
in derselben Lage. Wieland schreibt nämlich am 4. Juli an
Göschen : „Ich hoffe und wünsche sehnlich , dass Sie Mittel
finden mögen, die Lücke, welche durch die leider! misslichen
Gesundheitsumstände unsers theuren und unersetzlichen Schiller's
in Ihrem Historischen Damenkalender entstehen muss, auf eine
schicklichere Art auszufüllen, als ich es im äussersten Noth-
fall zu thun im Stande wäre. Denn ehe ich Sie einen so em-
pfindlichen Verlust leiden Hesse, würde ich freilich lieber mit
Aufopferung meiner schriftstellerischen Reputazion das Mögliche
und Unmögliche versuchen. Indessen wünsche ich um Ihret-
willen und um meinetwillen, dass es dazu nicht kommen möge."
Wenn nun Wieland nach diesen Stellen, die Hoffmeister
sehr wohl kannte (a. a. O. Bd 2, S. 270), für seine Person die
Vollendung des Kalenders eigentlich ablehnte und nach einem
Briefe an Göschen vom 25. Juli zunächst nur die Vorrede
übernehmen wollte , und wenn der Verleger den Erfolg seines
372 Schill er' s Taschenbuch für Damen.
Buches einer Arbeit jener allezeit fertigen Beaux-Esprits von
seiner Bekanntschaft nicht anvertrauen mochte: wer sollte dann
eintreten? Schiller's Freunde waren im Jahre 1791 noch nicht
so zahlreich und seine literarischen Verbindungen noch nicht so
innig, dass bei der Kürze der Zeit mit Zuversicht auf einen
Helfer in der Noth gerechnet werden konnte. Trotz all dem
finden wir schon Ende Juli die Angelegenheit vollständig ge-
ordnet und die Rollen vertheilt. Die alten Freunde waren die
treusten !
Etwa um die Mitte Juli reiste nämlich Schiller nach Karls-
bad, traf daselbst mit Göschen zusammen und scheint gleich in
den ersten Tagen seines dortigen Aufenthaltes die Arbeiten für
den Kalender mit seinem Verleger so geordnet zu haben, wie
wir es nachzuweisen im Stande sind. Obwohl der Dichter, wie
wir oben gesehn, im Princip gegen ein Quodlibet von mehreren
Verfassern und Arbeiten war, so musste doch für das Jahr
1792 dieser Grundsatz aufgegeben werden. Die Veränderung
des ursprünglichen Planes wurde also keineswegs durch eine
Ansicht des Dichters bedingt, sondern durch seine traurigen
Gesundheitsverhältnisse hervorgerufen. Man sah sich genöthigt,
auf die Einrichtung des ersten Jahrganges (von 1790) zurück-
zugehen, und entschied sich für mehrere Arbeiten und verschie-
dene Verfasser. Kern des Ganzen blieb Schiller's Fortsetzung
des dreissig jährigen Krieges, zwar nur ein Bruchstück, aber
ein Aufsatz, der wider alle Erwartung des Verlegers noch im
3 DO
Laufe des September auf fünf gross gedruckte Kalenderbogen
angewachsen war; Wieland's verheissene Vorrede musste nach
einem ausgedehnteren Plane gearbeitet werden. Ausserdem
wurden einige Bildnisse berühmter Zeitgenossen beabsichtigt,
zu deren Abfassung geeignete Männer zu gewinnen waren.
Die desshalb gepflogenen Unterhandlungen liegen uns wenigstens
in ihren Resultaten vor. Anfänglich wurde sogar auch an
Wieland die Aufforderung gerichtet, eine Schilderung des Cha-
rakters und Lebens des Kardinals Richelieu zu liefern; aber er
lehnte dies Anerbieten mit den Worten ab: „Dieser Gedanke
gefällt mir sehr wohl, — nur ich tauge nicht zu solchen Schil-
derungen." Körner war nun der erste, der trotz aller Berufs-
arbeit einen Theil der Last, den Oxenstierna, übernahm. An-
Schiller's Taschenbuch für Damen. 373
fänglich (in den ersten Tagen des August) schien ihm die Ar-
beit leicht und schnell von Statten zu gehn; je mehr er aber in
seinen Gegenstand sich vertiefte; je mehr er sich bemühte, die
individuellen Züge des Miniaturbildes zu einem schönen Ganzen
zu gruppiren: um so weniger genügte sich selbst der beschei-
dene Mann. Erst am 12. October konnte er das vollendete
Manuscript, nach seinem eigenen Urtheil einen steifen und tro-
ckenen Aufsatz, an den Verleger versenden (Schiller's Briefw.
m. K. Bd 2, S. 265). Ludwig Ferdinand Huber, seit Ostern
1788 kursächsischer Legationssecretair und später Resident zu
Mainz, war der zweite Helfer, der in der Kalendernoth seine
Unterstützung zusagte. Er schrieb am 31. Juli an Körner (a.
a. O. S. 423): „Göschen hat mich gebeten, an Schiller's Ka-
lender eine Arbeit von fünf oder sechs Bogen zu machen, die
mir sehr beschwerlich ist, weil ich die Quellen ganz von vorn
studiren muss, die ich aber bei Schiller's Umständen nicht
wohl ausschlagen konnte." Die Nothwendigkeit dieses Quellen-
Studiums bezieht sich augenscheinlich weniger auf Richelieu,
als auf die beiden andern Bildnisse; denn Huber hatte schon
für das Decemberheft des neuen deutschen Museums vom Jahre
1790 einen Abschnitt aus den Memoiren des Kardinals Retz
bearbeitet, aus welchem Aufsatz späterhin eine Stelle als Ein-
leitung in die Biographie des Kalenders überging. Noch eine
zweite Aeusserung in der Huber'schen Correspondenz ist für
unsre Zwecke von Wichtigkeit. Er meldet nämlich dem Freunde
am 16. August: „Du schreibst mir, dass Du den Oxenstierna
hast; meine Arbeit kennst Du, mit welcher ich bis Michaelis
fertig sein muss, die Special-Geschichte von Hessen fehlt ganz
auf der hiesigen Bibliothek, auch bei Bekannten finde ich nichts
davon; — Du wärst ganz erstaunlich gut, wenn Du Dich mit
der Landgräfin Amalia von Hessen noch chargirtest, die ich
gar nicht die Ehre habe zu kennen, und vor der mir sehr graut.
Den Richelieu und Kurfürsten Max behielt' ich; aber
von der Landgräfin frei zu sein, das würde mich ordentlich
aufathmen machen" (a. a. O. S. 425). Bei Hubcr's vielseitiger
amtlicher und literarischer Beschäftigung wuchs die doppelte
Arbeit nur langsam, und erst in der zweiten Hälfte des October
konnten Richelieu und Maximilian an den Verleger gelangen.
374 Schiller's Taschenbuch für Damen.
Piquant schien dem Verfasser der Erstere; aber der Kurfürst
war in Haltung und Sprache sein Stolz. Er selbst glaubte in
diesem Bilde das alte Ideal der Freunde von der erhabenen
Ruhe des Geschichtsschreibers verwirklicht. (Merkwürdig ist
übrigens Schiller's Urtheil über diesen Aufsatz. Er schreibt
am 17. November 1792 an Körner: „Huber taugt gar nicht zu
historischen Arbeiten, cla er doch nur ein Schwätzer bleibt;
sein Maximilian ist nicht zu lesen." Und dieses Bildniss sollte
nach Hoffmeister's Ansicht unzweifelhaft aus Schiller's Feder
geflossen sein !).
Aus dem Gesagten ergiebt sich also Folgendes als Resultat
unsrer bisherigen Untersuchung über drei Biographien des Ka-
lenders. Oxenstierna, der nie Schiller zugeschrieben wurde, ist
von Körner verfasst, eine dem neusten Herausgeber von Theo-
dor Körner's Werken (Bd 4, S. 58) und auch sonst wohl be-
kannte Thatsache, über die wir nur der Vollständigkeit wegen
o-laubten berichten zu müssen*); Richelieu und Maximilian
sind von Huber geschrieben und daher auch in den ersten
Band seiner 1793 in Berlin erschienenen vermischten Schriften
aufgenommen worden. Die an dieser Stelle S. 103 bis 131
abgedruckte Abhandlung über Richelieu beginnt mit der fünften
Seite des Kalenderbildnisses; die vier ersten Seiten sind dort
fortgelassen worden, weil sie schon in demselben Bande S. 20
u. folar. in dem aus den Memoiren des Kardinals Retz ent-
lehnten Aufsatze zu lesen sind. Das Bildniss Maximilian's steht
a. a. O. S. 132 bis Seite 160 vollständig so, wie in dem Ka-
lender. **)
Es bleibt uns von den vier Bildnissen des historischen Ta-
schenbuchs nur noch ein einziges über, das der Landgräfin
Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel. So wünschenswerth es
wäre, auch für diese kurze, nur wenige Kalenderblätter, fast
*) Oxenstierna ist auch abgedruckt in : Körner's, des Aeltern, Schriften.
Herausg. von Barth. 1859. S. 104—123.
**) Huber's Gattin Therese brachte schon (a. a. O. S. 56) die nicht
ganz unrichtige Notiz : „Huber arbeitete auch die beiden Aufsätze aus, welche
in Schiller's historischem Kalender vom Jahre 1792 erschienen: die Charaktere
des Kardinals von Retz und des Kurfürsten Maximilian von Baiern;" nur
beging sie den Irrthum, „Retz" und „Richelieu" miteinander zu verwechseln
— ein Uebelstand, der Nachfolger gefunden zu haben scheint.
Scbiller's Taschenbuch für Damen. 375
nur zwei Seiten der Hoffineister'schen Supplemente umfassende
Biographie die Sache zu Ende zu führen, so müssen wir doch
leider bekennen, dass wir dieser Dame gegenüber ziemlich in
ähnlicher Rathlosigkeit uns befinden, wie der gute Huber. Zwar
können wir nach den mitgetheilten Verhandlungen wohl mit der
grössten Bestimmtheit die Behauptung aufstellen: Amalie Eli-
sabeth ist weder von Körner, noch von Huber geschrieben;
wer aber der eigentliche Verfasser sei, ob Schiller vielleicht doch
selbst dieses Bild entworfen, zur Entscheidung dieser Frage
bleibt bis jetzt fast nur der Vermuthung Raum. Nach Huber's
oben mitgetheilten Bemerkungen liegt es nahe, vor Allem an
einen hessischen Gelehrten zu denken, der, schon im Voraus
mit der Quellenkunde seines engeren Vaterlandes genügend aus-
gerüstet, trotz der Kürze der Zeit im Stande gewesen, jenes
Miniaturbild zu zeichnen, und in dieser Beziehung sind wir in
der That nicht ganz ohne Rückhalt. Schiller machte nämlich
im September des Jahres 1791 während seines Aufenthaltes in
Erfurt die Bekanntschaft des hessischen Professors Karl Wil-
helm Justi (f 1846) und übergab ihm ein am 18. dieses Mo-
nats geschriebenes Stammbuchblatt, welches noch jetzt uns vor-
liegt.*) Diesen Professor Karl Wilhelm Justi möchte man für
den Verfasser des letzten fraglichen Bildnisses um so eher er-
klären, als er nachweislich zu wiederholten Malen der Land-
gräfin seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Im Jahre
1799 Hess er zu Marburg als Waisenhaus -Programm Bruch-
stücke aus ihrem Leben drucken und gab 1812 zu Giessen den
Versuch einer Darstellung ihres Lebens und Charakters heraus.
So sehr auch diese unsre Vermuthung den Schein der Wahr-
heit für sich haben mag, so können wir dennoch selbst sie
nicht aufrecht erhalten. Ihr steht nämlich ein bestimmtes Zeug-
niss Justi's entgegen, der in seinem zweiten Werke über Amalie
Elisabeth (S. 33) eine Stelle aus dem Bildniss des Damen-
kalenders citirt und zwar als Schiller's eigenes Urtheil über die
Fürstin. Allerdings beweist die Art der Anführung nur, dass
Justi für seine Person den Dichter für den Verfasser des frag;-
*) S. Henke. Memoria Caroli Guilielmi Justi etc. Marburg! 1847. p. 34.
35. J. Meyer's Beiträge zur Feststellung des Schiller'schen Textes. Nürnberg
1858. S. 19.
370 Schiller's Taschenbuch für Damen.
liehen Aufsatzes gehalten hat, mehr nicht. Da wir unter solchen
Umständen weder für die Abfassung der kurzen Biographie
durch Schiller, noch für die Autorschaft eines andern Gelehrten
irgend ein unzweifelhaftes äusseres Zeugniss aufzuführen im
Stande sind, und da Hoffmeister' s Beweisführung bei Huber's
Arbeiten genügend dargethan, wie wenig auf diesem Gebiete
den inneren Gründen allein zu trauen, so müssen wir in dem
einen Punkte die Entscheidung offen lassen. Die Frage nach
dem Verfasser des vierten Kalenderbildnisses sei hiermit ange-
regt, obgleich nicht erledigt! Möge sie bei den Freunden des
Dichters bald ihre Beantwortung finden!
Wir sind am Ziele unsrer Untersuchung. Der Wahrheit
gemäss haben wir das Band zerschnitten, das bisher mehrere Bild-
nisse des historischen Taschenbuchs für 1792 an Schiller's Namen
kettete. Indem wir dem Dichter entzogen, was nicht sein war,
haben wir die Manen des grossen Mannes nicht verunglimpft.
Dafür haben wTir zu dem Denkmal des Seelenbundes , der in
ereignissreichen Jahren die drei Freunde: Schiller, Körner und
Huber zum rüstigsten Schaffen begeisterte, einen, wenn auch
nur geringen Stein hinzugefügt. Kaum ein Jahr später, da geht
Huber in der Ferne seine eigene Bahn ; der Damenkalender
des Jahres 1792 ist die letzte gemeinsame Frucht jenes Freund-
schaftsbundes.
Dr. Kuhlrney.
In dem Aufsatze „Ra ein e's Athalia" im vorigem Hefte sind folgende
Fehler zu verbessern:
Pag. 247 Z. 4 v. u. statt meiner 1. der.
Pag. 249 Z. 3 v. o. statt ein- 1. vielfachen.
Pag. 251 Z. 14 v. o. statt verkündet 1. verbündet.
Pag. 254 Z. 2 v. u. statt besehen 1. bestehn.
Pag. 255 Z. 12 v. o. statt Triumph ge sänge 1. Triumphgepränge.
Zur angelsächsischen Literatur.
In der Voraussetzung, dass die vor einigen Jahren in dieser
Zeitschrift (XXI V, p. 249 — 266.) von mir gegebene Uebersicht
des Studiums angelsächsischer Sprache und Literatur in Deutsch-
land nicht unwillkommen gewesen ist, will ich im Folgenden
einige Nachträge und Ergänzungen dazu bringen. Die damals
ausgesprochenen Wünsche sind ohnehin noch nicht alle in Er-
füllung gegangen und eine erneute Anregung auf einem Gebiete,
das noch immer Vielen zu fern zu liegen scheint, wird keiner
Entschuldigung bedürfen.
Zunächst mag- Einiges seine Stelle finden, was mir damals
ganz entgangen oder wenigstens nicht aus eigner Ansicht und
Leetüre genau bekannt war. Von einem altern Buche weiss ich
©
auch heute nur den Titel zu geben :
„F. Oelrich's Angelsächsische Chrestomathie. 4°. Bremen
1798." Früher noch findet sich bei Herder eine Hinweisung auf
den Werth der angelsächsischen Sprache und Literatur, an die
ich zu erinnern nicht umhin kann. Derselbe sagt in seiner Ab-
handlung: „Aehnlichkeit der mittleren englischen und deutschen
Dichtkunst." Aus dem deutschen Museum 1777. Zur schönen
Literatur und Kunst 4, 49. „Der ungeheure Schatz der angel-
sächsischen Sprache in England ist mit unser und da die Angel-
sachsen bereits ein Paar Jahrhunderte vor unserem angeblichen
Sammler und Zerstörer der Bardengesänge, vor Karl dem Grossen
hinübergingen; wie? wäre alles, was dort ist, nur Pfaffenzeug?
in dem grossen noch ungenutzten Vorrath keine weitern Frag-
mente, Wegweiser, Winke? endlich auch ohne dergleichen, wie
wäre uns Deutschen das Studium dieser Sprache, Poesie und
Literatur nützlich!" — Hierzu aber, wo sind äussere Anmun-
terungen und Gelegenheiten? Wie weit stehen wir in Anlässen
© ©
der Art den Engländern nach! Unsre Parker, Seiden, Spelman,
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 25
378 Zur angelsächsischen Literatur.
"VVhelok, Hickes, wo sind sie? wo sind sie jetzt? Stussens Plan
zur wohlfeilem Ausgabe der Angelsachsen kam nicht zu Stande;
Lindenbrogs angelsächsisches Glossarium liegt ungedruckt.
Unter den Deutschen , die sich nach F. Grimm am ersten
und wiederholt mit dem Angelsächsischen beschäftigten, hätte
nicht vergessen werden dürfen: Fr. J. Mone, welcher bereits
1830 angelsächsische Glossen veröffentlichte in seinem Buche:
„Quellen und Forschungen zur Geschichte der deutschen
Literatur und Sprache." p. 310. ss. und seine Arbeit fortsetzte
im „Anzeiger." cf. z. B. 1839. VIII, 233 — 47. Man vergl.
darüber Bouterwek im Caedmon IL p. XV ss. und Hoffmann
von Fallersieben in Pfeifer's Germania III, 221 — 24. Aus dem
Jahre 1825 konnte erwähnt werden: „Versuch einer Daratellung
des Angelsächsischen Rechts von George Phillips." Göttingen.
In den „Altdeutschen Wäldern,, II, 189 s. Leipzig 1838
erschien der Dialpg zwischen Adrian und Rithaeus.
In den letzten Jahren wurden ferner von hierher gehörigen
Werken veröffentlicht :
1858. Screadunga. Anglo-Saxonica maximam partem inedita
publicavit C. G. Bouterwek.
Der Titel bedeutet: fragmente, reliquiae, nach dem als Motto
gewählten Spruch Joh: 6, 12. somnias tha screadunga, Sammelt
die Brocken. Die Schrift enthält Evangelien blossen als Nach-
träge zu den vier Evangelien in altnordhumbrischer Sprache,
die Fragen Alcuins über die Genesis von Sigevulf, die Schrift
Beda's de temporibus anni in angelsächsischer Sprache, sowie
ein Glossar dazu.
1859 erschien der zweite Band von: Grein, Dichtungen der
Angelsachsen stabreimend übersetzt. Es finden sich darin An-
dreas, Juliane, Guthlar, Elene, das Kreuz, die Reden der Seelen,
das jüngste Gericht, das Gemüth der Menschen, Schicksale der
Menschen, Alfreds Metra des Boethius, die Räthsel, Seefahrer,
Wandrer, Klage der Frau, Botschaft des Gemahls. Laut der
Vorrede schliesst dieser zweite Band vorerst die Sammlung ab
und es bleibt der Zukunft überlassen, ob dereinst noch ein dritter
Band nachfolgen werde. Ueber Bedeutung und Werth dieser
Arbeit ist bereits früher bei Erwähnung des ersten Bandes das
Nöthige gesagt worden. Dort wurde auch auf die verdienstliche
Zur angelsächsischen Literatur. 379
Art hingewiesen, in welcher Simrock durch seine Uebersetzungen
die älteren deutschen Gedichte dem heutigen Geschmacke nahe
zu bringen wisse, ohne dass vorausgesehen werden konnte, wie
er seine Kunst alsbald auch „an der bedeutendsten angelsäch-
sischen Dichtung, dem Beovulf, beweisen wrerde."
Ebenfalls 1859 nämlich erschien:
Beowulf, das älteste deutsche Epos, übersetzt und erläutert
von Dr. Karl Simrock, Stuttgart und Augsburg bei J. G. Cotta.
Der Verfasser hat seine Aufgabe vortrefflich gelöst, so dass
die Arbeit nicht besser charakterisirt werden kann als mit den
Worten seiner eignen Vorrede: „Eine dritte Uebersetzung (neben
denen von Ettmüller und Grein) schien mir nicht überflüssig,
die sich an ein grösseres Publicum wendete, und ohne mit jenen
in wörtlicher Uebertragung wetteifern zu wollen, mehr auf eine
poetische Wiedergeburt des alten Gedichts ausginge. Geist und
Stimmung einer fernen Heldenzeit anklingen zu lassen, und doch
dem Ausdruck die frische Farbe des Lebens zu verleihen und
der Rede die ungezwungene Bewegung, vor Allem aber den
Wohllaut, der echter Poesie unzertrennlich verbunden ist, das
schien mir die erste Bedingung, damit der Leser, ohne bei jedem
dritten Worte einer Note zu bedürfen, den Sinn ahne, und von
der Schönheit des Gedichts ergriffen, von Blatt zu Blatt getragen
werde. Nur so glaubte ich eine tausendjährige Kluft überbrücken
und dieser mit Angeln und Sachsen ausgewanderten Dichtung
neues Heimatsrecht bei uns erwerben zu können." Die bei-
gegebenen Erläuterungen sind für das allgemeine Verständniss
werthvoll; die Uebersetzung, welche die Alliteration ebenfalls
zeigt, weit freier, aber auch weit weniger steif und fremdartig
ist als die frühern, scheint ganz geeignet, dem Epos auch in
weitern Kreisen Theilnahme und Freunde zu erwerben.
Abhandlungen geringeren Umfangs, aber zum Theil von be-
deutendem Interesse für das Studium der angelsächsischen
Sprache und Literatur wurden theils in Zeitschriften, theils be-
sonders mehrere veröffentlicht.
In der Zeitschrift für deutsches Alterthum von Haupt XI,
3. p. 409 — 490. lieferte Dietrich erstens einen Aufsatz „Ket-
tungen," mit werthvollen Beiträgen für Lexicon und Grammatik,
Sicherstellung und Erläuterung mancher seltenen und schwierigen
25*
380 Zur angelsächsischen Literatur.
Wörter; sodann eine höchst interessante Arbeit über die Räthsel
des Exeterbuchs, worin er die Lösung derselben, die bisher nur
bei wenigen versucht oder gelungen war, mit bewundernswerthem
Scharfsinne und glücklichstem Erfolge zu seiner Aufgabe machte.
Sonst möge die Erwähnung genügen, dass in der Germania,
sowie in dem Ebert'schen Jahrbuche kleine Mittheilungen, Kecen-
sionen und Anzeigen von Dietrich, Hofmann, Müllenhof, Keller,
Grein über die neusten Erscheinungen auf unsrem Gebiete vor-
kommen. Besonders erschien noch:
Kynevulfi poetae aetas, aenigmatum fragmento e codice
Lugdunensi edito illustrata a F. Dietrich. Marburgi 1859.
Dietrich führt in diesem Programme mit grosser Schärfe
sowohl als Gelehrsamkeit den Beweis, dass Cynevulf Verfasser
nicht nur von Elene, Juliana, Christ und den Räthseln, sondern
auch von Andreas, Guthlac, Phoenix, Physiologus sei und in
der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts geblüht haben müsse.
Endlich ist neuerdings, wie in Frankreich von E. G. Sandras,
De carminibus Caedmoni adjudicatis disquisitio, so bei uns
Caedmon zum Gegenstande einer Untersuchung gemacht worden:
„Ueber die Dichtungen des Angelsachsen Caedmon und
deren Verfasser von Ernst Götzinger." 1860.
Es ist ein Versuch, zu erweisen, dass die unter dem Namen
Caedmon's überlieferten Stücke (Genesis, Exodus, Daniel) von
verschiedenen Verfassern, ja aus verschiedenen Zeiten herrühren
müssen.
Man sieht, dass es dem Studium des Angelsächsischen
auch in den letzten Jahren nicht an Freunden gefehlt hat, und
dass diese nicht unthätig gewesen sind. Wenn früher über den
verhältnissmässig noch allzugeringen Einfluss desselben in wei-
teren Kreisen, bei Bearbeitung des Englischen selbst geklagt
werden musste, so kann jetzt auf eine höchst erfreuliche Er-
scheinung hingewiesen werden, während nach einer andren Seite
noch immer viel zu wünschen bleibt. Das einst von Fiedler
versuchte und trefflich begonnene Werk einer wissenschaftlich-
historischen Grammatik der englischen Spräche ist nämlich
nach langem Zwischenräume wieder aufgenommen und auf's
beste erneut worden von Eduard Mätzner in seiner Englischen
Grammatik. Berlin, 1860.
Zur angelsächsischen Literatur. 381
Den Erwartungen, welche man von dem Verfasser der
französischen Grammatik mit besonderer Berücksichtigung des
Lateinischen hegen durfte, sind in dem bisher erschienenen
ersten Theile: „Die Lehre vom Worte" vollständig befriedigt
worden. Die Lautlehre sowohl als die Formlehre ist mit steter
und umfassender Berücksichtigung der alten Sprachstufen dar-
gelegt und in allen den einzelnen Punkten die geschichtliche
Entwicklung des heutigen Sprachstandes nachgewiesen. Das
Buch wird nicht verfehlen, Viele in die früheren Perioden der
Sprache und so bis zum Angelsächsischen zurückzuführen. Um
so unerquicklicher ist der Blick auf die Darstellungen der angel-
sächsischen Periode in den Geschichten der englischen Literatur,
insbesondere in dem neusten Versuche dieser Art, der in
Deutschland gemacht worden ist. Bekanntlich fehlte es längst,
bei grossem Vorrath von Monographien, Vorarbeiten und Unter-
suchungen an einer übersichtlichen, weder zu flüchtigen, noch
rein gelehrten Geschichte der englischen Literatur für uns —
ja in England selbst. Dem allgemein empfundenen Bedürfnisse
abzuhelfen bestimmt, erschienen während der letzten zehn Jahre
ausser dem in's Deutsche übertragenen, sehr lobenswerthen
Werke von Spalding die Bücher von Scherr, von Büchner und
von Gätschenberger. Unter diesen hat Büchner seinem ganzen
Plane nach eine besondere Besprechung der angelsächsischen
Literatur von vorn herein ausgeschlossen; bei Spalding vermisst
man für diesen Abschnitt das rechte Verständniss, den gehörigen
kritischen Sinn und eigentlich selbständiges Eindringen in den
Geist der alten Poesie nach ihren Stoffen und Formen. Was
Scherr bringt, ist, soviel der Umfang seines Werkes erlaubte,
vollständig und den neusten Forschungen entsprechend; nur
selten wird der Ausdruck wohl durch Flüchtigkeit unbestimmt
und unklar, Avie wenn er p. 20 sagt: „Feststehende Sylbenmasse
gab es nicht, Endreime kamen selten vor, dagegen wurde der
vermittelst doppelter Hebung und Senkung der Stimme in zwei
Hemistichen getheilte Vers durch den Stabreim (Alliteration)
zusammengehalten und gerundet."' Bei dem Buche von Gätschen-
berger: „Geschichte der englischen Literatur mit besonderer
Berücksichtigung der politischen und Sitten- Geschichte Eng-
lands" etwas länger zu verweilen, wird nicht unangemessen sein,
382 Zur angelsächsischen Literatur.
weil es erst 1859 erschienen, auch in diesen Blättern bisher
nicht besprochen worden ist, obschon im Ganzen sich ein Ur-
theil über dasselbe sonst bereits mit ziemlicher Sicherheit fest-
gestellt haben mag. Das Werk ist leider wieder ein schlagender
Beweis dafür, dass Jemand zwar ein dringendes Bedürfniss
sehr wohl herausfühlen, eine schöne und bedeutende Aufgabe
6ich im ganzen richtig stellen, selbst eifrig an der Lösung ar-
beiten , dabei auch wohl einzelnes Dankenswerthe leisten kann,
und dennoch, weil die erforderliche Begabung und Kraft ihm
mangelt, sein Ziel verfehlen, die selbst rege gemachten und bil-
ligen Ansprüche unbefriedigt lassen kann. Es kommt hier natür-
lich nur darauf an, dieses allgemeine Urtheil, welches Seite für
Seite zu begründen nicht schwer fallen wrürde, in Bezug auf
die Abschnitte als gerechtfertigt zu erweisen, die von der angel-
sächsischen Literatur handeln p. 33 — 50.
Vor allen Dingen fällt es auf, einen so übermässig grossen
Einfluss des skandinavischen Nordens auf die angelsächsische
Sprache und Literatur angenommen zu sehn. Die Angelsachsen
und die Dänen werden ausdrücklich deshalb nicht getrennt be-
handelt „weil sie gleichen Ursprung und nur so wenig ver-
schiedene Sitten, Sprache und Religion hatten."- So schief diese
ganze Ansicht ist, nach der Dänen und Angelsachsen als gleich-
berechtigte Factoren in der Bildung englischer Sprache und
Literatur erscheinen, ja geradezu mit einander vermengt werden,
so mangelhaft und selbst verkehrt sind die meisten Bemerkungen
über die einzelnen Ueberreste der angelsächsischen Poesie. Es
kann und soll hier nicht weitläufig erörtert werden, ob kurzweg
gesagt werden durfte, „dass das Gedicht Beovulf unstreitig
nicht in England entstand, sondern aus dem Norden dahin ge-
bracht wurde," „dass der Name nicht Bienenwolf sondern Wolfs-
zähmer bedeute," aber jeder Kenner muss erstaunen, wenn er
liest was p. 33 über den poetischen Kalender, was über den
„Tod Byrhtnoth" oder was weiter über den Inhalt des Beovulf
gesagt ist. Woher in aller Welt hat Herr Gätschenberger einen
Grund, von dem ersten Stücke (er kann doch kaum ein andres
meinen als das von Bouterwek besonders herausgegebene, bei Grein
II, 1. abgedruckte Menologium) zu sagen, es sei „ein poetischer
Kalender (Saxon Menologe) um's 10. Jahi-hundert verfasst mit
Zur angelsächsischen Literatur. 383
Prophezeiungen und Sprüchwörtern und, wie mir scheint,
Fragmente verschiedener zusammengewürfelter
Gedichte, die in keiner innern Beziehung stehen." Wie
gehört überhaupt dieses Gedicht an eine Stelle, wo doch die
Reste der volksthümlichen Dichtung angegeben werden sollten
und, wenn auch unvollständig genug, aufgeführt werden. Und
der Tod Byrhtnoths soll wie die Schlacht bei Finsbury im
nüchternen Style geschrieben, Mythen oder Geschichte vor
dem Schlüsse des fünften Jahrhunderts enthalten! Wenn zum
Beweise, wie sehr heidnische Sitte und Anschauung noch in
den von Christen gedichteten Werken herrschen, gesagt wird,
man fincfe selbst den Abimelech und Holofernes mit dem Bei-
namen Balder bezeichnet, so zeugt dies von einer grossen Un-
kenntniss der Sprache oder von einer Ungeschicklichkeit im
eignen Ausdruck, welche die Sache verkehrt darstellt. Am
meisten charakteristisch aber ist eine Stelle über Beovulf, p. 36:
„Auch im angelsächsischen Gedichte Beowulf
(Wolfszähmer, nicht Bienenwolf), dieser merkwürdigen
Zusammenfassung ächter nordischer Tradition, welches
die alle Erfindungen der kühnsten Romandichter weit
hinter sich zurücklassenden Erlebnisse dieses edlen
Dänen aus dem königlichen Stamme der Skyldinge
und insbesondere seine Kriege mit den Königen
von Schweden feiert, ist die interessanteste Stelle eine
Beschreibung der Kämpfe des Helden mit einem männ-
lichen und weiblichen Geiste, die jede Nacht die grau-
samsten Zerstörungen in Hrothgar's Halle anrichteten.
Grendel hiess der männliche Geist, und .der weibliche
war seine Mutter; seine Wuth, der Einhalt zu thun
Hrothgar vergebens seine Götter angerufen, war durch
den Tod eines Onkels hervorgerufen worden. Beo-
wulf, ein Kämpfer, der schon durch seine Siege über
Seeungeheuer (nicors) eine grosse Berühmtheit erlangt
hatte, hört davon und aus blosser Ruhmbegierde und
achtem Berserkergeist unternimmt er es, Grendel zu
besiegen. Der finstere Dämon wird zu Boden ge-
worfen und versinkt in einen See, wo er später todt
an seinen Wunden gefunden wird."
884 Zur angelsächsischen Literatur.
Wer auch nur aus den Uebersetzungen Ettmüllers, Grein's
oder Simrock's das Epos kennt, wird die Flüchtigkeit und Un-
genauigkeit dieser Inhaltsangabe rein unbegreiflich finden. Die
Besprechung des Liedes auf den Sieg bei Brunnanburg leitet
Herr Gätschenberger mit den Worten ein: „Wir haben nun
(nämlich nachdem von Beovulf die Rede gewesen ist) noch von
dem zweiten, bedeutenderen Ueberreste angelsächsischer
Dichtkunst zu sprechen, von der Ode auf den Sieg König
Athelstans." Selbst das erste Komma in diesem Satze für
einen Druckfehler gehalten, ist derselbe nur bei Jemand zu
entschuldigen, der die angelsächsische Literatur seit zwanzig
Jahren hat aus den Augen lassen müssen. Heut zu Tage ver-
dient doch wahrlich jenes immerhin interessante Lied nicht als
das zweite bedeutendere Bruchstück angelsächsischer 'Dichtung
aufgeführt zu werden.
Freilich weiss Herr Gätschenberger auch in dem nächsten
Abschnitte „Christliche Angelsachsen" nur sehr Ungenügendes
über die gewiss nicht unbedeutenden Denkmäler einer reichen
Literatur zu sagen. Er begnügt sich mit trockner Aufzählung
der herkömmlichen Namen eines Gildas, Nennius, Columbanus
u. a.; er führt die beliebte Erzählung von Caedmon ohne den
Versuch oder nur Andeutung einer Kritik an, er weiss Nichts
von Leo's und Dietrichs Ermittlungen über Cynevulf; ja was
für ein Buch, wie das seinige, das Schlimmste ist, er versteht
auch nicht einmal die Bedeutung und das Wesen der ganzen
kirchlichen Dichtung jener Zeit, in welcher das volksthümlich-
Heidnische noch immer durchbricht, in kurzen und treffenden
Zügen zu schildern. Alles verräth, dass ihm kaum eine Kennt-
niss der neuern Forschungen, geschweige denn ein selbständig
eindringendes Wissen zu Gebote gestanden hat. Schon eine
gewissenhafte Benutzung der hierhergehörigen Stellen aus den
leicht zugänglichen Werken von Ettmüller, Spalding, Scherr,
Behnsch würde zu einer weit tüchtigeren und für den all-
gemeinern Zweck vollständig genügenden Darstellung der angel-
sächsischen Literatur befähigt haben. Ein selbständiges Studium
derselben , wenn auch seit zehn bis fünfzehn Jahren unter uns
wesentlich erleichtert, hat immer noch manche Schwierigkeit für
Jeden, der nur einen massigen Theil von Kraft und Zeit darauf
verwenden kann. Schon deshalb wird die von der Redaction
dieser Blätter bei Gelegenheit des frühern Artikels in Aussicht
gestellte Herausgabe eines Handbuchs der angelsächsischen
Sprache und Literatur mit Freude begrüsst werden.
Köthen. E. Müller.
Beiträge
zur englischen Lexicographie.
Die folgenden Bemerkungen geben sich zunächst als Fort-
setzung zu den in Band XXI, XXII und XXIII dieser
Zeitschrift unter demselben Titel erschienenen Mittheilungen,
ohne in Gelehrsamkeit oder Belesenheit sich ihnen gleichstellen
zu können oder zu wollen. Verglichen sind dazu nur die Le-
xica von Flügel und Lucas, Büchmann's genannte Mittheilungen
und Strathmann's „Beiträge," auf welche mit Fl., L., B. und
Str. verwiesen wird, und kein dort zu findender Artikel ist,
wenigstens wissentlich, hier wiederholt worden, wofern nicht
die Meinung war, dass etwas Neues zugesetzt werden könnte.
Mit Sl. D. wird Bezug genommen auf: A Dictionary of mo-
dern slang, cant and vulgär words etc. by a London antiquary.
London. John Camden Hotten. 1860.
A. 1. to stand A. 1. in one's estimation. Anonym. Guy Living-
stone, auch: this wine is letter A number one. Von Schiffen herge-
nommen, die nach Buchstaben in Klassen getheilt und darin numerirt
sind.
A. — he does not know a great A from a bull's foot, übliche
Redensart.
about. there is much illness about, wir etwa: geht umher, to
bring somebody about (auch round), in's Leben zurück.
a'bstract of title, Auszug aus den Grundacten. Wegen grossen
Umfangs der letzten muss er dem barrister eingereicht werden, um eine
kurze Geschichte des Grundstücks, des Besitzrechts und der Uebertra-
gung desselben zu geben.
386 Beiträge zur englischen Lexicographie.
a cademicals. Cap und gown der Studenten.
adhesive envelopes. Couverts mit Gummi, die das Siegeln er-
sparen.
adult schools. Fortbildungsanstalten für Erwachsene.
aetat. = in the age of . . ., von Grabsteinen hergenommen, s.
Reade, Love me little etc. p. 59. T. cf. Trollope, Barch. Tow. (London
1858), 314.
the air smells sweet, es riecht, it wäre unenglisch.
alien. Was bed. she smiled with alien Ups (wo?)?
amontillado. Die feinste Sorte Sherry.
angel's visits, few and far between, sprüchwörtlich von Dingen,
die selten vorkommen.
an im us ; aufgenommen in der Bedeutung: Geist, in dem etwas
geschieht, Gesinnung, Tendenz, z. B. the animus in which a book is
w ritten.
an n u al-poetry ist zum stehenden Ausdruck geworden, um eine
seichte sentimental-phrasenhafte Poesie zu bezeichnen. Die ann. dienten
besonders als Weihnachtsgeschenke , und ihr Hauptwerth bestand in
einem geschmackvollen Einband und den oft glänzenden Namen der
darin figurirenden Dichter-Dilettantinnen. Darauf spielt Reade, Love
me little etc. p. 2. T. an: perhaps, if Adonis had stood before her now,
rolling Ins eyes, and his phrases hot from the annuals etc.
the apex, the base. Spitze, Grundlinie eines Dreiecks.
applied mathematics, angewandte M.
arm. to make a long _a. for . . . mit dem Arm weit hinreichen
nach — .
ask my fellow whether I am a thief, Sprüchw.
a ss ize-sermon ; damit wird in der Regel die Sitzungsperiode er-
öffnet, wenn der Richter auf dem circuit in eine Stadt kommt. Auch
ein assize-ball schliesst sich oft daran, wegen der vielen ihn begleitenden
heirathsfähigen jungen barristers. Reade, Love me 1. p. 28. T.
to set people astride their topic, Reade, Love m. 1. p. 39, An-
spielung auf hobby: Leute auf ihren Lieblingsgegenstand zu sprechen
bringen.
at. to speak ata person, in Jemandes Gegenwart, nicht zu ihm,
(to . .) so reden, dass er sich die Sache annehmen muss ; anzuhören
geben. Dickens, Sketches p. 465. Mrs. Parsons talked toMiss Lillerton
and at her better half. cf. Trollope, Warden (London 1859) p. 82 :
Beiträge zur englischen Lexicographie. 387
from that day to this he has not spoken to me, though he speaks at
me often enough. to point at . . ., auf einen Punkt zeigen; — to,
nach einer Richtung.
audit-ale (Farrar, Julian Home), ein besonders starkes, in der
zu Trinity-College Cambr. gehörenden Brauerei gebrautes Bier. Nur
Studenten haben das Recht, gegen Bezahlung auf Order ihres tutor
drei Dutzend Flaschen jährlich zu beziehen.
a back of grouse, ein Volk; was bei partridges covey oder bevy
heisst.
to back-hand, refüsiren beim Wein; das Glas mit dem Rücken
der Hand ablehnend von sich weisen (Guy Liv).
back, to put (set) one's b. up against a person , sich von Jemand
zurückziehen — seine Abneigung gegen eine Sache zu erkennen geben.
— he is thoroughly on his b., gänzlich herunter.
to back out, Gegens. zu to go in for, q. v. Trollope, Waiden
(London 1859) p. 123.
back ward, the spring is backward, tritt spät ein.
on bare-backed horse, auf ungesatt eitern Pferde (Dickens Hard
Times p. 45. T.).
bad's the best . . . eine Phrase der Herabwürdigung in Bezug
auf Andre , der Bescheidenheit in Bezug auf den Redenden. Dickens,
Two Cit. I, 154. T. to the best of my understanding — and bad's the
best you'll teil me.
a baff ler, etwas was den Andern aus der Fassung, zum Schweigen
bringt, schlagender Gegenbeweis.
bang up to the day, Bulw., What will he etc. I, Cap. l = sharp,
wide awake. Dies zur Ergänzung von L.
the banker poet, der Dichter Rogers.
to beat. I will give him 15 in 20, and beat his old head off.
(Thack., Newc.) Das Spiel abgewinnen.
to beat to quarters, um Pardon bitten. That beats everything!
Das ist noch schöner! ähnlich: that beats cockfighting! (alt). — the
violin beat me so, Reade, Love me 1. etc. p. 103, sie machte mir grosse
Schwierigkeit. So: that beats me, dem bin ich nicht gewachsen, da-
gegen muss ich zurückstehen.
b e e. brisk as a bee. — bee's waxed floors, gebohnt.
B eiche r-neckerchief (Dickens, Sk. 170.): zu L. und Str. kann
nach Sl. D. zugesetzt werden , dass B. der Name eines Preisfechters
388 Beiträge zur englischen Lexicographie
war. v. Macm. Mag. Nov. 1859. p. 25. Es werden dort 9 verschiedene
Namen für verschiedene Muster der Tücher angeführt.
bells, Kinderklapper, mit den corals zum Durchbeissen der Zähne
zusammen: he began his Initiation in the beau monde, before he had
well cast aside his corals and bells (Thackeray, Newc. ?).
bellowings of passion , so übertr. in Cornhill Magazine, 1860.
Juni : The portent.
belt, auch ein runder, rings von Bäumen eingeschlossener Platz
in einem Gehölz (Guy Livingst.).
berry. brown as a berry.
besotment, Bethörung, nicht im Lex. (MyNovel, IV, 478. T.)
a bespeak, eine Bestellung, bestellte Sache.
best, she is bent on looking her best to-day. — best man. Der
Bedeutung Brautführer bei Lucas scheinen Stellen zu wider-
sprechen, in denen eine entschiedene Beziehung auf den Bräutigam
vorliegt, z. B. Oliphant, China and Japan IL p. 147. He has col-
lected his wife and family to see how a hero can die: his dearest friend
— he, who in our own country would have been his best man at his
wedding — Stands over him with a drawn sword. Sollte es hier so
viel sein, wie the groom's man, der genaue Freund, der alle mit
der Hochzeit verknüpften Geldgeschäfte für den Bräutigam besorgt?
between you and I and the post, unter uns gesagt, nur familiär,
daher mit dem Solöcismus üblich. — Bulwer, My Nov.: he perceived
the chances for and against a question carried within a certain time,
and nicked the question between wind and water; traf sie richtig auf
den entscheidenden Punkt, between w. and w. wird beim Schiffe der-
jenige Raum genannt, der beim Schwanken desselben abwechselnd in
der Luft und im Wasser ist. Die oberhalb dieses Raums einschlagenden
Schüsse geben ein ungefährliches trocknes Loch ; die darunter fallenden
sind durch den Widerstand des Wassers gebrochen; die denselben tref-
fenden sind die gefährlichsten, weil das Wasser bei der nächsten Schwan-
kung sofort eindringt. Daher die Uebertragung.
betweens, halblange Nähnadeln.
bird. Das Spruch wort heisst bei Reade, Love melittleetc. p. 63.
T. it is beasts of a kind that in one are joined, and birds of a feather
that come together.
birth. a man of b., von guter Geburt.
bite. I did not bite, ging auf die Sache nicht ein (auch wir wol:
Beiträge zur englischen Lexicographie. 389
biss nicht an). — the screvv does not bite , fasst nicht (Dickens, Two
Cit. II, 48).
my bitterest friend? Guy Livingst. p. 142. T.
blazes. like blazes und like beans, Vergleiche ohne be-
sondere Bedeutung, cf. brick. (they hate each-other like blazes, Guy
Liv. ; you grind away for a month like beans, Farrar, Julian Home.)
Aehnlich Dickens, Two Cit. I, S. 15 a blazing stränge answer.
blotting-pad. Cornh. Magazine 1860. Jul. „W. Hogarth," ein
Bausch Löschpapier, dient als Unterlage und Löschblatt.
to blow out, mästen, dickfüttern ; L. hat nur das Subst. Dickens,
Two Cit. I, 254. T. : it's a mother's duty to blow her boy out. blowed,
Dick., ib. I, 87, euphemistisch für blessed , damned. So blow me
als Fluch, Lever, Davenp. D. II, 23. ib. 257: have not the newspa-
pers 'blown' you? ausposaunt. — blown, ausser Athem , Dickens,
Little Dorr. I, 105. T. blown kisses, Kussfinger. — blow auch
subst.: have a blow at your flute (Dickens, Copperf.).
blue. It's as good to look for a blue moon as for you = a thing
which does not exist. — blue ribbon allgemein = Gegenstand des
höchsten Ehrgeizes : (these fellowships) were the blue ribbon of the Col-
lege. (Farrar, Jul. Home). — blue lights, Leuchtkugeln zum Gebrauch
im Kriege. (Dundonald, Autob. öfters).
bone. I have got a bone in my back (leg, arm) sagt scherzhaft
derjenige, der zu bequem ist sich selbst zu bemühen, und einen andern
bittet, ihm etwas zu reichen. — He found no bones in the jelly leitet
wol auf den Ursprung des auch von L. angeführten to make no bones
about ....
to bonnet a man, Einem den Hut antreiben.
book. to be booked for a place, a fellowship : so gut wie gewiss
haben.
a border-name (A life for a life), ein Name wie er sich unter
Familien an der schottischen Gränze findet,
bosh s. cobweb.
bot her, eine übliche Verwünschung in verschiedenen Formen,
z. B. what a bother! oder bother the servants! Reade, Love
me 1. p. 97. T. , auch: bother take it! — bother it for racing,
Lever, Davenp. Dünn 1, 190. T.
bout. to 'bout ship. Das Schiff so wenden, dass es den entge-
390 Beiträge zur englischen Lexicograhpie.
gengesetzten Lauf nimmt. Reade, Love rae I. 253 und übertragen p.
38. T.
to brace up. übertr. to br. up one's will to a task.
to bracket. Nach den Examinationen werden in Cambridge die
Studenten entsprechend ihren Kenntnissen nach Klassen und in diesen
nach Plätzen rangirt (letztres nicht in Oxf.). Der Platz eines jeden
wird nach marks bestimmt, die für die Antworten gegeben werden.
Fällt es dabei vor, dass zwei dieselbe oder Nummern von ganz ge-
ringem Unterschied haben, so werden sie gleichgestellt ; das heisst brack-
eted, weil die Namen auf der veröffentlichten Liste mit einer Klammer
(bracket) verbunden werden. Sie können eine neue Examination ver-
langen (they have the Option), was bei erneutem gleichem Ausfall zwei
oder drei Mal wiederholt wird.
a brain-hampered boy r= stupid, blödsinnig (Times).
bref, kurz! Reade, Love me 1. p. 203. T.
bree ch - loading, das Laden der Kanonen von hinten; b.-loader,
eine solche Kanone.
brick, in Cambr. univers. - slang ein vortrefflicher Mensch,
ein Hauptkerl. Lever, Davenp. Dünn II, 218. T. Soll eine Ueber-
setzung des griechischen rergaycovog sein, like bricks ist dann ein
ähnlicher Vergleich wie like blazes.
bridge. don't cross the bridge tili you come to it, sprüch wörtlich.
to bring down the house, donnernden Applaus vom Publicum
erringen.
broach. the ship had, in the nautical phrase , broached to , and
ehe now lay on her beam-ends (Dundonald, Autobiogr.). cf. Reade,
Love me little etc. p. 332 und öfter. Bedtg?
b r o a d farce, niedrige Posse.
broker's man s. distress.
broom-girls. Junge Mädchen, die in den zwanziger Jahren dieses
Jahrhunderts aus Südfrankreich oder Savoyen kamen, pittoresk aufge-
putzt England durchzogen und unter Absingung eines Liedchens elegant
geschmückte kleine Besen zum Verkauf anboten.
b r u s h , auch substantivisch von einer schnellen Bewegung : let
us enjoy a brush across the country, Cornhill Magaz. Juni 1860.
Schon in Fielding, Tom Jones findet sich : to make a bold brush (Er-
zählung des man of the hill).
Beiträge zur englischen Lexicographie. 391
bullfinch. Ein besonders schwer zu nehmendes Hinderniss beim
Jagdreiten, eine Art Hecke (?). Guy Livingst.
bulldog, Cant-Benennung der zwei Conslabler, die dem Proctor
der Universität beigegeben sind.
to bump wird es genannt, wenn bei den boating-races von den
Booten , die in gleichgemessnen Distancen aufgestellt sind , eines das
vorhergehende so weit einholt, dass es an dasselbe mit dem Schnabel
anstösst. „Trinity bumped Cajus." Das berührte Boot verliert da-
durch.
bumps, die Organe in der Phrenologie.
to bündle wird es genannt, wenn, wie es in Nord-Wales ge-
schieht, die Bauerburschen mit den Dirnen Sonntags nach Hause gehen,
und in ihren Kleidern auf den Betten liegend schäkern (in allen Ehren,
wie man sagt).
bürden, to keep up the bürden of the discourse, denselben Ge-
sprächsgegenstand fortführen.
to burke. Zu dem Artikel bei L. kann zugesetzt werden, dass
das Wort auch übertragen wird : to burke over the whole affair : ver-
tuschen, todt machen.
to burst upon the wing; auffliegen , von Vögeln.
bust me, statt burst me, Fluch. (Dickens, Two Cit.)
button. In damn my buttons ist das Wort bedeutungslos; stell-
vertretend oder beschönigend steht es in : he has not all his buttons :
es mangelt ihm an Hirn, a b. bedeutet nach Sl. D. auch „a sham
purchaser. At any mock or sham auctions seedy specimens may be seen.
Probably from the connection of buttons with Brummagem , which is
often used as a synonyme for sham." — buttons = page, von der
dichten Doppelreihe von Knöpfen , mit denen seine Jacke regelmässig
besetzt ist. Der Ausdruck ist aus Punch in den allgemeinen Gebrauch
(natürlich nur scherzhaft) übergegangen.
cad. oft in der Bed. Mensch aus niedriger Klasse und von pöbel-
haftem Betragen ; wol Abkürzung aus cadger, Vagabund, arbeitsscheuer
Mensch. Dann Omnibusconducteur; doch würde ein solcher wegen
der ersten Bedeutung sich ungern so nennen hören. Auf Universitäten
= Nichtstudent, Philister.
calculated. Dies Wort verliert sehr häufig die ursprüngliche
Bedeutung in so weit, dass dabei an die Absichtlichkeit eines berech-
nenden Subjects nicht mehr gedacht wird, und das W. nur noch „da-
392 Beiträge zur englischen Lexicographie.
zu geeignet, so beschaffen" bedeutet. So Trollope, Tuscany : the latter
of these gentlemen, though one much calculated to give cause of alarm.
Dickens Sketch. 70. T. a closer acquaintance with either is little calcu-
lated to alter one's first impression, und oft sonst, z. B. Lever, Davenp.
Dünn I, 114. T.
cane. as lean as a c.
can tankerous , Bulw., My Novel, und catawampously ib. Zwei
Amerikanismen ; ersteres bedeutet nach mündlicher Mittheilung nicht
contentious (L.), sondern: aus Bosheit malitiös ; das Letztere?
can t er, Gallopp, wogegen gallop Carriere. to win in a
canter, beim Wettrennen von Jemand gesagt, der den Andern so
weit voraus ist, dass er am Ende der Bahn nicht mehr Carriere zu
reiten braucht; häufig auf Examina , Spiel und dgl. übertragen, wie
Bulw., My Nov. I, 90. T. he wins the game in a canter: mit der
grössten Leichtigkeit.
cap. Die Redensart she sets her cap at him scheint von den wi-
dow's cap hergenommen zu sein, weil man junge Wittwen der Schwäche,
gern Jagd auf Männer zu machen, besonders für unterworfen hielt: sie
setzen das Mützchen zurecht, wenn der Betreffende erscheint. Von
Männern wird in gleichem Falle gesagt: he hangs his hat up there.
card -sharpers, Betrüger im Kartenspiel. Sie scheinen besonders
gern auf Eisenbahnen Andern die Zeit zu vertreiben, da auf den Bahn-
höfen durch Anschlag vor ihnen gewarnt wird. Cornh. Mag. Oct. 1860
p. 398: shabby Jews and blacklegs prowl about race-courses and ta-
vern-parlours, and now and then inveigle silly yokels with greasy packs
of cards in railroad - cars. — card- Castles, Kartenhäuser. — the
likeliest thing upon the cards: nach den vorliegenden Verhältnissen
das Wahrscheinlichste ; entweder vom Kartenspiel (die wahrscheinlichste
Chance nach den Karten in der Hand) oder vom Kartenlegen, cf.
Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858) p. 256: it was on the cards.
to carry, that is carry ing it very fine: das heisst doch die Sache
sehr genau nehmen.
cart-track (opp. road), Landstrasse im Gegensatz zu Chaussee
(Kavanagh, Seven years).
to be cast in Lstr. 30, zu ... verurtheilt werden. Art. in Cornh.
Mag. Jul. 1860 über Hogarth.
cat. I am a cat with nine lives and should fall on my legs if
thrown out of a garret window, Vereinigung zweier sprüchwörtlichen
Beiträge zur englischen Lexicographie. 393
Redensarten bei Bulwer (What will he etc. ?). Trollope, Barch. Tow.
(Lond. 1858) p. 428: they always fall on their feet like cats. Daher
Redensarten wie: does hefall on his legs! Lever, Davenp. Dünn. III,
327, cf. Dickens, Little Dorr. IV, 282. T. Darauf beruht der Name
des Geräths, das L. einen doppelten Dreifuss nennt: es besteht aus
dreien Drahtstäben, die sich kreuzen wie die Axen eines regelmässigen
Oktaeders, und steht also aufrecht, man mag es werfen wie man will.
Es wird namentlich zum Brotrösten »gebraucht. — you kill my cat
and I'll kill your dog, sprüch wörtlich; scheint aber nicht allgemein
bekannt zu sein. — There is not room enough to swing a cat,
auch to whip a cat round, von engen Zimmern gesagt (Dickens , Cop-
perf. öfters) ; die befragten Engländer waren der Meinung , dass eine
wirkliche Katze gemeint sei. Ob an die cat of nine tails oder dgl. zu
denken ist? — you'll see with half an eye how the cat jumps, wie
der Hase läuft, Lever, Davenp. Dünn III, 229. T. — cat-and-dog
days spasshaft nach dog-days mit Anspielung auf to live like cats and
dogs. — Bei it rains cats and dogs findet sich auch: and
pitchforks.
to catch, it catches the ear, es fällt dem Ohre auf.
catchweight, ein Ausdruck beim Wettreiten, bezüglich auf das
Gewicht, das dem Reiter zugefügt wird, um ihn schwerer zu machen.
(Guy Liv.)
ceiling-plate. Eine Rosette an der Zimmerdecke,
chalk. that will be a chalk in his favour, zu seinen Gunsten sein.
Chancery, to get a man's head into C. ; genauer gesagt als bei
Fl. und L. bezeichnet es den Griff, durch den man beim Preisfechten
den Kopf des Gegners unter den gebogenen Arm bekommt , wodurch
jener fast wehrlos den empfindlichen Schlägen in's Genick Preis gegeben
ist. Hergenommen vom court of Chancery, wo nicht nach common
law, sondern nach equity gerichtet wird, und aus dem selten Jemand
ohne erhebliche Schädigung davonkommt.
c hange for a coach, Relaispferde, Dick., Sketch. 408. T.
charms, Berloques an der Uhrkette. Lever, Davenp. Dünn I,
155. T.
Charterhouse, entstanden aus chartreuse, nicht bloss Stifts-
schule (L.), sondern auch Hospital für ehrenwerthe, durch unverschul-
dete Schicksalsschläge heruntergekommene alte Herren. Oft erwähnt in
Thack., Newc.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 20
394 Beiträge zur englischen Lexicographie.
cheek für Unverschämtheit. Reade, Love me 1. 354. T. whom
do you think he had the cheek, or, as the French say, the forehead to
try and win over. „Die Stirn."
Cheeks, spasshafte Benennung eines bausbäckigen Bengels.
cheeky, cant, die Eigenschaft kaltblütiger Impertinenz, cf. cheek.
to ehest a rail sagt man von einem Pferde, wenn es mit der
Brust gegen eine Barriere rennt, statt sie zu nehmen (Guy Liv.).
a chestnut horse ist ein Fuchs, ein (kastanien)braunes Pferd
wäre a bay horse.
to churn crimson foam, eigenthümlich von dem vor den Mund
tretenden Schaum in Guy Liv.
clack, eine Vogelscheuche, L. : aber eine solche, die, wie eine kleine
Windmühle durch Klappern scheucht. Nur so wird z. B. klar Reade,
Love me 1. etc. 86: Mr. Fountain sat at breakfast opposite his niece
with a twinkle set in his eye like a cherry clack in a tree.
clear. a brook 16 feet clear of water, d. h. bloss die Breite des
Wassers gemessen, die Ausbiegung des Randes nicht mitgerechnet, wie
deutsch: „in Lichten"?
to clench one's teeth, die Zähne vor Wuth oder dgl. fest zu-
sammenbeissen. Reade, Love me 1. 85 und 292. T. D. Verb, heisst
auch an einem eingeschlagnen Nagel die durchgedrungene Spitze um-
biegen, und hiervon erst ist to clinch an argument (bei L.) die Ueber-
tragung.
cloak-room, Garderobe.
clock. at 11, 30 o'clock (Russell, Diary in India), nach englischer
Kurzrednerei aus dem Ablesen von Fahrplänen entstanden. — he knows
what o'clock it is = was die Glocke geschlagen hat, ist klug, Dick., Sk.
451. T.
closely ruled, written.
coaches s. B. XXI, 162; genauer: private tutors, welche den
Studenten durch Repetitorien und dgl. den Weg zum Examen
leichter machen. Auch to coach; who coaches you? Dick., Little
Dorr. I, 154 coached or crammed the statesmen etc., cf. ib. III, 202:
had coached him up, hatte ihn vorbereitet, eingepaukt, cf. crammer
und grinder.
to coal, der übliche Ausdruck für: Kohlen einnehmen. (Rüssel,
Diary und sonst.)
co b web and moonshine, Dinge oder Worte ohne allen reellen
Beitrage zur englischen Lexicographie. 395
Werlh (Buhver, My Nov.). Der slang- Ausdruck dafür ist bosh, ein
nach dem Sl. D. aus dem Türkischen stammendes Wort : bosh lakerdi =
empty talk, schon 1760 in Gebrauch. Dick., Little Dorr. IV, 259 und
II, 237, cf. Cornh. Mag. Oct. 18G0, 519.
coddle auch subst: Jemand, der sich sehr verzärtelt, sich anzu-
schmeicheln versteht.
to coin a man, ihn verwerthen , seine Fähigkeiten zur Geltung
bringen, Reade, Love me 1. p. 233. T.
colour, auch Anschein der Wahrheit: he would immediately
abandon this preferment at R., of which it might be said with so much
colour that he had bought it. Cornhill Mag. July 1860 p. 37.
co lt. as sound as a. c.
combination-room, in Cambridge der Saal, in dem die fellows,
nachdem sie gegessen, sich zum Dessert versammeln. (Farrar, Julian
Home.)
to come in for . . ., nicht bloss einkommen um, Anspruch machen
auf, wie Fl. und L. geben, sondern wirklich seinen Antheil erhalten,
Avie z. B.Dickens, Hard Times p. 6. T. zeigt: and Sissy, being at the
corner of a row on the sunny side came in for the beginnig of a sun-.
beam, oder (the actor) came in for his portion of the applause (Bulw.,
What will he etc.). — to come off, sehr gewöhnlich bei Wettrennen
und dgl., also wenn es von andern Dingen, wie Heirathen und ähn-
lichen, gesagt wird, mit komischem Beigeschmack, wie unser „losgehen."
Lever, Davenp. Dünn III, 2 T. — N. N. is coming out strongly as
a political writer. Lever, Davenp. Dünn 1 , 344. T. : and the descrip-
tive fellows would come out strong about the way, in which etc.
Trollope, Barch. Tow. 280: on such occasions Mr. P. came out
strongly. — That's coming it too strong, das ist doch zu stark!
compartment, der einzige englische Ausdruck für Coupe auf
der Eisenbahn.
confined in one's body = costive.
constitutional, eigentlich studentisch, doch in heitrem Gespräch
sehr üblich : ein längerer Spaziergang zur Verdauung.
construe auch substantivisch: our construe (Farrar, Jul. Home.),
Präparation oder Uebersetzung.
continuat ion s nicht = trousers, wie B. XXL p. 163 will,
sondern — gaiters; dass erstres nicht möglich ist, zeigt Dickens, Sketches
p. 413: in drab shorts and continuat ions.
396 Beiträge zur englischen Lexicographie.
contradiction in terms: contradictio in adjecto.
conversation auch = guter, gesellschaftlicher Ton: when such
an inflexible integrity is a little softened and qualified by the rules of
conversation and good breeding. (Addison on politeness.)
conventionalism. Ungerechtfertigte Gefügigkeit und Nach-
giebigkeit gegen die herrschenden Verhältnisse (Trollope, Tuscany).
convertible terms, Synonyme, die man für einander setzen kann,
Lever, Davenp. Dünn I, 223. T.
cornice auch Gardinenstange oder -halter.
countenance. Dick., Sketch. 437. T. Mr. Tottle stared vacancy
out of countenance, drolliges Gemisch aus to stare into vacancy und to
stare out of countenance.
to counter, von B. XXIII. p. 376 mit ? erwähnt, bed. das Pa-
riren beim Boxen. Zu der von ihm citirten Stelle vgl. aus Guy Li-
vingst. : he stopped and countered as coolly as if his adversary had only
the gloves on. cf. auch Dickens, H. T. p. 8. T.
court-guide, nicht Adels - Lexicon , wie B. will, sondern der
nicht commercielle Theil des londoner directory. Er enthält die Woh-
nungen natürlich der adligen Familien, aber auch der Beamten, Militärs,
Gelehrten, Lehrer u. dgl.
Coventry. to send a man to C, Dick., Hard T. 183. Zu dem von
L. Gesagten diene als Erklärung, was d. Sl. D. unter dem Artikel sagt :
„Coventry was one of those towns in which the privilege of practising
most trades was anciently confined to certain privileged persons, as the
freemen etc. Hence a stranger stood little chance of custom , or coun-
tenance, and ,to send a man to Coventry' came to be equivalent to
putting him out of the pale of society."
cover- hack. (Guy Liv.) Kein Besitzer eines Vollblutpferdes würde
dasselbe dadurch ermüden, dass er vor Beginn der Fuchsjagd auf dem-
selben bis zum Revier (cover) reitet. Dazu wird ein gewöhnlicher
Gaul (hack) genommen, der deshalb c. h. heisst. Das Verbum ist to
hack to cover. to break c. , vom Fuchs, Lever, Davenp. Dünn II,
216. T.
cow. he grows down ward like a cow's tail , von Kindern gesagt,
die nicht wachsen wollen. — the tune the old cow (auch my aunt's
cat) died of (Reade, Love me 1. etc. p. 59), von weinerlichen Melodien
üblich.
Beiträge zur englischen Lexicographie. 397
cracky, verdreht im Kopfe, nur burschikos; auch als Ausruf:
cracky ! what is that !
to cram , Jemand in einem „Paukkolleg" zum Examen vorbereiten:
auch in der Schule : Jemandem etwas weis machen (Times).
cram m er, der vorbereitende tutor = coach (Farrar, Jul. Home,
cf. Dick., Little Dorr. I, 153. T. : a coach or crammer).
to crane steht in der von B. XXI. p. 163 angegebenen Bedtg
auch von Pferden, wenn sie gewaltsam mit dem Kopf vorangehen, ohne
dem Zügel zu gehorchen (the horse tries to get his head). So Guy
Livingst. : it was a clear case of craning ; H. was hauling nervously
at the reins etc.
to creep, von dem was wir Gänsehaut nennen: my flesh began
to creep all over from head to foot : Kavanagh , Seven years. d. , cf.
Trollope, Warden (Lond. 1859) p. 98.
crocheteer? Reade, Love me 1. p. 20. T.
to cross a fight (Guy Liv.) unbekannt. — a crossed and recrossed
letter, ein Brief, in dem man um Papier zu sparen quer über die Zeilen
weg geschrieben hat. cf. Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858) p. 125.
cf. Lever, Davenp. Dünn. III, 125.
a cross, ein Diebsstück, Betrug, any piece of sharp practice, s.
Lever, Davenport Dünn I, 189 und öfter.
crow. six miles as the croAv flies (opp. : as the train jogs , seven
m.). Times: in grader Linie; cf. Reade, Love me 1. 251. T.: David
was going as the crow flies across some meadows half a mile ahead.
Lever, Davenp. Dünn III, 45. T. : I go usually as the crow flies and
as nearly as I can.
cry. Auch : more cry than -wool in the business.
customer, a tough , a rum , bes. an ugly customer, Einer mit
dem schwer fertig zu werden ist (schlimmer Kunde auch jetzt bei uns).
to cut. Eigenthüml. Vergleich bei Thack., Newc. : she cut me as
dead as a stone. Das Verb hat die Bedeutung auch in Beziehung auf
Sachen : I vote we cut the theatre to-day (aufgeben) , I advise you to
cut Horace (bei Seite liegen lassen); so: cut it, Dick., Little Dorr. I, 109.
Auch: sich davon machen (Dick., Hard T.) — to cut in, in die Rede
fallen. — to cut out wird namentlich von dem bei den englischen
Seeleuten beliebten Bravourstück gesagt, dass bei Blokade eines
Hafens oder dgl. ein bemanntes Boot still an die feindlichen
Schiffe hinanfährt, plötzlich eins derselben durch Ueberraschung nimmt
398 Beiträge zur englischen Lexicographie.
und damit fortfährt. — that's cutting it rather fat (Dickens, Sk. 92.
T.) = Coming strong, q. v. , doch mit der Nebenbedeutung des Auf-
schneidens. — a man cuts up rough, ist grob und kurz angebunden:
Dickens, H. T. 49. T., cf. Reade, Love nie 1. 388. T. the more genteel
we takes 'em, the rougher they cuts. cut up difficult, Dick., Little Dorr.
IV, 131. T. -Anders Trollope, Warden (Lond. 1859) p. 155: when
dying, he, was said to cut up exceeding Avell: hinterliess viel, weil die
Hinterlassenschaft von den Erben getheilt wird. — he's a nicish cut
of a horse. Cornh. Mag. 1860. Framley Parsonage.
cu tt i n g- whip, eine Hetzpeitsche (Guy Liv.).
dagger. to be at daggers drawn with . . ., auf dem Fusse der
äussersten Feindseligkeit stehen.
d a i s y - picker. Der kleine Bruder oder sonstige Begleiter, der mit
dem Liebespaare geht, damit der Anstand gewahrt ist. Natürlich wird
er nach Kräften entfernt: er möge gehn , sich Blumen suchen u. dgl.,
daher der Name, to play d. p., der lästige Dritte sein.
d an ger- lights, die auf Eisenbahnen zur Warnung aufgestellten
Laternen (Dickens, H. T.).
dark horse, Lever, Davenp. Dünn I, 330: inracing phraseology
a horse whose chance of success is unknown , and whose capabilities
have not been made the subjeet of comment. Sl. D.
Davy Jones. Seemannsausdruck für den Teufel, Reade, Love
nie 1. p. 329. T. to go to Davy's locker, ertrinken, cf. B. XXI, 164.
day. my father's day was that of Cavendish, Black etc. Capt.
Dundonald, Autob.: Zeit, Zeitalter; so: thestatesmen of our day, Reade,
Love ine 1. 186. T. — come and dine with us to-morrow, the next
day — your own day (Thack., Newc ?), bestimmen Sie selbst einen Tag;
so Lever, Davenp. Dünn I, 51. T. always asking him to name his
day. cf. Dick., Little Dorr. II, 136. T. — a good day's wage for a
good day's work , sprüch wörtlich geworden. Cornh. Mag. 1860. Jul.
p. 116.
de ad. Der Uebergang dieses Adjectivs in die Bedeutung voll-
kommen oder vollständig ist in den Wörterbüchern nicht gehörig
verfolgt. Er scheint sich aus der Bedeutung todt = ohne Verän-
derung und Bewegung zu entwickeln. Den Weg zeigen Beispiele,
wie dead drunk, to come to a dead lock oder stop, sowol eigentlich von
Pferden, Wagen u. dgl., wie übertragen von der Rede, wenn man stockt,
dead short, Reade, Love me 1. 414. T. : he did not check her weak-
Beitrage zur englischen Lexicographie. 399
ness dead short. a dead pause, Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858)
203. — a dead calm , a dead swoon (== total, wie ein Todter),
dann in tlie dead of winter, of night — Begriffe, in denen an
sich schon eine Negation der Lebensbewegung liegt, und zu denen dead
gewissermassen nur als Verstärkung tritt ; dagegen hat es ganz die an-
dere Bedtg in : the ship had the wind dead against her (daher mit
Auslassung des against : a dead wind, conträr) und übertragen : it went
dead against my experience (widersprach dir e et), all appearances are
dead against us; ferner dead-level, vollkommen horizontal, a dead bar-
gain (da I bought it a bargain = billig), äusserst wohlfeil, a dead fai-
lure, und das von Str. citirte a dead shot, und deadly necesary; dead
certainty, cf. Lever, Davenp. Dünn III, 7. T. a duel is meant to
be a hazard, not a dead c. ; dead weight, volle Last, Dick., Little
Dorr. I, 264; III, 98. T. — Saucy Sal is a dead break-down, Lever,
Davenp. Dünn II, 266. T. Auch gehört wol hieher das oben citirte she
cut me as dead as a stone aus Thack., cf. mortal. ■ — the book feil dead
from the press , ohne Erfolg , von todtgebornen Kindern hergenommen,
so wie auch still born von beiden gesagt wird. — They will not
be dead to the justice of these remarks bildet den Gegensatz zu dem
üblichen alive to a danger, an injury. cf. Lever, Davenp. Dünn LT,
1 3 : what a deal of delightful affliction might we enjoy that w e are
now dead to. — dead beat, vollständig herunter, erschöpft.
deed statt damned (d — d), Reade, Love me 1. etc. p. 31. T.
to de grade, den Namen des Studenten wegen ungenügenden Exa-
mens in der Liste unter die von einem Jahre später setzen. (Farrar,
Jul. Home.)
demented fehlt im Lexicon. (every living creature there held
life as of no aecount and was demented with a passionate readiness to
sacrifi.ee it, Dickens, Two Cit. II, 28. T.) verrückt, doch immer mit iro-
nischer oder sehr prägnanter Bedtg , so dass es in gewöhnlicher Rede
nicht gebraucht wird.
devil. dient gradezu als Negation wie in devil a bit, devil a far-
thing, devil a good it is, Lever, Davenp. Dünn 1, 48. T. the devil a
thing, ib. 41, u. dgl., und als Steigerung in Ausdrücken wie: the horse
is the devil to pull. — the devil to pay, eine häufig falsch verstandene
Phrase, der Bedeutung: ich bin in grosser Verlegenheil, abgekürzt au>
der vollständigem Phrase : there is the devil to pay and no pitch hot,
400 Beiträge zur englischen Lexicographie.
der Teufel kommt und will theeren und wir haben's Pech nicht heiss
gemacht! cf. Cornh. Mag. Sept. 1860. p. 363.
Dick Tom and Harry gebraucht wie Hans und Kunz, oder
Cajus und Titius bei den Juristen , um beliebig verschiedene Personen
zu bezeichnen.
dip. to have a coat dipped, sich einen Rock färben lassen.
direction. Gegend: are you often in this direction?
distress, das Lexicon sollte das Wort Executionsverfahren geben,
cf. über das Verfahren Dickens, Sketches p. 25. ff. T. to put in a d.,
Execution vollstrecken; das Recht dazu giebt der Warrant ofd., Exe-
cutionsmandat ; die Extrahirung eines solchen to levy a d. In das be-
treffende Haus wird ein Mensch geschickt, der darauf zu achten hat,
dass keines der vorhandenen Möbel verschleppt wird (he is put in
possession) ; er steht gewöhnlich mit einem Trödler in Verbindung und
wird daher the broker's man genannt; er muss von dem Schuldner
gefüttert werden, bis der Anspruch befriedigt ist (the execution is paid
out, d. h. man wird durch Bezahlung ihrer los). Die Gerichtskosten
the co st of levy.
to do, auch Jemand abfertigen ; a do =i a trick, (I thought it was
a do to get rid of me, Dick., Sk. 28. T.). cf. Reade, Love me 1. 90. T.
und von Menschen: he is a regulär do. — to do Venice, abmachen,
Alles darin besehen, to do over Agamemnon , repetiren (Farrar, Jul.
Home), to do for, aktivisch, Dick., Little Dorr. III, 169. T. (L. nur:
to be done for.)
dodge auch als Subst. neben dem gleichlautenden Verbum = a
trick. Oft bei Dickens, doch auch in ernstrer Sprache nicht mehr un-
gewöhnlich, dodger, einer der sich darauf versteht. — a master dodges
his class, fragt die Schüler ausser der Reihe.
dog. Ein modernes Synonym zu to go to the dogs ist to go to
the bad; cf. unter go. — to slink off like whipped dogs. — to run off
like a dog with a kettle at his tail. — bread thrown to a dog, von ver-
ächtlich gespendeten Wohlthaten. — to dog nachfolgen , auch übertr. :
the terrible ennuy which dogs the shadow of wasted time (Farrar,
Jul. Home).
dogfancier, pr. a man who has a fancy for dogs; dann der mit
solchen handelt, was zu den niedrigsten Gewerben gehört (Farrar, Jul.
Home; cf. Macm. Mag. Nov. 1859, p. 30). so auch birdfancier, Dickens,
Sk. 70 und 179. T.
Beiträge zur englischen Lexicographie. 401
dons, auf der Universität die masters, lecturers , deans, tutors,
auch fellows. the dons in Downing-Street, die Minister, Lever, Davenp.
Dünn III, 229. Auch das Adjectiv donnish ist üblich im Sinne von:
Einer, der den Grossen spielt.
done! topp! abgemacht! häufig, z. B. Dickens, Little Dorr. I,
204. T.
donkey. I am so hungry that I could eat a donkey with a hamper
of greens. — a donkey-engine, eine zweite Maschine, die nicht mit zur
Fortbewegung des Schiffes dient.
a doubl e-first, ein Student, der bei der Examination sowol in
classics als in mathematics in die erste Klasse kommt. Trollope, Barch.
Tow. 148, 398, 436.
doubled ealing adjectivisch, Cornhill Mag. 1860 p. 149: a dou-
bledealing parson.
dow, eine Art arabisches Fahrzeug, oft erwähnt in Russell, Diary.
d o w n y. the downiest cove to be met with any where, Lever,
Davenp. Dünn I, 54. T. der verschlagenste Bursche.
dress. Reade, Love me 1. p. 9. T. She is not pretty, but she is
eighteen ; so I can't afford to dress her, durch meinen Anzug dem Ein-
drucke ihrer Jugend gleichkommen, wol gebildet nach to dress a part.
drawn-in features, zusammengekniffne Züge. — we do not draw
well together (vom Zugvieh hergenommen), wir passen nicht zusammen.
— to draw a cover (von einem Netz oder dgl. hergenommen) heisst
es, wenn Jäger und Hunde in einer Linie durch das Gehölz hinziehen,
es abzusuchen (Guy Liv.). to beat a c. bei Lever, Davenp. Dünn I, 41
T. in derselben Bedeutung. — to draw to a close, sich seinem Ende
nahen.
dres sers, junge Assistenzärzte, die unter Anleitung eines sur-
geon in Hospitälern hauptsächlich zum Anlegen von Verbänden und
dgl. verwandt werden. Dickens, Little Dorr. III, 213. T. — In anderer
Bedeutung Dickens, Sk. 277: what a magnificent dresser Mr. Simpson
is ! wie herrlich er sich anzuziehen versteht!
ducks, Dickens, Sk. 426. Hosen aus einem besondern weissen
Sommerstoff.
dummy. Reade, Love me 1. p. 218. T. a hair-dresser's d., die Wachs-
puppe im Schaufenster eines Friseurs.
eat. Bei L. würde ein Beispiel gut thun, wie Reade, Love me 1.
p. 18. T. meat and potatoes eat better hot than cold.
402 Beiträge zur englischen Lexicographie.
•»
eight. Bei boat-races sind 8 die übliche Zahl der Rudrer in einem
Kahne. Jedes College auf der Universität pflegt seine 8 besten Rudrer
zu bestimmen, um bei den jährlich stattfindenden Wettfahrten zu wett-
eifern; sie haben einen Capitain an der Spitze und werden nicht bei
ihren Namen, sondern bei ihrer Nummer gerufen: he was „5" in the
university eight. Guy Liv. p. 23. T. — figure of e. (ib.) eine besondere
Form der Rennbahn; die Figur der 8 bietet eine grössere Ausdehnung,
als wenn man einfach im Oval um denselben Raum herumritte.
eirie oder eerie. Cornh. Mag. 1860. Jul. p. 75 the wind was Coming
from the sea every now and then in chill eerie soughs. — Farrar, Jul.
Home : an eerie story ; ein schottisches "Wort, in's Englische hinüberge-
nommen, weil dort ein Wort der Bedeutung „unheimlich" fehlt; wol
dasselbe mit dem von Str. ohne Bedeutung angeführten eyry. Jamieson
Scot. Dict. giebt ery, eiry, eerie; affected with fear, from whatever
cause — dann: excited by wildness of Situation, und: denoting the fee-
ling inspired by the dread of ghosts.
eldrich. ? an e. screech. Reade, Love me 1. p. 219. T.
enemy. how goes the enemy, was ist die Uhr?
enfeofment by seisin, die Art, Grundeigenthum zu übertragen,
wobei man den Käufer zu demselben hinführt, und ihm etwas zu dem-
selben Gehöriges , etwa einen Zweig von einem Baume, in die Hand
giebt. Jetzt fast ausser Gebrauch, und ersetzt durch die Uebertragung
by lease andrelease.
to establish a marriage, eine Ehe zur öffentlichen rechtsgültigen
Anerkennung bringen, nachdem sie etwa im Geheimen oder im Aus-
lande geschlossen ist. Solly Campbells.
to evaporate, das Zimmer verlassen, „verduften," verschwinden ;
öfters z. B. Dickens, Sk. 409. T.
even. 1*11 bet an even fifty, Guy Liv., 50 Pfund gegen 50. cf.
Lever, Davenp. Dünn I, 189: l'll stake an even fifty, on either
side.
Exon. The Commander of the royal bodyguard is called: „Exon
of the household."
eye. up to one's eyes in . . ., bis über die Ohren in . . . — to
look in one's face with all on's eyes.
to face. Auch: so stellen oder legen, dass man die Vorderseite
der Sache vor sich hat. The letters are faced (Art. in Westm. Rev.
Beiträge zur englischen Lexicographie. 403
1860. über die Post); nachher erklärt: turned with their directions up-
wards.
to fall in, ablaufen von Gontrakten: he offered me the lease
lately fallen in of your cloth-mills at Enderly (John Halifax), to f. out
of the garae, vorn Spiele zurücktreten, Reade, Love me 1. ,178. T.
to fall back lipon , sich an etwas halten, einen Rückhalt haben
an. With Prussia to fall back upon in a case of need ... — (Times).
fancy-work, feinere weibliche Handarbeiten, wie Sticken , Häkeln
und dgl., zum Unterschied von plain-work.
fangled. The old-f. banker. Reade, Love me 1. etc. p. 1G7. T.
fast. Slang, aber in allgemeinem Gebrauch, ist das bezeichnende
Adj. für fashionables Leben , noble Passionen und dgl. Jeder, der so
sein Geld gut anzubringen versteht, ist fast; entweder 'because he goes
fast and in the shortest possible way through bis income,' oder because
he lives too fast d. h. sich nicht conservirt. Von Damen gebraucht be-
deutet es etwas Aehnliches wie emaneipirt , oder auch einen luftigen
Blaustrumpf, cf. rapid. Als opp. erscheint bisweilen slow.
feeler. to put out a f., sich vorläufig orientiren.
felon's docks. Die Anklagebank in Criminalprozessen.
fetlock. Auf diesen Theil wird zum Zweck der Beurtheilung,
namentlich des Temperaments der Pferde, besondere Aufmerksamkeit
gerichtet, wie der alte Vers zeigt: one white foot, buy him — two
white feet, try him - — three w. f., doubt him — four w. f., scout him.
figure-head, Gesicht. Reade, Love me 1. p. 37. T.
to file an Information. Dies ist der erste Schritt in einer ge-
wissen Art von Prozessen , die Aufstellung des ersten Schriftsatzes.
Auch to file a bill, im Court of Chancery, cf. speeif. perf.
fine, medium, broad. Die drei Grade der Schärfe von Stahl-
federn.
finial, ein gothischer Giebel mit Krabbenverzierungen (Bulw.,
What will he etc.).
fire: Reade, Love me 1. etc. p. 18. T. she missed fire, übertragen
grade wie ..abblitzen" von Scherzen und dgl., worauf der Andre nicht
eingeht.
a first, a second, wer nach "der Examination in Cambridge einen
Platz in der ersten oder zweiten Klasse erhält, cf. double -f. Das
Wort wird auch auf den Platz bezogen : to get a first. — bis hopes
were crowned by a first or second (Guy Liv.).
404 Beiträge zur englischen Lexicographie.
fish. All is fish that comes to net, sprüchw. Man muss jeden
Vortheil mitnehmen. — fish-tail burners, die gewöhnliche Form der
Gasflamme (tulpenförmig).
flats und flies, Namen für Theaterdecorationen. Dickens, Sk. p.
425. T. flats s. Str.; flies müssen die von oben herabhängenden sein
nach ib. 434.
flats nicht bloss Stockwerke, L., sondern überhaupt Theile eines
Hauses , die einzeln vermiethet werden , also am genausten dem ent-
sprechend, was wir Wohnung oder Quartier nennen: besonders so für
Comptoire und dgl. abgelassen. Cornh. Mag. 1860. Jul. (The House
that John built) : gorgeous merchant's houses in Fenchurch and Leaden-
hall, now let out in flats as offices and Chambers.
let the flea stick in the wall, Reade, Love me 1. p. 277. Bed. ?
a fleck on one's character findet sich in Farrar, Jul. Home.
flight nennt man die (zufälligen) Abtheilungen oder Gruppen,
in denen sich beim Wettreiten die stärksten oder die schwächeren
Reiter zusammenhalten : he took the lead of the second flight, er war
der erste von den zweit-besten Reitern (Guy Liv.).
flimsy, eine Banknote, cant. Lever, Davenp. Dünn I, 158. T. :
when a man sends you the flimsy, he spares you the flourish.
to floor, pr. im Ringkampf zu Boden werfen, und davon auf
das Unterliegen in jedem Wettstreit übertragen , auf Wettreiten , Exa-
mina und dgl. In letztrer Beziehung sagt man auch umgekehrt: I floored
the paper (d. h. das Blatt, das vor dem Examen vertheilt wird und die
Aufgaben enthält), ich löste glänzend alle Aufgaben. Lever, Davenp.
Dünn II, 337. Dick., Little Dorr. IV, 153. T.
to flop, wird von Dick., Two Cities im Munde einer bestimmten
Person fortdauernd als verächtliche Bezeichnung des Betens und frommer
Gesinnung überhaupt angewandt, z. B. I, 87: If you must go flop-
ping yourself down, flop in favour of your husband and child. Vom
Aufschlagen der Knie auf den Boden beim Niederknieen zum Beten.
floss-silk lose, ungesponnene Seide , Reade, Love me 1. p. 31. T.
Dick., Little Dorr. I, 210. T. Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858)63.
flourish. how do you fl. ? scherzhaft statt do.
fluffy, Dick., Hard T. 152. T. faserig, auch in der Bedeutung
schäbig, da es vom Tuch gesagt wird , von dem sich Stückchen der
Wolle loslösen.
flunkey. Nach Jamieson, Diction. ist das Wort schottisch.
Beiträge zur englischen Lexic ographie. 405
fly-whisk, Fliegenwedel. — f 1 y - catch er, Maulaffe. Dickens,
Little Dorr. I, 183. T. — to shoot flying, den Vogel im Fluge schiessen.
— f 1 y , verschlagen, Lever, Davenp. Dünn III, 256. T.
to follow the hounds, ein Jagdliebhaber sein.
to follow suit, eigentlich vom Kartenspiel (s. L.). Dann über-
haupt nachfolgen, nachahmen; doch nur scherzhaft, z. B. Cornh. Mag.
1860, Aug., p. 242. then Justice . . . girds herseif for a Walking tour
half way over Europe, with a pipe in her mouth. The Exchange quickly
follows suit; cf. Reade, Love me 1. p. 101. T. she even developed a
feeble sense of fun , followed suit demurely when Eve came out
sprigthly etc.
fool. — Tbat is but a fool's reason , ein schlechter Grund, und
Aehnliches. — he who is his own counsel, has a fool for his client,
sprüchwörtlich. — he is not such a fool as he looks, nicht so dumm
wie er aussieht. — all fool's day, der erste April, komisch nach all
Saint's day.
for. I, for one, have never etc. Ich, z. B. , oder ich: für mein
Theil. — Auf Einladungen : at half past four , for five o'clock , d. h.
man bittet um halb fünf zu kommen, der Anfang ist präcis fünf Uhr.
to force water, Wasser heben, in die Höhe treiben.
fore substantivisch: are there not soldiers still to the fore, etc.
Soldaten, die stets voran sind (Guy Liv.). cf. Davenp. Dünn I, 45. T. :
if you are not to the fore.
fore lock, to pull one's f., eine Art der Begrüssung bei Bauern;
sie fahren sich an's Haar, als ob sie einen Hut aufhätten , und ziehen
an der Locke den Kopf herunter. Aehnliches bedeutet wol die einer
Persönlichkeit in Hard Times fortdauernd beigelegte Pantomime, die
Dickens mit „he knuckled his forehead" bezeichnet. Trollope, Barch.
Tow. 332. — to take time by the f., schnell handeln, Dick., Little
Dorr. III, 237. T.
foreparted oder new fronted, vorgeschuht.
foresters. Eine zu Geselligkeits- und Unterstützungszwecken
gestiftete, äusserst zahlreiche Gesellschaft durch ganz England. Sie
haben ein dem Namen entsprechendes phantastisches mittelalterliches
Jagd-Costüm.
freezer. Reade, Love me 1. p. 57. T. erklart als one of those
men who cannot shine but can eclipse. They darken all — by Casting
a dark shadow of trite sentences on each luminary.
406 Beitrüge zur englischen Lexicographie.
friends. „you may write to your f.", eine umschreibende Redens-
art für sterben, wie wir: Du kannst Dein Testament machen (Guy
Liv.)-
front, ein falscher Scheitel bei Damen. Dick., Sketch. 439. T.
a füll length, subst. , ein lebensgrosses Bild. — a füll private,
spasshaft, wie wenn wir sagten: „ein ganz gemeiner Soldat" (Times),
to come füll uporJ somebody, grade auf Einen loskommen.
gage, broad and naiTow, schmale und weite Spur bei Eisenbahn-
wagen, the war of the gages, der im vorigen Jahrzehnd geführte Streit,
ob die alte schmale Spur (4' 10") oder die breite, von Brunei auf der
Great-Western Bahn zuerst angewandte (7') allgemein einzuführen sei.
gall and worin wood öfters so verbunden, um etwas äusserst
Bitteres, Herzkränkendes zu bezeichnen.
g a m e , wahrscheinlich hergenommen vom game-cock, bedeutet als
S. Muth, als A. muthig, bereit zum Unternehmen. Trollope, Waiden
78. Dick., Sk. 458. T. Bei Dieben heisst to die game, sterben ohne
bekannt zu haben. Lever, Davenp. Dünn II, 218. T.
g a p i n g ' s catching ; hanging's stretching.
gas-fitter. Ein besonderer Gewerbszweig: sie machen Gaseinrich-
tungen und Alles, was in das Fach schlägt , Wasserleitungen und dgl.
gate. pi-oselytes ofthe g. sind eine besondere Art Convertiten vom
Heiden- zum Judenthum , die in ein inneres Thor des Tempels nicht
eingelassen wurden. (?)
gateway. It seemed that some obstruetion in the gateways out-
ward prevented her , in her waking hours , from being able at all to
utter herseif, Cornh. Mag. Jul. 1860 p. 76: seine Wege der Wahrneh-
mung und Aeusserung. Aehnlich nennt Reade, Love me 1. p. 236. die
Ohren an avenue ofsense.
their geese are always swans sagt man in Bezug auf Prahler.
cf. Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858), 152: he observed that one
person's swans were very offen another person's geese.
germanified letters, Reade, Love me 1. p. 94. T. schnörklig,
schwer zu lesen.
get. — to g. something in = into the bargain, als Zugabe bei
einem Kauf bekommen. A lady very much got up, sehr herausgeputzt;
auch the g et -u p , die äussere Erscheinung, Lever, Davenp. Dünn III,
196. T. — I wish you may get it, sehr übliche Phrase der Verhöh-
Beiträge zur englischen Lexicographie. 407
nung gegen Jemand, der eine Forderung gestellt hat, die man nicht ge-
sonnen ist zu bewilligen. — a got-up affair, besonders angestiftet.
Gills, spasshafte Bezeichnung für Jemand, der sehr hohe Vater-
mörder trägt. Dies gibt Antwort auf Str.'s Fragezeichen.
the gist (of a criticism) , der eigentliche Gehalt, die Seele (Fl.
und L. geben nur Hauptgrund der Anklage).
to g i v e a horse Ins gallops, ein durchgehendes Pferd in vollem
Carriere davon rennen lassen (Guy Liv.). — to g. the wall. Die
Sitte ist picht mehr, denn Murray's neustes Fremdenbuch giebt die
Weisung : Take the right hand side of those you meet in Walking along
the streets. — „Give a chimney-sweep the wall," eine Vorschrift wie
unser: Einem Betrunknen und einem Fuder Heu muss man aus dem
Wege gehen. — to give tongue, anschlagen, vom Hunde (Dick., H. T.
p. 36.). to g. mouth (ib. p. 42), viel über etwas reden (vulg.).
glazing speciell auch das Firnissen von Gemälden.
to gloat, auch: neidisch oder hämisch scheel sehen. The world
is always eager to gloat OArer the detected vice of a clergyman. Cornh.
Mag. 1860 p. 39.
to take the gloss (oder shine) off, pr. vom Tuche, das den
Glanz verliert; dann mit einer üblichen Uebertragung: Jemandes zu
hohe Hoffnung dämpfen, ihm die zu hohe Meinung von sich selbst be-
nehmen. When matters went smoothly, she itched to torment and take
the gloss off David. Reade, Love me 1. p. 141. T.
gloves. — she had laid half a point more — not in gloves —
on the heavy-weight (Guy Liv.). Wetten mit Damen werden, um ihnen
den Anschein der Leidenschaft oder Gewinnsucht zu benehmen, so ge-
schlossen, dass ihnen der Gewinn nicht in Geld, sondern in Handschuhen
gezahlt wird. Die betreffende Dame erscheint also hier als besonders
„fast."
glutton. — he took bis punishment like a glutton (Guy Liv.).
Der Vergleich ist im ring heimisch ; als wenn er nicht genug bekommen
könnte; er hielt so standhaft aus, als machte es ihm Vergnügen.
go. — to espress an opinion without good grounds to go upon,
fussen — he would certainly be on her side as far as opinion went ;
so weit es auf — ankam, oder was — anbetraf (Cornh. Mag. 1860.
June); ähnlich I believed them honest men, as times went, sehr üblich
so : nicht nach dem strengen Begriff, sondern in Anbetracht der allge-
403 Beiträge zur englischen Lexicographie.
meinen Un Vollkommenheit der menschlichen Natur, no bad thing, as
times go, Lever, Davenp. Dünn I, 58. T. — well read, as times go,
Cornh. Mag. Sept. 1860, 274. — Here we go again ; da haben
wir's schon wieder (Dick., Hard T. p. 41). — that goes very well
with cake, schmeckt zu . . . , auch: wine and walnuts go particularly
well together. — to let go towards . . . zugeben, dass etwas wozu
verwendet wird : this five pounds will go towards paying that debt. —
she'll let that picture go towards . . . (Opposite neighbours, Comedy).
to go in for ..., eigentlich slang, aber im Gespräch äusserst üblich;
häutig, z. B. Lever, Davenp. Dünn I, 118. T. etwas unternehmen, sich
darauf legen ; z. B. to go in for an examination, for a place. Von Je-
mand, der in einer Gesellschaft viel Gefrorenes vertilgt, sagt man wol:
he goes furiously in for ices ; a lady goes in for dress ; to go in for
cameis, eine Reise in den Orient machen, was sich bei Dick., Hard. T.
p. 298. T. findet. — to go to grief=to thc dogs : some adult gambler
gone to grief, Cornh. Mag. Jul. 1860 p. 109. — to go out at a salary
(Dick., Hard. T. 54. T.), sich in einen Dienst vermiethen. — the bells
go three (ib.), schlagen Drei. — Als Subst. ist bekannt: there is no go;
all action and no go, von einem Pferde; here's a pretty go, Dick., SL
431. T. ; a great go, „ein grosser Witz'" nach berliner Redeweise. —
little go. Wenn L. erklärt: „Das erste Examen der Candidaten der
Theologie, wonach sie zu deacons promoviren , dagegen the great go,
das zweite Examen derselben, wonach sie zu priests werden," so ist
daran so gut wie Alles falsch. Erstens gilt das Examen allen under-
graduates , sie mögen Theologen werden oder nicht. Das Ordiniren
zu deacons und priests liegt zwar auch in der Regel um ein Jahr aus
einander; dass aber Niemand darauf deacon werden kann, ergiebt sich
schon aus den geforderten Gegenständen; diese sind, wie Farrar, Jul.
Home, erklärt: „Paley's Evidences ; a little Greek Testament, some
easy classic, Scripture History and a sprinkling of arithmetic and al-
gebra." Es ist nur eine previous examination (in Cambr. little go, in
Oxf. the smalls genannt) , die zu Ende des zweiten Studienjahres ge-
halten wird, und hat, da viele junge Leute die Universität nur zum
Vergnügen besuchen, den Doppelzweck, einmal, ein gewisser Zwang
für jene zu sein, sich in der Mitte des Trienniums doch etwas wissen-
schaftlich zu beschäftigen, dann für die ein Jahr darauf folgende exa-
mination for honours die ganz Unfähigen auszusondern. Das Durch-
fallen ist dabei also besonders schimpflich. Es kann beiläufig bemerkt
Beiträge zur englischen Lexicograpbie. 409
werden, dass ein undergraduate vor diesem Examen junior Soph (so-
phister), nach demselben senior Soph im Cambr. university-slang genannt
wird.
Golgotha, der Hut (sl.): „Schädelstätte;" auch der Platz für
die masters of the Colleges in der Kirche in Cambrigde vor der Kanzel.
good. so far so good, Reade, Love me 1. etc. 141. und 338., etwa:
bis hierher hat uns der Herr geholfen ! Wird auch gebraucht , nach
einem Abschnitt der Auseinandersetzung auf Andres überzugehen ;
„gut also."
goose. you cannot sarse the goose and not the gander, Dick.,
Two Cit. 2, 180. T. ; sarse ist nur aus vulgärer Ausprache von sauce
entstanden, und die Phrase danach umgeformt ; denn sie heisst eigent-
lich : what is sauce for the goose , is sauce for the gander d. h. eines
ist so gut wie das andere ; was dem Einen recht ist, ist dem Andern
billig.
goose step. Der erste Theil des Exercirens bei Soldaten, bei
dem dieselben die Beine langsam nach vorn und hinten werfen müssen ;:
so to perform a perpetual goosestep im Juniheft des Cornh. Mag.
nicht vorwärts kommen. Fl. giebt Gänsemarsch: dies giebt einen fal-
schen Begriff; bei L. fehlt das Wort.
gospel. to receive one's words as gospel-truth.
Gown-boy (Thack., Newc), Schüler von Christ's hospital in
Newgate Str. London. Sie tragen eine höchst absurde Kleidung : einen
blauen langen Rock mit faltigen Schössen, gelben Unterrock und gelbe
Strümpfe, einen Ledergürtel und keine Kopfbedeckung. Der Philologe
Jos. Barnes, Markland, der Dichter Coleridge, Ch. Lamb, Leigh Hunt
u. A. kamen aus dieser Schule.
grandmother. teil that to your gr. = to the marines; es wird
auch bloss gerufen: ah, Granny!
gray mare, zur Erklärung der bei Lucas erwähnten Phrase diene
die landläufige Geschichte, dass irgendwo der Frau, die ein ganzes Jahr
ihrem Manne nicht widersprochen, ein schönes Ross verheissen wurde.
Nach Ablauf der Frist ging Jemand mit mehreren Pferden umher, sie
zur Auswahl zu bieten. Nur eine Frau fand sich, die Anspruch zu er-
heben wagte. Als nun aber ihr Mann ein schönes schwarzes Pferd aus-
wählte, trat sie mit den entschiednen Worten dazwischen: „No, no, the
gray mare is the better horse," und verlor so auch ihren Preis.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII 27
410 Beiträge zur englischen Lexicographie.
green. In Bezug auf die bekannte Bedeutung existirt die übliche
Phrase : do you perceive any green in the corner of my eye ?
griff, „we were griffs at school together." Dundonald, Autob. ab-
gekürzt aus griffin, ein Neuling in indischem Leben. Ist aber so über-
tragen nicht eben üblich.
to grind, s. B., in der Schule, unser „büffeln", grinder auch =
crammer, q. v. (Farrar, Jul. Home oft.)
grotto. Der 1. August ist der Anfang der Saison für Austern-
esser. Kinder bauen an diesem Tage kleine Grotten von Austernschalen,
setzen auch wol ein Licht hinein, und betteln unter den Worten: „re-
member the grotto."
ground. to take up high gr., sich auf's hohe Pferd setzen; aber:
taking up higher g. , wenn man die Sache von einem höheren Stand-
punkt betrachtet, Trollope, Barch. Tow. 2 92. the project feil to the g.,
frz. tomber dans l'eau.
guard, die Parade beim Faustkampf, die linke Hand, welche quer
vor die Brust gehalten wird (Guy Liv.).
gulf, die vierte Klasse bei dem mathematical tripos in Cambridge,
oder vielmehr diejenigen, deren Leistungen zu schwach waren, sie in
die Klassen der wranglers, senior und junior optime zu rangiren, die
aber doch promovirt werden. Sie durften das Ex. in classics nicht
machen. Die Sache ist jetzt geändert. Auch to be gulfed.
gullible, leichtgläubig. Fl. und L. geben nur das abgeleitete
Subst.
gumption; für dies Wort giebt das Sl. D. : from gaum, to com-
prehend; „I canna gauge it, and I canna gaum it," as a Yorkshire
exciseman said of a hedgehog.
gun. great guns, Leute, von denen viel gemacht wird, Notabili-
täten, Cornh. Mag. 1860. Aug. p. 256. Dick., Little Dorr. IV, 115. T.
gyps, nicht gips ist das von B. XXI, 167 beigebrachte Wort
zu schreiben, da es griechisch sein soll; yvnsg aber werden sie wegen
der Habsucht genannt, mit der sie die Studenten ausplündern, s. Farrar,
Jul. Home oft, auch L. In Oxford scout, s. Macm. Mag. Nov. 1859
p. 26.
gypseying. to go a g. bei Farrar, Jul. Home, von einer Land-
partie gesagt, wo man im Walde auf dem Rasen speist,
half bound neben half calf, halbfranz.
Beiträge zur englischen Lexicographie. 411
Hällowe'en, Allerheiligenabend, an den sich in Schottland aller-
hand Geisterspuk knüpft.
halyard, eine besondere Art Seile im Tauwerk eines Schiffes,
Reade, Love me 1. p. 34. T.
hand. Nicht genügend geordnet und hervorgehoben sind in den
Wörterbüchern die von hand = Arbeiter abgeleiteten Bedeutungen für den
Mann, insofern man seine Geschicklichkeit oder Eigenheit betrachtet :
so wird nicht bloss von äussrer Fertigkeit gesagt: she is a good hand
in making coffee, sondern ebenso : an old hand in making love; cf. Lever,
Davenp. Dünn I, 156: the older hands, fellows versed in all acts and
ways ; Dick., Little Dorr. III, 48. T. I am a man of few words, and
a bad hand at an explanation ; Trollope, Warden (Lond. 1859) 212:
a good hand at a lawsuit; he is either a cool hand or a simple one
(Cornh. Mag. 1860. Jul.) nichts weiter als: er ist kaltblütig oder
dumm; he is a cool hand that B., Reade, Love me 1. p. 224. TV,
alles von bloss geistigen Eigenschaften. — a man who never shows
his hand, der immer verdeckt handelt, (v. Kartensp.) — hand = Besitz :
the property changes hands, kommt in andre Hände; ihe p. will be on
his hands again, nachdem es vermiethet war. — the copies still in
hand, die noch nicht ausgegebenen oder verkauften Nummern einer
Schrift. — Gewalt: the strong hand will never do it , in Dick., Hard
T. — bound hand and foot to . . . (ib.), unauflöslich.
handle to one's name. Thack., Newc. : I don't care to wear the
handle to my name: ein Titel, cf. Trollope, Barch. Tow. 365.
to hang as high as Haman scheint als Redensart gäng und gäbe
zu sein.
to hang out, wohnen, s. L., hergenommen von dem aushängenden
Schilde mit dem Namen. Zur Erhöhung des Spasses fragt man auch
mit dem Synonym : where do you suspend ?
hare. Mrs. Glass's recipe: „First catch your hare" (Farrar, Jul.
Home). Sie hatte in einem von ihr herausgegebenen Kochbuch den
Artikel, „how to jug a hare" mit den angeführten "Worten begonnen.
Harry; bei the Lord H. (Sherid., Rivals und sonst, z. B. Lever,
Davenp. Dünn I, 263. T.) ein entstellter Schwur, to play old H. =
Old Nick.
ha s sock auch ein Kissen, auf das gichtkranke Personen den
Fuss legen, ihn zu ruhen. — tea and hassocks, sagt man spasslml'i.
Ü7'
412 Beiträge zur englischen Lexicographie.
werden bei prayer-meetings gereicht, weil in ihnen nur Thee getrunken
und dann gebetet wird (Farrar, Jul. Home).
he ad. to speak in the head, mit lauter, angestrengter Stimme
sprechen. — a race lost by a head, um eine Kopflänge. — to leave a
horse eating his head off, unbenutzt stehen lassen (Framley parsonage
in Cornh. Mag. 1860. Juni). — My Juniors were put over my head:
mir vorgezogen bei einer Anstellung. — h. heisst auch de^r überragende
Schaum auf dem Glase Bier; to make a h. to it: so eingiessen. Cornh.
Mag. Oct. 1860 p. 395. — the head boy, der Primus.
heart of flesh (can't stand it) opp. dem heart of stone. — it gives
me double h., macht mir doppelten Muth, Reade, Love me 1. 337.
to hear the pupils their task, überhören.
a heavy subscriber, einer der viel subscribirt. — heavy-wei gh ts,
Boxer die durch die Schwere und Kraft der Schläge, light w., die durch
Geschwindigkeit und Behendigkeit wirken. Nach denselben Namen werden
Pferde unterschieden, je nachdem sie vor dem Rennen von ihren Herrn
als solche nach ihrem Alter und sonstigen Eigenschaften declarirt sind
(proposed). Sie haben danach einen schwerern oder leichteren Reiter
zu tragen.
helot, Helot, findet sich in der allgemeinen Bedeutung Trunken-
bold (Art. in Cornh. Mag. Juni).
here and there, in vulgärer Sprache oft nach this und that, z. B.
you have no more nat'ral sense of duty than the bed of this here Thames
river has of a pile etc., Dick., Two Cit. I, 259. und tausendfältig sonst.
— Mary here and Mary there and Mary every thing: Marie vorn und
Marie hinten.
High Jinks (Cornh. Mag. 1860. Oct. p. 393; Macm. Mag.
Nov. 1859 p. 15.), übermüthige Spässe.
hobs, zwei hervorragende Theile des Kamins zu beiden Seiten
der bars, die die Kohlen halten ; benutzt zum Hinaufsetzen von Kesseln
(Dick., Little Dorr. I, 49. T.) und dgl. Ungebildete stellen auch wol
die Füsse darauf (Fl. Herd wand).
hookey (Dick., Sk. p, 24). Wenn an old-f ashioned game
bei B. XXI. p. 168. bedeuten soll, dass das Spiel nicht mehr in Ge-
brauch wäre , so dürfte dies nicht richtig sein ; es wird, namentlich auf
Schulen, noch eifrig getrieben. Die Spieler sind, wie bei unserm Par-
tieball , in zwei Parteien getheilt , deren jede einen durch eine Linie
(base) markirten Standpunkt hat. Jeder Spieler hat einen am Ende
Beiträge zur englischen Lexicographie. 413
umgebogenen Stock wie unsere Hakenstöcke, den er aber am spitzen
Ende fasst. Jede Partei sucht den auf der Erde liegenden Ball über
das Mal der anderen vermittelst der Stöcke hinauszutreiben. Zu dem
Zwecke rücken sie nach der Mitte vor, und stehen oft in dicht ge-
drängtem Knäuel um den Ball, in grossem Eifer und Aufregung.
holiday-captain (Rpderick Random), ähnlich wie wir Sonntags-
reiter sagen: einer der sich nur Capitain nennt. (?)
to hold sticks with able competitors? Reade, Love me 1. 132. T.
der Sinn ist: sich gegen sie behaupten, die Rivalität aushalten.
hop, skip and jump. So wird das Ueberspringen eines bestimm-
ten Raumes in zwei Sätzen bezeichnet ; h. ist das Absetzen mit dem
linken Fuss diesseits; skip das Aufsetzen mit dem rechten in der Mitte,
jump das Aufspringen mit beiden Füssen jenseits. Wird oft um die
Wette als Spiel geübt.
hornet's nest, wird in der Bedeutung unsres „Wespennest" so
angewandt: you will oblige me by not bringing a hornet's nest about
my ears (Kavanagh, Seven Years), von Erregen vielen Gezänks mit
Andern, cf. Trollope, Barch. Tow. (Lond. 1858) 101, 290.
that horse is ridden to death, von verbrauchten Gedanken, Kniffen,
und dgl. — I don't like to look a gift-horse in the mouth. Dick., Cop-
perf. cf. Trollope, Barch.'Tow. 369.
horse flesh wird professionell oft statt horses gesagt, z. B. con-
noisseurs in horseflesh. Lever, Davenp. Dünn II, 174 a consummate
jugde of h.
hot water. this man and Nena Sahib had always been in hot
water together (Hist. of Cawnp.) , sehr üblicher Ausdruck für einen,
der in fortwährendem Zank und Streit lebt, cf. Reade, Love me 1. etc.
418. T. : So D. was often irritated and worried and in hot water. Trol-
lope, Barch. Tow. he would get himself in h. w.; ib. 3G5 : keep him
out of. h. w.
Hue and Cry. Eine Art polizeiliches Intelligenzblatt für Wieder-
erlangung verlorner Gegenstände. (?) Reade, Love me 1. p. 248. T.
hu m drum. Ueber den Ursprung sagt das Sl. D.: a Society of
gentlemen, who used to meet near the Charter-House, or at the king's
Head, St. John's street. Thcy were charakterized by less mystery and
more pleasantry than the Frcemasons. (Bacchus and Venus, 1737.)
idea'd, unidea'd words, gewagt von Reade, Love me 1. 94. T.
i f i t is . . . So eingeleitete abgekürzte Sätze dienen oft zur Ver-
414 Beiträge zur englischen Lexicographie.
sichrung der annäherungsweisen Genauigkeit einer Zahlenangabe; a
cabin 1' 3. to 6' 4, if it's an inch (Solly, Campells), eigentlich: so
sicher, wie sie doch einen Zoll wenigstens breit ist; oder a person se-
venty years old, if he is a week. — not if I know it , meines Wissens
nicht.
imperial, die Art Bart, wo ein kleiner Zipfel nach unten stehen
bleibt, das übrige Kinn glatt geschoren ist ; wol nach Louis Napoleon
so benannt.
ins and outs. Die von L. s. v. out gegebne Bedeutung ist nicht
die einzige; man hört von engen und verwickelten Strassenverbindungen
sagen: there are so many ins and outs here. — oder: he knows all
the ins and outs of this neigbourhood. — in at the death ist beim fox-
hunting der Reiter, der als der erste beim erlegten Thiere ankommt,
und dem der brush als Preis zufällt (Guy Liv.). — who is in? beim
Cricket und anderen Spielen (s. Dick., Sk. 441. T. „go in", cf. id.,
Little Dorr. IV, 154. T.) wie wir: wer ist dran, oder: wer ist
Schläger? — Eigentümlich ist der Gebrauch der Präposition in der
Verbindung : the case was in ejectment =: es war eine Klage auf ej. ;
oft in Gerichtsverhandlungen zu lesen. —
i nch. within an inch, um ein Haar, Dick., *Hard T. p. 140. T.
in no cents. s. the slaughter oder murder of the i., der betlehemi-
tische Kindermord, cf. Dick., Hard T., Cap. II. Ueberschr.
iro n. too many irons in the fire , von vielerlei Geschäften, die
Jemand zu gleicher Zeit unternimmt, und durch die er seine Kraft zer-
splittert (the old adage of too m. i. i. the f., Dundonald, Autob. cf.
Trollope, Barch. Tow. 97.).
issue. Ausgabe oder Nummer einer Zeitung, d. h. die Gesammt-
heit aller unter einer Nummer gedruckten Exemplare, the newspaper in
its issues n°. 2. 3. 4.
je ss am ine ist nicht, was wir Jasmin nennen, sondern ein häufig
an den Wänden gezogenes rankendes Gewächs mit kleiner weisser, nur
schwach duftender Blüte. Trollope, Barch. Tow. 414: what is the turret
whithout its ivy, or the high garden-wall without its j. ?
Jim Crow. Gegenstand eines noch jetzt in London populären
jig; das bei B. Gegebene ist dann secundär.
John Company, übliche Personification der ostindischen Com-
pagnie, s. Cornh. Mag. 1860. Jul. p. 114 sqq.: the house that John
Beiträge zur englischen Lexicographie. 415
built ; auch Reade, Love me 1. p. 370. T. : I have gone to leeward of
John Company's favour.
j u g-department , häufig an Schildern von public houses ange-
schrieben, um zu bezeichnen , dass Privatleute sich dort ihren jug mit
Bier können füllen lassen. Auch bottle-dep. , wholesale-dep. , s. Dick.,
Sk. 178. T.
keen. — the wild Irish women , keening over their dead, Guy
Liv. p. 134. T. in der Bedeutung des sonst davon üblichen Wortes to
wake the dead.
to keep. he kept us going in sherry. — put one small lump on
the fire, just to keep it in, brennend zu erhalten. — I don't keep that,
den Artikel führe ich nicht. — In Cambridge cant ist es = to live: I
keep on the same staircase (Farrar, Jul. Home).
Jack Ketch, der Henker, L.; Macaulay hist. of E. II, 194. T.
He (Monmouth) then accosted John Ketch the executioner, a wretch
who had butchercd many brave and noble victims, and whose name
ha?, during a Century and a half, been vulgarly given to all that have
succeeded him in his odious office.
kettle of fish. Zu Str. diene als Ergänzung: the whole kettle-
of-fish of school, Dick.,H. T. 22. T. die ganze confuse Schulwirthschaft.
to kick against the pi ick , gegen den Stachel löken. - — to kick
the bücket, in's Gras beissen, Fl. Das Sl. D. giebt nach E. S. Taylor
folgende Erklärung: The allusion is to the way in which a slaughtered
pig is hung up, viz., by passing the ends of a bent piece of wood be-
hind the terdons of the bind legs, and so suspending it to a hook in a
beam above. This piece of wood is locally teimed a bücket, and so
by a coarse metaphor the phrase Cime to signify to die. Compare the
Norfolk phrase „as wrong as a bücket." — to k. up a shindy, a noise,
vulg., -etwa : Lärm aufschlagen. — to k. the stool from under one, sich
selbst der Mittel berauben, sich selbst schaden.
kindness. to have a k. for . . ., wird gewöhnlich in der zartem
Bedeutung verstanden: eine Neigung oder stille Liebe haben für . . .
kindred. to claim k. with ..., Verwandtschaftsansprüche geltend
machen auf . . ., Goldsmith, Desert. Vill. ; cf. Lever, Davenp. Dunn I,
61. T. Das Subst. Lever, Davenp. Dunn I, 61. T.
king's boys oder scholars, 40 Freischüler in der mathematischen
Schule von Christ's hospital (cf. gown-boys), deren Stellen 1672 von
Karl IL gegründet wurden.
416 Beiträge zur englischen Lexicographi e.
kiss in the ring, Gesellschaftsspiel, ähnlich unserem „Fuchs in's
Loch."
kitcher-kitcher, gebraucht, wenn man kleine Kinder zum
Scherz kitzelt ; bei uns hört man wol : kille, kille.
the k night of the woeful (sorrowful) countenance, Don Quixote.
knit. a muscular and well-knit frame, fest gebaut.
to knock off, der schon alte, noch jetzt übliche terminus technicus
der Arbeiter für „Feierabend machen," auch fertig machen, abmachen:
we may as well knock this off first. — to — the wind out of . . ., beim
Boxen der ungesetzliche Schlag vor den Leib, wonach dem Gegner der
Athem vergeht, Dick., Hard T. p. 8. : to knock the wind out of common
sense. — I shall knock you into the middle of next week, scherzhafte
Androhung einer Ohrfeige.
to k n o w. he knows a thing or two : er ist ein geschickter Bursche,
cf. Lever, Davenp. Dünn I, 152 und 193: up to a thing or two.
Berlin. Dr. A. Hoppe.
Sitzungen der Berliner Gesellschaft
für das Studium der neueren Sprachen.
44. Sitzung am 20. November 1860. — Herr Büchsenschütz
berichtet über die neuesten Nummern der Zeitschrift ,,die Schweiz."
Ueber den darauf folgenden Vortrag des Herrn Mahn verweisen
wir auf Archiv Bd. XXVIII, pag. 152 — 159, eben so über den des
Herrn Leo auf Archiv Bd. XXVIII, pag. 233 — 244.
Demnächst trug Herr T r a c h s e 1 eine Corola in französischem Schwei-
zerpatois (Dialect von Gruyere, mit französischen und savoyischen Ele-
menten) : Sur le prince de Savoie, Lausanne, 1842, vor. In fran-
zösischer Sprache gab der Vortragende Erläuterungen zum Verständniss
des Liedchens. Alsdann las Herr Stadler eine allegorische Auffassung
der Gerusalemme liberata des Tasso , welche einer älteren Ausgabe des
Gedichts (Urbino 1735) beigegeben ist. Danach bedeutet das Kreuz-
heer mit seinen verschiedenen Führern den Menschen mit seinen ver-
schiedenen Tugenden, Jerusalem die himmlische Seeligkeit, die Zauberer
und bösen Geister die Laster und Irrthümer des Menschen, die ihm
die Erreichung jenes Jerusalems erschweren.
Schliesslich sprach Herr Herr ig über ältere orthographische
Schriften. Er setzte aus einander, dass die von Francis Wey aus-
gesprochene Behauptung, nach welcher Jean Salomon , gen. Montflory
oder Florimond, der Erfinder orthographischer Zeichen (Accent, Cedille,
Apostroph) sein solle, auf Irrthum beruhe. Der Vortragende vindicirt
dem Geofroy Tory aus Bourges die Priorität, der schon 1523 den Druck
zu seinem Champ Fleury begonnen habe, in welchem sich die neuen
Zeichen bereits vorfinden, und dann in der 4. Auflage der Adolescence
Clementine (1533) von Cl. Marot auf dem betretenen Wege weiter-
gegangen sei. Schliesslich wird im Einzelnen nachgewiesen , dass alles
von Tory Herrührende bis auf die neueste Zeit beibehalten worden ist,
und man bei ihm nur den Accent noch nicht findet, welcher über Wörter
von einem und demselben Klange (ou und oü , du und du, notre und
nötre) gesetzt wird.
418 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
45. Sitzung am 4. Deceraber 1860. — Herr Pröhle sprach über
die Unzweckmässigkeit der den öffentlichen Schulnachrichten beigege-
benen wissenschaftlichen Abhandlungen und legt einen Plan vor, wie
beim Wegfall dieser Programmschriften die also erübrigten Geldsummen
zu dem Zwecke verwerthet werden könnten, die Lehrerschaft auch ferner
zu wissenschaftlichen Arbeiten anzuregen. Aus den Anwesenden trat
Niemand als Fürsprecher für die Programmarbeiten auf. Dagegen
wurde die Frage aufgeworfen, ob der Gegenstand überhaupt vor das
Forum der Gesellschaft gehöre.
Herr Lasson knüpfte an die Besprechung zweier neuer Faust-
commentare, eines französischen von Blanchet und eines deutschen von
Köstlin, einen Abriss der Entstehungsgeschichte des Goethe'schen Faust
von dem 1790 herausgegebenen Fragment bis zum Abschluss der Dich-
tung durch den wenige Jahre vor Goelhe's Tode erscheinenden zw-eiten
Theil. Er theilt darauf die Commentare in philosophische und philo-
logische, von denen die ersteren den Faust zu einer Darlegung der
philosophischen Systeme, denen sie anhängen, benutzend , die Dichtung
im Allgemeinen als Allegorie fassen, wobei manche in wunderliche
Ausschreitungen abirren, wogegen die letzleren, zugleich die besseren
Erklärer, das historische Verfahren anwenden und das Verhältniss des
Dichters zu seinem Gegenstande und umgekehrt uniersuchen. Von den
beiden in Rede stehenden Commentaren , die der Vortragende für be-
achtungswerthe Leistungen erklärt , gibt er dem des französischen Ver-
fassers den Vorzug, der jedoch, wie seine Landsleute überhaupt zu
thun pflegen , den zweiten Theil sowohl dem Inhalt wie der Sprache
nach hoch über den ersten stellt ; zu bemerken ist übrigens, dass Blanchet
allzugetreu nach der Uebersetzung von Blaze gearbeitet und dessen Irr-
thümer nicht berichtigt hat. Köstlin deute zu wenig und so käme es,
dass , wo Goethe ersichtlich Allegorie getrieben , er auch an solchen
Stellen nur jene Lust am "Widersinn sähe, aus der sich gewisse Theile
des Gedichtes allerdings nur erklären Hessen. — Herr Hahn debattirt
mit dem Vortragenden über die Aeusserung , der Inhalt des ersten
Theils sei überhaupt keine Idee, sondern ein Charakter.
Herr Mahn hält einen etymologischen Vortrag über den Namen
des Brockens. Siehe Archiv Bd. XXVIII, pag. 160 — 164. Im
Anschluss daran erwähnt Herr Pro hie, dass er eine Abhandlung
„De Bructeri nominibus et de fabulis, quae ad eum montem pertinent"
geschrieben habe, die auch 1855 bei Angerstein in Wernigerode im
Buchhandel erschien. Er sagt darin , dass Namen von Bergen über-
haupt sehr selten früh vorkommen (häufig die von Flüssen), und dass
der Name des Brockens erst um die Mitte des fünfzehnten Jahr-
hunderts vorkomme, wo er Brockisberg, Pruckelbergund Brückeisberg
laute. Hieraus lasse sich , wie man bisher angenommen habe, wenig
schliessen. S. 8 der Schrift werden jüngere Formen des Namens bis
1724 zusammengestellt. S. 8 — 12 handelt ausführlich über den
für das Studium der neueren Sprachen. 419
Namen rb MrjXi 'ßoy.ov oqog. S. 26 wird auch noch erwähnt, dass nach
Behrens' Hercynia curiosa der Berg zuweilen Blocksberg genannt werde.
S. 12 — 13 bandelt über den Namen Bructerus , den der Verfasser
nur als lateinisch in seiner lateinisch geschriebenen Arbeit gebraucht.
S. 14 — 24 handelt über den Namen Brocken. S. 17 wird auf das
mittelhochdeutsche Wort broge (attollo me, erigo me) aufmerksam ge-
macht, doch hält der Verfasser in der Abhandlung für das Wahr-
scheinlichste, dass der Name Brocken Sumpfland, Bruchberg be-
deutet. Aus Grimm's Wörterbuch wird angeführt: ,.ob man auf ein
hochdeutsches brochen schliessen und den Namen aus den Brüchen
oder Absätzen der Felsen deuten darf? Auch in Blocksberg liege Fels-
block." Für die Ableitung des Namens von den Felsen werden gleich-
falls die nöthigen Stellen beigebracht. S. 19 wird aus Behrens' Her-
cynia curiosa die Stelle angeführt: „Der Name Brocken soll nach
Etlicher Meinung davon herrühren, dass solcher Berg bei dem Tode
Christi nebst anderen Bergen zerspalten , und , wie die an den Bergen
wohnenden Niedersachsen reden , te brocken , d. i. zubrochen , wäre,
welche Derivation von Vielen nicht will zugegeben werden, warum ich
mich doch wenig bekümmere." S. 20 wird aus Schröder's Buche über
den Brocken angeführt, dass der Granit (von granum) in der Graf-
schaft Wernigerode Brockenstein genannt werde. S. 24 beginnt die
Besprechung des 1588 zuerst vorkommenden Namens Blocksberg (Bloc-
cenbergus). Dieser Name sei wahrscheinlich durch Erweichung des
r in 1 entstanden. Er sei jünger und werde in der Literatur nur ver-
ächtlich gebraucht. An ihm hätten sich die Mythen hauptsächlich
krystallisirt.
Herr Schmidt gab eine kurze Charakteristik der von Barham
unter dem Namen Thomas Ingoldsby herausgegebenen komischen Le-
genden und Erzählungen , sowohl dem Inhalt als der Form nach , und
theilte aus diesem Werke eine Parodie des Gedichtes The burial of Sir
Henry Moore von Charles Wolfe mit, nachdem er das Original vorge-
lesen und einige Bemerkungen daran geknüpft hatte. Von einem andern
Gedichte der Ingoldsby Legends „The jackelaw of Rheims" trug er bei
Tische eine Uebersetzung vor.
46. Sitzung am 18. December 1860. — Herr Leo spricht über
die Ausgabe des Coriolan von Delius. Der Vortrag, gegen den Herr
Strack Einsprache erhob, wird im Archiv abgedruckt werden.
Herr Hahn überreicht sein „Handbuch der poetischen Literatur
der Deutschen" und trägt nach einigen einleitenden Bemerkungen drei
Lieder des Barden Gwenchlan in deutscher Uebersetzung vor.
Herr Wollenberg liest ein von ihm aus einem Manuscript des
14. sec. zu Tours copirtes mittelalterliches Gedicht in lateinischen
Alexandrinern gegen die Ehe.
Herr Athen stedt spricht darauf über alteastilianische Dichtung.
Pidal bekämpft Raynouard's Ansicht von der Universalität der pro-
420 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
venzalischen Sprache und behauptet, dass die lengua romana (romance)
die denteren Bewohnern des römischen Reiches gemeinsame Sprache
gewesensei , die sich nach den verschiedenen Landschaften des euro-
päischen Südens in romance castellano, rom. portugues , rom. frances,
rom. catalan etc. gespalten habe. Im neunten Jahrhundert entstand
gleichzeitig mit der castilianischen Volkssprache auch die castilianiche
Volkspoesie , Ende des zehnten Jahrhunderts stand diese Spracheais
eine besondere da, vom Autor der lateinischen Chronik Alfons VII.
als lingua nostra anerkannt. Derselbe Autor erwähnt in seinem Gedicht
über die Eroberung von Almeria die Cid - Romanzen , die in der Crö-
nica general Alfons d. W. bereits als monumentos respetables de an-
tigua tradicion bezeichnet weiden. Diese Chronik, der Ticknor (History
of Spanish literature) und die allgemeine Annahme die Priorität vor
der Crönica del Cid zuertheilt , hält Pidal für späteren Ursprungs , da
sich in ihr keine Reste von Romanzenversen, die in der Crönica del
Cid nicht zu verkennen sind , befinden. Das Poema del Cid hält Pida,
der Ansicht Tapia's (Historia de la civilisacion de Espana 1840) foll
gend, für eine Compilation von mindestens zwei Balladen, weil der au-
den Vers
Las coplas de este cantar aqui s'van acabando
folgende zweite Vers :
En Valencia seye Mio Cid con todos sos vasallos
mit einem grossen verzierten E , das den Raum von fünf Versen ein-
nimmt, beginnt, während eine andere Stelle desselben Gedichtes lautet:
Aqui s'empieza la gesta de Mio Cid de Bibar.
Ticknor nennt diese Theilung, die sich auch im Inhalt fühlbar macht,
a somewhat formal division und findet Tapia's Behauptung unwahr-
scheinlich, da das poema del Cid für Balladen zu künstlich gebaut sei.
Letztere Bemerkung steht übrigens mit seiner einige Seiten früher ge-
gebenen Beurtheilung dieses Gedichtes im Widerspruch.
Das Poema del Cid, die Crönica rimada del Cid, la Vida de
Santa Maria Egipciaca , la Adoracion de los Santos Re)res, el libro
de Apolonio, Berceo's Dichtungen, das Tesoro Alfons d. W. und el
Poema de Alesandro von Lorenzo Legura sind die einzigen uns in ihrer
Ursprünglichkeit überlieferten Denkmäler castilianischer Poesie vor
1300, da alle übrigen poetischen Producte dieser Zeit, so wie die Volks-
poesien der folgenden zwei Jahrhunderte vor 1511 nie niedergeschrieben
wurden. Erst 1511 erschienen siebenunddreissig Balladen im Can-
cionero general Ferdinands von Castilien, doch wusste man nur von
neunzehn derselben die Autoren, die sämmtlich in der Zeit von 1450
bis 1500 gelebt haben. Um 1550 erschienen dann der Silva de Ro-
mances von Nagera in Saragossa und ein Romancero in Amberes, end-
lich 1605 — 1614 der Romancero general mit 1000 Balladen, die
aber meist von den ciegos, den Nachfolgern der juglares, der eigent-
für das Studium der neueren Sprachen. 421
liehen Autoren der Balladen, überliefert waren. Diese juglares
waren anfangs sowohl Dichter, wie Sänger, als sieh aber die unter-
richteten und gelehrten Poeten Ende des dreizehnten Jahrhunderts eben-
falls der Volkssprache zu bedienen begannen, sangen sie fortan nur die
Gedichte der trovadores. Sie sanken bald so schnell, dass bereits durch
die Siete Partidas Alfons d.W. „die juglares, welche dem Volke nach-
laufen, um von ihm durch Gesang und Spiel Geld zu erlangen," für
enfamados erklärt wurden.
Die gelehrten und Hofpoeten des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts suchten sich durch Benutzung classischer, provencalischer
und italienischer Vorbilder zu bilden und über die Volkspoeten zu
erheben. Diese beherrschten ausschliesslich das epische Gebiet und
bedienten sich nur des Romanzenverses , jene das lyrische und philo-
sophische und nahmen alle jetzt gebräuchlichen metrischen Formen,
mit Ausnahme des Pomanzenverses , an. Von den dem Volke ent-
stammten Dichtern, die in der Weise der Hofpoeten, deren Gunst sie
erstrebt, zu dichten versuchten, sind vornehmlich zu nennen: Anton
Montoro (el Repero), Juan (Poeta) de Valladolid, Jerena, Juan el Tre-
pador, Martin el Tanedor, Mondragon u. A.
Von der bedeutenden Zahl der Dichter der eigentlichen Hofschule
erwähnen die verschiedenen Ausgaben des Cancionero general 200, der
von Baena 55, und die ungedruckten mindestens eben so viele, die in
den gedruckten meist nicht genannt sind. Die Cancioneros, welche die
Poesien einzelner Dichter enthalten, entstanden zwei Jahrhunderte vor
den Romanceros ; die ersten, welche die Dichtungen mehrerer umfassen,
sind : der Cancionero de Ramon de Llabia und die Guirlanda esmaltada
de Fernandez de Constantina, dann in der Mitte des fünfzehnten Jahr-
hunderts der Cancionero de Baena und de Stuniga (so benannt, weil
er mit den Gedichten des Ritters Lope de Stuniga beginnt); schliesslich
1511 der bedeutendste, der Cancionero general Ferdinands von Castilien.
Herr Trachsel untersucht in englischer Sprache die Herkunft
des Wortes Porcellan.
Schliesslich gibt Herr Buch mann einige Betrachtungen über
Citate. Nach der Erklärung des Begriff's zeigt er, wie der Schatz der
Citate eines Volks im Verhältniss zu seiner Gelehrsamkeit und zu
seiner Kenntniss der auswärtigen Literaturen steht, an Engländern,
Franzosen und Deutschen , welche letzteren am meisten citiren , und
zwar nicht bloss aus den eigenen Schriftstellern , sondern aus dem
Griechischen, Lateinischen, Englischen (meist in deutscher Uebersetzung),
Französischen, selbst Italienischen. (Lasciate ogni speranza voi ch'en-
trate.) Die Franzosen seien im Citiren aus modernen Sprachen arm-
selig. In dem geistreichen Buche Fournier's : l'Esprit des Antares, heisse
es pag. 67 der ^5. Auflage: „Quant ä l'anglais , on en est encore au
poiut oü etait Voltaire. Comme lui, dans sa lettre a M. Hamilton,
422 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
du 17. juin 1773, on va bien jusqu'ä citer ce vers du monologue
d'Hamlet :
To be or not to be that is the question,
rnais c'est tout." Von deutschen Citaten ist in dem Buche überhaupt
nicht die Rede. Er zeigte dann ferner, wie sehr sich oft der Autor
eines Citates verstecke, an mehreren Beispielen, unter anderen an dem
auch in populärer deutscher Fassung vorkommenden französischen :
revenons ä nos moutons, das seinen Ursprung im Avocat Pathelin habe,
und an dem Verse : Habent sua fata libelli , der allen möglichen latei-
nischen Schriftstellern, dem Juvenal, Persius, Martial , vor allen Dingen
gern dem Ovid zugeschoben wird , aber dem Terentianus Maurus , De
syllabis. Carmen heroicum v. 258 , angehört. Er geht dann zu den
Entstellungen und Travestien der Citate über, zeigt, wie die grössere
Mehrzahl von der Bühne her in den Mund des Volks kommt, wobei
der Citate aus Operntexten Erwähnung geschieht, und schliesst mit der
Erörterung, in wie weit die grössere oder geringere Menge der in einer
Dichtung enthaltenen Citate einen Schluss auf die Volkstümlichkeit
derselben gestatte.
47. Sitzung am 8. Januar 1861. Nachdem Herr Kannegiesser
die im neuen Jahre zum ersten Male zusammentretende Gesellschaft
mit einem Gedicht begrüsst hatte, zählte Herr Beauvais die haupt-
sächlichsten Fehler auf, in welche die Deutschen bei der Aussprache
des Französischen zu verfallen geneigt sind. An der Discussion bethei-
ligen sich die Herren Wollenberg, Kleiber, Trachsel, Weisser und Strack.
Dann schreitet Herr Leo zu einer kurzen Charakteristik des dä-
nischen Dichters Johann Heiberg, des Schöpfers des dänischen Vau-
devilles, den er als einen Dilettanten mit den Fähigkeiten eines grossen
Geistes darstellt. Eine eigentümliche Liebhaberei desselben für poe-
tische, aus dem Reiche des Uebernatiirlichen schöpfende Kunststücke
legt er zuerst an einem vor längerer Zeit von ihm in's Deutsche über-
tragenen epischen Gedichte, die Hochzeitsreise, und dann an einem
anderen Werke, Eine Seele nach dem Tode „apokalyptische Komödie,''
dar. Die Besprechung derselben bildet den Hauptiheil des Vortrags.
Durch eine ausführliche Analyse dieses sarkastischen und übermüthig
geistreichen Gedichts und durch Mittheilung zahlreicher metrischer
Uebersetzungen der hauptsächlichsten Theile gibt er ein lebendiges
Bild des Inhalts. Das Gedicht selbst schildert das Suchen der Seele
eines guten Menschen vom allergewöhnlichsten Schlage nach ihrem
Ruheort. Von Petrus am Eingang des Himmels, eben so spater von
Aristophanes am Eingang zum Aufenthalt der Vorchristlichen abge-
wiesen, geräth sie endlich an das Portal, welches zur Hölle führt. Hier
wird ihr von Mephistopheles die ganze Einrichtung der Hölle beschrie-
ben und annehmbar gemacht, deren Hauptmerkmal ist, dass sich in
ihr das ganze Erdentreiben wiederholt. Nachdem die Seele auf Me-
für das Studium der neueren Sprachen. 423
phistopheles' Veranlassung noch einer episodischen Abführung eines
Schauspielers durch den Tod beigewohnt, tritt sie endlich freudig in die
Hölle, da ihr in Aussicht gestellt ist, sich an dem allgemein nützlichen
Werke der Füllung des lecken Fasses der Danaiden betheiligen zu
können. Ein Chor der Hinterbliebenen, der das Andenken des wackern
Dahingeschiedenen besingt, öffnet und schliesst das Drama.
Herr Tr ach sei zeigt eine Kupfermünze jenes schlechten Geldes
vor, das Jakob II. in Irland prägen Hess und schliesst aus der Jahres-
zahl 1690, dass sie aus dem Metall der alten abgenutzten Kanone ge-
prägt sei, die Ludwig XIV. zu dem Zweck nach Irland schickte. Der
Vortrag, erläutert durch bezügliche Stellen aus Macaulay Bd. V, pag.
247 Tchn. Edit. und andere Stellen, war in englischer Sprache.
Herr Pro hie spricht über den aussergewöhnlichen Gebrauch
deutscher Präpositionen. Nachdem der Inhalt des von Grimm in der
deutschen Grammatik IV, 765 — 886 über Präpositionen Gesagten,
so weit es hierher gehörte, kurz entwickelt war, fuhr Herr Pröhle fort :
Dennoch heisst es in Schiller's Wilhelm Teil am Schlüsse des
vierten Aufzuges:
Rasch tritt der Tod den Menschen an;
Es ist ihm keine Frist gegeben.
Es stürzt ihn mitten in der Bahn,
Es reisst ihn fort vom vollen Leben.
Bereitet oder nicht, zu gehen,
Er muss vor seinen Richter' stehen.
Gerade die letzte Zeile ist tief poetisch durch den Gebrauch der
Präposition.
Goethe in der meisterhaften Sesenheimer Kleiderscene (Dichtung
und Wahrheit. Goethe's Werke Bd. XXI, S. 275. 1840) sagt: „Ich
hatte schon seine hübschen Kleider, wie sie über den Stuhl hingen,
längst beneidet." Die Kleider werden hier gleichsam belebt gedacht,
als hingen sie sich über den Stuhl. Auch heisst es wohl falschlich:
Gott waltet über die Erde.
In der von Andersen geleiteten Uebersetzung von „Aus Herz
und Welt" heisst es S. 28: „Ein Friede war über Alles ausgebreitet."
Man hört ferner: Ich halte mich an den König. Ich stosse mich
an den und den, besonders: Ich stosse mich an den Namen N. N.
In allen diesen Fällen dient die Anwendung des Accusativs als
des Casus für das H i n zur Vergeistigung und Belebung des Sinnes,
gleichsam zum Ausmalen.
48. Sitzung am 22. Januar 1861. — Nachdem Herr Lasson
über das Rednertalent Friedrich Wilhelm IV. gesprochen, belegte Herr
T räch sei in englischer Sprache die Herkunft des Wortes drawing-
room aus withdrawingroom durch verschiedene Stellen aus Walter Scott.
Dann theilte Herr Herr ig eine Reihe seltsamer und wunderlicher
424 Sitzungen der Berliner Gesellschaft etc.
deutscher Wörter und Redeformen aus österreichischen Schulprogrammen
des vorigen Jahres mit.
Darauf beendete Herr Athenstedt seinen Vortrag über die
castilianische Poesie des zwölften und dreizehnten sec. Er zog den
Einfluss anderer Literaturen, der provenzalischen , italienischen , portu-
giesischen und arabischen auf die castilianische in Betracht , und tritt
namentlich der Ansicht Pidal's entgegen , der den Eintiuss des Proven-
zalischen zu hoch veranschlage. Dem Inhalt und der Form nach sei
die castilianische mit wenigen Ausnahmen frei von solcher Einwir-
kung, was auch dem gesellschaftlichen Zustande der beiden Völker
entspreche. Zuletzt spricht er über den ästhetischen Werth der casti-
lianischen Poesie und über die Bedeutung, die sie für die Entwicklung
und Ausbildung der Sprache gehabt habe.
Herr L o wen t hall sprach über die englische Aussprache, nament-
lich über die Mundstellung beim Lauten der englischen Vocale.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Praktisches Handbuch für den Unterricht in deutschen Stil-
übungen von Ludwig Rudolph, Oberlehrer an der
städtischen höhern Töchterschule in Berlin. Drei Ab-
theilungen. B. Nikolaische Buchhandlung 1859.
Vorstehendes "Werk ist für die Bedürfnisse der Mittelschule, die ihre
Zöglinge aus gebildeten Häusern empfängt, namentlich der höheren Töchter-
schule berechnet. Doch wird es auch zum Unterrichte in höheren Bürger-
schulen und in den unteren und mittleren Klassen der Gymnasien und Real-
schulen sich mit Nutzen gebrauchen lassen. Das Ganze soll vier _ Ab-
teilungen umfassen, von denen uns drei vorliegen. Die erste Abtheilung
ist für das Alter von 7 — 10 Jahren, die zweite von 10 — 12, die dritte von
12 — 14 Jahren, die vierte für das reifere Jugendalter bestimmt. Der
Verf. giebt den Zweck seines Buches selbst dahin an, dass er „dem Lehrer
ein möglichst vollständiges Material für Stilübungen, nicht bloss eine tro-
ckene Aufgabensammlung , sondern Alles das, was zur Besprechung des
deutschen Aufsatzes mit den Schülern nothwendig sei," darbieten wolle.
(S. XII.) Diesen Zweck hat der Verf.. dem eine zwanzigjährige Er-
fahrung in diesem Unterrichtszweige zur Seite steht, in höchst anerkennens-
werther Weise erreicht und in seinem Buche dem Lehrer an den bezeichneten
Schulen ein sehr brauchbares und gewiss willkommenes Material für die
Stilübungen geliefert.
Jede Abtheilung zerfällt in mehrere Abschnitte. So enthält die erste
Abtheilung, die für das Alter von 7 — 10 Jahren bestimmt ist, zuerst Vor-
übungen, in reicher, trefflicher Auswahl und practischer Anordnung, dann
20 Fabeln, CO Erzählungen, 30 Gedichte zum Wiedererzählen in Prosa,
Briefe und endlich Beschreibungen. Jedem Abschnitte sind Bemerkungen
vorangestellt, die practische Winke für die rechte Behandlungsart enthalten.
Der Abschnitt Beschreibungen enthält namentlich eine Fülle passenden und
trefflichen Materials. Nur will uns bedünken, als ob Manches von dem Ge-
botenen, sowohl der Form als besonders dem Inhalte nach, dem Gesichts-
kreise der bezeichneten Altersstufe zu fern liege. Das gilt besonders bei
den Fabeln und Erzählungen. Es scheint uns überhaupt bedenklich , dem
Kinde nach den ersten Vorübungen sogleich Fabeln zum schriftlichen
Wiedergeben vorzulegen. Es müssten wenigstens dann nur ganz kurze und
einfache sein. Die hier gebotenen sind aber zum grossen Theile verhältniss-
jnässig ziemlich, lang und complicirten Inhalts. Noch mehr liegen viele der
Erzählungen ihrem Inhalte nach dem Standpunkte des 7 — lojährigen
Kindes zu fern, z. B. Nro. 2, 3 und 4, welche Anecdoten aus Friedrichs IL,
Sokrates' und Alexanders Geschichte enthalten. Nro. 1&, Feter Gassendi.
Doch trifft dies mehr oder weniger fast alle Erzählungen. Wir würden
Archiv f. n. Sprachen. XXV11I. 28
426 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
diese Uebungen für eine spätere Stufe aufsparen. Indessen wird schon der
Lehrer, der das Buch benutzt, beurtheilen, was davon er seinen Schülern
vorlegen, was für spätere Stufen zurückstellen soll.
Die zweite Abtheilung bietet fast denselben Stoff in derselben An-
ordnung dar, wie die erste. Nur treten hier einige neue Abschnitte hinzu.
Wir finden Fabeln, Erzählungen, Parabeln in zweckmässiger Auswahl des
für diese Stufe Passenden, Mythen und Sagen, unter welchen Nro. 8, die
Lycischen Bauern nach Ovid wohl kaum für diese Stufe geeignet sein dürfte,
Erzählungen nach Gedichten, Erzählungen aus der Weltgeschichte, Briefe,
Beschreibungen, Erklärungen synonymer Ausdrücke, Auseinandersetzungen.
Die dritte Abtheilung enthält mit Ausnahme der Fabeln dieselben Ab-
schnitte wie die zweite, nur dass noch Betrachtungen und Abhandlungen
hinzutreten. Ueberall ist manches Brauchbare und Passende dargeboten.
Nur in den beiden letzten Abschnitten finden sich nicht wenige Themata,
gegen deren Anwendbarkeit sich einige Bedenken erheben. So z. B. S. 175:
Was und wie soll man lesen; S. 292: Gedanken beim Erwachen des Früh-
lings. Gedanken über die Erndte, Abschiedsgruss an den Winter; S. 317:
Warum verlangen die Lehrer vollkommene Ruhe während des Unterrichts;
Warum verbieten die Lehrer den Schülern alle Beschäftigungen mit Neben-
dingen u. a. m. dgl.
Das Buch ist besonders solchen Lehrern zu empfehlen, welche, noch
Anfänger im deutschen Unterricht, oft um den rechten Stoff verlegen sind,
oder welche mit Arbeit überhäuft, wenig Zeit haben, sich den Stoff zu Stil-
übungen mit Mühe zu suchen.
Hülsen.
Die Schweiz. Illustrirte Monatsschrift des Bernischen literarischen
Vereins. Herausgegeben von Ludwig Eckardt und Paul
Volmar.
Von dieser Schrift, über welche bereits früher unter Angabe ihres Pro-
gramms in diesem Blatte Bericht erstattet, will Ref. zunächst die erfreuliche
Thatsache bemerken, dass dieselbe einen unverkennbaren Fortschritt gemacht
hat, sowohl was die äussere Ausstattung, als auch was den Inhalt betrifft.
Die Illustrationen sind seit dem Uebergange der Zeitschrift in einen andern
Verlag unvergleichlich besser geworden.
Ehe Ref. zu dem dritten Jahrgange übergeht, muss noch mitgetheilt
werden, dass die Zeitschrift das Novemberheft unter dem Titel Schillernummer
ausgegeben und in derselben eine Beschreibung des Festes veröffentlicht hat,
mit welchem das hundertjährige Geburtsfest Schillers von dem literarischen
Verein in Bern begangen wurde. Diese Thatsache bildet einen neuen Be-
weis dafür, dass auch bei den Schweizern, die man fast nicht mehr als zu
Deutschland gehörig anzusehen pflegt, eine lebendige Theilnahme für den
Dichter herrscht, der so acht deutsch war und so als acht deutsch anerkannt
wird, wie wohl kein zweiter neben ihm. War in Deutschland die Schiller-
feier nicht ohne politischen Anflug geblieben, so war der politische Charakter
derselben in der Schweiz stark hervortretend, indem sie sich namentlich an
das Werk des Dichters anlehnte, welches die Glanzzeit der Schweizer-
geschichte verherrlicht hat. Mitgetheilt sind in derselben Nummer auch die
beim Feste gehaltenen Reden, so wie einige zu demselben gehörenden Ge-
dichte. —
Wenn wir nun den Inhalt der bis jetzt erschienenen Hefte des dritten
Jahrganges nach dem aufgestellten Programm durchmustern, so finden wir
von Charakteristiken des Landes und Volkes die Beschreibung einer im
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. ■ 427
Graubündner Oberland altherkömmlichen Belustigung zur Fastnacht, ebenso
des in Luzern ehemals üblichen Landsknechtsumzugs. Zu bedauern ist es,
dass dieser in vieler Hinsicht interessante Theil nicht weit starker vertreten
ist. Dagegen ist diesmal die auch für Sprachforschung wichtige und
zur Charakteristik des Volkes viel beitragende Sammlung von Sprichwörtern
und Inschriften ziemlich reichhaltig. 'Wir finden in derselben Volksreime
aus dem Frickthale und dem Hauensteinischen Schwarzwalde, Sprichwörter
und Redensarten aus dem Ober -Simmenthai, aus dem Aargau und aus der
französischen Schweiz, welche letzteren namentlich in sprachlicher Hinsicht
interessant sind. Den Lesern dürfte die Angabe der nachfolgenden Sprüche
nicht unwillkommen sein.
II ne faut pas chaouta dau prä ä la tzerreire.
Man soll nicht aus der Wiese in den Karrweg springen.
II fau que Fevrei
Fasche schon devei.
Februar muss seine Pflicht thun.
Dou jevi väliont me tie ion
D'apri le cothemi de Moudon.
Zwei Meinungen sind besser als nur eine,
Sagt das Milden er Landesrecht.
11 ne fau pas vueiti l'herba ä la rojä, et la Alle a la tsandela.
Das Gras soll man nicht im Morgenthau, noch das Mädchen beim Kerzen-
licht anschauen.
La chevre ä la chandelle
Semble une damoiselle.
Die Ziege beim Kerzenlichte scheint ein Fräulein zu sein.
L'ie" on bi loji tie l'agache, rna trü Tinnoüie !
Die Elster ist zwar ein schöner Vogel, aber zu viel ist langweilig.
Quand l'iet bon, lie prau.
Wenn es gut ist, ist's genug.
Le fü l'iest on bon dierson, ma on crou'iou maitre.
Das Feuer ist ein guter Diener, aber ein schlechter Meister.
La pliodze a la St.-Meda:
La pliodze scheischenanne schein plieka.
Regen am Medardustage, Regen sechs Wochen ohne Aufhören.
N'est rin d'ishre fou schon le fa, pä veire.
Es schadet nichts ein Narr zu sein, wenn man's nur nicht merken lässt.
Le pan nure bin dey schoarte" de dzin.
Brod nährt gar mancherlei Leute.
De pou sehe" mehlie, de pou la a fere.
Wer sich in Wenig mischt, hat auch Wenig zu verantworten.
Quand le mo l'iest feit, ld javi schon prei.
Wenn das Unglück gescheh'n, ist's aus mit Rath fragen.
Mariade" vo, rnariade" vo pä;
Mo le" motzd, mö le tavans.
Heirathet, heirathet nicht; bös sind die Fliegen, bös die Bremsen.
Dzalojie pasche" voudejie.
Eifersucht ist böser als Hexerei.
Tö te me fä, tö te" fari,
Dejei la tschivra ou tsevri.
Was du mir thust, werd' ich dir thun, sagte die Ziege dem Zicklein.
28*
428 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Intre Mä et Avri
Tsanta, coueou, sehe te vi.
Zwischen März und April, singe Kukuk, wenn du am Leben bist.
Grosch'oura et ville fdna n'an djiame correi po rin.
Starker Wind und altes Weib sind nie umsonst gegangen.
Le pertot que \6 pierre schon dure.
Ueberall sind die Steine hart.
Quand le molle" van contre Planfayon.
Frin ta lena et ton taecon,
Quand le niolle van contre le vallei,
Frin ta faux et ton covei.
Wann der Nebel gen Plafeyen zieht, nimm den Pfriemen und Tuchlappen
(zum Ausbessern);
Wann der Nebel gen Wallis zieht, nimm die Sense und den Wetzstein.
Bije de* mä, vin d'evrie',
Fan le retseshe dou pa'i:
Vin de mä, bije d'evri,
Fan la rina dou pa'i.
Märzbise, Aprilwind, sind der Reichthum des Landes;
Märzwind, Aprilbise, sind das Unglück des Landes.
Plianta te tsou k la plianete dou rahlion
Et cuet le ä la plianete dou bacon.
Pflanze deinen Kohl unter dem Himmelszeichen des Mistes
Und koche ihn unter dem Sternbilde des Speckes.
A la St.-Adietta, l'ivue avo la tzerreiretta ;
A la St.-Mathias, bouna fena, djita te ja;
A la St.-Martin, la vatse ou lin.
Am St. Agathastage rieselt das Wasser den Weg herunter;
Am Mathiastage lass, gutes Weib, deine Bienen heraus;
Am Martinstage die Kuh an den Ort (in den Stall).
Vö mi schu la courtena dou pi de* nei
Tie" oun homo schin mandze in fevrei.
Im Februar ist besser zwei Schuh tiefen Schnee auf dem Miste zu sehen,
als einen Mann in Hemdsärmeln.
Grans d'aveina et pey perheii
Sehe rincontront volontii.
Haferkörner und angefressene Erbsen finden sich leicht zusammen.
Chi que mode" quemin vi
Ey revint quemin modzon.
Wer als Kalb geht, kömmt als Rind zurück.
L'ey a bin die-s-anou ä l'ombrou
Quand le schelä l'iest muchii.
Es stehen viele Esel im Schatten, wenn die Sonne untergegangen.
A Tsalande le muchillon
A Pätie" le liechon.
Zu Weihnachten die Mücken, zu Ostern das Eis.
Le fille et le tsavau
Ne schävont pas io schere lou oshau.
Mädchen und Pferde wissen nicht, wo ihre Wohnung sein wird.
Vin que dzald,
Bije que dedzale",
Fena que pou parlä,
Schou tre tsouje gaüä rare.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 429
Wind mit Frost, Bise mit Thauwetter, Weib das wenig spricht, sind drei
gar seltene Dinge.
Mouä de fena, ia de tsavau,
Tinque le bouneu de Toshau.
Weibertod, Pferdesleben, ist Reichthum des Hauses.
Decousche le grö et le riö
Ne beta pas ton oshau.
Neben dem Grossen (Reichen) und dem Bache, baue nicht dein Haus.
Sehe ton-nes schu le bou niu.
Ey nevesre schu le bou folliu.
Wenn es über das entlaubte Gehölz donnert, schneit es über das belaubte.
Le devindro l'amerey mi crevä,
Tie ey-s-autrou dzoua reschimbliä.
Freitag würde lieber krepiren, als den andern Tagen gleichen.
Dejo le gros l'andain
Iyannäie dou tschertin.
Bei anhaltendem Ostwinde, Theurungsjahr.
An de fin, an de rin.
Heujahr, Nichtsjahr.
A la St. Adietta
Demi schon fin et demi scha pailletta.
Am Agathentage die Hälfte Heu und die Hälfte Stroh.
Da dzenille ne dey pas
Tzantä devan le pu.
Die Henne soll nicht vor dem Hahne gackern.
Revi de-s-anhian, Revi de tukan;
Revi de dzoune dzin, Revi de rin.
Als Mann Sprichwort, Dummkopf Sprichwort;
Jüngling Sprichwort, schlecht Sprichwort.
Schin que vin de rin
On le prin po rin.
Was von Nichts kömmt, wird auch für Nichts gehalten.
De beyre ley a pas tant de mau,
Porvu qu'on schätze retorna ä l'oshau.
Zu trinken hat nicht so sehr Böses für sich, wenn man nur nach Hause
zu gehen weiss.
Chi que l'a prou fille et prou tey
Djieme dzoüio ne sehe vey.
Wer viele Töchter und Dächer hat, hat auch nie Freude.
Bin tsantä et bin danhii
Ne grävon pas d'avanhii.
Tüchtig singen und tüchtig tanzen, hindern nicht vorwärts zu kommen.
La rejon l'iet bouna pertot.
Die Vernunft ist gut überall.
Quand on a fey trinta, ey fau fere trint' yon.
Wer dreissig sagt", muss auch einunddreissig sagen.
Quand on a queminbii la danshe
Ey fau la danhii.
Ein Tanz angefangen, muss auch ausgetanzt werden.
Chi (lue pe schon bin,
Pe- schou' eschien.
Wer sein Vermögen verliert, verliert seinen Verstand.
430 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Quand on a iu tre bi mei d'Avri,
On a gros tin de muri.
Wenn man drei schöne Aprilmonate gesehen, ist es hohe Zeit zu sterben.
Unter die Charakteristiken einzelner Persönlichkeiten ist zunächst ein
längerer Aufsatz von Zehender Ueber die Entstehung von J. v. Müllers
Schweizergeschichte zu rechnen, der ein anziehendes Bild von dem Schaffen
des berühmten Historikers giebt; ein Aufsatz von Eckardt über den Kari-
katurenzeichner Disteli ist noch nicht über die Einleitung hinaus vorgerückt.
Ausserdem finden wir noch einige Worte über Philipp Bridel, einen Volks-
schrift steller der romanischen Schweiz, und über den Maler Friedrich Kurz.
Bei weitem am reichhaltigsten ist der eigentlich belletristische Theil der
Zeitschrift, welcher Erzählungen und Gedichte bringt. Unter den ersteren
finden sich diesmal einige grössere, und abgesehen von ihrem künstlerischen
Werth, in sofern interessante, als sie zur Kenntniss der Schweiz und ihrer
Bewohner manchen schätzenswerthen Beitrag liefern. Näher kann Ref. hier
auf dieselben nicht eingehen, ebenso wenig wie auf die Gedichte, die eine
nothwendige Beigabe von Zeitschriften, wie die vorliegende, bilden. Dagegen
darf nicht unerwähnt bleiben, dass einzelne derselben, die im Dialekte ver-
schiedener Gegenden der Schweiz verfasst sind, für das Studium schwei-
zerischer Dialekte nicht unwichtig genannt werden müssen.
Die dramatische Literatur ist diesmal nur schwach vertreten , denn
ausser einer dramatischen Scene von L. Eckardt: Savoyen-schweizerisch, die,
in Folge der neuesten politischen Verhältnisse entstanden, der augenblick-
lichen Stimmung des Volkes entsprochen haben mag, ist nur der Anfang
eines grösseren Dramas von demselben Verfasser: Elisabeth von Scharnach-
thal, mitgetheilt, dessen Fortsetzung in der Zeitschrift nicht erschienen ist,
da dasselbe besonders abgedruckt wird.
Einen anziehenden Abschnitt, endlich bildet die Sammlung von Volks-
sagen und Volksliedern, die zum Theil in dem eigenthümlichen Dialekt
ihrer Heimat, eine Sammlung, die ja auch schon anderweitig Anerkennung
und Benutzung gefunden hat.
Deutsche Weihnachtslieder. Eine Festgabe von
Karl Simrock. Leipzig, T. O. Weigel. 1859.
Der wackere deutsche Poet, dessen Namen das aufgeführte Sammelwerk
trägt, gibt zunächst eine sehr ausführliche gelehrte Einleitung. Er theilt
seine Schrift in zwei Bücher. Das erste Buch enthält das Weihnachtslied
der altern Kirche, „so weit es dem volksmässigen Charakter wenigstens
noch darin entspricht, dass es keinen bekannten Verfasser hat. — Das
zweite Buch ist dem evangelischen Kirchenliede gewidmet, dessen Verfasser
bekannt sind , das auch sonst schon zur Kunstpoesie neigt, ob es gleich die
Einfachheit und Herzlichkeit des Volksgesangs noch keineswegs verläugnet.
Das dritte Buch gehört dem Weihnachtslied neuerer Dichter an."
Die Zusammenstellung ist höchst löblich. Wie es aber nicht anders
sein konnte, so ist dem Verfasser gar Manches entgangen.
Besonders machen wir den Herausgeber der deutschen Weihnachtslieder
auf die „Kirchlichen Sitten" (Berlin, Hertz; 1859) aufmerksam. Dort findet
er nicht nur _ ein Volkslied, das ihn interessiren wird, sondern auch Nach-
weisungen, die wir uns deshalb hier ersparen können.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 431
Milton's Comus, übersetzt und mit einer erläuternden Abhandlung
begleitet von Dr. Immanuel Schmidt. Berlin, 1860, im
Verlag der Haude und Spenerschen Buchhandlung.
Der Verf. hielt am ersten Stiftungsfeste der Berliner Gesellschaft für
das Studium der neuern Sprachen einen kürzeren Vortrag über Milton's
Maskenspiel (s. den Bericht im Archiv, Band XXVI, p 397 f.), und ver-
sprach denselben etwas erweitert in diesem Blatte abdrucken zu lassen.
Da er jedoch inzwischen die Verpflichtung übernommen hatte, das vorjährige
Programm des Friedrich -Wilhelms -Gymnasiums zu schreiben, und zu einer
umfassenden Analyse des Miltonschen Stils, welche ursprünglich beabsichtigt
war, nicht die nötbige Müsse fand; so bat er den Herausgeber, ihn jenes
Versprechens zu entbinden, damit er die Arbeit über den Comus für das
Programm verwenden könnte. Natürlich ward es ihm bereitwillig gestattet;
die Uebersetzung des Miltonschen Werks und der grössre Theil der Ab-
handlung wurde als Programm ausgegeben. Jetzt ist das Ganze, um drei
Bogen vermehrt, im Verlag der Haude und Spenerschen Buchhandlung er-
schienen. Um dem Verfasser nun zu zeigen, wie wenig wir ihm wegen Nicht-
erfüllung seines Versprechens grollen, werden wir seine Schrift einer Be-
sprechung unterwerfen.
Was zunächst die Uebersetzunp betrifft, so scheint dabei das Bestreben
obgewaltet zu haben, den eigenthümlichen Schwung der Miltonschen Verse
wiederzugeben, und die Cäsuren derselben möglichst treu zu bewahren. Ja
wir möchten behaupten, dass der Uebersetzer, wenn auch nicht im Einzelnen,
doch im Grossen und Ganzen förmlich nach den Cäsuren gearbeitet habe.
Ebenso hat er fast durchgehends die 'Alliteration nachzuahmen versucht,
auch dem Leser eher etwas zugemuthet, als dass er die Eigenthümlichkeit
der Bildersprache der Forderung einer möglichst fliessenden Uebersetzung
aufgeopfert hätte. Freilich musste er wohl bei der Prägnanz der Miltonschen
Diction und der verhältnissmässigen Kürze des Englischen im Vergleich mit
unserer Muttersprache einzelne Epitheta aufgeben ; doch wo dies geschehen
ist, hat eine Abwägung des Wesentlicheren gegen das leichter zu Entbehrende
stattgefunden. Der Uebersetzer hat sich seine Aufgabe nicht leicht machen
wollen. Dass er die Freiheiten des Miltonschen Versbaues, den Trochäus
und Anapäst statt des lambus , für sich beansprucht hat , darf man ihm um
so weniger verargen, da ja auch bei unsern besten Dichtern Beispiele dieser
Licenz vorkommen. Um dem Leser einen Begriff' davon zu geben, wie weit
es der Uebersetzung gelungen sei, in Stellen, wo der Reim die Schwierigkeit
noch vermehrt, dem Original nachzukommen, wählen wir den Gesang an die
Nymphe Echo (Com. v. 230 ff.):
O holde Echo, unsichtbar am Fels
In luftigem Gemach,
Wo durch ein Thal voll Blütenschmelz
Ein lieblich Bächlein lässig schlängelnd fliesst,
Wo die Nachtigall ergiesst
Lieder des Leids, bei Nacht in Liebe wach;
Kannst du von einem holden Paar vielleicht
Mir künden, das Narcissus gleicht?
O hieltest du
Geborgen sie in süsser Buh,
Sag', wo sie sind,
Der Bede Königin, du Sphärenkind;
Dann bet' ich, dass du hoch am Sternenzelt
Im Nachhall feiern mög'st die Harmonie der Welt.
Was der Verfasser unter dem ziemlich anspruchslosen Titel einer er-
läuternden Abhandlung gibt, besteht theils aus literarhistorischen, theils aus
432 ßeur theilungen und kurze Anzeigen.
kritisch -exegetischen Erörterungen. In den ersteren geht er von einer
kurzen Charakteristik der englischen Maskenspiele aus, bei denen er nicht
zu verweilen brauchte, da er vor nicht langer Zeit in diesem Blatte eine
Schilderung der Ben Jonsonschen Hoftnasken gebracht hat. Er knüpft
daran folgende vorläufige Bemerkung: „Die Eigenthümlichkeit des Milton-
schen Comus, um es gleich kurz zu sagen, besteht darin, dass der Dichter
mit Aufgabe des naiv -humoristischen Elements, welches besonders in Ben
Jonson's Masken stark hervortritt, ohne das .^üjet durch strenge Durch-
führung von Situationen, oder gar durch bestimmte Zeichnung der Charaktere
kunstgemäss zu gestalten, in die dürftige äussere Form einen tiefern Inhalt
gelegt und denselben durch die prachtvollste Lyrik der Sprache aus-
geschmückt hat."
Nachdem wir mit der äussern Veranlassung, wodurch Milton zur Ab-
fassung seines Comus bestimmt wurde, bekannt gemacht und darauf hin-
gewiesen sind, dass die Unbestimmtheit der „scenischen Landschaft" in
diesem Werke vollkommen passe „zu dem phantastisch märchenhaften Cha-
rakter des ganzen Stücks und der Hauptperson darin, welche ihr zügelloses
und unheimliches Treiben in nächtlichem Waldesdunkel birgt," erhalten wir
eine ziemlich ausführliche Schilderung dieser Persönlichkeit, deren Summe
nach dem Verf. in den Worten des Philostratus (Imag. I. 2.) : O Sai/tcov
o Kcöfios, nag ov tö xcofia^eiv toTs av&QcuTiois zusammen gefasst ist. Auf
das <t vom griechischen Schriftsteller entworfne Bild näher einzugehen, weist
er von der Hand: da Milton sich ganz und gar an die Schilderung gehalten
hat, welche von Erycius Puteanus nach dessen Vorgange geliefert worden
ist. Die Schrift des letztern kommt weiterhin zu einer ausführlichen Be-
sprechung. Dass der Verfasser abweichend vom gewöhnlichen Gebrauch zu-
nächst den Hauptcharakter des Miltonschen Stücks geschildert und dann
erst eine Inhaltsübersicht desselben gegeben hat, war wohl insofern noth-
wendig, als er eine genaue Bekanntschaft mit jenem nicht allgemein vor-
aussetzen durfte. Freilich trägt die ganze Arbeit einen gemischten Charakter;
der erste Theil scheint wie die Uebersetzung für das grössere Publicum
bestimmt, während die letzten Bogen nur Gelehrten vom Fach zusagen
möchten. Doch um auf die Charakteristik des Comus Zurückzukommen,
worin der Verfasser alle einzelnen, im Maskenspiele zerstreut auftretenden
Züge vereinigt und zugleich dasjenige hervorgehoben hat, was nach seiner
Ansicht mit dem Totaleindruck des Miltonschen Bildes nicht stimmt (v. 111
ff.) — und wir müssen ihm hierin Recht geben — , so zeichnet sich dieselbe
einmal durch fortwährende Beziehung auf Mythen des klassischen Alterthums,
andrerseits durch eine Parallele mit dem Satan des verlornen Paradieses aus.
In der nun folgenden sehr ausführlichen Inhaltsübersicht (p. 19 — 23) tritt
als eigenthümlich die Benutzung der Bühnenanweisungen (Stage-directions)
im Manuscripte Milton's hervor, worin Masson, auf dessen bedeutendes Werk
The Life of John Milton etc. Vol. I. Cambr. 1859 sich der Verfasser wieder-
holt bezieht, schon in einzelnen Fällen vorangegangen war. Diese Bühnen-
anweisungen werden vom Verf. zu der U/ntersuchung benutzt, welche Theile
des Maskenspiels nach der Absicht des Dichters als Gesänge oder als Re-
citativ vorgetragen werden sollten. Ein solches vermuthet er z. B. in den
Versen 867 — 889. Sonst heben wir noch folgende Stelle hervor, p. 20 f.
„Die Jungfrau sieht, gleichsam als ein vom Himmel ihr gesandtes Zeichen,
eine dunkle Wolke sich mit silbernem Lichte säumen.*) Die Worte des
*) In Schmidt's Uebersetzung lautet die Stelle:
Irrt' ich mich? Oder zeigt ein schwarz Gewölk
Des Mantels innern Silbersaum der Nacht?
Ich irre nicht, dort zeigt ein schwarz Gewölk
Des Mantels innern Silbersaum der Nacht,
Ein Abglanz trifft die Wipfel dieses Hains.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 433
Dichters (I did not err, tlirre does etc. vs. 233.) lassen uns nicht zweifeln,
dass man dies wirklich tiargestellt habe, zumal da Ben Jonson einen solchen
scenischen Effekt genau beschreibt. The Masque of Blackness p. 546,
Gifford's ed. Lond. Moxon 1838. At this the Moon was discovered in the
upper part of the house, triumphant in a silver throne, made in figure of
a pyramis. Her garments white and silver, the dressing of her head antique,
and crowned with a luminary, or sphere of light: which striking on the
clouds, and heightened with silver, reflected as natural clouds do by the
splendor of the moon. The heaven about her was vaulted with blue silk,
and set with stars of silver, which had in them their several lights burning.
Der letzte Satz bestätigt unsre oben ausgesprochene Vermutbung, dass auch
das Glänzen der Sterne scenisch nachgeahmt sei."
Den eigentlichen Schwerpunkt der Miltonschen Dichtung bildet das Ge-
spräch zwischen Comus und der Jungfrau, welches der Verfasser der Ab-
handlung in folgenden Worten charakterisirt: „Beide (Comus und die Jung-
frau) fechten in der nun folgenden Scene (v. fi69 — 813) gleichsam einen
Rechtsstreit aus zwischen Sinnenglück und Sittengesetz, welcher mit den
eigenthümlichen, processartigen Erörterungen von Gegensätzen (Stoacoi'
loycov ayojves) in den Tragödien des Kuripides eine unverkennbare Aehn-
lichkeit darbietet. Die widerstreitenden Principien sind scharf aus einander
gehalten; Hedonismus und puritanische Strenge (vgl. v. 766 f.) treten sich
schroff gegenüber. Zugleich entdecken -wir hier, so zu sagen, den ersten
Ansatz zu den republikanisch -socialistischen, mit unerbittlicher Consequenz
durchgreifenden Ansichten Milton's in den Versen 7G8 — 774. Diese Verse
haben insofern Bedeutung für die Biographie des Dichters und lassen sich
parallelisiren mit der bekannten Prophezeiung vom Untergang der verderbten
anglicanischen Geistlichkeit im Iycidas, v. 113 — 131."
Die Keurtheilung des ganzen Werkes seinem ästhetischen Werthe nach
hat der Verf. an eine Besprechung der von den namhaftesten englischen
Literarhistorikern darüber geäusserten Ansicht angeschlossen. Nach dem
Gesammteindrucke, den seine Arbeit auf uns gemacht hat, hegt er eine ge-
wisse Abneigung gegen lang ausgesponnene ästhetische Erörterungen und
wendet sich lieber der Betrachtung des Einzelnen zu. Wir glauben jedoch
unsern Lesern einen Dienst zu erweisen, indem wir gleichsam das Gewebe
wieder auflösen und die Bemerkungen, wodurch jene Kritiken theils erläutert,
theils eingeschränkt, und berichtigt werden, in Zusammenhang bringen.. Da-
bei wollen wir die Ausdrucksweise möglichst treu beibehalten. Unsre Ver-
legenheit, sagt Schmidt, mit welchem Masse wir den Comus messen sollen,
ist die beste Kritik desselben. Der~ äussre Zuschnitt des Werks ist der
eines Maskenspiels; allein für ein solches ist es doch zu ernst gehalten, um
als ein bloss arabeskenartiger Entwurf gelten zu dürfen. Aber andrerseits
fehlt es ihm, um als wirkliches dramatisches AVerk betrachtet zu werden,
auch abgesehen von den eingelegten Tänzen und lyrischen Partien, an
eigentlicher Handlung, an bestimmter Zeichnung der Charaktere, endlich am
speeifisch dramatischen Stil. Von den wüsten Ausschweifungen des Comus
erhalten wir kein deutliches Bild, und die Charakteristik leidet unter dieser
Unbestimmtheit. Comus und sein Schwärm hätten einer derberen Zeichnung
bedurft, und um wieder unser sittliches Gefühl damit zu versöhnen, wurde
sich eine humoristische Behandlung als geeignetes Auskunftsmittel dargeboten
haben. (Vgl. S. 31 der Abh.) Comus ist ein nebelhaftes Wesen, und die
Darstellung desselben zeigt ein Schwanken von Seiten des Dichters. Bei
seinem ersten Auftreten wird er besonders nach seiner dämonischen Seite
hin als Sohn der Circe geschildert: allmälig aber wird er zun» blossen heuch-
lerischen und heimtückischen Verführer, der allerdings Zauber übt und mit
dem äussern Apparat desselben umgeben ist, sich sonst aber wenig von
menschlichen Charakteren der bezeichneten Art unterscheidet, paneben
macht ihn Milton zum Träger künstlich zusammengesetzter sophistischer
434 B eurtheilungen und kurze Anzeigen.
Argumente. Auch die andern Charaktere sind nur Gefässe, um die Ansichten
des Dichters aufzunehmen. Der ganze Stil ist lyrisch; doch vergleiche man,
was S. 40 über die Stiehomythie (v. 277 ff.) gesagt ist.
Zehn Seiten der Abhandlung (p. 27 — 37) sind dem Vergleich des Comus
mit ahnlichen Werken gewidmet. Die unbekannteren und weniger zugäng-
lichen unter diesen werden ausführlich analysirt, so zunächst die kleine halb
in Prosa, halb in Versen verfasste Schrift des Erycius Puteanus (Hendrik
van der Putten), welche zuerst 1608 zu Löwen unter folgendem Titel er-
schien: Eryci Puteani Comus, sive Phagesiposia Cimmeria, somnium. Wir
wissen dem Verf. um so mehr Dank für die Inhaltsübersicht , als die An-
gaben der englischen Biographen und Commentatoren Milton's meistens zu
falschen Vorstellungen über dieselbe Anlass geben. Die Nachweise der An-
klänge im Miltonschen Comus an den des modernen Latinisten sind um ein
Bedeutendes vermehrt; doch liegt es in der Natur solcher Sammlungen von
Parallelst eilen, dass auch manche mit angeführt werden müssen, bei denen
ein Zweifel in Betreff der wirklichen Benutzung staltfinden kann. Eine Ver-
gleichung des Ben Jonsonschen Maskenspiels „Pleasure reconciled to Virtue"
bietet Gelegenheit dar, die verschiedene Behandlung derselben untergeordneten
dramatischen Kunstgattung von Seiten der beiden Dichter zu charakterisiren,
wobei die Vermuthung aufgestellt und durch den Ausdruck der Bühnen-
anweisung zu v. 93 gestützt wird, dass Milton ursprünglich beabsichtigt habe,
nach der Weise Ren Jonson's im Schwärme des Comus eine sogenannte
Antimaske einzuführen, dass er jedoch eine solche mit dem Charakter seines
Werkes unverträglich fand. Nachdem dann George Peele's Komödie „The
Old Wives Tale" besprochen ist, mit Herbeiziehung mehrerer bisher über-
sehenen Reminiscenzen daraus, folgt eine Zusammenstellung analoger Stellen
im Comus und in John Fletcher's „Faithfu! Shepherdess". Wir erlauben uns
den Schluss der Vergleichung mitzutheilen: „Obgleich dieFaithful Shepherdess
dem Comus ungleich mehr ebenbürtig zu nennen ist als irgend eins der
Werke, welche wir als Quellen bezeichnet haben; so weht uns doch aus der
Milton'schen Dichtung ein ganz andrer Geist entgegen. Hier ist alles ernst
und feierlich gestimmt, während dort bei anscheinendem Ernste mit dem
Gegenstande doch nur getändelt wird. Bei Milton ist die Lehre vom heiligen
Zauber der Jungfräulichkeit mit den ethischen Ansichten, die das ganze
Stück durchziehen, auf das engste verwachsen; bei Fletcher zeigen schon die
spielenden Uebertreihungen, dass wir es mit einer conventioneilen, dem Stücke
angepassten Fiction zu thun haben, ganz von derselben Natur wie die reine
Quelle, die alle Wunden heilt. Ich kann auch den Kritikern nicht beipflichten,
welche den Comus ohne Weiteres zu einem Schäferspiele machen wollen.
(Jos. Warton bei Todd p. 177 und dieser selbst, p. 179.) Der ganze äussere.
Zuschnitt vom hakchantischen Tanze des Fackeln schwingenden Thiasos an
bis zum Schlüsse, wo sich das Stück in die Tänze eines geselligen Festspiels
auflöst, ist der einer Masque. Pastorale Episoden mit charakteristischen
Zügen der Virgil'schen Idyllen, wohin ich besonders die Einführung be-
stimmter Persönlichkeiten unter fingirten Hirtenamen rechne (v. 619 f^. vgl.
p. 21 dieser Abh.; v. 822, s. Keightley's Anm), Hessen sich bei der Ver-
wandtschaft der Masken- und Schäferspiele leicht einfügen. Doch die Ver-
tiefung des Inhalts rückt den Comus aus der Sphäre beider Dichtungsformen.
Zu einem Pastoral fehlt ihm vor Allem das ganze Lebenselement, die Liebe,
deren idyllisch Conventionelle Auffassung gewisse schablonenartige Charaktere
fordert und unendliche Variationen der beiden Themen , Keuschheit und
Zärtlichkeit, mit der ermüdenden Wiederholung von Gelübden , so wie eine
entsprechende Naturanschauung in sich schliesst, eine Bewirthung mit lauter
süssen Tränken bis zum Ueberdruss. Doch der Stil im weitesten Sinne des
Wortes enthält die Eigenthümlichkeiten, welche ich nach der englischen
Modification eines griechischen Ausdrucks wohl als paraphernalia des Hirten-
spiels bezeichnen darf."
B eurtheilungen und kurze Anzeigen. 435
Der Verf. berührt dann noch eine Scene in Ben Jonson's komisch sa-
tirischem Drama Cynthia's Revels unr] geht sodann dazu üher. die Platonischen
Elemente im Ideenkreise der Dichtung nachzuweisen. Die englischen Er-
klarer hatten ihm zwar auf diesem Felde vorgearbeitet; doch vergleicht man
ihre Anmerkungen mit dem von .Schmidt Dargebotnen, so muss man diesem
das Verdienst zuerkennen, dass er nicht nur die Nachweise vermehrt, sondern
auch die Vergleichung bestimmter durchgeführt und den Einfluss auf die
Diction dargethan hat. Wichtig ist besonders, dass er zu Com. v. 379 ff.
eine Schilderung des Phädrus (p. 248. b) herbeizieht und das Zeitwort to
plume, welches nach den Herausgebern mit to prune verwechselt sein soll,
im Sinne von plumare, plumas emittere mit dem ttteqovv des genannten
Dialogs zusammenhält. Bei den mancherlei Latinismen des Miltonschen Stils,
von denen die im Comus vorkommenden S. 46 f. der Abhandlung durch-
gegangen, zugleich aber andre noch schlagendere Beispiele erwähnt werden,
ist es wahrscheinlich, dass der Dichter die Bedeutung jenes Wortes im An-
schluss an das Lateinische geändert habe.
Wir können auf die einzelnen Reminiscenzen aus Euripides und Homer
so wie aus andern Dichtern und Prosaikern des klassischen Alterthums.
welche der Verf. theils aus den weitschichtigen Sammlungen der Engländer
entlehnt, theils selbstständig im Comus aufgezeigt hat, nicht näher eingehen
und wiederholen nur das schon oben Gasagte, dass man in Bezug auf manche
Punkte abweichender Meinung sein kann; doch wird man jedenfalls dem
Fleispe des Sammeins seine Anerkennung nicht versagen dürfen. Interessant
waren uns folgende Angaben (p. 45.) : „Was den Ausdruck „Thetis' tinsel-
slippered feet" (v. 877.) anlangt, so ist derselbe keineswegs für eine blosse
Paraphrase von äQyvQ07iet,n Oertg zu halten, geschweige denn dass wir gar
nach Keightleys Vorschlag annehmen sollten, Milton hätte das Homerische
Beiwort missverstanden. Dieser Herausgeber hat in einem Excurse p. 12G f.
dargethan, dass tinsel eine Art Gold- und Silberbrocat, somit dasselbe war,
was im P. L. V. 592 durch glitt ering tissues bezeichnet ist. Also die
eigentliche Bedeutung von tinsel -slippered kann nicht zweifelhaft sein. Zu-
gleich dürfen wir nicht vergessen , dass tinsel zu den Lieblingsausdrücken
der Spenser'schen Schule gehört; dies ergibt sich aus Keightley's Citaten,
Chapman übersetzt, wie Todd angemerkt hat, silver-footed Thetis, und das
Epitheton wurde von den gleichzeitigen und unmittelbar auf ihn folgenden
Dichtern adoptirt. Ich füge zu Todd's Citaten noch hinzu silver-fleet, B.
Jons. The M. of Beauty p. 550. Nept. Triumph, p. 642. Handelte es sich
nicht um Thetis, so käme yovaoTrcSiXos dem Milton'schen Adjectiv näher als
noyvQ07isL,a\ vgl. TToiv.tXooävdaXog. Die Herausgeber haben übersehen silver-
buskined, Are. 33, und El. III. 55. Vestis ad auratos defluxit Candida talos.
Wie jenes Adjectiv gehört auch tinsel- slippered zu der Klasse freier Nach-
ahmungen. Wenn tinsel wirklich mit scintilla, etincelle zusammenhängt (vgl.
ticket von etiquette, e*tiquette, Mätzner, Engl. Gramm, p. 156), so mochte
allerdings in Milton's Zeit, als das Wort noch nicht zu der gegenwärtigen
Bedeutung von nachgemachtem Flittergold herabgesunken war, so viel vom
ursprünglichen, der Etymologie entsprechenden W'ortsinn vorherrschen, dass
der Leser durch tinsel-slippered die Anschauung lichten Schimmers bekam, sich
also das Bild der Thetis im Silberglanz der blitzenden Wellen ausmalen konnte.
Cf. Trench, English Past and Present, p. 130 f. Allein die Ableitung steht nicht
fest; vielleicht ist es das mittelhochdeutsche zendäl. zindcl. eine Art Seidentaffent,
dessen romanische Nebenformen Diez, Etvm. Wörterbuch, p 376, angibt. —
Die Namen der Sirenen, Parthenope und Ligea (neben Leukosia), kommen
nicht bloss, was Keightley wohl irgend einem Andern nachgeschrieben hat,
in Tzetze's Scholien zum Lykophron, sondern bei diesem Dichter selbst vor,
v. 713—728. Ich bemerke' beiläufig, Milton kaufte sich im Jahre 1(134, in
welchem der Comus entstand, ein Exemplar des Lykophron für 3 Shilling,
so wie er auch Paul Stephanus' Ausgabe des Euripides erstand. Masson,
430 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
1. c. p. 531. Doch haben weder die Biographen auf vorliegende Stelle Rück-
sicht genommen, noch die Erklärer jene Notiz damit combinirt."
Von dem letzten Herausgeber der Miltonschen Dichtungen (Thomas
Keightley) spricht der Verf. nicht allein hier, sondern auch an andern Stellen
der Arbeit in einem ziemlich geringschätzigen Tone, und nach den mancherlei
Absurditäten und geschmacklosen Urtheilen desselben, die gelegentlich zur
Sprache kommen, kann man es ihm in der That nicht verdenken. Wenn
uns nicht alles trügt, so wird jener auch in seinem Vaterlande für einen
Bücherfabrikanten gehalten. Doch lässt sich seiner Ausgabe das Verdienst
nicht absprechen, dass unter den zum Theil ungehörigen Noten der früheren
Editoren eine verständige Auswahl getroffen ist, was übrigens auch von
Schmidt keineswegs bestritten wird. Vgl. p. 49.
Das klassische Element der Diction im Comus bildet in unsrer Ab-
handlung eine compacte Masse (bis S. 47). Diesem gegenüber steht im poe-
tischen Stile Milton's der Theil der Sprache, welcher aus der Bibel entlehnt
ist. Jedoch tritt derselbe im Comus dem Inhalt und der ganzen Anlage
des "Werkes gemäss weniger hervorragend auf. Vgl. S. 48 f. der Abh. Auf
eine Besprechung der Reminiscenzen aus italiänischen Dichtern, bei denen
es oft schwierig ist zu entscheiden , ob sie den Originalwerken oder Ueber-
setzungen, wie z. B. der Bearbeitung des Tassp von Fairfax, entnommen sind,
hat sich der Verf. nicht eingelassen, offenbar aus dem Grunde, weil ihm
dazu die Kenntniss der Sprache mangelt. Sehr ausführlich geht er einen
andern Bestandtheil der Diction durch , den er gewöhnlich als Arkadischen
Stil bezeichnet. Er fasst unter dem Namen der Arkadischen Dichter die-
jenigen zusammen, welche der Spenserschen Schule angehören, charakterisirt
ihren Stil ziemlich kurz (S. 49 f) — wir gestehen, eine ausführliche Schil-
derung wäre uns erwünscht gewesen — , und stellt, diesmal im engen An-
schluss an die Sammlungen der Commentatoren , die Verse des Comus zu-
sammen, welche von Schilderungen oder von einzelnen Ausdrücken jener
Dichter abhängig sind. Wenn er auch in diesem Theile der Arbeit wenig
neue Stellen herbeigezogen hat, so bestrebt er sich dagegen, das schon vor-
handene Material zu sichten und einzelne Verse des Comus kritisch zu be-
leuchten. Seine eigenen Studien auf diesem Gebiete waren, so scheint es,
hauptsächlich den Spenserschen Werken gewidmet, aus denen er mancherlei
bisher nicht Beachtetes herbeigezogen hat. Das letzte Kapitel beschäftigt
sich mit einem vierten „Factor" der poetischen Sprache Milton's, den An-
klängen an Shakespearesche Verse. Der Verfasser hat, trotzdem dass so
viele Engländer, die ihren Shakespeare wie die Bibel auswendig wissen, auf
diesem Felde gearbeitet haben, noch eine erträgliche Nachlese zu halten
vermocht, namentlich hat er manche Stelle aus Lucrece und Venus and
Adonis zu seinem Zwecke benutzt. Zu loben ist es, dass er Shakespeare,
der Bequemlichkeit wegen nach der neuen Ausgabe von Dyce citirt, wie er
denn überhaupt in seinen Anführungen genauer verfährt als die englischen
Herausgeber. Die Abschnitte der Abhandlung über die Reminiscenzen aus
Shakespeare und aus den Spenserianern enthalten manche dankenswerthe
Beiträge zur Exegese und Textkritik des Miltonschen Werks. Wir machen
beispielsweise aufmerksam auf die ausführlichen Erörterungen folgender
Stellen im Comus, v. 863, thy amber- dropping hair (p. 5b), die schon im
Obigen erwähnten Verse 22! — 225 (p. 57 f.), die Beschreibung des Morgens
v. 138 ff (p. CO), die Kritik der Varianten drowsy-flighted und drowsy-
frighted v. 553 (p. 63 f.) u. s. w. Das Resultat seiner Untersuchung gibt
der Verf. am Schluss folgendennassen: „Milton musste vermöge seiner ge-
nauen Bekanntschaft sowohl mit klassischen als mit englischen Dichtern un-
willkürlich allerlei Reminiscenzen aus ihren Werken aufnehmen und wieder-
geben, er hatte seine Phantasie vor Allem mit den Bildern der Arkadischen
Schule gesättigt, aber er bethätigte auch in der Reproduction seine eigne
Productivität." — —
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 437
„Gleich den plastischen Künstlern und gleich den Dramatikern der
Griechen stand er, so zu sagen, in einem naiven Verhältniss zu seinen Vor-
gängern; er verschmähte es keineswegs, mit Benutzung des vorliegenden
Materials etwas Vollendeteres zu schaffen. So wie er als Dichter die Natur
subjectivirt und ihre Scenen zu seinen Zwecken umgestaltet, so entlehnt er
von andern Dichtern nicht nur die Technik, sondern auch das Material ihrer
Bildersprache, um frei damit zu schalten. Die poetischen Gedanken er-
scheinen gleichsam umgegossen, indem sie bestimmten Charakteren zu eigen
werden; die einfachen Vergleiche werden zu Situationen erweitert. Dazu
kommt, dass Milton häufig auf die Grundbedeutung der Wörter zurückgeht
und so die poetische Sprache zu vertiefen weiss." — — «Die bildliche
Sprache im Comus ist vorzugsweise dem Reiche des Lichtes und Farben-
glanzes entnommen. Mit Vorliebe weilt der Dichter auf dem Schmelz der
Wiesen, oder schildert die klaren Wellen des Stroms und die Juwelen,
welche er in seiner Tiefe birgt; er malt den lichten Saum am Gewände
schwarzer Wolken, durchmisst das breite Aetherfeld und folgt dem Beigen
der himmlischen Sterne. Die Welt des Lichtes strahlt uns um so heller
entgegen, da ibr eine Sphäre des Dunkels, der nächtigen und unheimlichen
Schatten, des alten Chaos entgegentritt. Auch das Leben des Geistes steht
unter dem Einfluss dieser Mächte. Die Keuschheit kleidet sich in Sonnen-
strahlen, lichte Engel schweben vom Himmel herab und die Tugend strahlt
durch das Licht in ihrem Busen, während der Geist des Frevlers von der
finstern Nacht seines hinein Kerkers umfangen ist. Die Bilder, welche aus
dieser Doppelwelt des Lichtes und der Schatten stammen, hängen nicht nur
mit dem Sujet und der Scenerie des Comus auf das Innigste zusammen,
sondern bezeichnen geradezu das Wesen der Miltonsclien Poesie. Wir
sprechen gern von dein Fluge der Phantasie, lassen den Dichter sich zum
reinen Aether des Göttlichen aufschwingen. Milton's Dichterrlug möchte ich
mit dem weisser Tauben vergleichen, die wir oftmals im hellen Sonnenschein
hoch in den Lüften kreisen sehen. Bald blenden uns ihre flimmernden
Silberschwingen; dann aber, wenn ihr Flug sich gewendet, treten sie in
scharfen Schatten am blauen Himmel hervor, und während unser Auge eben
noch diesen Schatten folgt, wandeln sie sich wieder gaukelnd in lichten
Schimmer."
H.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Organ
des Germanischen Museums zu Nürnberg. Jahr-
gang 1860, Nro. 5 — 8.
Zusätze zur Reihenfolge der Aebte des Cistercienserklosters
Schönau. Von E. O. Mooyer in Minden. Vervollständigung des Ver-
zeichnisses der Aebte des genannten Klosters nebst Verbesserungen des
schon früher Bekannten.
Konrad Meit, ein Bildhauer des IC. Jahrhunderts. Von Dr.
v. Hefner-Alteneckjn München. Besprechung einer Statue dieses Künstlers,
der mit Albrecht Dürer eine auffallende Verwandtschaft hat.
Zur Frage nach dem Alter der frühesten Papierurkunden.
Herr Dr. Roth von Schreckenstein macht auf ein Akten.stuck auf starkem
Papier ohne Wasserzeichen aufmerksam, welches sich im Germ. Museum zu
Nürnberg befindet und vermuthlich aus dem Ende des 13. Jhdts. .stammt.
Zur Geschichte der Musikinstrumente. Von R. v. Rettberg
in München. Nach einer früheren Aufforderung im Anzeiger wird hier eine
438 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
kurze, aber sehr dankenswerthe Uebersicht der musikalischen Instrumente
von der Karolingerzeit an gegeben.
Ueber alte Gewichte. Von Dr. Müller. Verzeichniss alter im
Germ. Museum befindlicher Goldgewichte aus dem 16. Jahrhundert.
Noch einmal über Hans Felber von Ulm. Von Ed. Mauch.
Weitere Notizen zu den Mittheilungen über denselben Gegenstand in Nro.
8 und 9, 1858.
Ein Brief des Grossmeisters des Johann iter-Ordens an den
König Gustav Adolf von Schweden. Von Gust. Häuser in Nörd-
lingen. Ausser dem Abdruck dieses lateinisch geschriebenen Briefes wird noch
manche interessante Einzelheit über die Art und Weise beigefügt, in welcher
Gust. Adolf und die Schweden überhaupt mit den Ordensgütern verfuhren.
Ein zu Passau aufgefundenes Bruchstück einer Inschrift.
Von Dr. J. Sighart in Freising. Die bei der Restauration der uralten
Klosterkirche Niedernburg zu Passau aufgefundene Inschrift, welche sich
auf Friedrich Barbarossa zu beziehen scheint, wird hier in möglichst
treuer Copie mitgetheilt. Sie ist am Schlüsse verstümmelt und lautet :
Fridericus imperator Aquisgranensibus justitiam dedit, quam
Ueber eine Urkunde Friedrichs II. Von J. Zahn in Presburg.
Nachdem auf Hormayr's Unzuverlassigkeit und absichtliche Fälschung von
Urkunden hingewiesen, wird eine Urkunde Friedrichs IL, gegeben zu Ulm
d. 21. Dec. 1219, mitgetheilt und die Fälschung Hormayrs näher dargethan
und an anderen ähnlichen Fällen nachgewiesen.
Steinkreuze, von Todtschlägern zur Sühne errichtet. Von
Walthierer in Beilngries. Aus zwei Originalurkunden der Stadt Beilngries
aus den Jahren 1436 und 1463 wird zur Sühne eines Todtschlags gefordert,
Seelenmessen lesen zu lassen, Rom- und Achfahrt zu thun und an der Stelle
des Todtschlages ein Steinkreuz setzen zu lassen.
Cella und Hoven, zwei östreichische Propsteien. Von E. F.
Mooyer in Minden. Nachträge und genauere Bestimmungen zu den von
Meiller im 19. Bde. des Archivs für Kunde östreichischer Geschichtsquellen
gegebenen Auszügen und ungedruckten Nekrologien der Benedictiner- Klöster
St. Peter in Salzburg und Admont in Steiermark.
Zur Geschichte Eppelins von Gailingen. Von J. Baader in
Nürnberg. Im königl. Archiv zu Nürnberg befindet sich eine Urkunde v. J.
1381, in welcher die Kosten verzeichnet sind, die Nürnberg auf die Ge-
fangennehmung, den Prozess und die Hinrichtung des berüchtigten Räubers
Eppelin und seiner Spiessgesellen verwendet hat. Dieselbe wird mitgetheilt.
Urkunden aus Oberschwaben. Verzeichniss von 80 Pergament-
urkunden, welche das Germanische Museum an sich gebracht hat. Ein Auf-
suchen und Erwerben von Urkunden gehört mit zu den Aufgaben, die sich
das germ. Museum gestellt hat, um so mehr, da sich noch eine grosse An-
zahl zum Theil sehr werthvoller Urkunden in den Händen von Händlern
befinden, und die Goldschläger, Buchbinder, Orgelbauer u. s. f. jährlich ein
der Wissenschaft entzogenes, reichliches Material verarbeiten.
Lebensbedarf im 15. Jahrhundert. Von Jos. Mar. Wagner in
Wien. Verzeichniss von Lebensmitteln, welche „ein Mann und sein Weib
und Dirne" zu Passau in einem Jahre bedurften, aus einem Wiener Codex
mitgetheilt.
Kartoffeln und Taback. Von Prof. Reuss in Nürnberg. Nach
einer Schrift v. J. 1626 wurden Kartoffeln bereits 1588, Taback 1601 zu
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 439
Nürnberg angebaut. Auch das Tabackrauchen war dort in letzterem Jahre
allgemein gebräuchlich.
Das Siegel der Stadt Aschaffenburg. Siegel der Stadt Aschaffen-
burg, die sich im Germ. Museum befinden, werden beschrieben.
Humpelschützen. Im Archiv des Museums befindet sich eine dem
15. Jhdt. angehörende Aufzeichnung, in welcher der Ausdruck Humpel-
schütze vorkommt. „Humppelschuizen" könnten schlechte Schützen sein.
Vielleicht ist das Ganze eine scherzhafte Einladung zu einem Armbrust-
schiessen.
Ein wichtiges Manuscript zur Geschichte Laibachs. Von Dr.
Costa in Laibach. Ein in der Bibl. des Laibacher Domcapitels aufbewahrtes
Manuscript von Thalbergs enthält wichtige Nachrichten über die Geschichte
Krains überhaupt, dann für die Städtegeschichte und namentlich für die
Geschichte Laibachs. Der Inhalt desselben wird kurz mitgetheilt. —
Albrecht Dürers Haus. Mittheilung über eine vor Kurzem dem
Museum einverleibte Urkunde, nach welcher das älterliche Haus Albrecht
Dürers (der Name ist immer Thurer geschrieben) durch eine an seinen
Bruder gezahlte Summe ganz von ihm erworben wird.
Herr Hans von Wichsdorf, Ritter. Von Dr. Lochner. Dieser
Herr von Wichsdorf war ein Genosse Pirkheimers in dessen Schweizerkriege;
er war aus schlesisehem Geschlechte, war schon vorher in der Stadt Dienste
und Schultheiss daselbst bis 1503.
Verschiedenes zur deutschen Culturges chichte. Von J.
Baader in Nürnberg. 1) Mittheilung aus einem Schreiben d. J. 1504 über
einen muthwilligen Streich, den Pfalzgraf Ruprecht auf dem Reichstag zu
Augsburg vor der Wohnung seines Gegners, des Herzogs Albrecht von
Überbaiern, verübte: Newe zeittung Ist bey unns die sag, wie hertzog Rup-
recht kurtzlich bey nacht zu Augspurg auff der gassen gefaren und ein vass
mit zweihundert klainer messiner püchslein zugericht und meinem gnedigen
herrn hertzog Albrechten für die Herberg kommen, und daselbst die pücbssen,
so mit Bappir geladen gewest , anzinden lassen. 2) Kaiser Maximilians I.
Gärtner nimmt Unterricht bei den Gärtnern zu Nürnberg, vom J. 1505.
"3) der Rath zu Nürnberg schickt dem Herzog Albrecht von Baiern zwei Holz-
und Feldmesser, v. J. 1507. 4) Wein und Brod als Urkunde, v. J. 1507.
Hanns Peck der pot (hat) ainer urkund begert, darauf!' ime derselb pfleger
geanntwortet hab, sein Herr sei nit vorhanden, wol Im den zufügen, unnd
Im ein pecher mit wein unnd ein prot darfür zu urkund geben. Actum der
ansag am pfintztag nach Egidy 1507.
Die Schlacht von Lepanto. Von E. Weller in Zürich. Vrr-
zeichniss von 6 Berichten in Prosa, theils aus d J. 1571. theils ohne Zeit-
angabe und von zwei Gedichten aus demselben Jahre.
Das Kirchenportal der Abtei Petershausen. Von von Krieg-
Hochfelden. Das Gegebene ist ein Auszug einer im Jabre 1852 in nur
wenigen Exemplaren erschienenen, nicht in den Buchhandel gekommenen
Druckschrift und betrifft die in den Jahren 983 — 992 von Bischof Gebhard II.
von Constanz erbaute Kirche zu Petershausen. Das in einer Abbildung
beigefügte Portal ist aus d. J. 11G2.
Anzeigen, Recensionen, Mittheilungen, Chronik des Museums n. dgl. m.
Berlin. Dr. Sachse.
440 Beurtbeilungen und kurze Anzeigen.
Zeitschrift für Stenographie und Orthographie von Michaelis.
Berlin 1860.
Von obiger Zeitschrift liegt der achte Jahrgang (190 Seiten in 6 Heften)
vollständig vor uns, und wir ergreifen diese Gelegenheit, um von Neuem
auf die werthvollen Beiträge hinzuweisen, welche für die allgemeine Gram-
matik und die der neueren Sprachen, vorzüglich aber für die Orthographie
und die Lautlehre in den hier gesammelten Aufsätzen, namentlich in den
Arbeiten des verdienstvollen Herausgebers selbst, zu finden sind. Wir heben,
indem wir das Stenographische bei Seite lassen, Folgendes hervor: S. 1 — 11.
„Ueber die neueste Gestalt der Pitmanschen Phonograph)" (wichtig für die
Vocallehre). S. 12 — 72. „Ueber das th in der deutschen Rechtschreibung"
(Diese Abhandlung wurde zuerst in der „Gesellschaft für das Studium Uer
neueren Sprachen" vorgetragen und ist auch in einem besonderen Abdrucke
veröffentlicht worden. Der Herausgeber hat jenem Vortrage hier noch einige
Zusätze beigefügt und den Gegenstand wissenschaftlich wohl ohne erhebliche
Widerrede erledigt. Dass das gewonnene Ergebniss, die unbedingte Ver-
urteilung des th in deutschen Wörtern, nun auch zu praktischer Geltung
gelange, wird nicht zum kleinsten Theile in der Hand gerade unserer Leser
liegen.) S. 72 — 85. „Zur orthographischen Rundschau." (Die „Vorschläge"
von Kratz und Bezzenberger zur Herstellung einer Einheit in der deutschen
Rechtschreibung werden geprüft, wobei der Herausgeber von dem gewiss
richtigen Gedanken ausgeht, dass diese Einheit weder durch Unterhandlungen
der verschiedenen deutschen Staatsbehörden, noch durch staatlich angeordnete
Commissionen von Sachverständigen, überhaujjt nicht durch Befehl von oben,
sondern einzig und allein dadurch zu gewinnen sei, dass „die Macht der
Wissenschaft durch sich selbst das Richtige zur Anerkennung bringe.) S.
97 — 99. Dr. R. Hoppe empfiehlt V. Giimm's „Programm zur Bildung einer
allgemeinen Sprache" der Beachtung und stellt einige allgemeine Sätze
hinsichtlich der zu lösenden Aufgabe und der nöthigen Vorarbeiten auf.) —
Auch in den der Stenographie gewidmeten Aufsätzen findet sich für die
Sprachlehre viel Bemerkenswerthes und manches Neue (z. B. in der Kritik
des Arendsschen „Leitfaden einer rationellen Stenographie," S. 154 — 17t?).
was zu erwähnen wir nicht für überflüssig halten, da der Name der „steno-
graphischen" Zeitschrift einer weiteren Verbreitung derselben ausserhalb der
stenographischen Kreise im Wege zu stehen scheint, obwohl die Stenographie
selbst, namentlich das Stolzesche System, überall auf dem Grunde der Sprach-
wissenschaft ruht.
Jahrbuch für romanische und englische Literatur. 2. Band.
Inhalt: L'Eneide de Henri de Veldeke et le Roman d'Eneas, attribue ä
Benoit de Sainte-More par Alex. Pey. — Die spanischen Sprichwörter von
Jose Amador de los Rios. — - Le dit du Magnificat von Jean de Conde von
Adolf Tobler. —
2. Heft: Zur Geschichte der romantischen Poesie von Felix Liebrecht.
— Virue's Leben und Werke, vom Freiherrn von Münch. — Der erste
historische Roman im spanischen Süd-Amerika von Ferd. Wolf. — Das
Neueste zur Ossian- Frage, von Dr. Heller.
3. Heft: Zur Geschichte der catalanischen Literatur von Adolf Ebert. —
Der catal. Canconer d'amor der Pariser Bibliothek von Karl Bartsch. —
Guicciardini's unedirte Werke von Enrico Cornet. — Die Quellen der Bar-
Iaain und Josaphat von Felix Liebrecht. — Inedita aus dem Breviari d'amor
von Dr. Sachs. —
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 441
4. Heft: Die englische Nationalliteratur im Jahre 1859 von Dr. H. Beta.
— Die Nationalliteratur der vereinigten Staaten von Nord -Amerika in den
Jahren 1858 — 59 von F. A. March. — Die italienische Nationalliteratur im
Jahre 185 9 von Justus Grion. — Die spanische Nationalliteratur im Jahre
1858 — 59 von Jose Amador de los Rios. — Bibliographie des Jahres 1859.
In Bezug auf das Jahrbuch können wir nur die anerkennenden Worte
wiederholen, die wir in diesem Blatte dem ersten Bande gewidmet haben.
Les anciens poetes de la France.
Gui de Bourgogne. — Otinel. — Floovant. 1. Band. 1859. —
Doon de Mayence. 2. Band. 1859. — Gaufrey. 3. Band.
1859. — Paris. Viesveg. Maison A. Franck.
Durch kaiserliches Dekret vom 12. Februar 1856 wurde die Ver-
öffentlichung einer Sammlung altfranzösischer Dichter anbefohlen. Der vom
damaligen Minister Fortoul entworfene Plan zur Ausführung dieses Unter-
nehmens wurde von seinem Nachfolger Rouland modificirt, und es wurde
beschlossen, die Herausgabe zunächst auf die Dichter des karlovingischen
Cyclus zu beschränken. Der Buchhändler Jannet, der verdienstvolle Be-
gründer der Bibliotheque Elzevirienne, wurde mit der Veröffentlichung be-
auftragt. Umstände verhinderten Jannet's Mitwirkung, und es ging demnach
die Sammlung in den Viewegschen Verlag über, aus dem bereits die oben
bezeichneten drei Baude in dem bekannten handlichen Format und mit den
Charakteren der Bibliotheque Elz., die nun zu erscheinen aufgehört hat,
hervorgegangen sind. Die wissenschaftliche Leitung ist einer vom Minister
ernannten Commission anvertraut, die aus folgenden 6 Mitgliedern besteht:
Marquis de la Grange, Präsident, Gustave Rouland, F. Guessard, Francis
Wey, Henry Michelant, Servaux, Schriftführer. Guessard leitet speciell die
Publikation. 40 Bände sind dieser Sammlung bestimmt, von denen zwei der
Bibliographie und der Aufzählung sämmtlicher mittelalterlicher chansons de
geste gewidmet sein werden, während die übrigen 38 die stattliche Anzahl
von 57 Poemen enthalten werden.
Ein jeder Band wird 5 Franken kosten; nur bei einigen, die längere
Gedichte enthalten, wird der Preis auf 6 Franken gesteigert werden. Es
wird hier absichtlich hervorgehoben, dass jeder Band, der ein oder mehrere
Gedichte umschliesst, so wie ein jedes Gedicht, das mehrere Bände erfüllt,
auch besonders verkauft wird, da in einem viel gelesenen, der ausländischen
Literatur gewidmeten Blatte irrthümlich behauptet wurde, es wurden nur
öffentliche Bibliotheken und reiche Privatleute an dem Unternehmen käuflich
sich zu betheiligen im Stande sein. Hoffentlich werden gerade durch den
Einzelverkauf recht viele von den zahlreichen Kennern und Freunden des
Französischen in Deutschland angeregt werden, dem Altfranzösischen ihre
Neigung zuzuwenden. Die epischen altfranzösischen Gedichte sind einmal
viel leichter zu verstehen als die lyrischen, von denen wir zwei schone
Sammlungen von Mätzner und Wackernagel besitzen. Zweitens waren aber
die epischen Gedichte, sowohl das Wenige, was Deutsche herausgaben . wie
die französischen Ausgaben, bisher theuer und wenig zugänglich. Die Massig-
keit des Preises eines Einzelbandes dieser Sammlung hilft diesem l ebelstand
ab. Auch sollte es jedwede Lehrerbibliothek einer preussisehen Realschule
oder andrer höherer Schulen, die Speciallehrer des Französischen haben, 1 iir
ihre Pflicht halten, die ganze Sammlung zu erwerben.
Wie dem Unternehmen an und für sich, das uns reiche Fundgruben
altfranzösischer Dichtung und Sprache erschliessen wird, die lebhafteste
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 29
442 Beurthcilungen und kurze Anzeigen.
Theilnahme nicht versagt 'werden kann, so kann man auch der Art und
Weise der Ausführung, wie sie in den jetzt publicirten Bänden vorliegt,
den aufrichtigsten Beifall schenken. Wenn man an die Unbefangenheit denkt,
mit der sonst höchst beachtenswerthe Werke, in denen altfranzösische Texte
mitgetheilt wurden, von deutschen Herausgebern in dem ganzen Wüste der
handschriftlichen Irrthümer edirt worden sind, so stechen dagegen die hand-
lichen Octavgaben unsrer einen verbesserten Text bietenden Sammlung auf
das Freundlichste ab. Da der Druck auf starkem Papier und sehr leserlich
ist, da die Lücken der Handschrift durch die in Parenthese gestellten, aber
mit dem Texte fortlaufenden Conjecturen der Herausgeber ergänzt sind, so
kann auch der, den nur die literarische Seite der Gedichte anzieht, das Ge-
dicht mit Leichtigkeit lesen , während der Philologe die zur Erhellung der
Lesarten und der Redaction dienenden Noten am Ende hinter dem Gedichte
rindet. In einer literarischen Einleitung wird über die Stellung des Gedichts
zu den übrigen des Cyclus, über Abfassungszeit, Quellen, Bearbeitungen des
vorliegenden Stoffes in andern europäischen Literaturen und Manuscripte
gehandelt. Daran schliesst sich ein an der Spitze des Gedichts stehendes,
recht ausführliches sommaire, das namentlich denjenigen, die einen Band
dieser Sammlung als einleitendes Studium in die Kenntniss des Altfran-
zösischen benutzen wollen, wesentliche Dienste leisten wird, da es ihnen oft
als Glossaire dienen kann. Ein wirkliches Glossaire ist keinem Gedicht bei-
gefügt; der Herausgeber stellt in Aussicht, ein solches nach Herausgabe der
ganzen Sammlung zu liefern; ein Specialglossaire jedem einzelnen Bande
anzuhängen würde, sagt er, zu ewigen Wiederholungen Anlass geben. Wir
theilen diese Ansicht ; nichts destoweniger möchte es wünschenswerth scheinen,
seltenere Wörter und Formen gleich unter dem Texte auf der entsprechenden
Seite zu erklären; denn so sehr man sich auch mit der Herausgabe be-
schleunige, zehn Jahre werden mindestens hingehen, bevor das versprochene
Glossaire auch nur begonnen werden kann. Wir erwähnen noch , dass die
Zahl des Bandes auf der Kehrseite des ersten Titelblatts unten etwas zu
versteckt angegeben ist.
Das Hauptverdienst der ganzen mühseligen Arbeit fällt auf Guessard,
unter dessen bewährter Leitung die Mss. abgeschrieben werden. Die Namen
der sonst Betheiligten werden unten bei Gelegenheit der einzelnen Gedichte
mitgetheilt werden.
Gui de JBourgogne. Chanson de Geste. Publiee pour la pre-
miere fois d' apres les manuscrits de Tours et de Londres
par M. M. F. Guessard et H. Michelant. (4304 Verse.)
Der Stoff dieses Gedichts findet sich weder in der französischen noch
einer andern Literatur wieder. Es geht jedoch aus zwei Versen des dit des
deux bordeors ribaus:
Si sai de Guion d'Aleschans
Et de Vivien de Borgoigne
durch die von dem satyrischen Inhalt des Gedichtes bedingte Umstellung
der Namen hervor, dass man das Gedicht zum repertoire eines ordentlichen
Jongleurs zählte. Karl der Grosse ist bereits 27 Jahre in Spanien, wo ihn
die Belagerung von Luiserne aufhält. In Frankreich ist Verwirrung. Zur
Abstellung derselben wird ,.das Kind" Gui de Bourgogne zum König erwählt.
Dieser aber befiehlt sofort den andern „Kindern" sich zu rüsten und ihren
Vätern in Spanien zu Hülfe zu eilen. „Als die Kinder es hören, sind sie
erschrocken. Da verflucht jeder die Stunde, wo er gekrönt ward."
Quant li anfant l'entendent, es les vos esfrees.
Lors maudit chaseuns Teure que il fu queronez.
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. ■443
Dieser Vers wiederholt sich, sobald Gui, statt gerade auf Luiserne zu-
zugehen, vorher sein Heer vor verschiedene andere Städte führt, um sie ein-
zunehmen, bis er zuletzt auch Karl erlöst.
Die chansons de gestes fallen in die Zeit der Kreuzzüge, alte in Ver-
gessenheit gerathende Traditionen in eine Zeit, die bereits von andren In-
teressen auf's Tiefste bewegt wurde. Und so wird man unwillkürlich durch
diesen Zug der Kinder nach dem Lande der Heiden und Sarracenen an den
Kinderkreuzzug erinnert. Der Dichter legt Beziehungen seiner Gegenwart
in die alte Sage; ja er baut vielleicht das ganze Gedicht auf dieser Grund-
lage erst auf,
Das Gedicht ist in den bekannten einreimigen, zwölfzeiligen Versen.
Der Reim ist in diesem Gedichte oft nur Assonanz. So reimen sich denn
in der ,Tirade S. 3 dire, contralie, biche, conquise, Gile, dites, mire, so
dass der Consonant zwanglos geändert wird.
Vers 31 und sonst schreiben die Herausgeber. E[n] nom Dieu. Da die
Formel jedoch häufig wiederkehrt, so wäre doch wohl einfach E nom Dieu
beizubehalten, sei es dass man sie sich aus dem durch häufigen Gebrauch
abgeschwächten En nom Dieu hervorgegangen denkt, sei es dass man E dann
als Interjektion fasst. Vers 1169 Chascuns selon sa puissance et selonc sa
bontes ist wohl falsch. Statt puissance ist ein zweisilbiges Wort zu setzen.
"Wäre nicht Vers 1348, 1354, 2855 und sonst anprist statt an prist zu schreiben?
Vers 1482 steht verdruckt oiant für ioiant Vers 3350 erfordert die Caesur
Estout [de Lengre] ausi, nicht: ,ausi. Ebenso Vers 3915: Par tel air les
brochent, .
Otinel. Chanson de Geste. Publice pour la premiere foie,
d'apres les manuscrits de Roine et de Middlehill. Par M. M.
F. Guessard et H. Michelant. (2133 Verse.)
Das römische Manuscript, unvollständig, n° 1616 im Katalog der
Bibliothek der Königin Christine von Schweden, ist in Keller's Romwart
nicht erwähnt. Die Handschrift von Sir Thomas ist von Dr. Sachs (in
Brandenburg) auf seiner im Auftrage Fortoul's nach England unternommenen
Reise copirt worden; sie ist vollständig, aber so incorrect, dass die Heraus-
geber das römische ms. zu Grunde gelegt und aus dem englischen ms. er-
gänzt haben.
Das Gedicht ist aus der Zeit des Verfalls der alten Epik. Es behandelt
einen Zug Karls des Grossen gegen den König Garsile in der Lombardie,
als er nach der Einnahme Pampelona's aus Spanien zurückgekehrt ist. In
Paris fordert ihn Otinel, ein Abgesandter des heidnischen Königs auf, diesem
zu huldigen; der Abgesandte selbst aber bekehrt sich bald und wird der
heftigste Feind Garsile's. — Die Verse sind zehnsylbig.
Vers 47 wird Karl le viel redois qui ait maleicon genannt. Danach be-
währt sich nicht, was Burguy ini Glossaire zur Stelle des Sachsenliedes
Lor cheval sont tuit las, escauchie et redois
unter redois sagt: Ce mot a ete' change dans sa forme pour ja rime. Vers
109 vielleicht, um des Verses willen, statt: Un chevaler i sist qui fn ma,
senez zu lesen: qui par fu mal senez. Vers 122 En halt sesene: Haruns
ne vos remuez, wird durch Weglassung von vos richtig. Ebenso Vers 13 rd
Vers 137 wird jo zu streichen, 139 u. 40 statt Espanie Espaine, statt Sidonie
Sidoine zu lesen, Vers 178 jus zu streichen sein. Vers 473 kann es nicht
II poins heissen, da Roland eine Hand braucht, seinen Schild zu fassen
(Vers 474).
29*
444 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
Floovant. Chanson de geste. Publiee pour la premiere fois
d'apres le manuscrit unique de Montpellier par M. M.
F. Guessard et H. Miehelant. (2533 Verse.)
Floovant, nach dem Dichter Chlodwig's ältester Sohn, wird auf 7 Jahr
von seinem Vater aus Frankreich verbannt, weil er seinem Hofmeister den
Bart abgeschnitten. Die Geschichte dieser 7 Jahre wird im Gedicht erzählt.
Die Herausgeber bestimmen auf Grund von Urkunden der Stadt Metz den
Dialect als lothringisch. Es wäre wünschenswerth gewesen, dass sie dabei
zu einer Darstellung dieses Dialektes geschritten wären Das Gedicht ist in
den gewöhnlichen 12zeiligen Versen. Vers 530 lautet: Far la cite s'adobent
mentem communemant. Das Wort mentem heisst nichts. Die Herausgeber
sagen: Ce mot nous paroit avoir le sens de maint; il n'en differe, selon
nous, que comme certain differe de cert, par la simple addition d'une
terminaison. Es ist dies die einzige Note in den drei Bänden, bei der man
den Kopf schütteln muss. Mir nichts dir nichts eine Endung, die sonst
nicht weiter vorkommt, keine Analogien, kein Etymon hat, — denn ain in
certain geht doch auf anus zurück — einem Worte deutschen Stamms, maint,
das an und tür sich gar keine Nöthigung zu einer Endung bietet, hinzu-
fügen zu wollen, widerspricht doch allem etymologischen Gebrauche!
Doon de Maience. Chanson de Geste. Publiee pour la pre-
miere fois d'apres les manuscrits de Montpellier et de Paris
par M. A. Pey. (11,505 Verse, wovon die ersten 6036
die jeunesses Doolin besingen.)
Herr Pey hat bereits im Jahrbuche für romanische und englische Lite-
ratur. I. p. 320 — 49 eine ausführliche „Notice" über dieses namentlich in
seinem ersten Theile höchst anziehende Gedicht gegeben, so dass wir, in
der Voraussetzung, dass das Jahrbuch in jedes modernen Philologen Hand
ist oder sein müsste, hier nur einige Bemerkungen anzufügen haben. AVaruiu
haben die Herausgeber nicht statt des falschen Titels Doon de Mayence
sich entschlossen, den richtigen Do de Mayence zu setzen. Wenn in unsrem
Gedichte selbst der Nominativus und Accusativus gelegentlich verwechselt
werden, so ist im Ganzen doch Do für den Nominativus so vorwiegend,
dass daraus hervorgeht, der mittelalterliche Gebrauch sei der richtigen Form
zugeneigter gewesen. Wenn aber jener für das Richtige war, warum sollte
dann die moderne Gelehrsamkeit für das Falsche sein wollen?
Die für den Namen auftretenden Formen sind Do, Doon, Doet, Doolin,
Doonnet. Die drei letzten sind Diminutivformen, Doet von Do, Doonnet
von Doon, auch Doolin für Doonin von Doon. Die Form Doonnet glaubt
Referent in Do(on) de Mayence nicht einmal gefunden zu haben, dagegen
kommt sie häufig im Roman Gaufrey von einem Sohne Do's vor, so dass
Doonnet mit Absicht gewählt scheint, um der Verwechselung mit Doolin,
das an allen Stellen am Passendsten mit „der kleine Do" übersetzt wird,
vorzubeugen. Die Form Doolin ist die eigentliche Form des ersten Theils
unsres Gedichts Jennesces Doolin, um so zutreffender mit „Des kleinen Do
Jugendfahrten" zu übersetzen, als im zweiten Theile der Name Doolin nicht
einmal vorkommt. Doet ist dagegen eine gleichgültigere, in den beiden
Theilen des Do wie im Gaui'rey vorkommende Form. Aus Vers 10,385 und
10,428, wie aus Gaufrey v. 4918, 4948, 9G07 ist die eigentümliche Form
quiex für cbies (chez_) anzumerken.
Beur theilungen und kurze Anzeigen. 445
Gaufrey. Chanson de geste. Publiee pour Ja premiere fois
d'apres le manuscrit unique de Montpellier par Mm.
F. Guessard et P. Chabaille. (10,731 Verse.)
Enthält die Geschichte der zwölf Söhne Do's, nach deren ältestem Gaufrey
es betitelt ist. Das Hauptinteresse gebührt jedoch dem riesenstarken Robastre,
dem Mann mit der Axt, dem Sohn eines Kobolds, einer ungemein humo-
ristischen Gestalt. Plump und gutmütbig, von ungeheurer Körperkraft und
treuer, aufopfernder Ergebenheit, seltsam in seinem ganzen Gebahren, bildet
er eine charakteristische Figur, wie sie in solcher Ausgeprägtheit wohl selten
in den alten Epen zu finden sind.
Vers 28 war vom Herausgeber eine Lücke anzudeuten. Es fehlt ein
Satz, in dem G. seinen Vater um Schiffe bittet. Vers 1306 wäre, um den
Vers herzustellen, statt il se desperera zu schreiben: desesperra oder se aus-
zulassen; v. 1879 u. 81 sind zwei Druckfehler anzumerken; nach vostre que-
mant fehlt fesons, nach souspecho das u. Vers 1938 statt sei zu lesen les,
v. 2950 statt n'eu zu lesen j'eu, v. 3966 statt on zu lesen ou. In Vers 4133
ist das Komma zu tilgen und zu construiren Et a fet trousser par dessus
1. Franc ochis. Vers 4199 statt ton zu lesen son. Vers 4470 stimmt entour nicht,
da die Heiden nicht ringsumher, sondern im Thurme sind; vielleicht also en
tour, wobei man freilich den Artikel ungern vermisst. Der heillose Wirrwarr
Seite 142, der auch in den Noten vermerkt ist, geht mit den auffallend
schlechten Reimen 4 701 — 9, mirable, mirable, fablez, avenable, sage, avenable,
sage, Kalles parallel, die deswegen von ungeschickter Hand eingeschoben zu
sein scheinen. Vers 5074 statt III zu lesen II. Vers 5159 statt obeir vielleicht
otreir statt otreer? Vers 6850 statt li zu lesen il. Die Verse 7419 — i'5
können nicht gut als unverdächtig erscheinen. Es wird angekündigt, dass
von Robastre gehandelt werden wird, von dem aber fürs Erste nicht die
Rede ist. Seite 240 u. 41 stimmen die angeführten Zahlen der Lastthiere
und Treiber nicht. Vers 8928 werden die Berruier, ganz wider die gewöhn-
liche Auffassung, in einer Reihe mit dem Lombarden als feige Leute auf-
geführt. Sollte deswegen Berruier hier falsch sein? Vers 9841 statt huchie
zu lesen hauchie.
Wir schliessen das Referat, indem wir den Herausgebern für die Mühe
und Sorgfalt, die sie dieser trefflichen Sammlung widmen, aufrichtig danken
und mit dem Wunsche, dass die von ihnen veröffentlichten Quellen aucli bei
uns dem Studium des Altfranzösischen zahlreiche Freunde zuführen mögen.
G. Büchmann.
Italienische Sprachlehre in Kegeln und Beispielen, für den ersten
Unterricht bearbeitet von Adolf Mussafia, Docenten der
ital. Sprache und Literatur an der k. k. Universität zu
Wien, 1860; Wilh. Braumüller, k. k. Hofbuchhändlcr; gr. 8.
Der Massstab für die Beurtheilung dieser Sprachlehre ist in dem Aus-
druck gegeben, dass sie für den „ersten Unterricht" bestimmt i-t.
Unter erstem Unterricht ist hier im Allgemeinen zu verstehen, dass der zu
Unterrichtende von der italienischen Sprache noch keine Vorkenntnisse be-
sitze; weiter aber ist zu unterscheiden, ob er gleichzeitig noch überhaupt
ohne Sprachkonntnisse sei, oder ob er deren nicht etwn Schon an andern
Sprachen erworben habe. Denn es bedarf kaum der Erinnerung, dass Rinder,
die noch überhaupt keine fremde Sprache kennen, anders in eine solche
eingeführt werden müssen als Vorgerücktere, die bis auf einen gewissen
446 Beur theilungen und kurze Anzeigen.
Grad z. B. schon mit dem Französischen oder Lateinischen bekannt geworden
sind. Bei Ersteren kommt es darauf an, die Wortformen und wesentlichsten
Wortfügungen einzuüben und dadurch vorerst das äusserliche Material herbei-
zuschaffen; bei Letzteren, die sich dessen mit Hülfe der sonst schon ge-
wonnenen Sprachkenntnisse leichter und schneller bemächtigen, ist es dagegen
von Wichtigkeit, von vorn herein ein Verständniss und Bewusstsein der neu
hinzutretenden Sprache zu erstreben und auf ein etwaniges späteres Studium
derselben vorzubereiten. In unserm nördlichen Deutschland , wo das Ita-
lienische überhaupt seltner betrieben wird, kommt dasselbe erst in den ober-
sten Klassen höherer Schulen und Gvmnasien an die Reihe, so dass es erst
mit dem vierzehnten Lebensjahre oder noch später begonnen wird. Hier
ist also nur die zuletzt angedeutete, schon mehr wissenschaftliche, jedenfalls
nicht mehr bloss elementare Unterrichtsweise zu fordern. In den östreichischen
Staaten mag dies anders sein. Die näheren Beziehungen zu Italien mögen
dort bei einer grösseren Verbreitung der italienischen Sprache auch einen
früheren Anfang des Unterrichtes in derselben bedingen. So viel ist klar,
dass die vorliegende Sprachlehre nicht für eine schon vorgerücktere und
entwickeltere Bildungsstufe, sondern für den „ersten Unterricht" in dem
Sinne berechnet ist , dass noch überhaupt keine oder nur wenige fremde
Sprachkenntnisse vorhanden oder vorauszusetzen sind. Sie will nur erst das
Material herbeischaffen.
Die Einrichtung des Buches ist demnach folgende. Nachdem das
Notwendigste über Aussprache, Accent etc. vorgebracht worden, ist S. 6
von den Geschlechtsformen der Haupt- und Beiwörter und des bestimmten
Artikels die Rede, womit sogleich eine Anzahl einfacher, nur vermittelst d^s
Zeitwortes e, ist, gebildeter italienischer und deutscher Sätze (II padre e
buono. Das Haus ist klein.) verbunden ist, welche beziehungsweise ins
Deutsche und ins Italienische übersetzt werden sollen; die dazu gehörigen
Vocabeln sind vorangestellt. In gleicher Weise folgen dann die entsprechenden
Pluralformen mit allmäliger Heranziehung des unbestimmten Artikels, der
demonstrativen Fürwörter questo und quello und der possessiven mio,
tuo, suo etc.; die Uebungssätze erhalten dabei zugleich das plurale sono,
sind. S. 12 werden die Praesentia der Hülfszeitwörter avere und essere
nebst den persönlichen Fürwörtern io, tu, egli etc., S. 15 die Infinitive
und regelmässigen Participien der drei Conjugationen angegeben; die
Uebungssätze verbinden das Particip mit jenem Präsens der Ilülfsverba.
S. 18 flg. werden die Besonderheiten der Pluralbildung der Haupt- und
Beiwörter auf ca, ga — co, go — cio, gio etc. etc. nachgeholt, S. 21 die
Substantiva mobilia, S. V4 flg. die Casuszeichen di, a, da und deren nebst
anderer Präpositionen (con , in, su, per) Zusammenziehungen mit den ver-
schiedenen Formen des bestimmten Artikels hinzugefügt. S. 31 flg. kommen
die Hauptwörter, welche den Pluralis auf a bilden, und die Zahlwörter an
die Reihe; S. 36 flg. die Eigennamen, insofern sie mit oder ohne Artikel
stehen; S. 39 das Präsens der ersten Conjugation, S. 43 der Gehrauch des
Infinitiv mit den Partikeln di, a, da, S. 44 das Präsens der zweiten und
dritten Conjugation mit besonderer Berücksichtigung der Verba dire und
con dürre (tradurre etc.) und Angabe des Particips, S. 46 das Particip auf
so der Zeitwörter auf dere oder ndere, S. 47 das Particip auf to (tto)
derer auf gere (ggere) und das von coprire, offrire etc., S. 50 das
Präsens auf isco, S. 51 wie die deutschen zusammengesetzten Hauptwörter
im Italienischen wiedergegeben werden, S. 53 der Theilungsartikel , S. 55
Bildung der Adverbien auf mente, S. 57 wie die Stunden der Uhr aus-
gedrückt werden, S. 58 Bildung des Futurs, S. 62 das Präsens von andare
und Gebrauch der Präpositionen in und a zur Angabe des Ortes, S. 64 Prä-
sens, Futurum, Particip von tenere, venire, porre, rimanere, S. 65
Passivum mit essere und venire, S. 67 persönliche Fürwörter, S. 69 Prä-
positionen, welche sich mit di verbinden lassen, S. 70 fernere persönliche
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 447
Fürwörter, S. 76 einige unregelmässige Präsentia der zweiten und dritten
Conjugation, S. 81 reflexive Zeitwörter, S. 83 noch andre Fürwörter, S. 87
Zusammenziehung6n zwischen Fürwörtern, S. 90 die höfliche Anrede, S. 93
der Imperativ, S. 101 der Comparativ etc., S. 116 das relative Fürwort etc.
In einer zweiten Abtheilung,*) welche S. 119 beginnt, werden in derselben
Art und mit besonderer Berücksichtigung der verschiedenen unregelmässigen
Verba die Bildungs- und Gebrauchsweisen des Imperfects, des Perfects, des
Conditionalis, des Conjunctivs, des Infinitivs, des Gerundiums und der noch
übrigen Fürwörter gelehrt und durchgängig in zahlreichen italienischen und
deutschen, stets mit ihren Vocabeln versehenen Sätzen aufgewiesen und ein-
geübt. Sehr zahlreiche Sätze mit den Präpositionen di, a, da, con, in etc.
machen den Beschluss. Verschiedenes Einzelne ist noch überall gelegentlich
eingestreut, zum Theil in Noten hinzugefügt.
Das Gesetz dieser Anordnung ist leicht zu erkennen. Es ist das der
pädagogischen Zweckmässigkeit. Der Herr Verfasser hatte sich, wie
aus der Vorrede zu ersehen, die „strenge Durchführung des Grundsatzes"
vorgenommen, „dass keine Form, keine t ügung dem Schüler geboten werde,
welche er auswendig lernen muss, ohne sich über dieselbe Rechenschaft
geben zu können." Unter „Rechenschaft" ist hier augenscheinlich keine
wissenschaftliche zu verstehen ; es ist nur gemeint, dass der Schüler die dar-
gebotenen Formen und Fügungen immer sogleich in ihrer Anwendung sehen
und sich in ihrer Anwendung üben solle. Dabei ist allerdings höchst
wünschenswerth, dass nirgend Etwas von ihm gefordert werde, worüber er
noch nicht belehrt worden. Dieser Grundsatz darf gewiss auf allgemeine
Zustimmung rechnen. Zu untersuchen wäre jedoch, ob derselbe eine An-
ordnung nöthig mache wie die, welche der Herr Verf. getroffen hat. Es
geht da doch etwas gar zu bunt her. Wenn ein Schüler, der bereits zu den
späteren Uebungen vorgedrungen ist, Etwas aus den früheren, das er ver-
gessen, wieder aufzusuchen und nachzulesen wünscht: so dürfte ihm das
schwer werden, zumal da weder ein Register noch ein Inhaltsverzeichniss
noch auch nur hinreichende Ueberschriften der einzelnen Abschnitte gegeben
sind. Diese könnten nun freilich hinzugefügt und so der Schwierigkeit
einigermassen abgeholfen werden. Ernster und gerechter aber ist das Be-
denken, dass der Weg, den das Buch verfolgt, den Schüler nicht dazu führen
wird, von der grammatischen Gliederung des Sprachstoffes eine Vor-
stellung zu gewinnen. Von dieser, von dem organischen Bau der Sprache,
wird hier so wesentlich abgewichen, dass sich statt eines klaren, übersicht-
lichen Ganzen nur ein zusammenhangloses Durcheinander in der Vorstellung
des Schülers festsetzen wird, und wenn auf diesen „ersten Unterricht" nach-
mals ein andrer folgt: so wird er Mühe haben, Licht und Ordnung da hinein
zu bringen. Die Kritik kann sich mit der Art und Weise, wie der obige
Grundsatz hier zur Ausführung gebracht ist, schwerlich einverstanden er-
klären.
Was nicht nur den Herrn Verf., sondern auch Andere dazu verleitet
hat, der grammatischen Gliederung des Sprachstoffes in dieser (»der ähnlicher
Weise Gewalt anzuthun, ist eine irrige Auffassung des gedachten Grund-
satzes. Wenn Herr Mussafia die vorhandenen auf denselben Zweck gerich-
teten Uebungsbücher, wie er in der Vorrede andeutet, ungenügend findet:
so liegt die Ursache davon nicht sowohl in der verfehlten Ausführung
diese muss immer verfehlt sein, wo das Princip verkannt ist — als vielmehr
in dem Missverständniss dessen, was ihnen zur Richtschnur dient und oben
pädagogische Zweckmässigkeit genannt worden. Der pädagogische Zweck
fordert keinesweges eine Zerreissung des Sprachstoffes und Zersplitterung
seiner Elemente, sondern nur Beschränkung und Vereinfachung des-
*) Die Angabe „erste Abtheilung" findet sich nicht vor; sie wird auf
Seite 6 zu setzen sein.
448 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
selben. Das jugendliche Fassungsvermögen (dieses ist doch das Massgebende)
bedingt nur, dass ihm die grammatischen Formen und Verhältnisse zugänglich
und fasslich gemacht werden; dies aber werden sie nicht durch Umstellung
und Durchbrechung der in ihrem Wesen begründeten Ordnung, sondern
durch eine richtige, d. h. wiederum ihrem Wesen entsprechende Be-
handlung. Der Sprachlehrer, der sich seiner Aufgabe bewusst ist, wird
schon beim „ersten Unterricht" darauf Bedacht nehmen, dass aus den Theilen,
die er einzeln und jeden für sich überliefert, schliesslich doch ein wohl-
geordnetes , organisch gegliedertes Ganze in der Vorstellung des Lernenden
hervorgehe — ein Ganzes nämlich, in welchem die Theile auch wirklich
ihre Einheit, ihren Zusammenhang und ihre Berechtigung finden. Nur so
wird alsdann auch der Lernende etwas Rechtes gelernt, sich seines Gegen-
standes wirklich bemächtigt haben.
Ein zweiter Irrthum. der mit dem so eben besprochenen vielfach ver-
flochten und eigentlich die Ursache desselben ist, ist dieser, dass man meint,
man müsse schon die einzelnen Formen, näher die Flexionsformen, von
Hause aus innerhalb des Satzes zeigen und einüben. Möge der Lehrer
bei den Formen -Uebungen, die er mit seinen Schülern anstellt, nach Ge-
legenheit und Belieben immerhin auch kleine Sätze bilden lassen; nur zum
Princip muss man das nicht erheben. Es ist allerdings richtig, dass die
Flexionsformen zum Ausdruck syntaktischer Verhältnisse dienen; aber es
wird nicht minder richtig sein, dass diese syntaktischen Verhältnisse an sich
noch etwas Andres sind als jene Formen, durch welche sie ausgedrückt
werden, und dass jene Formen eben so ihrerseits noch einen andern Werth
haben als ihren syntaktischen. Die Mannichfaltigkeit in der Pluralbildnng
der Haupt- und Beiwörter z. B. ist zum Theil eine bloss orthographische,
die mit den Satzverhältnissen Nichts zu schaffen hat. Dasselbe ist mit ge-
wissen Eigentümlichkeiten der Präsens- und Futurbildung (cerco, cerchi ;
cercherö; truovo, troviamo u. dgl. m.) der Fall. Die Bildung, sowohl die
regel- wie die unregelmässige, der Zeitformen überhaupt ist eine schlechthin
formale, von den syntaktischen Beziehungen ganz verschiedene und unab-
hängige. Wird nun dieser Unterschied des Formalen und des Syntaktischen
übersehen und der Schüler genöthigt, die Formen, die ihm eben erst in An-
sehung ihres Daseins und ihrer unmittelbaren Beschaffenheit vorgelegt
werden, ohne Weiteres auch schon in syntaktischen Zusammenhängen zu
üben: so enthält seine Aufgabe sogleich zwei Elemente statt eines, und er
muss seine Aufmerksamkeit, anstatt sie auf den eigentlich gemeinten Punkt
zu concentriren, gleichzeitig noch auf einen ganz andern hin ablenken.
Dass dies nicht förderlich, sondern nur störend und verwirrend für ihn sein
kann, leuchtet so sehr ein, dass es unerklärlich ist, wie dieser Versuch immer
aufs Neue wiederholt werden kann. Die Formen sind, so lange es sich um
ihre Bildung handelt, für sich allein, ausserhalb ihrer syntaktischen An-
wendung, zu üben; treten sie innerhalb des Satzes auf: so ist es dieser, der
mit seinen mannichfaltigen Verhältnissen und Beziehungen die Aufmerksamkeit
zu beschäftigen hat, und jene Formen müssen dann schon so geläufig sein,
dass ihre Bildung keine Schwierigkeiten mehr macht. Kurz, Formlehre und
Satzlehre müssen principiell streng unterschieden und aus einander gehalten
werden, besonders beim ersten Unterrichte.
Man mache nicht geltend, dass die isolirte Einübung der Formen, wie
sie hier gefordert wird, langweilig sei und den Gedanken nicht beschäftige.
In den Formen liegt die Technik der Sprache, und alles Technische erseheint
im Verhältniss zur höheren Gedankenthätigkeit, wenn man so will, langweilig.
Nichts desto weniger ist die Uebung darin nothwendig; sie kann auf dem
Sprachgebiete so wenig entbehrt und erlassen werden wie auf jedem andern.
Uebrigens wissen die Kinder Nichts von dieser Langweiligkeit. Sie haben
ür die Fertigkeit, die sie erwerben sollen, so viel Eifer, und an der er-
worbenen so viel Freude als wir Alten an unsern Beschäftigungen, und die
Beurtbeilungen und kurze Anzeigen. 449
Anwendung, welche sie zunächst davon machen, ist die, dass sie es darin
einander zuvor zu thun Sachen. Langweilig ist ihnen der Unterricht nur
dann, wenn ein ungeschickter Lehrer nicht weiss, was er mit ihnen an-
fangen soll.
Mit zur Sache gehört es , hier noch die weiteren Folgen zu betrachten,
die jenes missverstandene Princip nach sich zieht. Sätze sollen nun einmal
überall sein. Da sie nun mit dem Einen, worauf die Uebung gerade ge-
richtet ist — es sei z. B. das Präsens von essere und avere (S. 12) — zu
einförmig ausfallen würden : so werden sie gelegentlich noch mit manchem
Andern ausgestattet, oder umgekehrt als willkommene Gelegenheiten benutzt,
manches Andere daran anzuknüpfen. Die Aufmerksamkeit des Anfängers
wird dadurch in noch vermehrtem Grade getheilt und zerstreut. Das ist
dann vollends übel, wenn der Zusatz einen subtileren Fall betrifft, wie z. B.
die Anwendung oder Nichtanwendung des unbestimmten Artikels nach essere
(suo fratello e medico, e im medico valente, S. 14). Die Angabe, dass es
darauf ankomme, ob das Hauptwort „allein stehe" oder „ein Beiwort bei
sich habe," ist nicht durchgreifend, denn sonst dürfte man weder „Austerlitz
e un vilaggio" noch mit Boccaccio „il giudeo, il quäle verainente era savio
uomo" sagen. Der Schüler wird sich damit ein unrichtiges Urtheil einprägen.
Es ist immer misslich, da, wo es auf eine Gedankenbestimmung ankommt, ein
bloss äusserliehes Merkmal anzugeben, wie Herr Mussana nur allzu oft thut.
Wenn sich ein Fall nicht bis zu derjenigen Einfachheit und Klarheit bringen
lässt, welche der Einsicht des Anfängers gemäss ist: so lasse man ihn beim
ersten Unterricht lieber ganz weg und behalte ihn einem späteren vor.
Der erste Eindruck ist hartnäckig und in der Folge schwer zu tilgen und
zu berichtigen. Weil ferner solche Zusätze eben nur als „Zusätze," als ge-
legentliche und beiläufige Hinzufügungen behandelt werden, die ihren Gegen-
stand nirgend zu einer vollständigen und allseitigen Erörterung bringen: so
fallen sie nur allzu leicht mehr oder weniger einseitig und ungenau aus, was
einen neuen Uebelstand abgiebt. So heisst es z. B. S. 1 1 : „Die zueignenden
Fürwörter (Beiwörter ist offenbar ein Druckfehler) haben immer (?) den
Artikel vor sich, il mio libro; ausgenommen ist nur (?) der Fall, wenn ein
Verwandtschaftsname in der Einzahl ohne Beiwort darauf folgt, mio fratello."
Man sagt doch auch: questo libro 6 mio, egli puö diventare tuo nemico, in
casa sua u. dgl. Fben so wird S. 116 gelehrt, das Relativum welcher werde
im Nom. mit che, im Acc. mit che oder (deutlicher) cui, „nach Vorwörtern
immer (?) mit cui" übersetzt. Die Verbindungen di ehe, a che, in che, con
che sind doch eben so gebräuchlich und unangefochten, und nur da che und
per che vermeidet man gern, um nicht Verwechslungen mit dacchc und perche
zu veranlassen. Man kann sich nicht genug davor hüten, ein Gesetz allzu
sehr zu verallgemeinern oder es allzu ausschliessend zu fassen, besonders
dem Anfänger gegenüber, der sich dann mit den abenteuerlichsten Vor-
stellungen darauf beruft und damit die Lehrer zu dem Geständnisse, wenig-
stens zu der Einsicht nöthigt , die Sache nicht recht ausgedrückt zu haben.
Auf der andern Seite kann^es Einem, indem man nur so gelegentlich auf
Dies und Jenes zu sprechen kommt, begegnen, dass man gerade das *\\ nö-
tigste vergisst. Die Methode, auch die einfachsten Formen, selbst bloss
orthographische Eigenheiten derselben, durchaus in vollen Sätzen zu zeigen
und zu üben, sollte doch wohl Gelegenheit nehmen, eben auch vom Satze
zu reden. Man sucht vergebens danach. Nirgend ist vom Satze, nirgend
von Subject und Prädicat, den Bestandteilen desselben, die Rede, noch
weniger von. dem Unterschiede zwischen Haupt- und Nebensatz oder von
den Verbindungsweisen der Nutze. Und doch muss allerdings aueh der erste
Unterricht hierauf Rücksicht nehmen. Aber freilich, wie soll maus machen?
Denn eigentlich müsste man damit anfangen. Man meiste zuerst sagen,
dies (z. B. il padre e buono , das Hans ist klein, 8. 1) sei ein Satz, dies
seien seine Bestandteile und so verhalten sie sich zu einander. Dazu aber
450 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
würde gehören, dass der Anfänger mindestens mit den Haupt-, Bei- und
Zeitwörtern — mit den Elementen des Satzes — und deren Formen schon
bekannt sei, und doch sind es gerade diese Elemente, diese Formen, mit
welchen man ihn im Gegentheil eben erst bekannt zu machen vorhat. Man
kommt so in den Fall, umgekehrt und stillschweigend vorauszusetzen, der
Anfänger sei schon mit dem Satze bekannt, und es handle sich nur noch
um die einzelnen Elemente desselben. Man fängt voraussetzungsweise mit
dem an, womit man scbliessen sollte, und findet schliesslich keine Gelegenheit
mehr, ausdrücklich davon zu reden, weil ja schon Alles beiläufig und implieite
dagewesen. Wenn irgend Etwas geeignet ist, die Verkehrtheit dieser Me-
thode anschaulich zu machen, so ist es eben dies.
Was hiernach das Einzelne betrifft: so ragt besonders das Bestreben
hervor, die fremden Ausdrücke, deren sich die Grammatik bedient, durch
deutsche zu ersetzen. Dies Bestreben ist an sich lobenswerth, aber es
hat auch seine Grenzen, die nicht ungestraft überschritten werden. Die Be-
nennungen Hauptwort, Beiwort, Zeitwort, Fürwort, Bindewort, Empfindungs-
wort, Zahlwort sind untadelhaft und anerkannt; statt Vorwort und Neben-
wort, die der Herr Verf. gebraucht, ist Verhältnisswort und Umstandswort
treffender und üblicher. Artikel hat sich bei den Versuchen, die damit ge-
macht worden, als unübersetzbar erwiesen; auch hat Herr Mussafia dies
Wort beibehalten. Die Zeitformen mit Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft
oder gegenwärtige, vergangene, zukünftige Zeit zu benennen, ist für das
Verständniss derselben sehr gefährlich; wem diese Ausdrücke angewohnt
worden, ist einer richtigen Erkenntniss der Zeitformen so lange unfähig,
bis er sie sich gründlich wieder abgewöhnt hat, weil sie ihn beständig ver-
anlassen, den Moment der Handlung (dass sie nämlich eine geschehende,
abgeschlossene oder bevorstehende ist) mit dem Zeiträume zu verwechseln,
dem sie an und für sich angehört und mit welchem die Zeitform Nichts zu
thun hat. Die Ausdrücke Abwandlung, unbestimmte Art, anzeigende Art,
verbindende, gebietende Art, Mittelwort werden erst verständlich, wenn man
sieht, dass Conjugation, Infinitiv, Indicativ, Conjunctiv, Imperativ, Particip
damit gemeint sind. Jene Ausdrücke, obschon sie deutsch sind, lassen das,
was mit den alten gemeint ist, nicht unmittelbar erkennen; sie bedürfen der
Erklärung so gut wie diese und stören durch die Nebenbeziehungen, die der
heutigen Sprache beiwohnen. Geradezu abenteuerlich ist der meines Wissens
von Fornasari aufgebrachte Ausdruck Endung stntt des allgemein bekannten
und gebrauchten Fall (Casus); jener Ausdruck ist um so wunderlicher, als
das, was er eigentlich bezeichnet, im Italienischen gar nicht vorhanden ist.
Anderes dieser Art lässt vermuthen , dass Herr Mussafia kein Deutscher ist,
und verdient deshalb Entschuldigung. Er übersetzt z. B. das franz. son
mouille mit „Wasserlaut" (S. 2), parole piane und tronche mit „ebene und
zugestutzte" Wörter (S. 3), wie er sich denn andrerseits z. B. so ausdrückt:
Männliche Wörter auf c etc. gehen (im Plur.) auf i (S. 7), statt enden
auf i, oder: das weibliche Geschlecht übergeht in das männliche (S. 28),
statt geht in das männliche über. Dergleichen soll hier, wie gesagt, nur er-
wähnt, nicht gerügt werden.
Ausserdem mögen folgende Einzelheiten hier noch Erwähnung finden.
S. 4. „Zwei Selbstlaute in einer Sylbe bilden einen Doppellaut. Ihre
Aussprache bietet nichts Bemerkens wertlies." Bemerkenswert!) ist doch wohl,
wenigstens für deutsche Schüler, dass die einen Doppellaut bildenden Vocale
im Italienischen stets getrennt zu sprechen, nicht nach deutscher (auch nicht
nach französischer Weise) zu einem einfachen oder gemeinsamen Laute zu-
sammenzuziehen' seien. WTas heisst übrigens: zwei Selbstlaute in einer
Sylbe? Wenn sie wirklich Selbstlaute sind: so stehen ihrer zwei niemals in
einer Sylbe, sondern jeder von ihnen begründet eine besondere. Es wären
also die Bedingungen anzugeben, unter welchen zwei Vocale zu einer diph-
thongischen Einheit zusammentreten. Seltsamer Weise befindet sich die
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 451
italienische (überhaupt romanische) Grammatik, der antiken gegenüber, bis
auf den heutigen Tag über diesen Punkt in einer Art von Erblosigkeit, die
auch Herr Mussafia theilt, wie ich aus seiner mir gleichzeitig vorliegenden,
übrigens vortrefflichen und gründlichen Recension der ital. Grammatik von
Wiggers ersehe. Es sei mir erlaubt, deshalb auf mein so eben in zweiter
Auflage erschienenes Lehr- und Uebungsbuch der italienischen Sprache
hinzuweisen.
S. 5. „Mehr als zwei Consonanten können in der Regel nicht auf ein-
ander folgen, wobei zu bemerken ist, dass 1 und r nach einem Consonanten
nicht als solche gezahlt werden." Dies Letztere ist unverständlich. Die
gegebenen Beispiele Costantino etc. gehören nicht hierzu. Man kann nur
an acclamare, apprendere und Aehnliches denken; darin aber sollen 1 und r
nicht als Consonanten gelten? — Ausserdem wird hier die Note hinzugefügt:
„Wenn von zwei Wörtern, die auf einander folgen, das erste mit einem Mit-
laute endigt und das zweite mit zwei solchen anfangt, so wird am
Anfange des zweiten "Wortes ein i hinzugefügt: non iscrivo, per istrada "
Auch non icredo, per icriticare? Es soll heissen: wenn das zweite mit un-
reinem s anfangt. — Ebendaselbst befindet sich die Note, dass die Elision
(quesf uomo) nur dann Statt finde, „wenn die zwei Wörter in einem innigen
syntaktischen Verhältnisse zu einander stehen." Das ist richtig, hätte aber
auch auf die unmittelbar vorher besprochene Apokope (buon padre) aus-
gedehnt werden sollen.
S. 6. „Die Namen männlicher Personen oder Thiere sind männlich, die
Namen weiblicher Personen oder Thiere sind weiblich." Wie verhält es
sich demnach mit la volpe (Fuchs), la tigre (Tiger), la colomba (Taube)
u. s. f.? Oder wenn Jemand z. B. eine Stute besässe, dürfte er dann nicht
von seinem cavallo reden?
Ebend. „Der Ausgang e ist beiden Geschlechtern gemeinschaftlich, und
den Unterschied lehrt bloss (?) die Uebung erkennen," doch bloss für den
Anfänger, der sieh allerdings vorläufig darauf beschränken mag.
S. 8. „Non wird stets (?) vor das Zeitwort gesetzt." Nur gewöhnlich
oder in den meisten Fällen, ma non sempre.
S. 20. „Die Hauptwörter auf io mit unbetontem i haben in der Mehr-
zahl i." Man pflegt studj u. dgl. zu schreiben, auch studii; studi scheint
eine gewagte und wenig empfehlenswerthe Neuerung.
S. 24. Warum zählt der Herr Verf. „da" nicht mit zu den Casuszeichen?
Von Casus-Formen lässt sich im Italienischen allerdings nicht reden, aber
die Casus- Verhält nisse sind doch vorhanden, und unter diesen das durch
da bezeichnete Ablativ- Verhältniss so gut wie das durch di und a bezeichnete
des Genitiv und Dativ.
S. 46. „Man sieht, dass viele Zeitwörter auf dere ein unregelmässiges
Mittelwort auf so haben (ridere, riso), und dass, wenn sich vor dem d der
unbestimmten Art ein n findet (difendere), dieses vor dem s des Mittelwortes
(difeso) wegfällt." Die.<-e Ungenauigkeit ist dahin zu berichtigen, dass vor
dem s der Participial- Endung so (auch vor dem der Perfeet- oder besser
Aorist -Endungen si , se, sero) der Charakter d, und wenn diesem ein D
vorangeht, gleichzeitig auch dieses wegfalle. Ueberhaui>t ist hierbei die von
dem Herrn Verf. beiolgte Bezeichnungsweise der Infinitive auf dere, gere,
rire u. s. f. zu rügen. Die Infinitiv- Endungen sind einfach are, ere, irr, und
wenn der Anfänger doch, wie nicht anders sein kann, genöthigt wird, auf
den diesen Endungen vorangehenden Consonanten (den Charakter des Zeit-
wortes) zu achten: so kann er auch dazu angehalten werden, ihn ausdrücklich
davon zu unterscheiden. Er gewinnt hieran den grossen Vortlieil, deutlich
den Punkt zu erkennen, an welchem die Unregelmässigkeit haftet oder von
welchem sie bedingt wird.
S. 55. „Die (?) Nebenwörter werden vom weiblichen Geschlechte der
Beiwörter gebildet, indem man diesem die Endung mente anhängt." ^Soll
452 Beurtbeilungen und kurze Anzeigen.
heissen: Beiwörter werden in Nebenwörter umgewandelt, indem man der
weiblichen Form derselben die Endung (eigentlich das Wort) mente anhängt.
Denn ove, onde, oggi etc. sind auch Nebenwörter. — Das ebendaselbst an-
geführte parimenti statt parimente ist nicht nachahmenswerth ; nur altrimenti
(st. altrimente) ist allgemein gebräuchlich.
S. 61. „Die Zeitwörter der 2. Abwandlung, welche das e in der vor-
letzten Sylbe der unbestimmten Art betont haben, werfen in der künftigen
Zeit dieses betonte (!) e weg." Dies thun nur diejenigen, welche einen Halb-
vocal (ausser m) und einige von denen, welche ein v, p oder ein d, t zum
Charakter haben, insbesondere also dolere, valere, volere, rimanere, tenerej
parere nebst avere, dovere, sapere, vedere, potere. Nicht aber thun es
temere, persuadere, giacere, piacere, tacere; nicht durchaus
cadere, calere, selten und nicht nachahmenswerth sedere, godere,
natürlich auch nicht bere. Herr Mussafia hält aber an seiner Behauptung
so strenge, dass er sich S. 77 mit den Worten darauf beruft: „In der künf-
tigen Zeit muss (!) das e (von volere, potere, dovere), weil (!) es in der
unbestimmten Art betont ist, wegfallen ;" er wiederholt dies Weil auch
S. 110 (bei sapere) und kommt auch S. 126 darauf zurück. Man staunt mit
Recht darüber, dass gerade die Betonung eines Vocals die Ursache seiner
Wegwerfung sein solle. So lange ein Vocal den Accent des Wortes
trägt, kann er in keinem Falle weggeworfen werden. Dies ist erst dann
möglich, wenn er den Accent an einen andern Vocal abgegeben hat und für
sich tonlos geworden ist. Hierin liegt der Grund jener synkopirten Futur-
lormen. Nicht das betonte e des Infinitivs, sondern das im Fut. tonlos
gewordene ist da verschwunden, und zwar wird sein Verschwinden gerade
durch die Halbvocale, in denen es verstohlen fortklingt, und durch das
gleichfalls intonationsfähige v motivirt, wogegen nach d, t, p die Ausstossung
des e schon mit Härte verbunden und darum nur bei wenigen Verben zu
allgemeiner Geltung gekommen, nach c aber geradezu unmöglich ist.
S. 83. „Bei Nr. 12 wurde gesagt, dass egli, ella, eglino. elleno sich nur
auf Personen beziehen; eben so werden lui, lei, loro nur von Personen ge-
braucht" — soll heissen vorzugsweise; die Beziehung auf Sachen kommt
häufig vor und lässt sich nicht verbieten. „Statt dieser Fürwörter wird esso,
a, Plur. essi, e gesetzt, das nach Vorwörtern unverändert bleibt — di esso,
a; di essi, e." Hierin steckt wohl ein unglückliches Versehen. Erstlich hat
Herr Verf. wohl sagen wollen: „Statt dieser Fürwörter wird esso, essa etc.
gesetzt, wenn von Sachen die Rede ist," wobei freilich dieselbe Be-
schränkung zu wiederholen wäre, dass dies nur vorzugsweise geschehe:
denn auch auf Personen findet sich esso so gut bezogen wie egli etc. auf
Sachen. Zweitens hat es wohl heissen sollen: „das vor persönlichen
Fürwörtern unverändert bleibt," denn allerdings sagt man esso lui, esso
lei, esso loro.
S. 101 flg. ist der Unterschied zwischen che und di (als) nach dem
Comparative nicht ausreichend oder eigentlich gar nicht bestimmt.
S. 104. „Die dritte Vergleichungsstufe wird dadurch gebildet, dass man
der zweiten den bestimmenden Artikel vorsetzt." Das hätte Herr Mussafia
seinen Vorgängern nicht nachsprechen sollen. II piü prudente heisst nur der
Klügere, worunter jedoch nach italienischer Auffassung nicht nur der ver-
standen wird, der klüger ist als ein Andrer, sondern auch der klüger ist als
jeder Andre. Im Deutschen kann für die letztere Beziehung die Form
der Klügste eintreten; dies ist ein wirklicher Superlativ, aber nicht ver-
möge des Artikels, womit er sich zufällig verbindet, sondern vermöge der
(häufig zu blossem st abgekürzten) Endung est, (klügester, klügster). Die
solchem Superlativ entsprechende Form fehlt dem Italienischen; denn die
Form auf issimo (prudentissimo) bedeutet nur: sehr klug. — Was Herr M.
auf S. 108 und 109 weiter über diesen Gegenstand sagt, namentlich dass
„bei Relativsätzen (auch in andern) die zweite Vergleicbungsstufe der Ad-
Beurtheilungen und kurze Anzeigen. 453
verbien (auch der Adjective) mit der Bedeutung der dritten gebraucht"
werde, hätte ihn bei ernsterer Verfolgung auf den rechten Weg führen
können.
S. 127. „Die zwei oben angeführten Zeiten (Conditionalis und Conjunctiv-
Imperfect) sind ihrem Ursprünge nach gleich (?), indem das Condizionale
nur eine spätere (umschreibende) Form der vergangenen Zeit der verbindenden
Art ist." Letztere Zeitform, das Conj.-Imperfect ^amassi etc.) ist aus dem
lat. Plusquamperfectum Conjunctivi (amassem etc.), der Conditionalis dagegen
aus dem Infinitive mit afligirtem Aorist von avere (wie das Futurum aus dem
Inf. mit afiigirtem Fräs. v. avere) gebildet. Beide haben somit ganz ver-
schiedenen Ursprung.
S. j 33. „Im Deutsehen wird das Bindewort dass häufig weggelassen;
im Ital. darf dies nie (?) Statt finden. Es ist allerdings erlaubt, wenn auch
seltner als im Deutschen von dieser Erlaubniss Gebrauch gemacht wird.
Doch ich will dies Register nicht weiter fortsetzen, um für die er-
freulichere Bemerkung Raum zu erübrigen, dass sich Herr Mussafia durch
manche andre Bestimmungen sehr vortheilhaft vor seinen Vorgängern aus-
zeichnet. Dahin gehört z. B., dass er fare und dire nicht zur 1. und J3.,
sondern zur 2. Conjugation rechnet; dass er bevo acqua und bevo dell'acqua
(S. 53) nach qualitativer und quantitativer Beziehung des Inhaltes unter-
scheidet; dass er für den Conditionalis (S. 127) stets eine bedingende Vor-
aussetzung annimmt, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzt oder anders als
durch einen Satz ausgedrückt ist; dass er dem Gerundium (S. 144) ausser
der temporalen auch eine causale und conditionale (er hätte hinzusetzen
können auch eine instrumentale und concessive) Bedeutung vindicirt etc. etc.
Namentlich legt seine schon erwähnte gründliche und gediegene Recension
der ital. Grammatik der Gebrüder Wiggers ein acbtungswerthes Zeugniss
von seiner treß'üchen und selbst gelehrten Kenntniss der ital. Sprache ab,
die sich bei etwas grösserer Sorgfalt und bei veränderter Methode selbst
für den „ersten Unterricht" künftig gewiss noch besser wird verwerthen
lassen als bei dem gegenwärtigen „ersten Versuche" (Herr M. bezeichnet
ihn selbst als solchen) gelungen ist.
Zum Schluss ist zu bemerken, dass von S. 193 an unter der Bezeichnung
„Esercizi di lettura e dt traduzione" ein Lesebuch hinzugefügt ist, welches
kleine Erzählungen, Sprichwörter und Sentenzen, Fabeln, Legenden, Briefe
und zwei Biographien enthält. Zuletzt folgt ein Yerzeichniss der unregel-
mässigen Zeitwörter, doch mit Ausschluss derjenigen, welche nur im „Definito
und im vergangenen Mittelworte" abweichen; diese sollen in dem „allgemeinen
Wörterverzeichnisse" nachgesehen werden, das sich, in Bezug auf die deut-
schen Uebungssätze, am Ende des Buches befindet und worin die bezüglichen
Seitenzahlen angegeben sind. Da dies Wörterverzeichniss jedoch deutsch-
italienisch ist: so wird der Anfänger wohl in einiger Verlegenheit sein, wo
er z. B. assolvere oder strignere suchen soll, wenn er nicht weiss, unter
welcher deutschen Bedeutung es dort aufgeführt ist.
Prof. Dr. Staedler.
Lehr- und Uebungsbuch der Italienischen Sprache, zum Schul-,
Privat- und Selbstunterrichte, von Dr. Gustav Leopold
Staedler, Professor. Berlin, Haude- und Spener'sche Buch-
handlung (F. Weidling). 1800. II. AuHage.
Dies ist die zweite Auflage eines Buches, dessen Zweckmässigkeit und
Gediegenheit sich bereits bewahrt hat. Nichtsdestoweniger können wir nicht
umhin, alle Freunde der Italienischen Sprache auf diese zweite Autlage des-
454 Beurtheilungen und kurze Anzeigen.
selben aufmerksam zu machen, bei deren Bearbeitung der Verfasser den
SprachstofF zunächst nicht nur vollständiger dargelegt und eingehender be-
handelt, sondern auch, zur Erläuterung der Wort- und Flexionsformen das
Lateinische, das man bei Erlernung der romanischen Sprachen nicht ganz
ignoriren kann, mit in den Gesichtskreis gezogen; bei den unregelmässigen
Zeitwörtern hat er die Bedingungen scharf hervorgehoben , auf welchen die
Unregelmässigkeiten beruhen, der Syntax aber eine ganz besondere Auf-
merksamkeit zugewandt, namentlich da, wo es sich um Eigentümlichkeit
italienischer Auffassungs- und Ausdrucksweise handelt, wie z. B. bei dem
substantivischen Infinitive, dem Comparative, dem Gerundium und der Par-
ticipial - Construktion. — Dadurch ferner, dass er den praktischen Theil
dazu benutzte, nicht nur der Grammatik überhaupt neue und treffende Bei-
spiele zuzuführen, sondern nach Seiten- und Zeilenzahl auch die Stellen zu-
gänglich zu machen, wo dieselben in ihrem jedesmaligen Zusammenhange
nachgesehen und geprüft werden können, hat er die Lernenden in den Stand
gesetzt, sich von dem eigentlichen Sinne des Beispiels und von dem Falle,
den es darstellt, ein sicheres Urtheil und individuelles Verständniss zu bilden;
er hat aber hierdurch auch Grammatik und Lesebuch in ein engeres Ver-
hältniss gebracht, ein Verfahren, das nur gerühmt werden kann.
Es ist dieser zweiten Auflage ferner ein mit Rücksicht für das Lesebuch
zusammengestelltes ital. -deutsches Wörterbuch beigefügt worden, welches
von grosser Genauigkeit und Sachkenntniss zeugt.
Der Verfasser hat sich der Einführung aller blossen Redensarten und
sonstigen Gedächtnissstoffes sorgfältigst enthalten, da es ihm mehr darum
zu thun war, dem Lernenden zu einer eindringlichen, dem gegenwärtigen
Stande der neueren Sprachwissenschaft entsprechenden Erkenntniss der
Sprache, als zu einem nur äusserlichen Anlernen derselben zu verhelfen.
Das Buch zeichnet sich zugleich durch Correktheit und Schönheit der Aus-
stattung aus und verdient die wärmste Empfehlung.
Prof. A. Boltz.
M i s c e 1 1 e n.
Themata aus Vossens Idylle: „Der siebzigste Geburtstag."*)
Der Sohn des Schulmeisters.
Zacharias war der einzige Sohn, mit welchem die Mutter ihren geliebten
Gatten, den Schulmeister Tamm in dem Dorl'e Stolp, wahrend ihrer langen
Ehe beschenkte. Der biblische Name, welchen der Knabe in der heiligen
Taufe empfing, war gewissermassen eine Vorbedeutung des frommen Berufs,
zu dessen Verwaltung Zacharias von der Vorsehung bestimmt war. Aber
der Sohn zeigte auch selbst schon frühzeitig eine entschiedene Neigung zu
dem geistlichen Stande. Denn wenn er mit ernsthafter Haltung von dem
Schemel herab predigte, schien er trotz des zarten Alters, in welchem der
Knabe stand, im Innern zu fühlen, dass er zum Predigtamte berufen sei.
Mit "Wohlgefallen bemerkten die Eltern dies Treiben, denn nach Art solcher
Dorfschulmeisterfamilien konnten sie sich keine grössere Freude denken,
als wenn sie einstmals ihren lieben Zacharias im priesterliche.n Amtsrock
erblicken könnten. Doch wagten sie nicht eher mit der Wahl der theolo-
gischen Laufbahn für ihren Sohn hervorzutreten, als bis der Pfarrer des
Orts , welcher dem Gebahren des Knaben ebenfalls mit Verwunderung
zugesehen hatte, die feste Ueberzeugung aussprach, dass der Junge einmal
ein rüstiges Werkzeug der Kirche werden würde. Freilich verhehlten sich
die Eltern die Kostspieligkeit der langen Ausbildung des Sohnes nicht. Aber
der Vater, welcher ein unerschütterliches Vertrauen auf den Beistand des
allmächtigen Gottes besass, schickte den Knaben getrost in die Stadt auf
die lateinische Schule. Hier nun wurde es zwar dem Gymnasiasten Tamm
schwer, sich durchzuschlagen, aber wenn ihm auch die Nahrung knapp genug
zugemessen war und die Kleidung armselig aussah, so machte er doch durch
Fleiss und gutes Betragen seinen Eltern und Lehrern grosse Freude und
solche Fortschritte, dass er bald mit den besten Zeugnissen versehen von der
Schule entlassen werden konnte. Wahrend der Schulzeit hatte er Gelegen-
heit, eine Eigenschaft zu zeigen, welche als der hervorragendste Zug in
seinem Charakter zu betrachten ist: die Beharrlichkeit, vermöge deren er
das vorgesteckte Ziel nicht aus den Augen liess, sondern fest und unyer-
rückt verfolgte. Jetzt bezog der hoffnungsvolle Jüngling die Universität,
auf welcher er wieder dem Studium mit Eifer oblag und sich durch seine
ernste Haltung die Liebe und Achtung der Professoren erwarb. So konnte
ihm Jeder, der den wackern Studenten kannte, die gewisse Aussicht stellen,
dass er sehr bald mit einem Pfarramte betraut werden würde. Und so ge-
*) Vgl.: „Die höhere Bürgerschule" Jahrgang 1857. S. 158 — 1C1.
Der Schulmeister.
45C Miscellen.
schab es: denn als er das theologische Examen bestanden hatte, wurde der
Caudidat in dem Dorfe Herlitz durch einstimmige Wahl der Gemeinde zum
Pfarrer berufen. Jetzt nun war auch die Zeit gekommen , wo er an einen
eigenen Heerd denken konnte. Er heirathete also die wirtschaftliche Tochter
des seligen Pfarrers, welcher sein Vorgänger im Amte gewesen war, und
begründete sich so ein dauerndes Familienglück. Aber der liebende Sohn
vergass die alten Eltern nicht, und besonders jetzt zeigte sich eine will-
kommene Gelegenheit, wo er seine kindliche Liebe recht deutlich an den
Tag legen konnte. Denn der alte Schulmeister wollte seinen siebzigsten
Geburtstag feiern. Da beeilte sich denn Zacharias, zur Verherrlichung dieser
Feier seinem Vater schon vorher mit der Fracht edlen Taback und stär-
kende Weine zu senden, indem er durch diese Geschenke, welche den Nei-
gungen des alten Tamm entsprechen, seinen Vater zu überraschen gedachte.
Doch noch eine grössere Freude wollte er ihm bereiten, er versprach nämlich
in dem Briefe, mit welchem er die Geschenke begleitete, dass er mit seiner
freundlichen Gattin, wenn nicht Hohlwege und verschneiete Gründe die
Durchfahrt hemmten, sicherlich kommen würde, um das Fest mit dem Vater
zu feiern und von ihm und der würdigen Mutter den Segen zu seiner ge-
schlossenen Verbindung zu empfangen. Denn dem Hochzeitsfeste hatten die
bejahrten Leute, weil sie nicht mehr rüstig genug waren zu einer so weiten
Reise, nicht beiwohnen können. Wie gerührt waren die alten Eltern, als
sie diesen neuen Beweis der kindlichen Liebe ihres Sohnes erfuhren! Daher
kann man sich nicht wundern, dass sie am Geburtstagsfeste beim Mittags-
mahl mit einem gewissen Stolze die Gesundheit ihres Sohnes ausbrachten,
welcher, des wirbelnden Schneegestöbers und des stürmenden Ostwinds nicht
achtend, noch vor Tagesanbruch sich auf den weiten Weg gemacht hatte.
Es dauerte nun nicht lange mehr, so kam Zacharias mit seiner Gattin auch
wirklich in einem Schlitten angefahren, welcher vom Berge in das Dorf
herabklingelte und dann in den Hofraum einlenkte, wo die Wohnung des
Schulmeisters stand. Der junge Pfarrer lebte in leidlichen Verhältnissen,
was man daraus ersehen kann, dass er ausser einem solchen Fahrzeug mu-
thige Rosse mit blankem Geschirr besass. Doch wir sind begieriger zu er-
fahren, wie sich der Sohn bei der Ankunft benahm. Der Schlitten war noch
nicht ganz an der Thür angelangt, als der junge Mann schon den Verdeck-
stuhl halb öffnete, weil er ungeduldig war, zu den alten Eltern zu gelangen.
Als er nun die Mutter vor der Hausthür ihnen gegenüber stehen sah, wollte
er es nicht dulden, damit sie sich nicht bei dem scharfen Winde eine Er-
kältung zuzöge. Dann entsprang er, sobald die dampfenden Renner schnau-
bend anhielten, in rüstiger Jugendkraft rasch dem fechlitten, dessen Sorge
jetzt dem Gesinde überlassen wurde. Nun ward er von der Mutter an der
linken Hand eilig in das Haus gezogen, während seine Gattin an der rechten
Seite ging. Es war dem liebenden Sohne gleich aullällend , dass sich der
alte Vater noch nicht sehen liess; er fragte daher mit besonderer Ange-
legentlichkeit nach seinem Befinden. Doch wurde er darüber sehr bald be-
ruhigt von der Mutter, welche nunmehr, nachdem sie ihre Kinder zum Ab-
legen der beschneiten Wintervermummung in das heute von der lernenden
Jugend nicht besuchte Schulzimmer geführt hatte , ihren Sohn mit Freuden
ans Herz drückte und ihm die innigsten Segenswünsche darbrachte. Welche
Freude hatte er seiner Mutter durch den Besuch gemacht! Denn es gab
für sie keine grössere Wonne, als ihren Zacharias im Amtsrock zu erblicken
und ihn mit einer wackeren Frau vermählt zu sehen. Auch zeigte sich deut-
lich, dass die junge Frau ihren Gatten von Herzen liebte, denn sie dankte
der Mutter noch besonders dafür, dass sie so einen trefflichen Sohn geboren
und erzogen hatte. Aber auch Zacharias war stolz auf sein Weib, welche
ihm in ihrer schlanken Zartheit mit Leib und Seele vom edelsten Kerne
der Vorwelt zu sein schien. Wie er ihr unbedingtes Vertrauen schenkte,
so konnte er sie auch ihrer Schwiegermutter vorstellen mit den Worten:
Miscellen. 457
..Mütterchen, nehmt sie auf Glauben!" Bei dieser Gelegenheit zeigte er,
dass er nicht etwa die feierliche Amtsmiene auch in den Familienverkehr
übertrug, sondern dass er auch einen schalkhaften Scherz zu machon ver-
stand, indem er die Befürchtung aussprach, dass seine Gattin vielleicht der
Mutter das Herz des Vaters abschwatzen könnte. Doch jetzt ging man in
das Wohnzimmer, wo die junge Pfarrersfrau der Verabredung gemäss ihren
Schwiegervater mit einem Kusse aus dem Schlaf erweckte. Zacharias aber
war von seiner Frau an der Hand hineingeführt und schloss nun gerührt
seinen geliebten Vater in die Arme. —
Der Ort der Handlung.
Um den weiteren Schauplatz zu erkennen, auf welchem sich die Re-
gebenheit in dem gelungensten Idyll Vossens bewegt, muss man sich an die
Sitten oder auch bloss an gewisse Ausdrücke des Gedichtes halten, welche
deutlich die niederdeutsche Heimath des Dichters , also eine nördliche
Provinz unseres grossen deutschen Vaterlandes verrathen.
Lassen wir unsere Phantasie walten, so erblicken wir, auf einem Berge
innerhalb dieser Landschaft stehend, unter uns in einem fruchtbaren Thale
das Dorf Stolp, welches mit seinen stattlichen Häusern einen wohlhabenden
Eindruck macht. Lässt man das Auge bis an den tieferen Hintergrund
schweifen, so gewahrt man ein Gewässer mit Fischkasten. Im Dorfe selbst,
das wir jetzt betreten, fällt uns das ansehnliche Rittergut in die Augen;
aber wenn sich auch mit ihm das Patronatsrecht über Kirche und Schule
verknüpfen mag, so dürfen wir doch den gesegneten Ort für ein Freidorf
halten, welches dem Herrenhause keine Frohndienste zu leisten oder Ab-
gaben zu zahlen braucht. Im Weitergehen sehen wir das Gotteshaus mit
hervorragendem Glockenthurm. Sollte der Ort wohl ein blosses Kirchdorf
sein ? Doch halt ! Hier steht ja das Pfarrhaus, in welchem der für das
Seelenheil der Freisassen sorgende Ortsgeistliche wohnt.
Nicht weit von dem Hause des Landpredigers ist die Wohnung des
Dorfschulmeisters, welche wir heute, wo er den siebzigsten Geburtstag feiert
in näheren Augenschein nehmen wollen. Man gelangt zu ihr durch eine
Hofthür, neben welcher sich ein Thor befindet, dessen breite Flügel heute
zur festlichen Einfahrt des Merlitzer Pfarrschlittens geöffnet werden. Wir
können nunmehr den ganzen Hofraum mit den angränzenden Gebäulichkeiten
bequem überschauen, wobei sich uns die wohlthuende Bemerkung aufdrängt,
dass für alle Bedürfnisse des schulmeisterlichen Hausstandes ausreichend
gesorgt ist. In der Mitte des Hofes ragt ein Taubenhaus empor, dessen
buntgefiederte Rewohner der Familie besonders im Sommer einen malerischen
Anblick, aber auch oft willkommene Speise gewähren müssen. Von hier
aus kann man. wenn man den Schlag mit Hülfe einer Leiter ersteigt, jedes
Gefähr, welches vom Rerge herabkommt, mit scharfem Auge erspähen.
Das Taubenhaus umgibt in angemessener Entfernung ein Kranz von Ge-
bäuden und Räumen. Dahin gehört eine Scheune, wo der rüstige Knecht
Thoms gerade Häckerling schneidet, mit einem Thor zur Einfahrt für die
Getreide- und Heuwagen, da mit der Schulstelle, der Niessbrauch von Fel-
dern und Wiesen verbunden ist. Weiter unten sieht man den Garten,
welcher das Hauswesen mit dem nöthigen Obst und Gemüse versotgt. An
ihm befindet sich das Backhaus, aus welchem uns die Wärme von dem
frischen Gebäck des fesfliehen Brotes anweht. Auch in den Viehstall weilen
wir einen Blick, wo wir den Stolz Mariens, der geschäftigen Magd, die glän-
zenden wohlgenährten Kühe und Kälber bewundern, aus denen die wntli-
liche Hausfrau manchen willkommenen Gewinn zieht.
Doch treten wir jetzt in das Schulgebäude seil. st ein. da ohnehin «bis
Schneegestöber draussen zur Flucht in das gastliche Haus mahnt. Die Ein-
richtung der Amtswohnung ist bald erkannt. Wir treten von dem Estrich
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII. 30
458 Miscellen.
der Hausilur zunächst in das Schulzimmer, welches zwar an dem heutigen
Feste die lernbegierige Jugend des Dorfes nicht einschliesst, aber durch
Tische und Stühle, Schreibzeuge, bezifferte Tafeln und Pflöcke seine Be-
stimmung deutlich verräth und diesmal noch besonders im Schmucke einer
grundlichen Säuberung prangt. Ein rummelndes Geräusch wie von einer
Winde lockt uns, einen Blick in ein anderes Zimmer zu thun, welches wir
sogleich als die Gesindestube und den Schauplatz der spulenden Thätigkeit
Mariens erkennen. Hieran schliesst sich die Küche mit einem steinernen
Heerde, von welchem der Rauch des Feuers unmittelbar in den Schornstein
aufsteigt. An dem Schornstein läuft ein russichtes Gesims hin. denn man
braucht in der Nähe des Heerdes einen erhöhten Raum, um allerlei Dinge
wegzustellen oder wegzulegen, wie wir denn hier auf ihm die Kaffeemühle,
das Beil und den maschigen Karpfenbeutel bemerken. Auch sieht man neben
dem Heerde in der Wand eine mächtige durch eine Eisenthür verschliess-
bare Oeffnung, in welcher von Neuem l-euer angemacht ist, um die Wohn-
stube, deren Öfen in die Küche mündet, tüchtig zu heizen.
Wir verlassen nunmehr die Küche, um endlich, die Hand auf den Drücker
legend, unsere Neugier auf das Zimmer der Hausfrau zu befriedigen, wo
das greise Ehepaar von den Geschäften der Schule auszuruhen pflegt. Wir
müssen aber darauf verzichten, Alles auf einmal übersehen zu können, denn
gar Manches vereinigt sich hier auf einem Sammelplätze, was sonst in wohl-
habenden Bürgerhäusern auf verschiedene Räume vertheilt wird.
Wir wollen deshalb jedes Einzelne verweilend betrachten. Da fällt uns
zuvörderst der Stubenthür gerade gegenüber eine andere Thür in's Auge,
welche wohl den Eingang zum Schlafzimmer der alten Leute bildet. Richtig:
denn wir brauchen nur die Gardinen, mit welchen die in der Mitte der Thür
eingesetzten Glasscheiben verhängt sind, ein wenig emporzuheben, um so-
gleich den Alkov zu erkennen, dessen einziges Wandfenster jetzt gerade
offen steht, um die frische Luft in das Gemach dringen zu lassen.
Zur Seite des Schlafzimmers an einer von den Wänden bemerken wir
mit besonderem Wohlgefallen ein grünes , durch einen bebilderten Deckel
ausgezeichnetes und unten noch mit einem Pedal versehenes Ciavier, welches
uns ein günstiges Vorurtheil für den alten Schulmeister erweckt, da er
gewiss manche Mussestunde der holden Tonkunst weiht und sich durch
das Spielen auf dem Instrumente einen der edelsten Genüsse bereitet. Bei-
nahe hätten wir in dieser befriedigenden Wahrnehmung übersehen, dass
auf dem Pulte des Claviers noch ein offnes Choralbuch liegt: der fromme
Greis wird also wohl schon am Morgen des Festes aus innigem Dankgefühl
gegen Gott eins von den alten kräftigen Kirchenliedern angestimmt haben!
An der andern Seite des Alkovs ragt, die ganze Breite der Wand ein-
nehmend, ein mächtiger eichener Schrank empor, der wegen seines altmo-
dischen Aussehens wohl ein vor langen Jahren zum Brautschatz gekauftes
Möbel sein mag. Es gewährt ein besonderes Vergnügen, so ein altfrän-
kisches Prachtstück mit seinen geflügelten Köpfen und Schnörkeln, schrau-
benförmigen Füssen und messingenen Schlüsselschilden näher zu betrachten.
Oben stehen auf Stufen sogar noch einige ausnehmende Zierden: zwei Gips-
figuren, einen Hund und einen Löwen mit herausgestreckter Zunge dar-
stellend; schöne Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern; irdene Tassen
und Aepfel, sowie zinnerne Theekannen, welche eine gemüthliche Erinnerung
an die erwärmende Kraft des würzigen Getränks unter dem nordischen
Himmel hervorrufen.
Noch einladender sieht der ungefähr in der Mitte des Zimmers ste-
hende, ebenfalls aus unvergänglichem Eichenholze zusammengefugte Klapp-
tisch aus, auf dessen Tritte gerade jetzt auch eine Katze in Erwartung
kommender Gäste behaglich schnurrt, immer von Neuem das Ptötchen sich
leckt und mit dem Putzen ihres Bartes und Nackens beschäftigt ist. Dann auf
Miscellen. 459
dem grossen rothblumigen Teppich, mit welchem die gastliche Tafel stattlich
behangen ist, liegt an der oberen Ecke eine glanzende Tischdecke von fein
gemodeltem Drillich ausgehreitet. Die auf ihr stehenden Kaffeetassen harren
des winterlichen Labetrunks, neben ihnen prankt eine blecherne, heute ein-
mal mit grossklumpigem Zucker gefüllte Dose, deren verführerischer Inhalt
jetzt schon von einigen sumsenden Fliegen umschwärmt wird. Für den
alten Tamm und seine Gäste liegen daneben auch Thonpfeifen, welche theils
mit grünen, theils mit rothen Posen als Spitzen versehen sind, um Arn
Lippen der Raucher den harten Biss zu ersparen, und mit dem auf dem
zinnernen Teller befindlichen edlen Taback gestopft werden sollen.
An der unteren Ecke des Tisches liegt — ein ehrwürdiger Anblick! —
auf einer Postille, in welcher der fromme Alte mit Hülfe der ihm jetzt ent-
glittenen Brille erst gelesen haben muss, das silberhaarige Haupt des seinen
Mittägsschlumjqaer haltenden Schulmeisters niedergebeugt. Neben ihm be-
wundern wir die entfallene Mütze von violettenem lammet, welche, mit
Fuchspelz verbrämt und mit goldener Troddel geschmückt, gewiss als die
Staatskappe zu Ehren des Tages aufgesetzt war. Ueberhaupt scheint sich
Tamm, dessen übriger Kürper in einem Lehnstuhl ruht, heute mit seinem
sonntäglichen Hauskleide herausgeputzt zu haben: wie festlich prangt nicht
der Greis in gestreifter Jacke vun kalmankenein Zeuge! Doch vergessen
wir nicht, den Lehnstuhl selbst in näheren Augenschein zu nehmen! Er ist
in der That umerer Bewunderung würdig, da er sich, nach dem Geschmack
jener Zeit mit Schnitzwerk und braunnarbigem Juchtenleder geziert, als das
zweite stattliche Prachtmöbel des Zimmers darstellt. Auf seinem schwel-
lenden Polster lassen wir den schlafenden Haushe.rn gemüthlich ruhen und
wärmen uns jetzt ein wenig an dem zur Seite des Lehnstuhls aus der Wand
hervortretenden Steinofen, während uns ein hinter demselben grünender
Korb Maililien erfreut. In der Nähe des Ofens bemerken wir auch eine
Wanduhr, deren Dasein uns nicht entgehen konnte, da wir das Tiktak des
Pendels vernehmen. Es fällt aber auf, dass die Schnur des Schlaggewiehts
an den Nagel gehängt ist, was gewiss die Frau Schulmeisterin gethan hat,
damit das klingende Glas und der Kuckuk den Mittagsschlaf des Vaters
nicht störe. Ist durch die Schwarzwälder Uhr der Pünktlichkeit im Ge-
brauche der Zeit, welche eine für einen Schulmeister unerlässliche Tugend
ist, Vorschub geleistet, so fehlt doch auch „des Spiegels kleine Nothdurft"
nicht, welcher zwischen den Fenstern hängt. Wenn die schmucke Greisin
manchen zufriedenen Blick bei dem wichtigen Geschäfte der Ankleidung in
ihn werfen mag, so wird sie doch hierauf gewiss nicht zu viel Zeit verwenden,
denn in der Nähe steht ja ein Spinnrad, um dessen schnurrende Spindel
die emsige Hausfrau, auf dem binsenbefloehtenen Stuhle sitzend, schon
manchen Faden gedreht hat, während sich die Blumenliebhaberin des spa-
nischen Pfeffers und Goldlacks, der knospenden Rosen und Levkojen tun
sonnigen Fenster erfreute. Zuletzt betrachten wir mit Verwunderang ein
oben an den Wänden entlang laufendes Gesims, auf welchem sich sonder-
barerweise eine Unmasse von Gegenständen der Haushaltung belinden. So
fallen neben einigen Thonpfeifen besonders eine stattliche Reihe von zin-
nernen Tellern und Schüsseln in die Augen. Auch hängen an Pflöcken ein
Paar im Geschmacke der Zeit blaugeblümte stettinische Bierkrüge, ein mes-
singener Feuertopf zur Erwärmung der Füsse, ein Mangelholz, eine Waage
und eine zierliche Elle von Nussbaum.
Ueberschauen wir nun die Stube noch einmal im Ganzen, so können wir
ihr mit vollem Rechte das Lob einer recht freundlichen Behausung ertheilen.
Denn nirgend sieht man ein Spinngewebe an den Wänden, oder ein Stauli-
chen auf den Gewächsen ; die Dielen sind heute mit feinerem weissem Sande
bestreut; die blinkenden Zinngeräthe , das schimmernde ('lavier, der mit
glänzendem Wachse gehöhnte Schrank, die weisse Tischdecke machen einen
30*
460 Miscellen.
erheiternden Anblick , und die reinen Gardinen am Fenster und Alkov
vollenden den Eindruck einladender Sauberkeit und Behaglichkeit, welcher
dem ganzen Wohn- und Gastzimmer eigen.
Crefeld. Dr. Niemeyer.
Die Nibelungenstrophe als das epische Maass
der neudeutschen Sprache.
Diess ist der Titel eines dem Jahresberichte von 1857 über die hie-
sige Königsstädtische Realschule beigefügten, von Dr. Dollen, Oberlehrer
dieser Anstalt verfassten Aufsatzes, in welchem aus einander gesetzt wird,
wie die alte Nibelungenstrophe zu verbessern sei, und dass ihr für das
jetzige Bedürfniss mehr Freiheit eingeräumt werden müsse. Er scheint mir
aber die Grenzen zu sehr zu erweitern.
Die alte Nibelungenstrophe besteht aus vier je zwei gereimten Zeilen
mit sechs Hebungen (die vierte oder Schlusszeile darf auch sieben haben),
das heisst, betonten Sylben, deren jede mit einer oder zwei unbetonten Sylben
oder Senkungen begleitet sein, also einen Jambus, einen Anapäst, oder
einen Trochäus, einen Daktylus bilden muss. Das jambische Zeitmaass herrscht
aber vor, z. B. gleich im Anfang der Nibelungen:
Uns ist in alten mären wunders vil geseit
Von neiden lobebären, von grosser arebeit,
wo nur die zweite Hälfte des ersten Verses trochäisch ist. Jede Zeile theilt
sich nämlich in zwei Hälften oder Halbzeilen mit dem Einschnitt nach der
Senkung der dritten Hebung, auch wenn die vierte Zeile sieben Hebungen
hat, so dass also nicht ihre erste, sondern ihre zweite Hälfte um eine He-
bung vermehrt ist, z. B. :
von chuner rechen striten | muget ir nu wunder hören sagen.
Bisweilen steht aber auch eine Hebung, eine einzige lange Sylbe allein ohne
vorhergehende oder nachfolgende Senkung, z. B. in der zweiten Hälfte des
Verses:
Danchwart der vil snelle, von Metzen Ortavin
die Sylbe Ort. Indess geschieht diess nur selten, in der ersten A venture
von 7G Zeilen nur etwa sechsmal, also ausnahmsweise wie der Spondeus in
dem fünften Fusse des homerischen Hexameters.
Der Verbesserer des Nibelungenverses stellt dagegen die Regel auf:
„Ausfallen darf jede Senkung." Hienach dürfte nun die Zeile aus blossen
liebungen bestehen, und so würden die sechs Wörter:
Wald, Baum, Strauch, Ast, Zweig, Blatt —
oder die Zahlwörter:
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs —
einen Nibelungenvers bilden. Solch einen Vers hat denn freilich der Ver-
fasser in den beigegebenen Proben nicht vorzulegen gewagt. Die Nibe-
lungenzeile bedarf, wie gesagt, ausser den Hebungen oder betonten Sylben
auch Senkungen oder unbetonte Sylben, und die wesentlichste derselben ist
die nach der dritten Hebung des ersten Halbverses, so dass dieser mit einem
Trochäus schliesst. Solche Halbverse, drei Hebungen mit einer unbetonten
Sylbe nur nach der dritten hat der Verfasser gebildet, z. B. „Tiefaufath-
Miscellen. 461
mend," und auch einen noch schlimmeren, wahrscheinlich verderbten aus
den Nibelungen beigebracht, nämlich: „Torst ich dir'n," wo sogar die un-
betonte Sylbe nach der dritten Hebung fehlt, und die zweite liebung „ich"
eigentlich gar keine ist; ja, er hat sogar den folgenden ganzen Vers ge-
dichtet :
„Drum diess Opfer, unfruchtbar«
der, die einzige Senkung der zweiten Sylbe des Wortes Opfer ausgenommen,
nur aus Hebungen besteht.
Wenn nun Halbverse und ganze Verse dieser Art zu missbilligen, oder
doch nur als Gerippe zu betrachten sind, so kann ich mich doch nicht gegen
die Aufeinanderfolge von zwei betonten Sylben ohne Dazwischcnkunft einer
unbetonten Sylbe erklären, und billige daher Halbverse wie „mächtig auf-
athmend" oder „die Landgrafen kamen," oder „Gott sprach zu Adam, "
weil sonst viele deutschen Wörter, besonders zusammengesetzte wie „anf-
athmen, Landgrafen, frühmorgens , kleingläubig" im Nibelungenmaass gar
nicht zu brauchen wären. Der Fehler, der dabei stattfindet, dass die unbe-
tonte lange Sylbe, die zweite in den zuletzt angeführten AVörtern, betont,
und die vorhergehende, eigentlich betonte, häufig nicht betont wird, nämlich
in den Zusammensetzungen, ist schon längst herrschend geworden, beson-
ders durch Voss, wenn es z. B. in seiner Uebersetzung der Ilias heisst:
„Gegen ihn rief antwortend der Völkerfürst Agamemnon"
wo man antwortend, statt antwortend lesen muss. Wie hier der Ton von
der ersten auf die zweite Sylbe übergeht, so behält aber in dem vorher an-
geführten Halbverse „mächtig aufathmend, auch die erste Sylbe „auf4*
den Ton, ohne dass ihn die zweite „ath" verliert. Eben so hat der Ilalb-
vers „dicLandgrafen kamen," zwei Hebungen in „Landgrafen," wahrend
eigentlich nur die erste betont, und in gewöhnlicher Aussprache Land-
grafen zu lesen ist. Aber ohne eine solche Behandlung der Längen würde
es unmöglich sein, den Bau mancher griechischeu Verse nachzuahmen,_ oder,
wenn es doch gelänge, z. B. bei den Hexametern, diese sowohl wie die
Nibelungenverse zu einförmig würden.
Hinlängliche Mannichfaltigkeit lassen aber letztere zu, wenn wir die
Grundbedingungen festhalten, wonach der Vers jambisch (anapästisch) oder
trochäisch (spondeisch) anfängt, zwei Hebungen in der Regel durch eine
oder zwei Senkungen getrennt sind, der erste Halbvers durchaus mit einer
Senkung schliesst, die zweite Hälfte der vierten Zeile auch vier Bebungen
haben kann, und nächstdem der männliche Reim, besonders in dm beiden
ersten Zeilen vorherrscht. Ausnahmsweise können auch zwei Hebungen
auf einander folgen, ohne durch eine oder zwei Senkungen getrennt zu sein,
der erste Halbvers daktylisch statt trochäisch schliessen und eben bo der
Reim kindlich sein. Gefahrlich ist es, den Vers mit einer unbetonten langen
Sylbe anzufangen (und dasselbe findet bei der zweiten Hallte statt) weil
diese lange Sylbe leicht betont wird und der Ilalbvcrs dann vier Hebungen
haben würde. Der Halbvers „Wacht auf, mei'nc Freunde" hessc sich da-
her noch billigen, insofern der Leser „wacht" nicht betont. Aber in dein
Halbvers „Laut schnauben die Stürme" würde man mit Recht geneigt sein,
die Sylbe laut zu betonen, und dann vier Hebungen haben. Doch dar!
man wohl mit dem Verfasser sagen: ..Solche Verstärkung ist so lange er-
laubt, als der Vers übersichtlich bleibt.
Wenn ich so die. Grenzen der Nibelungenzeile und Vierzellen, wie aus dem
Gesagten erhellt, nicht zu sehr erweitern möchte, stelle ich zugleich anheim,
ob man nicht diesen Vers noch bestimmteren Gesetzen unterwerfen wolle,
nämlich ohne Ausnahme die ersten beiden Zeilen männlich, die letzten beiden
weiblich oder, nur selten, wie sich von selbst ergibt, bmUlcn rennen und
zugleich die erste Hälfte der beiden letzten männlich, d. h. mit der dritten
462 Miscellen.
Hebung ohne Hinzufügung einer Senkung schliessen. Das wäre allerdings
eine wesentliche, aber Mannichiältigkeit und Wohlklang befördernde, auch
von einigen Dichtern schon versuchte Veränderung z. B. :
Am herrlichen Maienmorgen sitzen wir vereint
Gesund und ohne Kummer, die goldne Sonne scheint,
Der grüne, belaubte Hain, die Berge, Thäler und Auen
O lieblicher Aufenthalt, wie schön sind sie zu schauen!
Die ersten Hälften zu reimen, wie bekanntlich in dem ersten Gebinde
des Nibelungenliedes, ist nicht zu rathen. Der Vers zerfällt dadurch zu
hörbar in zwei Hälften, und erhält ein lyrisches Gepräge, wie wenn die
obigen Zeilen etwa so verändert würden:
Am herrlichen Maien morgen sitzen wir vereint,
Gesund und ohne Sorgen, die goldne Sonne scheint,
Der grüne, laubige Wald, die Berg' und Thäler und Auen,
O lieblicher Aufenthalt, wie schön sind sie zu schauen!
Endlich darf ich wohl auf Zustimmung rechnen, wenn ich als Regel
aufstelle, — eine freilich auf alle Verse anwendbare — dass der Nibelun-
genvers nur auf Eine Weise zu lesen sein müsse. Der von Dr. Dollen ge-
Dildete S. 20:
„Arbeite mutig fürder, du Vielgetreuer"
lässt sich aber hinter mutig oder hinter fürder theilen. Im erstem Falle
sind die Hebungen folgendermassen zu bezeichnen:
Ar'bei'te mu'tig | für'der, du Viel'getreu'er,
im zweiten :
Arbei'te mu'tig für'der, | du' Viel'getreu'er.
Auch folgender Vers lässt sich doppelt lesen:
Al'kibi'ades schie'ne | und wä're, den E'cho beklagt',
Alkibi'ades schie'ne und wä're, den' E'cho beklagt'.
Mehr Freiheit wünsche ich übrigens nicht nur der Nibelungenstrophe,
sondern andern Versen, z. B. dem fünffüssigen Jambus (dem reimlosen
dramatischen), der sich bereits den trochäischen oder choriambischen Anfang
erobert hat z. B. in Schlegel's Uebersetzung des shakspearischen Hamlet :
„Auf der Terrasse" oder „Muss ich gedenken?" und der sich auch den
Anapäst erlauben sollte, z. B. :
Ich grüss' euch, meine verehrten Vettern alle.
Und diese Freiheit, die der Knittelvers, der echtdeutsche Vers, von jeher
gehabt hat, sollte den gereimten Jamben, und daher den italienischen Acht-
zeilen, dem Sonett, dem Trimeter und der Terzine auch gestattet sein.
Aber diese Freiheit bleibe immer eine gemässigte ! Der von dem Verfasser
gebildete Nibelungenvers :
Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht —
scheint mir ihn ganz unkenntlich zu machen. Da wären ja die freien
Rhythmen, wie in Goethe's „Mahomet's Gesang," oder — Prosa vorzu-
ziehen.
Räumen wir denn unserm, auch mit den von mir gewünschten Beschrän-
kungen noch immer selbst den Hexameter an Mannichfaltigkeit übertreffenden
Nibelungenmaasse nicht zu viele Freiheit ein, und ahmen wir darin den
Miscellen. 463
weisen, kunstsinnigen Griechen nach, die den Wechsel der Versfüsse im
Hexameter auf den Daktylus und Spondeus begrenzten , und die übrigen,
welche sie früher auch dazu benutzten, z. B. den Tribrachys und den Änti-
bacchius mehr und mehr daraus verbannten!
Berlin. K. L. Kannegiesser.
Die göttliche Komödie,
ein Gemälde des Professors Vogel von Vogelstein.
Dante Alighieri's divina Commedia ist von jeher nicht nur ein Gegen-
stand der Forschung und Erklärung der Gelehrten gewesen, auch die ein-
zelnen Künste haben an ihrer Verbreitung und Verherrlichung theilgenommen
und sie als Quelle für ihre Darstellungen benutzt, am mindesten jedoch die
Tonkunst und Bildnerei, geschweige die Baukunst. "Wenigstens sind in der
bibliotheca Dantesca von Batines (Prato 1845) nur vier Tonstücke dieser
Art angeführt, und alle betreffen dieselbe Person, den Ugolino im 33. Ge-
sänge der Hölle. Das erste, il lamento betitelt, ist ein Werk des Vaters
des grossen Galilei, die übrigen sind zwar neueren Ursprungs, aber theils
ungedruckt, theils, wenn auch gedruckt, unbekannt geblieben. —
Nicht viel mehr hat sich die Bildnerei mit Dante beschäftigt. Ausser
Büsten des Dichters, Schaumünzen, ihn selbst oder Personen aus seinem
Gedichte betreffenden erhobenen Arbeiten, und einer Marmorgruppe des
Paolo und der Francesca von der Signora Eelicitä de Fauveau, ist das be-
deutendste grössere neuere Werk das 1829 errichtete Grabdenkmal Dante's
von M. Stephano Ricci in der Kirche S. Croce zu Florenz, welches Artaud
de Montor in seiner Geschichte Dante's beschreibt. Auf einer breiten Un-
terlage erhebt sich die einfache Graburne, über ihr der Dichter sitzend, halb
ernster, halb freudiger Miene, auf der einen Seite das Standbild Italiens,
auf der andern das der Dichtkunst. — Auch in Ravenna ward ihm schon
14ö3 ein prächtiges Denkmal errichtet.
Zahlreicher haben Dichter den Dante, aber doch mehr ihn selber als
sein grosses Gedicht, oder doch nur Einzelnes aus demselben besungen oder
zum Gegenstande eigener Schöpfungen gemacht, ausser Italienern besonders
Engländer, Franzosen und zumal Deutsche, und es wäre der Mühe werth,
diese Dichtungen zu sammeln, da sich einige werthvolle darunter befinden,
z. B. Byron's „the prophecy of Dante," Victor Hugo's „apres une leetare
de Dante," Giacomo Leopardi's „sopra il monumento di Dante, che si pre-
parava in Firenze," Unlands „Dante" betiteltes Gedicht, Lebrecht Fromm's
„die Höllenstrafe der Frömmler" u. s. w. Unter diesen Gedichten sind auch
Bühnenstücke. Eines derselben von Gerstenberg hat den Hungertod des
Ugolino zum Gegenstand, und das Conversationslexicon von Brockhaiis sagt
von dem ersteren: „Den grössten Ruhm erwarb sich Gerstenberg durch
sein 1768 in Hamburg erschienenes Trauerspiel Ugolino, das durch Beine
freie Bewegung, geniale Haltung und energische Sprache alle übrigen mit-
zeitigen Dramen überragte, und, obschon bis zum Crossen gesteigert, ooefa
jetzt als eine bedeutsame Erscheinung angesehen werden darf. - Gerstenberg's
Trauerspiel veranlasste noch einige, aber unbedeutende, desselben Inhalts.
Siehe Jördens Lexicon deutscher Dichter und Prosaisten. Leipzig, 1807.
II, 107. — Zwei andre betreffen das Schicksal der FVanceSCa von Kiniini.
von denen das eine den Italiener Silvio Pellico, das andre nnsern PantHeyse
zum Verfasser hat. Das gediegenste ist wol das dänische „Dante" betitelte
464 Miscellen.
von Molbeg, welches das Priorat Dante's, seine Liebe zu Beatrice und seine
Verbannung behandelt und in den Blättern für literarische Unterhaltung
(Nro. 24, 1^55) von mir besprochen ist.
Die Malerei dagegen und besonders die Wand- und Oelmalerei hat sehr
früh Personen und Vorgänge der göttlichen Komödie zur Darstellung ge-
wählt. Es sind deren so viele, dass ich mich begnüge, die vor etwa vierzig
Jahren erschienenen Umrisse von Flaxmann , sowie die späteren von Koch
und Genelli (siehe Petzholdt's catalogi etc. specimen nonum, Dresdae 1855)
hervorzuheben, um sodann bei einem Bilde des jetzt in München lebenden
Malers, Prof. Vogel von Vogelstein, zu verweilen, eines Mannes, der sich
vorzugsweise der Erforschung der göttlichen Komödie und der Darstellung
derselben durch seine Kunst, und auf eigentümliche und erfolgreiche Weise
gewidmet hat. Das Gemälde, welches er zuerst vor etwa zwanzig Jahren
entwarf und in Oel ausführte, zehn und eine halbe Palme hoch und acht
breit, ziert einen der Säle des Palastes Pitti in Florenz, und ein Kachbild
desselben in verjüngtem Maassstab, zugleich mit einem den ersten Theil des
Faust von Goethe darstellenden Seiten- oder Gegenbilde, den Palast delle
Crociette daselbst; ein drittes Bild behandelt die Äeneis auf gleiche Weise.
Von diesem kleineren Gemälde der göttlichen Komödie liegt mir eine etwa
drei Viertelelle hohe und etwas schmälere Lithographie vor. Die Eigen-
thümlichkeit des Bildes besteht darin, dass es das Gedicht durch eine Anzahl
von einzelnen Darstellungen zu umfassen sucht, wie man in neuern Zeiten
eine Gegend, etwa den Harz, oder eine Stadt behandelt hat, indem das
Hauptbild, welches das Ganze darstellt, z. B. der Harz, in der Mitte von
den kleineren Bergen und Ortschaften der Harzes umringt wird. Vogel's
Bild hat freilich schon durch seine Gestalt eine künstlerische Eig'enthümlich-
keit. Es ähnelt der dreigegliederten Vorderseite einer gothischen Kirche,
und zwar des Doms von Orvieto; der untere Theil enthält drei Räume oder
Felder für die Hölle, der mittlere etwas schmalere fünf, nämlich je zwei
über einander auf beiden Seiten, und zwischen den Paaren das gleich hohe
aber breitere Mittelbild, der obere abermals drei aber giebelförmige Felder,
von welchen die beiden äusseren und niedrigeren Spitzen, rechts vom Be-
schauer das Standbild des römischdeutschen Kaisers, links das des Papstes,
und die mittlere höhere Spitze das Kreuz tragen.
Das Mittelbild, um von diesem anzufangen, enthält nicht etwa, wie man
nach der vorhergehenden Vergleichung erwarten dürfte, eine Uebersicht des
ganzen Gedichtes, sondern den, seinem bekannten Bilde aber unähnlichen
Dichter selbst in grösserem Maass als alle übrigen in den kleinen Räumen
befindlichen Personen. Dante sitzt in begeisterter Stellung auf einem in
einer Blende stehenden erhöhten Thron oder Lehnsessel, dessen Arme in
schlangenumwundene Köpfe auslaufen, und dessen Seitenlehnen zwei Engel
bilden, das unbedeckte, lorbeerumkränzte Haupt und die Augen gen Himmel
gewandt, in der Linken eine Schreibtafel, in der erhobenen Rechten eine
Schreib feder, wie mit der Aufzeichnung seines Gedichtes beschäftigt. Unter
seinen Füssen sieht man die Leiche der Beatrice im offenen Sarge und die
ihr vorausgehenden und nachfolgenden Begleiter; und im Hintergrunde zu
beiden Seiten das an seinen Gebäuden, besonders dem alten Palast und
dem Dom, kenntliche Florenz.
Von den drei unteren der Hölle gewidmeten Feldern zeigt uns das
erste linke Eckbild den Dichter, wie er im Walde, von drei wilden Thieren
verfolgt, den Virgil erblickt, der auf das Höllenthor hinweist, das mittlere
seine Fahrt über den Styx auf dem Boote des Phlegyas zu der flammenden
Höllenstadt, im achten Gesänge, indem ihn die Zähzornigen umringen, das
rechte Eckbild den Dis oder Lucifer des letzten Gesanges, den König der
Hölle im Mittelpunkte der Erde. In dem unteren rechten Eckbilde der vier mitt-
leren Felder tritt Dante, dem Schlussverse der Hölle gemäss, aus dem
Schlünde der Erde hervor, wo er den Berg der Reinigung erblickt und von dessen
Miscellen. 465
Wächter, dem älteren Cato, angeredet wird, im unteren rechten Eckbilde,
das den zweiten Gesang des Fegefeuers darstellt, findet er unter denen,
welche erst in der Todesstunde ihre Sünden bereut haben, seinen Freund
Casella, den Tonkünstler, in dem oberen rechten Eckbilde steht er, laut
neunten Gesanges am Thore des Fegefeuers vor dem dasselbe bewachenden,
auf einem Throne sitzenden Engel, der ein Schwert und zwei Schlüssel in
Händen hat, in dem oberen Eckbilde zur Rechten sieht man ihn vor dem
Feuer, das ihn von Beatrice trennt, im siebenundzwanzigsten Gesänge. —
Das linke Eckbild der oberen drei Felder gehört noch dem Purgatorium :
Beatrice erscheint dem Dante als Stellvertreterin des verschwindenden Virgil,
im dreissigsten Gesänge, und macht ihm Vorwürfe wegen seiner Fehltritte.
Die beiden andern erläutern den zehnten und dreiunddreissigsten Gesang
des Paradieses, und Dante erblickt in dem ersteren, dem Eckbilde zur
Rechten den Kranz der Gottesgelehrten in der Sonne, unter Andern den
Thomas von Aquino, und im letzteren in der Mitte den dreieinigen Gott
selbst. Unter jedem Bilde steht der darauf bezügliche Vers des Gedichtes.
Mit diesen elf, oder eigentlich nur zehn Bildern, denn das in der Mitte
ist abzurechnen, hat der Maler freilich nur einen kleinen Auszug aus dem
reichen Inhalt der göttlichen Komödie geliefert. Einmal ist er auch von
dem Gedichte ahgewichen, nämlich in der Darstellung der Dreieinigkeit am
Schlüsse, wo Dante nur von drei Kreisen und drei Farben in Einem Lichte
spricht, der Maler aber, der gewöhnlichen Vorstellung gemäss, Gott den
Vater und Sohn, und über ihnen die Taube abgebildet hat, wogegen Flax-
mann es nicht verschmähte, die freilich wenig malerischen drei Farbenkreise
mit dem menschlichen Ebenbilde wiederzugeben. Aber theils ist die Aus-
wahl für die kleineren Bilder nicht zu tadeln., theils ist das Möglichste ge-
schehen, das Fehlende im Hintergründe, neben unten und oben bei den ein-
zelnen Bildchen hinzuznthun. Und wenn dies in dem Steindrucke wegen
der Kleinheit des Maasses bisweilen undeutlich und fast unkenntlich ge-
worden ist, so muss man bedenken, dass die Ausführung in grösserem Maass-
stabe aufwänden oder Glasfenstern diese Unvollkommenheit ganz oder doch
grossentheils wegräumen würde; und in der That wäre für die Darstellung
der gewaltigen Gegenstände der göttlichen Komödie eine riesenhafte Grösse
zu wünschen.
Wenn der Maler so des fast uneingeschränkten Lobes würdig erscheint,
das ihm Giambattista Giuliani in seinem 1844 zu Rom erschienenen discorao
ertheilt hat, so drängt sich die Fr;ige auf, ob diese Art der malerischen
Darstellung, ich meine die Zersplitterung des Ganzen in mehrere Theile
als Einfassung eines grösseren Mittelbildes durchaus befriedigend sei. Flax-
mann's 111 Umrisse, je 38 für die Hölle und das Fegefeuer und 34 für das
Paradies nebst einem Titelbilde genügen freilich nicht. Aber Giuliani selbst
beschliesst seine Abhandlung mit dem Wunsche, dass ein Fürst den Künst-
lern Gelegenheit geben möge, nach dem trefflichen Beispiele VogePs, die.
göttliche Komödie in Marmor oder in einem grossen Frescobilde auszufuhren
(al nobile esempio offertoci scolpire un marmor o dipingere im grande af-
fresco). Dann erst werde der Dichter ein Denkmal erhalten , das man sich
kaum grösser und würdiger werde denken, vergebens wünschen können.
Die Worte al nobile esempio offertoci dal Vogel sind entweder im allge-
meinen Sinne (wenn Jemand irgend ein Bild) oder im besondern zu nehmen,
wenn Jemand ein solches Bild wie Vogel's, das heisst eine Vereinigung von
mehreren einzelnen Bildern in Marmor oder al Fresco ausführte. Im letz
tern Falle würde ich der Aedsserurig nicht beipflichten, sondern ein einziges
Marmor- oder Frescobild vorziehen, etwa in der Art, wie in dem palaZZO
Massimi Schnorr Ariost's , Overbeck Tasso's und Cornelius Dantes grosses
Gedicht behandelt hat. Indess würden mich auch diese drei Bilder nur be-
friedigen, wenn jeder der drei Künstler das ganze Gedieht EU Einem grossen
Ganzen verarbeitet hätte. — Kleinere Gedichte lassen sich auf diese \\ eise
466 Mise eilen.
leichter behandeln, wie z. B. der bekannten Marmorgruppe Laokoon's mit
seinen beiden Söhnen die Beschreibung Virgil's im zweiten Buch der
Aeneide zum Grunde liegen soll. Und dennoch hat der unbekannte Bild-
hauer, wie Lessing in seiner Abhandlung gezeigt hat, nur dadurch ein so
vortreffliches Kunstwerk hervorgebracht, dass er, sofern er später lebte als
Virgil und dessen Aeneide kannte , diesem keineswegs durchaus folgte, son-
dern so weit von ihm abwich, als es seine Kunst erforderte. Ob eine solche
einzelne umfassende Darstellung der göttlichen Komödie einem Maler oder
Bildhauer möglich sei, getraue ich mir weder zu verneinen noch zu bejahen.
Oder wie, wenn die Bildnerei und Baukunst sich verbänden, die letztere ein
Gebäude errichtete, dessen unterirdisches Gewölbe die Hölle, der mittlere
Theil den Reinigungsberg und der obere Stock das Paradies mit den Drei-
einigkeitsringen an der inneren Seite des Daches darstellte, die Bildnerei
es mit den nöthigen Gestalten bevölkerte und die Malerei auch an ihrem
Theile mitwirkte! Doch nein, das möchte mehr eine Nacbäflüng als ein
Kunstwerk werden ; dem schöpferischen Geiste ist freilich auch das Schwie-
rigste nicht unmöglich. Dennoch möchte ich behaupten, dass eine andere
Kunst diese Schwierigkeiten eher überwinden dürfte, obgleich sie es noch
nicht versucht hat, ich meine die Tonkunst. Denn sie gehört gleich der
Dichtkunst zu den zeitlichen Künsten, die Malerei, Bildhauerei und Haukunst
zu den räumlichen. Letztere können nur das Miteinander oder in gleiche
Zeit Fallende, den Moment ausdrücken, oder höchstens, wie Schubart in
seiner Zeitschrift Paläophron und Neoterpe (Berlin 18i'3, I. Heft), von dem
Abendmahle des Leonardo da Vinci rühmt, drei Momente, Ursach, Wirkung
und Folge, oder ausser dem Gegenwärtigen das Vorhergegangene und das
Nachfolgende anschaulich dax-stellen, ich möchte lieber sagen, ahnen lassen.
Die Tonkunst kann aber das Gedicht, das kleinere Vers für Vers, das grö-
ssere doch in der Folge der einzelnen Ereignisse und Handlungen begleiten,
wenngleich zu besorgen wäre, dass sie für die Darstellung eines umfang-
reichen Gedichtes mehr Zeit fordern würde, als man der Aufführuug eines
tonkünstlerischen Werkes einzuräumen pflegt, wie ich denn auch mehr an
eine freie Umbildung und neue Schöpfung denke, etwa in der Form des
Oratoriums und der Oper. Beide würden der Zusammenziehung des dich-
terischen Stoßes, oder der Vertheilung wenigstens in drei Abschnitte, in
welche ja die göttliche Komödie sich selbst theilt, bedürfen, das Oratorium
nur das Ohr durch Gesang und Tonbegleitung, die Oper auch das Auge
durch die Bühnenausstattung, also auch die Malerei und Bildnerei in An-
spruch nehmen. Hier wäre den vereinten Künsten unter Vortritt der Dicht-
und Tonkunst ein weites Feld geöffnet; denn ausser der Darstellung des
Ganzen oder der Haupttheile könnte auch Einzelnes bearbeitet werden, und
es wäre dann mit Giuliani zu wünschen, dass ein reicher Gönner der Kunst
einen hohen Preis für ein gelungenes Werk dieser Art aussetzte, aber nicht
minder, dass die würdigsten Tonmeister, gleich Händl und Gluck, als Be-
werber auftreten.
Berlin. K. L. Kannegiesse r.
Nachbildungen englischer Dichter.
Matthew Arnold.
Neck an.
Wo sich das Vorgebirge
Hin in die Ostsee zieht,
Sitzt Neckan mit der goldnen Harf
Und singt sein Trauerlied.
Miscellen. 4 67
Grün rollet unterm Berge,
Grün rollt die Wog' im Wind —
Und drunter, unter Neckan's Fuss,
Sein Weib und Kinder sind.
Er singt nicht von den Wellen,
Korall1 und Ros' im Meer —
Von Erden, Erden Neckan singt,
Er hat kein' andre Mahr.
Er sitzt am Vorgebirge
Und singt mit Ach und AVeh',
Was auf der Erd' er sah und fühlt',
Fern von der grünen See.
Singt, wie er fuhr als Ritter
Bei Schloss und Fels und Stadt. —
Doch härter ist des Menschen Herz,
Denn das ein Seekind hat.
Er singet seine Brautfahrt,
Pfaff", Ritter, Frau'n zumeist. —
„Und wer bist Du," hub an der Pfaff,
„Herr Ritter, der Du freist?"
„Ich bin," sprach er, „kein Ritten
Die Wellen sind mein Reich."
Die Ritter zogen, Frauen schrie'n,
Der Pfaff stand stumm und bleich.
Er singt, wie von der Kirche
Mit seinem Lieb er schwand
Und trug sie fort zum See - Palast
Tief, tief im Nixenland.
Er singt, wie sie sitzt weinend
Mit Muscheln rings umher.
„Der falsche Neckan theilt mein Bett,
Kein Christenmensch ist er."
Er singt , wie durch die Wogen
Zur Erd' er stieg zurück,
Den Priester suchen, der ihm sollt'
Erfleh'n des Himmels Glück.
Er singt, wie eines Abends
Er, unter Birken bleich,
Sass spielend seine goldne Harf
An einem kühlen Teich.
Am Teich sass Neckan, Thränen
Im Auge blau und kalt.
Auf weissem Maulthier von der Brück'
Ritt bei ein Priester bald.
468 Miscellen.
„Was sitzt Du da, o Neckan,
Und spielst die goldne Harf?
Mein Stab trägt eher grünes Laub
Eh' ich Dich segnen darf."
Fort ritt der Kupuziner
Bis er und Thier verschwand,
Und Neckan in der Dunkelheit
Am Teiche weinend stand.
Wo sich das Vorgebirge
Hin in die Ostsee zieht
Sitzt Neckan mit der goldnen Harf
Und singt sein Trauerlied.
R e q u i e s c a t.
Streut auf sie Rosen, Rosen,
Doch keinen Eibenzweig. —
Ihr Schlummern stört kein Tosen -
Wollt1, dass ich war' ihr gleich.
Sie sonnten sich gemeinsam
In ihrem Freudenschein,
Doch ihr Herz war einsam, einsam;
Und nun bleibt sie allein.
Ihr Leben ist vergangen
In wechselndem Sturm und Braus,
Doch Ruh' war ihr Verlangen —
Jetzt ruht sie friedlich aus.
Ihr grosser Geist, entsprungen
Aus Fesseln und aus Noth,
Hat diese Nacht errungen
Sich Raum im weiten Tod.
Sehnsucht.
Im Traum komm zu mir, dass mir mag
Recht wohl sein wiederum am Tag,
Denn d:mn bezahlt die Dunkelheit
Mehr als des Tages Traurigkeit.
Komm, wie Du kämest tausendmal,
Ein Bot' umsonnt vom Freudenstrahl,
Und lächelnd auf Dein neues Reich
Sei andern und mir hold zugleich.
Komm, wie Du nie Dich botest dar,
Und lass mich träumen, es sei wahr ;
Streichle mein Haar und küsse mich
Und sprich: mein Lieb, was quälet Dich?
Miscellen.
469
Im Traum komm zu mir, dass mir mag
Recht wohl sein wiederum am Tag,
Denn dann bezahlt die Dunkelheit
Mehr als des Tages Traurigkeit.
George Mac Donald.
Weisses Lieb-Lielchen
Sass bei dem Stein,
Schmachtend, und wartend
Auf Sonnenschein.
Weisses Lieb-Lielchen
Trank Sonnenlicht,
Weisses Lieb-Lielchen
Ihr Haupt aulricht't.
Weisses Lieb-Lielchen
Sprach: Habe Dank
Für weisses Lieb-Lielchens
Kleidung und Trank.
Weisses Lieb-Lielchen
Geputzet als Braut,
Die Krön' auf dem Haupte,
Weiss glänzend die Haut.
Weisses Lieb-Lielchen
Härmet sich blass,
Wartend und harrend
Auf Regen nass.
Bristol.
Lieb - Lielchen.
Weisses Lieb - Lielchen
Den Kelch aufhält,
Schnell kommt der Regen
Und drein er fällt.
Weisses Lieb - Lielchen
Sprach: o wie gut,
Wenn durstig, zu trinken
Des Regens Fluth.
Jetzt bin ich stärker,
Gekiihlet und wohl,
Hitze brennt nicht mehr,
Meine Adern sind voll.
Weisses Lieb-Lielchen
Duftet so süss ;
Das Haupt von der Sonne,
Vom Regen die Füss".
Regen kam wechselnd
Mit Sonnenschein,
Machten Lieb-Lielchen
Fröhlich und rein.
L. Meissner.
La Villemarqu^„Les chants populaires de la Bretagne."
(Tom I.)
La Villemarque führt in seinem Werke „les chants populaires de la
Bretagne" drei bretonische Volkslieder auf den Barden Gwenchlan zurück, —
einen Sänger, dessen Zeit aus allen Gründen umsichtiger Kritik in das
sechste Jahrhundert verlegt wird.
Um die Gedichte ihrem Werthe nach zu würdigen, ja, um sie bis ins
Einzelne verständlich zu machen, erlauben Sie, dass ich in einer kurzen Cha-
rakteristik die Zeit vergegenwärtige, der sie angehören.
Das armorikanische Gallien war durch seine geographische Lage, seine
Wälder und durch das Meer — bekanntlich — von jeher, mehr als die
übrigen Theile Galliens, vor den Einflüssen des Röinerthums geschützt.
Hier war es auch, wo sich der Gesang der celtischen Barden längere Zeit
frei und unangefochten erhalten hatte. Ja, seit dem vierten und fünften
Jahrhundert hatte die Kraft des Bardenthuins, durch Einflüsse von aussen her,
sogar Stärkungen erfahren, durch celtische Einwanderungen von England
herüber. Besonders nachdem im sechsten Jahrhundert die Sachsen in Eng-
land siegreich Fuss gefasst hatten, wurde Afmorika ein Land, das vom eel-
tischen Stamme gedrängt erfüllt war. Und der sogleich darauf folgenden
470 Miscellen.
Zeit, da die leidenschaftlichsten Kämpfe des Christenthums gegen das cel-
tische Heidenthum hier geführt wurden, gehören die Lieder jenes Barden
an, die bis auf uns gekommen sind.
Geschichte und Lebensverhältnisse des Barden Gwenchlan lassen sich
aus seinen Liedern wenigstens in grossen übersichtlichen Zügen zeichnen.
Von Jugend auf hatte er dem Gesänge gelebt. Aber sein Leben fiel nicht
in eine Zeit, die geeignet war, dass auch der Gesang, die höchste und am
meisten erhebende Kraft der Seele, ihn froh machen konnte. Er hatte in
dem Kampf seines Stammes gegen die christlichen Feinde wohl die Aus-
dauer und Leidenschaft der Seinen erfahren und rühmen können. Aber der
Sieg war ihnen nicht immer zu Theil geworden. Und selbst musste er die
Uebermacht der Feinde an einer ihm zugefügten Grausamkeit empfinden.
Man hatte ihn geblendet, und die Jahre des Alters brachte er hin, um in
seiner Seele die Stimmungen des Schmerzes über die Niederlage der Seinen
und die des Hasses gegen den feindlichen Sieger immer wieder zu durch-
leben. Ein dunkles Bild aus der Zeit eines in seiner Reinheit und Natur-
kraft, untergehenden Stammes. —
Die drei Gedichte bilden in der Reihenfolge, in der ich sie vortragen
werde, eine natürliche Stufenleiter, — sowohl in Bezug auf den poetischen
Werth, den sie in sich tragen, — wie in Bezug auf die Kraft der Stimmung,
die sie eingegeben hat.
Das erste Lied ist von ganz allgemein lyrischer Art. Es könnte von
jedem Dichter gesungen werden , dessen Klänge einen Kummer vortragen,
der die ganze Seele beherrscht und niederdrückt. Aber seine charakteri-
stischen Merkmale, — einerseits eine auffallende Kürze, andrerseits eine
grosse Sicherheit und Präcision. mit der es die ganze Natur und das Leben
anschaulich macht, endlich die bis auf das äusserste Maass gediehene Ein-
fachheit des Wortes, mit dem es das Geheimniss des Herzens löst, — diese
Merkmale erheben es zu einem der originellsten Produkte prunkloser Na-
turpoesie
Das zweite Gedicht ist bedeutend belebter, — em Schlachtgesang von
hoher Kraft, ebenso der Phantasie, wie der Empfindung. In poetischen
Bildern wird Feind und Freund vorgeführt. Alles ist symbolisch —
aber eine Symbolik der Anschauung, nicht der Reflexion; eine Sym-
bolik des selbstständigen Lebens, nicht nach matter Berechnung; eine
Symbolik des Auges, nicht des Verstandes, — ähnlich so gross wie die in
der Vision des Propheten Ezechiel. Und durch die kühnen Bilder des Ge-
dichts geht der Nerv des Lebens, das Feuer leidenschaftlichen Wollens.
Das dritte Lied endlich ist ein wahrhaft diabolischer Ausdruck heid-
nischer Rachestimmungen. Ich versuche nicht, es im Voraus zu charak-
terisiren.
Das erste Lied könnte füglich überschrieben werden:
Der blinde Barde Gwenchlan.
Wenn die Sonne sich senkt,
Wenn das Meer aufschwillt,
Sing' ich auf der Schwelle meiner Thür.
Als ich jung war, sang ich;
Nun ich alt bin, singe ich noch.
Ich singe bei Nacht, ich singe bei Tag,
Und ich bin kummervoll dennoch. —
Miscellen. 471
2. Kriegsgesang des Barden Gwenchlan.
Ich sehe den Eber,
Der aus dem Gehölz kommt;
Er hinkt, ist verwundet.
Sein klaffender Rachen voll Blut,
Sein Haar ist gebleicht vor Alter.
Von seinen Jungen ist er umschlossen,
Sie grunzen vor Hunger.
Dort aber seh' ich das Meerross,
Ihm zu begegnen, kommt es ;
Da ziitert vor Schrecken das Ufer.
Auch das Ross ist wei^s,
Doch wie der blitzende Schnee ;
Es tragt an der Stirne
Hörner von Silber.
Unter ihm brudelt das Wasser
Beim Feuer des Donners seiner Nüstern.
„Bleibe, fest!
Meerross, bleibe fest !
Hau ihm auf das Haupt !
Schlage stark, schlage!"
Die nackten Füsse gleiten im Blut.
„Stärker noch ! schlage zu ! stärker noch !"
Ich sehe bis an die Kniee das Blut ihm steigen,
Ich sehe das Blut, wie eine Lache.
„Stärker noch ! schlage zu ! stärker noch !
Morgen wirst Du Dich ruhen."
3. Rachevision des geblendeten Barden Gwenchlan.
In meinem kalten Grabe,
Als ich sanft eingeschlafen war,
Hört' ich den Adler rufen
Hin durch die tiefe Nacht.
Er rief nach seinen Jungen,
Nach allen Vögeln des Himmels.
Und wie er sie rief, da sagte er ihnen :
„Hebet Euch rasch auf Euren beiden Flügeln!
's ist nicht verfaultes Fleisch von Hunden und Schafen,
Christenfleisch ist es, das wir brauchen!" —
„Alter Meerrabe, sage mir,
Was hältst Du hier?"
„Ich halte das Haupt des Armeehäuptlings,
Will haben seine beiden rothen Augen.
Ich kratze die Augen ihm aus,
Er hat ja die Deinen ausgekratzt." — •
„Und Du, Fuchs, sage mir,
Was hältst Du hier?"
472 Miscellen.
„Ich halte sein Herz,
Es war so falsch, wie das meine;
Es bat Deinen Tod verlangt,
Dich umkommen lassen seit langer Zeit." —
„Und Du, sage mir, Kröte,
Am AVinkel seines Mundes,
Was machst Du dort?"
„Ich habe mich hierhin gelegt,
Seine Seele zu erwarten, wenn sie hindurchgeht.
In mir wird sie wohnen, so lang' ich lebe,
Zur Busse der Sehandthat, die er beging
Gegen den Karden, der ehemals wohnte
Zwischen Roch-Allaz und Porz-Gwenn.
Werner Hahn.
Cor aul a.
Une chanson satirique sur le Prince de Savoie assez insignifiante en
elle-meme, mais qui pourrait peut-etre interesser maintenant que les regards
de l'Europe sont diriges sur les evenements qui se passent de l'autre cöte
des Alpes, se trouve inseree dans une collection de fragments en patois
suisses publiee a Lausanne en 1842, c'est - a - dire longtemps avant que les
diplomates les plus clairvoyants eussent pu deviuer le role que la Sardaigne
etait destinee a jouer en Italie et l'influenee qu'elle devait avoir sur le bon-
heur des peuples desunis de cette terre classique, longtemps avant qu'une
ancienne maison princiere vendit le berceau de ses a'ieux ä un puissant voisin.
Cette chanson dans le recueil est intitulee Coraula. Le compilateur
la fait preceder d'une explication dans lttquelle il nous dit que leCoraule
ou ronde est une chanson nationale. Ce mot patois derive de l'italien
Carola, ronde, danse en rond, Ringeltanz, meistens mit Gesang be-
gleitet, selon Filippi, rappeile le mot anglais Carol, a joyful song,
selon Webster, mais il n'existe pas en francais.
II serait d'assez mince importance de vouloir fixer l'epoque a laquelle
cette chanson fut ecrite, mais il est evident qu'elle doit son origine aux
sentiments de joie eprouves par les Suisses en consequence de leurs vic-
toires sur leur voisin et pour justifier le ton satirique de la chanson il suffit
de se representer les idees (i'un peuple accoutume a triompher d'un cöte
des Autrichiens, de l'autre des Böurguignons et d'un troisieme des Savoyards,
idees bien naturelles ii un peuple qui voit encore de nos jours arriver chaque
annee un contingent de ramoneurs, de montreurs de marmottes et de joueurs
de vielle (Leier) savoyards, de maquignons et de chätreurs de coclions de
la Bourgogne, de remouleurs de la Lorraine et de chaudronniers ambulants
de l'Auvergne.
Mais afin que Ton ne se meprenne pas sur les motifs qui m'ont engage
b, communiquer ce petit poeme, j'ajouterai que, tout en respectant since-
rement le principe de la legitiniite et tout en plaignant le malheur d'un
Prince qui se voit arracher ce qu'il a ete habitue, des sa naissance, h. con-
siderer comme son patrimoine, on ne saurait se refuser h admirer le cou-
rage de son adversaire et le service signale qu'il rend ä l'humanite en resser-
rant dans les bornes de l'ordre un mouvement irresistible dont L'eruption
aurait pu produire des calamites plus sanglantes encore que Celles de la re-
volution francaise ä la fin du siecle passe.
Miscellen.
473
Voici la chanson qui est en patois de Gruyeres mele de fran9ais et
d'expressions savoyardes, teile que mardjuga, ma foi; — vertuchou,
ventre bleu.
Noussbron Prinschou de Schavoye
Lie mardjuga on boun infan;
Y l'ya leva oun' armee
De quatrouvans paijans,
O, vertuchou, gare, gare, gare!
O, rantamplan, garda de*vant !
Y l'ya leva oun1 armee
De quatrouvans paijans,
Et pour general d'armee
Christophliou de Carignan,
O, vertuchou, gare, gare, gare!
O, rantamplan, garda devant!
Et pour general d'armee
Christophliou de Carignan.
Oun änon tzerdzi de rave
Por nuri le regiment.
O, vertuchou, gare, gare, gare !
O, rantamplan, garda devant.
Oun änon tzerdzi de rave
Por nuri le regiment,
Pour toute cavalerie
Quatro pitis cayons blians.
O, vertuchou, gare, gare, gare !
O, rantamplan, garda devant!
Pour toute cavalerie
Quatro pitis cayons blians,
Et pour toute artillerie
Quatro canons de fer blian.
O, vertuchou, gare, gare, gare!
O, rantamplan, garda devant!
Et pour toute artillerie
Quatro canons de fer blian.
Quan nou fum' sur la montagne,
Grand Dieu ! que lou monde est grand !
O, vertuchou, gare, gare, gare !
O, rantamplan, garda devant!
Quan nou fum' sur la montagne,
Grand Dieu ! que lou monde est grand !
Fajin vito ouna detzerdze
E pu retornin nojan.
O, vertuchon, gare, gare, gare !
O, rantamplan, garda devant!
Notre Prince de Savoie
II est ma foi uu bon enfant;
II a leve" une arme"e
De quatre viugt paysans,
Oh ventrebleu, gare, gare, gare!
Oh rataplan, gare devant!
II a leve une armee
De quatre vingt paysans,
Et pour general d'armee
Christophe de Carignan,
Oh ventrebleu, gare, gare, gare!
Oh rataplan, gare devant!
Et pour general d'armee
Christophe de Carignan.
Un äne charge de raves
Pour nourir le regiment.
Oh ventrebleu, gare, gare, gare!
Oh rataplan, gare devant.
Un äne charge" de raves
Pour nourir le regiment
Pour toute cavalerie
Quatre petits cochons blancs.
Oh ventrebleu, gare, gare, gare!
Oh rataplan, gare devant!
Pour toute cavalerie
Quatre petits cochons blancs,
Et pour toute artillerie
Quatre canons de fer blanc.
Oh ventrebleu, gare, gare, gare!
Oh rataplan, gare devant.
Et pour toute artillerie
Quatre canons de fer blanc.
Quand nous fümes sur la montagne,
Grand Dieu! que le monde est grand.
Oh ventrebleu, gare, gare, gare !
Oh rataplan, gare devant.
Quand nous fümes sur la montagne,
Grand Dieu! que le monde est grand !
Faisons vite une decharge
Et puis retournons nous-en,
Oh ventrebleu, gare, gare, gare !
Oh rataplan, gare devant!
Trachsel.
Archiv f. n. Sprachen. XXVIII.
31
474 Miscellen.
Einige Worte zur Entgegnung auf die Beurtheilung
meiner Programmschrift im Archiv (XXVII. 4. Heft p. 465 u. f.)
von Herrn Dr. Immanuel Schmidt.
Womit der geehrte Herr Recensent schliesst, damit muss ich anfangen.
Er hat nämlich allerdings „einen falschen Massstab an die Arbeit angelegt."
Für Gelehrte und das müsste doch wohl heissen für Sprachgelehrte oder
moderne Philologen war sie nicht bestimmt. Was ich bei der Arbeit beab-
sichtigte, war, mich, den Ausländer, als mit der englischen Sprache und ihrer
Literatur vertraut zu dokumentiren und das Studium beider zu empfehlen,
wie das ja auch im Titel deutlich genug gesagt ist. Dass ich dabei zunächst
nur denjenigen Kreis, für welchen eigentlich allein das Programm bestimmt
ist, nämlich den Vorstand der Lehranstalt und die Eltern der Jünglinge,
im Auge hatte, versteht sich von selbst. Bei einem so umfangreichen Ge-
genstande und so knapp zugemessenem Räume musste ich natürlich von
einem näheren Eingehen auf die verschiedenen Punkte, die ich zu berühren
hatte, absehen. Mit dem aber, was Herr Dr. Schmidt p. 467 oben rügt,
hat es eine andere Bewandtniss. Ich hatte nämlich die Absicht, auf manche
Ungereimtheiten in der französischen Sprache, wie z. B. auf den Gebrauch
des männl. pron. possess. für eine weibl. Person und umgekehrt, hinzuweisen,
als es mir einfiel, dass ich damit den unsre Anstalt besuchenden Franzosen
zu nahe treten könnte, wie ich das auch im Nachsatz ausgedrückt habe. Da
ich, vielleicht eigensinnigerweise — wedded to my words, wie der Engländer
sagen würde — den einmal hingeschriebenen Satz nicht wieder streichen
wollte , so half ich mir mit dem Gedankenstrich und dachte mir dabei sa-
pienti sat. Die sprachlichen Berichtigungen des Herrn Dr. Schmidt sind
nicht stichhaltig. Wenn er p. 466 sagt, „affecting the mind" sei kein glück-
lich gewählter Ausdruck, so habe ich darauf zu erwidern, dass die in allen
mir zugänglichenWörterbüchern zuerst angegebene Bedeutung jenes Wortes:
„to act on" ist. Das p. 4G7 nach „as" von ihm eingeschaltete „of" ist ein
Versehen seinerseits. „Historians" etc. ist nämlich nicht von walks, sondern von
„shining forth" abhängig, Also: shining forth as historians etc. Wenn er
am Schlüsse auf das einzige Gute , was er von der Arbeit zu sagen weiss,
wieder halb zurückkommt, so erinnert mich das an eine bei einer ähnlichen
Veranlassung gemachte Bemerkung meines verstorbenen Collegen Mr. Mo-
nicke. „They are nothing if not critical," waren seine Worte, die Worte
eines Mannes, der wohl urtheilsfähig in solchen Dingen war. Uebrigens er-
laube ich mir schliesslich noch das Urtheil einer andern Autorität, die ja
auch Herr Dr. Schmidt gelten lässt, hier noch hinzuzufügen: „I have read
Dr. Asher's Essay," so schreibt R. C. Trench, „on the Study of the English
Language with profit and pleasure, and think it might be usefully reprinted
here. It would open out to many English students of their own language
some interesting points from which to regard it, and suggest better works
hearing upon it, which otherwise they might not have heard of. Any weak-
ness which it has in respect of the absolute or relative value of English
authors does not materially affect its value."
Leipzig. Dr. David Asher.
Miscellen.
475
Schiller's Ode an die Freude,
in gereimte lateinische Verse übersetzt von Fü gl ist aller.
(Aus Ludwig Eckart's Monatsschrift : Die Schweiz.)
Gaudium divinum! claris
Genitum Coelitibus!
Adsumus, en! tuis aris
Pleni sacris ignibus.
Vincula disrupta maus
Moribus tu reparas.
Regibus sub tuis alis
Mendicantes socias.
Chorus.
Vos, Milleni, amplexamus,
Sumite haec oscula!
Ilüc super sidera
Pater est, in quo amamus!
Fida quem conjunxit rara
Sorte amicitia;
Cui data conjux cara,
Promat sua jubila!
At, qui animam nee unam
Suam dicere queat,
Deflens miseram fortunam
Lacrimans hie abeat.
Chorus.
Quidquid habet orbis totus
Sympathiae serviat!
Ad superna evocat,
Ubi habitat Ignotus.
Rebus omnibus natura
Sua prsebet ubera,
Probis improbisque cura
Panis pandit gremia.
Osculi nos suavitate,
Vino, amicitia;
Vermes beat voluptate,
Cherubos ambrosia.
Chorus.
O Milleni, num prostrati
Creatorem quaeritis ?
Sursum in sidereis
Fulgent sedes Adorati.
Gaudium est, quod potentem
Mundi ciet animam;
Rotat gaudium ingentem
Universi machinam.
Elicit ex coelo soles;
Florum trudit germina
Et sphaerarum volvit molea
Per ignota Spatia.
Chorus.
Uti" soles exultantes
Pervolant sublimia;
Sic per vestra stadia,
Fratres, currite certantes!
Veritatem indaganti
Luce ridet flammea,
Dux praecedit laboranti
Ad virtutis ardua.
Ejus signa gloriosa
Fidei irradiant
Et per loca tenebrosa
Tumulorum fulgurant.
Chorus.
Quis non fratrem perdurabit!
Manent meliora nos;
Digna inter Superos
Laurea nos coronabit.
Diis quid retribuemus?
Imitentur Coelites !
Nobis lsetis advocemus
Ma?stos atque pauperes!
Memor ita extinguatur,
Hosti detur gratia;
Neque lacrimis uratur,
Neque conscieutia!
Chorus.
Debita sint aboleta!
Esto pax cum omnibus!
Deo, quse decernimus,
Erunt et in nos decreta.
Gaudii divinitatem
Spirat fervens poculum;
Scytha? dat humanitatem,
Desperanti animum.
Fratres! sedibus .surgamus,
Qoando ambit amphoral
Spumis istis salutamus
Vos, benigna Numina!
Chorus.
Quod est stellis celebratum ;
Hymno quod seraphico —
31*
476
Miscellen.
Numini sidereo
Merum hoc sit propinatum]
Vi malorum opponamus
Animum intrepidum !
Quod vel hosti adjuramus,
-Nulluni solvat sasculum !
Viri mente confidenti
Stemus coram regibus!
Laurea sit comnierenti! *
Perfido interitus!
Chorus.
Vincla sacrius ligate!
Vina bsec perrubea,
Vota vos solemnia
Pra?stituros, conjurate!
Ruat Despotum catena!
Impius resipiat !
Moribundos spes serena
Facie affulgeat !
Vivant vita restaurata
Quosquos habet tumulus !
Mala malis sint donata,
Nee sit porro tartarus !
Chorus.
Levem nobis det extreraum
Diem; dulcem requiem!
Mitern nobis judicem
Praestet Numen se supremum.
Nachlese vom Schillerfeste.
Das Schillerfest steht in seiner Art einzig da. So wird man uns einige
Nachträge zu demselben zu liefern wohl gestatten.
Am Harze lebt bekanntlich noch der Sohn eines von Schillers Leip-
ziger Freunden: V. A. Huber. Aus dem Harze ist nur von einer grossen
Jagd zu Ehren Schiller's bei der Einhornshöhle unweit Scharzfetd berichtet
worden. Schiller habe diese Höhle einst besucht. Wo findet sich Näheres
über diesen Besuch und was ist darüber zu ermitteln?
Zufällig wurden wir darauf aufmerksam, dass der Festfeier des Berliner
Gymnasiums zum grauen Kloster nirgends gedacht ist. In den grossen,
von Baukunst und Malerei verherrlichten Räumen desselben versammelten
sich die Schüler erst am 11. November. Die Festrede hielt Herr Professor
B ollmann. Alsdann pflanzte man unter der Klosterkirche eine Schiller-
linde. Herr Director Bellermann hielt hier eine Ansprache. Es wurde
neben dem Baume gesungen:
Lass durch Deiner Zweige Grün
Dieses Tags Erinn'rung bluhn.
Denn den Enkeln sollst Du's sagen,
Wie wir ihn geehret heut',
Wenn sich einst in späten Tagen
Dieses Jubelfest erneut.
Möge die Schillerlinde nach hundert Jahren mit der Schule zusammen
grünen und blühen!
An Druckschriften erwähnen wir:
Eine Rede von Dr. A. Steudener: „Ueber Schiller's Bedeutung
für die heutige Bildung. (Programm der von der Familie v. Witz-
leben gestifteten Klosterschule zu Rossleben. Halle, Druck der
Waisenhausbuchdruckerei. 1860.)
Die Rede füllt S. 3 — 12 des Programmes. Steudener II, der Ver-
fasser eines vortrefflichen, für den deutschen Unterricht sehr brauchbaren
Miscellen. 477
Programines über Ludwig Ufaland . spricht sich in derselben über die ver-
schiedensten Punkte in Betreff Schillers aus. Im Ganzen ist wohl der Ab-
druck solcher Arbeiten in Zeitschriften und die Benutzung der Programme
für weniger allgemeine Gegenstande zu empfehlen.
Ferner erschien:
Rede zur Schillerfeier in Halberstadt. Von Hermann Masius.
Glogau. Druck und Verlag von Karl Flemming. 1859.
Der treffliche Masius, jetzt Realschuldireetor in Dresden, hat diese Rede
öffentlich in Halberstadt gehalten. In diesem einen Druckbogen starken
Schriftchen spricht sich der bekannte Verfasser der Naturstudien mit der
glühendsten Begeisterung über Schiller aus.
Wir führen noch an :
Festweihe zur Schillerfeier, im wissenschaftlichen Kunstverein
gesprochen von der Königl. Hof- Schauspielerin Frau Orelinger.
Berlin, den 14. November 1859. Druck von G. Bernstein in
Berlin.
Umfasst einen Foliobogen und enthält am Schlüsse die Unterschrift
Friedrich Forster. In Forster's Gedichte wechseln Pathos und Humor
sehr rasch. Am Schlüsse reichten sich die Künstler nach Art der Rütli-
scene die Hände und sprachen: ^'ir wollen sein ein einig Volk von Brüdern,
in keiner Noth uns trennen und Gefahr.
Pröhle.
Herr Julius Wollenberg hat Archiv XXVII, S. 264, ein altfran-
zösisches Marienlied mitgetheilt , das Wackernagel in den Altfranzösischen
Liedern und Leichen S. 69 bereits nach einer andern Handschrift edirt hat.
Beide Texte verbessern sich gegenseitig, wenn gleich der WolL Text der
bessere ist. Bei Woll. ist vielleicht für enheluez zu lesen enherbez, das im
Dolopathos allerdings Vergiftung des Getränks andeutet, seiner Natur nach
aber sehr wohl gewürzt heissen kann. No desfäut bei Woll. ist wohl nur
Druckfehler für ne desfaut. Statt des folgenden Verses empfiehlt sich der
Wack. Text:
Et Estelle marine.
Por la bonte
De ta clarte
Nos cuers tous enlumine
schon des Verses halber. Ebenso ist tu es li tre.s douz paradis bei Wack.
die bessere Lesart.
478 Miscellen.
Auffallendes im Gebrauch der deutschen Sprache.
„Das Hohe Unterrichtsministerium hat 1 Exemplar „Illustrirte geogra-
phische Bilder" in 2 Bänden zum Schulprämium herablangen lassen." (Progr.
des Gymn. zu Neusohl 1858, p. 32) — „Unterrichtsministerium hat die Ver-
fügung getroffen, dass die österreichische Volkshymne in sämmtlichen Lan-
dessprachen bei allen Schulbücherverschleissen loO St. p. 20 Kreuzer er-
halten werden kann." (Das. p. 30.) „Die Ausfolgung dieser Bücher an die
Schüler besorgt der Gymnasiallehrer Herr Kriz." (Das. p. 27.) „Die Ob-
sorge über das Cabinet führt der Gymnasiallehrer Herr Zenger." (Das. p. 27.)
„Alle Gymnasialschüler, welche nicht nach Troppau zuständig sind, haben
sich zu ihrem hierortigen Aufenthalte behufs der Fortsetzung der Studien
mit dem Passe zu versehen." (Progr. des Gymn. zu Troppau 1859, p. 71.) —
„Einer der besten Schüler erblindete auf das eine Auge." (Progr. des Gymn.
zu Czernowitz 1859, p. 36.) — „Desto heller strahlt, weil vom dunkeln Hin-
tergrunde umgeben und von demselben um so greller abstechend, das erste
50jährige Jubiläum, welches das Gymnasium beging. Es wäre mehr als
Stumpfsinn, es wäre der schwärzeste und unverzeihlichste Undank gewesen,
diesen Tag in träger Gleichgültigkeit vorübergehen zu lassen." (Das. p. 36.)
— „Möge der Segen dessen, der nichts Gutes unbelohnt lässt, und wäre es
auch nur ein einem Durstenden dargereichter Trunk Wasser oder gar blos
ein guter Gedanke, auf dem frommen Werke des Unterstützungs- Vereins
auch ferner ruhen!" (Das. p. 38.) — „Geschenk von der Frau Rosa Honig,
Professors -Gemahlin." (Progr. des Gymn. zu Pressburg 1859, p. 26.)
Bibliographischer Anzeiger.
Allgemeines.
H. Steinthal. Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues.
(Berlin, Dümniler.) 2 Rthlr.
F. W. Farrar, An essay on the origin of language. (London, Murray.) 5 s.
H. Weber, Etymologische Untersuchungen I. (Halle, Waisenhaus- Buch-
handlung.) 15 Sgr.
Lexicographie.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch v. W. Müller u. F. Zarncke, 3 Bände,
5. Lieferung. (Leipzig, Hirzel.) 1 Rthlr.
A. Scbeler, Dictionnaire d'etymologie francaise d'apres les resultats de la
science moderne. 1 Livr. (Bruxelles, Muquardt.) 12 Sgr.
Grammatik.
A. Schleicher, Vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen.
(Weimar, Böhlau.)
Grammaire comparee des langues de la France par Louis de Baecker.
(Paris, Franck.) l2/3 Thlr.
Literatur.
H. Düntzer, Würdigung des goetheschen Faust, seine neuesten Kritiker
und Erklärer. (Leipzig, L)yk.) 15 Sgr.
H. Düntzer, Neue Goethestudien. (Nürnberg, Bauer & Raspe.) 12'3 Thlr.
San Marte, Parcival- Studien , 1. uud 2. Heft. (Halle, Waisenhaus -Buch-
handlung.) 5 Rthlr.
Das Nibelungenlied. Uebersetzt und mit einer literarhistorischen Einleitung
und Anmerkungen versehen von Oswald Marbach. (Leipzig, Lorck.)
1 Rthlr.
O. Vilmar, Zum Verständnisse Goethe's, Vorträge. 2 Aufl. (Marburg, El wert.)
1 Rthlr.
Le roman du renard. Mis en vers d'apres les textes originaux p. Ch. Potvin
(Leipzig, Dürr.) 26' ., Sgr.
Chateaubriand. Etüde historique p. L. Figuier. (Paris, Hachette.) 3 fr. 50 c.
Milton's Comus. Uebersetzt und mit einer erläuternden Abhandlung begleitet
von I. Schmidt. (Berlin, Haude & Spener.) 20 Sgr,
480 Bibliographischer Anzeiger.
Lord Macaulay, his life and writings by G. J. Clements. (London,
Whittaker.) 2 s. 6 d.
Political Ballads of the seventeenth and eigteenth centuries. Annotated by
W. Waker Wilkins. 2 Vols. (London, Longman.) 18 s.
G. Th. v. Radhart, Rede auf Sir Th. B. Macaulay, den Essayisten und
Geschichtsschreiber Englands. (München, Franz.) 5 Sgr.
W. »Shakspeare, Julius Caesar übersetzt v. A. Kolb. (Stuttgart, Schaber.)
10 Sgr.
A. Woyke, Proben neuerer polnischer Lyrik und Epik. (Berlin, Nicolai.)
iy, Thlr.
L. Wihl, les Hirondelles, poesies allemandes, traduites en francais ; avec
un essai sur la litteYature juive. (Paris, Hachette.)
Hilfsbücher.
A. Pe schier, Entretiens familiers a 1'usage des ecoles. (Stuttgart, Neff.)
12 ssr-
J. H. Schmick, Sketches f'roni english liistory. (Bremen, Müller.) 8 Sgr.
Shakspeare's Julius Caesar; erklärt v. Th. Jancke. (Cbln, Dumont.) 12 Sgr.
PB Archiv für das Studium
3 der neueren Sprachen
A5
bd.28
PLEASE DO NOT REMOVE
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LIBRARY
*
!