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ARCHIV
FÜR DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND LITTERATUREN.
HERAUSGEGEBEN
LUDWIG HERRIG.
XXXVIII. JAHRGANG, 71. BAND.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON GEOUGE WESTERMANN.
1884.
M
^'X l
Inhalts -Verzeichnis des LXXI. Bandes.
A bhandl uuijen.
° Seite
II Cantare di Fioro e Biancifiore. Von Emil Hausknecht 1
Die c'.ciit.-che Lyrik in der französischen Übersetzungslitteratur. Von
Ottikcr V. Lejk 49
Zur Anordnung der Vokale. II. Von G. Michaelis 73
Sitzungen der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen 97
Über Ursprung und Entwicklung des Beowulfliedes. Von Th. Krüger 129
Über die Sprache und Metrik der mittelenglischen weltlichen und geistlichen
lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. Von A. Schlüter . . . , 153
Die Wortstellung im alt französischen direkten Fragesatze. Von A. Schulze 185
Ben Jonson in seineu Anfängen. Von Th. Vatke 241
Über Mussatos Tragödie Eccerinis. Ein Beitrag zur italienischen Litteratur-
geschichte von Oberlehrer Dr. J. Wychgram 263
Zur Charakteristik von C. F. D. Schubarth. Von Th. Ebner . . . . 285
Über eine Stelle in Goethes Iphigenie. Von Friedr. Theodor Nölting 293
Ein Refurmationsschauspiel im Jahre 1540 in Paris aufgeführt. Von Dr. phil.
Georg Buchwald 299
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. Von Alfred
Schulze. (Schlufs) 303
Über die Sprache und Metrik der mittelenglischen weltlichen und geistlichen
lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. Von Schlüter. (Schlufs) . 357
Sitzungen der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen 389
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Zur Förderung des französischen Unterrichts, insbesondere auf Realgymnasien.
Von Dr. W. Münch 118
Englische Synonymik für Schulen, sowie zum Selbststudium. Von Dr. W. Drescr 121
Die Hauptregeln der englischen Formenlehre und Syntax. Repetitionsgram-
matik von Dr. Otto Ritter. (G, Wolpert) 121
IV
Seite
Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der germanischen
riii!t>l()gie, herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche l'hilulogie
in Herlin. Vierter Jahrg., 1882. Zweite Abteilung. (David Asher) 121
H. Savonarola und M. Luther nach ihrer Entwickclung und geschichtlichen
Stellung betrachtet 123
Hundert deutsche Texte zur Übersetzung ins Englische. Von Professor
J. II. Schniick 124
Die Realgymnasien bczw. Realschulen I. 0. und das Studium der neueren
Sprachen. Mit einem Vorwort an alle früheren Schüler der Real-
schulen I. O. und Realgymnasien und einer Besprechung der Schrift
des Prof. Dr. Körting in Münster: „Gedanken und Bemerkungen über
das Studium der neueren Sprachen auf den deutschen Hochschulen",
unter Berücksichtigung der darüber erschienenen Beurteilungen von
Dr. Otto Danker. (C. Flebbe) 213
Psalm CIV im Urtext mit seiner Übertragung als Specimen einer Psalter-
Polyglotte. Von Oberlehrer Dr. H. Lambeck. (David Asher) . . 217
Das Genus der französischen Substantiva. Eine neue Anleitung, das Genus
aller französischen Substantiva (über 40 000) durch Begriff und Form
zu bestimmen. Für Lehrer, Schüler und überhaupt alle Freunde der
französischen Sprache hrsgb. von J. Spelthahn (Th. Wohlfahrt) . 419
Thibaut, Französisch -deutsches und deutsch - französisches Wörterbuch.
100. Auflage 426
Ciala, Französische Schulgrammatik. Mittlere Stufe. 2. Auflage, umge-
arbeitet von H. Bihler. (J. Gutersohn) 427
Etudes sur la Conversation fran9aise, Manuel de Conversation et de Voyage
par George Storm 430
Die französische Volksdichtung und Sage. Ein Beitrag zur Geistes- und
Sittengeschichte Frankreichs, von Dr. Wilhelm Scheffler 432
Deutbch-Französisches Phraseologisches Wörterbuch von Adolf Holtcrmann.
(Dr. Fritz Bischoff) 435
Friedrich Müller, Grundrifs der Sprachwissenschaft; II. Band: Die Sprachen
der schlichthaarigen Rassen; I. Abteilung: Die Sprachen der austra-
lischen, der hyperborcischen und der amerikanischen Rasse .... 136
Fr. Müller, Grundrifs der Sprachwissenschaft; II. Band: Die Sprachen der
schlichthaarigen Rassen; II. Abteilung: Die Sprachen der nialayischen
und der hochasiatischen (mongolischen) Rasse 438
Fr. Müller, Grundrifs der Sprachwissenschaft; III. Band: Die Sprachen der
lockenhaarigen Rassen; I. Abteilung: Die Sprachen der Nuba- und der
Draviiia-Rasse 440
Carlo Mclori, Alphabetische Separatzusammenstellung sämtlicher unregcl-
mälsigen Zeitwörter der italienischen Sprache mit Hindeutung auf die
unregelmäfsigen Formen nebst den von denselben abgeleiteten Haupt-
und Beiwörtern. Dazu ein Anhang etlicher echt lateinischen (so), in
V
Seite
die italienische Sprache übergegangenen, doch jetzt meist veralteten
Zeitwörter 441
Germanischer Bücherschatz, herausgegeben von Alfred Holder, Cornelii Taciti
De origine et situ Germanorum libcr edidit Alfred Holder. — Germa-
nischer Bücherschatz, hrsgb. von Alfred Holder, Einhaidi Vita Karoli
Imperatoris edidit Alfred Holder. — Germanischer Bücherschatz, hrsgb.
von Alfred Holder, Jordanis de origine actibusnue Gctarum edidit
Alfred Holder. (H. Buchholtz) 442
Lord Byrons Einflufs auf die europäischen Litteraturcn der Gegenwart. Von
Dr. F. H. Otto Weddigen. (R. S.) 443
Spanische Grammatik mit Berücksichtigung des geselljchaftlichcn und ge-
schäftlichen Verkehrs von J. Schilling. (Paul Förster) 443
Pro gram mensch au.
Lehrplan für den deutschen Unterricht. Vom Lehrerkollegium beraten und
festgesetzt. Programm des Realgymnasiums zu Schalke 220
Ein Lehrplan für den deutschen Unterricht. Von Rektor Dr. Gronau.
Trogramm des Progymnasiums zu Schweiz 220
Der Unterricht im Deutschen. H. Teil. Von Oberlehrer Lconhard. Pro-
gramm des Realgymnasiums zu Dortmund 221
Zur Methodik des deutschen Unterrichts in der Prima der Gymnasien. Von
Oberlehrer Dr. Bindseil. Programm des Marien-GymnaMums zu Posen 222
Über den Betrieb der deutschen Metrik auf den Gymnasien. Von Ober-
lehrer Eggeling. Programm des Gymnasiums zu Krotoscliin .... 222
Über einige Eigentümlichkeiten, insbesondere über Pleonasmus und Tauto-
logie in der deutschen Wortzusammensetzung. I. Teil. Von Oberlehrer
Dr. Herm. Mushacke. Progiamm des Kaiser-Wilhelms-Gymnasiums zu
Hannover 223
Der Empfang der Gäste im Nibelungenliede, ein Beitrag zur Kulturgeschichte
des 12. und 13. Jahrhunderts. Von Dr. Emil Kettner. Programm des
Gymnasiums zu Mühlhausen in Th 224
Wolframs von Eschenbach Willehalm und seine französische Quelle. Von
Ord. Lehrer Saitzmann. Programm des Realgymnasiums zu Pillau . 225
Friedrichs von Hausen und Heinrichs von Veldeke Minnelieder, verglichen
mit denen ihrer Vorgänger. Von Dr. Otto. Programm des Gymnasiums
zu Konitz 225
Zur Geschichte der deutschen Spruchdichtung im Zeitalter der Minnesänger.
Von Hermann Schlüter. Programm des Progymnasiums zu Striegau . 226
Die älteste Herzebrocker Heberolle. Zweiter Teil. Von Paul Eickhoff. Pro-
granmi des Gymnasiums zu Wandsbeck 227
Niederdeutsche Passionsgeschichte nach dem Evangelium Johannis. Mitgeteilt
von Dr. Martens. Programm der Realschule in der Altstadt zu Bremen 227
M
Seite
Über llciixlis Fiiiiiv et Kacheiis lachiym;u von Andreas Grypbius. Nebst .
einigen weiteren Nacbriehten über den Dichter von F. W. Jahn. Pro-
gramm des Sladtgymnasiums zu Halle a. S 228
Wichiiids publicistischc Thätigkeit. Von Oberlehrer Hermann Böhnke. Pro-
gramm des Gvnmasiums zu Oldenburg 228
Über den Einllufs Ilolbergs und Destouchcs' auf Lessings Jugcuddramen.
Von Dr. Adolf Schimberg. Programm des Gymnasiums zu Görlitz . 229
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und Johann Heinrich Vofs. II. Von
Ord. Lehrer Dr. Otto Ilellinghaus. Programm des Realgymnasiums zu
Münster 229
Schillers Lied von der Glocke. Für die Zwecke der Schule erläutert von
Oberlehrer A. von Banden. Programm des Progymnasiums zu Kempen,
Kcgb. Posen 230
Die dramatische Idee in Schillers Wilhelm Teil. Von Gymnasiallehrer
Wühlenbach, Programm des Gymnasiums zu Ratibor 230
Über Schillers Auffassung und Verwertung des antiken Chors in der Braut
von Messina. Von Oberlehrer Dr. Arnoldt. Programm des Kncip-
liüfischcn Gymnasiums zu Königsberg 231
Zur Feier deutscher Dichter. Dreizehnter und vierzehnter Abend. Von
Direktor K. Strackerjan. Programm der Realschule zu Oldenburg . . 232
Briefe von Ernestine Vofs an Rudolf Abeken, mit erläuternden Anmerkungen
herausgegeben von Prof. Dr. Fr. Polle. Zweite Hälfte. Programm des
Vitzthumschen Gymnasiums zu Dresden. (Hölscher) 232
Der deutsche Aufsatz im Gymnasium. Von Prof. Ehemann. Programm des
Gymnasiums zu Schwäbisch-IIall 445
Der Trochäus und die deutsche Sprache. Von Dr. Reinhold Becker. In der
Festschrift des Gymnasiums zu Koblenz 415
Die Kose, eines der drei Wahrzeichen deutscher Dichtung. Von R. Finster-
waller. In der Festschrift des Gymnasiums zu Koblenz 416
Historia de Säncto Gregorio Papa. Eine Prosaerzählung nach dem Gregorius
Ilartmanns von Aue. Nach einer Heidelberger Hs. des 15. Jahrh.
brsgb. von W. Martens. Programm des Progymnasiums zu Tauber-
bischofsheim 446
Einiges zu den Charakteren der Artussage von Job. Alton. Programm des
Realgymnasiums im achten Bezirke Wiens 447
Die Nibelungcnsage im deutschen Trauerspiel. II. Teil nebst Anhang:
Richard Wagners Dichtung „Der Ring des Nibelungen". Von Dr. A. Stein.
Programm der Gewerbeschule zu Mülhausen i. E 447
Über die Quellen zu Rudolfs von Ems „Alexander". Von Prof. Dr. Ausfeld.
Programm des Progymnasiums zu Donaueschingen 449
Über die dramatische Dichtung Deutschlands im Mittelalter. Von Dr. P. Häling.
Programm des Gymnasiums zu Pensheim " 450
VII
Seite
Über die Gedichte des sogenannten Seifried Helbling. Von Prof. Heintzeler.
Programm der Realanstalt zu Reutlingen 450
Ein Beitrag zur Kenntnis des Sprachgebrauchs Klopstocks. Von Christof
Würfl. Programm des zweiten deutschen Obergymnasinms zu Brunn . 451
Über Goethes Iphigenie. Von Dir. Dr. Fr. Th. Nölting. Programm der
Grofsen Stadtschule zu Wismar 451
Der Pantheismus in der poetischen Litteratur der Deutschen im 18. und
19. Jahrh. Von Dr. Hermann Mensch. Programm der Realschule zu
Giefsen. (Kölscher) 452
Die Form- und Begritisveränderungen der französischen Fremdwörter im
Deutschen. Von Dr. Jos. Moers, Oberlehrer. Programm der höheren
Bürgerschule zu Bonn. (Püttmann) 452
M i s c e 1 1 e n.
Seite 233—237. 454 — 476.
Bibliographischer Anzeiger.
Seite 125—128. 238—240. 477 — 4S0.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore.
Die um die Mitte des zwölften Jahrhunderts in Frankreich
zuerst in der abendländischen Litteratur auftretende orientalisch-
byzantinische Erzählung von Flore und Blancheflor ist in Italien
mehrfach in gebundener und ungebundener Rede behandelt
worden. Der Hauptvertreter der ersten Gattung ist das in
ottave rime abgefafste Cantare (auch genannt Inamoramento
oder Storia) di Fiorio e Biancifiore. In Prosa hat den-
selben Stoff Giovanni Boccaccio behandelt in seinem recht lang-
weiligen — um 1340 entstandenen — Romane Filocolo, von
dem G. Körting (Boccaccios Leben und Werke, S. 464 — 494,
Leipzig 1880) eine ausführliche Inhaltsangabe bietet. Über die
Beziehungen beider Gestaltungen zueinander hat lange Dunkel
beherrscht und ist neuerdings viel gestritten worden. Nach
Crescinis Untersuchungen * scheint das Verhältnis beider dahin
klargestellt, dafs das Cantare als die ältere der beiden Fassungen
zu betrachten sei, oder auch dafs Cantare und Filocolo auf eine
gemeinsame Quelle zurückgehen. Irrig ist die Meinung der-
jenigen, welche sich das Cantare aus dem Filocolo hervorge-
gangen denken.
Der Grund dieser späten Einsicht in das Verhältnis der
beiden Gestaltung-en zueinander liesrt zum Teil in der schweren
Zugäno-lichkeit des Cantare, besonders aufserhalb Italiens. Da
auch der spanische Prosaroman von Flores y Biancaflor aus
einer italienischen Quelle geflossen ist — die aber trotz Maz-
' Vincenzo Crescini, Due Studi riguardanti Opere Miuori del Boccaccio.
Padova 1882. (Auch in der Riv. Eiiropea, vol. XXVII. Fase. V, 1 marzo
Arckiv i'. n. Sprachen. LXXl. A *-v^
2 II Cantare di Fiorio e Biancifiore.
zucchettis Angabe (Scrittori d'Italia, vol. V, p. 1355, Brescia
1762) keineswegs der Filocolo sein kann — , da ferner das grie-
cliische Gedicht von (DImqioc xu) TIXutUu (DhÖQr, ^ auf das Can-
tare, - vielleicht auf eine etwas abweichende Gestalt desselben
zurückgeht, so scheint eine kritische Ausgabe der oft weit aus-
einandergehenden Handschriften und Drucke dringend geboten.
Bei der weiten Zerstreuung des betreffenden Materials dürfte
die Herstellung einer solchen mit Schwierigkeiten verknüpft sein
und daher die folgende Veröffentlichung des Gedichtes nach
einem alten Drucke und zwei bisher wenig bekannten Hand-
schriften als Beitrag zu einer endgültigen Ausgabe sowie auch
als Stoff für den Litterarhistoriker erwünscht sein.
Der im folgenden abgedruckte Text beruht auf einer von
Herrn Dr. Oswald Cohn ausgeführten Abschrift des auf der
Pariser Arsenalbibliothek (B. L. 4860 A. 4«) aufbewahrten alten
Druckes, den Brunet, Manuel du Libr. H, 1300 erwähnt. Aus-
führlich beschrieben war dieses Buch schon vorher von Tho. Fr.
Dibdin, A bibliographical, antiquarian, and picturesque tour in
France and Germany (London 1821). Dibdin äufsert sich da-
selbst (II, 331) folgendermafsen : [Library of the Arsenal:]
„Fiorio e Biancifiore. ,La Historia di Fiorio e Biancifiore.'
This impression is executed in double columns, in a small black
letter. The stanzas are in eight liues each, At the end ,Im-
pressa ne la inclita et alma citta di bologna per mi Bazaliero
de Bazalieri cittadino bolog^nese. Delanno del nostro signore
M.cccclxxx adi xxiiii di decembre. Laus Deo.' Doubtless this
must be the Prima Edizione of this long populär romance —
and perhaps the present may be a unique copy of it. Caxton,
as you may remember, published an English prosaic Version of
it in the year 1485; and no copy of that version is known,
save the one in the cabinet at St. James's Place. To the book
before me, there was probably never any title prefixed; but at
the end is the above — preceded by the words ,Que8ta sie'. The
' Herausgeg. von W. Wagner, Medleval Greek Texts, London (Pliilo-
logical Society) 1870.
- Vgl. Ch. Gidel, Etudes sur la littdrature grecque moderne, S. 231
(Paris 186(j). — Rud. Nicolai, Geschichte der neugriechischen Litteratnr,
S. 75—78 (Leipzig 1876).
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 3
edition has only eight leaves, and this copy happens unluckily
to be in a dreadfully ehattered and tender state. At th6 end:
Finito e il Hbro del fidelissimo Amore
Che portorno insierae Fiorio e Biancifiore.
Subjoined to the copy just deacribed is another work (?), thus
entitled:
, Secreto Solo e in arma ben amaistrato
Sia qualunqua uole essere inamoi'ato.
Got gebe ir eynen guten seligen morgen.
The preceding line for line, is printed in a large Gothic type:
the rest of the work in a small close Gothic letter." —
Dibdins Angaben sind nicht überall ganz zutreffend. Be-
sonders fraglich erscheint, was er mit dem angeblich von Caxton
übersetzten, „at St. James's Place" aufbewahrten alten Drucke
gemeint haben mag.^ Übertrieben ist auch, was er von dem
furchtbar schlechten Zustande des auf dem Arsenal befindlichen
Exemplares sagt. Zwar haben der Zahn der Zeit und die
Würmer recht tüchtig daran herumgenagt und hat Feuchtigkeit
ihm auch geschadet, aber verloren gegangen ist doch kaum
mehr als hier und da ein ausgefressener Buchstabe; zu lesen
ist so ziemlich alles.
Die dem folgenden Texte untergesetzten Varianten sind
zweien auf der Pariser Nationalbibliothek befindlichen Hand-
schriften — fonds italien 1069 und 1095 — entnommen, welche
von Marsand, I Manoscritti italiani della Reg. Bibl. Parigina,
und von G. Eaynaud, Inventaire des Manuscrits italiens de la
Bibliotheque Nationale, p. 78, Paris 1882 — näher beschrieben
sind. Die eine der beiden Handschriften, fonds italien 1069 —
im folgenden mit A bezeichnet — ist eine im 16. Jahrhundert
ausgeführte Papierhandschrift in Quart, die 152 Blätter enthält.
Die Istoria de Fiorio e Bianza Fiorre steht fol. 113 — 136. —
Die Handschrift B, fonds italien 1095, eine Pergamenthandschrift
des 15. Jahrhunderts, enthält 141 fol. La storia di Fiorio e
Bianchofiore steht fol. 15 — 34. Zwischen fol. 16 und 17 ist ein
Blatt herausgerissen.
i Vielleicht Hegt eine Verwechselung vor mit der englischen — aber
nicht von Caxton besorgten — Übersetzung des Filocolo. Vgl. Lowndes,
The Bibliographer's Manual of Eng. Lit. I, 225.
4 II Cantare di Fiorio e Bianciöore.
Zu bemerken ist, dafs orthographische Abweichungen der
Handschriften von dem Drucke, wie chi eran für cheren, ben
für bene, chomo für como, maiorissima für magiorissima, con
für cum, chaualieri für caualeri u. s. w., unberücksichtigt ge-
blieben sind.
Questa sie la istoria de Fiorio e Bianciflore.
OBona jente ve voglio pregare
chel mio decto sia ben ascoltato
io vi contaro vn bei cantare
e raaxiraamente chi e inamorato
^ che li piacera in tal affare
e ciascaduno ne sia pregato
e ve dirone del nobel fiorio e bianeifiore
che insieme saleuarno con gran araore.
Un chaualiero di roraa anticamente
10 hebi per raolie vna jentil donjella
la quäl era molto richa e possente
doro e darjento e di molte castella
e non potendo hauere figli niente
di quella ro5a frescha tenerella
^^ a sancto iacobo si votarno dandare
se la donjella potesse ingrauedare.
Dentro da roma feron la promissione
stando al palatio con gran delicia
' voglio] ß: uogloue. '
- decto] A: ditto, B: dicto.
^ io] A: e.
^ B: fiorio e bianclio fiore hauero contato.
•"' B: ... como insemi se ebbero adamare.
•^ B : ... questo intenda omne horao inamorato.
' B : ... e come nacque fiorio e bianchofiore.
* A: como se leuono con grande amore, B: Et insemj se alleuaro con
re.
'■• chaualiero] A: caualere, B: caualiero.
'" hebi] A: ebe, B: prese. donjella] B: pol^ella.
" molto] fehlt A, B liest: Multo ricchissima e era p.
'- doro e dargento] e fehlt B.
'•' potendo] B poteua. tigli] B: figlolo.
'' frescha tenerella] A, B: f. e t.
'■' si votarno] B: presero.
"' la donjella] B: quella donna.
'" Dentro da r. f.] B: In Roma fecero.
"* al palajo c. g. d.] B: nel palajo del militia.
II Cantarc di Fiorio e Biancifiore.
e la donjella ingrauedo nela niasone
20 e tuta la corte ne facia leticia
el cbeualier se mosse in quella stasione
per andare al apostolo de galicia
e la dona col chauali'er intro in viajo
e tolsene conpagnia diuantajo.
2"» Lo re felice se mosse di spagna
lo saracino cane mescredente
con mille chaualieri in conpagnia
e di fanti menaua gran jente
e al passar che fece duna montagna
30 a lalba de lo jorno aparisciente
guardando ala strada per li camini
subito heben veduti i deti peregrini.
Lo re comando a li pagani
e a li saracini che eran ben arniati
33 andate a vedere se sono christiani
e si son christiani siano presi e taliati
con gran furore se mosse li cani
inuerso quilli christiani batejati
e si ne taliorne a pejo ben dujenti
*o e pcchine canparo cheran treccnti.
Preson quella christiana bella
e lo suo marito quiui fu morto
'^ B: la donna in quella astascione.
^ B: Tucta la gente nebe gran letitia.
2' B: Et presero la scar,ella e lo bordone.
^■' B: La donna el marito intraro i. u.
-^ B: diuantajo] A: de auentajo, B: Allora se scontraro in gran
dannagio.
26 B: Ipso con falso sarracino descredente.
-■ mille] B: raulti. in c] B: in sua c.
28 B: De populo menaua una gr. g. •
^ B : Quando foro ad passare una m.
^ B: Vna matina lo giorno schiarente.
3' B: Fece guardare le strade e c.
^ veduti] A: veduto, B: Sence passauano Romerj o pellegrinj.
^ Lo re c] B: Lo re felice c.
^ e ali sar.] B: Ad caualerj.
■''•^ se sono] B : se quellj son.
^' B: Et mantenente siano presi e legatj.
•" gran furore] B: grande furia. mosse] B : mossero.
^* christiani] A: cani, B: Contra alli christiani.
•'*'■' du^enti] A: dugento, B: Et preseroli e oeciserone ben ducento.
'•' canparo] A: scampano, ß: scamparo. cheran trecenti] A: cheren
trecento, B: de trecento.
'^ preson] A: preseno, B: Et presero una christiana multo b.
" B: Dapoy chcbbero morto lo marito.
II Cantare di Fiorio e Blancifiore.
ella diceua oime lasso tapinella
or chomo son conducta a mal porto
'*■"' e risguardando quelli la poncella
dissero non dubitare che harai conforto
poi denanjo al re che la presentaro
e lo re quello präsente tene ben caro.
Lo re felice vedendo la bellissima
=•0 quella christiana di terra latina
teneuala caia corao la maiorissiraa
c dela in guardia a la regina
nata gliera di chasa gentilissima
e la regina ne fe festa la niatina
•»5 vedendo quella bella Stella
tenella molto cara infra se Stella.
La christiana staua niolto pensosa
e nel viso era cambiata di colore
e diceua oime lassa dolorosa
*ö perche non fomorta col mio signore
chio non fosse riraasta siangosciosa
omi tapina chio moro di dolore
o tu apostolo sancto de galicia
or como ai comportato tanta tristicia.
65 La regina disse non ti sgomentare
e per lo mio aniore non te sconfortare
^^ ella] B: et epsa. oime lasso] B: o lassa.
'''■* B: che non conducta assai amal partito.
''^ B: Grande alegreje hauea la gente fella.
'"' dissero] A: disse, B: Vedendo lo suo uiso colorito.
^" presentaro] A: presentano, B: De nantj allo Re lebbero presentata.
"** tene ben caro] A: ben caro teneno, B : De tal presento ben la comentato.
''^ B: Lo Be quando la uide si b.
■■* quella] B: la.
^' B: Ben la tenea per Bosa odorissima.
•''- e dela in guardia] A: Et ella si jjuarda, B: Feccla prcsentare.
^^ B: Dicenno danima li^atra e grandissima.
^ B : Ecco chostei che tanto pellegrina.
^ B: Et quando uide si bella Stella chiaro.
^' B: Et la Regina ben la tenea cara.
^'' staua] B : era.
•'^ B: che nel suo uiso non hauea colore.
■''■> B:,Et si d. o lascia d.
•* B : Che nomme detti una lancia alcore.
•"•' B: Che hauessa morta mi la suentorosa.
•"^ B: Quando fo morto el mio gentil signor.
^ B: Chemme mossl con luv con gran letitia.
•^ B: Per andare allo apostolo di galitia.
•^ B : Et la Regina dixe domna mea.
** A: E non dubitare de nesuna tosa che sia, B wie der Druck.
11 Cantare di Fiorio e Biancifiore.
e pregoti che mi dica per tua cortesia
se tu se grauida non me lo negare
chio tiraprometo per la fede mia
'^'^ chio ti faro seruire e honorare
or ti conforta e sta alegramente
che mi haremo figli insieraeraente.
E ciaschuna di loro era grauida
cioe la christiana e la saracina
'-> e ciaschuna di loro era ben seruita
la christiana bella e la regina
e chiascuna hauia bona guida
e plaque a dio che parturino vna niatina
vn filio maschio fece la regina
80 e la christiana fe vna bella fantina.
'^^ A : E per lo mio amore non ti scomfortare, B : Pregote perla toa
gran cortesia.
*'** negare] B : celare, A 68 = 67 des Druckes.
^'^ chio tirapr.] A: che io (B: chio) te pr.
™ che io ti f.] B: Ben te farro.
"' e sta] B : presto.
'^ che mi] A : che noy, B : credo che hauerrimo figlioli insenijmente. —
Nach 72 hat B eine Strophe mehr, die nächsten beiden weichen ebenfalls
bedeutend ab :
La christiana hauea nome topatia
La sarracina Regina manire
Stauano como doy iiengano Ingratia
Et la Regina sillj'pose amore
Vna tela che uenne da dalmatia
De setha e doro"che Rendea splendore
Deuante alla christiana la fece essere
Perche quellj lauorj sapeiia thessere.
'^ Et luna 8 laltra era gia grauida
La christiana colla sarracina
'^^ Et partorero In una riccha camora
De maio che la'Rosa esulla spina
La christiana fe figlola femina :
Figlolo maschio fece la Regina
La christiana frescha e colorita
'"' Morio Impartoe passe de questa uita:
^' Le balie Incontinente foro trouate
Chelli fanciulii douessero ben fornire
Et lebalie ne foro multo pregate
Chelli fanciullj douessero ben seruire
**■'' Et luna e laltra nel primo sacciate
Ad una Insengha li fece vestire
Lo maschio con la femina fo nata
Lo primo giorno di pasqua Rosata.
"^ ciaschuna] A: cisachauna.
'•'■ ciaschurta] A: ciaschauna.
II Cantare di Fiorio e Biancifioic.
La clinstiana mori in quel parto
e rimanenda viua la fantina
subitainente le baile fono trouato
che alouasse il fantino e la fantina
*^"' e cosi insieme hin e laltro fn aleiiato
c naquero di pasqua rosata la raatina
e lo re nebe granda allegreja
di quello parto di tanta gentileja.
Lo re li portaua grandissimo araore
^^ a lo fantino pose nome Fiorio
e a la fantina pose nome Biancifiore
e Inno e laltro eran politi chomo auorio
e ambe dui creseeua di valore
e lo re lo fe sapere al ducha dl niontorio
^^ Inno e laltro fu bene nutricato
Fiorio con Biancifiore fu aleuato.
Lo re disse o dolce filio mio
io te Tolio a liegere mandare
e Fiorio disse padre questo dico io
'•^"^ seuza Biancifiore non volio andare
ma se farete quello che saprete comandare
^^^ el suo padre disse ello fara;,o
ambe dui a legere vi mandarajo.
JOö Fiorio fu aliegere mandato
e biancifiore con lui insiemementc
lo maestro era molto pregato
e da chaualieri niolto spessanicnte.
*• quel] A: quelo.
*® fono] A: fo.
^' aleuato] A: leuato.
^ frranda] A : graudissima.
»•_<» ß . Lq Hq portaua alloro tanto amore | Che pose nome liorio alle
figlolo I Et alia gentil poljella biancboöore | Per die se assiuiiglaua al fres-
cho giglo I Ciaschuno hauea nel suo viso colore | Quanto (a) la Rosa color
uermiglo | Tutti doi foro cresciutj duuo paragio | Per che uotritj non foro
de auantagio.
'■- auorio] A : auio.
Zwischen 96 und 97 hat B eine Strophe mehr: Da poy che foro cres-
chutj et alleuatj ] Et dodici annj ciaschuno de loro hauea | Erano tanto
Inscmj In amoratj j Ohe Luno sensa laltro stare non potea 1 Tanto forte
erano bellj et delicatj | Che Inquesto mundo parj non hauea | Lo Re foelicc
forte se pregiaua j Che luno con laltro fortemente se aniana.
-"^ B: Lo Re foelice dixe figlolo mio.
'•'* In B ein Blatt herausgerissen (bis 155).
«» e F.] A: F.
'^' A : &la se farete quelo che o idesio.
'"^ A : Faro quelo che saprete comandare.
II Cantaie ili Fioiio c Biancifiorc.
elHera da loro spesso visitato
i'O che linsegnasse veracemente
e lo maestro linsengnaua voluntieri
si che prestamente imparato isaltieri.
Poi lo fece legere el libro de lamorc
che legendo di facesse imparare
11'' e spessamente li daua ferite al core
e veramente lifacia suspirare
e fiorio guardando biancifiore
mal di vederla non si potea saciaro
onde lo maestro si sene fo acorto
'20 e si nebbe molfo male conforto.
Sapendo queslo lo re disse ala regina
gentil madona chi ti par di fare
ino tanto dolia che mi ruina
se fiorio si perde per tal afFare
'21 partir lo volio da questa fantina
e in altre parte lo volio mandare
per la Ventura gliuscira de la mente
perche non la vedera si de presente.
Lo re felice disse al filio fiorio
'30 dolce filiolo fa lo mio comando
iuolio che tu vaga liegere a montorio
e starai col duca e alui taricomando
e lui sie del nostro parentorio
e con lui in compagnia tu stando
'35 tu si farai lo mio comandamento
e faroti acompagnar di valimento.
Fiorio rispose al padre e si li disse
o re felice el tuo parlare e vano
se biancifiore mecho non venisse
'**> io non andarei in pasei si lontano
innan^i che da lei io rni partisse
da quella a che mio cor tiene in mano
'" voluntieri] A : volenteri.
"'•^ imparato] A: iniparo.
"•' de lamore] A: de amore.
'" si] fehlt A.
*^' sapendo] A: sapiendo. lo rej A: ci re.
'^ tanto] A: tanta.
'^' vaga 1.] A : uadi a leg.
'■"^ duca e alui] A : ducha aluy.
™ parentorio] A : parentato.
'^' io] fehlt A.
10 11 Cantare di Fiorio e Bianciüore.
innanci mi lassarei tuto taliare
cha senza biancifiore volesse andare.
^*^ Lo re gli rispuose a suo. detto
or sapi lilio che tua madre e amala
per la fede chio porto a machometo
questa notte e ancha nonne leua
se tu non crede va vede a letto
'50 e trouarai fortemente agraua
lassa Stare biancifiore in sua conpagnia
e chome sara guarita la raandaro in fede mia.
Fiorio rispose al padre lacrimando
dicendo padre ruio io volio andare
'55 e biancifiore molto vela recomando
e quanto el mio ochio fa la giiardare
e biancifiore preso a lacriraare
e prese combiato forte suspirando
e disse fiorio mio porta questo anelo
^^^ che de dentro vn ^affiro molto hello.
Lacrimando biancifiore dicia
per lomio amore questo anelo ferai
e di me nouelle saperai tuta via
per ciaschun ^orno chelo guardarai
'^5 e quando chiaro tu lo vedi li dicia
de la mia persona securo serai
ma quando tu lo vedi iscolorito
sappi chio sarei a mal partito.
"^ a suo detto] A : al suo dito.
^'^ amala] A : anialata.
"* leua] A: leuata.
"^ va vede] A: ua e uedi.
'•■^ agraua] A: agrauata.
'•^■^ B: Et bianchofiore auoy La Recomando.
'* ochio] A: ogio, B: Quanto che locchi niei falla g.
'■'^' A: E (B: Da lei) prese combiato (B: commiato) forte (fehU B)
suspirando.
'"'* A: E bianciüore (B: bianchofiore) prese alacrimare (B: allacbrimare).
'■'■' disse fiorio mio p.] B : dixe a f. p.
"* de dentro] A: ie d., B: che dentro ce sta uno jaffino m. b.
"'' dicia] A : dieiua, B : Et lachr. dicea.
"^^^ terai] A: tenerai, B: Et questo anello per mio amore terrai.
'^ B: Che de mi sitte rencordi tucta via.
'" B: Ciasche uno giorno che tu lo uederai.
"^^ B : Se chiaro tu lo uederai tucta via.
"* De la mia] B: de mia. sichuro seray] ß: securo ne starrai.
"■'■ iscolorito] A: descolorito, B: Se lo colore dello anello uederai
cagniato.
"* B : Pensa che io serraio amal stato.
II, Cantare di Fiorio e Biancifiore. 11
Fiorio lo prese uiolto voluntieri
^"^^ e dal padre prese combiato
e con lui andaua baroni e scudieri
e da molfa jente era aconpagnato
con asturi brachi falconi e leüreri
acio chelo andasse piu allegrato
*73 e spesse volte fiorio indrieto si voltaua
per biancifiore che tanto lamaua,
Uno messagio al ducha fu niandato
che venisse incontra a farli honore
el ducha a caualo subito fu montato
'^^ SU vn destrier ainbiante e coridore
da molti chaualieri era acompagnato
da conti e baroni di gx-ande valore
asti con penoni e bandieri spiegando
in contra a fiorio con tronbe sonando.
185 Fiorio non prendea alcun solajo
6 non potea nuUa ralegrare
e gionto a montorio al bei palajo
e quiui era ordinato richo man^are
e lo ducha silo prese per lo brajo
1^0 e disseli fiolo andiamo a disnare
'^^ voluntieri] A: volenteri, B: Et fiorio li respusc uolempterj.
'™ B: Inmantinente a cauallo fo montato.
"* andaua] A: mandaua, B: Con ipso andauano donjelli et caualerj.
*'2 B: De bella gente ello era acc.
"^ B: Astorj bracchi falcunj et sparucrj.
*'^ andasse] A: alandasse, B: Per confortarlo che andasse alcgrato.
^"^ B: Et fiorio puro arreto se uoltaua.
•"''' Perla soa druda che tanto forte amaua.
'"'' uno mesagio] B: El missagiero.
'"^ che venisse] B: chellj uenesse.
'■9 subito] fehlt B.
'^ sun uno d.] B; Nel palafreno.
'81 era] B: fo.
'** e] fehlt A. di grande (A: grando) v] B: per suo amore.
1^ B: Inuerso fiorio trombette sonando.
i*' a] fehlt A. B: haste et bandiere et lancie spejanno.
1^^ prendea alcun] A : prendiua nisuno, B : Ogni giorno se facca quollo
sollazo.
'*' non potea] A: non si potia. ralegr.] A: alegr., B: Per che fiorio
se potesse Realegrare.
1**^ B : Gionsero aniontorio al palajjo.
i**" B: Dove era facto uno riccho disnare.
'*• prese] A: pre, B: El duca sillo prese p. 1. braccio.
'™ fiolo] A: fiorio. andiamo], A: andemo, B: Et dixe figlolo giamone
amagnare.
ij 11 Cantarc di Fioiio c liiancifiore.
che per amoie de quisti caualieri
ben doueristi Stare senja pensieri.
Or ritornamo a lo re felice
e lassiarno fiorio inamorato
i^"> e ala regina sua dona imperatrice
disse el filio nostro a montorio c mandato
e biancifiore la falsa meretrice
ben credo che labia affaturato
ma se de lei inomo auendicarc
•200 rnai piu Corona in testa non voi portare.
Lo seniscalcho suo face chiamare
c disse or giura qui e fa sacramento
di fare quelo chitaro amanifestare
e che lo farai senja dimoramento
203 quando chisaro a tauola a disnare
farai tuto quelo chio di talento
che vna galina mimandi atosicata
e biancifiore dirai me labi niandata.
Lo seniscalcho falso e discredente
210 disse sagra maiesta tu a ben pensato
chuosere la faro prestamente
e meteroiü el tosico teniperato
e manderola quando visia tuta jente
contecho a tauola insieme asentato
^^' B: Ma perlo amore de questj caualerj.
'92 Stare] fehlt B.
103 B; Tornare lo uoglo alle Re foelice.
'** lassiamo] B : laxarimo.
''S B: Alk R. dixe Imperatrice.
'«■• B: Nostro figlolo a M. lo ni.
'9'' meretrice] B: tradetriee.
'"* che labia) B: chenze 1.
'*' inomo au.] A: inomay au., B: non ne fai uendetta.
-*"' B: Giammnv Corona non portara In testa.
™' suo fece] ß: tosto fe.
-^ disse] B : dice iura al mio commandamento.
^"^ B: De quello chette uo manifestare.
^' B: Che fatto sia senza d.
*'•' chisaro] B : serraio atauolo amagnare.
''"^ B: Commandote per questo sacramento.
^''' B: Mandarai una galhna ad thossicata.
^** B : Et bianchofiore ne sia ad cascionata.
^''■' falso ed.] B: dixe alegramente.
21" sagra] A: sacra, B: Missere uoi bauete ben per lato.
-" chuosere] A: cosere, B: Acconciare la farraio Inmantinente.
2'^ temperato] B: stemperato.
^'^ quando visia] A : (juan che sia, B : Farro chella vedera tucta la gente.
^''' B: Quando serrite atauola assettato.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 13
21^ e quando diiai chila fata venire
faro dire biancifiore la presenta caro sire.
Lo re con soi baroni ando a disnare
e la galina li fo apresentala
e lo giouenetto che Ihebe aportare
220 disse che biancifiore Ihauia mandata
e inmantinente lo re la fece taliare
e vna cossa a vno braccho hebbe gitata
el braccho cascho morto incontinente
e questo vidi lo re e tuta la gente.
223 Lo re felice fe sonare parlamento
e li principi del popolo fe adunare
e disse o belli signori io me lamento
de biancifiore che mha voluto atossigare
e ella vdendo si gran tradimento
230 non si sapia defendere ne scusare
alhora li sauii si Ihebbeno sentenciata
che biancifiore fusse subito brusata.
Contra li era tutaquanta la jente
credendo hauesse facta tal fallijone
23S lo maluagio seniscalcho mescredente
tosto la faceua niettere in prexone
e fecela ligare aspramente
acio che la non dicessa la sua ragione
^'^ B : Ad quello chella arrecha farro dire.
-'^ dire b.] A: dire che b., B: Che bianchofiore tella fa uenire.
^" con soi b.] B: et li b. ando ad.] B: andaro admagnare.
^'^ B: E lo ballecto ad cbl la fe portare.
■^ Ihauia] A: la hebe, B: gella.
^^ B : Et la cossa ad uno cane fo geptata.
^^ B: Et lo cane cade m. inmantenente.
^ re e tuta] A: re uide e tuta, B: Denantj ad tucta quella bona gente.
'■^ B: Lo ße fece s. ad p.
^^ B: Tueto lo populo fece radunare.
^'' belli s.] A: bey s., B: nobili baroni.
^'^ ma uoluto] B: me uol.';e ad thossicai-e.
'■^ B: Et epsa odendo si grande tr.
"''*' sapea def. nesc] B: sapeua ne potea scusare.
''^' sentenciatiaj A: sententia, B: Li iudici si lebero iudicata.
^~ B: Cbe epsa fosse ad ardere menata.
^^ B: Contra li daua tucta quella gente.
'■^ Per che non sapeuano la accascione.
^" B : Lo seneschalcho falso discredente.
^ faceuaj A : feci, B : fece. prexone] A : prcgione, B : prisone.
^ aspramente] B: strittamente.
'■"* Accio chella] ella fehlt B. la sua rascionej ia fehlt B.
14 II Cantare di Fiorio e Biancitiore.
e poi la fece menare a la iusticia
'■'*•* lo seniscalcho pieno dogni malicia.
Ad ardere era menata la donjella
sen^a fallijone per amor di fiorio
et ella diceua lassa tapinella
0 amor mio tu sei ora a montorio
2*3 e non sai de questa meschinella
come per te e menata al martorio
e sera morta e mai tu nomme vederai
e la tua vita contento non serai.
E si diceua oime misera dolente
230 o perche son io ad ardere menata
ora non ho piu amico ne parente
che maiuti e sonno abandonata
oime lassa 11 mio core e la mente
or doue se trista me che fui nata
•255 JQ jjQu jjQ niessagio chi tel venga dire
come per te io son menata a morire.
E ritorniamo a fiorio chauia dormilo
e con gran paura si fo isuegliato
e pose mente al lanello chauio in dito
260 e vite lo jaffiro tuto scambiato
e non era come solea colorito
e ricordosi di quello chera auisato
di biancifiore disse oime lasso
che biancifiore e a mal passo.
•■MO (Jogni m.] B: di m.
■■*'*' era] B: fo.
'■"- falicione] B: accascione.
^•3 Et ella] B: Epsa.
^ B: O drudo mio tu stai a M.
'^* B: Como per ti receuo gran martyrio.
*-"' sera] A: sero, B: Et non(o) misso che tello manadire (vgl. 255).
^* E la tua] A: E a la t., B: Como per ti son menata a morire.
^^ diceua] A: diciua, B: Et poi diceua ha m. d.
25' ho] B: aio.
^'^ B: Chemme consigle che io so aballonata.
^'^^ B: O Lasso lo m. c. et la mia m.
^ se trista] se fehlt A. B: De ti me doglio fiorio mal nata.
^^ venga dire] A: venga adire, B: Io moreraio e nomme vederai.
^ B: AUa toa uila alegro non starrai.
'^^^ B: Et fiorio in quella hora hauea dormito.
'■"*' paura] A: pagura. fo isueghato] A: fu resuegiato, B: e reuiglato.
'"^ B: Quello che bianchofiore li hauea dato.
^' B: Vide el zaffiro tucto scolorito.
^- B: Et era tucto quanto tracagnato.
^ bianc. disse] A: b. e d., B: Allora dixe oyme dogloso e laxo.
'■*'' B: Credo che bianchofiore sia amal passo.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 15
265 Fiorio si fu leuato inmantinente
senja dimoro e non fece tardanza
e ando a vno chaualiero suo parente
lärme e lo cauallo chiese in prestanja
e quello gli presto vn destrier corrente
^"^^ lo sbergo con lo scudo e la lan^a
e vna spada bella con forte tagliare
che ben potia securamente andare.
Fiorio in sul cauallo fu montato
e conli speroni chello richiedia
275 in verso biancifiore fu andato
perche enera intrato in jelosia
e si tosto come fo gionto al prato
trouo la damisella che piangia
et era apresso al fuocho ardente
280 e a vederla era ita molta jente.
P'iorio se misse in quella pressa
doue era lo focho e la calura
e biancifiore nel cabanello fo messa
e gliera quasi morta di paura
-^'' e si tosto come fiorio giunsa ad essa
disse a la damisella or te secura
di me la veritade e non nie lo cielare
per che cason lo re tha fatto sentenciare.
-''^ si fo leuato] B: se leuo.
-«« fece] B: fe piu.
^^ B : Ad uno caualero che era suo p.
'•** chesse] B : prese.
^« e quello li] B: Egll li.
^™ con lo sc. e la 1.] A : e lo sc. con la 1., B : Et sbergo et elmo et
scudo et la lancia.
-■' bella] fehlt B. forte] B: dolce.
-'" securamente andare] B: securo caualchare.
-^^ B: Et tiorio ad cau. fo m.
-^^ B: El desperonj ben lo rechiedeua.
275 inverso b.] B: in verj di b. fu andato] A, B: ne fo a.
•116 Q. Pero che ne era intanta g.
^'' E si tosto como fo] B: Incontinente si fo.
^''^ era] B: staua.
^^ B: Et per uederla staua multa g.
^' B: Et tiorio per la prescia si fo messa.
'^^ B: D. e. accesso el focho et a caldura.
^^ cabanello] A: gab., B: Et bianchofiore si staua demessa.
-^^ B: Quando lo Caualerj so gionto ad epsa.
^^ or te sec] A: ortasic, B: Et egli dixe poljella sta secura.
^^^ veritade] A, B: verita. la celare] B: raentire.
^^ cason] A: cagione, B: Per che el Re te uole fare morire.
IG 11 Cantare di Fiorio e Biancifiore.
E biancifiore si fu alui in^enocliiata
'-'••o e si li dissc tuto el conueniente
la seniscalcho alo re mebbe acusata
chio il volse atossicare maluagiamente
e io misera a torto sonno incolpata
che la gatina non mandai veramente
295 o chaualier se lu poi dami aiutorio
per tua cortesia e per amor de fiorio.
Fiorio disse non hauer teman^a
la guardia de lelrao si leuoe
si come chaualiero di gran possanja
300 e infra tuto el populo si parloe
io voglio che si riuoca la senten^a
che biancifiore Io tosico non mandoe
anci e stato Io seniscalcho traditore
che mando Io tosicho e non biancifiore.
303 Alhora li rectori si comandaro
che biancifiore non sia brusata
e diu a caualo presto mandaro
allo re felice porta lambasiata
dicendo signore nostro caro
"^ B: Missere poy chemme hauito domantata.
~* fehlt A. B : Io ue dirro tucto el comraenente.
^' mebe] B: mea.
-'"^ B : Chio Io uolea atth. maluasciamente.
-•*^ misora a torto son] B: missere ne so.
^^ B : Et quelle thossico non manday niente.
^^ se tu poi dami (A: darmi)] B: se poi dämme.
"^ tua] fehlt B.
--" temanja] B: temenja.
^® leuoe] B: leuone.
^ possanjaj A: potentia, B: valenza. i
^°° B: De nantj atucta gente se ualjone. |
^' B: Io reuocaro questa s.
*^ mandoe] B : mandone.
^"^ B: Lo senescalcho falso traditore.
•^ che] fehlt B. non b.] B: non fo b. — B hat hier noch folgende
Strophe: Et per amore di fiorio che io lamo | La morte et mia persona uo
diffidere | Questa per suo amore me fa rechiamo | Et per suo amore lauo
dissobrigare | Dello commattere io ho uogia et bramo j Col seneschalco lauo
Contrastare | Io amo fiorio et se io nonte aiutasse | Credo che se dirria che
nollo amasse.
*'■'' comandaro] A: comandano, B: Judici et notarj commandaro.
^' sia brusata] B : fosse guardata.
*' e dui a c.] A: E doue c. mandaro] A: mandano, B: Et de nantj
al Re se appresentaro.
** porta] A: porto, B: Et s. Ui annüptiaro la imbasciata.
^■' B: Uno amico de fiorio multo caro.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 17
310 veniito e vn chaiialiero che a scusafa
biancifiore e vol da ogni persona
a ragion defenderla o sacra maesta di Corona.
Ello re felice disse alle ben rasone
disse a li messaggi presto vi partiti
31^ ella daniisella metela in presone
e da matina da me vui tornariti
e menati el caualiero ala magione
e honor da mia parte glie fareti
lui elo seniscalcho conbateranno
320 e quäl sia de lori hara il mal anno.
Ello siniscalcho suo che chiamato
e disse vn caualiere e venuto
che appella lo iudicio condennato
e a biancefiore si vol dar aiuto
32j tosto valentomo e caualier presato
fa che labati morto irrecreduto
o seniscalcho or te injegna farlo
et io ti donaro lärme el caualo.
E lo seniscalcho disse alliegramente
330 de la bataia li mandaro il guanto
e da matina al leuar del sole lucente
denanci al populo tuto quanto
^^° B : Dice che bianchofiore non e incolpata.
^" B: La soa persona amorte me uole stare.
^'- Sacra] A : sagra, B : Et per bianchofiore uole contrastare.
^'^ alle] A: ele, B: El Re poy uide che era rascione.
^''' B: d. alli inissagerj ora ve partite.
^'■' B ; Et bianchofiore remenate imprisone.
^"^ (ia me vui] A: uoy da nii, ß: Et poy domatina ame retornarite.
^'" B: El caualiero menate alla statione.
^'^ B: Honor et cortesia li farrite.
^'^ B: Poy domatina si combatterando.
^^ B: Qual sia diloro hauerra molto danno.
^-' B : El seneschalco suo ebbe chiomato.
^^ e ven.J B: ce v.
^■^ che] B: el quäle, condemnato] ß : infiammato.
^^ e] fehlt A, B. si] fehlt B.
^"^ B : Or si prodo homo caualiero pregato.
^^ labati m. irrecred.] A: lo bata m. recred., ß: De farlo n.orto et
anche recred.
^-'' farlo] A: a farlo, ß: Per lo mio amore caualiero fallo.
^-* danaro] B : darro.
^** mandaro il g.] ß: dateme lo g.
^' ß: Allo leuare dello sole resplfndente.
33?_33e ß. £1 caualieri chi se ha dato tal auanto | lo la farro morto et
descredente | De nantj acquisto populo tucto quanto | Lärme et lo cauallo
io me farro dare | Et uoglo domatina ben giustare.
Archiv f. u. Sprachen. LXXI. 2
Itj 11 Cantarc di Fiorio e Biancifiore.
io labbaltero morto irrecredente
lo caiialiero che si da tal vanto
33-'» lartne e lo caualo fatemi trotiare
che da matina con lui nievo proiiare.
Quando laltro gioino fii apparuto
fiorio al campo venuto fu armato
si hello caualiero non fu veduto
^^^ sopra dun cauallo molto apiesiato
e lo seniscalcho pessimo e arguto
verso lui ando como drago intiamato
e disse o caualier che voi dire
de biancifiore che e digna de morire.
355 Fiorio como homo sen^a paura
si li respose molto arditamente
e si li disse o seniscalcho di mala natura
como traditore maluagiamente
incolpasti biancifiore nobil creatura
"^"'^ el tossico non mando mai niente
per lei son qui venuto a darli aiuto
or prendi del campo maluagio recreduto.
^•' lärme] A: le arme.
^* meuo] A: mi uoy.
B hat hier zwei Strophen mehr: El Re foelice li fece apparecchiare
In mantinente uno riccho destriero | In questo mundo non troiiaua paro
Cotanto e rogogloso forto e fiero | Sette annj la aiica fatto sogiornare | Chü
montato non cera caualiero | Et le soe arme li dono de presente | Lo sene-
schalco se armo alegramente.
Da poi chello seneschalco fo adobato | Sally ad cauallo con grande
ardore | Et su nel campo sende fo andato | Piglo la lancia con grande
furoro I Et ad alta uoce hauea gridato | Doue doue questo combattitore
Che uole f'are della verita torto | Ogi lo faccio discredente o morto.
^'' B: Da poi chello giorno chiaro fu venuto.
^^ venuto fo arm.] A: fo arm. venuto, B: Et fiorio nel c. fo tornato.
^** fo ued.] B: fo may u.
^**° B: Cotanto era bellissimo et armato.
=»' E] fehlt B.
*''- verso lui ando] B: Si corse allui. drago] A: un dragi.
•''" oj fehlt B. uoy d.] B : uoy tu d.
^'^ de b. che dcgna] B: Che b. e digna.
^''■' Fiorio] B: Et f. paura] A: pagura.
^'•^ si li r.] B: Bene li respuse.
^" B : O seneschalco tu mentj per la gola.
*'■* como] B: Si como.
3''-* B: Che h. lagentil c.
:m ß. p211a quelle thossico n. mando n.
^' a darli] A: per d., B: ü caualerj se altro non uoy dire.
*^^ B : Prendi del c. chio te uengo afferire.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 19
Li caualieri si furon desfidati
e ciascuno prende del campo a suo desire
3^^ e como dui leoni descatenati
inuerso lim laltro per ferire
e con le lance si furno scontrati
denanci al populo e al gran sire
e fiorio col suo destriere che vola
^6'J al seniscalcho de e ferilo nela gola.
Lo seniscalcho malamente ferito
era molto forte ispauentalo
per lo colpo che Ihaiiia isbegotito
presso che non fu discaualcato
36' e lo seniscalcho vedendosi a tal partito
misse rnano al brando chauia de lato
6 sopra di fiorio vn gran colpo distese
taglio lo scuto quanto ne prese.
Essendo la bataglia inconminciata
3'0 sicome conta el libro ela istoria
biancifiore staua injenochiata
e si diceua o alto dio di gloria
tu sai che a torto ison incolpata
al mio caualier dona vitoria
^^^ Li c] B: Ambedoy li c. furon] A: fono, B: fon.
^" prende] A: prese. desire] B: volere.
^■'^ descatenati] A: incatenati, ß: scatenati.
^'' altro per] A: a. vano p., B: Luno guardauo allaltro ad tal manere.
*"'' furno] Ä: fono, ß: foro. scontrati] A: iscontr., B: resc.
^'* B: Dauantj alle p. che staua auedere.
^^ B: Fiorio per la soa bona uentura.
^^ de e ferilo] A: lo feri, B: Lo primo culpo li dette n. g.
B hat hier die Strophe (369 — 376): La campo et la battaglia cru
comen^ata | Si como dice el libro della historia | Et biancbofiore staua in
geno ohiata | Et si diceua alto dio de gloria | Tu sai signore che attorto son
incolpata \ AUo cavaliero mio duna uictoria j Che luy non sia morto ne pre-
sone I Signore aiuta chi a la Rascione.
^"* B : Et seneschalco ad niorte era f.
^- B : Ad mala guisa era In nauarrato.
*^ B : Del male culpo che hauea receputo.
^•^ B: Egli fo tucto quasi schaualcato.
^*^ B : E 1 traditore pessimo et arguto.
^ B: alla spada. de lato] A: dallato, B: allato.
^" e sopre di (fehlt A) f ] B : et s. a f. gr. c.
^* taglio] A: taglioH. lo scudo] B: lo scudo e lelmo. ne] fehlt B.
In B hier folgende Strophe: Fiorio fortemente se sraariua | Sentendose
nel uiso delicato | Et biancbofiore fortemente temeua | Quardando nel uiso
delicato | Et biancbofiore ad tucte lore dicea | Confortate como homo inna-
morato | Fiorio dice al seneschalco orio | La testa tosto te tagliaro io.
3«9 Vgl. B nach 3G0.
2"3 incolpata] A : colpata.
20 11 C'iintaro (ii Fiorio e liiiiiiciliore.
■^'^^' che non sia morte nc presone
signor mio aiuta chi ha rasone.
Fiorio che hauia imparato ascriiuiie
e si vn colpo riceuea dui ne daua
e pur a la goia tornaua a ferire
380 la sua spada molto ben menaua
dinan^e al populo e al gran sire
vnaltro colpo nela golagli daua
che morto lo hatte alla pianura
el populo cridaua campata e biancifiora.
385 Fiorio subitamente fo drsmontato
e la testa del bustogli taglioe
e lo re vedendo tal merchato
dali balconi piangendo si leuoe
dicendo oime chio mal caualcato
390 del siniscalcho che perdiito loe
e lacrimando disse ala regina
destruti siami per questa fantina.
Biancifiore diceua al caualiere
o caualier con fiorio hauete prode^a
39^ in verita vi dico chomo lui sei fiero
e anche li similiate ala fateja
e siete in verita como lui altiero
e anchora hauete tanta gentileja
^^' B : Fioria sapea ben del scremire.
^'^ E si un colpo] A: E se un colpa, B: Se iino colpo rccepea quattro
ne d.
^^ B : Puro nella g. guardaua di f.
^* B : CoUo soa spada bene lo resopinaua.
^*' e] fehlt A. B: Denanti al populo che staua auedere.
^"^ B: Gio morto del cauallo lo giptaua.
^^ B : AUora se gipto grida et romore.
^' biancifiora] A: la fanjula, B: Scampata e la poljella bianchofiore.
^**" B : Et forio de cauallo fu sm.
^^ B : La testa al seneschalco si taglaua.
^ uedendo tal] A, B: u. fare tal.
^ B : Piangendo dalli balcunj se leuone.
^^^ B : Et dixe male o guadagnato.
^■* B : Chel sen. mio perduto arone.
^- siami] A, B: siamo.
•™ B : Et b. dixe a. c.
^•^ B : Se fiorio hauesse Lisi fante prodetje.
•'*'' come luy se fieroj B: volempterj.
■''■'" e anche li s.] A: E ancora lo som., B: Che auoy Ic simiglante ao
le fatteze
^ B: Quando ue uigio luy me pare uedere.
** B: Pero che hauite del soc belleje.
II Cantare di Fiorio e ßiancifiorc. 21
poi dinanci a liii sinjenocliiaiia
^f"" e per lalegre^a li sui pecli basaiia.
Fiorio alhora la prese per la mano
e disse sta su o bella damisella
e dinanci alle re felice per certano
in sul palajo nando con ella
*"•» e sili disse o re felice e soprano
te ricomando questa damisella
guardala bene per araore de Horiu
chimi diparlo e vo a lui a montorio.
Fiorio a montorio fo ritornato
*"^ e lo ducha si lo prese per la mano
e si li disse figlio or doue se stato
or donde ventu de si lontano
fiorio disse imi sonno solaciato
in vn jardino molto soprano
^■'^ B : De nantj allo caualiero se ingenoccliiana.
'™ B: Et lachrimando II pedi li basaua.
*' Fiorio] B : Et f . alhora] fehlt B.
^"^ B: Et dixe Leuate su o dam.
^°-'' B : Dinantj al Re foelice sende andauano.
'"" nando] B: sende ando.
'"^ soprano] A: sourano, B: Et silli dixe omaluasclo cstrano.
^^ B: Siate recommandata la donjella.
'*' B: Et silla reguarda per a. d. f.
'"'* B : Cha io nie parto et uaommene amontorio.
B hat hier vier Strophen mehr: Et lo Re foelice per lo mano la prese
Con alegra faccia lebbe reccputo | Et dixe poy che non ai fatta loffesa | Et
questa colpa gia non ay hauuta | Certo multo rae dole et simnie pesa | Della
uergogna che ay sostenuta | Pregote caualiero per uiio aniore j Non lo dirc
ad fiorio che hauerria dolore.
Et fiorio dallo Re se departea i Et prese combiato In mantenente | De
nantj alla Regina sende gia | Et dice bianchofiore ^ue presente | Et poy le
dixe recommandata te sia | Questa pol^ella madonna piacente 1 Se afiorio
portate grande amore | Siaue Recommandata bianchofiore.
Et la regina bianchofiore prendea | El caualiero ebbe rengratiato | Quello
cra fiorio et nollo cognoscea | Cotanto er.^ uenuto sfigurato | Et fiorio con
pianto se partea | Et bianchofiore per mano la piglato | Et dixe misser se
andate amontorio | Dalla mia parte salutate fiorio.
Et fiorio se parteua lachrimando | Intendendo biancofiore fauellare j Et
duramente andaua sospirando | Per bianchofiore chellj convene laxare | Di-
ceua o alto ydio tella accommando | Che bianchofiore nie debbia guardare
Solo selecfo senza compagnia | Et tosto admonlorio sende geua.
^™ B: Da poy che a<l montorio fo tornato.
'"'" or] fehlt A. B : Et dixe fiorio doue tu si stato.
'''- de] fehlt A. B: Che uenj da paese si 1.
"' niolto sourano] B: pretioso e sano.
II Ciintare di Fioiio c Biiincifiorc.
*'■' c 5-ta(o sono con done e donjelle
e anchora con niolte belle damiselle.
El ducha alhora si lo fe disarmare
e da piu scudleri lo fe seruire
0 dlsse filio andiame a^disinare
*20 per niio arnorc non te isbegoiire
fiorio disse imi voglio possare
c ho gran talento di dormire
nc manjare ne bere or non fa mestier
e per bianoifiore i uiuo in gran pensiero.
*^'' Lo ducha due donjelle face trouare
che eran piu belle cha persico fiorito
e ciasehuna era pucella da maridare
ambedue il ducha de questo partito
or quäl sera divoi il faci allegrare
^30 gie lo daro per legitimo marito
luna rispose ilidaro fal conforto
chel farebe resuscitar sei fusse morto.
Elle donjelle col bei viso rosato
andoro nel pala^o precioso
''^ä e trouono fiorio solanato
e lachrimando star pen soso
e luna disse nulle inamorato
non direbba slar si doglioso
""•^ sono] ß: sondü. done (B: dammo) e donjelle (B: damiccile)] A
due dauiicelle.
■"" B : Et soljato con belle donzelle.
'*" alhora si lo fe] B : lo faceua.
''"^ B: Et ad caualerj lo facea s.
'"'■' B: Et dixe afiorio andamone amagnare.
420 -Q . pgj, (,|q g]^(j hauimo nouelle dagoderc.
^'■'^ B; Per che o gran uogla de d.
''^ B: De bere ne magnare io non cura.
''^'' i uiuo] A, B; sto. pensiero] B: paura.
^2^ fece] ß: fe.
'^'^' chaj A : che, B : Piu hello chello p. f.
'^^ B : Ciascheuna grande dello maritare.
''-* B: El duea fece alloro questo p.
*''^ il] A: chel, B: Quella de uoy chello fiura reallegrarc.
''■■* B : Fiorio li darraio per m.
*" B: Ciasehuna dixe lo li darro conf.
*^'^ ß: FaroUo resciuscitare se fosse m.
■«33 B: Le donue.
'^' B: Salliero su lo p.
"3^ trouono] A: trouarono, B: Trouaro f. stare solo nato.
*^' Star p.] A: st. tuto p., B: staua doloroso.
*3' B: luna si dixe o houio inam.
'i.'w (Jerebbe] B: douoristi. si dolioso] B: tanto pensoso.
11 Cantare di Fiorio c Bianciilore. 23
anji direbbe ridere e solajare
**o de per nosd'o amore lieuati a danjare.
Ciascuna li mostraua el bei petto
colle blanche e preciose mamille
dicendo fiorio or prendi diletto
di nui che siamo si belle damicolli
**•' e fiorio non se curaua di lor detto
ella maiio se tenea alle maxella
e non le voleua intendere ne vedere
e in altra parte se nando a sedere.
E luna con laltra diceua inueritade
^'^^ io credo ben che haremo fallato
perche non cura de nostra ami&tade
ad altra dona lo siio amore ha dato
e non cura niente nostra beltade
anci sta chomo homo affatiirato
^•'•5 tornaron al ducha e disseli il tenore
e disseno fiorio non cura nostro amore.
''"" derebbe] B: doueristi. solacare] B: iocare.
"" leuati a d.J ß : la danja inenare.
'"' el belj ß: el suo b.
■^''- B : Et b. et pr. le mauielle.
^'^"' B: d. afiorio prendite <liIecto.
**' B : Da noi che sirao b. dammicelle.
^'^ curaua de lor d.] A : cura de lor dileto, B : Fiorio non tenea meute
alloro dicto.
''*' B: La mano tenea pure alle mascelle.
"" B: Et nolle uolse i. n. u.
^^^ B: In altro locho sende ando assedere.
''"'^ B : Luna diceua all altra per certanza.
^^ ben che aremo] B : bene labianio.
'*'' B: Che non se cura de nostra belleza.
«2 loj fehlt B.
'"^ nostra b.] A . de n. b., B: Et non ponc raente ad nostra fatteza.
''■'^ B: Sta proprio como fosse aft'acturato.
^■'^ tornaron] A: Torniamo, B: tornaro al d. et dixeroli la certeza.
''^ B: Egli non se cura de nostra belleza.
B hat hier zwei Strophen mehr : El duca prese adire allora afiorio | Caro
figlolo mio questo che uole dire: | Manchate gioie destrierj ne thesoro | Ne
altra cosa chette sia impiacere | Fiorio respuse ( t non ce dimoro | Et Lachri-
mando comenso adire | Manchame bianchofiore la frescha rosa | Quella che
amo sopra omne altra cosa.
El duca si respuse inmantinente | Figlolo mio caro de cio non duui-
tare : | Che allo tuo patre mandaro de presente | Che bianchutiorc te dcbbia
mandare [ Per lo mio amor sta securamente | Che bianchofiore non po in-
dutiare | Faretella venire doue tu serrai [ Si che ad tucte lore uedere la
porray.
]1 t'aiitaic di Kiorio e Biaiicilioio.
l!^l diicha ullessc vn incssagio
allo re felice mando a dire
del flgliolo tuo iic grau danajo
^'^o se vino lo voleti manteniie
c si lo amate de buon corajo
biancifiore fafequi venire
chio vi prometo per mia leanja
che si consunia per lei chomo sua inaiija.
*6S Lo re felice disse ala regina
cl nostro figlio morc inamorato
nouelle na^o hauto questa malina
onde el mio core ne forte turbato
che biancifiore la falsa fantina
*^o ben credo cieliebe afaturato
ma si di lei nomo auendicarc
Corona in testa non voi portare.
Lo re subito la volia far morire
la testa li volia far tagliare
^'^ c la regina disse non far dolce sire
niagior vendeta ne potrai ben fare
alli raerchadanti la vende e aran a gire
in soria che de oltra niare
et elli non la menarauo per cita nc castclla
*^*^ e mai fiorio de lei non sapera nouella.
^'"'^ allesse] A: alexe, B; El de fece letterc per mess.
'^ fei. m.] B : fei. sillo m.
^'^ B: El tuo figlolo misser e gian dannagio.
'"'*' B: Se uoy lo uolite reuedere.
^'^^ B: Piu tosto che potite sensa oltraio.
'''''- B : facciateli u.
*■' per mi lian5a] B: in fe de lianza.
'''■^ B: Clie non si cura de niillall' amansa.
'''''' B: Le letterc recepei q. m.
4C8 ß. "Pucto lo core me ando inaurato.
''•'■' B: Destruttj simo per questa fant.
'''™ cieliebe] A: che labi, B: che lei labbia.
'"' nomo] A: non ho, B: non faccio uendetta.
''- testa non voi] A: t. may non ho, B: Giamay Corona non portara
in testa.
^'_^ B: Lo Re foeliee la uolea oonquidere.
"^^ uolia] A : uoliua 11, B : ad bianchofiore uoleua.
'^''•' non far de s.] B: nolla occidere.
"^ potrai b. f] B: porrimo f.
'"_' vende e arane agire] B: porrimo uendere.
"■" de oltra m.] A: che oltra il m., B: Ad quell] che sondo venutj oltra
mare.
^"'' B : Et si menarando in altra terra.
'"*' B: Giammay de ley non hauerrinio nouella.
11 Cantaro di Fiorio c Biancitiore.
Lo re disse o dona mia de valore
tu hai parlato molto sauianiente
de la pucella maluagia biancifiore
e vendere la voglio in niantinente
*8^ alH merchadanti senja limore
per che noi nabiamo biasimo dala jente
la vendero si ciellatamente
che fiorio non sapera mai niente.
Lo re fece venire [a] se dauanti
190 dui chaualieri sauii e in^egnati
e disse loro andate a li merchadanti
che al nostro porto sono ariuati
e doniandati se hauessino bisanti
o altre joie che siano aiiantajati
^9'' e se voleno conprare vna donjella
che in questo mondo non e vna si bella.
Alhora ichenalieri presto andoro
et a li loro lojamenti furon presto andati
e quiiü molto bene saparechioro
^00 e poi in verso el porto furon ariuati
e quiui imerchadanti si trouoro
e salutarli chomo homeni pregiati
c quelli receue il saluto alliegramente
si chomo conuenia a cotal gente.
•^^ mia] fehlt B,
"^ molto] B: bene.
'^^ pucella] A : poncella, B : Quella gcntil pol^. b.
"^•'' ß : Et sia uenduta senja fa rumore.
''^ B: Per non uenire a biasmo <lel gente.
"'*" vendero] A: uenderano, B: Vendere la uoglo poy che lauen
dicto.
"^^ B : Giammay ad tiorio cio non sera scripto.
■'*•* B: Doy caualerj se fe uenire de nantj.
** B: Che era bene cortesi et ing.
"'" B: Dixe lo Ke and. ad m.
^'■^ B : Quellj che allo porto sondo a.
'*'■'' auessenoj B: hauissero.
'''•" joie eh. s. au.] A : joe che s. uentejiati, B : giole che fossero pre-
giate.
*'* B: Per comprare la gentil poljella.
'*''* non e una si] B : fo may la pin.
■'''■'" Diese Strophe fehlt B. ändoroj A: andano.
*-'^ A: Et ali alo^. fono lor and.
'''^ sap.] A: saparegiono.
^ furon] A: fono.
•'*" trouoro] A: trouono.
•*'■ cotal] A: tal.
11 Ciinliire di Fiurio e liiancifiore,
MOS ]£^\\o patlronc de la naue salutoro
e Uli li rcspose con allegra fa^a
e cognobe i caualieri sen^a dimoro
grande alegreja li fa e si la braja
e disse subitamente a costoro
•''"* hör haiieresti voi gioia checi piaja
11 caualieri diceuano inmantinente
noi velo diremo incontinente.
Messagi siamo de lo re felice
che vender vol una don^ella
•'''^ et e piu bella che la imperatriee
e piu chiara che vna Stella
e grande hauere ne vol secondo dice
perche eile verjene e pucella
e mandaui adire se la volete comprare
•^20 che grande auere ne potreti aguadagnare.
Allora un merchadante si fo lieuato
chera richissimo di molto havere
e disse a me piace a far questo niercato
ma in prima la vogliamo vedere
*^ B: Lo padrone d. n. con belli salutj.
^ e lui li] A: e 1. si 1., B: Et bene loro li rcspusero alegramente.
■"'' B: Quellj caualerj lebe cognosciutj.
'•^^ B : Gr. alegreje fecero simelmente.
^*^ B : Et dixero per che site cqui uenutj.
^'^ B ; Encie gioia che ue sia impaciere.
•"'" li cau. diceuano] A : li c. disse, ß : Uno caualiero respuse alegra-
mente.
'''^ B : Noy uello dirremo tosto de prosente.
'"" uol] B : uolimo.
■'^^ et e p.] A: Ede p., B: Ella epiu.
•■'"' una] B : nisciuna.
^" B: Uno grandissimo thesoro ipso la dice.
•''■* B : Signorj sella uolite c.
•'* potr. ag.] A: poteren g., B: Uno gr. hau. potite g.
B hat zwei Strophen mehr: Sappiate che al mundo non e donna ne-
suna I Che secho porte tante genteleze | Trouare non porria ne biancba ne
bruno | Che in testa porte doy si bioude triccie I Come lo sole fa spargere
la luna | Cosi fa bianchore con soe belleze | Tante bellizi porta nel suo
uiso I Che pare che sia nata iniparadiso.
Le soe belüge non se porriano mai dire | Ne lengua de homo nollo
porria contare | Ma questa e cosa chesse po uedere | Se uoy la uolite com-
pararc | Quello che dieo potero probare | Donjella si e el vergene pura |
Delle beiliji ha sensa mesura.
•''-' B : Uno merchatante impie se fo leu.
^-*^ B: Et dixe alegramente el suo uolere.
•'^ E disse] fehlt A. a f J A: de fare, B: Et dixe bene me p. tal mer-
chato.
•^^' B: Imprimo noy uoglamola u.
II Cantarc di Fiorio e Biancifiore.
•^25 sele si bella come hauete contato
noi ci spenderemo grande liauere
e montoro a cauallo li merchadanti
allo re felice andaron dauanti.
Lo re felice fe adobar la donjella
330 e vestirla fece dun richo colore
e disse biancifiore or ti fa bella
e qui die tornar fiorio tuo amore
quando in sala fo la chiara Stella
per tuto il palacio rendia splendorc
330 e vedendo si bella quelli merchadanti
la li plaque pin cha tutti gliamanti.
Eben trenta muli doro carohati
li fece venire inmantinente
e mille sciidi dajuro lauorati
3*^ ad aquile e leoni veracemente
astuari brachi e falconi mutati
e vna coppa doro molto relucente
che era tuta ismaltata da le bände
affiguratoui la storia di troia grande.
•'^3 Biancifiore vedendo far lo pagamento
in terra fu caduta per gran dolore
^^ contato] B: perlato.
•^^ B: Ad cauallo montaro li merchatanti.
^^ andaron] A: andono. dauanti] B: de nantj.
■"■^ fe adobar] A: fe adornar, B: adobo.
^- die tornar] A: de trouar, B: Che e venuto el tuo perfocto amore.
■'*■* chiara] A: giara, B: Quando apparse la chiarita st.
■'^'' rendia] B : daua.
•^5 uedendo] A: uedendola, B; Tanto ella piacque allj merchadantj.
^^^ la h] A: le, B: Che non ficero rascione de bisanctj.
^" B: Ma trenta m. doro carichati.
^* H fece] B : fecero.
■'*> dajuro] B: doro.
^° B : Daquile et de leonj certamente.
^^ relucente] B : splendente.
^'"^ ismaltata] A: asmaltata, B: Lauorata tucta intorno per le bände.
'•^ B : Tucta la historia che fo de trova grande.
B hat hier noch zwei Strophen : La coppa la grande historia lauorata !
Et tucta facta astorie nmlto belle ] Et tucta intorno era attorniata | De donne
et caualierj e de don^elle ] Quando la coppa era rejerrata | Parea chence
cantassero damicelle | Et altre gioie chence erano de . . ente | Pareano chence
andassero veramente.
Et re fcelice poy chella ueduta | Piu che tuctj li altrj so contento | Et
di.xe questa fa che sia cara tenuta | Sopre ad onine altro ornamento | Quando
fiorio farra la retornata | Sialj donata per i.spassamento | Per (juesta coppa
che e tanto piacente | Et bianchofiore li oscera demente.
•''^^ B: Et quando uide fare el pagamento.
•''^® B: Quasi che cade morta de doglia.
28 II C.intare fli Fiorlo e Biantifiore.
e pcrduto hauia quasi lo sentimento
e tuto era mossa di suo colore
diceua o ainor rnio per te mi lamento
"''>o che tu non vederai piii biancifiore
e saroe menata e piu non te vedero
alla mia vila content» non sero.
Si gran pianto facia la fantina
e dauasi nel peto con suo mani
•'"'•^'' che ne piangia lo re ela regina
e tuti li baroni e li cortisani
ella diceua oime misera tapina
chio andaro in paesi lontani
e mai piu non vedero questo paexe
Ö60 oime non credete venire a tal imprexe.
Lo re diceua menatila via
poi che la hauete dami comprata
e presto vscite dela terra mia
nella naue incontinente sia leuata
565 e Ol- ge parteno e vano in soria
c menano quella rosa inbalconata
e H mercadanti con allegro coraglio
al^orno le vele e feron lor viagio.
■''" B : Et non hauea nulle fermamento.
•'''^ B: Anche tremaua piu che nulla foglia.
M9 ß. £(. epsa diceua nel suo lamento.
'•"^ B : Venduta so ma non per la mia uogla.
■'"' saroe] A: sarone. vedero] A: vederay, B: Venduto so et nomme
trouaraj.
'"''^ sero] A: seiay, B: O dolce drudo mio como farray.
•'•''•'* si gran p. faciua] B: sigrande lamento fecea.
•'■" suo] A : soe, B : Et nello pecto se feria colle mano.
;.J5 ß . Piangere facea el Re col la r.
'•'^'' Et tucti quantj quellj chcnce stauano.
•''*" B: Et si diceua m. tap.
''■* paesil A: paresi, B: Venduto sonno al maluascio canc.
^^' B : Chemme nienara in stranie terre.
■'**' B: Giammay de mj non saperay nouelle.
•'*' diciua] ß: si dixe.
^^ B: Da poy che uoi lauite comperata.
■^ B: Et tosto gessite d. t. m.
'''^'' B : La naue inmantinente sia calata.
•''" e er se parteno e vano] A: e or se partereno e vanon, B: Ora se
parte et uasene.
•'^' e men. quella r.] B : La pretiosa r.
•'''' B: Li mercliatanti con alte coragio.
•''■^ ahjorno] A : Aljono, B : Calaro 1. u. et ficero loro u.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 29
Lo re felice fe far un monimento
^"^^ fuor del pala^o apresso la porta
chera lauorato di valimento
e de tuta sua jente fe recolta
6 disse siaui fato comandainento
se fiorio torna dile biancifiore e morla
57j e ciascuno quella creatura
morta iace in quella sepultura.
In quelle tempo fiorio fu ritornato
lo chaualiere cortese e piacente
e innanci chel fossi dismontato
^^^ de biancifiore dimando incontinente
e disse doue e quella dal viso rosato
che Bon la vejo ora qui presente
e la niadre disse oime mia vita
che biancifiore e morta e sopelita.
583 Fiorio oldendo la strana nouella
in terra fu caduto tramortito
e tuto si sqiiarcio la gonella
la giuppa chera di panno colorito
e disse oime amorosa mia pucella
^^ö o anima mia che alcuor son ferito
■"'■• Lo re] A: Do poy lo re. fe far] B: si face fare. monimento]
A : mulimento.
^™ appresso a la p.] B: denantj alla p.
^^' B : E tucto facto doro et dargento.
"'^ B : Et tucta la gente sinne fece acoorta.
■'^^ B: Se fiorio reuene per com.
^"'^ B : Ciaschuno dica che bianchof. e m.
^''^ B : Ciaschuno dica q. er.
'"'^ m. iace] A: Morta e iace, ß: Che m. iace nella sep.
'■' fo] B : e.
"^^ corteso e piac] B : sauio e cognoscente.
^■"'^ e inn. chel f.] A : Inanji che fusse, B : Nantj che de cauallo fosse
smont.
^'° B: Egli domando della rosa olente.
■'*' E disse] fehlt B. B : Doue quella che a el u. r.
^- vejo ora qui pr.] ß: uigio cqua de pr.
''"^ E] fehlt B. disse oyme m.J B: dixe trista la m.
5« Che] fehlt B.
^*'' oldendo] A; ohlando, B: Quando intese quella mala n.
^'^ fu c. tram.] A: si fo c. stram., B: Si cade quasi morlo trangosciato.
•''•" quar^o la] B : stracciaua soa.
"•^^ B:.La robba dello pallio rosato.
•^^ B : Et si diceua amerosa donjella.
■'* B : Cor del mio corpo chi mette a furata.
30 11 Cantare di Tiorio e Bianciliore.
se tu sei morta o rosa colorita
ora mucido e non voglio piu la vita.
K lo padre si lo credeua consolare
e disse figlio or ascolta la inia doctrina
395 piu altamente ti voglio allocare
non te curare di questa fantina
che vna figlia dun re ti voglio dare
vna gentil pucella saracina
per tua mogliere e sera pagana
6ö0 e non ti curare di quella nata cliristiana.
Fiorio col padre fu corruciato
e sili disse or nome parlare
da poi che raai si strangosciato
tu no mi poteresti mai piu allegrase
♦»o^ tu mai tolto quella che sempre o desiato
or me credi falsamente lusengare
tu mai morta la mia biancifiore
et io me vcidero per gran dolore.
Da poi andaua a quella sepultura
^'^ e piangendo collemani se batia
da poi abra^aua e basaua quella mana
dicendo o biancifiore anima mia
e piangere facia ogni creatura
e cossi piangendo forte si dicia
•'■" B : Tu si morta rosa c.
•"''■- mucido] A: me occido, B: Voglo morire e non u. p. u.
•^'■'^ E] fehlt A, B. si lo credia] B: lo uoleua.
^'" laj fehlt A. B: Diceua figlolo ben si cosa vana.
■"■'■'' alocare] B : locare.
''* questa] A : quella, B : Et non te sia piu cura della cane.
^■^ saracina] B : che e pagana.
^^ e] A: che, B: Per mogle te darro una sarracina.
"* B: Che e piu frescha che rosa di spina.
'*' B: Et fiorio fo tucto conturbato.
*■- parlare] A : parlati, B : Et dice alpatre norame ftiuellare.
"" si] A: cosi, B: Da poy che tu muy morto e nauarrato.
"•" B : lo non te uoglo uedere ne parlare.
"^' B : El cor del corpo mio tu may leuato.
*^' luseng.] A: aloscng., B: Tu falso chemme credi loseng.
^' B : Per bianchof. poy che morta lay.
'*** uc] A: occid., B: Voglo morire et non uiuero may.
'**' B: Piangendo sende ando allo monimento.
'^'" B: Posese a piedj della sepoltara.
''" quelle] A: le, B: Epso ne facea gran lamento.
'''" B: Piangere facea omne creatura.
"'^ B: Et dice o druda mia io non te sento.
*^'' sij fehlt A. B: Et non posso uedere la toa figura.
II Cantare di Fiorio e Biaiicifiore. 31
^'^ se tu sei morta io voglio morire
e tecbo insierae tni voglio sopelire.
E misse mano a vn suo coltello
che si voglia dare per le mamelle
la madre tene la mano del don^ello
620 Q colle mane se batia le maseile
eli disse oime amor mio belle
or non voler fare tal cose feile
de per mio amore or (i conforta
che biancifiore e viua e non morta.
623 Fiorio disse da poi che lo sapete
or me la in signiate inmantinente
e pregOLii si ben mi volete
che mi diciate tuto li connenienfe
se non tosto veidere voi mi viderete
630 denanci a tuta questa jente
•"^ sei] B: si.
''"* uoglio] A: uoy, B: Allato ad ti me u. sep.
In B noch folgende drei Strophen : Et pocho uoglo che sia la mea
uita I Poy chessi morta nella sepultura I Et io non vigio ia toa faccia polita j
De nullo altro dilecto nomme cura | Aio perduta ti rosa colorita | Altro che
morte gia nomme secura | Si grande lamento fiorio dicea | Che molta gente
piangere facea.
Et diceua como poy stare tanto celata ] Druda mia belissima et pia-
cente | Quando del thossico fostj accascionata | Dallo seneschaico falso dis-
credente | Io ce fece battaglia iudicata | Qiiesto uoglo che sappia tucta
gente | Col seneschaico Io fecj gran baptagla | Et durance gran pena e gran
trauagla.
Ora si morta non uoglo plu uiuere | In nantj uoglo morire in nianti-
nente | In questo giorno lo me uoglo occidere | Denantj atucta questa bona
gente ] Lo Re foelice chette fe conquidere | De mj uoglo che sia pocho
gaudente | Nantj uoglo morire et teco stare | Che inquesto mundo uiuere et
penare.
^" B : Et fiorio mese m. ad u. c.
"'" B: Che d. se uoleua ad una mamella.
''''■' B: La matre prese lo braccio al d.
•^^ B: Et dauase la mano alla masc.
'''' B: Et diceua dolce a. m. b.
''" B: De non te occidere per questa don^ella.
'^-■' de] fehlt A. B : Per lo m. a. sitte conf.
'^■^'* non m.] B: non e m.
"^^ B: Et f. dixe se uoy la sapite.
'■*' inm.J B: prestamente.
•^-' B: Se non che occidere ben me vederete.
^^ li] A : il, B : De nantj ad tucta questa bona gente.
'^-■' B: Et pregoue se uoy bene me uolite.
•**" B: Chemme dicate tucto lo commente.
3i II Ciintarc di Fiorio c Bianciliore.
0 cliomo voi Ihaneto (rabaldala
la frescha rosa bella angielicata.
La madre disse poi chel voi sapere
o charo figliolo nui si labiam vendiita
ß'^ che bell siami degni de morire
che si futilmente labiamo tradiita
e si ne receiiemo gi'ande hauere
e per tiio amore ne son molto pentuta
e li merchadanti che la compraro
*'**' in verso el nostro porto senandaro.
Fiorio disse or vogh'o andare
e meter mi voglio ala Ventura
e si douesse cercare la terra el mare
e tute le terre ehe hanno le mura
^^•^ e niai a voi non voglio ritornare
se non trouo la gientil creatura
e meter voglio la persona e lo valore
per ritrouar la mia biancifiore.
Lo re disse qnesta tua andata
^^^ caro figlio mi da tanta discordia
oime che quesfa fantina vidi nafa
che prima in tanta concordia
e ben credo che fusse cosa afaturala
pregoti che haui de mi misericordia
633
(i;5
"■'" H: Et como uoy lauite mandata.
- B: La pretiosa Rosa inbalconata.
poy chel uoy s.] B : lo teile uoglo dire.
nui] A: noy, B: Caro figlolo uia labiamo mandata.
B: Et noy simo puro dignj del m.
'^^ B: Si nialaraente labiamo tractata.
"^ ft si] B: Ma noy.
"^^ B: ümne per questa lo ße uia lao data.
^■^ E] fehlt B. comparo] A: comperano, B: comperaro.
'^ andaro] A: andono, B: In uerj del nostro p. caualcharo.
•^" Fiorio] B: E f. or] B: io ce.
•^2 a lav.] B: Per la uia.
"^ e si d.] A: e se io d., B: Ccrcliare uoglo la t. collo m.
**" B: Et tucta quanta la sarracinia.
*^" e may a] B: Giammai ad. ritorn.] B: tornare.
"" B: Se io non trouo la speransa mia.
"' B: Giammay a uoy non Rctornaraio.
•"* ritrouar] A: ritornare, B: Se io non trouo quelle caro uisagio.
"'" B : El patre di.xe öglolo la toa and.
™ B: Multo me dole et omne gran pensanja.
'^y B: Questa donjella male la uidi nata.
''^- prima in] A: prima era in, B: Che tucti quantj ce mette in dadansa.
'''^'' B : Cio che ella fo uenduta et comparata.
*"' B: Porta con teco et non fare demoransa.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 33
6-^3 e poi che voi andare figliol caro
porta dal hauere e non sia inai auaro.
E la madre disse figliolo mio bello
se questa andata non po remanere
porta techo questo bello anello
^^^ e auisoti che lo sapi ben tenere
che ha questa virtu granda il joiello
che non si poteria comprare per hauere
che chi io porta adosso se dio mi vaglia
non po morire in foche ne in bataglia.
665 Fiorio prese lo anello con molti haueri
e da loro prese combiato
e con lui andauan baroni e chaualieri
et era nobilmente acompagnato
e la sera alojando a vn hostieri
^^•^ e chomo fu presto discaualchato
disse la moglier del albergatore
mesier voi resomigliate a biancifiore.
Fiorio disse gentil dona in cortesia
quel che vi diro non vi sia grauanja
^'^ or quando qui albergo laniraa mia
quella che voi dite la gentil manja
I
"^ e] A: da, B: A toa gente dona et fa alegreje.
^'^ dal] A: del, B: Et usa cortesia et genteleja.
B bat hier noch folgende Strophe: Lo Re fcelice per gioia maioris-
sima I Li face presentare un bono destriero | De seta et de uelluto coperto
bellissima | Doro fino lo freno del destriero | Et una sella molto realissimo |
Che fo dello re . turo imprimero | Et trenta mulj doro carichatj | Como de
bianchofiore laueano piglatj.
'^^^ B: La m. dixe dolce f. m. b.
*^^ questa] B: toa.
''■'^ teco] B: con teco. bello] B: mio.
•^ B: Che un%ran thesoro te porra valere.
•*' il] A: al, B: Guardalo ben che vale piu che un castello.
'^^ B : Da poy che la uerai non porra morire.
'^^ B : Ne in foco ne in acqua ne in battagla.
''^ B: Or va che machometto sitte vagla.
065_672 ß. £j fioi-io se niese per la via ] In uerj del porto si fo caual-
chato I Con ipso menaua multa baronia | De bella gente era accompagnato j
La sera ionse nella albergaria | Nantj che rle cauallo fosse smontato | Dixe
la mogle dello albergatore | Voy nie assiniiglate a bianchofiore.
"'•■' B: Et f dixe dolce d. mia.
"'' B: Quello che ue dico non ue sia impensa.
"'^ qui alb. lan.] B: ce albergo la druda.
""•^ B: Bianchofiore la prima mea m.
Archiv f. n. Sprachen. LXXl. 3
31 II Cantare di Fiorlo c Biancifiore.
e lo hostier disse i tel diro per corfesia
pur laltra sera per mia leanja
piangei- la vidi e molto suspirare.
«80 e per vostro amor non si potia allegrare.
A tauola istaua el gentil donjello
e pur pensaua doue fusse andata
e man^ando piglio lo coltello
e la coppa del vino hebbi fiochata
683 e Ihosto disse or che hai fatto damicello
per cortesia la coppa hebbe mandata
e fiorio disse io faro il tuo talento
e mandartela voglio tuta darjento.
E laltro giorno caualcharo piu inanti
^^0 in fino alporto duro la giornata
e alo^oron al hostaria de bilisanti
e inanji che fusse gionfa la brigata
disse fiorio sarebe qui venuti merchadanti
con vna donjella che hano conprata
693 e loste disse i ue giuro per la fede mia
pur laltro jorno andorno via.
Fiorio gli feci allora donamento
e si li dono vna richa centura
C79
6S0
B : La donna dixe o syre infede mia.
per mia] B : per la m.
piang] ß: Et p. molto] fehlt B.
E] fehlt B. potia alegr.] B : po realegr.
^*' istava el gentil d.] B: sedeua lo d.
^^cB: Et si magnaua nella caminata.
'^ B: In mano se teneua lo c.
''*' B: La coppa del uetro ebbe spe§ata.
"^^ B : La donna dixe dolce amor mio hello.
•'*' B: La coppa seue place sia mendata.
^^ B: Fiorio dixe al tuo commandamento.
•^^ mandar] A: mendar, B: Mendare la fece presto dargento.
''^ caualcharo] A: caualco, B: caualcha.
•^ duro lo g.] B : per quella jornata.
''^' B: Ad uno hoste che hauea nome bei sancte.
''*' B: Et fiorio si lebbe domandata.
*^^ B: Quando albergaro cqui li merchatanti.
'''^ ano (B: haueano) conpr.] A, B: comperata.
^*^ B: Et bella sancta dixe in fede mia.
'^^ B: Pur laltra sera passarono uia.
In B noch folgende Strophe: Cortesemente li parlo lo don-^ello | Per
quäl Camino se porria andare | Et bella sancta dixe amico mio hello | Longo
uagio te conuen piglare | In mano prenderaj questo anello | In babilonia tc
debbi posare | Dirray ad Arrigo dalla parte mia | De questa cosa sette nu^tte
in uia.
"^ B: Et f. ad epsa faceua dun.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 35
e vna coppa doro e dargento
"00 el vno iscarlato e annadura
e quando vene a fare partimento
gli disse stati con la bona Ventura
e poi andoion drieto a li tragiti
drieto a li raercadanti andeuan tuti.
705 E in alesandria che furon ariuati
e poi caualcaron senja tardare
in babilonia che furon ariuati
e al albergo de dario hebbeno alogiare
e como presto furon discaualcati
■^'0 fiorio domando senja indusiare
or dite me sarebe qui ariuato vna donjela
con certi mercadanti che molto bella.
E dario disse si che ci albergorno
e li merchadanti lanno venduta
■^1^ e tuto illoro hauere redoppioro
a lalmiraglio chele tantö piaciuta
e ala messa nella torre del chioro
e in quella la bellissima e tenuta
accompagniata da ceuto donjelle
''20 e biancifiore e sopra tute le altre belle.
Fiorio alhora gli fece donamento
eli dono dui corsieri ambianti
^^ e vna c] B: et tucta facta.
'"' B: Et de scarlatto riccha ad mantatura.
™' B: Ma quando uende fare lo p.
™- stati] B: sta.
™^ drieto] A: drito, B: Et caualcharo e foro in terra di egypto.
'•" drieto] A: dreto, B: De reto a merchatantj tyra ritto.
"°"' A: E in li sandria che fono a., B: Et in alix. egii foro a.
'^ B: Fiorio caualcha senza fare dimoro.
""'' furon] A : fono, B : In b. egli fo desmontato.
™* B: In un palap dun riccho albergatore.
'^ B: In mantinente como fo albergato.
"** s. ind.] B: de bianchofiore.
'" B: Serria albergata cqiii una d.
''^ B: Con merchatantj assaj cortese e bella.
"^ B : Et Arrigo dixe si che ce albergone.
'" B: Li m. si lando u.
"^ B: Tucto el loro h. si radoppione.
;"^ le] A, B: H e. che] fehlt B.
'" ala] A: della. n. t. del eh.] B: nel alto torione.
'*'' B: Loquale e fortissima tenuta.
'"' B: Et fala stare con c. dammicelle.
'^ B: Et epsa sta sopra tucte le b.
'^' B: Et f. ad Arrigo fe dun.
''•'* B: Et dunolj uno palafreno portante.
3*
36 II Cantare di Fiorio e Biancifiore.
e vna copa doro e darjento
e in quella coppa eran diamanti
725 per venire al suo intendimento
e disse a vui mi manda bilisanti
che voi me debiate consiliare
chomo io allei potesse fauellare.
Disse dario o gentil chaualier
730 quello che per nii se potra fare
io lo faro molto volontieri
ma idio questo non vi so consiliare
ma a nissun terrajano o forastieri
queste parole non manifestare
735 che se venisse a spia a lalmiraglio
tu receueristi grande trauaglio.
Ma la torre doue sta la beUissima
contar ti voglio chomo e adornata
che ben trenta passi eile altissima
740 da ogni canto eile ben guardata
e ducenti passi eile largissiraa
de prede preciose eile merlata
e ogni note mille chaualieri
la guardano con mille scudieri.
7*3 Iq sulla turre sie vna guardia
e vna fontana preciose e bella
'^ coppa doro ed.] B: bella coppa darg.
"■" eran] A: era, B: Anella doro rubin e diamantj.
"^ per] B : Et per.
"^ bilis.] B: bella sancte.
'^' B : Che de questo me d. c.
'28 io] fehlt B.
'^ B : En Rigo dixe g. c.
"*' B: Cosa che p. m. s. possa (A : potria) f.
''^' B: Io ue seruero multo uolemptorj.
'^ idio] A: io di, B: Ma de questo non te so bene c.
'^ a] fehlt A. B : Ne ad terrajano ne anche a forestiero.
"** B: De questa cosa nomme man.
'^^ spia a] A: saper, B: Chesse venesse saputo allo am.
730 p. Tosto porria hauere briga e trau.
'^ B: Ma dire te uoglo como fo murata.
'^8 B: La torre doue sta questa poletissima.
'^ B: Da onime faccia ella e bene merolata.
''* B: Bene trecento passy ella e altissima.
''" B: De prete pretiose eila e murata.
'** prede] A: pietre, B: Et ben ducento passi ella e largissima.
'** cum mile sc] B: intorno con bonj destrierj.
'** B: De sopra della t. e uno giardino.
''^ B: Nel quäle giardino e una fontanella.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 37
e sopra alla fönte vn alboie fia
che sempre sta fiori insua ramella
e quäl dona vi pasasse in fede mia
'ä*^ li caderebe li fiori adosso se pucella
ma se mai da homo fusse tochata
e subita quella fönte saria turbata.
Elha in guardia vn falso castelano
che molto richissimo e possente
~^'' et e tanto pessimo e viliano
e tanfo maluagio e scognoscente
chi quella torre tochasse cun mano
la testa gli taglieria inmantinente
ma del hauere e del giucare e copioso
'60 se potessi giocare con lui serai gioioso.
Fiorio disse e sili voglio andare
in quella parte oue la dimora
quella che mi fa tuto consumare
piu che non fa la neue alla callura
^6' se la testa mi douesse taliare
per suo amore abrajaro quella nnira
e sali SU vno destrier coridore
e tostamente ando verso la tore.
El castellano quando il vite venire
770 sali a cauallo e in contra li fu andato
"'*'' al] feblt A. albore] A: albol, B: El nel giardino e uno arboro fino.
'^^ fioi-i in] A : fiorito, B : Che s. stanno fiorite soe r.
"^^ pasasse] A: pasesse, B: Laquale donna se leua lomatino.
"^ se] A: se e, B: Sopra li cade el fiore se e polj.
'*' B : Ma se ella fosse da homo adulterata.
'*^ B: Lacqua incontinente sarebe tuibulata.
'^ B : Lo giorno sillo guarda un c.
'^ che] A: che e, B: tanto f. et feruente.
''^ B : Et e acosi pess. vill.
'^ B: Et maluascio falso et scogn.
'" B : Quäle homo la torre tocc. col m.
""* tagliaria inm.] B: farria taghar de presente.
■^'^ B: jNIa dello hauere e tanto goloso.
'^ potessi] B : poy.
"" e sili] A: e feil, B: lo ce.
'^^ B: Et uo paxare doue ella dim.
"63 tuto] B : si.
"" B: Piu chella neue per la gran caldurä.
"**■' se] B: Et se. taliare] B: andare.
™ quella] A: quele, B: Per lo s. a. abbroccioro Ic m.
"^' A: E salto suii v. destrero c, ß : Sally ad cauallo ad un pahtfreno che corre.
■t« verso] A: sula, B: Et ua sende ua per vedere la t.
'"■' il uite| B: el vide.
"" B: sally ad c. e non fo deuiovato.
38 II Cantare di Fiorio e Biancifiorc.
e disse or cbomo astu tanfo ardire
(li caualcare sopra a questo prato
c adosso gli andaua per ferire
poi lo riguardo chera disarmato.
77"> e fiorio disse misere in cortesia
o castellano nomi far villania.
Fiorio apie de la torre va a vederc
e quelle mura va abrajando
e lo castellano fu de mal volere
'^" e si cauaua fora lo brando
e in verso fiorio tornaua per ferire
e fiorio humelniente il va pregando
e diceua or mi scolta signier per cortesia
che! re felice ma fato venire in fede mia.
785 Lo castellano lo prese a domandare
setu caualier o setu donjello
e fiorio disse i son doltramare
e son venuto per veder questo castello
vn cosi fatto il rnio signor vol fare
790 pero che ha inteso che questo e si hello
e suso vno sparauier micie fugito
or se voi giucare a scachi io tinuito.
Lo castellano lebbe disarmato
e disse lu resomigli a biancifiorc
79'' sapi chi tharei tuto tagliato
ma riguardato tho per suo amorc
"■" B: Con vna spada lo corse afferire.
"^ B: Ma resguandolo perclie cra desariualo.
"3 B: Et dixe conio hauestj tanto ardire.
"'' B: Che caualchastj sopra acquisto prato.
"^ misere] B: o syre.
"''' castell.] B: cauaHero.
'*' scolta] A: ascolta.
™* Lo c. lo pr.] B: El c. el p.
'** B: Sy tu c. ouero d.
"**" doltram.] B: ultra el ra.
'^ B: Et vennj per v. quisto c.
"^ il mio s. volj B: ne uorria far f.
'* B: Pero che questo me pare multo p.
™' B : Uno sparvero mence se f.
'•'■•' tinv.] A: te inv., B: Se voHte iochare ascacchi io vendi inuito.
'■'^ dis.] B: assimiglato.
""•*' B: Alla gentil pol:,ella bianchofiore.
''■'^' chi tharei] A: che io tarey, B: Et dixe ben taueria.
'■■* tho] A: to, B: Ma te uolsi guardare per lo s. a.
11 Canlare di Fiorio e Biancifiore. 39
ma poi del giocho raai inuitato
ben volio veder si sei bon giocatore
e chiamo el faraio e fece arechare
800 lo scachiere colli scachi per giucare.
Fiorio giucando inmantinente
liebbi vinti dua milia bisanti
el castellano con lui era perdente
e fu curijato e tuto li guanfi
803 e fiorio fu sauio e intendente
rendeli li suoi e donoli altri tanti
el castellano sili prese voluntieri
e disse i ti ringracio gentil caualieri.
Fiorio da lui prese combiato
810 o castellano io mene volio andare
e in verita molto me giouato
di giucare con vui e di solaciare
el castellan si lebbe inuitato
doraatina vien mecho a disnare
si'i e fiorio receuite lo inuito voluntieri
per giocare daltro giocco cha di scachieri.
Fiorio alhora de li se partia
e al albergo si fu ritornato
e dario disse orme di per cortesia
820 como astu facto e procurato
''■" poi del] A, ß: p. che del.
™^ B: ^ oglo sapere se si b. joc.
'■" faniio e f. ar.] A: familio e f. ric.,_B: Li fantj chiama et fece venire.
^ B: El joco delli scacchj et tauolerj.
**' B: Et f. li uense inm.
*" B: AI primo tracto do m. bisanctj.
*^ cum luy] B: del joco.
'■'" B: Gitto in terra li scacchi tuctj quentj.
*^ B: Fiorio como s. e cognoscente.
^'^ B: Rendiuolj soy denarj et altre t.
*"' B: Lo c. li prese v.
** B: Et dixe tu si el fiore de tuctj ^cau.
*^ da luv] B: allora si.
*'° io mene] A: emene, B: Dixe misser io meude u. and.
*" B: In u. che multo ameo jocato.
*'^ B: De sollajare con voy e de jocare.
»'^ si] fehlt B.
''" B: Domäne siamo ensemj ad magnare.
*'"'' receu. 1. inu. v.] B: accepta uolempterj lo inuito.
'*'^ di] A: che, B: Per jocarlj dun altro partito.
**" B: Et f. dallo c. se partea.
•*'** B: Allo palajo de Arrigo fo tornato.
**'" orme di] A: or di me, B: Arrigo dixe dolce uita mia.
*'-" B: Dimule como ogi ay tu percaccaciato.
10 11 Cuntarc di Fiorio e BiauciGore.
c fiorio disse io te giuro in fede niia
con lo castellano ajo assai giocato
a^o speranja senja fallimenlo
chio hauerolo lo raio intendimento.
*^-5 Quando laltro giorno fu venuto
fiorio al castellano fu ritornato
alegramente che lebbe receuuto
e vno richo disnare hauia aparechiato
e quando hebbeno manjati e beuuto
'*■''' e fiorio si gliebbe alhora presentato
e al castellano pose dauanti
vna copa doro piena di bisanti.
El castellano fu tuto ismarito
vedendosi tal dono presentato
*3-i e disse o Jentil caualiere inon tajo seruito
che cotal dono me douessi fare
e fiorio disse io ho ben vdito
che voi mene potreti ben rimeritare
o castellano semi volete seruire
^'*<' io so bene che mi podete guarire.
El castellano disse or ini coraandate
cio che vi place caualier sauio
e per cortesia non me lo cielate
che allegramente ve seruiragio
'^^ io te g.] B: certo.
*^ B : Io col c. aio joc.
*^ B: Et credo sensa nullo f.
•■^ A: che io hauero lo m. i., B: Deperuenire al m. i.
''^ Quando] B: Da poy che.
^ rit] B: torn.
^« che lebe] B: si fo.
®* B: Et riccho pranso 11 fo apparecchiato.
*^ e quando ebene] B: Et poy che ebbero.
*3o alora] fehlt B.
"^^ B: Et una coppa posse denantj.
'^^ B: Tuota era piena doro e de bis.
^^ presentato] A: presentare, B: Sentendose tanto oro appresentare.
f^ B: Et dixe questo non te ayo s.
*^ B : Che tal presento me d. f.
83' ho] B: laio.
^ me] fehlt A. B: Che uoy mello potite merit.
*** se me uoletl] B: se tu me uoy.
**** me podeti] B: tu me poy.
^^ or mi com.] B : dom.
^^ jio che ui p.] B: Arditamente o.
*'^ B: Et cio che uoy udite me cbyelete (?).
**• B : Che multo uolemptery uoy s.
11 Cantare di Fiorio e Biancifiore. U
8*3 e fiorio disse io voglio che me perdonate
se 1*0 dicesse cosa vi fusse oltragio
el castellano disse alliegramente
cio che vi piace dite arditamente.
Fiorio disse lasso oime suenturato
8äö tapino oime che mai senti amore
io son si fortemente inamorato
de la gentil pucella biancifiore
lanima elcuor tuto Io donato
e per lei viuo in gran pene e dolore
833 se io non vedi el suo bei viso
per lei di questo mondo saro diuiso.
El castellano fn tuto ismarito
vedendosi tal dono domandare
e disse o chaualier imi tenge schernito
8^0 perche si sutilmente ma fato giucare
ma po chi tho promisso Io inuito
a biancifiore tifaro parlare
se io douessi ben perdere la tes(a
i faro che larai in tua podesta.
863 Si gran cosa mai comandata
di farlo molto mi preme il core
e la porta del palajo sta serata
e le chiaue tiene il mio signore
e non le fida a nissuna anima nata
8'0 in sulo palajo ista biancifiore
ma io ti proraeto per Io dio degno
chi te parlarajo con gran injegno.
*^"' che] fehlt A. B: F. dixe ora me assecurate.
^•"' B: De pardonarmi se io dicesse oltraio.
^''* B: Cio che uoy adornando ardit.
^^ 1. oime SU.] B: o laso inuenenato.
^'*^ amore] A: damore, B: Rlisero mi che may uidi lam.
^■'' B: Che ma si f. innauarato.
852 de le] B: quella.
^^^ B: El cor del corpo ella ma leuato.
^'^ B: Et fame staro in focho et in ardore.
**'' uejo] B: uigo. bei] B: chiaro.
'^^ B: Certamente io son morto e conquiso.
*•'* B : Sentendose tal gioia adom.
^'^ tenge] A: tengo, B: Dixe figlolo tu may ben tradito.
^^^ B: Et sottilmente may facto ioc.
•*' B: Ma da poy che te ayo assecurato.
*'^ douesse ben] B : ne douepse.
*''' B: Egli e misero che labhi ad toa potesta.
*» le] A: la. — ^ ista] A: sta. — "' dio] A: idic— *'- gran] A: grande.
II Cantare di Fioiio e Biancifiore.
Domenica sie la pascha rosata
et e la fcsta de tuti i chaualieii
87"> lo re fa cogliere per questa contrata
le rose e li fiori per tuti li jardini
prima eglie mestiero che vada
a lalniiraglio con fiori li scudieri
e di ciaseuna ciesta prende due giuniele
*^^^ e le altre sapresenta ale damisele.
Domenica e lo giorno de la festa
che si conforta ciascuno amadore
e le donjelle stando ala fenestra
ciaseuna mostra suo bei colore
^8S et io te metero in vna ciesta
e copriroti fra le rose e li fiori
se lalrairaglio de li fiori prendisse
stati quieto che non ti sentisse.
Fiorio intro alora in vn cestone
890 in fra le rose coperto e nascoso
e fu coperto si bene e con rasone
che non pareua vi fosse lamoroso
e staua chome la grua sotto il falcone
chusi fiorio staua quieto e dubitoso
^^•' e presentato fu a lalmiraglio
ben si misse fiorio a gran trauaglio.
873
d. si e la] B: d. sera.
*■" ed e la] B: che e la. tutti i] B: dellj.
^'^ lo re fa] B: lo ferro.
*^;; le] fehlt B. j;ardini] B: uergerj.
*" B: AI amiraglo e mistero che uada.
^"* B: In permamente le rose et li panierj.
^^^ B: De ciascheuna ne prende una manella.
^™ B: Et laltre manda ad ciascheuna donjella.
**' Dom. e lo] B: Quando verra el.
*^ B: Che ciasche aniatore se realegra el core.
*** don',elle] B: pol.^elle. stando] A: stano.
^ bei] B: frescho.
^'' B: lo te metteraio in una gran canestra.
^^ B: Starray coperto de rose e de fiorj.
**" del fior prendessc] B: puro ne prendesse.
*** B: Starray si quito che non te sentesse.
*** B: In uno paniero grande e gratioso.
^'^ B: Lo quäle fo facto per quella accascione.
*' B: Dentro fo messo fiorio pretioso.
^°^ non p.] A: n. ci p., B: CoUe rose coperto ad gran rascionc.
*** B: Et staua fioria quito et dobitoso.
•*** B: Como el fasane che sta sotto al falcone.
^'^ B : l'oy foro presentatj al am.
** B: Dico che fiorio se mesc a a;r. t.
II Cantare di Fiorio e Biancifiore. 43
E lalmiraglio ne prese in veritade
di quelle rose e fiori nouelli
e presene per gran volunlade
900 che a fiorio quasi tocho li capilli
or chi vorebe per vna citade
essere stato aresigo chomelli
e lalmiraglio disse per aniore
questa cesta vada a biancifiore.
90^ La cesta dele rose fu su tirada
insuT palajo duna finestra
e vna sechia de biancifiore aparechiaua
per receuer le rose fu presta
e fiorio penso in quella fiata
^i" che biancifiore fusse e al^o la testa
e quella donjella hebe gran paura
quando vite nele rose la creatura.
Si gran paura hebe la donjella
che era serua di biancifiore
915 e gran strido misse la damisella
che tute lealtre nebben sentore
e corsene dicendo che ai sorella
che facesti si gran rumore
et ella disse ele vn vcilleto
920 chuscite dele rose e demi nel peto.
Ella Ihauia molte ben recoperto
perche li chiese merce e pietade
«•8 di quelle] B: delle. e f.] A: e de (B: delli) f.
''•'^ B: Et sinde prese per tal v.
^ quasi (fehlt B) tocho] A: tocho quasi, B: tocchaua.
^^ Or che u.] B: Gia non uorria.
^*^ areschio como elli] B: como staua eglj.
*" B: Questj sianj presentatj a b.
■"'* B: Et fiorio alla finestra fo calata.
'•™ B: Su della torre in vna gran canestra.
■'°^ sechia] A: senia (?), B: Gloritia si staua apparecchiare.
** B: Per tollere li fiorj et quella cesta,
™^ B: F. pensa che fosse la soa aniata.
^'° b. {.] A: fosse b., B: Monstro lo uiso colla biancha t.
^'* B: Gloritia quando uide la creatura.
^'^ B: Si grido forte et ebbe gran paura.
'•"'■ serua] B: seruitiale.
"'^ B: Si grande grido fece la d.
'"" B: Che tucte se rijj^arono allo romoro.
^" B: Et dixero che hauest] tu s.
'"^ B: Chette accosi cambiato lo colore.
^'^ e le] A: e fu, R: Gloritia dixe io uidj uno occellecto.
^ B: Oscierj defiorj e diedettemi n. p.
"^' B: (iloritia si lebbe rec.
'•'^^ B: Et si chiese merze del peccato.
II Cautare di Fiorio e Biauciliore.
e di biancifiore li disse de ccrto
csser lo amante in ueritade
^2"' e biancifiore era sua nianja certo
et olla per sua gran bontade
incontinenfe corse a biancifiore
e disse il cie venuto il tiio ainatore.
Biancifiore impie fu leuata
^•^ö a stolta tu me vo gabare
elmio amatore nenne in questa contrata
e nonne vciello che possa volare
et ella disse o rosa bella inbalconata
viene mecho ehi telo voglio mostrai'e
935 a voi raadonna ilhebi asomigliato
giamai non vidi si bello homo nato.
Biancifiore si mosse ad andare
e nella sala che fu venuta
e quando ella il vide il corse abrajare
^'*o e per lalegreja fu tuta diuenuta
e fiorio prese alora a lacrimare
e disse anima mia quanto non ta^o veduta
e arabidoi cadeno quasi tramortiti
e pocho stetero che furon risentiti.
9*^ Et abrajati insieme sise leuoro
tuti quanti di lacrirai bagnati
e dentro dala camara nandoro
ambi doi insieme abrajafi
n29
030
B: A b. si lauia manifeste.
lo am.] A: il suo am., B: Che forio fo streite sue amato.
B: Gloritia penso in quel jorno aperto.
R: Quello che b. lauio manifestato.
B: Adno toste et dixe a b.
B: El ce venute el tue perfecto amere.
fo leuata] B : se fo 1.
vo g.] A: uey ag., B: Et dixe niata (?) tu nie volj ingannare.
I« B: Gloritia dixe r. inb.
'■'*' B : Venj con nienlio chio te u. monstr.
'■^^ illebi asomigliato] B: laie affigorato.
•'■* B : Piu belle denjello mav non uidi nato.
'«« che fu v.] A : che la fo "v.
;''^ il v.] A: lo v.
••^ stetero f. r.] A: steno forne res.
;«7_<«.i ß. Lup.j don^ella et laltra sende gieua | Per lo palaje multe ale-
gramente | Et bianchofioro alegra se faoea | Gloritia abbraccie multe streeta-
mente | Et sylli dixe o donj^ella mia | Confortate madonna mia piacente [ Con
alegre^e la poh^ella gieua | Alla oamora date fiorio staeua (?).
'"■"' leuoro] A : leuano. — ■'" nandoro] A : nandeno.
!>i.._'j52 ß. gj. quando bianehofiore lebbe ueduto | Et fortemente prese
allacbrimare | Da longa parte lebbe cognesciute 1 In mantinente lo corse ad
11 Cantave di Florio e Biancifiore. 45
e insu vn richo leto si possoro
9^0 e streti insieme furon adormentati
alhora si conmisse el fino araore
quello di fiorio e biancifiore.
Lalmiraglio alhora fece sapere
che a biancifiore voleiia parlare
^33 la serua disse ella sta aiacere
et a gran male e non si puo leuare
e lalmiraglio disse ila voglio vedere
che male la e farola gouernare
e sali in sulo palajo douera ella
^6ö e trouo fiorio insieme con la damijella.
Innudi nati che gliebe trouati
e qnando gionse li lo valoroso
stretamente stauano abrajati
in SU vn richo leto precioso
963 e qnando lalmiraglio gliebe trouati
dentro dal core fo molto doglioso
e misse mano ala spada forbita
e a tuti doi penso tuore la vita.
Poi si ripenso in suo coraglio
^'^o disse non voglio vcidere ne disfare
anci feci como homo saputo e sauio
cheli ricupersi e lassoli stare
e contra ibaroni disse como faraglio
quäle di voi me sapi consigliare
^■^3 de biancifiore chi lajo trouata
con vn gioveneto inuda nata.
abracciare | La frescha rosa et lo giglo fian (?) duto j Andaro in camora in-
semj asollajare | Allora se conionse el dolce amore j Intra fiorio e la bella
bianchofiore.
'"'* possoro] A: possano.
953_9so ß . j<^ijq amiraglo sigli mando adire | Che bianchofiore alhiy douesse
andiire | Gloritia dixe nonce po venire | Che ella niente non se po leuare |
Et lamiraglo sylli mando adire | lo la uoglo uenire ad confortare | Monto su
la torre (loue ella era | Trouo lo giglo coUa dolce sparuera.
-'^ dal] A: da. — *^ tuore] A: atore.
'■^^ Poi si respenso] B: Et poy si penso. coraglio] A, B: coragio.
'■'™ non u.] A : non li u., ß : Do uole (?) li occidere et taglare.
""' B: Et si come signore cortese e sauio.
^'^ B: Li recoperse et sillj laxo stare.
^'^ faraglio] A: fagio, B: Et dixe allj soj baronj c. farragio.
*"* säpi] B : saccia.
'"^ che lajo] B: che io lalo.
^^^ inuda n!] A: come nuda n., B: Con uno donjello stare abbracciata.
46 II Cantare di Florlo e Riancifiore.
Un chaualiero si leiio in sua presenja
parlo e disse il suo piacimento
or questa e stata si gran fallanja
980 e parmi vabi fato tal falimento
che nol doueria patir la vostra possanja
che niorir dia chia fato tradimento
e biancifiore sia presa e ligada
e con quello gioueneto sia brusada.
985 Lalmiraglio li fe Joso calare
in terra del palajo innuda nati
e in SU la piaja li fe ligare
e si gliebi al fuoco senteneiati
e biancifiore comincio a lacrimare
990 dicendo oime lasso mal siamo ariuati
di te mi doglio fiorio e per te suspiro
che per rai sei venuto a cotal martiro.
Fiorio disse oime rocha di castello
di te mi dole o cara mia speran^a
993 se tu scanpassi o dolce amore hello
de la mia morte non aria dotan^a
io ho vn precioso e hello anello
tielo teco e non hauer dubitanja
e tielo bene che mentre lauerai
1000 in ei fuoco mai non morirai.
Et el!a disse o gentil creatura
se tu morissi io non voglio scampare
la vita mi saria morte dura
e mai piu non mi poteria allegrare
977_9»4 fehlen B.
8* vabi] A: vn che abi. — »s' la] fehlt A. — -'"^ ligada] A: ligata. —
*** brusada] A: brusata. — '^^ fe] A: feci.
as5_y'j2 ß. Et lo amiraglo Io fece rnenare | Su nella Corte ainbedoy sol
natj I Et nel palajo li fece sententiare | Che ipsi fossero ad ardere menatj |
Et bianchofiore comenso ad lachrimare | Et dixe lascio che mal simo arri-
uatj I De ti me doglo che per raj uenistj ad morire | Et non te posso scam-
pare dolce syre.
*» Fiorio] B: Et f. oyme] B: o.
^* dole o c. m. sp.] B: doglo che demj non aio cura.
^* 0 d. am. b.] B: dolce a. mio b.
^* B: Che la mia m. me seria dolciura.
*^ B: Io te darro vno pretioso an.
^ B: Contecho Io tenj et non hauer pagura.
"*' B: Guardalo ben da poy che lauerray.
1000 ß . ]sjg jjj focho ne in acqua morire non porray.
""' B: Dixe bianchof. la g. er.
'""^ morissi] B : morj.
'"" la u.] B: che la v. molto] B: gia troppo.
"''*' B : Et par te nomme porria may realegrare.
II Cantare di P'iorio e Biancifiore. 47
1005 se [q moro per te io saro sicura
in paradiso io mi credero andare
e stauano abraciati lei el damicelo
e ciaschuno di loro tenia lanelo.
Estretamente stauano abraciati
1010 ambe dui nel fuoco ardente
e nel fuocho stauano Hnnamorati
e del fuoco non sentiua niente
la viftu del anello glia scampati
e gran picla nauia tnta la jente
loi.'i e tuto el populo leuosse in rumore
raissere perdonali per nostro aniore.
Uno chaualiero gentil e sauio
al almiralio si fu injenochiato
e disse dl questo gioueneto e danagio
1020 che aun filio dun barone Io assimiliato
e credo che sia de nostro liguagio
che per chome alui affacionato
e fu dimandato lui e la fantina
si erano figlioli di re o di regina.
1025 Lalmiraglio prese adomandare
secondo che la storia parla e dice
or me di scudieri se voi scampare
chome venisti a questa meretrice
moro] A: morise, B: Ma se io moro per uoy son sec.
"*^'^ (B: Che) in p. io me (B: simme) credero (A, B: credo).
*''' B: Allora se abbraccia Io fiore belle.
B: Et ciaschuno hauea sopra lanello.
Estretamente] B: Et ambedora.
B : Quando foro messj nel foco ardente.
B : Et la uirtu dello anello lascampatj.
°'^ B: Che foco alloro non nocea niente.
^ B: Tanto erano bellj e delicatj.
"* ß : Che piangere faceuana tucta la gente.
" B: El populo tucto gridaua per amore.
•^ B : De perdonare alloro per uosto honore.
" gent. es.] B : che era cortese e saj^io.
'^ B: Dixe misser intendj questa nouella.
'^ B: De quel donjello misser e gran d.
** B: In bona hora nacque con quella donzella.
" B : Parono che siano de uostro parentagio.
'^ B: Che se semiglano alla lucente Stella.
'^ e fo dim 1 B: Or domandate.
erano B: sono.
'■^ Lalm.J A, B: E lalm. prese] B: li pr.
"^ parla e] B: se.
" B : Ora me di figlolo s. u. sc.
'* B: Chomo saIHsti chi chitente mese.
48 11 Cantare di Fiorio e Biancifiore.
e fiorio disse non lo volio celare
i**'^^' io son filiolo de lo re felice
la raia madre sa de le sette arte
e per lo suo senno veni in queste parte.
E lalmiralio prese a lacrimare
e reuestir li face inmantinente
1035 e disse filio non ti isgomentare
che lo re felice e caro mio parente
e biancifiore gli fece sposare
dinanje a tuta quella gente
e poi li fece vn richo donaraento
1040 (joro e de perle con molto arjento.
Fioi'io se misse andare per mare
e ariuo poi nella bella toschana
e torno in spagna e fesi batejare
con biancifiore a la fede christiana
lo'ij e a tuta sua ^ente el simile fe fare
a la sancta fede catholica roraana
e di roraa fu electo imperatore
e centi anni visse con Biancifiore.
Finito* e il libro del fidelissimo Amore.
Che portono insieme Fiorio e Biancifiore.
Secreto solo e in arma ben amaistato
Sia qualunqua uole essere inamorato.
Got gebe ir eynen guten seligen morgen.
disse non lo v.] B : si dixe io non te v.
sa de le sette] B : che sa de tucte lartj .
'"^■^ B: CoUo suo s. vendj i questi partj.
"'•'' B : E lo amiraglo lo corse abbracciare.
"** B: Et fecelo vestire inm.
"^* B: Et dixe öglolo Io te uoglo scampare.
°^ B : Per che el Re foelice e nostro p.
"■■"* B : Denantj ad t. q. bona g.
"39 un r.] B:* riebe.
' B: Doi-o et de altre gioie piu de trenta.
' B : Et fiorio se passe decqua dal mare.
- ß : Alla soa casa iiolse ritornare.
' B : Et lo suo patre fece baptijare.
""^ B: Et la soa madre che erano pagano,
'*''^ B : Et tuota laltra gente fece retornare.
""•^ e la 8. f] A: E a la fede s., B: Alla fe catholica delle Christiane.
" e di] B: Et poy de.
* cento] B : assaj.
* Dieser Schlufs steht weder in A, noch in B.
Berlin. Emil Hausknecht.
Die deutsche Lyrik
in der französischen Übersetzuno-slitteratur.
Die nennenswerten Leistungen der Franzosen auf dem
Gebiete lyrischer Übersetzungskunst sind gar bald gezählt und
■würden, was im besonderen unsere deutsche Dichtung betrifft,
zusammengestellt kaum einen ordentlichen Band füllen. Selbst-
verständlich verstehen wir unter Erzeugnissen der Übersetzungs-
kunst nur in Gewand und Form dem Originale sich anschmie-
gende Umdichtungen der französischen Sprache und keineswegs
jene zwitterhaften Absude, die den Gedanken, der dichterischen
Form entkleidet, in Prosa auflösen und von sanglicher Wirkung
und künstlerischer Formvollendung keinen Begriff mehr zu
geben vermögen. Jene Übersetzungen in ungebundener Rede-
form, etwas zahlreicher, wenn auch noch keineswegs reichhaltig,
haben die Studierstube der Gelehrten nie überschritten und sind
selbst von den letzteren allezeit wenig gelesen worden, wie zur
Genüge aus ihrem äufserst geringen buchhändlerischen Erfolge
D DO O
hervorgeht. Diese Übertragungen mufsten in Frankreich um so
wirkungsloser bleiben, je gröfsere Ansprüche das französische
Publikum an vollendete Form zu stellen pflegt. Ist schon
von Haus aus der Franzose im Vollgefühle universeller Über-
legenheit wenig geneigt, fremdem Schaffen und Dichten sein
Augenmerk zu leihen, so mufs sein Vorurteil gegen die aus-
ländische Litteratur geradezu bestärkt werden durch die Lektüre
einzelner, gerade der Haupteigenschaft poetischer Dichtung ent-
behrender Erzeugnisse, welche von vornherein einen Vergleich
mit seinen nationalen Liedern und Gedichten nicht auszuhalten
Archiv f. u. Sprachen. LXXI. 4
.■>0 Die deutsche Lyrik in der franzüsisclicn Übersefzungslittcratui'.
vermögen. Man stelle eine prosaische Wiedergabe des Schön-
sten, was unsere Dichtung besitzt, neben noch so mittelmäfsige,
aber in leidlicher Form abgef'afste französische Leistungen, so
wird man begreifen, dafs die prosaischen Übersetzungen der
Franzosen litterarische Totgeburten sein niufsten.
Warum aber befassen sich in Frankreich nicht wirklich
poetisch begabte Naturen mit rhythmischen Übersetzungen? Die
Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die geringe Ver-
breitung [der deutschen Sprache in französischen Landen hat
natürlich zur Folge, dafs wenige im stände sind, sich einer der-
artigen Aufgabe zu unterziehen. Dann schreckt die Apathie
des Publikums vor der Mühe ab. Nur ganz aufserordentliche
Verhältnisse haben zwei hochbegabte Dichter zu lyrischen
Übertragungen angeregt. Nikiaus Martin verlebte seine Jugend-
zeit in Bonn; Sohn einer deutschen Mutter, der Schwester
Simrocks, hat er sich später gerne der Kinderjahre erinnert
und nicht nur in deutscher Weise vielfach gedichtet, sondern
auch zahlreiche deutsche Dichtungen übertragen. Volle zwanzig
Jahre später hat der Elsässer Schure in seiner Geschichte des
Liedes eine ansehnliche Zahl deutscher Gedichte in die franzö-
sische Sprache übertragen. Schure war dazu als halber Deut-
scher ausnahmsweise befähigt, nicht minder ungewöhnlich ist
seine Gewandtheit, die französische Sprache zu handhaben, die
uns trotz der grofsen Reihe hervorragender französischer Schrift-
steller aus dem Elsafs und Deutsch-Lothringen staunen macht.
Ähnliche kosmopolitische Verhältnisse haben Marc Monnier und
Alfr. Michiels zu gewandten Übersetzern gemacht. Beide sind
aufserhalb Frankreich, in Italien, geboren, beide haben auf
Reisen in Deutschland sich mit deutschem Denken und Singen
vertraut gemacht, und wenn auch ihr dichterisches Talent einen
Vergleich nicht aushält, so müssen wir sie als poetische Über-
setzer hier nebeneinander erwähnen. Michiels, wenn wir nicht
irren, vlämischer Abkunft, hat keine eigenen Gedichte veröffent-
licht, dagegen gab er in einem Buche über Deutschland einige
Proben deutscher Lyrik, die anstandslos dem Besten, was die
französische Übersetzungekunst zu Tage gefördert, also selbst
den meisterhaften Übertragungen Schures zur Seite gestellt
werden können. Wir haben Marc Monniers erwähnt. Dessen
Die deutsche Lyrik in der französiscliPii Üborsetzungslitteratnr. 51
Faust-Übersetzung ist rühmlichst bekannt, als lyrischer Über-
setzer kann er indes den genannten nicht wohl zur Seite ge-
stellt werden, da er aufser den Faust- Liedern blofs vier deutsche
Lieder umgedichtet hat, die allerdings qualitativ den gröfseren
Teil der französischen Ubersetzungslitteratur aufwiegen. Sodann
müssen wir noch Emil Deschamps' gedenken, des Übersetzers
des Liedes von der Glocke und Autor einer Reihe anderer
Nachdichtunojen deutscher und sonstigfer fremder Lvrik. Des-
champs, vielleicht der talentierteste von allen den genannten
Dichtern, Marc Monnier ausgenommen, hat jedoch das Wesen
des deutschen Liedes am wenigsten von allen verstanden. Er
hat nicht gefühlt, wie ein berühmter Kritiker mit Recht bemerkt
hat, dafs der französische Übersetzer deutscher Dichtung vor
allem dem rhetorischen Wesen der französischen Poesie ent-
gegenarbeiten müsse, und wenn einzelne seiner Leistungen
glücklich gelungen sind, so werden diese nur allzu sehr auf-
gewogen durch eine Reihe von — wir können einen treffen-
deren Ausdruck nicht finden — Verhunzungen deutscher Origi-
nale. Dieser letztere Tadel trifft auch Henri de Latouche,
dessen Bearbeitung des Erlkönigs schon Börne gegeifselt hat.
Besser hat Xavier Marmier sich in deutsches Sein und Dichten
einzuleben gewufst, und alle seine originalen Schöpfungen tragen
ein unverkennbares germanisches Gepräge; vielleicht etwas ver-
weichlicht im sentimentalen Empfindsamkeitsdusel, nimmt er in
der französischen Nationallitteratur zwar keine sehr hervor-
ragende Stelle ein, trotz seiner Akademiker-Würde, und seine
zahlreichen Übersetzungen deutscher Klassiker gehören ins-
gesamt der färb- und kernlosen prosaischen Zersetzungsmanier
an, aber in seinen beiden Gedichtsammlungen, welche ihrer
P^rscheinungszeit nach ein Vierteljahrhundert auseinander liegen,*
sind einzelne wenige Übersetzungen in Vers und Reim aus dem
Deutschen enthalten, die wir nicht übergehen dürfen.
Damit ist die Liste französischer Übersetzungsdichter deut-
scher Originale schon erschöpft. Was wir von anderen noch
* Po^sies d'un voyageur. 1844. — Derni^res glanes. O. D. (1869). Die
letzteren wurden bloCs in hundert Exemplaren gedruckt und scheinen blol's
für den engeren Freundeskreis bestimmt zu sein. Im Buchhandel sind sie
nicht zu haben.
52 Die deutsche Lyrik in der französischen Übersetzungslittcratur.
anzufiiliren haben werden, ist eo wenig, so vereinzelt und zer-
streut, dal's wir sie nicht als Übersötzer qualifizieren können.
Die Kürze dieser Namenliste läfst vorausahnen, dafs das
Verzeichnis deutscher Dichter, welchen die seltene Gunst zu
teil ward, ins Französische übertragen zu werden, nicht viel
reichhaltiger ausfallen wird. In der That sind die Namen dieser
Glücklichen bald gezählt.
In mehrfachen Leistungen vertreten sind aufser dem eigent-
lichen Volksliede blofs Goethe, Schiller und Uhland; Körner,
Chamisso, Platen, Lenau, Heine, Simrock, Anast. Grün, Freilig-
rath, Geibel, Hebel und wenige andere bilden den Schlufs. Auf
den ersten Blick möchte es scheinen, dafs gerade Schillers
Pathos die Franzosen hätte anregen sollen. Goethe und Uhland
sind so urdeutsch, dafs man fürchten möchte, Frankreich hätte
für sie am wenigsten Verständnis. Ein oberflächlicher Blick auf
die französische Übersetzungslittcratur belehrt eines anderen.
Abgesehen von wenigen gänzlich mifslungenen dramatischen Nach-
ahmungen Schillers ist dieser vielleicht derjenige grofse deutsche
Dichter, welcher im französischen Publikum am wenigsten Wür-
difjunor gefunden hat. Man führt wohl seinen Namen im Munde,
wie man den Klopstocks oder Miltons nennt, man stellt seine
Werke in den Bücherschrank neben die Messiade und das Ver-
lorene Paradies, aber man liest sie nicht. Besser ergeht es Goethe,
dessen tief menschliche Seite von den Bewunderern Victor Hugos
in hohem Mafse gewürdigt wird. Goethes Genie wird in seiner
Vielseitigkeit von den Franzosen besser erfafst als der dithyram-
bische Idealismus Schillers. Faust und Werther haben ihn derart
populär gemacht, dafs das Interesse der Gebildeten auch für seine
übrigen Schöpfungen begreiflich wird. Goethe ist der einzige
deutsche Dichter, mit dem sich die französische Kritik eingehender
befafst, der einzige, dem sie eine ganze Reihe zum Teil höchst
bemerkenswerter litterarischer Erzeugnisse gewidmet hat. Wenn
er im allgemeinen die Aufmerksamkeit der Franzosen bleibend
zu fesseln vermocht hat, so kann das jedoch nicht im selben
Mafse von seiner besonderen Stellung als Lyriker gesagt werden.
Da ist Uhland viel besser bekannt, und von keinem deutschen
Dichter sind so viele Gedichte übersetzt worden als gerade von
dem schwäbischen Sänger.
Die deutsche Ljrik in der f'ranzösischeu Übersetzungslitteratur. 53
I.
Uhland.
In Deutschland dürfte man sich Uhland nicht leicht in
französischem Gewände vorstellen. Seine schlichte, tief gemüt-
liche Sangesweise kontrastiert doch gar zu sehr mit dem prunk-
vollen Hofstaat der welschen Dichtart, und die wuchtige Sprache
der germanischen Ballade scheint unverträglich mit dem zier-
lichen Idiom der Chanson. Gewifs wird der deutsche Leser
seine Lieben in der fremden Tracht nicht immer gleich wieder
erkennen, aber die Übertragungen sind schliefslich nicht für
Deutsche gedichtet, die kein unbefangenes Urteil haben können,
weil die Nachdichtung ihnen immer fremd scheinen wird. Sie
werden ängstlich jeden Ausdruck vergleichen und abwägen,
jede Abweichung wird ihnen wie eine Versündigung erscheinen
am Original, und über der Musterung des einzelnen wird ihnen
nur allzu leicht die Geeamtwirkung aus den Augen schwinden.
Sie vergessen dabei, dafs die Fremden von den deutschen Über-
setzungen ausländischer Litteratur denselben Eindruck erhalten
könnten. Um aber gerade die ängstliche Silbenrechnerei zu
vermeiden, haben wir der Wiedergabe der Übersetzungsproben
die Originale nicht zur Seite gestellt. Freilich sind die meisten
der angeführten Gedichte so allgemein bekannt, dafs dies über-
flüssiof gewesen wäre, und der Leser wird nichtsdestoweniger
Zeile um Zeile zu vergleichen unwillkürlich sich versucht fühlen.
Es mag ihm deshalb einige Überwindung kosten, sich auf den
Standpunkt des Franzosen zu stellen, von dem aus allein diese
Nachdichtungen beurteilt sein wollen.
In Frankreich hat das Lied wenigstens in den bürgerlichen
Kreisen und in den Städten der nationalen Chanson weichen
müssen. Aufser von selten der Philologen ist das Volkslied
vom bücherlesenden Publikum vergessen, und nur ganz verein-
zelt begegnen wir dichterischen Schöpfungen, welche durch die
alten Weisen des Volkes angeregt worden wären. Die Ro-
mantiker haben zwar einen Anlauf gemacht, das einfache trau-
liche Lied wieder aufzubringen, und die Gedichtsammlungen der
modernen Dichter seit Victor Hugo weisen eine Reihe duftiger
und lieblicher Liedertexte auf, aber im allgemeinen ist die fran-
il Die dciit.sclie Lyiik in dur riiiiizüjisch(.'ii t'bcrsLlzungslhteratur.
züsisclie Dichtung- geblieben, was sie seit dreihundert Jahren
ist : Kunstdiclitung, welche auf die Bedürfnisse des Volkes keine
Ivücksicht nimmt und keine Anregung aus ihm schöpft. Die
Form blieb nach wie vor die Kunstforra, der Inhalt behielt die-
selbe dithyrambische, deklamatorische, philosophierende Rich-
tung. So volkstümlich selbst der Alexandriner als episches
Maf's gelten mag, so ist er gewifs zu breit und weitschweifig
für das allgemein sangbare Lied, und doch ist er noch immer
das bevorzugte Mafs aller französischen Dichtungsarten. Kommt
er in der Ballade und der Epopöe der Nibelungenstrophe nahe,
eo wirkt er schleppend im einfachen Liede. Xavier Marmier
hat den Fehler begangen, selbst ganz schlichte Motive, wie
das JAed vom guten Kameraden in dieses weite Gewand zu
kleiden. ISIan höre nur:
J'avais im caniarade ardent brave et fidele,
Sans egal au bivouae, comme dans les combats.
La troinpelte a sonnö, le tanibonr nous appclle,
Nous niarchons h la fois tous deux du menie pas.
Nous entendons siffler la balle nieurtrierc;
A qui s'adresse-t-elle ? Est-ce a nous? est-ce a toi?
Helas! eile a frappe mon compagnon, nion fröre,
Qui s'affaiblit, chancele et tombe devant moi.
II veut sener la main et je la lui prcsente;
Mais fälble, helas ! il tente en vain de la tenir.
Adieu donc! me dit-il d'une voix defaillante;
Reste mon compagnon dans la vie ä venir!
Abgesehen von der ungerechtfertigten Änderung des Sinnes
der Schlufsstrophe vermiftt man in dieser Übersetzung den
frischen kriegslustigen Ton, der aus dem Liede wie Schlacht-
getrommel schallt, das Ganze sinkt von der Höhe eines wir-
kungsvollen Marsches zum sentimentalen Genrebilde herab. Der
Übersetzer sollte nicht mehr bieten wollen als das Original,
denn oewöhnlich verlieren beide dabei. Es gilt das sowohl
vom Inhalt als von der Form, und die Übersetzung einer ein-
fachen prunklosen Weise soll nicht nach Reichtum an Reim
und künstlerischer Form jagen.
In geradezu meisterhafter Weise haben Schure und Monnier,
der erstere den Hirtenknaben, dieser die Einkehr wiedergegeben,
Die dcülscliu Lyrik iu der i'ranzö^ischen Übersei zimgslitteiatur. 55
zwei Lieder, die auf den ei'sten Blick fast unübersetzbar scheinen
könnten, wenn es überhaupt in der Dichtung etwas Unüber-
setzbares gäbe.
Le fils de la montagne.
Je suis le pätre, enfant des monts!
A mes pieds les plus fiers donjons;
Je vois du jour le premier feu,
Je re(jois son dernier adieu ;
Je suis le fils de la montagne.
Au berceau du torrent d'azur,
Dans le roc je bois son flot pur.
II s'elance et mugit plus bas,
Je cours le saisir dans nies bras;
Je suis le fils de la montagne.
Ma maison forte est ce rocher.
L'orage ne peut l'arracher,
Qu'il hurle du nord au midi,
Plus haut ma chanson retentit;
Je suis le fils de la montagne.
Gronde a mes pieds, nuage en feu !
Je suis debout dans le ciel bleu.
Silfle ouragan ! je te connais,
Passe et laisse mon tröne en paix ;
Je suis le fils de la montagne.
Quand pour la guerre le tocsin
^levera son cri d'airain,
Lä-bas, je serai dans mon rang
Pour brandir mon glaive en chantant:
Je suis le fils de la montagne!
Liefse sich eine ungezwungenere und den ganzen hin-
rei (senden Ton des Originals besser treffende Umdicht uug
denken, die sicii zugleich enger an das Vorbild anschmiegen
würde? Und nun das andere:
L'Höte.
L'höte chez qui je m'endormis
Etait un galant homme:
Sur une perche il avait mis
Pour enseigne une pommo.
C'est le bon poinmier dont l'abri
M'accueillit k la brume:
jf) iJic deutscLc J>}rik in der franzosisclien libcl^•ct7AIngsli(te1atu^.
D'un doux repas il m'a nourri
Et d'une fraiche ecume.
Dans son palais tout verdoyant
Une foule empluraee,
Sautant ä l'aise et festoyant,
Chanta sous la ramee.
J'eus un bon lit bien doux et vert
Aussitöt qu'il fit sombre;
Fraichement fhöte m'a couvert
Lui-nierne avec son ombre.
Au depart : que vous dois-je? — Rien,
Dit-il branlant la tete.
Beni soit Thöte qui si bien
M'a fait accueil et fete.
Nach diesen beiden Proben bedarf es wohl des Beweises
nicht mehr, dafs selbst die deutschesten aller deutschen Lieder
Gehalt und Effekt unbeschadet in romanisches Kleid gebracht
werden können. Freilich bedarf es dazu Dichter ersten Ranges,
da es nicht allein gilt, der Sprache ungewohnte Bilder, Ge-
danken und Empfindungen anzuvertrauen, sondern ihrem eigenen
rhetorischen Flusse zu widerstehen. Marmier hat sich an
jenes andere Uhlandsche Gedicht gewagt, das Volksgut ge-
worden ist, der Wirtin Töchterlein. Auch da hat er wieder
dem Geist des Liedes gerade zuwider den Alexandriner zur
Versform gewählt und einzelne Stellen wie die dritte Strophe
sind derart platt ausgefallen, dafs sie die Wirkung des Ganzen
noch mehr verderben. Nichtsdestoweniger ist es lesbar.
La fille de l'aubergiste.
Trois voyageurs errant le long des bords du RLin,
Sur le seuil d'un hötel s'arretent en cheniin.
Ici, la biere est fraiche et le bon vin petille;
Mais notre hötesse, oü donc est votre jeune fille ?
Ma biere est bien choisie et raes vins sont connues ; (!)
Quant ä ma jeune fille, helas! eile n'est plus. (!)
Les voyageurs alors s'en vont chercher dans l'ombre,
Et decouvrent la morte avec son volle sombre.
L'un d'eux lui degageant la tete du linceul
Et sur eile arretant un triste et long coup d'ceil :
Die deutsche Lyrik in der französischen Übersetzungslittcratur. 57
Que ne puis-je, dit-il, rauimer ce corps blenie,
Enfant, et je voudrais t'ainier a i'instant meme.
Le second repla^a ce voile de douleiirs
Et s'en alla dehors les yeux baignes de pleurs.
Ah! cria-t-il, pourquoi quittes-tu cette terre ?
Combien voilä deja de temps que tu m'es cherc!
L'autre la decouvrant pour la voir reposer,
Et sur sa bouche pale imprimant un baiser:
Je t'aimais, lui dit-i], je te restais fidele,
Et je t'aime, k present, pour la vie eternelle.
Geschmackloser liefsen sich die Strophen drei und acht
nicht leicht wiedergeben. Besser als Marmier, von dem wir
übrigens noch bessere Leistungen kennen lernen werden, ver-
stand es Martin, der Neffe Simrocks, Uhland in seiner ganzen
Frische und Anmut zu übertragen, wiewohl ihm nicht alles in
derselben Weise glückte. Schade, dafs er sich in den beiden
Strophen vom Schmied nicht treuer an den Sinn des Originals
hielt:
Ich hör meinen Schatz,
Den Hammer er schwinget,
Das rauschet, das klinget,
Das dringt in die Weite
Wie Glockengeläute
Durch Gassen und Platz.
Am schwarzen Kamin
Da sitzet mein Lieber,
Doch geh ich vorüber.
Die Balge dann sausen,
Die Flammen aufbrausen
Und lodern um ihn.
Martin übersetzt:
Le forgeron.
Droit pres de l'enclume
II mouille, il allume
Le charbon qui furae
Au vent du soufflet.
II pense ä sa belle . . .
L'ardente etincelle
Rient(5t lui rappelle
Que le fer est pret.
1)8 Die ileiitschc Lyrik in der lr;inzüsisclicn Übcrsctzungülitteratur.
Soll oeil iioir scintille,
Car le metal brillc,
Rugit et petille
Hors du feil qui liiit.
Son loiird marteau broie
La barre qui ploie;
L'etincelle ondoie
Rouge autonr de lui.
Das Ständchen der Sterbeklänge hat zu gleicher Zeit Älartin
und Marinier angeregt. Der letztere hat diesmal den franzö-
sischen Hexameter nicht angewandt, beide suchten sich dem
Versmafs des Originals zu nähern und wir sind in Verlegen-
heit, zwischen beiden zu wählen. Wir lassen sie daher beide
Iblgen, bemerken indes noch, dafs, wenn einer der Übersetzer
Kenntnis von der Nachdichtung des anderen hatte, dies Marmier
sein müfste, dessen Poesies d'un voyageur, denen wir die Über-
tragung entnehmen, 1844 erschienen sind, während die Wieder-
gabe Martins schon 1837 in einer Gedichtsammlung unter dem
schwerfälligen Titel „Fragmente aus dem Buche der Harmonien
der Familie und der Menschheit" in Lille erschienen ist. Es
möoe daher der Entstehunsfszeit nach die Übersetzunsj Martins
O O O
vorausgehen :
L'en fallt mourant.
0 inere, ecoute ces accords :
Qu'ils sont doux au coeur, a l'oreille,
Qu'ils sont doux, ö niere ... et tu dors !
Moi, cctte musique m'cveille.
J'ecoute . . . ecoute et n'entends rien.
Oh, dors, mon pauvre enfant malade;
Dors : le repos te fera bien ;
Dors: ce n'est pas la Serenade.
Non, ce chant qui me rejouit
Ne vient pas d'une voix mortelle,
C'est un choeur d'anges qui m'appelle,
Adieu, nia niere, bonne nuit.
Rejouit : nuit läfst allerdings als Reim zu wünschen übrig.
Marmiers Übersetzung lautet:
L e s 0 m m e i 1.
Quels doux chants, quelle voix legere
Soudain m'cmpechent de dormir,
Die dcutsclic Lyrik in der iVanzot-isclieu Übersetzungslitteratur 59
Ecoute, regarcle, uiu niere,
Qui donc si tard peiit nous venir?
Je ne puis rien voir, rien entendre,
Oh, par pitie, repose-toi.
Helas! qui poiirn'ons-nous attendre?
Mon pauvre enfant, dors pres de moi.
Ce n'est pas une voix mortelle
Dont j'ai cru distinguer le bruit,
C'est Tange des cieux qui m'appellc,
Adieu, ma inere, bonne nuit.
Marmlers tief tVouimer und etwas sentimental angelegter
Natur gelingt in der That der weiche schmerzliche Ton besser
als das frische kecke Lied. Man urteile nach dem folgenden
(es sind wieder Alexandriner!):
Le vallon du repos.
Lorsqu'aux rayons du soir, au-dessus des colcaux,
Je regarde ä travers les Celestes campagnes,
Les nuages pareils a de hautes niontagnes,
Oh ! je me dis, songeant alors ä tous mes niaux,
Est-ce la qu'est pour moi le vallon du repos?
Jenes unvergängliche fromme Sonntagslied: Das ist der
Tag des Herrn! niufste Marmier ansprechen, und wirklich hat
er eine Nachahmung desselben (wieder in Alexandrinern) ge-
liefert, die zu seinen besten Leistungen gehört. Trotz der un-
geschickt gewählten Versform ziehen wir diese seine Über-
setzung der Schures vor, obwohl diese letztere dem Metrum
des Originals angepafst ist.
L e D i m a n c h e du B e r g e r.
C'est le jour du seigneur. La cloche dans les airs
Chante l'hymne d'amour et l'hymne d'esperance.
Puis ä ces sons pieux succede un long silence.
L'eglise est toute pleine et les champs sont deseits.
Aupres de mon troupeau dans la vaste prairie,
Je me raets ä genoux, et je prie avec foi.
Dans le monde bien loin, ainsi qu'autour de moi,
En ce meme moment tout se reoueille et prie.
Quel calme dans ces lieux! quelle paix en mon cccur!
L'horizon est si pur et la terre est si belle !
On dirait ä cctte heure auguste et solennclle,
Que le ciel va s'ouvrir. C'est le jour du seigneur.
CO nie ili'utscbc Lyrik in der französischen ÜbersetzungsHtteratur.
Schure giebf dieses Lied in folgender Weise >Yieder:
Chant de Dimanche du Berger.
C'est le jonr du seigneur!
Restons sur la prairie immense,
Un son de cloche — puis silence —
Au loin paix et bonheur.
Je m'agenouille, ö roi ! (sie)
Terreurs suaves, indicibles,
Des milliers d'ämes invisibles
Prient tont autour de moi.
Ciel pur, ciel de splendeur!
II semble en son profond mystere
Qu'il va s'ouvrir a ma priere . . .
C'est le jour du seigneur!
Leichter wird die Aufgabe des französischen Übersetzers,
wenn das Original in romanischem Kleide auftritt. Selbst die
komplizierte Form des Sonetts scheint den Übersetzer über die
Schwierigkeiten hinwegzuführen, welche in der kürzeren Strophe
sich fühlbar machen. Martin hat eine ganze Reihe von Uhland-
schen Sonetten übertragen, sogar jenes an den Altmeister Goethe,
das da beginnt:
Der du noch jüngst von deinem krit'schen Stuhle
Uns arme Sonettisten abgehudelt,
Der du von Gift und Galle recht gesprudelt
Und uns verflucht zum tiefsten Höllenpfuhle etc.
Sie sind ihm nicht alle gleich gelungen, wie der Leser
aus den folgenden vier Proben ersehen mag:
La conversion au sonnet.
Toi qu'on vit recemment de ton fauteuil critique
Sur nos pauvres sonnets deverser ä longs flots
— Raffinement cruel — le sei de ces bons mots
Qui penetrant au vif par leur mordant attique ;
O blanc cygne, venu du pur olympe antique !
Pourquoi sur ton vermine, autrefois sans defauts,
Cette täche aujourd'hui de nos boui'beuses eaux?
Te serais-tu souille d'un sonnet roraantique?
As-tu donc oublie tant de derisions ?
Et du vieux raaitre Voss les declamations
CJu'envenimaient Tinjure et les cris d'anatheme?
Die deutsche Lyrik in der französischen Cbersetzungslitteratur. 61
Ah ! tu me fais penser au preceptenr grondant,
Pour des fruits derobes, son eleve imprudent,
Et qui s'eloigne apres pour les iiianger lui-meme.
Unser Leser wird vielleicht finden, derlei Gelegenheits-
gedichte seien der Übersetzung nicht würdig, solange so viel
Schönes und Grofses von unserem poetischen Hausschatze noch
der Übertragung harrt. — Im Sonette „Die zwo Jungfrauen"
hat Martin sich eine kleine Abweichung erlaubt, w'elche die
Pointe des Gedichtes in störendem Mafse abschwächt.
Les deux jeunes vierges.
Deux jeunes vierges sont la-haut sur la colline,
Pareilles par la gräce et la freie beaute ;
Leurs yeux plongent en bas vers le lac argente,
Leur col parait un col de cygne qui s'incline. (!)
Puis l'une etend sa main blanche sur la cavine.
Pour indiquer au lein le torrent irrite ;
L'autre arrondit, un bras sur son front veloute,
Pour soutenir l'eclat du soleil qui decline.
Jugez, si dans mon sein dut eclore un desir!
Aussi mon coeur emlt ce voeu par un soupir:
Oh! si j'etais assis sur la raontagne entre elles!
Mais contemplant encor le couple harraonieux,
Cet autre cri sortit de mon cceur envieux:
Non, ce serait un crime, elles sont lä si belies !
Der Hals, der sich beugt wie ein Schwanenhals, ist nicht
gerade ein angenehm berührendes Bild weiblicher Schönheit. —
Jugez klingt hier prosaisch und nüchtern. — Der Eindruck des
Schlusses ist schlecht und das Ganze hält einen Vergleich mit
dem Originale nicht aus. Glücklicherweise entschädigen die
beiden Übersetzungen le Bois (der Wald) und le Bouquet (der
ßlumenstraufs) für die mitgeteilten.
Le Bois.
Ce qui parfois calma mon esprit et mon coeur,
La verdure au printemps, la rosee ä l'aurore,
Un reve cette nuit vint me le rendre encore,
Car j'errais dans un bois embaume de fraicheur.
Et vous dont m'enivra souvent la douce odeur,
Boutons mi-clos, j'ai cru vous respirer encore
— Plus doux, car au sentier soudain je vis eclore
Chasseresse legere et de ce bois la fleur.
C>-2 Die elciitsclic Lyrik- in der französischon Übersetzungslitteratur.
Elle i'iiit — suppliant je poiirsuis la rebelle:
Doja je tends los bras, et je vais la touchcr . . .
Lorsque s'evanouit mon bean reve infidele.
Pas meme en songe, helas ! ne puis-je t'approclier,
Bonheur? Non seulement a disparu la belle,
Mais le bois oü mes pas auraient pu la cbercher.
L e B 0 u q u e t.
Puisque l'herbe et les fleurs parlent mienx que les niots,
Puisqu'un aveu d'amoiir s'exhale de la rose,
Que le Vergiss-mein-nicht de Souvenir s'arrose,
Que le laurier dit : gloire, et le cypres: sanglots;
Si pour le coeur epris de symboles nouveaux,
Un sens naif encor sur les couleurs se pose,
Si l'envie ou l'orgueil dans le jaune repose,
Et si l'espoir voltige entre les verts rameaux ;
J'ai bien fait de cueilllr les fleurs de toute sorte
Et de toute couleur que tremblant je t'apporte
Dans ce bouquet sans art d'oü plus d'un parfum sorf;
Car ä toi j'ai voue ma joie et ma soutfrance,
Mon amour envieux, ma foi, mon esperance,
A toi ma gloire, a toi ma vie, a toi ma mort !
Diese zwei Sonette gehören zu jenen Nachdichtungen, an
denen man die edle Sprache, den poetischen Hauch, den Geist
und die Treue nach dem Orio^inale in gleichem Mafse bewun-
dern mufs. — Auch die Sinno^edichte Uhlands haben unsere
Übersetzer angeregt.
Wandrer, es ziemet dir wohl in der Burg Ruinen zu schlummern.
Träumend baust du vielleicht herrlich sie wieder dir auf.
Voyageur endors-toi sous ces debris des temps
Dont l'antique splendeur dore encor la memoire:
Peut-etre qu'a leurs pieds des reves eclatants
Te les reconstruiront dans leur premiere gloire. (Martin.)
Blicke zum Himmel, mein Kind, dort wohnt dir ein seliger Bruder,
Weil er mich nimmer betrübt, führten die Engel ihn hin.
Dafs kein Engel mich je von der liebenden Brust dir entführe,
Mutter, so sage du mir, wie ich betrüben dich kann.
Si les anges au ciel ont enleve ton frere,
C'est qu'il n'avait jamais fait de peine ä sa raere.
De crainte que Tun d'eux ne vienne m'emporter,
Mere, apprends-moi, comment je puis te tourmenter. (Michiels.)
Die deutsche Lyrik in der französischen i'bersetzungslitteratur. G?>
Wir haben schon im Liede von der Wirtin Töchterlein
die Baliade gestreift. Allezeit haben die Franzosen in der
deutschen Dichtung die Ballade bewundert, und ihre Dichter
haben darin nicht nur Anregung zu Übertragungen, sondern
noch weit öfter zu selbständiger Behandlung; von Balladenstoffen
in deutscher Manier gefunden. Der heute wenig mehr gelesene
Crosnard hat in seiner Ballade L'orage du Nord so recht den
deutschen Ton getroffen. Deschamps und de Latouche dagegen
haben dieselbe derart manieriert und verfranzöselt, dafs der
ganze Reiz der Originale verschwunden ist. Von Uhland
haben die Balladen: Des Goldschmieds Töchterlein, Des Sängers
Fluch, Die Vätergruft, Die Nonne, Die iMähderin u. a. teilweise
meisterhafte Interpretation gefunden. Michiels schlägt in „La
fille du bijoutier" einen glücklichen Ton an, wenn er dichtet :
Le bijoutier parlait ä sa fille cherie.
Ils etaient seuls, pres d'eux rayonnaient cent joyaux:
Helene, lui dit-il, ces diamants sont beaux,
Mais aucun ne t'egale ö perle qu'on m'envie!
ün Chevalier entra : Bonjour ! eher bijoutier,
Bonjour, charmante enfant que la gräce environne,
Je voudrais qu'on nie fit une riebe couronne,
Une couronne d'or. Je vais nie niarier.
Lorsque digne d'un roi la commande fut prete,
Helene, tonte pale et des pleurs dans les yeux,
Suspendant ä son bras I'ornement precieux,
Disait en inclinant sa gracieuse tele:
Heureuse mille fois celle qui doit porter
Ce diademe au front le jour de l'hymenee!
Si de fleurs seulement tu m'avais couronnee,
Quelle serait ma joie, ö mon beau Chevalier!
Le Chevalier revint, admira la couronne:
Je voudrais maintenant que mon eher bijoutier
Me fit un riebe anneau. Je vais me marier.
Adieu, charmante enfant, le bonheur t'environne.
Digne d'un roi puissant quand la bague fut prete,
Helene, toute pale et des pleurs dans les yeux,
Y passant ä moitie son doigt capricieux,
Disait en inclinant sa gracieuse tete:
Heureuse mille fois celle qui doit porter
Ce present de l'amour durant son hymenee!
Gl Die deutsche Lyrik in der französischen Übersetzungslitteratur.
Un seiil de tcs cheveux, moi, pauvre abandonnee,
M'eAt fait niourir de joie, 6 mon beau Chevalier !
Le Chevalier revint: la main d'oeuvre est parfaite,
Et la topaze aiissi, dit-il au bijoutier.
Gräce a toi, maintenant, je puis ine marier.
Si tu me veux du bien, tu seras de la fete.
Mais pour mieux voir l'effet que ce don produira,
Permets que je l'essaie ä ta fille, eile est belle
Comme ma fiancee, eile est blonde comme eile,
Et la meme parure ä toutes deux ira.
C'etait par un beau jour le matin d'un Dimanche,
Helene avait pris soin de se bien habiller;
Des pieds jusqu'ä la tete eile ctait tonte blanche,
Et, reveuse, eile allait ä l'eglise prier.
Soudain eile aper9ut, vermeille, embarrassee
Le Chevalier pres d'elle. II lui mit doucement
Sur le front la couronne, au doigt l'anneau brillant,
II la prit par la main, l'heureuse fiancee:
Femme Selon mon coeur, je cesse un jeu crnel;
Pardon, je me repens: c'est toi seule que j'aime,
Ton pere pour toi seule ornait ce diademe
Et cette bague d'or. Viens, marchons ä l'autel.
Metaux et diamants, tont ce que l'oeil admire,
Des la premiere enfance autour de toi brillait.
Ce presage etait sur, Helene, il annon9ait
Qu'un jour vers les honneurs je devais te conduire.
Deschamps hat dieselbe Ballade gleichfalls bearbeitet. Wir
zweifeln, ob Uhland sein Stiefkind wieder erkannt hätte. Wir
geben den Schlufs seines Gedichtes wieder:
Nella, Nella, dit-il, tenant sa main pressee,
Ne vois-tu pas? II faut parier raison enfin.
Garde sur ton front pur la couronne d'or fin ;
Que la bague d'eclairs reste ä ton doigt passee,
Car c'est toi, c'est bien toi, ma douce fiancee.
Humble au milieu de l'or qui roule en ta maison,
Noble de ccßvn avec ton nom de bourgeoisie,
C'est toi que mon amour pour epouse a choisie.
Düt mon oncle de rage ecraser son blason,
Et sa fille secher deux fois de Jalousie!
Nella Maubert devint baronne de Beaujeu
A la chapelle de Mario.
Die ileutsche Lyrik in der französischen Cbersetzungslitteratur. 65
Les dames se pin9aient les levres quelque peu,
Les hommes chuchotaient; le monde est moquerie;
Mais c'est pour soi qu'on se niarie,
Mais tout orage passe et le ciel reste bleu !
Kann es etwas Lacherlicheres geben als dieses triviale An-
hängsel und die banale Schlufsmoral ?
Nicht weniger glücklich war N. Martin in der Umdichtung
einiger Uhlandschen Balladen. Man lese folgende Übertragun";
der Nonne.
La n onn e.
Une nonne pale et sereine
Dans les jardins du cloitre errait;
La lune Teclairait ä peine
Au bord de ces longs cils d'ebene
Une larnie d'amour tremblait.
Cher fiance, qu'ä ton aurore
La mort, helas ! vint reclamer,
J'oserai donc t'aimer encore!
Tu deviens l'ange qu'on iraplore,
Et l'ange on peut oser l'airaer!
Au pied de la sainte patronne
S'arreta son pas chancelant;
Un doux regard de la madonne,
S'y posant comme une couronne
Fit rayonner ton beau front blanc.
La, s'agenouillant en priere,
Calme et Celeste, eile fixa
Ses yeux sur la sainte de pierre...
Puis la mort fernia sa paupiere
Et son long voile s'abaissa.
Die Vätergruft gab derselbe Übersetzer als „tonibeau
des ancetree" in der folgenden AVeise wieder:
Au fond d'une foret obscure
Un Chevalier vieux et sans peur
Entra, vetu de son armure,
Dans la chapelle au sombre choeur.
L:i, les froids tombeaux de ses peres
Etaient ranges avec splendeur,
Un concert de chants funeraires
• S'exhala de leur profondeur.
Avcblv f. u. Sprachen. LXXl. 5
GC Die (leutpclic Lyrik in der französischen Übersetzungslitteratur.
Esprits dont la voix me designe,
Votre appel rejouit mon coeur,
Car il m'apprend qui je suis digne
De clore ce rang de l'honneur.
II se trouvait lä dans l'encelnte
Une tombe sans chevalier ;
II la choisit pour couche sainte,
Son chevet fut son bouclier.
II croisa les mains sur son glaive,
Puis s'assoupit avec lenteur,
Et depuis nul chant ne s'eleve
Des froids tombeaux du sombre choeur.
Des Originals würdig Ist auch die I^bersctzung jener frischen
ländlichen Idylle der Mähderin mit ihrem tragischen Ausgange.
Marie la faucheuse.
Bonjour, Marie, aux champs la premiere toujours !
Tu me rappelle Ruth, la moissonneuse antique:
Si tu fauches le pre, de cette heure en trois jours,
Je te veux pour (ipoux donner mon fils unique.
Le fermier orgueilleux et riebe l'a promls;
Marie, oh, comme bat son coeur plein d'allegresse !
Ses yeux sont plus brillants, ses bras mieux affermis,
Comme bruit sa faulx! Comme l'herbe s'abaisse !
Midi brüle ; l'epi s'incline dans le champs ;
La soif cherche la source et le sommeil l'ombrage;
L'abeille seule encor butine en bourdonnant ;
Marie est sa rivale et poursuit son ouvrage.
Le soleil fuit, la cloche eveille les echos ;
En vain le voisin crie: Assez pour la journee!
En vain partent faucheurs, et patres, et troupeaux ;
Marie aiguise encor sa faucille obstinee.
Et voici la rosee, et l'etoile reluit;
L'herbe funie, on entend le rossignol qui chante,
Marie est insensible au barde de la nuit;
Elle agite toujours la faucille tranchante.
Ainsi du soir a l'aube et de i'aurore au soir,
Se nourrissant d'amour en douce confiance.
Le troisieme soleil se It^ve: — Oh! venez voir,
Marie heureuse enlin et pleurant d'esperance !
Bonjour, Marie, eh quoi! tout fauche! noble ardeur!
Ah ! je veux te payer dignement, sur mon äme ;
Die deutsche Lyrik in der französischen Übersetzungslitteratur. 67
Quant a mon fils — tu pris pour grave un mot rienr:
Insenses et naifs les coeurs qu'amour enflamme!
II dit et passe .... Helas ! pauvre Marie! Alors
Ton ca3iir brülant se glace et ton beaii corps chancelle:
Sans voix et ton esprit brise dans ses ressorts,
On te trouva sur l'herbe, ö fancheuse fidele!
Pins d'iine annee encor, innette et sans raison,
Elle vecut de miel et d'eaux, la malheureuse . . .
Ah! creusez son tombeau sous le plus vert gazon :
On ne rencontre plus tant aimante fancheuse. (Marl in.)
Freilich an die gröfseren Balladen, die sich da schon dem
grofs angelegten Epos nähern, haben sich weder Marniier noch
Martin getraut (ausgenommen eine Ballade von Simrock). Der
letztere überfrus; wohl das Schlofd am jNIeere, da2:e<2:en schien
ihm des Sängers Fluch, dessen er in einigen Zeilen s^edachte,
abgeschreckt zu haben.
L e c h a t e a u an b o r d de 1 a m e r.
As-tu confemple le manoir,
Le vieux manoir sur le rivage?
Rose et dore, plus d'un nuage
Passe au-dessus de son front noir.
II projette une ombre inquiete
Dans les flots bleus en s'y penchant,
Vers la fournaise du couchant
II eleve son large faite.
Oui, j'ai contemple le manoir,
Le vieux manoir sur le rivage,
La lune sortant d'un nuage
Illuminait son faite noir.
Les vents de la mer et les ondes
Exhalaient-ils un son per^ant?
Un chant de fete, un jojeux chant
Venait-il des salles profondes ?
Les vents de la mer et les flots
üorniaient dans un morne silence,
J'entendis dans la salle immense
Un chant de plainte et des sanglots.
Vis-tu sur les degriis du trone
S'avancer un couple royal ?
Sur le rouge manteau ducal
• Vis-tu rayonner la couronne?
5*
Ü8 Die deutsche Lyrik in der französischen Übersctzungslitteratur.
Vis-tu folafrer .iiitour d'eiix,
Vive etoile de la famille,
Unc charmante jeune fille
Au doux regard, aux blonds cheveux?
Olli, j'ai vu le couplc du tröne,
Mais en grand deuil et la couronne
Sur aiicun fiont n'etincela,
Car la vierge n'etait plus la.
Abgesehen von exhaler un son per^ant, das nicht
gerade eine edle Ausdrucksweise für klar und hell tönendes
Windessausen und Wellengebraus ist (besser nahm sich in dem
Gedicht Vätero;ruf't der nämliche Ausdruck aus, wo von ^feister-
haften Grabchören die Rede ist und exhaler seine Berecli-
tiffunu; hat :
Un concert de chants funeraires,
S'exhala de leur profondeur),
abgesehen also von jenem Ausdrucke, ist die Nachdichtung
wohl als gelungen zu bezeichnen. Aber besser als alle anderen
französischen Übersetzer verstand es Michiels, der Uhlandschen
Ballade in französischem Gewände gerecht zu werden. Wir
haben bereits des Goldschmieds Töchterlein mitgeteilt. Seine
Übertragung von des Sängers Fluch übertrifft womöglich die
des letzteren noch. Bekanntlich hat schon Börne jenes Gedicht
den Franzosen empfohlen und eine in ihrer Art anerkennens-
werte Übersetzung (in Prosa) davon gegeben. Ein metrischer
Übersetzer ist beim Nibelungenmafs immer in etwelcher Schwie-
rigkeit. Michiels griff diesmal zur fünfzeiligen Alexandriner-
strophe mit zvvangsloser, das heifst abwechselnder Reimordnung
und wufste eine Wirkung zu erzielen, welche in hohem Grade
das Verständnis des ernsten Schwunges des Urtextes vermittelt.
Trotz ihrer Länge geben wir auch diese Ballade in extenso
wieder.
La malediction du chanteur.
Autrefois un ehäteau couronnait ces hauteurs:
II dominait la tcrre, il dominait les vagues;
Des jardins embaumes l'environnaient de fleurs
Et le chant des oiseaux .s'y melait aux bruits vagues
Des sources oü le ciel refletait ses couleurs,
Victorieux et fier de ses vastes domaines,
Un monarque habitnit ces murailles hautaines.
Die deutsche Lyrik in der französischen Übersetziingslittoratur. 69
L'epouvante siegeait snr son front tenebreux :
Ses regards etaient pleins de sentences prochaines,
Ses paroles de sang et de meurtres ses jeux.
Deux menestrels voulant flechir ce cocur sauvage,
Se mirent en chemin. L'un d'eux, blanchi par Tage,
Et le luth sous le bras, pressait un noir coursier.
De blonds cheveux de l'autre entouraient le visage,
Et, quoique sans monture, il suivait le premier.
Mon fils, dit le vieillard, il y va de la gloire;
Implore ton patron, cherche dans ta memoire
Les plus beaux de nos chants ; mon fils, prepare-toi.
Nos noms des ans lointains braveraient l'ombre noire,
Si jamais nous pouvons toucher l'ombre du roi.
La foule se pressait dans la salle eclatante.
Au milieu des vapeurs que repand le sandal,
Sombre comme les feux du pole boreal,
Le monarque trönait. Pres de lui, bienveillante,
La reine avait l'eclat de la lune naissante.
Le vieillard preluda, Sous ses doigts assures
Les notes s'epanchaient en rythmes inspires.
A ces graves accords, a ces flots d'harmonie,
Comme l'ange du soir aux cantiques sacres,
Le disciple melait sa voix jeune et hardic.
Pale d'emotion, il chantait tour a tour
L'äge d'or, le printemps, les gräces de la femme,
II chantait la vertu, la dignite de l'äme,
Tout ce qui fait du coeur brüler la saintc flamme,
Tout ce qui dans l'esprit allurae un noble ainour.
Le courtisan cessa de railler, de sourire;
Le guerrier insolent courba son front hautain
Devant le Dieu du ciel. Pour la reine, un delire
De joie et de douleurs l'oppressait, et sa main
Aux deux chanteurs jeta la rose de son sein.
Vous seduisez ma femme et ce peuple imbecille,
Dit le roi furieux tremblant de tout son corps;
Et son glaive soudain fendit l'air trop docile.
Le jeune homme tomba. De sa poitrine habile
Le sang jaillit au Heu de Celestes accords.
Et le morne auditoire en voyant apparaitre
L'orage inattendu s'enfuit comme un troupeau.
Le jeune homme expira dans les bras de son maitre.
Le vieillard l'entoura des plis de son manteau,
Le mit sur son cheval et quitta le chateau.
70 Die deiils^cho Lyrik in der irauzösi^chen Übersctzungslitt eiatur.
Mais quand il fut devant la porte exterieure,
Ils s'arreta, saisit son divin Instrument,
La harpe sans egale et la brisa sur l'heure
Aux angles d'un pilier; puis d'un air mena^ant
II etendit le bras vers l'antre du tyran:
Malheur a toi! dit-il, caverne impitoyable !
Qu'une douce chanson ne te charme jamais ;
Que tout bruit dans tes nuirs devienne lamentable;
Sois le sejour des pleurs et des cris, 6 palais!
Jusqu'un jour oii le temps couchera dans le sable.
Tes infames crenaux, sur lesquels planera
L'esprit de la vengeance. Et vous, brillants parterres,
L'aspect de ce cadavre aux livides paupieres,
Dessechera vos fleurs et vos eaux salutaires
Et le desert sur vous peu ä peu s'etendra.
Malheur ä toi, surtout, meurtrier du poete!
Que la gloire jamais ne couronne ta tete !
Que la haine se leve et s'attache ä tes pas!
Sois mauditi que ton nom ne te survive pas!
Qu'il ressemble auxvains bruits qu'emporte la tempete!
II se tut et le ciel chätia l'assassin.
Le palais maintenant n'a plus pierre sur pierre;
Comme pour attester sa richesse premiere,
Une colonne encor se dresse tout entiere;
Mais eile croulera peut-etre avant demain.
Les jardins ont fait place ä des lan Jes arides ;
Nul arbre n'y repand son ombre; les ruisseaux
Ont suspendu le cours de leurs oiides limpides.
Et banni des vieux lais qui chantent les heros,
Le nom du roi maudit n'a pas trouve d'echos.
Nach diesen mito:eteilten Proben verbleibt nur noch eine
Dichtlingsart Uhlands, die Romanze, der wir nicht gedacht
hätten. Freilich konnte kein französischer Übersetzer es wagen,
auch die Form der assonierenden Romanze nachzubilden. Die
moderne französische Poesie verlangt den Reim, und wenn auch
das Volkslied der Franzosen sich in freieren Gesetzen bewegt
und wie die deutsche Dichtung zuweilen nur mit einem Reim-
paar auf vier oder gar fünf Verse vorlieb nimmt, sich auch
nicht selten mit dem blofsen vokalischen Gleichklang begnügt,
so sind diese Freiheiten dem Kunstdichter (und als Kunst-
dichtunjr ist eben in Frankreich alle moderne, auf das gebildete
Die deutsche Lyrik in eler französischen Übersetzungslitteratur. 71
Volk berechnete Poesie anzusehen) nicht gestattet. Gegen die
Assonanz würde die Kritik gewifs gerade so aufschreien, wie
sie den ungereimten BL^nkvers verpönt. Michiels hat in seiner
Umdichtuno: des nächtlichen Ritters nicht einmal die Trochäen
beizubehalten gesucht, sondern den fünffüfeigen jambischen
Doppel zeiler gewählt, wodurch das Gedicht seinen Charakter
ids romanische Romanze ganz eingebüfst hat. — Wie wenig
übrigens die heutige französische Sprache sich zur assonierenden
Dichtung eignet, mag der Leser aus folgender Probe erkennen:
Dans la noire et sombre nuit
II se tint sous la terrasse,
Chantant d'une voix Celeste
Aux accords de la guitarre.
In der mondlos stillen Nacht
Stand er unter dem Altane,
Sang mit himmlisch süfser Stimme
Minnelieder zur Guitarre.
Michiels Übersetzung lautet:
Le Chevalier nocturne.
Par une nuit silencieuse et sombre
Sous mon balcon il vint chanter dans l'ombre.
La, j'entendis sa harpe soupirer
De ces doux airs qui fönt presque pleurer.
Voyant vcnir ses rivaux, de son glaive
II les frappa sans leur laisser de treve.
Tons les echos h ce bruit s'eveillaient,
Et mille eclairs autour de lui brillaient.
Or c'est ainsi que Ton doit ä sa belle
Prouver le feu dont on briile pour eile.
Aussi mon coeur, par sa vaillance emu,
Cherit bientöt cet amant inconnu.
A peine l'aube etait-elle apparue,
Que j'allai voir du balcon dans la rue.
Mais je revins toute pale d'effroi,
O vierge sainte ! il etait mort pour moi I
Doch genug nun der Übersetzungsproben Uhlands. Wir
haben damit nicht nur alle dessen Dichtungsarten erschöpft,
sondern auch so ziemlich alles Beachtenswerte, was die franzö-
7- Die dcuti^clie Lyrik in der franzÜMsehcn Übcrf^ttzungslitteratur.
siachc Übersetzungskunst überhaupt von diesem Dichter zu Tage
gefördert hat. Ist es ein wenig mehr, als man vielleicht in
deutschen Landen erwartet hat, so ist es immerhin wenig genug,
aber das Wenige leistet wohl den vollgültigen Beweis, dafs die
französische Sprache und die französische Dichtung sich deut-
schen Vorbildern würdijj anzuschmiegen befähigt sind. Es läfst
aber auch bedauern, dafs diese Leistungen nicht zahlreicher
und namentlich, dafs das Interesse für sie und dafs ihre Wir-
kung nicht bedeutender sind.
Die Entstehungszeit der Mehrzahl dieser Übertragungen
fällt in eine Zeit, die in jeder Hinsicht als überwunden be-
trachtet wird. Wie die politischen, philosophischen und religiösen
i\.nschauungen andere geworden sind, so hat auch die nationale
Litteratur, nationales Dichten und Singen andere Bahnen ein-
geschlagen, Bahnen, die sie weniger als je dazu führen, die
Leistungen des Auslandes zu studieren und auf sich einwirken
zu lassen. Was Deutschland anlangt, mag Goethe eine Aus-
nahme machen, aber man darf die Beachtung, deren er in
Frankreich geniefst, und die Tragweite des Interesses, das er
in gewissen Kreisen findet, nicht überschätzen. Gewifs ist diese
Gleichgültigkeit tadelnswert, sie entspringt aber dem nationalen
Bewufstsein der eigenen Kraft, einem Bewufstsein, das die Aus-
länder in seiner schroffen Wirkung unangenehm berühren mufs,
ihrem Denken aber und dichterischen Schaffen jene grofse
Originalität bewahrt.
Paris. 0 1 1 i k e r v. L e y k.
Zur Anordnung der Vokale.
II.
Von G. Michaelis.
Kurz nach dem Erfcheinen von E. Sievers' Phonetik (zweite
Auflage feiner Lautphyfiologie) am 26. April 1881 habe ich in der
Berliner Gefellfchaft für das Studium der neueren Sprachen einen
Vortrag über difes Werk gehalten, befonders mit Rückficht auf das
Verhältnis der neueren englifchen Vokaltheorie von A. Mel ville Bell
und Henry Sw^eet zu der älteren deutfchen Vokaltheorie. (Vergl.
meine Schrift über die Anordnung der Vokale, Archiv Bd. LXV u. LXVI,
befonders erfchinen 1882.) Zunächst möchte ich hier einen kleinen Irrtum
berichtigen. Ich hatte dort angegeben, dass Moriz Rapp 1878 ge-
ftorben fei. Rapp hat 1878 feine Vorlefungen an der Tübinger Uni-
verfität eingeftellt, ist aber erst 1883 geftorben.
Bald nach meinem Vortrage erfchin eine andere Befprechung des
Sieversfchen Werkes von Moriz Traut mann in der Anglia Bd. IV,
welche mir den Anlass zu den nachfolgenden Bemerkungen gibt. Auch
Traut mann befpricht vorzugsweife den Abfchnitt des Sieversfchen
Werkes, welcher fich auf die Bell-Sweetfche Vokaltheorie bezieht. Er
nimmt aber gegen dife eine von der meinen verfchidene Stellung ein.
Wärend ich eine Vermittelung zwifchen dem englifchen Viereck und
dem deutfchen Dreieck verfucht habe, verwirft Trautmann die
Bellfohe Theorie ganz und gibt an deren Stelle eine auf andern Prin-
zipien beruhende neue Accord- Theorie und eine neue Anordnung.
Schon 1803 hatte der Naturforfcher H. G. Flörke nachzuweifen
verfucht, dass in der Vokalreihe gewisse Accordverhältnisse obwalten,
doch wxirde difer Gedanke nicht weiter verfolgt, da die exacten Unter-
71 Zur Anun-liiiiiig der Vokale.
I'uchungen der neueren Forfcher über die Klänge der Vokale ihn nicht
hinreichend bel'tätigten.
Traut mann hat nun eine vil weiter gehende Accord-Theorie
aufgcftelU. Er erklärt es für ein Na t arge fetz, dass die Vokale
Accorde bilden, und zwar feilen die Vokale:
u,, o, 0, a, e, e, i
nach den Grundtönen irer Refonanz, die man iich am leichtesten beim
Flüstern zum Gehör bringt (die Obertöne find dabei überall von vorn
herein außer Betracht gelassen), zwei Ok(aven mit f-dur-Accorden
bilden :
1) u, 6, b, a = Grundton, Terz, Quinte, Oktave;
") ^: ^} ^5 * — - « ?? ?? V
und zwar: (" a" c'" ('" (oder es'") — f" a'" c"" i"" (oder es"").
Dife Angaben weichen indes zimlich weit von den Beobachtungen
der neueren Phyfiologen und Akustiker ab. Traut m a n n fagt darüber:
„Wären die betreffenden Gelerten mer Sprachforfcher gewefen, fo
würden lie bemerkt haben, dass gewisse Vokale vor allen andern häufig
vorkommen, dass dife verbreitetsten Vokale nicht überall und bei jedem
vollkommen gleiche Färbung haben und dass lie, wenn lie auf gewisse
Weife hervorgebracht werden, ganz befonders klar lauten und ganz be-
fonders diejenige Färbung haben, die de zu allen andern in deutlichen
Gegenfatz ftellt. Hätten Donders, Merkel, König, Helm-
holtz u. f. w. nicht ire eigenen, fondern jene verbreitetsten und eigen-
artigsten Vokale auf ire Halle unterfucht, l'o wären fie, fofern inen
nicht wirkliche Irrtümer untergelaufen wären, unfelbar zu denfelben
Ergebnissen gekommen, die ich in Anglia I, 590 nidergelegt habe."
Indes möchten dadurch fchwerlich die Bedenken gehoben fein ;
kein Phyfiologe wird es heute von vorn herein als ein Naturgefetz
anerkennen, dass die Vokale, welche das meufchliche Sprachorgan er-
zeugt, eo ipso Accorde bilden. Es handelt lieh hier um eine Frage, die
der Sprachforfcher ftellt, die aber nur der Naturforfcher mit feinen
experimentellen Hilfsmitteln beantworten kann. Das menfchliche
Sprachorgan ist nicht ein Inftrument mit fester Stimmung, wie ein
Ciavier, welches man vor dem Spilen ftimmt, fondern ein Inftrument
mit veränderlicher Stimmung, das man erst im Momente des Spils auf
den jedesmaligen augenblicklichen Ton einftellt; und jedem einzelnen
Vokale kommt feine eigene felbftändige Einftellung zu, und damit fein
eigentümlicher Klang, one dass zwifchen den einzelnen Vokalen eine
Zur AiiorJnuiig der Vokale. 75
folche Abhängigkeit von einander beftände, wie fie Trautmann von
vorn herein annimmt.
Traut mann dent feine Accord-Theorie auch auf die von a
nach ü gehende Zwifchenreihe:
0, b, ü
aus. Dife verbinden, wie allgemein anerkannt wird, die Lippenftellung
der ;i- Reihe mit der Zungenftellung der z-Reihe. Nach Trautmann
Folien dife denfelben Accord bilden wie a e e\ d. h. i'", a'", c'" (Grund-
ton des o, Terz, Quinte). Es foU danach, wenn wir von a zu o über-
gehen, die durch die Zungenhebung entftehende Erhöhung des Grund-
tons gerade kompenfirt werden durch die aus der Zufammenziehung
der Lipperf entfpringende Vertiefung desfelben, fo dass dadurch o die-
felbe Höhe des Grundtons behält, welche a hat, und änlich foll o die
Tonhöhe von e, und weiter ü die von e erhallen.
Dabei bleibt aber Traut mann nicht ftehen. R. Lepsius hat
im Anhange zu feiner akademifchen Abhandlung über die arabifchen
Sprachlaute 1861 (vergl. /Standard Alphabet, 2. ed. 1863, p. 53 ff.)
noch eine andere mittlere Vokalreihc aufgeftellt, welche die Zungen-
ftellung der z<-Reihe mit der Lippenftellung der z'-Reihe verbindet.
Lepsius fürt zwei dahin gehörende Vokale auf, feine
i und e.
i foll die Zungenftellung von u mit der Lippenftellung von i ver-
binden. Standard Alpli. p. 57 heißt es: „In forming the i, the middle
tongiie is lifted itp to the palatal point in the middle of the hard roof of
the palate; from this point forivard it slopes doion almost perpendicxdarhj so
as to leave a cavity hetioeen this point and the teeth.'-'-
Difes i kommt nach Lepsius einer großen Zal von Sprachen zu;
er erkennt es im russil'chen jery Li und im polnifchen y, namentlich
aber in den tartarifchen Sprachen (Mantfchu, Mongolifch, Kalmückifch,
Türkifch, Tartarifch, Jakutifch, Ungarifch, Finnifch), und findet es
auch in Spuren in den verwandten dravidifchen Sprachen Indiens.
e (Zungenftellung von 6 und Lippenftellung von (') kommt nach
Lepsius nur im Rumänifchon (Walach ifchen) vor.
Das englil'che ü ftellt Lepsius nicht in dife neue Reihe, fondern
in die obige Reihe a o 6 ü. Standard Alph. p. 50 heißt es: „On the
same degree of the scale as the sounds «e and a" we find a short soimd
in the middle column ivhich leads from a to ö and ü, viz. the vowel in but,
cid, son, does, hlood, a sound still more peculiar to the Englishlanguage.''^
; (! Zur Anuiiliiung der Vokiile.
Die Tlieorio der Lepsiusfchen zweiten Mittelreihe ist imles keines-
wegs allgemein angenommen. E. Brücke fiht die betreffenden Laute
als unvollkommen (mit dumpfer Refonanz) gebildete an. Er
ftellt auf:
poln. y =: unvollkommen gebildetes u\
engl. 0 (iiot, non, cough") = unvollkommen gebildetes o,
engl, li (stin, son, done) = unvollkommen (mit nicht hinreichend
verengter Mundöflfnung) gebildetes o".
Auch Sievers tritt in feiner Phonetik der Lepsiusfchen Theorie
entgegen. Er lagt S. 71 : „In der ersten Auflage difes Buches waren
fälfchlich das russifche jery und einige verwandte Laute zu einer
zweiten Reihe von Vermittelungsvokalen zufammengeftellt, da ich früher
nach Lepsius annam, dass dife durch Kombination der Zungenartiku-
lation des u mit der Lippenartikulation des / etc. gebildet würden. Ich
bemerke ausdrücklich, dass ich dife Analyfe jezt durchaus verwerfe."
Er fubftituirt dann der Lepsiusfchen zweiten Mittclreihe die Bell-Sweet-
fchen viived voivels.
Darin ftimmen indes die genannten Forfcher überein, dass beim
englifchen ü die Lippen nicht die Kontraktion der u-Reihe annemen.
T rau t m an n ftellt lieh wider auf Lepsius' Seite und fügt zu dessen
i, e einen dritten Laut mit der Zungenftellung von ö und der Lippert-
l'tellung von e; dis l'oll nach ihm der der englifchen Worte rough, coine,
up fein. Vergleichen wir Trautmanns Beftimmung des engl, u mit der
Bell-Sweetfchen, fo finden wir beide zimlich nahe übereinftimmend ;
in der leztern ift il mid-haclc.
A. Melville Bell in feiner neuen Bearbeitung: Sounds and
their relations, London 1882 fagt darüber: „This is the regulär sound
of 'short U' in English as in up, turn, come etc. Those who find
a difficulty in pronouncing the vowel by itself will obtain it unconsciously
by endeavouring to form the sound of 'long 0' withoiit using the lips.^^
Nach Trautmann hat engl, ü die Zungenftellung von ö, was
der Bellfchen Beftimmung fer nahe kommt. In bezug auf die Lippen-
ftellung ist die Beftimmung von Bell-Sweet einfach als unround, wärend
lie nach Trautmann fchärfer beftimmt die von e ist. Wärend das Bell-
Sweetfche System in bezug auf die Zungenftellungen große Genauig-
keit erftrebt, lässt es für die fchärfere Beftimmung der Lippenftellungen
noch manches zu wünfchen übrig.
Trautmann legt dann feiner fo entftehenden Reihe e, e, i wider
Zur Anordnung der X'okale. 77
diefelben Halle bei wie der Reihe Ö, o, ü, fo dass er nach der Hi)he
der Grundtöne folgendes Schema erhält:
ii
e
1
o
e
e
ö
a
(«)
6
ö
u
e
Der Grundton von engl, u würde danach mit dem unferes a
(Vater) gleich fein. Dass der Grundton des engl, u dem unferes a fer
nahe ftehf, lässt fich nicht läugnen; dass dife aber (abgefehen von den
Obertönen) fo vollkommen zufammenfallen wie es Trautmann behauptet,
fcheint doch fraglich.
Traut mann unterfcheidet dann die Vokale noch nach dem
Kieferwinkel, und das fürt ihn zum Hellwag-Chladni-Brückefchen
Vokaldreieck zurück :
a
e Ö e ö
e b e ö
i ü 1 u
Er fügt dann hinzu: „Villeicht ließe fich eine Anordnung finden,
in welcher Hall und Mundftellung gleichmäßig zum Ausdruck ge-
langten, und eine folche wäre durchaus nicht one Wert." — Ich folhe
meinen, dass difes Postulat einfach dadurch erreicht wird, dass man
das Dreieck fo ftellt, dass i oben und u unten zu ftehen kommt. Man
begreift in der Tat nicht, wie Trautmann, der in allen feinen fonstigen
Anordnungen das i oben und das u unten hinftelll, nicht auch bei dem
Dreieck auf dife fo naturgemäße Anordnung gekommen, ist, zu deren
Herbeifürung fchon 1812 F. H. Du Bois-Reymond den ersten
Anftoß gegeben hat. Es ist zu bedauern, dass Brücke und Lepsius
nicht zu difer Stellung des Dreiecks gelangt find. Der Kieferwinkel
kommt wefentHch auch in Betracht für das Verhältnis der offenen
(langen) und der gefchlossenen (kurzen) Vokale; i e ä d a" o ö u ü-
werden mit größerem Kieferwinkel gefprochen als f e a a a" o ü ii ü .
Die Zungenartikulation dagegen ist bei den ersteren eng (narrow), bei
den letzteren weit (wide). Bei den kurzen Vokalen werden eben alle
Bewegungen, die Mundöffnung wie die Zungenartikulationen, weniger
78 Zur Anordnung der Vokale.
prägnant ausgefürt und die Zunge mer zurückgezogen. Darin müssen
wir Trautmann recht geben, „dass bei der Lere von den Vokalen niolit
die Mundliellungen allein, und auch nicht die Halle allein, I'ondern
beide in Ketracht gezogen werden müssen".
Um dann noch Zwifchenvokale einfchieben zu können, fiellt Traut-
mann feine vier obigen Accordreihen in ein ftehendes Kreuz und be-
merkt, dass wir zwifchen je zwei Vokale difer Reihen einen Zwifchen-
laut und zwifchen die vier Hauptreihen noch Zwifchenreihen einfchieben
können, deren Stellung er durch Punkte andeutet. Er erhält fo einen
Stern mit acht Stralen, die alle von a ausgehen :
i
u
Schließlich wird noch der zwifchen a und b ligende Vokal mit
der Tonhöhe es'" als den Sprung von der Quinte zur Oktave ver-
mittelnd, mit dem Zeichen a als befonders hervorzuhebender 14. Grund-
vokal angefetzt.
Dass zwifchen dem Trautmannfchen System und feinen Vor-
gängern mannigfache Berürungen ftattfinden, ist natürlich, und auch
von den Grundlagen des Bell-Sweetfchen Systems ist er keineswegs fo
fern, wie man es etwa nach feiner fcharfen Polemik gegen diJ'es glauben
könnte. Ein volles Urteil über feine Theorie werden wir uns aller-
dings vorbehalten müssen, bis das von ihm verheißene größere Werk
über die Sprachlaiite crfchinen fein wird.
K. Deutschbein, über die Refultate der Sprachphyfiologie
(Herrigs Archiv Bd. LXX, Heft 1), lässt aus dem von mir auf-
geftellten vollftändigen Dreieck änlich wie Kräuter, Fleay u. a.
(vgl. meine Schrift über die Anordnung der Vokale) die beiden mixed-
Hexaden weg und rednzirt meine Spitze des Vokaldreiecks (entfprechend
der Bell-Sweetfchen imround-hacl'^l^&\\\e) auf die drei Vokale:
Zur Anordnung der Vokale. 79
«1 (hell)
,1
a* (dumpf)
wo a^ = a in deutfch Vater, a^ (hell) = deutfch Katze, a^ (dumpf)
= engl, up ist.
Bei ihm ist daher das engl, li" in die von a nach zi (engl, oo)
gehende Reihe als erstes an a angrenzendes Glid geftellt.
Man siht, dass in bezug auf die Stellung des engl. ?r im VokalCystem
von den angefiirten Forfchern noch nicht zwei vollftändig überein-
ftimmen. Es erklärt fich dis daraus, dass die Bildung des Lautes felbst
in England noch nicht eine vollkommen übereinftimmende ist. Sollte
es indes möglich fein, dass die englifchen Phonetiker bei erneuter
möglichst vilfeitiger Prüfuns: fich darüber einigten, welche Bildung des
D 0 3 O 7 o
Lautes mit beftimmt definirter Stellung fowol der Zunge wie der
Lippen, und mit akustifch festgeftelltem Klange, als die normale und
dem Unterricht allgemein zu gründe zu legende zu betrachten fei, l'o
würde das den Lerern des Englifchen gewiss willkommen fein.
A. M. Bell unterfchid zwifchen primary und luide vowels. Er
fagte hierüber 1867: „Primary vowels are those which are most allied
lo consonant'^, the voice Channel being expanded only so far as to
remove all 'fricative' quality. The same organic adjustments form
''ivide vowels when the resonance-cavity is enlarged behind the con-
figurative aperture; ... the physical cause of 'wide' quality being re-
traction of the soft palate, and expansion of the pharynx." In dem
neuen Werke (1882) heißt es darüber etwas kürzer: „Primary and
wide vowels have nearly the same formation, but the wide vowels have
an additional expansion of the soft palate, enlarging the back cavity
of the mouth. The phonetic resemblances and characteristic differences
will be perceived in pronouncing the following pairs of words:
Primary: eel, end, zts, all, pool,
Wide: ill, and^ ask, on, pulU'
Di fe Theorie hat indes das grotJe Bedenken, dass man fchwer ein-
fiht, woher bei den im allgemeinen den kurzen (gefchärften) Vokalen
entfprechenden wide vowels trotz der zurückgezogeneren Lage der Zunge
die größere Erweiterung der hinteren Mundhöle entftehen foll. Es ist
fer zu bedauern, dass Bell feinen Lefern auch in dem neuen Werke
80 '^iir Anordnung der Vokale.
nicht durch genügende genaue Zeichnungen der Organftellungen zuhilfe
kommt.
Sweet letzte daher an die Stelle des Bellfchen Begriffes jyrimari/
lein befonders auf Spannung und kräftige Artikulation der Zunge be-
ruhendes narroiv, was von vilen Seiten her Zuftimmüng gefunden hat.
Ten Brink, Dauer und Klang^ Straßburg 1879, ftellte über die
Entwicklung der Vokalquantität im Romanifchen das Gefetz auf:
,.Sämtliche Tonfilben in merfilbigen Wörtern und fämtliche betonte
einlllbige Wörter, die bis dahin kurz gewefen waren, wurden lang.
Kurze Vokale im Silbenauslaut oder in Monofyllaben vor kurzer
Konfonanz erfuren daher Verlängerung. Lange Vokale in derfelben
Stellung behielten ire Quantität. Ebenfo bliben kurze Vokale in Silben,
die auf lange oder merfache Konfonanz auslauteten, kurz." Vgl. Zeit-
fchrift für romanifche Philologie III, 135 ff.
Ch. Thurot, de la prononciation franqaise depids le commencement
du XVI siede, Tome I, 1881, p. 1 fürte dagegen für die franzölifchen Vo-
kale dtn Gegenfatz von aigu und grave durch: „L'a et Yo etaient et sont
encore, quant a la qualite, susceptibles de deux modifications : ils sont
aigus : ^^»aKe, hotte, ou graves : päte, höie. \Jeu peut etre egalement
aigu, comme dans peiir ; grave, comme äans gouttetuv. On sait qu'il y a
trois e, Ve ouvert, Ve ferme et l'e qu'on appelle muet, et que nous ap-
pellerons feminin. L'a et l'o aigus etaient generalement brefs, Va et l'o
graves etaient generalement longs. Cette connesion entre la qualite et
la quantite des deux voyelles me fait preferer les denominations d!aigu
et de grave ä Celles A'ouvert et de ferme, que Dangeau employait dejä
(1694), et que des grammairiens preferent aujourd'hui. L'e ouvert et
Ve ferme me paraissent sensiblement distincts en qualite, le premier,
de Va et de l'o aigus, le second, de Vä et de l'tJ graves; et la quantite
n'est nullement liee ä la qualite pour l'e, comme eile l'est pour l'a, l'o
et l'ez«."
Als die beste Autorität für die heutige franz. Ausfprache erkennt
Thurot das Werk von Feline, Dictionnaire de la prononciation 1851
an : „Son ouvrage est le guide le plus sür que je connaisse pour la
prononciation de notre temps."
Eine eingehende Betrachtung der franzößfchen Vokale mit An-
ordnung nach dem Bell-Sweetfchen System ist nun nach Sweets Vor-
gange verfucht in der Schrift: Der vokalifche Laiitßand in der franzö-
ßfchen Sprache des 16. Jahrhunderts, von Dr. August Lange, 1883.
Zur Anordnung der Vokale. 81
liier heißt es S. 7: „Wenn man in dem ten Brinkfchen Gefetz,
wie es fich z. B. von Suchier, Zeitfchr. III, 136 forraulirt findet,
ftatt lang und kurz die neue Unterfcheidung eng und weit, die
unftreitig die bedeutendste Entdeckung der englifchen phonetifchen Schule
ist, einfetzte, fo dürfte fich villeieht auch die (Böhmerfche) Antiquanti-»
tätspartei befridigt finden. Erinnern wir uns doch zur Parallele unferer
Verhältnisse im Nhd. Hier ist jeder Vokal in offener Silbe, wie
ten Brink fagen würde, lang, wie wir fagen, eng geworden, in ge-
fchlossener Silbe dagegen fast ausnamslos erweitert und oft ganz er-
heblich getrübt. Änlich denke ich mir die Sache im Vulgärlatein und
im Altfranzöfifchen."
„An fich kann jede Vokalnuance beliebig lang ausgehalten werden.
Nun gibt es aber Sprachen, wie das Englifche und das Norddeutfche,
in welchen man wenigstens in der Terminologie übereingekommen ist
Vokallänge Lauten beizulegen, welche von den entfp rechen den fogen.
kurzen qualitativ ganz verfchiden find, fo dass hier dem Anfcheioe nach
der quantitative Unterfchid zugleich auch immer einen qualitativen be-
dingt. Mag dife Bezeichnung immerhin eine gewisse historifche Be-
rechtigung haben, phonetifch ist fie entfchiden ungenau. Im Englifchen
z. B. wird das ,kurze' a in man, bad, obwol qualitativ identifch mit
dem a in hat, gewönlich länger gefprochen als das lange a in hate, base.^^
S. 8: „Das wefentliche ist immer die Qualität; die Quantität
kommt, fo lange man damit wirklich einen Unterfchid der Dauer one
Veränderung des Klanges bezeichnet, erst in zweiter Reihe."
„Im Franzöfifchen bleibt die Qualität eines Vokals auch bei Ver-
änderung der Quantität durchaus konftant." Schon Th. Beza (1584)
fagte: „Prior fyllaba in maijtre et media in permettre, non fono fed
fola quantitate difFerunt." Das können wir als den allgemeinen Cha-
rakter der franz. Vokale im Gegenfatz zu den deutfchen und englifchen
fer wol gelten lassen, wenn auch bereits für a ein qualitativer Unter-
fchid anerkannt wird, und wenn auch genaue Unterfuchungen für die
übrigen Vokale immer noch feine Abftufungen der Organftellung und
des Klanges ergeben werden.
S. 9 : „Wenn fich auch in dem modernen Franzöfifch eine ent-
fchidene Vorliebe für Kürze der Vokale nicht verkennen lässt, fo ist
doch die Quantität im ganzen zimlich unbeftimmt und je nach der Stil-
gattung und der Intention des Sprechenden veränderlich." (Vgl. Sweet
59 f., 125.)
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 6
82
Zur Anordnuno; der Vokale.
Länge des Vokals ist im Franzöfifchen liauptfächlich durch zwei
Uriachen bedingt : regressiver Einfluss gewisser lauter Konfonanten,
befonders r, z, z, v (Sweet 125), und Erfatzdenung vor verftummten
Konfonanten, befonders vor s.
Sweets Schema der franz. Vokale nach Sievers' bequemerer Be-
zeichnung is :
back niixed front back mlxed front
high
mid
low
high
mid
bnck
i';
ßni
e': que?
ei
: ete
a-: chat
e2: dette
je':
pere
u': sou
y':
lune
o': chaud
8':
peu
0-: son
62:
homme
venvage
oe':
peur
narrow
Dis rcducirt Lange auf:
A' B> Ci
I
II
III
1
2
3
A2
wide
R2
C2
i
ä
e
a
e
u
ü
ö
6
6
o
SUtt.
palat.
Dabei find die famtlichen palatalen durch vorgefetztes ^ als outev
voivels, die famtlichen round vowels durch unfergefetztes ° als ftark ge-
rundet bezeichnet. Statt Sweets back-voivels find dabei mixed-vowels
und ftatt der wide-vowds nur narrow-vowels aufgeftcllt. Slatt Sweet? a-
Zur Anordnung der X'okale. 83
(chat) haben wir ä = ?««/, i^aUe (hell) und ä = male, päte (dunkel);
Sweets e2 {dette) lässt Lange zufammenfallen mit k^ (pt're), o^ (son)
mit 6 (encore), 6- (homme) mit o^ (chaiid), e^ (^'we) und a^ (yeuvage)
mit CE^ {peiü').
Für den allgemeinen Unterricht wird man mit Langes Vokalfchema
wol villeicht ausreichen. Chladnis 10 Vokale {Tratte iVAcoustique,
1809) lind durch die Spaltung von a in ä und ä (änlich wie fie auch
l'chon von Humperdinck gemacht ist) zu 11 geworden, und auch
Lange hat, verglichen mit dem Chladnifchen Dreieck, wider:
1) die a-Spitze, gefpalten in ä und u;
2) die i-Reihe: e, e, i;
3) die ü-Reihe: o, Ö, ü;
4) die u-Reihe: ö, 6, u.
Mit dem tonlofen e erhalten wir dann 12 Vokale, auf welche Zal
auch fchon INIaloet 1757 gekommen war. So kommen wir immer
Avider zu dcnfelben Entwicklungsreihen, mögen wir Anhänger des
deutfchen Dreiecks oder des englifchen Vierecks fein, und unfere Ver-
ehrung für Hell wag und Chladni erleidet auch durch die neueren
Theorien keinerlei Abfchwächung.
Allgemeine Merkmale der franz. Vokale find nach Lange: a) alle
Vokale find eng; b) beide Vokalreihen, die gutturale und die palatale,
lind vordere; c) die Rundung der u- und ü-Reihen ist ftark ausgeprägt
(mit vorgeftülpten Lippen).
S. 15 heißt es: „Das Prinzip der Konftanz der Qualität ist eine
notwendige Folge der fteten Engheit."
Den franz. Nafalvokalen legt Lange folgende Merkmale
zu : a) der Vokal finkt bis auf die tiefste Stufe feiner Reihe [ä wird
zu ä, i und e zu e, u und 6 zu o, i'i nnd o zu oj ; b) der Vokal wird
aus der vorderen (fei es gutturalen oder palatalen) Stellung in die hin-
tere gezogen [ä, ö in die A-Reihe; e, ö in die B-Reihe] ; c) der enge
Vokal wird zum weiten.
Es hangen dife Eigenfchaften damit zufammen, dass der nafale
Vokal urfprünglich ftets einer durch einen Nafalkonfonanten gefchlosse-
nen Silbe angehört.
In bezug auf die Entftehung der franzöfifchen Nafalvokalc hatte
0. IJlbrig (Zeitfchr. II. 547; III, 392 f.) die Hypothefe aufgeftellt,
dass zunächst ein Übergang des n in gutturales ?/ ftattgefunden habe.
Dagegen bemerkt Storm (37), dass wenn // wirklich festen Fuß ge-
6*
84 Zur Anordnung der Vokale.
fasst hätte, der weitere Übergang zum Nafalvokale fchwerlich ftatt-
gefunden haben würde. (Vgl. auch Lütgenan, Jean Palsgrave und
feine Ausfpj'ciclie, S5.^ Lange fügt dem hinzu: „befonders aber fcheint
mir der Umftand gegen Ulbrigs Theorie zu fprechen, dass ja auch ?«
ebenfo behandelt wurde. Wenn auch die Zuriickverlegung des dentalen
refp. palatalen Nafals bis zum gutturalen natürlich erfcheint, fo dürfte
der Sprung von der labialen Verfchlussftelle zur gutturalen der Er-
klärung doch große Schwirigkeiten bieten."
Auch mir fcheint der Durchgang durch 7] das weniger warfchein-
liche zu fein. Gegen folchen fprechen auch die portugiefifchen Nafalen.
Über dife fagt Rei nhardstoe ttner , Gramm, der portug. Sprache
S. 103: „Das portug. ni hat auslautend die Eigentümlichkeit, die Aus-
fprache des vorhergehenden Vokales nafal zu machen, eine Nafalität,
welche indessen von der franzöfifchen völlig verfchiden ist, weil der
Vokal feine Geltung beibehält und auch das w hörbar bleibt. Difes m
blib vom Lateinifchen wie in tarn, quem, oder trat für n ein wie in
gram (grandis), bem (bene), ßni (finem), bom (bonum), tim (unus).
Dagegen trat vor auslautendem s wider n ein: bens, fins, bons. Audi
im Inlaute macht folgendes m oder ?i den vorhergehenden Vokal zum
Teil (Braga, Gramm. III, 19: o voz emitte-se em parte pelo nariz e cid
d vogal esse caracter) nafal, z.B.amparo, emplastro, improprio, itmbroso;
ainda, doente, onde, uncgäo, wofern nicht der Vokal zur anderen Silbe
gehört, wie in a-vien^ for-tu-na, li-7na.''^
Urfprünglich wird die m und ji gleich behandelnde franzöfifche
Nafalirung doch wol eher difer portugiefifchen Nafalirung änlich ge-
wefen fein wie dem fogenannten gutturalen ng. Die Nafalirung der
Vokale beruht wefentlich auf einer Anticipation der Senkung dos
Gaumenfegeis, welche eine Lockerung des konfonantifchen Verfchlussps
im Gefolge hatte. So heißt es bei Beza (30): m .. fyllabam autem
finiens five intra ipfam dictionem, five in ultima vocabulorum, perinde
prorsus pronuntiatur ut n . . . ita videlicet ut non modo labia non
occludantur, fed etiam lingute mucro dentium radicem non feriat." Das
hat mit einer folchen Hebung der Hinterzunge, wie fie beim fogen.
gutturalen ?ig und nk ftattfindet, an fich nichts zu fchafFen. Ich kann
daher auch nicht mit Storm einverftanden fein, wenn er fagt: „Der
Gutturalnafal tj könnte im Afr. die erste Modifikation des n gewefen
fein, wie das venez. ving den Übergang zum lorabardifchen vf, frz. ve~
bildet."
Zur Anordnung der Vokale. 85
Wenn fich auch im Afr. die Schreibung ng vilfach findet {ung,
bong, üing etc.), fo find wir dadurch noch keineswegs berechtigt, die
Ausfprache unferes ng dafür anzunemen. Es war das dort eine kon-
ventionelle Bezeichnung für den fich bildenden Nafalvokal, wärend es
bei uns zur konventionellen Bezeichnung des fegen, gutturalen Nafal-
konfonanten geworden ist. Hier wie überall fürte die große Befchränkl-
heit des lat. Alphabets zu fch wankenden Surrogaten. Rambaud
(1578) fuchte ein befonderes Zeichen zur Bildung von Nafalvokalen
einzufüren, aber allen derartigen Bemühungen traten zu jeder Zeit
taufend Hindernisse entgegen. Wärend ä und o fchon lange vor dem
16. Jarh. ausgebildet waren, foheinen e und 5~ erst im Laufe desfelben
entftanden zu fein, a wurde fchon deshalb leichter nafalirt wie die
übrigen Vokale, weil bei ihm der Nafenverfchluss lockerer ist als bei
difen, in der Reihenfolge a, e, o, u, i. Man vergleiche darüber
Merkel, Phyfiologie der menfchlichen Sprache S. 62 f.
„Bei der Bindung blib der Nafalvokal, wie noch heute in forg-
fältiger Ausfprache, unbeeinträchtigt."
An Diphthongen befaß das Afr. auch fallende in zimlicher
Anzal, z.B. öi. Dife wurden dann zum teil bereits vor dem 16. Jarh.,
zum teil wärend desfelben entweder monophthongifch oder mit Ver-
rückung des Accents fteigend ; der erste Vokal nara feiner Silbenfunction
nach konfonantifche Geltung an, blib aber feinem Laute nach durchaus
vokahfch ( i, u, ü nach Sievers Bezeichnung). Die Anfichten hierüber
haben fer gefchwankt.
Schon Harduin, Remarques diverses sur la prononctation et sur
Vorthographe. Arras 1757 fagte : LV, Vii et \^ou sont toüjours de vraies
voyelles, meme lorsqu'ils sont suivis d'une autre voyelle dans la nieme
syllabe, corame dans aieux, fiacre^ huile, fuir, oid, fouir. Quoique la
conformation des organes ne soit point alors exactement la meme que
quand on s'arrete sur les sons z, u, ou, I'action de ces organes ne varie
pas essen tiellement. Toute la difference vient de ce que cette action
est moins forte et moins complette dans le premier cas que dans le
second. Adopter le Systeme de Wallis, auquel est lie celui du P. Buffier,
sur la nature de I',;' trenia^ c'est aneantir toutes les vraies diphthon-
gues."
Thurot (282) fagt über die heutige Ausfprache: „Aujourd'hui
il est ccrtain que IV, Vou et Vu, dans les sons que nous continuons ä
appeler diphthongues, ne sont plus de veritables voyelles, mais des con-
HO Zur AiiDnlmmj; d(;r Voluilc.
soniics (lonl Ir. son c«t bien lÜHliiict de coliii (Ins voyoUos ?, o», u iluiis
lo ('nin(,':ui,s pai/s (pe-yi), le latin tonuiis cl, ä In fruiK^uisc, Inas, commc
rAiii^ldis Wiilli.s 011 11 fall lii reiimniiio."
Lang« (iigl darüber: „Mag inaii das wa.s Diiclo.s d(!ii {<i>ii ininaÜKirc^
Tlnirol diu voi/eUe failde, Sweet den gh'de-voioel nomit, imincrliiti uiich
iiiil Sievfi's als Halbvokal bozüiclinen, die Haupt fache ist, das.s diwTelbc!
bei den (bgcMi. eigenilichcn DipliUiongon cbeiiiogut vorkommt (Sicvers
123) mir mit dem Untcrfchide, dass er einmal als zweites Element, das
andere mal dagegen als erstes fungirt, was eben den Unterlchid zwilehcn
fallenden und Ctcigenden Diplilliongen ausmaclit (vgl. HwüqIh fore-ffiiilc
mul aflcr-ijlidc-ilipldJioivjs, 08), Dil'o AiiHdrückc lind daher phonetil'ch
w(»l begründet."
Fallender Diphlhong ist heute wol nur noch etwa in dtsr crhlen
Silbe von Winleni wie roi/al, loijnly iiioyen, anziieikeniien.
Was die Art der Vokalein- und -ablÜtze betrid't, lo kennt
das moderne Franz(")lireh nur den fogen. leiten Vokalein- und -aldat/,
(Si((vers 110). (iber das fogen. h aspircc l'ucht Lange die Anliclit
T ra 11 1 nia n US /,u widerlegen, dass es dem dcuUclicn festen Ein l'jitz
entfpieehe; das richtig!! hien'iher finde (ich /.. 1>. in Schmitz, Franz.
Elemcntarbuch, wo Ineinanderfclileifung der beiden betrellendcn Vokale
gelert werde (?). Auf der Büno werde noch heute ein ftärkcr aspirirfer
ICinfatz, äiilich unferm h, gc[)(legt. Die endgiltige Entfcheidiing iib(!r die
Auslprachedes haspirco wird vom Kelkoiillpiegel erwartet werden müssen.
Die l<]ngheit der famllichen franz. Vokale (mit Ausnamo der
Niilalvokalc) iiat noch weitere Folgen. S. 15 heißt vs bei Lange:
„Frwiigt man, dass auch die franz. Kunronanten l';imt]icli eng lind
(Sweet 12'i), lo folgt aus difer fletigen Gleiciimilßigkeit der Artikulation
ein gewisser Mangel an fester Silben- und VV o r t gl i d e r ii n g
(Swectl'iC)) und hierauf beruht wiilcr die Schwäche des Accents
(Sweet 93).
„Der Accent war im klassifehen Tjalein, wie im (Jriechifehen
und Indogermanifchen übeihaupt, ein i'rcier, chromalifeher. Im Vnlgär-
liitein entwickelte licii aber ebenl'o wie im (»eniuinifchcn ein fester,
l'lark exspiratorifcher Wurtaccent, welcher diiiiii im I''riinz. den Schwund
der postlonifchen Vokah^ zur Folge iiatte. Inneriialb des Franz. aber
wurde der Accent allmähli{!h widcM- zum mulikalil'chen, und neben dil'eui
gewinnt in der neuesten Zeit der oratoril'cho eine (blchc Stärke, und
in ein/.elneii I'^ällen fogar eine (blclie Kegelmäßigkeit, dass die Anuanie
Zur Anor»5nung der Vokale. 87
nicht unberechtigt eifcheint, derfelbe werde (ich fchh'eßh'ch wider zum
cxsjiiratorifchen entwickeln."
Der Wortaccent ligt im Franz. auf der letzten fonoren Silbe.
Davon weicht allerdings Sweet ab, welcher darüber fagt : „The word-
Ptress is generally on the first syllable. This view of Frcnch accen-
tuation was first advanced by Kapp in bis .Physiologie der Sprache'
so far back as 1840 and again by a Frenchraan, Prof. C. Cassal, in
the Transactions of the Philolog. Soc. 1873/4. It is, however, not ad-
mittcd by the niojority of French philologist." Dagegen hat bereits
Storm (77) die allgemeine Anficht aufrecht zu erhalten gefucht.
Sound Notation p. 58 fagt darauf Sweet: The true Solution of
the difficulty probably is that the French accentuation is in a period
of transition : the tradition of the older endstress still exists, but a gene-
ral levelling of stress has taken place, so that the normal pronunciation
of such a word as Paris is probably (p • ar • i), which is heard as (p : ar' i).
This is a natural tendency of the ear, nothing being more difficult to
identify ihan perfectly level stress. ... Out of this level monotony of
French stress is»slo\vly emerging the principle of fore-stress. Storm
allows such a stress, but calls it 'rhetorical', which does not get rid
of the fact of its existence.
In dem leifen Vokaleinfatz findet Lange (nach Brücke 12) mit
Recht wider die phyfiologifche ürfache der liaisoii. So geftaltet lieh
in der franz. Rede alles wie aus einem Gusse.
Die wefentlichen Grundlagen zur heutigen franz. Ausfprache find
in den meisten Beziehungen, w^ie das Lange im einzelnen an den Gram-
matikern jener Zeit nachweist, fchon im 16. Jarh. vorhanden gewefen,
Ich knüpfe hieran noch eine kurze i\Iitteilung über ein par Ar-
beiten früherer franzöfifcher Lautforfcher, welche zur Ergänzung meiner
früheren Darftellung dienen mögen.
Nicolas Boindin (geb. zu Paris 1G76, feit 170G Mitglid der
Akademie, f 1751) Remarques sur les sons de la Langue um 1709
(OEuvres, 1753, II) ftellte mit großer Feinhörigkeit eine eigentümliche
Einteilung der Vokale in grundcs voyelles und petites voijelles auf.
Pour donner un hon Alphabet (beginnt er feine Remarques), il faut
connoitre tous les sons de la Langue, et ce n'est pas une cliose aussi aisee
quon se l'imagine, car il y cn a plusieurs sur lesquels on est partage.
88 Zur Anordnung der Vokale. '
II y eu a (juelques-uns dont la prononciation n'est pas bien deter-
minee, tels que le son moycn entre l'c' ferme et 17' oiivcrt des mots
dilferer, succe'der, remedier, qu'on pourroit marquer d'un accent perpen-
diciilaire; le son nioyen entre l'o et You de la prämiere voyelle des dif-
tongues loi, J'ois, voix; et le son moyen entre l'e ouvert long et 1'« ouvert
long de la derniere voycllc des diftongues lois, mois, noiv; et il y en
a d'autres dont la difference est assez sensible a l'oreille, mais qu'on
nc laisse pas de confondre, faute de caracteres pour les distinguer aux
yeux, commc les deux differens a de chasse et chasse; les deux diffe-
rens e de princesse et sans cesse; les deux differens o de cote et cote;
et les deux differens eu de jeune et jeune.
Outre les sons communs a toutes les Provinces, chaque Provinoe
en a qui lui sont particuliers, tels que 1'/ pur nazal, et You pur nazal
de Norraandie; l'e ferme nazal et Vu pur nazal de Languedoc etc.
Toutes nos voyelles au reste ne sont pas de nieme nature, II y
en a 4 qui outre les inflexions qu'elles re9oivent des differentes consonnes
auxquelles elles s'unissent, et independamment de la quantite, sont par
elles-memes susceptibles de trois differentes modificati^ns ; savoir d'une
modification aigiic, d'une modification grave et d'unc modification nazale^
et qui sont par consequent 12 voyelles differentes:
a, ä, an, des mots tache, täche, tauche ;
e, e, en, „ „ tette, tele, teinte;
eu, eü, eun, „ „ jeune, jeune, jeun ;
0, 0, on, „ „ cotte, cote, conte;
et 6 autres qui ne re9oivent point ces differentes modifications, quoique
susceptibles de differente quantite; savoir e, i, u, ou, des mots 7ie, si,
tu, cou, et les deux e muets de fais-je et je fais, qui ne se prononcent
certainement pas de niemc, et qui ne sont ä proprenient parier, que le
son de la voyelle eu, plus ou moins affoibli, soit qu'il s'ecrive par e,
par es, ou par ent.
Ainsi nous avons au moins 18 voyelles, savoir. 12 gmndes et
6 petites; les premieres susceptibles non seulement de differente quan-
tite, mais encore de modification aigue, grave et nazale; et les autres
susceptibles seulement de differente quantite.
Mais ces dernieres ont encore une propriete assez singuliere; c'est que
des deux voyelles dont nos vraies diftongues sont composees, la pre-
miere est toujours une de ces petites voyelles, comme dans ciel, otii,
nuit; et cette propriete Icur est si essentielle que toutes les fois qu'on
Zur Anordnung der \'okaIe. 89
prononce dans un mot, deux voyelles de suite, dont la preniiere se
trouve une des grandes, on ne nianque point d'en faire deux syllabes,
coinnie dans hah', Goä, Saül; ou bien l'on est oblige, pour en faire une
diftongue, de convertir la premiere en une des petites, et la derniere en
une des grandes, comme dans loi^ voiv, noiv, qu'on prononce lou-est,
vou-ais, nou-as, en changeant Vo qui est une des grandes voyelles, en
ou qui est une des petites, et IV qui est une des petites en e, en e, ou
en a, qui sont des grandes.
p. 26. II y a des gens qui pretendent que les 5 petites voyelles
ipeuvent aussi devenir nazales; et c'est un üiit que je ne veux point
Icontester. La chose n'est peut-etre pas physiqueraent impossible. Mais il
BSt siir qu'elle n'est point en usage dans notre langue; et l'on en pcut
lonner plusieurs raisons.
1°. Le son de ces petites voyelles est si foible et si sourd qu'il
pesserait d'etre sensible en devenant nazal. Ainsi ce seroit prendre une
'peine inutile, de leur vouloir'donner cette modification.
2°. II faudroit pour cela, froncer le nez d'une maniere rüde et
desagreable; et notre langue n'admet point de teile Operation; car eile
est sur-tout ennemie de la rudesse.
Boindins grandes voyelles entfprechen im ganzen den mittleren
Vokalen, d. i. der a-Spitze des Chladnifchen Dreiecks und den difer
am nächsten ligenden Vokalen, die petites voyelles dagegen entfprechen
den Endvokalen, d. i. der fich dem Konfonantismus mer nähernden
i-u-Reihe (der Baus des Chladnifchen Dreiecks) mit den nächst an-
ligenden Vokalen. Sehen wir davon ab, dass die Benennungen grandes
und petites voyelles wol nicht ganz glücklich gewält find, und dass auch
Boindins Erklärung der Nafalvokale wol nicht als ganz ausreichend
betrachtet werden kann, fo müssen wir im übrigen vor feiner fiebern
und feinen Lautauffassung die größte Achtung haben.
An B 0 i n d i n fchloss fich im allgemeinen D u c 1 o s , Remarques
sur la Graminaire generale de Port-Eoyal, 1754 an (vgl. Thurot LXXXI),
und die Vokalfysteme fast aller fpäteren franzöfifchen Phonetiker bis zu
Domergue und F e 1 i n e hin weichen von Boindins System im ganzen
nur wenig ab.
Von anderer Seite, der phyfikalifchen, doch im ganzen weniger
glücklich als Boindin, griff der auch durch verfchidene historifche
Schriften bekannte Charles de Brosses (geb. zu Dijon 1709, geft.
als President au Parlement de Dijon 1777) in feinem Tratte de la for-
^0 Zur Anordnung der Vokale.
iinilion »icchanique des langues et des principes de t Etymologie. Paris
1765. 2 Bände, die Sache an. Bei ihm heißt es I, 108: La voyelle
en gencral n'est antre chose que la voix, cest-ä-dire que le son simple
et permanent de la bouche que l'on peut faire diirer, sans aucim nou-
veau mouvement des organes aussi long-temps que la poitrine peut
fournir l'air . . .
L'instrument general de la voix doit etre considere comme un
tuyau long qui s'etend depuis le fond de la gorge jusqu'au bord ex-
terieur des levres. Ce tuyau est susceptible d'etre resserre selon un
diametre pkis grand ou moindre, d'etre etendu ou racourci Selon une
longueiir plus grande ou moindre. Ainsi le simple son qui en sort re-
presente ä l'oreille l'etat oü on a tenu le tuyau en y poussant l'air . . .
On remarque communement 7 divisions plus marquees du son simple,
ou 7 etats du tuyau qu'on appelle voyelles: a, ?/, e, i, o, 6', u. Mais
il est clair qu'une ligne ayant autant de parties qu'il y a de points in-
divisibles qui la composent dans toute sa longueur, il y a autant de
voyelles qu'il peut y avoir de divisions intermediaires entre les 7 ci-
dessus; d'ou il suit qu'il y en a une infinite. On remarque facilement
en effet qu'une nation ne divise pas preciseraent comme une autre le
diapason ou echelle de sa voix, et que les voyelles des Anglois, par
exemple, ne sont pas Celles des Fran^ois.
p. 112. La chose ne sera pas moins sensible si nous comparons
la voix, ou le son simple de la voyelle, ä celui que rend une corde
tendue sur un instrument ou les divisions sont marquees par des touches
dans toute sa longueur. II n'y a personne qui ne se soit apper^u que
pour former dans leur ordre les 5 voyelles vulgaires, on ne fait qu'ac-
courcir successivement la corde. a est la voix pleine et entiere, ou la
corde tenue dans toute la longueur depuis la gorge aux levres. i est
la corde raccourci de moitie, tenue du palais aux levres. Ö est le bout
de la corde ä l'extremite des levres. Nous allongeons les levres en
dehors, et tirons, pour ainsi dire, le bout d'en-haut de cette corde pour
faire sonner dessus u . . .
Au reste ce n'est que pour une intcUigence plus facile que j'ai
compare la voyelle a une simple ligne etendue, divisible dans sa lon-
gueur. La veritable image de la voix, conforme a celle de la bouche
ouverte, est un entonnoir flexible dont on diminue a volonte les deux
diametres pour degrader le son voyal: en sorte que A est le plus
grand entonnoir, et U est le plus petit.
Zur Anordnung der Vokale,
91
p. 116. Le nez doit etre regarde comme un second liiyau ä l'in-
struraent. Car ainsi qu'on pousse l'air du fond de la gorge ä l'extie-
niite des levres, on peiit le pousser du fond de la gorge ä l'extremite
des narines. Cet organe a sa consonne ; il a meme sa voyelle an, in,
on etc. ou son simple qui lui est propre.
Dass bei iV der Luftftrom durch die Nafe geht, hat de Brosses
erkannt. Er lässt ihn aber auch beim S in die Nafe gehen, p. 128;
Son siflement ou lettre nazale Se est par-tout d'un tres-grand usage,
par l'habitude qne l'on prend de pousser le son de la bouche au nez,
ou de le ramener du nez ä la bouche. Ce qui fait que le nez n'ayant
pas le pouvoir de varier par lui-meme sa lettre moyenne, parvient a la
rendre douce, ou rüde en s'aidant d'un autre organe. Elle est douce,
si l'air passe du nez ä la bouche. Ex. JV des Grecs; eile est rüde si
l'aif passe de la bouche au nez. Ex. TSe (tsade) des Hebreux. Si on
la rend fort rüde, ramenant une scconde fois l'air le long du palais apres
l'avoir pousse de la gorge aux narines, c'est TSCH des langues barbares.
Über dife fonderbare Theorie hat fchon W. v. Kempelen (336)
mit Recht fein Erftaunen ausgefprochen.
Sweet, Ilanclhooh of Phoneties § 139, 140 fagt: jn (front-nasal-
open-voice) often occurs in careless French pronuncration as a Substi-
tute for (N). — Other nasalised consonants may be formed at pleasure,
such as (rrz), (sn), but the nasalised consonants are little used in lan-
guage, on account of the great expenditure of breath they involve."
Das ist doch etwas anderes als was de Brosses aufftelU. Ein
Boifpil von nafalirtem r gibt Buchholtz, Ilerrigs Arch. LXVI, 108.
(Vergl. Techmer, Phonetik I, 168.)
92 Zur Anordnung der Vokale.
Diiss der gelerte Historiker trotz luanclier guten Gedanken bei
manchen Willkürlichkeiten und Verkertheiten in feinen phyfikalifchen
Theorien, bei denen die Unterfuchungen von Dodart und F errein
über den Kelkopf nicht die genügende Berückfichligung gefunden haben,
nicht an Boindins feine Lautanalyfc hinanreichte, wird man wol allge-
mein zugeben.
In betreff der p or t ij giefif chen Nafal vokale ist auch Diez
(Gramm. 1^, 382) der Anficht, dass diefelben außer dem vokalifchen
noch ein konfonantifches Element enthalten. Er fagt : M erfüllt noch
einen befonderen Beruf: es macht am Ende des Wortes den ihm un-
mittelbar vorausgehenden Vokallaut nafal, indem es feine eigene Arti-
kulation als Lippenbuchftabe einbüßt, wobei jedoch nicht, wie im Fran-
zöfifohen, das Wefen des Vokals geändert, e wie a, i wie e, u wie ö
hervorgebracht wird: tarn, bem, rzäm, tom, algum. An difem Berufe
nimmt auch n teil, infofern es vor auslautendem s in allen Fällen den
Dienst des m verfiht, alfo tem (lat. tenet), tens (tenes). Auch im Innern
mancher Wörter, am Ende einer Silbe, hört man difen Nafallaut l'owol
vor m wie vor n, z. B. in tambejn, emplastro, emfadoso, ainda, andar,
doente^ hontem, monte . . . Dass übrigens die port. Nafalvokale, wie
man fie zu nennen pflegt, keine eigentlichen Vokale find, fondern kon-
fonantifches Element enthalten, geht auch daraus hervor, dass fie fich
nicht mit dem Vokallaut eines folgenden Wortes metrifch zu einer Silbe
verbinden."
Man hat dife Auslassung verfchiden verftanden. Die einen meinen,
dass Diez unter dem konfonantifchen Element ein fogen. gutturales,
änlich dem 7ig verftanden habe ; die andern nemen dagegen an, dass
darunter ein Rest der labialen Affection des 7n, refp. der dentalen des ii
zu verftehen fei, änlich wie z. B. Lepsius (Arab. Sprachlaute 100)
annimmt, dass in dem franz. 1 mouille neben dem j-Laut noch etwas von
der Artikulation des 1 in einer leichten Bewegung der Zunge vorhanden fei.
Sollte die erstere Anficht die richtige fein, fo würde fie fich wol
dadurch erklären, .dass die Hinterzunge unwillkürlich, um den Luft-
ftrom leichter in die Nafe zu leiten, eine gewisse Hebung nach hinten
erhält, was dann immer einen gewissen Einfluss auf den Klang des Vokals
ausüben muss. Doch fcheint die zweite Anficht die richtigere zu fein.
Johannes Müller, Handbuch der Phyfiologie des Menfchen II
(1837), S. 232, fagt über die Nafalvokale: „An die reinen Vokale
fchließen fich die tiefen Vokale mit Nafentimbre an : a, ö, o, ti, z. B.
Zur Anordnung der Vokale. 93
in den Worten sang, singulier^ ombre . ..; dife Modifikationen entftehen
bloß durch Verengerung des Gaumenbogens und Erbebung des Kel-
kopfes." Die Öffnung der Choanen ist dabei ftillfchweigend vorausgefetzt.
S. 238: „Charakteristifch ist für die franz. Sprache der häufige
Gebrauch der Nafenlaute m, n, ng, und noch bedeutfamer, dass fie
bloß die Verbindungen des Konfonanten ng mit a, o, ü namentlich mit
den Nafenvokalen hat, wärend ir die klangreichen Verbindungen mit
e, i, u abgehen . . . Auch da wo die franz. Schriftfprache die Verbin-
dungen em, 2??^ hat, treten in der Mundfprache zuweilen andere Vokale
ein, wie in emperein\ singulier. Von difer Armut in der Anwendung
der verfchidenen möglichen Nafenlaute und von desto häufigerer An-
wendung gewisser Nafenlaute mit den Nafenvokalen a, ä, o ist eine Art
von nafaler Monotonie abzuleiten, wärend die frz. Sprache fich in anderer
Hinficht, nämlich durch den Reichtum an intonirten weichen Konfonanten
fofchön auszeichnet. Befonders auffallend ist der große Gebrauch des Tons
ang, in den vilen Bezeichnungen difes Lautes in temps, sang, evidemment
u. a." — Der Süddeutfche wirft leicht feierhaft ä mit ang zufammen.
Brücke^ 66 tritt der Anficht Segonds bei, dass das franz.
n nasale kein konfonantifches Element habe, und bemerkt, dass der
Nafenton in ftreng phonetifcher Schreibweife durch ein Hilfszeichen an
den Vokalen angedeutet werden müsse.
Sievers^SO fagt: „Streng genommen kann jede Vokalnüance
mit dem Nafenton gebildet werden. Dabei find verfchidene Stärke-
grade der Nafalirung zu beobachten, je nachdem fich das Gaumenfegel
mer oder weniger von der hinteren Rachenwand abhebt und fich der
Zunge nähert . . . Die Nafalirung der franz. Nafalvokale ist auf jeden
Fall ftärker als die der meisten deutfchen Mundarten, welche die Nafa-
lirung überhaupt kennen. Es ist aber noch zweifelhaft, ob dife ftärkere
Nafalirung bloß durch ftärkere Senkung des Gaumenfegeis oder durch
eine befondere gutturale Engenbildung zwifchen Zungenrücken und
Gaumenfegel bedingt wird." (Vgl. Lücking, über den Lautwert
des franz. an, in, on, un. Zeitfchr. für Sten. u. Orth.XIX, S. 138 — 160).
A. Grabow, Über Nafalirung und Brechung der Vokale vii
Franzöß/chen, Herrigs Archiv LXII, 93 ff. bemerkt über die Nafalir-
barkeit des i und u ; verfuche man ein nafales i hervorzubringen, fo
werde die hintere Mundpartie zu eng, um eine raühelofe Hervorbringung
des Lautes zu geftatten ; es müsse noch Platz für diezur Nafe gehende
Luft gefchaffen werden, und das gelinge nur unter zerrender Spannung
91 Zur Anordnung der Vokale.
m
(lor Sprcchorganc, dio lieh auch für das Auge durch Hinaufziehen der
Nafenfliigel bemerkbar mache. Dasfelbe finde bei Hervorbringung des
?i-Nafals ftatf. — Wolle man dem ti die nafale Klangfarbe verleihen,
fo ncmen die Sprechorgane fast die Stellung des o an, fo dass es nur
mit großer Mühe gelinge, noch allenfalls einen leidlichen ?i-Nafal her-
vorzubringen. — Das port. 7'inm laute alfo wol nicht wie ?'?a~, fondern
wie ru'ing.
V. Grützner, Phyßologie der Stimme und Sprache 1G8, gibt
über die Schwirigkeit i nnd u zu nafaliren eine andere Erklärung:
„Die verfchidenen Vokale lassen fich verfchiden gut nafaliren.
Am besten wird nafalirt das O, A, A, E, weniger gut das I, und fo
gut wie gar nicht das U. Das ligt nicht fowol in der Schwirigkeit der
Bildung; denn es ist für uns kaum fchwerer die Gaumenklappe offen
zu halten, wenn wir U, als wenn wir O fagen ; die Schwirigkeit ist
eine rein akustifche. Wenn wir U mit offener Gaumenklappe
fprechen, fo find zwei Fälle möglich: entweder wir verfetzen die Luft
in den Nafenhölen in ftarke Refonanz, wie beim genäfelten M : dann
verliert das U feinen eigentümlichen Vokalklang und wird einem O
änlich, — oder wir verfetzen fie in geringere Refonanz, wie wir dis
bei der Bildung des gewönlichen M, beim Brummen mit gefchlossenem
Munde tun: dann bleibt das U ein gewönliches U und hat fo wenig
wie das M einen nafalen Beiklang. Anliches, nur in umgekertem Sinne,
gilt vom I. Sprechen wir difes bei offener Gaumenklappe, fo wird dem
I-Klang durch die Refonanz in der Nafenhöle eine Reihe von Ober-
tönen beigemifcht, die das I einem A nähern, und dis deshalb, weil die
Nafenhölen zu groß find, um die für ein fpitzes I charakteristifchen
hohen Obertöne zur Entwicklung zu bringen."
Den Portugiefen macht es indes keine Schwirigkeit auch i und u
zu nafaliren, und zwar one Gutturalifation : ruiin, lindo; um, mundo.
A. R. Gon^alves Vi an na, Essai de Phonetique Portugaise, d'cifres
le dialect achtel de Lisbonne, Romania XII, No. 45, p. 29 ff., gibt fol-
gende Tafel der port. Vokale:
Voyolles nasales.
Voye
les
orales.
ä
e
o«
0
e
—
6
i
0^
u
U)
(n)
Zur Anordnung <]er Vokale. 95
„L'acccnt circonflexe ' sert ä designer en portiigais les voyclles
fermees, c'est-ä-dire pour e, 6 les sons des lettres fran^aises e, 6.
L'accent aigu ' marque les voyelles ouvertes; je le remplace toutefois
par le grave \ l'aigu m'etant necessaire pour indiquer la voyelle tonique
du mot . . . Du petit circle souscrit je fais usage pour designer les
voyelles neutres ^a et „e ou J,. Les notations suivantes sont egaleraent
conventionnelles: z/, p representant un u (ou fran9ais tres brcf et
presque etouffe, tantöt ecrit par u tantot par o, dans l'orthograplie
usuelle; J, e designant l'attenuation en i brevissime de e ou /; ii", o°
pour la semi-voyelle labiale, i°, e" pour la semi-voyelle palatale, lorsque
ees lettres atones se trouvent devant une autre voyelle, ou fönt partie
d'nne diphthongue comme subjonctives reduites.
On doit etablir deux divisions speciales pour les voyelles portu-
gaises. *
a) Voyelles ouvertes ä e b
Voyelles fermees ä e 6
Voyelles indifferentes ^e i, i ?/, n
b) Voyelles pleines ä e e i o 6 n
Voyelles reduites „a „e („?) i („e) ii.
Die erste difer beiden Spezialeinteilungen erinnert im ganzen uidc;-
an Boindin.
p. 35: „La nasalite en portugais est bien difFerente de la nasali-
sation des voyelles fran^aises: d'abord parce qu'elle n'est point accom-
pagnee de gutturalisation, et puis parce que le timbre de la voyelle ne
change pas. En effet, il n'y a point en francjais de voyelles orales
dont le timbre soit parfaitement egal ä celui de ces voyelles nasales :
an^ in, on ; ä peine si l'on reconnait la voyelle oe (eii) dans la nasale
nn, tandis qu'en portugais les nasales a, e~, i, o, ti ne differcnt qiie
par leur nasalite des voyelles orales <,«> ^> h o, «•"
Die nafalen Diphthongen find nach Vianna : ai° (avec un „a nasa-
llse: mae, bem, bens), oi° (poes), iii° {mui\to'\, ce seul mot), du" (avec
un „a nasalise: mdo, tarn).
„II ne faut pas oublier que pour toutes ces diphthongues la nasa-
lisation embrasse les deux elements, la subjonctive aussi bien qiie la
prepositive, et que toutefois celle-ci doit etre, autant que possible, re-
duite, attenuee. La vraie transcription de ces sons devrait donc etre
jii", jm'\ öl", en surmontant chaque paire de voyelles d'un signe de
nasalite qui les cmbrasserait toutes les deux."
96 Zur Anordnung der Vokale.
II. Svvect, Spoken Porttigeze, Transact. of the Phil. Soc. 1882/3
p. 203 fr, letzt als port. Nafalvokale an : \n (sim), cn (tem = ten'in},
PH (venfo), an (irmä), on (bom), vm (um) — ä?u'?i (ma"e), änun (irmjio),
onhi (po~e). — 7i bedeutet dabei nur die Senkung des Gaumenfegeis,
und zwar eine geringere als bei den franzöfifchen Nafalen.
Damit ftimmt im wefentlichen auch Prinz Louis Lucian Bona-
parte überein.
Wenn alfo auch früher noch ein konfonantifches Element in den
portugiefifchen Nafalvokalen enthalten war, w^oran nicht zu zweifeln ist,
fo werden wir nach den Unterfuchungen der neueren Phonetiker doch
zu der Anname gefürt, dass difes allmählich gefchwunden fei. Wenn
es uns fchwer gelingt ein portugiefifches T und u~ hervorzubringen, fo
dürfen wir nicht vergessen, dass uns Muskelactionen, die wir in der
Jugend nicht auszufüren gelernt haben, fpäter überall fchwer gelingen,
und dass auch das Gehör dabei oft genug feine Dienste verfagt.
Über die polnifchen Nafalvokale bemerkt Vianna, nach
der Ausfprache Pawinskis: „Pour mon oreille a^ sonne toujours comme
un 0 ouvert nasalise sans gutturalisation, et par consequent, il n'est pas
le on franQais; e me fait l'impression tantüt de i', tan tot de „a nasalise."
Zu einem vollen Abfchlusse fcheint übrigens die Theorie der
Nafalvokale noch nicht gekommen zu fein.
Sitzungen der Berliner Gesellschaft
für das Studium der neueren Sprachen.
Sitzung vom 25. September 1883.
Herr Michaelis sprach über die Lehre Trautmanns, nach welcher
die Vokale Accoide sind (Anglia IV, 1881). Der Vortragende hält
derselben gegenüber an Helmholtz' Lehre fest, ist auch der Meinung,
dafs Trautmann im Vokaldreieck i oben und u unten hätte stellen müssen.
Herr Buchholtz besprach die italienischen Maskulina auf o,
welche im Plural auf a endigend zu Femininen werden. In Diez'
Erklärung dieses Falles stöfst der Vortragende nirgends an, bekräftigt
jenes Schlufssatz „man vergafs le prata in le prate zu verwandeln"
durch das Beispiel des Rumänischen, wo diese Pluralfeminina das a
des lateinischen Neutrum pluralis aufgegeben haben : capetele = capita
illa. Die neuere Erklärung, le membra Plural zu einem la meinbra,
vergl. altertümliches la donna, le donna, hat gegen sich, dafs die
meisten solcher italienischen Wörter ihre entsprechenden lateinischen
Neutra haben. Die Diezsche Erklärung wird von dem Vortragenden
tiefer begründet. Wenn es nämlich wahr ist, dafs die lateinischen
Pluralformen der Deklination jüngeren Ursprungs sind, so dürfte das
Neutrum pluralis nichts anderes sein als das in neuer Weise, nämlich
kollektiv und pluralisch, verwendete Femininum singularis. In der
Form können beide nicht voneinander loskommen. Auch im Griechischen
ist dieser Zusammenhang wahrscheinlich, wenn auch nicht so klar und
einfach. Die Satzlehre zeigt hier und da Erinnerungen an das Ur-
sprüngliche; nicht zwar im Lateinischen, wohl aber in dem Alt-
griechischen (Neutrum pluralis mit Verbum singularis konstruiert, nicht
so im Neugriechischen) und iui Italienischen (umgekehrt: keine Erinne-
rung an den ursprünglichen Singular, wohl aber an das Femininum).
Das Rumänische (vgl. oben) bildet einen Seitenzweig zum Italienischen.
Beide Erinnerungen aber, nämlich des Altgriechischen und des Italieni-
schen, vereinigt das Rbätoromanische ; es hat den ursprünglichen Zu-
stand völlig gewahrt. II bratsch, der Arm, hat dem Sinne nach als
Archiv f. n. Sprachen. LXXl. 7
9fi Sitzungen der Berliner GesellFchaft
Plural la bratscha; grammatisch aber ist es ein Femininum singularis
— etwa ,.dic Armscliaft". Ebenso il member, la mcmbra u. a.
Herr Bisch off machte aufmerksam auf Adolf Holtermanns
Phraseologisches deutsch-französisches Wörterbuch. Dasselbe ist treff-
lich, wenn auch Unbequemlichkeiten, zuweilen auch grammatische
Fehler mit unterlaufen. Der Verf. berücksichtigt ausschliefslich das
Leben, nicht die; Schriftsteller.
Herr Werner machte Mitteilimgen aus Pedro Caroline, English
as she is spoke, James Millington London. Das Schriftchen wimmelt
von Fehlern gröbster Art und mag wohl nur zum Scherz geschrieben sein.
Sitzung vom 16. Oktober 1883.
Herr Ul brich bespricht Schoetensack, Beiträge zu einer wissen-
schaftlichen Grundlage der französischen Etymologie. Unbekannt mit
der gesamten französischen Sprachforschung, mit den einfachsten Laut-
gesetzen, unternimmt es der Verf. mit Hilfe des Glossariums von
Du Gange, des Vokalismus v^on Schuchardt und eines etymologischen
Wörterbuchs die Entstehung der französischen Sprache, die für ihn
nur aus Buchstaben, nicht aus Lauten besteht, durch völlig willkür-
liche und sinnlose Vertauschung oder Umstellung der lateinischen Buch-
staben zu erklären. Obwohl er in seinem Wörterbuch gewöhnlich das
richtige Etymon gefunden hat, sind doch alle für dessen Umgestaltung
gegebenen Erklärungen falsch; obwohl er, an tausend Beispielen immer
dieselben Vorgänge zu beobachten Gelegenheit hatte, wird doch kein
einziges Lautgesetz von ihm entdeckt. Die Plurale auf aux werden
durch die Bemerkung erklärt, dafs man an den grofsen Diphthongen
au auch einen grofsen, zusammengesetzten Konsonanten x statt des
einfachen s habe anhängen wollen. Die Deminutivendung eau sei von
ella abzuleiten und beruhe daher auf einer Vokalurastellung, da latei-
nisches 1 im Fi'anzösischen u werde, mithin aus ella sich die Buch-
stabengruppe eua ergebe, aus der man aus irgend welchem Grunde eau
gemacht habe. In recueillir sei u der Vertreter des lateinischen o; das
darauf folgende e sei das erste e der Infinitivendung ere; das i hinter
demselben sei wie gewöhnlich vor 11 eingeschoben worden, cell will
er Avegen der altfranzösischen Form oel, die er für zweisilbig hält, von
ocellus herleiten, worin nur das c ausgefallen und vor dem doppelten 1,
wie gewöhnlich, ein i eingeschoben sei. Wenn schon da, wo das i'ich-
tige Stammwort gegeben war, die Erklärung der franz. Wortbildung
als ganz irrig zu betrachten ist, so ist es natürlich, dafs die vom Verf.
selbst erfundenen Etymologien, wie äge von sevum, saoul vom deutschen
swal, craindre von chrimphan, aux abois von ze bile, ebenso ver-
kehrt sind.
Herr Vatke schilderte ein Zimmer und Zimmereinrichtung
der englischen Renaissance, besonders nach Shakespeare und den Elisa-
für das Studium der neueren Sprachen. 99
bcthanischen Schriftstellern, Durch Inigo Jones, den Baumeister
Karls I., war die italienische Bauart in England besonders zur Geltung
gekommen. Die Zimmer empfingen von der Strafse her ihr Licht durch
kleine in Blei gefal'ste Scheiben, in welchen sich meist das buntfarbige
Wappen des gentleman-Eigentümers befand, während die Wohnräume
nach dem Hofe zu sich auf den von aufsen offenen Gang (die lobby,
laubia [schon sajc. 10], loggia, la löge) öffneten. Die lobby ist der
hellste Teil der Wohnung, daher Hamlet dort zu lesen liebt. — Die
Zimmerdecken sind entweder Stuck (wie z. B. in der Villa des Antonio
Barbaro bei Venedig, erbaut von Palladio, dem Vorbilde des Inigo
Jones), oder es ist die ältere Form der Holztäfelung (der ceilings) bei-
behalten: der Sonderling im Silent Woman des Ben Jonson wünscht
doppelte ceilings in seiner Wohnung, damit jedes Geräusch unhörbar
werde. — Von der Decke hängt der eherne Kronleuchter (candlestick)
herab : die Strafse Lothbury in London, wo dieselben verfertigt wurden,
war ihres Lärmes wegen berüchtigt (vgl. Ben Jonson, Gipsies etc. in
Nares Glossaryj. Eine eingehendere Schilderung eines solchen candle-
stick (die modernen Ausdrücke für Kronleuchter, lustre und chandeleer
finden sich nicht in jenem Zeitalter) finden wir im Kenilworth Inven-
tory A. D. 1584, bei Walter Scott. Die Wandbekleidung sind die
lose hängenden Tapeten (hangings oder arras) : Hamlet ersticht den
Polonius behind the arras. Dafs der Raum zAvischen Wand (wall)
und Tapete gern zu Rendezvous benutzt wurde, illustriert Massinger
im Duke of Milan (eine Stelle, die bei Nares, s. v. arras fehlt). Bei
iRabelais wird derselbe Raum bezeichnet mit darriere la tapisserie
(von Regis übersetzt: „hinterm Umhang", wo „Umhang" dieselbe
Sache bezeichnet). — Der Fufsboden des Zimmers ist entweder Mosaik
oder Holzdiele, die mit rushes (Binsen) belegt sind. Doch finden sich
in vornehmen Häusern, wie z. B. in Kenilworth Castle auch Fufs-
teppiche, besonders türkische. So brauchte man to tickle tlie rushes für
tanzen (Romeo und Julia), man sagte to take something from the
|rushes, etwas vom Boden aufheben. — An den Wänden der Zimmer
laufen in Manneshöhe die shelves (Tragebretter, Simse) entlang:
dort stellte man Hausgerät, wie Majoliken oder venetianische Gläser
auf (das englische Hartglas kommt erst später auf) ; auch Porzellan
mochte sich finden (die china-shops werden aber bei Ben Jonson als
verrufen bezeichnet). Hamlet III, 4 nennt den König A cutpurse
That from the shelf the precious diadem stole. — Die Gemälde
(die älteren aus Hans Holbeins Schule, sonst italienische oder hollän-
dische) befanden sich hinter Vorhängen : „Pictures chiefly described as
having curtains" sagt W. Scott im Kenilworth Inventory, Avährend
nach DeHus' Anm. zu What you will I, 3 es sclieinen könnte, dafs
doi't nur Mistress Mall's Picture als das einer übel berüchtigten Person
hinter dem Vorhang sich befand. — An den Wänden laufen auch die
Bänke entlang,, die mit Kissen (cushions), ebenso wie die Schemel
100 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
(stools) belegt waren. Statt der Sofa finden wir wohl (wie in Richard III.)
die day-beds (Lofterbetten). So heilst es bei Beaumont and Fletcher,
Rnie a, Wife III, 1: (Are) day-beds in all iny Chambers? — Die
so oft erwähnten conopies, Kanapees, bedeuten ebenso wie bei Rabelais
Bett- und Baldachin-Vorhänge (entre les conopees, Rab.). — Sehr
gliinzcnde Spiegel (besonders von Murano bei Venedig) Averden er-
Avähnt: so schildert der Deutsche Paul Hentzner einen solchen (1598),
im Besitz eines Schneiders, der mit Samraet und Perlen eingefafst war.
„Mighthy looking-glasses" erwähnt auch J. Shirley. — In Bezug auf
Tische wurde erwähnt Romeo I, 5: turn the tables up (wo
Dell US sagt: „Um mehr Platz für die Tänzer zu gewinnen, sollten
die Tischplatten von den Tischgestellen abgehoben werden"), doch
turn up ist in die Höhe heben; die Tischplatte ward also der Wand
parallel gestellt, etwa folding tables, wie solche in Kenilworth Inven-
tory erwähnt werden. (Möbel, cf. trunks, virginals, cabinets.)
Herr Kühne besprach C. Villatte, Parisismen, alphabetisch ge-
ordnete Sammlung der eigenartigen Ausdrucksweisen des Pariser Angot.
Berlin, Langenscheidt. 4 Mk., geb. 4,60 Mk. Der Umstand, dafs das
Angot heutzutage so massenhafte Verwendung in der französischen
Litteratur und Tagespresse findet, macht das vorliegende Buch sehr
wertvoll. Die Werke eines Zola nicht blofs, sondern auch von Schrift-
stellern wie Augier, Sardou, Dumas fils, Zeitungen wie Journal Amü-
sant, Petit Journal, Figaro, Gaulois werden uns mehr oder weniger
mit Hilfe des Villatteschen Werkes erst verständlich. — Der Vor-
tragende betrachtet das Angot vom pathologischen und philologischen
Standpunkt. Das massenhafte Eindringen in die Schriftsprache ist
so gut eine Krankheit in sprachlicher Beziehung wie die Richtung der
Naturalisten in ästhetischer.
Das Interesse des Philologen erregt die Untersuchung des Angot s
hinsichtlich seiner Bestandfeile; teils sind es veraltete Wörter, teils
solche, die dem Lateinischen, Deutschen, Englischen u. s. w. direkt
entnommen sind. Was Villatte über veraltete und dem Lateinischen
entnommene Wörter sagt, ist zu korrigieren: pecum, cadene, abccher
(abi''quer) dürfen nicht als altfrz. Wörter bezeichnet werden; das Latei-
nische wird von Villatte als romanische Sprache angeführt. — Weiter
entsteht Angot durch Aphärese oder Apokope (-cipal = municipal,
denioc = democrate). Zu vergleichen im Englischen: bus = omnibus,
exani = examination. Der durch sprachliche Kalauer gebildeten
Angotismen hätte Villatte nicht mit so ernsthaften Worten Erwähnung
thun sollen.
Der Ausdruck „Parisismen" ist zu eng. Der Verfasser bringt
viele Ausdrücke, die bei weitem nicht nur in Paris bekannt sind (z. B.
vivre de l'air du temps, abouler, amour d'homme, aplatir comme une
punaise, arsouillc). Dem Zweck des Buches ist mit dieser Erweiterung
freilich nur gedient. Einzelne Ausdrücke sind von Villatte angeführt,
für iJas Studium der neueren Sprachen. 101
die nicht zum Angot gerechnet werden können (sc livrer ä la boissoii,
autenr de ses jours, architecte de l'univers). — Die Ausstattung ist vor-
züglich.
Sitzung vom 30. Oktober 18 8 3.
Herr Kühne liefert einen kurzen Nachtrag zu dem im vorigen
Winter besprochenen Thema: Maisire Elies altfrz. Bearbeitung der ars
amatoria des Ovid ; er spricht jetzt speciell über den Verfasser. Mit
Elie von Winchester kann dieser Elie, wie de la Rue früher angedeutet
liat, nichts gemein haben. Der Name Elie scheint überhaupt zweifel-
haft. Die ersten vier Zeilen, wo dieser Name sich findet, sind bedenk-
lich, da hier zweimal derselbe Reim steht, was altfrz. verpönt ist.
Dazu kommt das plötzliche Abbrechen am Schlufs, so dafs es scheint,
als oh hier ursprünglich der eigentliche Name gestanden habe. Der
Vortragende vermutet, dafs wir es mit der in mittelalterlichen Dich-
tungen öfters konstatierten Thatsache zu thun haben, dafs ein Schreiber
hier seinen Namen an Stelle des Namens des Dichters eingeführt hat.
Vielleicht haben wir es hier mit Chretien von Troyes' verlorener Be-
arbeitung zu thun, von der er im Cliget spricht. Die Gründe dafür
sind: erstens die Ähnlichkeit des Stils; zweitens der viel gewichtigere
Umstand, dafs der Dialekt derselbe; drittens die Flexions-, speciell
die Deklinationsverhältnisse sind die gleichen; viertens, unsere Be-
arbeitung der ars amatoria fällt vor diejenige des Jaques d'Amiens, der
im Anfang des 13. Jahrh. dichtete; fünftens der Name Loradin =
Nur-Eddin wird darin erwähnt als der eines Lebenden (Nur-Eddin f 1 174).
Schliefslich wird noch auf einige auffallende Analogien zwischen dem
vorliegenden Gedichte und dem Chevalier au Lion hingewiesen. Alles
zusammengenommen, meint der Vortragende, sei wohl gewichtig genug,
um eine nähere Untersuchung der Sache zu rechtfertigen.
Herr Vatke sprach über Kleidung und Kleiderluxus
des Engländers in Shakespeares Zeit und zwar über die männ-
liche Kleidung. Das Eindringen der französischen Mode war schon
im 14. Jahrh. in England durch drei Verordnungen Eduards III. be-
kämpft worden. Die Kopfbedeckung wird selten (Ben Jonsons
Magnetic Lady V, 6) mit hood bezeichnet, dieselbe ist beim Citizen
und dem niederen Volke cap; die flat-caps, die ungebildeten Bürger
sind auch bei Shakespeare Gegenstand des Hohnes; die woollen caps
mufsten nach Elizabeths ftatute 13 von 1571 von allen (nicht adeligen)
Personen von mehr als sechs Jahren an Feiertagen getragen werden
(cf. statute-caps, L. L. L. V, 1, Sh.). - — Leathercaps, in Ben
Jonsons Bartholomew Fair geradezu Name eines Hausierers, gehören
dem niederen Bürger an. — Der Hut des gentleman — hat — ist
ein hoher zuckerhutförmiger oder auch niedriger Filzhut mit breiter
Krempe, auf die z. B. König Karl L (auf Van Dyks Bild) die aus-
gebreitete Hand legen kann : daher sagt Ben J. (The Devil is an Ass,
102 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
1616): a hat like a penthouse (Haus mit überhangendem Giebel).
Dieser hohe Hut des feinen Mannes wird auch erwähnt Shakesp.
Taming Shrew V, 1: „Oh fine villain! A silken doublet! a velvet
hose! a scarlet cloak ! and a copatain hat." — Gern trug man eine
Feder an demselben: A Plume of Feathers ist in Shakesp. L. L. L.
IV, 1 ^Bezeichnung des beau, des Stutzers, — Abzeichen von nobility
und gentry am Hut war, nach Dilkes Anm. zu J. Marstons „Antonio
and Melida" II, 1 (1602), das hatband. Man schlug wohl auch
eine Krempe des Huts, durch silberne Spange festgehalten, in die
Hohe. „His hat turn'd up With a silverclasp on his leer side."
(Ben J. Tale of a Tub II, 1.)* — Als Barttracht wird der sti-
letto beard, sharp beard (Nares, Glossary) als foreign lefinement
verfolgt. — Der Hemdkragen ist entweder der breite gestickte
oder der hochstehende collar: der Piccadel („It seems," sagt Nares
von Piccadilly Street, „agreed, that this street was named from the
above adornment); Blount (1630) sagt, dafs diese piccadils „in the
last age much in fashion" waren, also damals nicht mehr. Der „Stand-
ing pickadell" wird 1612 erwähnt; „patience is as good as a Fronch
pickadel" sagen Beaumont u. Fletcher. Das Wort Pickadille-
kens wird als Dutch bezeichnet. Der Vice-Kanzler von Cambridge
erliefs 1615 ein Verbot against wearing pickadels. • — Als kost-
barste Stickerei auf dem Hemdkragen wird Coventry blue er-
wähnt: „'twas better than gold, Right Coventry blue" (George a
Greene). — Die Haare trug man gern gekräuselt: Cur wealthy
curled darlings of the nation (Othello I, 1); Peter, der Diener Walter
Raleighs, took an hour to dress his master's curling hair. —
Für die Beinkleider machen die Worte hose und stockings
sachliche Schwierigkeiten, da beide Worte für Beinkleid auch (wohl
Upper stockings) und Strumpf (nether stockings) gesetzt Averden. Bei
Chaucer sind hosen (cf. Wife of Bath) noch ein Strumpf und Bein-
kleid umfassendes, einheitliches Kleidungsstück. — Gegen die weiten
Hosen, die auch in Deutschland von Musculus, „Hos en t eu f e 1",
im 16. Jahrh. angefeindet werden, ruft Roger Asch am im School-
master (1563) die Obrigkeit an; auch Shakespsare macht die
huge hos es in Romeo and Julia als französische Narrheit lächer-
lich. — Das Wams des gentleman ist der doublet (franz. double,
gefüttert; schon im Promtor. Parvulor. ist Diplois explained duplex
vestis et est vestis militaris): man hat silken double ts (der Citizen
beneidet den courtier gern deshalb), aber auch leather doublets
(auch jerki n s) genannt.) Die Fütterung des doublet ist Baumwolle —
* Ais vorüberg eil pn fl c Mode, denn nur wars nnd lechery sind nach
Troilus V, 1 nicht der Mode unterworfen, werden die Zahnstocher
(toothpicks) an den Hüten iiwjihnt. ferner auch Spiegel, mirrors, die
von Damen wohl im Fächer irefjihrt wurilen.
für das Studium der neueren Sprachen. 103
bombast. So spricht Stubbs (Anatomy of Abuses) von den
doublets „of (heir being stufFed with four, five or six pounde of bom-
bast at least". Aber nicht gern geht der gentleman auf die Strafse in
his doublet and hose: das nannte man spanisch (da auch nach Falke,
Kostiimgeschichte S. 295, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
die spanische Mode in Europa die herrschende war) in querpo
sein (in corpore): „Boy, my cloak and rapier; it fits not a gentleman
of my rank to walk the streets in querpo" (Beaumont and Fletcher,
Love's Cure II, 1). Hemden, die 20, 40 sh., ja 5 Pfd. St. kosten,
erwähnt Stubbs: dieselben sind gern mit Stickereien, bes. Bibel-
sprüchen bedeckt. Shirt, wrought, or historical (Nares) :
„I wonder he speaks not of his wrought shirt (Ben Jons. Ev. man
out of h. h. IV, 6). In Maines City Match fürchtet jemand, dafs seine
mit aufgestickten Bibelsprüchen gezierten Hemdärmel einmal in der
Predigt eines Puritaners (some pure instructor) citiert würden. Die
Ärmel des doublets waren nämlich meist geschlitzt (slashed),
so dafs man die Hemdärmel sehen konnte; ferner waren die sleeves
(die schon im 13. Jahrh. in England als Zeichen des Stolzes [pride] be-
zeichnet werden) oft an den coat angenestelt (durch points befestigt).
Die points. Nestelschnüre (bei Rabelais aiguilettes) treten auch
auf Gemälden des Caravaggio (Landsknechte beim Kartenspiel)
als Ärmelbefestigungen auf, ferner bei Rubens (Porträt seiner
zwei Söhne): diese Schnüre, die besonders die Beinkleider mit
dem Wams verbinden (z. B. nach Rabelais I, 8: Lors com-
menfia le monde attacher les chausses au pour poinct [doublet],
et non le pourpoinct aux chausses), liefen in Spitzen (points)
aus: his points broke, down feil his hose, sagt Shakesp. Henry IV
(Rabelais 1, 8: la point e de leur aguille estoit r ompue). — Noch
^wird bemerkt, dafs das Stärken des Kragens (auch ruffs genannt)
ne der Manschetten (cuffs) im 16. Jahrh. sehr allgemein wurde. „Car-
len Are got into the yellow starch." Ben Jons. Devil is an
Lss (1616) 1, 1. Auch der Kärrner, der aquavit trinkt, färbt seinen
Tragen gelb. Dieser Gebrauch von starch wird von Puritanern sowohl
ils von den denselben sonst so schroff gegenüberstehenden Dramatikern
und Satirikern als Zeichen des Hochmuts bekämpft. Die stockings
trägt nur der Geringe aus Wolle: „Gute Fähigkeiten gelten heute so
wenig als ein gutes Bein in einem wollenen Strumpf." (The Saw has
lost her pearl.) — Die Fufsbekleidung sind meist shoes, die durch
shoeroses, oft sechzig Pfund an Wert (Ben Jons. Devil is an Ass),
oder shoe-ties geziert sind. Die letzteren gelten zumal als Zeichen
des gereisten Mannes (travellers): master Shoetye, the great traveller
(Meas. for Meas. IV, 3). Ben Jons, sagt, Cynthia's Revels (1603):
From wearing . . . shoe-ties God Mercury defend us. — Als ärm-
lich, und bezeichnend für den citizf-n werden die shining shoes ge-
nannt, wohl gewichste Schuhe; so sagt Kitely, der Typus des Citizen
104 Sitzungen der Berliner Gescllscliaft
in IJen Jons. Every man in li. h. — Sehr beliebt waren aufser den
shoes auch boots, Stiefel, und zwar mit Sporen. Gondomar, der
spanische Gesandte unter Elisabeth und Jakob, meldete nach Hause,
dafs alle Bürger von London gestiefelt wären. Im letzten Parlamente
unter Elisabeth wies der Sprecher die Gemeinen an to come (o the
housc without spurs. — Als Zubehör der männlichen wie der weib-
lichen Kleidung ist noch scarf, die Schärpe (French scarf) zu er-
wähnen, die ja als grellfarbige Feld bin de auf den Kriegsbildcrn der
Zeit eine so grofse Rolle spielt (vergl. die rote Schärpe deutscher
Landsknechte). „Lady, your scarf's fallen down. You may wear it,
an you please." Beaum. Fl. Wit at sev. und im Loyal Subj. 1, 5
derselben Autoren. A. A favour for your soldier. O give him this, wench.
Thns I tie on victory. — Die Geldbörse (purse) wurde an Riemen oder
Bändern getragen (cf. cut-purse), die Taschenuhr in der Hosentasche.
Statt des long sword des 16. Jahrb. trug man gern kleinere Dolche
(dagger, poniard, stiletto). Über diese Änderung klagen Beaum.
and Fl. (Custom of Country II, 1): A dagger „Out with your bod-
k i n , Your pocket dagger, your stiletto ... You made all
manly weapons out of fashions: You carry poniard s to murder
men, Yet dare not wear a sword to guard your honour."
Herr Wetzel bespricht das erste Heft der für den Schulgebrauch
bequemen Sammlung von Rauchs English Readings. Befremdend ist,
dafs gerade als erstes Heft Sheridans School for Scandal gewählt ist,
ein Stück, das auch von Hoppe als für die Schule nicht verwendbar
bezeichnet ist. Die Anmerkungen sind knapp, doch allenfalls aus-
reichend und meist angemessen. 116, 3 ist im Ausdruck zu ändern.
36, 5 und 48, 3 geben Falsches. Das Wörterverzeichnis ist ausführ-
lich, doch möfste öfters, wenn auch nur durch einen Accent (relation —
relative, significant — to signify) die Aussprache angegeben werden.
Sitzung vom 13. November 1883.
Herr Vatke sprach über K leider luxus der Englände-
rinnen in Shakespeares Zeit. Über den damaligen Kopfputz
äufsert Falstaff zur Wirtin: thou hast the right arched beauty of the
brow, that beconies the ship-tire, the tire-valiant, or any tire of
Venetian admittance. Man sieht, wie die venetianische Tracht, die
freilich ihrerseits durch französische Mode beherrscht wurde, der eng-
lischen Bürgersfrau als das Höchste vorschwebte. Zu dem mög-
lichst hohen Kopfputz, der bei Chaucers Wife of Bath ten pound
wog, während im Townely Myster „luditium" gesagt wird: „Das
Fräulein ist gehörnt wie eine Kuh . . . ihr Haupt ist so hoch wie eine
Wolke" — zu dieser Tracht gehört eine möglichst hohe Stirn, die auf
den Porträts von Rubens durch schrirfstes Zurückkämmen der unge-
scheitelten Haare und von der von Ohr zu Ohr reichenden cap er-
für das Sliidiiim der neueren Sprachen. 105
zwangen wird. Eine solche zeigt auch Königin Elisabeth auf den be-
kannten Bildern. Die von FalstafF gerühmte „gewölbte Stirn" wird
von J. Burckhardt (Kultur der Renaissance in Italien) als das speoiell
mittelalterliche Ideal bezeichnet, während Boccaccio im Ameto die
ebene Stirn als die schönste bezeichnet. Doch rühmt auch Chaucer
an der Nonne die ,.fast eine Spanne breite Stirn"; Alanus ab Insulis
preist an der Dame Natur die Frons in amplam evagata planitiem.
Ebenso wnrd in Fierabras (V. 2213) le front bei et plane der schönen
Floripas erwähnt. Das falsche, rote Haar, das auch Elisabeth trug,
ist auf die allgemeine Mode der Zeit zurückzuführen. In Ch. Yriarle,
La Vie d'un Patricien de Venise (Paris 1874) spricht Vecellio (1590)
du soin que mettaient les patriciennes ä se blondir les cheveux, qu'elles
tcignaient d'une substance. Es wird die Solana erwähnt, jener Stroh-
hut ohne Deckel, unter welchem die Venelianorinnen ihr Haar der
Sonne aussetzten. — Gegen das falsche Haar der Engländerinnen eifert
auch Shakespeare in den Sonetten. Son. GS: Before the bastard signs
of fair were worn, Before the golden tresses of the dead — were
shi>rn away. Im Merch. of Venice III, 2: So are those crisped snaky
golden locks Upon supposed fairness often known.* Als Kopfschmuck
trugen Damen wohl eine Rose, so Elisabeth auf der dünnen Silber-
münze three farthings (cf. King John 1 u. die Note von Dyce). —
Als Kopfbedeckung der Bürgei-sfrau wird um 1605 bei der älteren
Generation die cap als allgemein bezeichnet, während die jüngere nach
dem breiten French hood strebt, den schon die Jungfrau INIaria (nach
dem Interlude der Four P's) an sonnigen Tagen wählte: diesen Mode-
wandel bezeugt das Drama ,,The London Prodigal" (1605) Akt III, 1.
Dort sagt der Liebhaber von Frances : „I'll have thee go like a Citizen,
in a guarded gown (d. i. besetzt mit einem Saum) and a French hood.
i'rances. That will be excellent indeed. Aber Delia rät dem Bruder,
sein Weib seinem Vermögen entsprechend zu kleiden, einfach, wie iin-
Vater und Mutter es gethan. Da kommt er aber übel an bei Civet.
„So as my father and my mother went!" Der Scherz wäre nicht
schlecht! „that's ajest indeed. Why, she went in a fringed (frangen-
besetztem) gown, a single ruff (einfache, nicht mehrfaltige Hals-
krause), and a white cap (cf. Rubens)". — Die erwähnten guarded
gowns werden übrigens als specitische Sonntagstracht des Citizen be-
zeichnet. AI. Schmidt, „Sacherklärende Anm. zu Shak." p. 30 be-
merkt zu King Henry IV. 111,3: „Ein Sammetsaum auf den Kleidern
war zu Shakespeares Zeit die Mode der Londoner Bürger und wird
deshalb häufig zur Bezeichnung von Spiefsbürgern gebraucht. So im
Histriomastix, 1610:
* Cf. Timon v. Athen IV', 3. Die Frauen -Perücken wurden nach
Stowe, Survey of London 1598, um die Zeit der Pariser Hluthochzeit in
England eingeführt. In A mad World my Mastcr's (1C08) heifst es
„Perücken aus fremden Haaren zu tragen, ist das nicht gegen die Natur?"
lOti Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Nein, ich will mich mit Hofes Anstand tragfn;
Fort mit Sammetborten, schwarzbetrefsten Armein,
Der rapps<;hen Mode, der ich Narr gefolgt!
Morrison (Reisebeschreibung 1617, S. 179) sagt: „An öffent-
lichen Orten tragen die Aldermänner von London Scharlachmäntel und
ihre Frauen einen eng an sohl i efsend en Scharlachmantel mit einem
Besatz von schwarzem Sammet." — Die eng anschliefsende
Kleidung der Bfirgersfrau im Gegensatz zu den weiten Roben der
lady, besonders des Hofes, tritt öfters hervor. So Ben J. Poetaster
IV, 1, wo Chloe fragt: am I well enongh attired for the court?
Cytheris. Well enough! tliis s t r ai ght-bod i ed city attire will
stir a courtier's blood more than the finest loose sacks the ladies
use to be put in; ... your ruff and linen is much more pure than
theirs ... Give nie my muff and my dog — my fan and niy mask
too. Immer mehr aber gleicht sich die Kleidung der Stände
aus; im Jahre 1654 wird in „Witts Recreation" bitter darüber geklagt:
Louisa, who scorns all other imitations,
Cannot abide to be outgone in fiishions ;
She says she cannot have a hat er r u f f .
A gown, a petticoat, a band, or cuff,
But that these Citizens (whom she doth hate)
Will go into't, at ne'er so dear a rate.
Der begehrteste Stoff für das Damen-Prachtkleid ist Brokat,
tissue (brocart), auch intertissued, interwoven, mit welchem Shakespeare
auch seine Cleopatra bekleidet (gegen Phitarch, der nur den gold-
durchwirkten Baldachin derselben erwähnt). In The Devil is an Ass
klagt Bei^ Jonson (161G) darüber, dafs tissue, früher Zeichen der
true nobility, jetzt ein solches der lechery sei. Eine meisterhafte male-
rische Darstellung hat der Brokat (tissue) auf den Porträts der Madame
de Montespan (Maitresse von Louis XIV) von Caspar Netscher (1639
bis 1684) gefunden (Galerie zu Dresden). — Unerläfslich für den
weiblichen Staat ist der Reifrock (farthingale), der auf dem Porträt
der Pfalzgräfin Elisabeth, der Tochter Jakobs I., bereits enormen Um-
fang genommen hat. Über das Wort farthingale bemerkt Müller
im Etym, Wtbch.: „altengl. verdingale; gilt als entstellung aus dem
franz. vertugadin, was selbst aus vertu-garde, od. vertn-gardien erklärt,
eigentlich den tugendhüter bedeute" ; Scheler 336: „vertugadin, dim.
du vieux mot vertugade, bourrelet que l'on explique par vertu en garde.
Les Espagnols appellent la meme chose aussi guardainfante (vergl.
span. verdugo, frisches Reis, gerte)." — Jak. Falke, Kostüm -
geschichte S. 304 sagt, der Reifrock erscheine zuerst in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, wo die spanische Mode die herrschende
gewesen sei. Falke sagt dort: „Als Sancha Pansa (Don Quixote) zum
Statthalter ernannt worden, ist seine Gattin bedacht, sich des hohen
Amtes würdig zu kleiden. ,Herr Pfarrer,' sagt sie zum Geistlichen,
für das Studium der neueren Sprachen. 107
, forscht mir doch aus, ob es hier nicht einen giebt, der nach Madrid
geht oder nach Toledo, dafs er mir einen runden Reifrock kauft, recht
und gerecht, nach der Mode und so schön man ihn nur haben kann,
denn meiner Seel, ich will der Statthalterschaft meines Mannes, soviel
ich nur immer kann, Ehre machen.' " — Falke führt weiter aus, wie
erst im 17. Jahrhundert und zumal in Frankreich der Reifrock die be-
kannten ungeheuerlichen Dimensionen annahm. — Wie sich nnn in
London eine Handwerkersfrau (um 1605), da ihr Gatte alderman ge-
worden, ähnlich wie Sancho Pansas Gattin umkostümiert, zeigt sehr
anschaulich The Shoemaker's Holyday ("von Thom. Dekker und
Rnb. Wilson), ed. v. H. Fritsche, Thorn 1862. Scene 10: Zunächst
wünscht die Schuhmacherfrau: let me have a pair of shoes made; cork,
wooden heels too. Damit sind die hohen Korkschuhe gemeint, die
Marston. Dutch courtezan 4, erwähnt: „Dost not Avear high cork
shoes: chopines" (cf. Stelzschnhe, Götzinger, Reallexikon).
Wenn al.«o Hamlet (II, 2) zu dem jungen, im Frauenrock auf-
tretenden Schauspieler sagt : your ladyship is nearer to heaven than
when I saw you last, by the altitude of a c h i o p p i n e — so heifst
das: Sie sind bedeutend gewachsen. Yriarte** führt p. 53 seines
Werkes über Venedig an, dafs noch heute im Musee municipal zu
Venedig sich ein Paar solcher Schuhe vom Jahre" 1500 befindet. Die
Höhe derselben wurde durch die Luxusgesetze der Proveditori alle Pompe
A'on 1511 wesentlich ermäfsigt, doch konnten die Venetianerinnen *
darin nur mühsam, auf ihre Begleiterinnen gestützt, sich bewegen. —
Unsere Schuhmacherfrau nun fährt fort: „Art thou acquainted Avith
never a fardingale-maker, nor a f r ench -hood - maker ? I must
enlarge my bura, ha, ha, ha! (vergl. Nares, über die bum-rolls, die von
den niederen Klassen der Engländerinnen statt der Reifröcke getragen
wurden). How shall I look in a hood, I wonder!" Roger: „As a cat
out of a pillory ; very well" (man denke hierbei daran, dafs Ben Jon.son
erwähnt, die French hoods bedeckten auch die Schultern). Die Frau
fährt fort : „canst thou teil, where I may buy a good hair ?" Der Schalk
Roger mifsversteht hare, Hase statt Haar, und sagt: „Yes, at the poul-
terer's in Gracious-street." „Thou art an ungracious wag," erwidert
sie, „I mean a false haire for my periwig. " Roger: „Why, the next
* J. Evelyn beschreibt 1645 gleichfalls diese choppines: Biirger-
frauen untl die (nach Evel\n 30000) courtezans' durften j dieselben nicht
tragen. Coryat, Cruilities (Rei-'iebetichr.) „describes them as made of wood
covered with coloured leather, and sometimes' coi|n'ha|lf a^yard^high.
their altitude 1)eing proportioned to the rang of the lady." — Ben Jons.
Devil's an Ass (III, 4) bezeichnot diese cioppinos als 'spanische Mode:
Von jemand, der als Spanish lady verkleidet ist, sagt er: he wears cioppi-
nos, and they do so in Spain. — Evelyn sagt: one being asked how he
liked the Venotian dames, replied, that they were mezzo earne, mezzo Hgno,
half flesh, lialf wood. — Die Orthographie bei choppino schwankt.
108 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
linie I cii( niy beard, you shall have the shavings of it ; but mine are
all tnie hair." Wife: „It is very hot, I must get me a f'a n or eise
a 111 ask." Der Fächer, der anderswo weatherbeaten heifst, von dem
ferner gesagt wird, pcacock feathers grow in it — ersetzte wohl auch
den Regenschirm, wenigstens scheint umbrella in der Shakespeareschen
Zeit nicht häufig gewesen zu sein in England. John Evelyn bemerkt
im Diary bei Schilderung seiner Reisen in Frankreich und Italien,
den 7. Okt. 1644: Here (in Marseilles) we bought umbrellas against
the heats (flat spread as an umbrella, Ben Jons. Devil Ass IV, 1).
Erwähnen wollen wir die hohen sogen. M ü hls te i u kragen (bei
Rubens so häufig). Diese ruffs waren a fernale neck-ornament,
made of plaited law^n, or other inaterial, fornierly used by both
sexes. Beaum. and Fletscher mokieren sich darüber Nice Valour III, 1:
For how ridiculous wert to have death conie
And take a fellow pinned up like a mistress !
About bis neck a ruff, like a pinch'd lanthoru,
Whicli schoolboys make in winter.
iSchliefslich erwähnen wir noch die Scarfs, Schärpen, die der
männlichen und weiblichen Kleidung gemeinsam waren. Die Hand-
schuhe waren gern nach spanischer Weise parfümiert. Auto-
lycus bietet in Winter's Tale IV, 3 aus:
Lawn, as white as driven snow ;
Cyprus black as e'er was crow;
Gloves, as sweet as dam ask roscs;
j, Bugle-bracelet, necklace-amber
Perfume for a lady's Chamber:
Golden quoifs and stomaehers,
For my lads to give their dears.
Diese golden quoifs waren wohl ähnliche mit Golddraht
durchzogene Kappen oder Hauben, wie eine solche in Eger in Böhmen
aus dem Nachlafs der Gemahlin Wallensteins zu sehen ist.
Über cyprus vergl. Schorers Familienblatt (1883, Heft 23),
wo gesprochen wird über die wiederentdeckte Kunst der cyprischen
Goldfäden (golddurchwirkte Stoffe und Teppiche). Nach Schoi'cr a. a. O.
wurden vor dem 10. Jahrb. Stoffe mit Golddraht gestickt, nachher
kamen verwebbare Goldfäden auf. Jene Goldfäden kamen von
Cypern nach Italien. Italienische Schriftsteller sprechen von dem
Geheimnis der Goldfäden. Dr. W. v. Müller und Dr. Harz in München
haben ein Reichspatent für Anfertigung der (wiederentdeckten) Gold-
fäden erworben.
Herr Wetzel bespricht mit kurzen Worten einige» weitere Hefte
der Rauchschen English Readings.
Herr Förster macht aufmerksam auf eine Biografia Autentica
von Martin Lutero aus der Galeria da, Reforniadores. Das Werk ist ohne
geschichtliche Kritik geschrieben, empfiehlt sich aber durch die ge-
für das Studium der neueren Sprachen. 109
wandte Sprache. Eine hübsche Übersetzung von „Ein feste Burg"
teilte Ref. mit.
Derselbe bespricht Schilling, Spanische Grammatik mit Berück-
sichtigung des gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehrs. Die
Regeln sind richtig und verständlich, doch ist die Ausdrucksweise öfters
nicht korrekt. Einzelne wichtigere Punkte sind übergangen, auch finden
sich Fehler, da die sprachliche --Auffassung nicht sehr tief ist. Die An-
gaben über die Aussprache sind unzureichend; die eigentümlichen An-
gaben über die Aussprache des p, t, k haben nach Ansicht des Ref.
darin eine gewisse Berechtigung, dafs auch die Aussprache der Konso-
nanten durch die Nähe oder Ferne der Tonsilbe modifiziert wird.
Herr Bischoff bespricht Scheff'ier, Die französische Dichtung
und Sage, der zeigen will, dafs die Franzosen ein Volkslied haben, in
welchem das Volk moralischer erscheint, als wir es nach dem Journal
Amüsant, Zola und OfFenbach zu beurteilen geneigt sind. Eine Aus-
wahl aus den vorhandenen Sammlungen ohne die sehr genaue Be-
sprechung und die Fufsnoten hätte dazu genügt,
Sitzung vom 2 7. November 1883.
Herr Vatke sprach über Bewaffnung und Kriegswesen
im Shakespear eschen England. Aus dem frühesten Mittel-
alter stammt bei Germanen wie Romanen Europas die Sitte, dafs der
frei geborene Mann bewaffnet einhergeht. Und selbst Frauen tragen
(nach Falckes Kostümgeschichte) noch im 15. Jahrh. den Dolch in
der Scheide, der dann durch den Fächer ersetzt wurde. Neben der
harten, eisernen Gewandung des Mannes aber geht seit ältesten
Zeiten das weiche seidene oder gewebte Kleid des Ritters einher, auf
welches die Frauen am Königshofe selbst, wie z. B. dem jungen Sieg-
fried, die kostbarsten Edelsteine aufnähen. Und noch immer läfst sich
auch im Shakespeareschen England dieser altherkömmliche Zwiespalt
des äufseren Erscheinens bei der Männerwelt erkennen : man wandte
ungleich mehr Geld und Zeit auf kostbare Kleidung als heutzutage,
dieselbe aber hängt trotz aller Tyrannei der Mode noch immer von der
individuellen Geschmacksrichtung des einzelnen ab: for the apparel oft
proclaims the man, sagt der Hofmann Polonius. Und der Engländer
jener Zeit, der durchgängig bewaffnet einhergeht, ist sich jenes Gegen-
satzes wohl bewufst, der sich auch ausprägt in dem unvermittelten
Übergange von rauhen Kriegsfahrten zu leichtbeschuhtem Tanze und
von der Laute umtönter Buhlschaft: man denke an den Anfang von King
Richard HI. bei Shakespeare. Am schroffsten aber treten diese Gegen-
sätze hervor beim Ritter und Hofmann, der in Seide prangt, während
die Hofordnung der Königin Elisabeth die Länge seines Degens be-
stimmt. Der einfachere Bürger aber, der Citizen, der im übrigen sich
selbst in seiner Nachäffung der höheren Stände leider fast ebenso sehr
110 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
verachtet nls er von diesen verachtet wird, er verhöhnt diese silken
fellovvs, deren Leibwäsche oft von zweifelhafter Reinheit sei (The
8hocmaker's Holyday), und der gottselige Puritaner ruft den Zorn des
Himmels auf die 200 in Samniet und Seide einherstolzierenden Schau-
spieler Londons herab, die doch die Waffen wohl zu führen und wie
Ben Jonson den Gegner im Duell zu töten wissen. Jedermann also
trägt Waffen. Schon der kleine Knabe, noch unbreeched, führt den
wenn auch oft harmlosen wooden dagger. Leontes in Winter's Tale
sieht sich in der Erinnerung noch unbreeched „In my green velvet
coat; my dagger muzzled, Lest it should bite its master (wie der Hund
ohne Maulkorb). Bei Ben Jonson, in A Tale of a Tub II, 1 sagt
Hilts (der booted and spurred eintritt) : I may answer with my
school-daggger. (Vergl. auch Herrick, On Paget a Schoolboy.)
Die typische Waffe der Handwerkslehr- und Laden-
burschen sind die clubs (Knüttel). Man kennt den Ruf: clubs for
prentices! nur allzu gut in Shakespeares London. Ein vollständiges
Arsenal aber hat der Friedensrichter in seiner Hall. So sagt
Friedensrichter Clement (Every man in his humour V, 1), als man ihm
den Captain Bobadill meldet: A soldier! Take down my armour,
my sword quickly . . . Come on, come on (arms himself). Hold my
cap there, so; give me my gorget, my sword. — Wie des Friedens-
richters „Hall" geradezu typisch für die Waffenkammer ist, zeigt Ben
Jonsons Silent Woman IV, 2: „He has got somebody's old two-
hand sword ... he is so hung with pikes, halberds, petro-
nels, calivers and muskets, that he looks like a justice of
peace's hall." — Gegen diese allgemeine Sitte der Engländer, be-
waffnet zu gehen, schrieb Sir E. Coke (f 1634) in den Institutes
Teil III, S. 162 (vergl. Büchmann, Gefl. Worte 220) „Gegen das
Bewaffnetgehen": „Es darf jemand Freund und Nachbarn ver-
sammeln, um sein Haus gegen diejenigen zu verteidigen, welche ihn
berauben oder toten oder ihm darin Gewalt anthun wollen." For
a man's house is his Castle. Er sagt in „Semayne's Gase",
5 Report 91: „Das Haus eines Jeglichen ist ihm gleich wie seine Burg
und seine Feste, sowohl zu seiner Verteidigung gegen Beleidigung und
Gewalt wie zu seiner Ruhe." — Welches üble Licht wirft dies auf die
öffentliche Sicherheit der Zeit und des Zeitalters, für deren Erhaltung sich
bekanntlich im 16. Jahrb. in Spanien eine besondere Brüderschaft, die
Santa hermandad, gebildet hatte. — Um nun aus dieser allgemeinen
Bewaffnung der Engländer einen einzelnen Punkt herauszugreifen, der
durch eine Verfügung König Jakobs I. eine grelle Beleuchtung erfährt,
nennen wir die Pistolen. Wir berufen uns auf Walter Scott, der in
den Anmerkungen zu seinen „Nigel's Fortunes" sagt : „In 1612 there
was a rumour abroad that a ship-load of pocket-pistols had
been exported from Spain with a view of a general massacre of
the Protestants. Proclamations were in consequence sent forth pro-
für das Studium der neueren Sprachen. 1 1 1
hibiting all persons from carrying pistols under a foot long in
the barrel,"
Eine stehende Armee kannte ja das damalige England be-
kanntlich nicht. Macaiilay, der hervorhebt, dafs eine solche stets
unpopulär in England gewesen sei, bemerkt, dafs Charles II. im
Jahre 1662 die gentlemen of the Guard (Life Guard) gründete, the
nucleus ofa Standing army. So haben sich ja auch im übrigen
Europa die stehenden Heere aus der Leibwache der Fürsten ent-
wickelt. Und doch waren marschierende Soldaten dem Londoner ein
sehr gewohnter und beliebter Anblick; er verehrte in der Bürger-Miliz
— den train bands — seine wohlgenährten Brüder und Vettern. Mag
man spotten über die mangelhaft „gedrillten" Garden von Mile-End,
Macaulay hat dargethan, was diese faustkräftigen Dreinschläger in
der Affaire z. B. des Moninouth bewiesen haben. Die Dramatiker
mögen sich lustig machen über die schärpenbehangenen ale-Trinker,
und ihr — sogenannten Schönen — eilt nur immer an die Fenster in
Choapside und Cornhill, wie Ben Jonson euch darstellt, und werft den
Mitbürgern Schärpen und Liebesblicke zu — das letztere hat euch noch
niemand verübelt bis auf den heutigen Tag. Wir wi.'^sen ja, dafs
der Kapitänsrang ebenso käuflich ist wie Federhut und Schärpe, womit
sich der ehrsame Bürger schmückt, ebenso stolz über seine militärische
Tracht als erfreut über sein friedliches England. Wieder hat Ben J.
das Wort in The Devil is an Ass III, 1 :
Buy him a captain's place, for shanie; and let him
Into the World early, and witli bis plume
And scarfs mar eh through Cheapside, or along Cornhili,
And by the virtue of those, ilravv down a wife
There from a window, worth ten thousand pounds!
Get him the posture-book and's leadt-n men
To set upon a table, 'gainst bis mistress
Chance to come by that he may draw her in,
And show her Finsbury battles.
Eine Hauptschilderung der train-bands in Mile-end findet sich
übrigens am Ende von Beaumont und Fletchers Knight of the Burning
Pestle.
Die bunte Tracht des Soldaten lockte nun auch den geplagten
Bauersmann vom Pfluge. Hören wir darüber die inhaltvollen
Worte des bishop Hall, Satires IV, 6 (vom Jahre 1597):
The sturdy plowman doth the soldier see
All scarfed with py'd colours to the knee,
Whom Indian pillage hath made fortunate;
And now he 'gins to loathe bis former State.
Now doth he inly scorne bis K endall greene.
Ken dal 1 liegt in Westm ore la n d. — Was nun die Waffen
im einzelnen betrifft, so ist die allgemeinste z. B. noch bei den Polizei-
soldaten Cromwells die Partisane. Auch der Bürger führt dieselbe.
]12 Sitzungen der Berliner Gescllschütt
And made Verona's ancient Citizens
To wield old partizaus, in hands as old,
Canker'd with peace. (Romeo and Julia I, 1.)
Die Namen derFeuerwaffen wurden vielfach von Raubtieren
liergenommen, vergl. saker, eine Falkenart, Falkonet, serpent. Über
Musket, Muskete, sagt Nares (Glossary): „Musket the male young
of the sparrow-hawk", le mousquet, vom ital. moschetto (Sperber).
„As the invention of fire-arms took place at a time when hawking
was in high fashion, some of Ihe new weapons were named after
those birds probably from their fetching their pi'ey from on
high. A saker was also a species of a cannon." (Übrigens weist
Burckhardt, Gesch. der Renaissance in Italien, nach, wie verbalst die
Feuerwaffen im 15. Jahrb. in Italien waren, wie gewisse condottieri
den Feinden, welche sich derselben bedient hatten, keinen Pardon
gaben.) Das Wort soldado ist spanisch und italienisch. Man sah
die spanischen Soldaten damals wohl allgemein als die besten an. Man
höre Ben Jonson (der den Feldzug in Flandern von 1592 — 1593 mit-
machte) in The New Inn (III, 1):
1 like the plot of your militia well.
It iKS a fine militia, and well order'd,
And the divisions neat! 'twill be desired
Only, the expressions were a little more Spanish;
For there's the best militia ofthe world.
Und J. Mars ton (geb. 1592) sagt (On bis Pygm p. 134):
Which like soldados of our warlike age,
March rieh bedight in warlike equipage.
In Shirley, Doubtful Heir IV:
A. We were told by the cheating captain,
That we should want men to teil our raoney.
L. This 'tis to deal with soldados.
Aus dem Spanischen wurde auch die Bezeichnung für „Oberst",
Colone 1, altengl. coronel, span. ebenso coronel, genommen.
Soldaten wurden geprefst und ausgehoben. Der wer-
bende Kapitän (in Locrine II, 3) tritt bei den singenden Schustern ein :
But when he sees that needs he must be pressed He'll burn his note.
Has your king any commission to take any man against his will?
Ebenso wird das Pressen zum Soldaten erwähnt in The Shoemaker's
Holyday.
Offiziere aufser Diensten bewegten sich gern im Middle Aisle of
St. Paul's. So wird auch Kapitän Bobadill genannt a Paul's man.
„The visitants (in Paul's walk) are stale knights and captains out of
Service, men of long rapiers and breeches" (long breeches
hiefsen trowsers und wurden von den Soldaten gern enganliegend in
den slashed boots getragen). Der Friedenssoldat aber wird als
für das Stiuli'um der neueren Sprachen. 113
eine Last für das Land angesehen „A soldier is in peace a mockery,
a very lown-bull for langhter" (J. Ford, Lady's Trial V, 1 vom
Jahre 1639).
Das Zeitalter des dreifsigj ährigen Krieges aber
konnte auch in England nur einen kriegerischen Charakter haben.
Ben Jonson sagt in den Epigrams :
as soon it grew to be
The city-question, whether Tilly er he
Were now the greater captain? for they saw
The Berghen siege, and taking in B r e d a u ,
So acted to the life, as Maurice might,
And Spinola have blushed at the sight.
Derselbe in den Underwoods p. 698:
Wake, friend, from forth thy lethargy! the drum
Beats brave and loud in Europe, and bids come
All tbat dare rouse.
Der Krieg ist Stadtgespräch. Im Staple of New^s III, 2 sagt
Lickfinger in der Redaktion (von Mr. Butters Zeitung):
Something of Bethlen Gabor,
And then I am gone.
We hear he has devised
A drum, to fill all Cbristendom with the sound:
But that he cannot draw bis forces near it,
To march yet, for the violence of the noise.
Lickf. A little of the Duke of Bavier, and then —
He has taken a grey habit, and is turn'd
The church' milier, grinds the catholick grist
With every wind: and Tilly takes the toll.
Kein Zweig des Kriegshandwerks aber wird von den Schriftstellern
der Zeit mit gröfserer Vorliebe behandelt als die Ingenieur-Kunst.
Hören wir den rachebrütenden Hamlet (III, 4):
Let it work;
For 'tis the sport, to have the engineer
Holst with bis own petar, and it shall go hard,
But I will delve one yard below their mines,
And blow them at the moon. ü! 'tis most sweet,
When in one line two crafts directly meet.
(Vergl, die Belagerungen von Schweidnitz und Sebastopol.) So
spricht der in der Süfsigkeit und Sicherheit der Rache schwelgende
Hamlet. — Ben Jonson nennt im Staple ofNews (wohl die älteste
Schilderung einer Zeitungsredaktion) die Jesuiten the only engineers of
Christendom :
I have heard ... Don Spinola made general of the
Jesuit s! A priest! O, no, he is dispens'd withal —
And the whole society, who do now appear
The only engineers of Christendom.
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. g
114 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Sogar als Back werk und Pastete liebte man Belage riingen
nachzubilden und wie bei dem Friedensmahle /u Niirnberg bei uns
nach dem dreiCsigjiihrigen Kriege auf die Tafel zu setzen. Wir er-
wähnen Ben Jons, in Neptune's Triumph (1624)^ der von einem Koch
rühmt:
he builds, he fortifies
Makes oitadels of curious fowl and fish,
Some by dry-ditches, some niotes round which brotbs,
Mounts niarrow-bones; cuis fifty-angled custarls;
Rears bulwark pies; and for his outer works,
He raiseth ramparts of imraortal crust ;
And teacheth all the tactics at one dinner:
What rank, what files, to put the dishes in,
The whole art military.
So bei Massinger, A New Way to pay old Debts I, 1 (1633,
London) :
raise fortifications in the pastry,
Such as might serve for modeis in the Low Countries,
Which, if they had been practised at Breda,
Spinola luight have thrown his cap at it,
and ne'er took it —
wozu Gifford bemerkt: fortifications in the pastry — then
a common mode of ornamenting pastry. The siege of Breda was
one of the most celebrated of the time. Spinola sat down before
the town, August 26, 1624, and it did not surrender until the Ist
of July following. — Sehr populär war auch und in der Dichtung oft
erwähnt die Belagerung von Gent 1584: Mary Ambree, das
Mädchen von Gent, welche sich dabei so rühmlich auszeichnete, wird
bei Ben Jons, häufig, z. B. Silent Woman III, 5 L erwähnt.
Auch in die Konversation des täglichen Lebens
sind militärische Ausdrücke und Anspielungen auf das
Wa f f e n han d w erk übergegangen. So nimmt John Marston,
Antonio and Meilida (1602) II, 1 von Lunte und Ladestock ein Bild
der Leidenschaften: „The match of fury is lighted, fastend to the
1 in stock of rage, and will presently set fire to the touch-hole of
intemperance, discharging the double culverin of my incensement in
the face of thy opprobrious speech." — Wir führen ferner an: „Sweet
virgin, Faces about, to some other discourse" (Antiquary, 0. P. X, 50).
Und zu Bobadill, der nicht aufhören kann zu prahlen, heifst es Every
man in h. h. III, 1 :
Good captain, faces about, — to some other discourse.
Or when my muster-master
Talks of his tactics, and his ranks and files,
His bringers-up, his leaders-on: and cries,
„Faces about, to the right band", „the left",
New, „as you were". (Ben Jons., Staple of News IV, 4.)
„Faces about" ist das Kommando „Kehrt". Auch Shake-
speare spielt nicht ungern auf das Waffenhandwerk an, z. B. wie
für das StutJium der neueren Sprachen. 115
der ungeschickte Soldat bei Handhaben der Lunte leicht sich verbrennen
konnte:
Like powder in a skill-less soldier's flask
Is set afire by thine own ignorance,
And thoii disraenibered with thine own defence.
(Romeo and Julia III, 3.)
Die hölzerne Pulverflasche trug man am Gürtel, und es wird er-
wähnt, dafs der Soldat, der nicht recht Bescheid wufste, sich leicht
nach Anlegen der Lunle den Bart verbrannte. Vergl. „exhort your
soldiers to be merry and wise, and to keep their beards from burn-
ing'", Ralph. (Beaum. and Fl., Knight of the B. Pestle). Für den
plötzlich Erschreckten hat Shakespeare den Vergleich: as the sleeping
soldiers in th'alarm, Your bedded hair . . . Starts up (Haml. III, 4).
Herr Tanger sprach liber die in Nr. 45 des Litter. Centralblattes
erschienene, R. W. unterzeichnete Anzeige von Elzes Old Spelling
Hamlet. R. W. beurteilt Elzes Ausgabe sehr günstig und billigt be-
sonders auch die neue kritische Methode Elzes, nach welcher im allge-
meinen eine Schreibung oder Lesart aufgenommen wird, wenn sie in
zwei der drei alten, für den Text des Hamlet in erster Linie in Betracht
kommenden Ausgaben (Quarto A [1603], Quarto B [1604] und Folio A
[1623]) steht.
Herr Tanger wies darauf hin, dafs es den Anschein habe, als ob
R. W. von den neuesten Hamletforschungen, die in der Anglia IV,
1 u. 8, V, 2 und Transactions of the New Shak. Soc. 1880—1882,
Part. I erschienen sind, ebenso wenig Notiz genommen habe, wie von
der ausführlichen Abhandlung über Elzes neue Ausgabe, die im neuesten
Bande des Shak. -Jahrb. veröffentlicht ist. Herr Tanger beschränkte sich
deshalb darauf, seine in der letzterwähnten Abhandlung erhobenen Ein-
wendungen gegen Elzes Hamlet auch gegen R. W. geltend zu machen.
Er erinnert an gewisse Widersprüche in Elzes Einleitung, über
die R. W. mit Stillschweigen hinweggegangen sei. Wenn es auf
p. VIII der Introduktion heifse : „Elizabethan spelling was altogether
in a State of fluctuation, not to say anarchy ; inconsistency and capri-
ciousness were its chief characteristics, not only in the hands of the
illiterate, but no less in the highest walks of Society", und ferner ib. :
„Shakespeare, like his contemporaries, was a latitudinarian in matters
of orthography and was not restrained by strict rules or a fixed usage,
but indulged in all sorts of anomalies, so that it is incumbent on an
editor of his works in old spelling to preserve this wavering irregu-
larity"; wenn dann auf p. VI gesagt werde: „The question, what share
in the formation of the spelling is to be ascribed to the copyists and
editors, may fairly be left out of consideration, since their spelling can
no more be identified with that of the poet than the spelling of the
compositors", und dann doch p. XI als der Zweck der Ausgabe die
Reproduktion von Shakespeares Original-Manuskript, soweit sie mög-
8*
116 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
lieh, bezeichnet wird, so sei darin ein Widerspruch enthalten, den R. W.
nicht hätte übersehen dürfen.
Was nun die oben erwähnte neue Methode Elzes bei der Her-
stellung des Textes betrifft, so hob Herr Tanger hervor, dafs ein solches
Verfahren nur dann gerechtfertigt wäre, wenn alle drei alten Ausgaben
in demselben Abstamniungsverhältnis zu Shakesp. Orig.-Ms. ständen
und an sich gleich zuverlässig wären, was doch, wie allgemein bekannt
und anerkannt, bei Hamlet nicht der Fall sei. Er teilte das Resultat
seiner Hamlet- Untersuchungen mit, wie er es im Sh. -Jahrb. p. 25 f.
formuliert hat, nebst den Normen, die sich daraus für die kritische Be-
handlung des Hamlet-Textes ergeben.
Auf die frühere, ganz richtige Methode Elzes hinweisend, wie sie
in der Einleitung zu dessen erster Hamlet-Ausgabe p. XXIX kurz
dargelegt sei, bedauert Herr Tanger, dafs Elze von dem alten richtigen
"Wen^e abseeangen sei und sich einer so unkritischen Methode zuge-
wandt habe, spricht aber zugleich sein Befremden darüber aus, dafs
R. W. an derselben keinen Anstofs genommen habe.
Im Anschlufs daran regt Herr Tanger wieder die Fi'age an, ob
solche „revised editions in old spelling" von Shakespeares Stücken
überhaupt notwendig seien. Nach dem, was Elze (siehe obige Citate)
über den Zustand der Elisabethanischen und speciell Shakespeareschen
Orthographie bemerkt, könne man im besten Falle eine „annähernd"
richtio'e alte Orthographie zu stände bringen, denn wenn auch alle ein-
zelnen Schreibungen einer solchen Ausgabe historisch zu belegen seien,
so sei doch die Gesamtheit derselben als solche zum Teil ein modernes
Produkt, da oft genug der Herausgeber bei der Aufnahme gewisser
Schreibungen seinem individuellen Geschmack folgen müsse. Den An-
forderungen strenger Wissenschaftlichkeit können solche Ausgaben also
nicht gerecht werden. Die Gelehrten, und nur für solche können der-
artige Ausgaben bestimmt sein, werden zur Untersuchung und Ent-
scheidung von Streitfragen nur auf die Quellen zurückgreifen dürfen,
die ja überdies durch die vortreflflichen Griggs-Furnivallschen und an-
dere Faksimiles leichter zugänglich gemacht worden seien. Herr Tanger
hält also solche Ausgaben Shakespearescher Stücke neben den Faksi-
miles für entbehrlich.
Herr Z u p i t z a erklärt, dafs er solche Old Spelling Editions für
wichtig und wünschenswert halte.
Herr Förster spricht im Anschlufs daran über Vining, das Ge-
heimnis des Hamlet, der nachweisen will, dafs Hamlet im Gegensatz
zu Lady Macbeth ein weiblicher Charakter sei. Die Unentschlossen-
heit, die Sucht die Entscheidung hinauszuschieben, könnte man wohl
weiblich nennen, aber Vining macht den Hamlet zur Frau und meint,
Shakespeare habe dazu geneigt, den Charakter so herauszubilden, eine
Phantasie, die besonders noch von Herrn Zupitza nachdrücklichst
zurückgewiesen wurde.
A
für das Studium der neueren Sprachen. 117
Derselbe bespricht Michaelis, Lessings Minna von Barnhelm und
Cervantes' Don Quixote. Frappante Übereinstimmungen sind allerdings
nachgewiesen worden, aber in untergeordneten Dingen, so dafs die
Kraft der Beweisführung für eine Beeinflussung Lessings gering zu
sein scheint.
Derselbe bespricht drei Lehrbücher für das Spanische: 1) Horrwitz,
Praktischer Lehrgang der spanischen Sprache. Das Buch ist dürft!"-
und voll grober Fehler, so gleich bei der Aussprache. Das Pronomen
coniunctum ist ganz übergangen. — 2) Sauer, Spanische Gespräche.
Das Buch ist besonders in den späteren Teilen, wo es mehr an kon-
krete Gegenstände anknüpft, zu empfehlen. — 3) Stromer, Viaje por
Espaöa, ein gutes Buch, das keine inhaltlosen Gespräche, sondern
Vokabularien giebt.
Zum Schlüsse trug Herr Bourgeois eine Scene aus dem Tar-
luffe vor;
Sitzung vom IL Dezember 1883.
Herr Zupitza bespricht die erste Nummer der neuerdings in
Newyork erscheinenden Zeitschrift Shakesperiana, die einen Mittelpunkt
für den Ideenaustausch über Shakespeare- Fragen bilden will. Sie bringt
auch kleinere Mitteilungen, Notes and Queries, Nachrichten von Über-
setzungen und Aufführungen Shakespearescher Stücke. Das Gesamt-
urteil des Referenten geht dahin, dafs die Nummer zAvar hervorragende
wissenschaftliche Leistungen nicht biete, dafs aber fast alles darin Ent-
haltene interessant und für weitere Kreise lesenswert sei.
Herr Tanger spricht darauf über englische Weihnachtsgebräuche,
besonders in älterer Zeit. Nach Stowe dauerte die Festzeit vom I.No-
vember bis zum 3. Februar. Der Puritanismus machte dem frohen
Leben ein Ende, liefs aber die herzliche Gastfreundschaft bestehen.
Dieselbe wurde besonders nach W. Irving geschildert und auch auf die
Einleitung zum sechsten Gesänge des Marmion, die eine Zusammen-
stellung der Weihnachtsgebräuche giebt, hingewiesen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Zur Förderung des französischen Unterrichts, insbesondere auf
Realgymnasien. Von Dr. W. Münch, Direktor des Real-
gymnasiums zu Barmen. Heilbronn, Ilenninger, 1883.
Man darf es gewifs als ein erfreuliches Zeichen begrüfsen, dafs sich
auf dem Gebiete des Sprachunterrichtes ein immer wachsendes Streben kund
giebt, durch Verbesserung der Methode die Wege zu ebnen und befrie-
digendere Erfolge zu erzielen. Daher die zahlreichen Veröffentlichungen der
letzten Jahre über Art und Weise des Betriebs dieser Fächer. Unter ihnen
gebührt dem Münchschen Büchlein weitaus der Vorrang, denn es verbindet
miteinander die \'orzüge der Bündigkeit, der gröfsten Gewissenhaftigkeit
und Scharfsinnigkeit bei der Untersuchung der einzelnen Fragen und der
ausgesprochenen Objektivität; so konnte es nicht ausbleiben, dafs diese
Aufsätze des erfahrenen, schon durch seine Bemerkungen über die fran-
zösische und englische Lektüre bekannten Verfassers eine solche Fülle des
Belehrenden und Anregenden enthalten, dafs sie selbst der tüchtigste Lehrer
mit Nutzen lesen wird. Es würde zu weit gehen, wollten wir das Buch in
seinen einzelnen Teilen so eingehend besprechen, als es dies verdient ; wir
beschränken uns deshalb auf Hervorhebung des Wesentlichsten und raten
jedem P^achmann, dem daran gelegen ist sich fortzubilden, dringend, es sorg-
fältig zu lesen; es wird zu seinem und seiner Schüler Vorteil sein.
Münch hat sich in weiser Beschränkung einen engen Kreis für seine
Erörterungen gezogen und selbst innerhalb des engen Kahmens viele neben-
sächliche Punkte nur gestreift, dafür aber die wichtigeren Fragen um so
gründlicher erörtert. Den Inhalt seines ßuciies teilt er in acht Abschnitte,
deren erster „Allgemeine Principienfragen" überschrieben ist. Der Frage
der Überbürdung nahe tretend, erklärt er von vornherein, dafs eine Ent-
lastung der Schüler lediglich „durch organische Umgestaltung der Methode"
erreichbar sei, und giebt somit die Notwendigkeit einer Reform zu. I^s
bandelt sich also nur um das „Wie?" Indem er die grofsen Verdienste der
Perthesschen Methode für den Unterricht im Lateinischen hervorhebt, geht
er zu den Anforderungen der Reformmänner über, unter welchen er beson-
ders Kühn und „Quousque Tandem" nennt. Zu den meisten Grundsätzen
<lieser beiden bekennt er sich gerne, doch übersieht er keineswegs, dafs sie
in einzelnen Dingen zu weit gehen, dafs iJie von ihnen verlangte Umkelir
nur innerhalb gewisser Schrnnken statthaben könne, solle nicht die neue
Methode auf höchst verderbliche Abwege fühien; und so stellt er sich denn
die Aufgabe, den Vermittler zu machen, ein Unternehmen, welches ihm, so
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 119
gewagt es ist, recht gut glückte. Er wünscht Induktion und Deduk-
tion geschickt miteinander vereinigt, so dafs jener die vorbereitende,
dieser die durchführende Rolle zufalle ; dabei macht er, sehr mit Recht, zwei
Forderungen geltend: erstens solle und dürfe man nicht ängstlich vor Ge-
dächtnisübungen zurückschrecken und dann müsse die schriftliche Arbeit
immerhin etwas schwerer wiegen als die mündliche. Im zweiten Abschnitt
..Der Lehrgang" giebt Münch einen wohldurchdachten Plan, wie derUnter-
lichtsstoft" im Französischen auf die verschiedenen Klassen zu verteilen sei ;
hierbei halt er sich sachgemäfs an die z. Z. in Preufsen bestehende Orga-
nisation, nach welcher unser Gegenstand im zweiten Jahre, d. h. in Quinta
begonnen wird. Doch kann er nicht umhin, auf die Unzweckmäfsigkeit
dieser Einrichtung hinzuweisen, und wünscht im Interesse des Lateinischen
wie des Französischen letzteres nach Quarta verschoben. Das erste Jahr
soll nach Münch ein propädeutisches sein mit sorgfältigster Beachtung der
Aussprache unter Zugrundelegung einer geeigneten, kurzen Lautlehre.
In Quarta beginne der planmäfsige grammatische Unterricht, der in diesem
und den beiden folgenden Jahren durch Formenlehre und Syntax hindurch
zu einem vorläufigen Abschlufs zu gelangen hat, d. h. unter möglichster
Beschränkung auf die wichtigeren Regeln. Untersekunda soll durch einen
Übergangs- oder Repetitionskurs ausgefüllt werden, der zur Festigung des
bis dahin Gelernten diene, so dafs der Schüler gut gesattelt in den letzten,
das Frühere ergänzenden Kurs einträte, dessen Aufgabe während der drei
letzten Schuljahre (IIa — la) einzig und allein die Förderung allge-
meiner Geistesbildung sein kann. Die „Aussprache" hält der Ver-
iasser für wichtig genug, um ihr ein eigenes Kapitel (III.) zu widmen,
welches gleich dem vorangehenden voll von trefflichen Äufserungen ist Das
erste Erfordernis zu einer guten Aussprache bildet die leider nur gar zu
oft vermifste und zuweilen von Lehrern an sich selbst vernachlässigte gute
deutsche Aussprache; man glaube nicht verächtlich auf das Sprechen
herabsehen zu dürfen, denn „eine Art bescheidener Kunstleistung ist gutes
Sprechen ja doch immerhin". Auf der anderen Seite hüte man sich aber
auch gar zu pedantisch zu sein. Neben der guten Anleitung wird dtis Haupt-
iiiittel gutes Vorbild sein. ,.Nachahmung, Übung, Gewöhnung gilt es."
Sehr grofses Gewicht wird auf zusammenhängendes, verständnisvolles Lesen
gelegt, das von Anbeginn zu üben ist; freie Schülervorträge, die doch nur
zur Unvollkommenheit führen, werden verpönt. S. 42 wird verlangt, dafs
das laute Lesen nicht dem Übersetzen vorangehe, sondern folge; wo und
solange der Lehrer selber zuerst das zu übersetzende Stück vorliest, wird
es zweckmäfsig sein, den Schüler nach erfolgter Übersetzung lesen zu lassen,
später sollte, meinen wir, in der Regel das Lesen vorhergehen. Auch das
„Sprechen" als solches befürwortet der Verfasser im folgenden vierten
Kapitel, da unleugbar ein leiser Fluch der Lächerlichkeit daran hafte, wenn
man lange Jahre eine neuere Sprache studiere ohne das Ergebnis des
Sprechenkönnens. Die vielerlei grofsen Schwierigkeiten, mit denen der
Lehrer gerade in diesem Punkte zu kämpfen hat, verkennt Herr Münch
keineswegs, aber er hält sie nicht für unüberwindlich ; nur mufs man von
vornherein seine Aufmerksamkeit diesem Teil des Unterrichts zuwenden,
dann wird man auch ohne irgend welche Schädigung der sonstigen Leistungen
ganz anständige Erfolge erzielen, allerdings nur in gewissen, bescheidenen
Grenzen. Wer die Möglichkeit dies zu erreichen bezweifelt, mache nur
einmal nach des Verfassers Anleitung den Versuch, und er wird sich über-
zeugen ; freilich bedarf es, um endgültig urteilen zu können, einiger Jahre,
bis die betreffenden Schüler in die oberen Küste geführt worden sind ; und
noch etwas: hier wird sich der Lehrer noch viel mehr als son.st anstrengen
müssen, denn wie überhaupt so gilt ganz bestimmt hier die Münchsche
Parole: „freieres .AV alten des persönlichen und weniger Absolutismus des
papiernen Lehrers." Weg mit dem Vokabular und mit Phraseologie als
120 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Mittel zum Sprechen! ersteres ist nur in den letzten Klassen zur Repetition
der in den früheren Jahren gelernten Wörter zu gebrauchen; an seine Stelle
trete ein passendes Lesebuch mit leichten, kurzen, zu Sprechübungen in
l)ialogl"orm geeigneten Lesestikken, Dem grammatischen und erklärenden
Unterricht hat das Sprechen unbedingt fern zu bleiben; nur sofern dadurch
die Tiefe und Gründlichkeit keine Einbufse erleidet, kann man gelegentlicli
hier eine Übung anknüpfen. Im fünften Abschnitt „Das Schreiben" wird
der Wert der in der Schule und über Haus zu fertigenden schriftlichen
Arbeiten besprochen. Wie wir schon oben sahen, steht Münch nicht auf
Seite des „Quousque Tandern", welcher Übersetzungen ganz beseitigt wissen
will, nur haben auch hierin wesentliche Modifikationen des jetzigen Ge-
brauches einzutreten. Von Retroversionen hält er nicht gar viel, eine hohe
Meinung aber hat er vom freien Aufsatz, dessen allmähliche Vorbereitung
er denn auch ausführlichst behandelt. Ref. ist wie sonst im ganzen völlig
mit dem Gesagten einverstanden, nur, glaubt er, sollte man auf den freien
Aufsatz nicht gar soviel Zeit verwenden, da man doch etwas Selbständiges
in der Regel nicht vom Schüler verlangen kann ; ferner haben wir gar nichts
dagegen, wenn ein grofser Teil des Übersetzungsstoff'es in die fremde
Sprache aus dieser selbst herüber genommen wird, aber es lassen sich un-
bestreitbar auch in unserer guten deutschen Litteratur einfachere Abschnitte
finden, welche von den Schülern der oberen Klassen sehr wohl ohne zu
grofse Schwierigkeit gut übertragen werden können. Die freie Übung in
Briefform empfiehlt Münch mit Recht sehr. Beachtenswert sind die in diesem
.Kapitel gegebenen Andeutungen über Art und Weise der Korrektur.
Die wichtigste Frage innerhalb des französischen Unterrichts scheint
dem Verfasser die nach der „Auswahl der Lektüre" (Kap. VI.) zu sein, bei
welcher der Mafsstab der geistig erziehlichen Bedeutung der wich-
tigste und in letzter Instanz ausschlaggebende sein sollte ; ein Kanon sei
angezeigt, der zuletzt veröffentlichte (Hemme gelegentlich der hannov.
Direktorenkonferenz von 1882) wird gebilligt. Als ausgezeicluieten Schul-
mann zeigt sich Münch in seinen höchst belehrenden Bemerkungen übei-
„Die Behandlung der Lektüre" im siebenten Abschnitt seines Buches, unter
denen wir nur einige der treffendsten herausheben können. „Vor allem habe
(der Lehrer) Geist. Geist ist, an die zu erziehende Jugend gewandt, nicht
verschwendet; leider betrachten nicht wenige Leute von Geist ihre Lehrer-
funktionen, namentlich wenn sie nicht den obersten Klassen gelten, als einen
bedauerlichen Abzug von ihrer eigentlichen geistigen Mission." Auf häus-
liche Geistesarbeit der Schüler verzichten wir nicht, „nur dem Mifsbrauch
sei der Krieg erklärt." Man begnüge sich nicht mit einer anständigen
Übertragung ins Deutsche, man fordere eine gute. „Nicht, dafs der Lek-
türe eine gröfsere Bedeutung zudekretiert werde, kann uns helfen, sondern
dafs sie durch Wahl und Behandlung die volle Bedeutung erhalte, die sie
gewinnen kann." „Die Anmerkungen unserer Schulautoren dürfen uns zu
denken geben", denn „die allgemeine Beschaffenheit unserer franz. (und,
sagen wir, englischen) Schulausgaben erwirbt uns bei den Altphilologen wenig
Vertrauen, und doch hätten wir deren Anerkennung sehr zu schätzen."
„Die gesamte Produktion von Hilfsbüchern könnte erheblich zusammen-
schrumpfen, Würde und Gewicht des Lehrers kann nur steigen", das ist der
leitende Gedanke des letzten Kapitels (VIII.) „Hilfsdisciplin und Hilfs-
bücher". „Resignation" ruft Münch den Lehrern zu; quälet nicht die
Schüler mit eignen Büchern über Synonymik, Phraseologie, Litteratur u. s. f.
„Die Hauptsache sei die Bethätigung, nicht vielerlei Wissen, welches
schon in wenig Monden arg verwittert und zerbröckelt ist. Man vernach-
lässige diese Dinge nicht, aber verlange nicht mehr, als was ohne viel Reden
und Zeitaufwand im Anschlufs an den sonstigen Unterricht geboten werden
kann. Zum Schlüsse befürwortet der Verfasser noch den Gebrauch eines
passenden Lesebuches neben der eigentlichen Lektüre, um den Gesichtskreis
1
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 121
der Schüler etwas zu erweitern. — Möge diese spärliche Auslese aus dem
reichhaltigen Werkchen recht viele der Herren F'achkollegen zu dessen auf-
merksamem Studium veranlassen, dann wird der vom verdienstvollen Ver-
fasser geliegte Wunsch, zu einem günstigen Umschwung im Betrieb des
französischen Unterrichts beigetragen zu haben, nicht nur für diese Sprache,
sondern auch für das Englische erfüllt werden.
Englische Synonymik für Schulen, sowie zum Selbststudium.
Von Dr! W. Dreser. Wolfenbüttel, Zwifsler, 1883.
Wir haben nachgerade keinen Mangel mehr an synonymischen Hilfs-
büchern für die Schule, ja sogar einen grofsen Überflufs, wenn man wie
Ref. der Anschauung huldigt, dafs man in der Schule gar nicht die Zeit
dazu habe, eine eigene Synonymik mit den Schülern durchzugehen. Sehen
wir aber von dieser N'orfrage ab und fragen blofs nach der Brauchbarkeit
des Dreserschen Buches, so mufs man ihm entschiedenes Lob spenden, denn
es gehört zu den besten seiner Art, wovon sieh jedermann durch einen Ver-
gleich mit den als gut anerkannten, z. B. Schmitz oder Klöpper, überzeugen
kann, nur sehr selten steht es ihnen an Schärfe der Bestimmung und Voll-
ständigkeit nach, oft übertrifft es sie. Das Aufsuchen wird dadurch sehr
erleichtert, dafs die deutschen Stichwörter in alphabetischer Reihenfolge
über den einzelnen Artikeln, die englischen in einem Register am' Ende des
Buches stehen.
Die Hauptregeln der englischen Formenlehre und Syntax.
Repetitionsgrammatik von Dr. Otto Ritter, Oberlehrer.
Berlin, Simion, 1883.
Die Stärke des Büchleins liegt in der Syntax, welche in kurzen, klaren
Regeln alles giebt, was dem Schüler unserer Mittelschulen zu wissen nötig
ist: jede Regel wird durch einen oder einige passende Sätze veranschaulicht.
Wenn wir etwas an ihnen auszusetzen haben, so ist es der Mangel eines
Hinweises auf verwandte dem Schüler bekannte Sprachen an manchem
Orte, wo er angezeigt wäre, so z. B. Reg. 318 und 319 bei Imperf. und
Perfekt auf das Französische. In der Formenlehre finden sich verschiedene
Lücken, doch macht der Verf. hier selbst nicht auf Vollständigkeit Anspruch.
•Augsburg. G. Wolpert.
Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der ger-
manischen Philologie, herausgegeben von der Gesellschaft
für deutsche Philologie in Berlin, Vierter Jahrgang, 1882.
Zweite Abteilung. Leipzig, Karl Reifsner, 1883.
Uber;<lie Nützlichkeit dieses Jahresberichts kann wohl nur eine Mei-
nung herrschen. Lücken sind dabei fast unvermeidHch, doch glaube ich
kaum, dafs irgend etwas Wesentliches hier vermifst werden wird. Was
mich überhaupt zur Anzeige des Buches bestimmt, ist nicht sowohl auf das-
selbe aufmerksam zu machen — dessen bedarf es nicht — , sondern viel-
mehr um nochmals ein Wort hier pro domo zu sagen. Seite 158 dieses
Buches sind nämlich die über meine Broschüre „Über den Unterricht in
den neueren Sprachen" erschienenen Recensionen angeführt und heifst es
dabei : „noch schärfer zurückweisend ist die Recension von E. Koschwif z"
etc. und weiterhin wird auf mein „Offenes Schreiben an den Herausgeber
122 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
des Archivs" (Archiv LXVII, 355 f.) hingewiesen, wobei es heifst: „worin
ein paar dem Verf. beistimmende Zeilen Alex. Schmidts abgedruckt werden."
Teil nuifs nun hierzu bemerken, dafs meinem und anderer Dafürhalten nach
Koscliwitz eine schärfere Zurückweisung meinerseits erhalten hat (er hat es,
da ich ihn dazu herausgefordert, für gut befunden, sie sogar in seiner Zeit-
schrift zu veröffentlichen) als ich von ihm. Beiläufig verlangt es die Ehr-
lichkeit, dafs ich ihm hier das darin enthaltene Unverständliche für ihn auf-
kläre. Es scheint nämlich, mein Berichterstatter hatte sich geirrt. Es waren
nicht seine (Koschwitz') Zuhörer an der Strafsburger Universität, die sich
über seine Unterrichtsmethode beschwerten, sondern seine Schüler oder
Schülerinnen (?) an einer dortigen Ijchranstalt. Was ich aber hauptsäch-
lich betonen möchte, ist, dafs die „paar Zeilen'- eines Alex. Schmidt ganze
Seiten eines Koschwitz und anderer aufwiegen. Übrigens habe ich auch,
wie bereits früher im Archiv erwähnt, von vielen anderen gewichtigen Seiten
ähnliche Zustimmung erhalten und hebe hier nur T. Merkels Programm
„Über die deutsch-französische Aussprache", Freihurg Im Br. 1881 und 1882,
sowie H. Isaacs Abhandlung „Sprachwissenschaft oder Sprachwi«sen" im
„Central-Organ für die Interessen des Realschulwesens, Oktober 1883" aus
vielen anderen privaten Zuschriften hervor.* Ich will aber den Streitpunkt
zwischen mir und den Gegnern, die, wie ich voraussah, meine Broschüre
mir schaffen würde, hier nochmals, und ich hoffe zum letztenmale präcisieren.
Ich ging bei meinem Angriffe gegen das herrschende System von den mir
damals vorliegenden neuenglischen Leistungen der danach (beschulten
aus, und nachdem ich sie einer Prüfung unterworfen, fand ich, dafs sie voll-
ständig ungenügend seien. Nun ist aber doch anzunehmen, dafs wenn Leute
in dieser Sprache etwas veröffentlichen und diese Veröffentlichung von der
zuständigen Behörde genehmigt wird, beide Teile der Meinung gewesen
sein müssen, sie seien kompetent, der eine, die betr. Arbeit zu leisten, der
andere, sie zu begutachten. Das Ergebnis meiner Prüfung aber hat, wie
jeder ehrliche und unpartensche Leser zugestehen wird und zugestanden hat,
klar erwiesen, dals sie es nicht seien. Anzunehmen, dafs diejenigen, denen
die Prüfung oblag, zwar eingesehen, dafs die Leistung ungenügend, ja in
manchen Fällen unter aller Kritik sei und sie dennoch hätten durchgehen
lassen, würde sie zu unehrlichen Männern machen, was ich nicht glauben
wollte und nicht glauben mag. Es bleibt also nichts übrig, als sie für in-
kompetent zu erklären. Nun liegt aber doch wiederum in der Thatsache,
dafs die betr. Abhandlungen in neuengl. Sprache verfafst sind, das Zu-
geständnis einerseits, dafs die ^'erfasser vorgeben und glauben, an der
Universität Neu englisch gelernt zu haben, und andererseits, dafs die betr.
Docenten oder Professoren diese Sprache lehren und der Ansicht sind,
etwas in derselben Geschriebenes zu beurteilen zu verstehen. Hat es sich
aber erwiesen, dafs das Geleistete äufserst mangelhaft ist, ja von Fehlern
aller Art wimmelt, so darf doch wohl der Schlufs gezogen werden — und
es ist der mildeste und günstigste für die letzteren — , dafs Ihre Methode
eine schlechte und verkehrte und sie Neuenglisch nicht verstehen, und dies
auszusprechen war der Zweck meiner Broschüre, die also ein blofses q. e. d.
auf die vorausgegangenen Prämissen bildet. Ich mag dabei etwas zu schroff
über das, was statt des Richtigen gelehrt wird, geurteilt und mich etwas
drastisch über das, was jene für das Notwendigere halten, ausgedrückt
haben: wer etwas Falsches bekämpfen will, der wird stets zu Extremen hin-
gerissen, und um die richtige Mitte zu erreichen, dürfte es auch wirklich
nötig sein, von dem einen Extrem zum anderen überzugreifen; jedenfalls
* Seitdem ich obiges geschrieben, ist mir die weitere Genugthuung geworden,
dnfs Dir. Dunker in seiner eben erschienenen Schrift: „Die Realgymnasien und
das Studium der neueren Sprachen" sich besonders auf die meinige als Stütze beruft.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 123
aber habe ich die Wahrheit gesprochen, und wer diese offen und kühn
ausspricht, der wird, wie die Geschichte und alle Erfahrung lehrt, stets ver-
femt werden. Die Niclitinteresslerten und Einsichtsvollen indessen habe
ich auf meiner Seite, und diese scheuen sich nicht, wie z. B. der bereits er-
wähnte Isaac in seinem angeführten Artikel, einzugestehen, dafs Sprach-
wissenschaft nicht zum Sprachwissen führe. Letzteres aber wird ja in erster
Linie in den Schulen verlangt. Was nützt der Mittel- und höheren Schule
ein Lehrer, der zwar im Altenglischen recht fest sein mag — angenommen
nämlich, er wäre es, was immerhin angezweifelt werden diirf, wenn man
sieht, wie schwer es ist, sich einer lebenden Sprache zu bemächtigen, die
ja viel näher liegt und zu deren Studium und Gebrauch so viel mehr Ge-
legenheit geboten wird — , im Neuenglischen aber nicht im stände ist, einen
Satz richtig zu stilisieren oder sich idiomatisch darin auszudrücken? Frei-
lich ist man auch schon hier und da, namentlich an der Berliner Universität, zur
Einsicht gelangt und hat neben dem Professor der englischen Philologie
einen Lektor für Neuenglisch angestellt. Hierin liegt also das Zugeständnis
für mich, dafs mein Angriff ein berechtigter war, und so gehe ich mich der
Hoffnung hin, dafs diese Einrichtung auch an allen anderen deutschen
Hochschulen Nachahmung finden und man zur Einsicht kommen werde, dafs
ebenso wie Körting mit vollem Rechte Trennung des Französischen vom
Englischen für den Professor dieser Sprache verlangt, man auch Altenglisch
und Altfranzösisch sohliefslich von Neuenglisch und Neufranzösisch trennen
und für jede dieser Disciplinen besondei-e Lehrstühle schaffen werde.
Leipzig, im November 1883. David As her.
H. Savonarola und M. Luther nach ihrer Entwickelung und
o'eschichtlichen Stelluncy betrachtet
ist der Titel einer kirchengeschichtliehen Monographie, welche Dr. Wil-
helm Zimmermann, Reallehrer in Darmstadt, als „Beilage zu dem Pro-
gramm der Grofsherzoglichen Realschule zu Darmstadt" im Herbst 1883
veröffentlicht hat, einer Schrift, die es reichlich verdient, über die nächsten,
einer Programmschrift offenstehenden Kreise hinaus bekannt zu werden.
Gewifs wird gerade in dem Jubiläumsjahr unseres grofsen Reformators
mancher gerne zu einer solchen vergleichenden Betrachtung greifen und
dessen innere Entwickelung und grofse geschichtliche Stellung in dem Lichte
. erglänzen sehen, das hierbei auf den deutschen Glaubenshelden fällt. Nach
einer prägnant gehaltenen Einleituncr, welche in die Zeit des Auftretens
Savonarolas einführt, gebt der N'erfasser zu seinem Thema über und be-
zeichnet kurz und treftend die Grenzen, innerhalb derer beide Männer mit-
einander verglichen werden können. Zunächst werden dann die Eindrücke
geschildert, welche beide in ihrer Jugendzeit auf dem Naturboden empfingen,
dem sie entstammten, und die \'erhältnisse, unter denen sie aufwuchsen.
Sodann wird ihr Eintritt in das Kloster nach seinen Motiven und Folgen
betrachtet und verglichen. Höchst interessant ist hier der Abschnitt über
die Predigtweise des Florentiner Mönchs nebst den beigefügten Proben aus
dessen Predigten. Besonders tritt in diesem Abschnitte die Stellung Luthers
zur Heiligen Schrift und zur Tradition ins rechte Licht und bildet den Über-
gang zu der Hauptfrage, wie beide Männer zu der Lehre von der Recht-
fertigung des Menschen vor Gott standen. Sodann folgt das reforniatorische
Auftreten Savonarolas in seinem Kloster und auf dem staatlichen Gebiete
als Ratgeber der florentinischen Republik. Im Gegensatz zu dieser engen
Verknüpfung des politischen und religiösen I^ebens geht l.,uther auf die
altchri'tliche Ansch.Tuung des Verhältnisses zwischen weltlicher und geist-
licher Macht zurück. Der Abschnitt über Luthers Stellung zu dem Staate
12 1 Beurteilungen und kurze Anzeigen,
und der monschliclien Gesellschaft ist besonders beachtenswert. Der folgende
Teil der Abhandlung fafst Savonarolas Thätigkeit als Sittenverbesserer ins
Auge und zeijit hierbei den tiefgehenden Unterschied der evangelischen An-
schauung Luthers und was es dem florentinischen Bufsprediger unmöglich
machte, auf die Höhe der evangelischen Geisteskraft emporzusteigen. Diese
Betrachtung leitet geschickt über zu der Behandlung der Stellung Savona-
rolas und Luthers zu dem Papst und dem Konzil und zu dem Untergang
des ersteren, sowie zu der Frage, welcher bleibende Segen aus seinem Werke
erwachsen sei. Der Verfasser kommt am Schlufs zu der Überzeugung, dafs
Savonarola, der für eine Reform der verderbten Kirche gearbeitet und sein
Leben eingesetzt hat, ein gewaltiger Prophet der Reformation genannt zu
werden verdient und „ein Bahnbrecher Luthers, zu dessen Füfsen auf dem
Denkmal zu Worms ihm deshalb ein Platz mit vollem Rechte angewiesen
worden ist,"
Hundert deutsche Texte zur Übersetzung ins Englische. Von
Prof. J. H. Schmick. Köln, Du Mont- Schauberg.
Vorliegendes Werk verdient Fachlehrern aufs wärmste empfohlen zu
werden. Dasselbe enthält 33 biographische Skizzen, teils aus der Welt-
geschichte, teils aus der englischen Litteratur, teilsaus der Kulturgeschichte,
dann 60 geschichtliche, geographische, naturwissenschaftliche Skizzen, end-
lich 6 Skizzen über Kunst, Technik u. s. w. Da die 100 Skizzen nur
120 Seiten ausfüllen, so beträgt jede durchschnittlich eine Seite und kann
also in einer Stunde verarbeitet werden. Dieselben sind stofflich im höch-
sten Grade interessant und belehrend und vom Herausgeber so verarbeitet,
dafs die Übersetzung den Primanern keine grofse Schwierigkeiten bietet.
Zahlreiche englische idiomatische Ausdrücke und Wendungen im Texte,
sowie ein angehängtes Wörterbuch, worin die wichtigsten Synonyma, soweit
sie bei der Übersetzung der 100 Texte in Betracht kommen, berücksichtigt
sind, ermöglichen dem Schüler eine gute, echt englische Übersetzung. Wenn
wöchentlich für Übungen dieser Art eine Stunde angesetzt wird, so kann in
den beiden Jahren der Prima die Mehrzahl der Stücke verarbeitet werden,
und wenn die Schüler sich die copia verborum der hundert Texte wirklich
angeeignet haben, werden sie sich auch leicht über andere, inhaltlich ver-
wandte Stoffe englisch ausdrücken können.
Bibliographischer Anzeiger.
Allgemeines.
Encyklopädie und Methodologie der romanischen Philologie von G. Körting.
1. Teil. (Paderborn, Schöningh.) 4 Mk.
Die praktische Spracherlernung auf Grund der Psychologie und Physiologie.
(Paderborn, Schöningh.) 60 Pf.
W. Münch, Zur Förderung des franz. Unterrichts, insbesondere auf Real-
gymnasien. (Heilbronn, Henninger.) 2 Mk.
O. Danker, Die Realgymnasien und das Studium der neueren Sprachen.
(Kassel, Kefsler.) " 1 Mk.
Grammatik.
M. Rödiger, Paradigmata zur altsächsiscben Grammatik im Anschlüsse an
Müllenhofis Paradigmata. (Berlin, Weidmann.) :^0 Pf.
Joh. Franck, Mittelniederländische Grammatik nebst Lesestücken und
Glossar. (Leipzig, Weigel.) 7 Mk.
F. Masing, Lautgesetz und Analogie in der Methode der vergleichenden
Sprachforschung. (Petersburg, Akad. d. Wissensch.)
P. Schneider, Die Flexion der Substantive in den ältesten metrischen
Denkmälern des Französischen und im Charlemapne. (Marburg, Diss.)
E. Etienne, De diminutivis, intentivis, coUectivis et in malam partem
abeuntibus in francogallico sermone nominibus disputavit E. E. (Nancy,
Dissertation.)
A. M ussafia. Zur Präsenzbildung im Romanischen. (Wien, Gerold.) 1 Mk.
Dickhuth, Form und Gebrauch der Präpositionen in den ältesten franz.
Sprachdenkmälern. (Münster, Diss.) 1 Mk.
A. Haase, Syntaktische Untersuchungen zu Villehardouin und Joinville.
(Oppeln, Franck.) 1 Mk.
E. Schenker, Über die Perfektbildung im Proven9alischen. (Zürich, Diss.)
A. Lange, Der vokalische Lautstand in der franz. Sprache des IG. Jahrh.
(Elbing, Meifsner.) .. 1 Mk. 80 Pf.
0. Priese, Die Sprache der Gesetze Alfreds des Grofsen. (Strafsburg,
Dissertation.)
H. Ziegler, Der poetische Sprachgebrauch der sogen. Cffidmonschen Dich-
tungen. (Münster, Coppenrath.) 1 Mk. 50 Pf.
A. Lummert, Die Orthographie der ersten Folio- Ausgabe der Shake-
speareschen Dramen. (Halle, Niemeyer.) 1 Mk. 60 Pf.
M. Gottschalk, Über den Gebrauch des Artikels in Miltons Paradise lost
(Halle, Diss.)
1'2C Bibliograpliischer Anzeiger.
Tli. (i artner. Rätoromanische Granimatiic. (Heilbronn, Ilenninger.)
« Mk. 50 Pf.
M. Schuster, Der bestimmte Artikel im Rumänischen und Albanesischen.
(Programm des Gymnasiums zu Hermannstadt.)
G. Meyer, Albanische Studien. Die Pluralbildung der albanes. Nomina.
^ (Wien, Gerold.) 1 Mk. 60 Pf.
F. Miklosich, Geschichte der Lautbezeichnung im Bulgarischen. (Wien,
Gerold.) 2 Mk. 40 Pf.
Lexikographie.
D. Sanders, Ergänzungs- Wörterbuch der deutschen Sprache. 33. und
34. Lfrg. (Berlin, Abenheim.) k 1 Mk. 25 Pf.
F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. (Strafsburg,
Triibner.) 3 Mk.
C. W. M. Grein, Kleines angelsächsisches Wörterbuch. (Kassel, Wigand.)
5 Mk.
F. Brächet, Dictionnaire du patois savoyard tel qu'il est parle dans le
canton d'Albertville. (Albertville, Hodoyer.) 2 fr.
L i 1 1 e r a t u r.
K. Püning, Die Handschriften des Heliand. (Programm des Gymnasiums
zu Recklinghausen.)
K. Meyer, Der Parzival Wolframs von Eschenbach. (Basel, Schwabe.) 80 Pf.
A. Otto, Friedrichs von Hausen und Heinrichs von Veldeke Minnelieder,
verglichen mit denen ihrer Vorgänger. (Progr. des Gymn. zu Konitz.)
A. Strack, Zur Geschichte des Gedichtes vom Wartburgkriege. (Halle,
Niemeyer.) 1 Mk. 50 Pf.
E. Brenning, Geschichte der deutschen Litteratur. 3. Lfrg. (Lahr,
Schauenburg.) 1 Mk.
A. Stern, Geschichte der neueren Litteratur. Von der Frührenaissance
bis auf die Gegenwart. 4. Lfrg. (Leipzig, Bibliogr. Institut.) 50 Pf.
Beiträge zur Geschichte der deutschen Litteratur und des geistigen Lebens
in Osterreich. Hrsg. von Minor, Sauer und Werner. 4. Heft. (Wien,
Konegen.) 6 Mk.
Deutsche Lyriker seit 1850. Mit litterarhistorischer Einleitung und biogr.
krit. Notizen. Hrsg. von E. Kneschke. Fünfte neu bearbeitete Aufl.
(Leipzig, Lincke.)
W. Seh er er, Geschichte der deutschen Litteratur. Schlufsheft. (Berlin,
Weidmann.) 1 Mk.
J. Minor, Die Schicksalstragödie in ihren Hauptvertretern. (Frankfurt
a. M., Rütten & Löning.) 4 Mk.
E. Stolle, Metrische Studien über das deutsche Volkslied. (Progr. des
Realgymnasiums zu Krefeld.)
H. Bölirke, Wielands publicistische Thätigkeit. (Progr. des Gymnasiums
zu Oldenburg.)
Lessing im Urteile seiner Zeitgenossen. Hrsg. von W. Braun. (Berlin,
Stahn.) " 9 Mk.
J. Ch. Schumann, G. E. Lessings Schuljahre. (Triest, Stephanus.) 1 Mk.
E. Schmidt, Lessing. Geschichte seines Lebensund seiner Schriften. 1. Bd.
(Berlin, Weidmann.) 7 Mk.
Goethes Torquato Tasso. Beiträge zur Erklärung des Dramas von Franz
Kern. (Berlin, Nicolai.) 3 Mk.
Goethes Eintritt in Weimar von H. Düntzer. (Leipzig, Wartig.) 6 Mk.
G. llatteck, Arnold Böcklins Gefilde der Seligen und Goethes Faust.
(Berlin, Springer.)
Robert Tornow, Goethe in Heines Werken. (Berlin, Weitling.) 2 Mk.
BibÜographiscber Anzeiger. 127
H. Henkel, Das Goetbesche Gleichnis. (Programm des Gymnasiums zu
Seehausen.)
E. Belling, Die Metrik Schillers. (Breslau, Köbner.) 8 Mk.
Briefe des Herzogs Karl August an Knebel und Herder. Hrsg. von H.
Düntzer. (Leipzig, \A' artig.) 4 Mk.
E. Bob er tag, Geschichte des Romans und der ihm verwandten Dichtungs-
gattungen in Deutschhind. 1. Abteilung. (Berlin, Simion.) 5 Mk.
F. Bodenstedt, 11 canzionere di Mirza-Saffi. Traduzione di G. ßossi.
(Berlin, Stuhr.) 1 Mk. 50 Pf.
E. Kelchner, Friedrich Hölderlin in seinen Beziehungen zu Homburg
vor der Höhe. (Homburg, Taunusbote.) 1 Mk. 50 Pf^
F. Lotheifsen, Geschichte der franz. Litteratur im 17. Jahrh. (Schlufs.)
9 Mk.
A. Borsert, La litterature du moyen-äge et les origines de l'epopee ger-
mauique. (Paris, Hachette.) a fr. 50 c.
L. \oigt, Die Mirakel der Pariser Hs. 819, welche epische Stoffe behan-
deln, auf ihre Quellen untersucht. (Halle, Niemeyer.) 1 Mk. 50 Pf.
F. Ziller, Der epische Stil des altfranz. Rolandsliedes. (Programm des
Realgymnasiums zu Magdeburg.)
Wagner, Aucassin et Nicolete comme Imitation de Floire et Blanchefleur et
comme modele de Treue um Treue. (Progr. des Gymnasiums zu Arnstadt.)
£. L e V y , Der Troubadour Bertulome Zurzi. (Halle, Niemeyer.) 2 Mk. 40 Pf.
Fr. Diez, Die Poesie der Troubadours. 2. AuÜ. Hrsg. von K. Bartsch.
(Leipzig, Barth.)
O. Schultz, Die Lebensverhältnisse der ital. Trobadors. (Berlin. Diss.)
A. Mahn, Die epische Poesie der Proven9alen. 1. Lfrg. Girartz de Ros-
silho. (Berlin, Dümmler.) 1 Mk. 50 Pf.
L. Erling, Li lais de Lanval, Altfranz. Gediclit der Marie de France, nebst
Th. Chestres Launfall. (Programm des Gymnasiums zu Kempten.)
P. Sebillot, Gargantua dans les traditions populaires. (Paris, Maison-
neuve.) 7 fr. öO c.
E. Etienne, La vie de saint Thomas le martyr, poeme historiqiie du XHe
siecle, compose par Garnier de Pont-Sainte-Maxence; etude historique,
lltteraire et pliilologique. (Nancy, Pierson.)
F. Godefroy, Morceau.x choisis des poetes et prosateurs fraiKjals du IXe
au XVIe siecle coniprenant des extraits particulierement developpes de la
Chanson de Roland et des memoires de Joinville. (Paris, Gaume.) 3 fr. 75 c.
L. Knaake, „Le Lutrin de Boileau" et „the Rape of the Lock" de Pope.
(Programm des Realgymnasiums zu Nordhausen.) 1 Mk.
K. Adolph, Voltaire et le theätre de Shakespeare. (Programm des Gym-
nasiums zu Sorau.) 1 Mk.
A. Seidl. Andre Chenier. Eine Studie aus der franz. Litteraturgeschichte.
(Tübingen, Diss.)
J. Lemaitre, La comedie apres Voltaire et le tbeätre de Dancourt. (Paris,
Hachette.) _ 3 fr. 50 c.
G. Renard, Vie de Voltaire. (Paris, Charavay.) 1 fr. 75 c.
K. Holtermann, Über Sprache, Poetik und Stil der altengl. Gregorius-
legende des Auchinleck-Ms. (Münster, Diss.)
J. Klette, W. Wycherleys Leben und Werke. Mit besonderer Berück-
sichtigung von ^^ ycherley als Plagiator Molieres. (Münster, Coppenrath.)
1 Mk.
E. Engel, Geschichte der engl. Litteratur von ihren Anfängen bis auf die
neueste Zeit. Schlnfslieferung. (Leipzig, Friedrich.)
G. E. Mac-Lean, iElfric's anglo-saxon Version of Alcuini intcrrogationes
Sigenulli presbyterii in (jenesin. (Leipzig, Stauffer.) 1 Mk. 50 Pf.
Cynewulfs Elene. Mit einem Glossar herausgegeben von J. Zupitza.
2. Aufl. (Berlin, Weidmann.) 1 Mk. 60 Pf.
128 Bibliographischer Anzeiger.
G. Jansen, Beiträge zur Synonymik und Poftik der allgemeinen als echt
anerkannten Dichtungen Cynewulfs. (Münster, Diss.)
J. Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz. 1. Lieferung.
(VVürzburg, Stahel.) 2 Mk. CO Pf.
Wilken, An histor. and metrical introduction into the study of Shakespeare's
works with particular regard to his Julius Caesar. (Programm des Real-
gymnasiums zu Biedenkopf.)
E. Engel, Geschichte der Litteratur Nordamerikas. (Leipzig, Friedrich.)
. . .} ^^K- ^^ ,P^-
A. Filou, Histoire de la litterature anglaise depuis ses origines jusqu'a nos
jours. (Paris, Hachette.) 4 fr.
L. Hasberg, James Sheridan Knowles' Leben und dramatische Werke.
(Münster, Diss.)
Perry, English literature in the XVIII Century. (New- York, Harper.)
Dante Alighieris Hölle, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Jul.
Francke. (Leipzig, Breitkopf & Härtel.) 5 Mk.
Hilfs buch er.
W. Donner, Elementarkursus der deutschen Grammatik. 1. und 2. Stufe.
(Riga, Mellin.) 1 Mk.
O. Steiubrück, Der erste Unterricht im deutschen Aufsatz. Ausg. A.
Erste Reihe. (Langensalza, Bayer.) 40 Pf.
Leimbach, Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart. I. Band,
1. Lfrg. (Kassel, Kay.) 1 Mk. 50 Pf.
Ausgewählte Gedichte und Dramen von Schiller mit erläuternden Anmer-
kungen versehen von Hentschel u. Linke. (Leipzig, Peter.) 3 Mk.
Schillers Gedichte, erläutert v. E. P u ts c h e. (Leipzig, Wartig.) 2 Mk. 40 Pf.
E. Weyhe, Musterstücke zum Übersetzen ins Französische für die oberen
Klasst-n höherer Lehranstalten. (Bonn, Weber.) 1 Mk.
S. Öpke, Englisches Lesebuch. 3. Teil. Oberstufe. (Goslar, Kocli.) 4 Mk.
E. ^lann, A short sketch of english literature frora Chaucer to the present
time. (Bonn, Weber.) 3 Mk.
über
Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes.
Die Frage nach der Genesis und der Komposition des
ßeowulf ist bereits mehrfach ventiliert und zum Gegenstande
der Erörterung seitens der höheren Kritik gemacht worden.
Schon die äheren Herausgeber und Übersetzer haben gelegent-
lich ihrer Editionen und Versionen des ßeowulf ihre Ansichten
und V^ermutungen über das Nationale und den Stoff des Ge-
dichtes aufgestellt — so:
J. Thorkelin (veranstaltete die erste Beowulfausgabe :
De Danorum rebus gestis secul. III et IV poema Danicum dia-
lecto Anglosaxonica etc., Havnige 1815),
S. Grundtvig (gab eine freie dänische Umdichtung: Bjo-
wulfs Drape, et Gotisk Helte-Digt etc., Kjöbenhavn 1820^,
1865-, und den Text des Gedichtes heraus: Beowulfes Beorh
eller Bjowulfs Drapen etc., Kjöbenhavn und London 1861),
M. Kemble (von ihm erschien eine Ausgabe: The Anglo-
Saxon Poems of Beowulf, the Traveller's Song and the Battle
of Finnesburh etc., London 1833S 1835-, ferner: A Trans-
lation of the Anglo-Saxon Poem of Beowulf etc., eb. 1837),
B. Thorpe (seine Ausgabe führt den Titel: The Anglo-
Saxon Poems of Beowulf, the Scop or Gleemans tale and the
Fight at Finnesburg etc., Oxford 18551, 1875 2).
Hieran reihen sich Specialuntersuchungen Älterer und
Neuerer — so:
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 9
130 Über Ursprung und Eiitwickttlun^ des Beowulfliedes.
H. Leo: ßeowulf, das älteste deutsche in ags. Mundart
erhaltene Heldengedicht nach seinem Inhalte und nach seinen
historischen und mythologischen Beziehungen betrachtet (Plnlle
1839),
K. Müllen hoff: Sceaf und seine Nachkommen, bei Haupt,
Zeitschrift VH, S. 410 ff. (Leipzig 1849), — Der Mythus von
Beowulf, eb. S. 419 ff.,
M. Grein; Die historischen Verhältnisse des Beowulf-
liedes, bei Ebert, Jahrb. IV, S. 260 ff. (Berlin 1862),
L. Botkine: ßeowulf, analyse historique et geographique
(Paris 1876),
H. Dederich: Historische und geographische Studien
zum ags. Beowulf Hede (Köln 1877);
ferner gelegentliche Ausführungen von:
K, Simrock in: Beowulf, das älteste deutsche Epos, über-
setzt und erläutert (Stuttgart und Augsburg 1859),
K. Müllen hoff: Die austrasische Dietrichssage, bei Haupt,
Ztschr. VI, S. 437 (Leipzig 1848), — Zeugnisse und Exkurse
zur deutschen Heldensage, eb. XII, S. 260 f., 282 ff., 287 ff.,
302 ff. (Berlin 1865), — Recension des oben genannten Buches
von H. Dederich, eb. XXI, Anz. S. 172 ff. (Berlin 1877),
K. Körner: Recension ebendesselben Buches, bei Kölbing,
Engl. Studien I, S. 483 ff. (Heilbronn 1877).
Aus der Reihe der anderen gelegentlich auf die historischen
oder mythologischen Verhältnisse des Beowulf Bezug nehmenden
Schriften mögen hier nur noch Grimms „Geschichte der deut-
schen Sprache" sowie seine „Deutsche Mythologie", Kembles
„The Saxons in England", Simrocks „Handbuch der deutschen
Mythologie" und „The Anglo-Saxon Sagas" von Haigh kurz
Erwähnung finden.
Höhere Kritik im engeren Sinne des Wortes geübt haben
eigentlich nur:
L. P]ttraüller in: Beowulf, Heldengedicht des achten
Jahrhunderts, zum erstenmal aus dem Ags. in das Nhd. stab-
reimend übersetzt etc. (Zürich 1840), — Carmen de Beovulfi
(lautarum regis rebus praeclare gestis atque interitu, quäle fuerit
antequaui in manus interpolatoris, monachi Vestsaxonici, incide-
rat (Univeraitätsprogramm Turici 1875),
über Ursprung und Entwickelung des Beovvulflifdes. 131
K. Müllen hoff: Die innere Geschichte des Beowulfs,
bei Haupt, Ztschr. XIV, S. 193 ff. (Berlin 1869),
A. Köhler: Die Einleitung des Beowulfliedes, bei Höpfner
lind Zacher, Zeitschr. II, S. 305 ff. (Halle 1870), — Die beiden
Episoden von Heremod im Beowulfliede, eb. S. 314 ff.,
Hornburg: Die Komposition des Beowulf (Jahresbericht
des Kaiserl. Lyceums in Metz 1877),
F. ßönning: Beovulfs-Kvadet (Diss. Kjöbnhaven 1883),
H. Möller: Das altenglische Volksepos in der ursprüng-
lichen strophischen Form (Kiel 1883).
Mehr gelegentlich und im Vorübergehen streifen das (jiebiet
der höheren Kritik :
M. Grein in der vorerwähnten Abhandlung, bei Ebert,
Jahrb. IV, S. 263 (Berlin 1862),
H. Schubert: De Anglosaxonum arte metrica, S. 7, 52
(Berolini 1870),
M. Rieger: Zum Beowulf, bei Höpfner und Zacher, Zeit-
schr. III, S. 386 f., 389, 406 u. a. (Halle 1871),
S. Bugge: Zum Beowulf, eb. IV, S. 199 ff., 203 u. a.
(Halle 1873),
A. Lichtenheld: Das schv/ache Adjektiv im Ags., bei
Haupt, Ztschr. XVI, S. 339, 342 f., 370 ff. (Berlin 1873),
Th. Arnold: Beowulf, a heroic poem of the eighth Cen-
tury; Avith a translation, notes, and appendix, S. XXVI ff.
(London 1876),
A. Schönbach: Anzeige von EttmüUers oben angeführ-
teni „Carmen de Beovulfi etc.", bei Haupt, Ztschr. XXI, Anz.
S. 43 ff. (ßerhn 1877),
B. ten Brink: Geschichte der englischen Litteratur, S. 33
bis 35 (Berlin 1877),
K. Sehe mann: Die Synonyma im Beowulfliede, mit
Rücksicht auf Komposition und Poetik, S. 99 f. (Hagen 1882).
Es liegt mir fern, zu den bereits bestehenden Theorien eine
neue hinzufügen oder negieren zu wollen, was in überzeugender
Weise, soweit dies eben bei der in Rede stehenden Frage mög-
lich ist, bereits von anderen über diesen Gegenstand nach-
9*
l:V2 Über Ursprung un<l pjntwickelung des Beowulfliedes.
gewiesen worden ist. Meine Absicht ist es, auf Grund der
eben namhaft gemachten Specialuntersuchungen und unter um-
fangreichster Benutzuno^ der bisherigen, zerstreut liegenden
Forschungsergebnisse, soweit sie sich in den Rahmen meiner
Anschauungen fügten — manches, was eine ganz besonders
glücklich gewählte, unübertreffliche Fassung zeigte, habe ich
sogar, ohne diese Form anzutasten, meiner Darstellung einver-
leiben zu sollen geglaubt — ferner aber unter Berücksichtigung
der zu gleicher Zeit sich abspielenden Zeitereignisse, sowie unter
Einflechtung der von mir neu ins Auge gefafsten Momente ein
vollständiges, übersichtliches und historisch klares Gesamtbild
zu entwerfen, wie es, nachdem ich mich lange mit dieser Frage
beschäftigt und nachdem ich die verschiedenen Ansichten aufs
sorgfältigste geprüft und gegeneinander abgew^ogen habe, nun-
mehr in meiner Vorstellung über den Ursprung und die Ent-
uickelung des Beowulfliedes sich endgültig gestaltet hat.
Denselben Gesichtspunkt hat offenbar zwar bereits ten Brink
in seiner englischen Litteraturgeschichte § 1 — 111 verfolgt ; jedoch
vermifst man, abgesehen davon, dafs das Ziel der Vollständig-
keit und Übersichtlichkeit — wie mich dünkt — doch noch
nicht vollständig erreicht worden ist, in seiner im übrigen höchst
schätzenswerten und genialen Darstellung den sogenannten litte-
rarischen Apparat, die Angaben über seine Bezugnahme auf
das vor ihm von anderen auf diesem Gebiete Geleistete voll-
ständig: was, namentlich von Jüngern der Wissenschaft, von
Studierenden, als ein erheblicher Übelstand empfunden werden
mufs. Auch auf diesen Punkt, auf genaue Angabe der be-
treffenden Quellen für eingehenderes Studium, ist im folgenden
ein ganz besonderes Gewicht gelegt worden.
Den Inhalt des Gedichtes in allen seinen Einzelheiten hier
zu zergliedern, ist überflüssig, da derselbe als hinlänglich be-
kannt vorausgesetzt werden kann. Ich erinnere nur zur leich-
teren Orientierung über das Folgende in Kürze an die Haupt-
momente im Gange der Handlung und an die Episoden, mit
denen das Gedicht so reichlich ausgestattet, ja förmlich über-
laden ist :
„Von Scyld Scefing, der auf geheimnisvolle Weise bei den
Dänen (ihr Reich anfangs auf Seeland und den anderen Inseln
über Urspnujg und Eiitwickelung des Beowulfliedes. 133
Östlich vom Grofsen Belt, später auch auf Schonen sowie auf
den Inseln westlich vom Grofsen Belt und auf Jütland*) landet
und deren König wird, entstammt der Scylding Beowulf, von
diesem Healfdene und von letzterem Hrodgär, welcher bei seiner
Königsburg (wahrscheinlich auf Seeland**) eine prachtvolle Met-
halle, Heorot genannt, erbauen läfst. — Grendel aber, ein
Menschenfresser, ein Sumpfungeheuer, dringt nachts in die Halle
ein und verübt Mordübel an den dort schlafenden Dänenmannen
(V^ 1—193).***
Jahrelang schon währt der Hafs und die Feindschaft Gren-
dels, ohne dafs die Dänen im stände sind, sich seiner zu er-
wehren: da dringt Kunde hiervon zu Beowulf, dem Sohne
EcgI)eows, dem Gefolgsmann und Verwandten Hygeläce, des
Königs der Geaten (im nördlich von Schonen gelegenen Teile
Südschwedens etwa bis an die grofsen Seenf); und dieser
unternimmt eine Fahrt nach dem Lande der Dänen, um den
König Hrodgär von der Grendelplage zu befreien (V. 194 — 498).
Beowulf, der Geate — der in früherer Zeit bereits mit Breca,
dem Fürsten der Brondinge, ein Wettschwimmen bestanden hat
(V. 499 — 581) — findet freundliche Aufnahme seitens Hrödgärs
und seiner Gemahlin Wealpeow und überwältigt Grendel im
Faustkampfe, so dafs der Unhold sich todwund in seine Moor-
wohnung zurückziehen mufs (V. 581 — 837).
jf. Nun herrscht grofse Freude bei den Dänen, und reichliche
Gabenspenden werden Beowulf zu teil (V. 838 — 1251). Aber
Grendels Matter machte sich alsbald auf, ihren Sohn zu rächen,
und erneut den nächtlichen, feindseligen Besuch der Halle, wird
jedoch von Beowulf in ihrer eigenen Meereswohnung aufgesucht
und mit einem dort aufgefundenen alten ßiesenschwerte erlegt.
Auch dem dort regungslos daliegenden Grendel schlägt er das
Haupt ab (V. 1252—1629).
Neue Beschenkung Beowulfa, der nun wieder nach dem
Lande der Geaten zurückkehrt (V. 1630—2200).
* Vgl. Grimm, Geschichte d. dtsch. Spr.-^ 511. — Grein bei Ebert IV,
261 f.
** Grein a. a. O. 262.
*** Verszählung nach Heyne.
t Grimm a.'a. ü. 514. — Grein a. a. O. 262.
134 Über Urnpniii^ un<l Kntwickelung des Boowult'liedes.
Ilygelfic fällt auf einem Zuge gegen die Franken, Hetware,
Friesen und liugen (nach den Rheinmündungsgegenden); er
hinterläfüit einen noch unmündigen Sohn, Namens Heardred.
Beowulf, vvelciier seinen Herrn und Verwandten auf jenem Zuge
begleitet hatte, war, nachdem er sich mit grofser Kühnheit durch
Schwimmen gerettet, wieder nach Hause zurückgekehrt, wo ihm
Hygd, Hygeläcs verwitwete Gemahlin, den Königsthron anbietet.
Er schlägt ihn aus und steht als Vormund dem jungen Hear-
dred mit Rat und That zur Seite.
König Heardred wird später in eine Fehde mit den Schweden
(nördlich von den Geäten*) verwickelt, die ihm das Leben
kostet; worauf dann Beowulf selbst den Thron besteigt.
Beowulf unternimmt im hohen Alter nach langer, segens-
reicher Herrschaft noch einen Kampf mit einem schatzhütenden
Drachen, der sein Land verwüstete. Es gelingt ihm, vermittels
seines Hüftmessers dem Wurm den Garaus zu bereiten, gleich-
zeitig aber wird er selber zum Tode verwundet und stirbt.
Vor seinem Hinscheiden übergiebt er dem AVtegmunding Wiglaf,
der ihm allein beim Drachenkampfe treu zur Seite gestanden hat,
mit seinem letzten Auftrage zugleich seinen Helm, seine Brünne
und seinen Halsring. Dann wird seine Leiche verbrannt und
seine Asche nebst dem Drachenhorte in einem hohen, weithin
sichtbaren Grabhügel beigesetzt (V. 2201 — 3184)."
Mehreres hiervon — und manches liefs sich gar nicht
anders behandeln — ist jedoch nur episodisch der Haupthand-
lung einverleibt worden ; es sind dies die Erzähluno;en
von Beowulfs und Brecas Schwimmfahrt (V. 506 — 586),
von Hygeläcs Tod gelegentlich seines Raubzuges gegen
Franken, Hetware, Friesen und Hugen (V, 1203 — 1215,
2355—2360 und 2911—2922); von^Beowulfs Anteil an
diesem Kampfe (V. 2498 — 2509), seiner Selbstrettung
vermittels Schwiramens und seiner Rückkehr nach dem
Lande der Geaten (V. 2360-2380),
von Heardreds Regierung und Ermordung durch den schwe-
dischen König Onela (V. 2203—2207 und 2380—2389)
* Grimm a. a. O. 516. — Grein a. a. 0. 272.
I
über Ursprung iimi Entwickeliing des Beowiilflicles. 135
und von dem Fall des Schweden Eanniund, Onelas
Neffen, durch den Waegmunding Weohstän (V. 2612 bis
2626),
von Beowulfs Nachfolge auf dem «jeatischen Könio-sthrone
O C5 O
und seinem Verhältnis zu den Schweden (V. 2390 bis
2397).*
Dazu kommen vveiter noch die Episoden :
von Ecgpeows, des Vaters Beowulfs, Flucht zu den Dänen
(V. 459—472),
von dem grausamen Dänenkönig Heremod (V. 902 — 914 und
1710—1723),**
von Finn, seiner Gemahlin Hildeburg, von Hnäf und Hengest,
Güdläf und Osläf und dem Kampfe der Dänen und
Friesen (auf Finnsburg) im Lande der Friesen (V. 1064
bis 1160),***
von J>rydo, der unmilden Gemahlin des (anglischen) Königs
Offa (V. 1932— 1963), t
von den Kämpfen der Headobearden und Dänen, und der
Vermählung Ingelds, des Sohnes des gefallenen Heado-
beardenfürsten, mit Freaware, der Tochter des Dänen-
königs Hrödgär (V. 2033-2070),
von dem Geatenkönig HrMel und seinen Söhnen Herebeald,
Hädcyn und liygeläc (V. 2426—2471),
von den Kämpfen des Königs Hädcyn und seines Bruders
Hygeläc mit dem Schwedenkönige Ongenfeow, von dem
Fall Hädcyns durch Ongenpcow, Ongenjjeows durch Eofor
(V. 2472—2490 und 2923—2999),
von Sigmunds Drachenkampf und von seinem Neffen Fitela
(V. 876-901),.tt
* Für die schwierigen schwedischen Verhältnisse etc vgl. Grein bei
Ebert IV, 274 fi'.; MüUenhoff' bei Haupt XIV. 226 flf., XXI, Anz. 176 f.
** Grein a. a. O. 264; MüUenhoti" a. a. O. XIV, 202, XXI, Anz, 182;
Köhler bei Höpfner u. Zach. II, 314 ff'.
*** Grein a. a. O. 269 f.; Rieger bei Höpfner u. Zach. III, 396 ß".
f Ich. folge nicht Körner bei Kölbing I, 489 ff., sondern Suchier bei
Paul u. Braune IV, 500 ff".
tt loh verweise hierfür iiuf W. Grimm, Heldens.2 14 ff".
136 Über llrspiung und Entwickelung des Beowulfliedes.
von Eormenric, Häma und der Entwendung des Brosinga
mene (V. 1199—1202).*
Aus dem bisher über den Inhalt des Beowulfliedes Gesagten
erhellt leicht, dafs demselben zweierlei Bestandteile, nämlich
nicht blofs historische, sondern auch mythische** zu Grunde
liegen, von denen wenigstens die letzteren, die mythischen, noch
auf die alte Heimat der Angeln und Sachsen, auf hohes germa-
nisches Altertum, vielleicht auf ingävonische Saggemeinschaft
zurückzuweisen scheinen.
Daneben sind aber noch allerlei christlich-religiöse Betrach-
tungen in das Gedicht eingestreut worden, wie z. B.
das Lied von der Schöpfung der Welt (V. 90 — 98),
Abstammung Grendels und der anderen Unholde von dem
Brudermörder Kain (V. 105—114)
und viele andere von kürzerem Umfange.
Wahrscheinlich verhält sich die Sache folgendermafsen :
Bei den Angeln und Sachsen, als sie noch in ihren alten
Wohnsitzen auf dem germanischen Festlande, im heutigen
Schleswig und Holstein, sich befanden, blühte der Mythus von
einem göttlichen Heros und seinen siegreichen Kämpfen mit feind-
seligen Ungeheuern,*'"* vornehndich einem Meerriesen, Namens
Breca, einem Wasserungetüm, Namens Grendel, und einem
giftigen, schatzhütenden Drachen ; auch Grendels Mutter, die in
der Meerestiefe hausende Seewölfin, wird in der Sage von jenem
göttlichen Heros bereits eine Rolle gespielt haben. Und zwar
war es — soviel wir aus unserem Liede entnehmen können —
ein Wettschwimmen, ein Schwimmkampf, worin sich seine Über-
legenheit über Breca offenbarte, ein Faustkampf, in dem er den
Grendel bezwang, während er Grendels Mutter mit einem alten
Riesenschwerte, dem Drachen mit seinem Hüftmesser die Todes-
wunde versetzte. — Dieser göttliche Held führte in den be-
• \'gl. W. Grimm a. a. O. 7 ; J. Grimm, Myth.^ 283 f.; Simrock,
Myth.3 376 ff".; Müllenhoff" bei Haupt XU, 303 tl".
** Über diese zu vergl. (aufser den Bemerk. Grimms in der Myth. und
Simrocks in dt-r Myth. und seinen Erläut. zu der Beowulf-Übers.) besonders
die beiden Abb. iMüllenhoffs bei Haupt VII, 410 ff". 419 iY.
*** Vgl. MüUenhoff" bei Haupt XII, 282 fin., 284 init.; ten Brink, Engl.
Litt. 3 f.
I
über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes. 137
treffenden Sagen vermutlich den Namen Beaw oder in schwacher
Form Beawa oder Beowa.*
Der Mythus von Beowa aber wird sich nicht auf die Angeln
und Sachsen allein beschränkt haben : auch unter den benach-
barten Stämmen, die später mit und nach ihnen über das Meer
hinübersetzten, besonders den Juten und Friesen, wird jener
Mythus verbreitet gewesen sein ; ja er war vielleicht einst Ge-
meingut der sogenannten ingävonischen Völkerschaften über-
haupt ; und wenn man bedenkt, und es wirklich von Bedeutung
ist, dafs, worauf Körner bei Kölbing, Engl. Studien I, S. 485,
aufmerksam gemacht hat, nicht nur in Hamburg ein Stadtteil
des iS'amens Grindel, sondern auch in Bayern ein Beowan häm,
ein Immenstadt, sich befindet — ich erinnere bei dieser Ge-
legenheit noch an Grindelwald in der Schweiz — so dürfte man
am Ende gar berechtigt sein, ihm eine noch weitere Verbreitung
nach Süden, unter obergermanischen Völkerschaften zuzuer-
kennen.
Ob diese Mythen auch schon in der alten Heimat Gegen-
stand des Liedes gewesen seien — wir wissen es nicht; aber
es ist kaum zu bezweifeln, dafs dies der Fall gewesen ist: da
ja Sagbildung und dichterische Gestaltung Hand in Hand gehen.
In Hymnen, die ausschliefslich für gesanglichen mit der Harfe
zu begleitenden Vortrag berechnet waren und den Zweck hatten,
bei Gelegenheitsfeiern aller Art angestimmt zu werden, pflanzten
sich diese Mythen, unaufgezeichnet wie sie waren, im Munde
des Volkes von Generation zu Generation fort.**
Es läfst sich annehmen, dafs aufserdem aber auch man-
cherlei Stammessagen, z. B. bei den Angeln die vom alten
König Offa (4. Jahrhundert n, Chr.) und seinem Geschlechte, in
Liedern jener Zeit erklungen sein werden.
Diese Sagen bez. Lieder wanderten, als die Völkerbewegung,
welche fast alle deutschen Stämme mit sich fortrifs, auch jene
nordgermanischen Bewohner, die Angeln, Sachsen, Juten, Frie-
sen u. 8. w. ergriflf, und der Teil von Britannien, der nachher
* Vo;l. die ags. Stammtafeln; bei Grimm, Myth.^ Anbang S. 386 ft". -
MüUenhoff" bei Haupt VII, 419; XII, 283.
** Vgl. ten Brink a. a. O. 18 f.
13S Über Ursprung mul Kiilwii-kfluiig des Boowolfliedes.
den Namen England fuhrt, von diesen Stämmen allmählich in
Besitz genommen wurde, selbstverständlich in die neuen Wohn-
orte mit hinüber, um dort auf einem schöneren, geräumigeren
Boden, wo sich die neuen Ankömmlinge in jeder Hinsicht be-
haglicher fühlen mufsten als in ihrer alten, engen und armen
Heimat, wo ferner ein weltbeherrschendes \'olk die Spuren
seines Wirkens zurückgelassen hatte,* sich fest- und fortzu-
setzen. Örtlichkeiten der neuen Heimat, Hügel und Seen, deren
Lage und Umgebung mythische Erinnerung weckte, wurden nach
den herübergebrachten Mythen benannt, Grendels und Beowas
Namen ihnen beigelegt.** In Yorkshire, im nördlichen Teil von
England, liegt ein Grindleton (Grendelstadt), wie Körner bei
Kölbing, Engl. Studien I, S. 4^5, mitteilt, und in mehreren von
Kerable in dem Werke „Codex diplomaticus asvi Saxonici"
(6 Bde., London 1839—1848) unter Nr. 353, 436, 570, 972,
app. vol. IH, nr. 59 angeführten angelsächsischen Urkunden
werden ein Beowan hamm (Beowas Höhe) neben einem nahe
gelegenen Grendles mere (Grendels See, Teich oder Sumpf),
sowie ferner ein Grindles bec (Grendels Bach) und ein Grindles
pytt (Grendels Brunnen oder (jraben) im südwestlichen Teil
von England, in Wiltshire und Worcestershire, namhaft gemacht ;
worauf zuerst Leo, Rectitudines, S. 5, 32 (Halle 1842), dann
Grimm, Mythologie,^ S. 222, Kemble selber in The Saxons in
England (London 1849, deutsch von Brandes, Leipzig 1853) 1,
S. 416 bez. 343, und MüllenhofF in Haupts Ztschr. X[[, S. 2^2,
aufmerksam gemacht haben.
Nach der Historia ecclesiastica gentis Angloruni des Beda
und der Sachsenchronik war es Wortigern, der König der
(keltischen) Briten,*** welcher — angeblich im Jahre 449 —
Angeln und Sachsen zu seiner Hilfe gegen die Pikten und
Skoten, die nach dem Abzüge der Römer (409) die Briten lange
und heftig bedrängten, aus Deutschland herbeirief. Hengist und
Horsa sollen mit einem Heere hinübergegangen sein, die Feinde
* Müllenhoff bei Haupt XXI, Anz. 174; ten Brink a. a. O. 21.
** ten Brink a. a. O. 31.
*** Für die politische Geschichte vgl. Lappenberg, Geschichte von Eng-
land, Bd 1.
über Ursprung und Entwickelung des lieowulf liedes. 131)
der Briten geschlagen, sich dann aber in England festgesetzt
und wohnlich eingerichtet haben.
Bald langten neue Scharen von Stammesgenossen und Nach-
barvölkern in England an, die Briten ihrerseits wurden nun
aber immer weiter zurückgedrängt, und eigene Reiche von den
germanischen Eindringlingen gestiftet, die aber in den folgenden
Jahrhunderten sich wiederum untereinander zu befehden began-
nen, bis es 827 dem Westsachsenkönig Egbert gelang, alle
sieben Reiche zu einem einzigen Staate zu vereinigen.
Dafs der Bericht, die Germanen hätten erst infolge einer
Einladung im Jahre 449 den Anfang mit der Übersiedelung
nach Britannien gemacht, in den Bereich der Sage zu verweisen
ist, darüber herrscht v/ohl gegenwärtig kein Zweifel mehr. Dafs
vielmehr wahrscheinlich schon im dritten Jahrhundert, noch zur
Zeit der Römerherrschaft in Britannien Sachsen und andere
nordgermanische Völkerschaften Raubzüge nach jenem Lande
unternommen, ja Niederlassungen dort besessen haben werden,
geht daraus hervor, dafs im vierten Jahrhundert ein Küsten-
strich des östlichen Britanniens, das spätere Norfolk, bereits
litus Saxonicum genannt wurde. Es war hier wie in Gallien
für die deutschen Seeräuber der Reiz zur Plünderung mächtiger
als die Eurcht vor dem römischen Namen.* Dem fünften und
sechsten Jahrhundert blieb dann die weitere Bevölkerung Eng-
lands durch germanische Elemente vorbehalten. — Es liegt auf
der Hand, dafs die Besitzergreifung Englands nur Schritt vor
Schritt und mit dem Schwerte sich vollziehen konnte und dafs
England infolge des Eindringens der germanischen Scharen sich
auf Jahrhunderte lang zum Schauplatz blutiger und hartnäckiger
Kämpfe gestalten mufste.**
In dieselbe Zeit, wo die angelsächsischen Heerführer sich
in England Reiche eroberten, fällt aber auch die Begründung
des dänischen Reiches auf Seeland und den anderen Inseln,
sowie seine allmähliche Ausdehnung nach Osten und Westen.
Nach Westen, nach der cimbrischen Halbinsel, konnte die Aus-
* ten Brink a. a. O. 5.
** Vgl. ten Brink a. a. O. 6.
1 10 über Ursprung und Entwickehing des Beowulf liedes.
(lehnung der Dänenherrschaft sogar ziemlich widerstandslos von
statten gehen, seitdem die jütische und anglische Bevölkerung
sich daselbst zu lockern angefangen hatte. Aber auch andere,
skandinavische Völker, die Geaten und Schweden, erscheinen in
dieser Zeit auf jenem nördlichen Schauplatz der Begebenheiten
und in Beziehung nicht nur unter sich, sondern auch zu anderen
um- und anwohnenden Völkerschaften, besonders den Dänen.
Diese gegenseitige Berührung jener nördlich-germanischen
Völkerschaften vollzog sich gewifs oft auf dem \^'^ege und zum
Zwecke friedlichen Schiffsverkehrs.* Nicht selten gab auch
die Blutsfeindschaft (ags. faehd, auch f^hdo. F.) dazu Veran-
lassung, indem sie den Schuldbeladenen die Notwendigkeit auf-
erlegte, die alte Heimat zu verlassen und bei einem anderen
Stamme eine Zufluchtsstätte aufzusuchen.** Weit häufiger aber
bildeten, wie in späteren Jahrhunderten, so gewifs auch damals
schon feindselige Absichten die Veranlassung zur Begegnung
der Völker untereinander. Schon die an Schutzflehende gewährte
gastliche Aufnahme wurde oft die Ursache kriegerischer Ver-
wickelungen;*** weit öfter jedoch war es der Eroberungstrieb,
der die Völker bewog, das Schwert gegeneinander zu ziehen,
Plünderungs- und Raubsucht, welche sie verlockte, sich gegen-
seitior an den Grenzmarken verheerend heimzusuchen.!
Leider werden wir in Bezug auf diese Epoche der Ge-
schichte jener Reiche bei dem Mangel an historisch beglaubigten
Berichten arg im Dunklen gelassen. Das angelsächsische Beo-
wulfepos vorzugsweise ist es jedoch, welches uns in den Stand
setzt, einige Schlüsse zu ziehen auf die welthistorischen Ereig-
nisse und Heldenthaten, die sich in jener vielbewegten Zeit im
Norden Europas abspielten.
So kann es keinem Zweifel unterliegen, dafs hinter dem
Bau der Prachthalle Heorot ein geschichtliches Faktum, das
Faktum der Begründung des Reiches Dänemark stecke, wie
* Üher die Schiffahrt der Germanen handelt Wackernagels Aufsatz bei
Haupt IX, 571 ff".
** Vgl. Beow. 459 ff.
"• Vgl. Beow. 2380 fi.
t Vgl. Beow. 2923 ff., 2472 ff.
über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes. 141
bereits Müllenhoff bei Haupt XXI, Anz. S. 179 behauptet hat.
So liegen ferner dem Umstände, dafs unser Lied den Schau-
platz des durch den Geaten Beowulf vollführten Grendelkampfes
an den Herrschersitz des dänischen Königs Hrödgär verlegt,
sicherlich wirkliche historische Beziehungen zwischen den Gedten
und Dänen zu Grunde, wie auch ten Brink in seiner Engl.
Litteraturgeschichte S. 31 A. vermutet hat. Ganz besonders
aber sind in dieser Hinsicht auch mehrere der in den Beowulf
hineingearbeiteten Episoden von Wichtigkeit : insofern sie ohne
Frage als der Wiederhall eines guten Teiles der Vorgänge und
Kämpfe aus der Zeit jener Völkerbewegung angesehen werden
müssen.*
Kurz, es ist dies das Zeitalter, wo Kraft und Mannes-
tüchtigkeit ihre gröfsten Triumphe feiern, Heldengestalten allent-
halben auf dem Schauplatz der Begebenheiten auftauchen, Thaten
verrichtend, welche Bewunderung bei den Zeitgenossen erregten,
Ruhm bei der Nachwelt ernteten ; Thaten, welche zugleich die
dichterische Phantasie befruchteten und zur Produktivität begei-
sterten. Es war mithin nur zu natürlich, dafs jener Heldenzeit
eine Heldendichtung, eine Blüte volksmäfsiger, epischer Poesie
auf dem Fufse folgte. Leider stehen wir auch diesen Helden-
liedern mehr ahnend als wissend srewenüber. Sie haben mit ihren
Geschwistern, den Heldengesängen der süddeutschen Stämme
aus dem Zeitalter der Völkerwanderung, ein gleiches Schicksal
gehabt, welche ja ebenfalls im Schofse der Jahrhunderte begraben
worden sind. Das wenige, was wir von der alten englischen
Epik besitzen, gehört späterer Zeit an. Und doch — nehmen
wir blofs diese wenigen Überreste, den Beowulf, den Widsid,
das Fragment vom Kampfe zu Finnsburg, die zwei Bruchstücke
von Waldere — wie reich darf sich in dieser Beziehung die
englische Litteratur nennen, wenn man sie mit der althochdeut-
schen vergleicht!**
Merkwürdigerweise werden ein paar den Sagenkreisen dieser
südlicheren deutschen Stämme angehörige Namen und Berichte
auch in dem ags. Beowulfepos angetroffen; so ist in einer der
* Vgl. MüUenhoft bei Haupt XXI, Anz. 179.
** ten Brink a. a. O. 40.
142 Über Ursprung um! Entwickcluno- des Beowulfliedes.
Episoden von Sigemund, den wir aus der fränkischen Sage her
als Vater Sigefrits kennen, die Rede, und diesem ein Drachen-
kanipt" und eine Schatzgewinnung zugeschrieben: eine That, die
sonst seinem Sohne beigelegt wird. So wird zweitens auf den
gotischen Sagenkreis angespielt in einer P^pisode, die von Egr-
uicnric und Häma und der Entwendung kostbarer Schatzgegen-
stände handelt.
Vor allem aber mufs ein Ereignis jener Zeit ein ganz be-
sonderes und gewaltiges Aufsehen erregt haben: ein Plünderungs-
zug des Geätenkönigs Hygeläc in das Gebiet des unteren Rheins.
Und dieses Ereignis nun ist es, über welches uns glücklicher-
weise historisch beglaubigte Berichte vorliegen.
Ohne Zweifel ist nämlich — worauf Grundtvig (Danevirke
1817, Bd. II, S. 284 flf.) zuerst aufmerksam gemacht hat —
der Hygelac unseres Gedichtes, der König der Geaten, der Oheim
Beowulfs, identisch mit dem Chochilaicus oder Chochilagus, der
nach den Berichten der Historia Francorum des Gregor von
Tours III, 3 und der Gesta regum Francorum c. 19 im zAveiten
Decennium des sechsten Jahrhunderts an den unteren Rhein
(in den Gau der fränkis(;hen Hattuarier) einen Raubzug unter-
nahm, jene Gegenden verwüstete und mit reicher Beute wieder
den Rückweg antreten wollte, als Theudebert, der Sohn des
fränkischen Königs Theuderich (des Sohnes Chlodovechs) mit
einem — wahrscheinlich aus Franken und Friesen (Hetvvare,
Hugen) bestehenden — Heere heranrückte. Es entbrannte ein
heifser Kampf, der auf beiden Seiten zahlreiche Opfer forderte.
Theudebert siegte ; Chochilaic fiel, sein Heer w'urde zu Lande
und zu Wasser aufgerieben und die schon auf seinen Schiffen
befindliche Beute von den Feinden zurückgewonnen.* — Zwar
erscheint nach jenen Berichten Chochilaic als ein König der
Dänen, aber jedenfalls nahmen es die fränkischen Chronisten
nicht so genau mit der Unterscheidung jener nördlichen Stämme,
sondern sie liefsen sie wohl sämtlich in den Namen der Dänen
zusammenfliefsen.**
♦ Vgl. Miillenhofi" hei Haupt VI, 437; Grimm, Gesch. d. d. Spr.^ 410.
** Grein bei Ebert IV, 274: Dederich, Histor. u. geogr. Stuiiion zum
ags. Beow. 160.
l
über Ursprung und Entwickelting iles Beowulfliedes. 143
Ein anderweitiger Bericht, der uns in einer wahrscheinlich
von einem fränkischen Verfasser und spätestens aus dem achten
Jahrhundert stammenden, von M. Haupt als „Liber monstrorum
de diversis generibus" im Index lect. der Berliner Universität
(Sommersemester 1863) herausgegebenen Schrift, S. 6 erhalten
ist,* kennt sogar, übereinstimmend mit unserem Epos, einen
Getarum rex Huiglaucus d. i. Hugilaicus, welcher von den
Franken getötet worden wäre. Von diesem König heifst es
dort: ..quem equus a duodecimo astatis anno portare non potuit,
cujus ossa in Rheni fluminis insula ubi in Oceanum prorumpit
reservata sunt et de longinco venientibus pro miraculo osten-
duntur." Das ist nun zwar eine sagenhafte Erzählung, die sich
vielleicht an einige Walfischknochen knüpfte,** immerhin aber
ein Beweis dafür, dafs Hygeläcs ganze Persönlichkeit eine ge-
waltige, imponierende gewesen sein mufs.
Das kühne Unternehmen Hygeläcs, welches ihm freilich das
Leben kostete, bot auch — wenn wir nun weiter aus unserem
Gedichte liückschlüsse auf die Historie ziehen — einem Gefolgs-
mann und Verwandten Hygeläcs Gelegenheit, seine riesige
Körperkraft und Tapferkeit sowie seine Verwegenheit und Tüch-
tigkeit im Schwimmen, der er schliefslich beim Rückzuge seine
Rettung zu verdanken hatte, an den Tag zu legen.*** Und eben
dieser Zug des Geatenkönigs, bei dem die Heldenkraft seines
Neffen sich in einem so glänzenden Lichte zeigen konnte, wurde,
indem er die Einbildungskraft der Meeranwohner mächtig ergriff,
nun auch die Veranlassung zur Bildung der epischen Sage, der
Anstofs zur epischen Verherrlichung des Geatenkönigs und
mehr noch seines kühnen Neffen.
Denn weit und breit hatte sich die Kunde von jenen
Kampfesereignissen verbreitet, und überall in jenen nordgerma-
nischen Gauen erscholl alsbald der Ruhm des tapferen Degen :
seine Kraft und sein Mut, die vor keinem Wagnis, vor keiner
Gefahr zurückgeschreckt, die Kühnheit, mit der er sich beute-
beladen den Fluten des Meeres anvertraut hatte, wurden in
* Vgl. auch Hiuipt in seiner Zeitschrift V. 10.
** MüUenhof bei Haupt XII, 287.
**' Beow. V. 2502 ff., 2360 fl".
144 Über Ursprung und Entvvickelung des Beowulflledes.
Liedern gefeiert,* später wohl auch seine Königsherrschaft über
die Gedten, sein Tod und seine Bestattung besungen. Und am
allerwenigsten vermochte die angelsächsische Zunge der
Heldengestalt eines solchen riesenhaften Kämpen und vorzüg-
lichen Schwimmers gegenüber sich schweigsam zu verhalten.
Aber die Heldengestalt gewann nach und nach sagenhafte
Proportionen; der ursprünglich historische Held trat bei den
Ano;elsachsen schliefslich in das Erbe eines göttlichen Heroen
ein; und dieser göttliche Heros war kein anderer als eben jener
Beowa, von dem wir oben bereits gehandelt haben: der Töter
Grendels und dessen Mutter, der Bezwinger des Drachen, der
Gegner Brecas in einem Schvvimmkampfe.**
Eine solche Saa^enkombination wurde schon durch die Ahn-
lichkeit der Namen beider Helden stark begünstigt, wenn nicht
vielleicht jjar in erster Linie veranlafet. Ob nun freilich der
Name des historischen Helden ursprünglich bereits so gelautet
habe, wie ihn unser Epos bietet : Beowulf, oder ob die Form seines
Namens eine andere, aber natürlich gleichfalls mit der Namensform
des mythischen Heros Beowa sich berührende gewesen sein mag,
mufs dahingestellt bleiben. Ich bin geneigt, das letztere zu ver-
muten: zu vermuten, dafs die Form Beowulf eine epische Neu-
bildung involviere, die den Zweck hatte, beim Zusammenfliefsen-
lassen der mythischen und der auf historischer Grundlage
beruhenden Sage die ähnlichen Namen der beiden Sagenträger
durch eine dritte Namensform zu vermitteln, derart, dafs dieser
neuen Namensform zugleich die Bedeutung innewohnte, den so
Benannten, ohne die Erinnerung an die beiden ursprünglichen
Namen, den historischen einerseits, den mythologischen anderer-
seits, zu verwischen, doch nicht als Beowa geradezu, sondern
nur als einen Helden im Geiste und von der Art, dem Sinne***
und vor allem von der Stärke des Beowa zu bezeichnen. So
wurde unter den Angelsachsen in England der Sohn EcgI)eow8,
der Neffe Hygeläcs, der infolge des Geatenzuges gegen die
Franken aus der Zeit zwischen 512 und 520 berühmt gre wordene
* ten Brink a. a. O. 30; MüllenholT a. a. O. 174 fin., 175 init.
** Vgl. Müllenlioff" bei Haupt VII, 419; XII, 282; ten Brink 30 unten f.
*** MüUenhoff a. a. O. XII, 284.
über Ursprung un<l Entwickulung des Beowulfliedes. 145
historische Held, unter dem Namen Beowulf, als Wettschwimmer
mit Breca, als Besieger Grendels und seiner Mutter, als Käm-
pfer mit dem Drachen, also als Vollbringer von Thaten gefeiert,
die ursprünglich von dem mythischen Beowa gesungen worden
waren.
Aber trotz seiner Entrückung in die mythische Sphäre
geriet seine Beziehung zur Geschichte nicht in Vergessenheit.
Die Erinnerung an seine Abstammung von Ecgpeow, an sein
Verhältnis zu Hygeläc zieht sich wie ein roter Faden durch das
ganze uns vorliegende Beowulfepos hindurch. Man denke nur
an die immer wiederkehrenden Epitheta: bearn Ecgpeöwes, sunu
Ecgl)eöwes, Hygelaces rajeg, Hygeläces pegn, und an deren
Varianten: maga Ecgpeövves, Hygeläces m^g and mago-pegn,
lind-gestealla, geselda u. a.*
Nachdem wir die fundamentalen Elemente des Beowulf so-
weit kennen gelernt und betrachtet haben, scheint es hier der
geeignetste Ort zu sein zur Entscheidung zweier sich uns nun-
mehr noch aufdrängender Fragen, nämlich erstens: wie hat sich
auf und aus jenen Elementen das Epos bis zu seiner endgül-
tigen, einheitlichen Gestalt aufgebaut, und zweitens: wann ist
dieser letzte Ausbau vor eich gegangen?
Um zunächst die zweite Frage zu beantworten, so ergiebt
sich — alle zeitbestimmenden Momente, auf die bereits oben
zum Teil aufmerksam gemacht worden ist, zum Teil noch weiter
unten im Verlauf der Auseinandersetzung hingewiesen werden
wird, ins Auge sefafst — als wahrscheinlich, dafs diese Ab-
fassung des Beowulf etwa in der Mitte, spätestens aber in der
zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts stattgefunden habe.**
Was aber die andere Frage anbetrifft, die Frage nach der Art
und Weise der endgültigen Bearbeitung des Stoffes und Zu-
sammensetzung des Beowulfepos, so findet diese, wie mich dünkt,
eine vollkommen befriedigende Erledigung durch die in Haupts
Zeitschr. XIV, S. 193—244 (Berlin 1869) erschienene Abhand-
lung von Müllenhoff: „Die innere Geschichte des Beowulfs."
* Gesammelt nebst Angabe der Belegstellen und besprochen finden
sich dieselben bei Schemann, Synonyma im Beow., S. 12 f., 60.
** Vgl. Grimm, Heldens.'- 13.
Arcliiv f. n. Sprachen. LXXI. 1"
14i; Über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes.
Nach MüIlenhofF ist unser Beowulf sechs, der Sprache und
Zeit nach nicht merkHch einander fernstehenden Verfassern zu-
zuschreiben:
1) Zuerst entstand die Stelle, welche jetzt die Verse 194
bis 837 umfefst, von Beowulfs Kampf mit Grendel handelnd
(Lied I).
2) Gleich alt, doch von einem anderen Verfasser ist V. 2201
bis 3184, d. h. die Schilderung von Beowulfs Kampf mit dem
Drachen und von seinem Tode (Lied IV).
3) Bald erhielt das Lied von Beowulfs Kampf mit Grendel
durch einen dritten Dichter eine Fortsetzung: Beowulfs Kampf
mit Grendels Mutter, V. 838—1629 (Lied II).
4) Darauf wurde von vierter Hand V. 1 — 193, über die
Genealogie der Scyldinge von Scyld Scefing bis Hrödgär, dessen
Prachtbau und Bedrängung durch Grendel handelnd, dem übrigen
vorgesetzt (Einleitung).
5) Darauf legte ein fünfter Dichter Hand an das Werk,
indem er
a) eine neue Fortsetzung, V. 1630—2200, d. h. die Er-
zählung von Beowulfs Heimkehr ins Geatenland hinzufügte
(Lied III);
b) Zusätze in die Lieder I und besonders II einschaltete
(Interpolator A).
6) Der sechste V^erfasser, der letzte Bearbeiter und eigent-
liche Interpolator des Gedichtes, endlich — vielleicht ein Geist-
licher an irgend einem der angelsächsischen Höfe — verband
das zweite alte Lied vom Drachenkampf etc. (Lied IV) mit dem
von A bis V^. 2200 fortgeführten Werk und versah alle bis-
herigen Teile mit Einschiebseln ; ihm kam es auf keinen Grund,
sondern nur auf die Gelegenheit an, um seine Weisheit und
seine Einfälle anzubringen; ihm gehören nach Müllenhoff von
der Einleitung 67 Verse, 121 von Lied I, 265 von II, 172
von III, 544 von IV an. Er ist der Autor der vielen theologi-
sierenden Zusätze und der meisten wohl oder übel angebrachten,
nebenherlaufenden Reminiscerzen und ausführlicheren Abschnitte
aus Volks- und Stammsagen (Interpolator B).*
* Müllenhoft'a. a. O. XIV, 193, 242 f., 214 Z. 30, 217 Z. 7, 219 Z. 17 u. a.
über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes. 147
Mitten in die Entwickelung des Beowulf, welche — wie
oben gezeigt — in ihren ersten Anfängen bis gegen die Mitte
des sechsten Jahrhunderts hinaufreicht, fallen jedoch noch zwei
Ereignisse, die auch für die Gestaltuno; des angelsächsischen
Epos nicht ohne Einfluls bleiben konnten. Dies war einmal die
Einführung des Schrifttums.
Die neu auftauchende Schrift stand zunächst ganz im
Dienste einer lateinischen Litteratur und war eben auch keine
andere als die lateinische Schrift mit einigen der alten nationalen
Schrift entlehnten Änderungen. Es hatte nämlich auch in älterer
Zeit bereits eine Art von freilich gleichfalls nicht eigentlich
nationaler, sondern importierter Schrift, nämlich alte phönizisch-
europäische Lautzeichen, die sogenannten Runen gegeben, aber
deren Verwendung war eine sehr beschränkte gewesen : nur zu
Sprüchen oder zu Inschriften auf allerlei Gegenständen, wie
VV^affen, Schmucksachen, Trinkgefäfsen, Steinen u. dergl. hatte
die Kunenechrift gedient, oder sie war, auf Stäbe oder Scheite
geritzt oder eingeschnitten, beim Loswerfen oder als Zauber-
formeln zur Anwendung gekommen ; zu gröfseren Niederschrei-
bungen war dieselbe nie benutzt worden.*
Jetzt, nachdem die lateinische Schrift Eingang gefunden,
wurden bald auch Versuche mit der Aufzeichnung landessprach-
licher Produkte gemacht. Auch die volkstümlichen Gesänge,
die bis dahin nur durch den Strom des epischen Gesanges in
'mündlicher Überlieferung getragen worden waren, begann man
jetzt aufzuzeichnen. So wurde nun, was von Beowulf überliefert
worden war, niedergeschrieben,** und nach MüllenhofF hätten
die älteren Textteile nicht allein B, sondern auch schon A in
schriftlicher Aufzeichnung vorgelegen ; man könnte dies daraus
schliefsen, dafs ihre Einschaltungen bis auf wenige geringe Aus-
nahmen den älteren Text mit Änderungen verschonten. Ja, ohne
Zweifel wäre mit der schriftlichen Aufzeichnung des Beowulf
• Vgl. Weinhold, Altn. Leben, S. 407—416 (Berlin 1856), woselbst
auch die entsprechenden Bezugnahmen auf Liliencron, Zur Runenlehre
(Halle 1852) zu finden sind.
** ten Brink a. a. 0. 33, 34.
10*
148 Über Ursprung und Entwickeliing des Beowulfliedes.
der Anfang gemacht worden oder bereits gemacht gewesen, als
die Einleitung zu 1 und II hinzukam.*
Aber die Einführung des Schrifttums war nur das Ergeb-
nis eines anderen bedeutsamen Ereignisses : der Verbreitung des
Christentums.
Die Briten waren schon vor dem Eindringen der Germanen
in England Christen ; aber ein christianisierender Einflufs ihrer-
seits auf die Angelsachsen hatte sich nicht geltend gemacht.
Erst gegen Ende des sechsten Jahrhunderts begann die christ-
liche Lehre infolge des rastlosen Eifers Gregors des Grofsen
unter den Angelsachsen Wurzel zu fassen. König Ädelberht
von Kent, der mit Bertha, einer christlichen Prinzessin, der
Tochter des Frankenkönigs Charibert I., vermählt war, liefs
sich im Jahre 597 taufen, und seinem Beispiele folgten bald die
meisten seiner Unterthanen. Im Verlauf des siebenten Jahr-
hunderts wurden auch die anderen angelsächsischen Staaten zum
Christentum bekehrt.
Die verhältnismäfsig rasche Ausbreitung der neuen Lehre
unter den kriegerischen Stämmen der Angelsachsen, ohne die
Gewalt fremder Waffen, blofs mit Hilfe einheimischer Volks-
könige durch einige Missionäre, ist hauptsächlich dem milden,
freundlichen Wesen dieser römischen Glaubensboten und der
verständigen Art, mit der sie bei ihrer schwierigen Aufgabe zu
Werke gingen, zuzuschreiben. Dui'ch Rücksichtnahme auf die
Sitten und die Anschauungen, die sie vorfanden, Schonung der
nationalen Sprache und Gesänge trugen sie selber nicht wenig
dazu bei, die Herzen des Volkes für sich und ihre Predigt zu
gewinnen. Die fremden Elemente machten sich zunächst nur
in Kirche, Kloster und Schule geltend; in der Methalle konnten
die alten Lieder nach wie vor von den Sängern im Kreise der
lauschenden Helden vor dem Hochsitz des Königs unbeanstandet
vorgetragen werden. So ging auch Beovvulf und seine Thaten
im Gesänge nicht unter.** Freilich ganz unberührt und unbeein-
* MüUenhoff' bei Haupt Xl\ , S. 194.
** ten Brink a. a. O. 34.
über Ursprung und Entwickelung des Beowulf liedes. 149
flufst konnte sich der neuen Lehre gegenüber das ags. Epos
doch selbstverständlich nicht erhalten. Denn wenn auch die
Haltung des Ganzen — um mit ten Brink zu reden — keine
Änderung erfuhr, den epischen Helden kein christliches Gewand
übergeworfen wurde, Ton und Inhalt im ganzen ihr ursprüng-
liches Kolorit bewahrten, so wird doch gewifs manches, was
unmittelbar an das Heidentum erinnerte, allmählich getilgt, man-
ches in Sitte und Ausdruck gemildert worden sein; ja es mufste
sich unser Lied andererseits sog^ar creradezu Zusätze in christ-
lieh - theologischem Sinne gefallen lassen. Am stärksten litt
das Epos in dieser Beziehung, M'ie wir oben gesehen, unter
der Hand des Dichters, den MüllenhofF als den Interpolator B
bezeichnet: desselben, dem wir auf der anderen Seite auch
die Einschaltung der zahlreichen historischen Episoden ver-
danken.
Ohne das Christentum wäre dem Beowulfepos vielleicht noch
ein weiterer Schritt heidnisch-nationaler Entwickelung beschieden
gewesen. Nun aber wurde der lebendige Zusammenhang der
mythischen Überlieferung unterbrochen, die Triebkraft der epi-
schen Dichtung zerstört, so dafs wir — wie ten Brink, Engl.
Litt., S. 35 dies in sehr charakteristischer Weise bezeichnet —
im Beowulf ein halbfertiges, gleichsam mitten in der Entwicke-
lung erstarrtes Epos vor uns haben. Immerhin aber mufs es
als ein unschätzbares Glück betrachtet werden, dafs das Epos
wenigstens doch in dieser Gestalt der Nachwelt erhalten geblie-
ben ist.
Dies hat, abgesehen davon, dafs — wie bereits gesagt —
seine Existenz nicht durch einen übertriebenen Glaubenseifer
seitens der christlichen Missionäre und Geistlichen bedroht
wurde, zum nicht geringen Teile aber wohl auch darin seinen
Grund, dafs seine Verbreitung, Beliebtheit und Bedeutung bei
den Angelsachsen aller Wahrscheinlichkeit nach doch eine ziem-
lich grofse gewesen sein wird. Und ich mufs in dieser Be-
ziehung durchaus der Ansicht R, Merbots entgegentreten, die
dieser in seiner Schrift „Ästhetische Studien zur ags. Poesie,
Breslau 1883" S. 33 verlauten läfst, dahin sich äufsernd, „dafs
es hiefse, auf Wolken wandeln, wenn man eine grofse Bekannt-
150 Über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes.
Schaft des Beowulfliedes oder gar ein hohes Alter desselben
annehmen wollte. — Die alten Lieder hätten wohl, wenn über-
haupt, Beowulf nicht als grofsen Helden gekannt. Höchstens
könnte er eine untergeordnete Rolle in dena Sagenkreise irgend
eines angelsächsischen Stammes gespielt haben" u. s. w. Wer
sich je ernstlich in den Inhalt des Beowulf und in die Frage
nach seiner Entstehung vertieft und sich bemüht hat, zu einer
naturgemäfsen Beantwortung derselben zu gelangen, der
kann unmöglich auf solche Schlüsse verfallen, wie sie sich uns
bei Merbot a. a. O. präsentieren.
P^twas anderes ist es nun freilich, unter welchem der ags.
Stämme: ob unter dem anglischen Teile der Bevölkerung, wie
einige meinen,* oder unter dem sächsischen, wie andere ver-
muten,** — in welchem der ags. Dialekte: deren uns vier, der
nordhumbrische im Norden, der mercische in der Mitte, der
westsächsische im Südwesten, der kentische im Südosten, mehr
oder weniger bekannt sind, die Entstehung des Beowulfepos zu
suchen sei; welchen Weg der Verbreitung und Bekanntwerdung
unter anderen ags. Stämmen es nachher etwa eingeschlagen
habe. Zur Beantwortung dieser Fragen fehlt uns zur Zeit leider
noch jeglicher sichere Anhalt.
Die sprachliche Form, in der uns das Lied vorliegt, verrät
im ganzen den Charakter des Jahrhunderts, aus dem die Hand-
schrift zu stammen scheint (die einzige, die wir von dem Ge-
dichte besitzen, der Codex Cottonianus, im British Museum zu
London befindlich): des zehnten Jahrhunderts, speciell den Dia-
lekt, der infolge der Vereinigung der ags. Reiche unter der
westöächsischen Dynastie (827) zur allgemeinen litterarischen
Sprache erhoben wurde und in den manche ursprünglich in
einem anderen Dialekt abgefafste Denkmäler umgeschrieben
worden sind:*** den westsächsischen; wobei jedoch zu berück-
sichtigen ist, was E. vSievers in seiner „Angelsächsischen Gram-
* Z. B. ten Brink a. a. O. 85; Möller, Das altengl. Volksepos, S. 127.
\'gl. autli Rönning, Beov.-Kvadtt, S. 107.
** Z. B. Dederich, Hist. u. geogr. Studien, ö. 19, auf Grund der Bi;-
noerkungen Müllenlioirs bei Haupt XIV, 243.
*** Fiedler, Wisseuschaftl. Grammatik der englischen Sprache ^ I, S. 27
(Leipzig 1877).
über Ursprung und Entwickelung des Beowulf liedes. 151
matik, Halle 1882" Seite 2 bemerkt, dafs näailich die Hand-
schriften der poetischen Denkmäler, meist aus dem zehnten bis
elften Jahrhundert stammend, keinen reinen Dialekt aufwiesen,
sondern Mischung zeigten einmal älterer und jüngerer Formen,
andererseits gelegentlich auch solcher, die anderen Dialekten
angehörten.
Setzen wir, wie oben geschehen, die endgültige Konstituie-
rung des Beowulfepos noch in den Ausgang des siebenten Jahr-
hunderts, so würde zwischen seiner ursprünglichen Fassung und
der Gestalt, in der wir das Gedicht kennen, eine Zwischenzeit
von mehr als zwei Jahrhunderten anzunehmen sein. Aber gerade
diese Zwischenzeit, wo soeben das Christentum und zwar durch
direkten römischen Einflufs festen Fufs gefafst und allgemeine
Verbreitung gefunden, wo Egbert durch Vereinigung der ags.
Reiche gröfsere Ruhe und Ordnung gestiftet, des grofsen, selbst
litterarisch thätigen Alfreds Regierung (871 — 901) segensreich
gewirkt hatte, so dafs sich das Land von den Plünderungen
und Brandschatzungen, die es mittlerweile von den Dänen hatte
erleiden müssen, und denen auch eine Menge von Klöstern mit
ihren Büchersammlungen zum Opfer gefallen war,* wiederum
Erholung schöpfen, ja zu seiner höchsten staatlichen Blüte sich
emporschwingen konnte — ich sage, gerade diese Zwischenzeit
konnte nicht vorübergehen, ohne dafs nicht zugleich auch die
Sprache der Angelsachsen zu ihrer weiteren Entwickelung und
Fortbildung hätte Gelegenheit finden sollen.
Bei alledem aber zeigt doch, wenigstens was die Syntax
und die Ausdrucksweise anbelangt, die um mehrere Jahrhun-
derte von der Redigierung des Epos entfernt liegende Hand-
schrift — die kurzen, abgerissenen, oft unverbunden und un-
vermittelt sich folgenden Sätze, der sparsame Gebrauch der
Mittel, deren die Alfredsche Sj)rache sich zu logisch genauerem
Ausdrucke bedient, wie Artikel, Pronomen, Präposition und
Konjunktion — uns den Beowulf im wesentlichen in seinem
archaistischen Gepräge. Nur die lautliche, die etymologisch-
grammatische Gestalt und die Orthographie bildeten bei späterer
* ten Brink a. a. O. 87.
152 Über Ursprung und Entwickelung des Beowulfliedes.
Abschreibung des Gedichtes den Gegenstand der Überarbeitung
und Modernisierung.* Leider konnte es dabei naturgemäfs nicht
ausbleiben, dafs hier und da, statt Textverbesserungen, Text-
korruptionen sich mit einschlichen.**
* Vgl. Koch, Histor. Grammatik der englischen Sprache I, S. 8.
** Schliefslich sei noch bemerkt, dafs die von Vigfüsson entdeckten und
danach von Gering in Anglia III, S. 74 ff. (Halle 1880) mitgeteilten Ähn-
lichkeiten zwischen dem Beow. und der isländ. Sage von Grettir (f IO;il)
— so lange nichts weiteres darüber ermittelt ist — für die Kompositions-
frage des Beow. bedeutungslos zu sein scheinen. Vielleicht ist einfach an
Imitation zu denken.
Bromberg 1883. Th. Krüger.
über die Sprache und Metrik
der mittelenglisclieii weltlichen und geistlichen lyrischen Lieder
des Ms. Harl. 2253.
Das Ms. Harl. 2253 ist für die Kenntnis der mengl. Lyrik von der
gröfsten Bedeutung, denn es ist die einzige Handschrift, welche einen
vollen Einblick in dieselbe gewährt. Die englischen Gedichte dieser
Handschrift sind von Wright herausgegeben als „Specimens of Lyric
Poetry". Kürzlich sind sie neu ediert von Böddeker unter dem
Titel: „Altengl. Dichtungen des Ms. Harl. 2253." — Wir wollen
im folgenden die Sprache und Metrik der weltlichen und geistlichen
Lieder jener Sammlung (Böddeker p. 144 — 232) näher untersuchen
und zum Schlufs die wörtlichen Anklänge zwischen den einzelnen Liedern
zusammenstellen.
I. Die Sprache.
Wright hat nachgewiesen, dafs das Ms. Harl. 2253 in Hereford-
shire im Anfang des 14. Jahrh. geschrieben ist. Der Schreiber des
Ms. schrieb im allgemeinen alle Gedichte in demselben Dialekt nieder,
in dem des südwestlichen Englands. Aber in vielen Gedichten finden
sich auch einzelne Formen, die zu diesem Dialekte nicht stimmen. Diese
Lieder hat also der Schreiber aus einem anderen Dialekte übertragen.
Wir wollen untersuchen, wie weit es möglich ist, den ursprünglichen
Dialekt jedes Liedes festzustellen.
ten Brink in seiner Litteraturgeschichte Band I, Buch HI,
Kap. 7 bezeichnet den Dialekt verschiedener Lieder. Nach ihm
hat Böddeker in der Einleitung, die er jedem Gedichte vorausschickt,
versucht, den Dialekt desselben festzustellen. Böddeker stützt sich
in seiner Untersuchung indessen nur auf die Flexion der Verba und
154 Über dii', ISprache und Metrik
ein j)aar Formen der Pronomina als Kriteria. Zuweilen bezeichnet er
den Dialekt eines Gedichtes, ohne überhaupt einen Grund für seine
Behauptung anzugeben. Auch geben solche Verbal- und Pronominal-
fornien durchaus keine absolute Sicherheit über den Dialekt des Ori-
ginals, da sie, wenn sie nicht durch den Reim gesichert sind, sehr leicht
von irgend einem Schreiber herrühren können, um ein sicheres Re-
sultat zu erlangen, mufs man der Untersuchung, soweit es bei so wenig
umfangreichen Texten überhaupt möglich ist, eine breitere Grundlage
geben. Das wichtigste Kriterium, welches Böddeker gar nicht beachtet
hat, ist die Phonologie der Gedichte, besonders die Laulverhiiltnisse,
wie sie im Reim sich zeigen. Daneben müssen wir uns auf die Flexion
und den Wortschatz stützen.
Aber neben der grammatischen Untersuchung zeigt sich noch ein
anderer und direkterer Weg, den Dialekt der Gedichte zu bestimmen.
Wir treffen nämlich glücklicherweise in mehreren Liedern (WL. I, V,
IX, XII, GL. XII) geographische Namen an, die uns einen Wink
geben über die Gegend, wo sie verfafst worden sind.
Der Dichter von WL. I enthüllt seinen Namen John (v. 50)
und sagt von seiner Geliebten (v. 27): from Weye he is wisist into
Wyrhale. W^right wies zuerst auf diese Stelle hin, welche beweist,
dafs der Dichter in dem Teile des westlichen Englands lebte, welcher
von dem Irischen See und dem Wye, einem Nebenflusse des Severn,
begrenzt wird.
Derselben Gegend gehört der Dichter von WL. V an, welcher
sein Lied mit den Worten beginnt : Mosti riden by Ribbesdale.
In WL. IX, 30 haben wir eine andere Anspielung. Der Dichter
dieses Liedes warnt vor der Treulosigkeit der Männer und sagt, dafs man
treulose Männer finden könne: from Leycestre to Lounde, Nach dieser
Stelle scheint der Dichter in der Gegend von Leicester gelebt zu haben.
Der Dichter von WL. XII macht eine ähnliche Anspielung. Er
behauptet v. 17, dafs seine Geliebte die schönste sei: bitwene Lyncolne
and Lyndeseye, Norhamptoun and Lounde. Die Heimat dieses Dichters
wird daher im östlichen Mittelland zu suchen sein.
Der Dichter von GL. XII erzählt v. 11, wie er über seine Sünden
nachdaclilp, als er einst auf die Jagd ritt: from Petrehbourli. Dieser
Dichter hat demnach in Peterborough in Northamptonshire gewohnt.
Aus den geographischen Anspielungen haben wir also geschlossen,
dafs alle diese fünf Gedichte dem Mittellande angehören, WL. I und V
der mittelengliscben lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 155
dem westlichen, WL. IX, XII und GL. XII dem östlichen. Auf diese
Gedichte, deren Dialekt festgestellt ist, können wir uns bei der weiteren
Untersuchung stützen.
Für die grammatische Untersuchung schlagen wir folgendes Ver-
fahren ein. Zuerst suchen wir die Gedichte nach den charakteristischen
Unterschieden des nördlichen, südlichen und mittleren Dialektes zu
gruppieren. Die gewöhnlichen Kriteria hierfür sind der Laut des ae. y
und y, des ae. ä und des ti vor m und n, ferner die Flexion der Verba
im Präs. und der Wortschatz. Ein anderes Kriterium, dessen Wich-
tigkeit Prof. ten Brink hervorgehoben hat, ist der Laut des mengl. e,
nämlich, wie weit es ee und wie weit ee ist. 8chliefslich wollen wir
die Phonologie in allen anderen Punkten prüfen, um eine klare Über-
sicht über die Sprache der Gedichte zu erhalten und auch dabei ihre
Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung hervorzuheben.
y-
Die Geschichte des ae. y, des Umlautes von u, im Mengl. ist von
grofser Wichtigkeit für die Dialektforschung. In den nördlichen und
südlichen Dialekten wird ae. y im Mengl. als y oder i geschrieben und
hat den Laut i; im südöstlichen England, besonders in Kent ist es e
geworden; und in den südwestlichen Dialekten hat es den ae. Laut u'
bewahrt, der indessen nach Analogie des Lautes des frz. ü seil dem
12. Jahrh. u geschrieben wird. Die Entwickelung des ae. y ist daher ein
wichtiges Kriterium, um den Dialekt eines mengl. Denkmals zu fixieren.
Da Ms. Harl, 2253 im westlichen England geschrieben ist, so
gebraucht es gewöhnlich u, um ae. y darzustellen. In den Gedichten,
die der Schreiber aus einem anderen Dialekte umschrieb, konnte er
immer ae. y als u darstellen im Inneren der Verse oder wenn es nur
mit ae. y reimte. Wenn es aber mit i oder e reimte, so waren solche
Reime in seinem Dialekt nicht kojrekt, und dann bewahrte er gewöhn-
lich die Formen des Originals.
Beispiele, dafs ae. y u geschrieben ist und nur mit ae. y reimt,
sind nicht häufig: GL. III, 3 miinne (-: ae. mynian) : sunne (= ae.
synn) : punne (= ae. ]iynne) : wunne (=r ae. wynn). Ähnliche Reime
sind GL. XVIII, 31, WL. VI, 38, 45.
In verschiedenen Liedern reimt aber ae. y mit i; ihre Originale
müssen daher in einem mittlerisn oder nördlichen Dialekte verfafst
sein: WL. XI, 17 blynne (=: i) : kynne (=i y) : synne (= y) :
156 Über die Sprache und Metrik
wynne (= i). — GL. XIII, 5 byginne (= i) : wynne (= i) : blynne
(= i) : synne {= y).* — GL. X, 22 synne {= y) : blynne (= i).
Ebenso GL. VIII, 54, IX, 8, XIV, 24.
Zuweilen hat der Schreiber ungenaue Reime, indem er u = ae. y
schreibt, trotzdem es mit i reimt: WL. XIV, 10 munne (= y) : knnne
(= y) : sunne (:= y) : ywynne (= ae. winnan). — WL. VII, 25
y wisse (= i) : blisse (=r i) : eusse (ae. cyssan) : his (= i).
Alle diese Gedichte, WL. VII, XI, XIV, GL. VIII, IX, X,
XIII, XIV, welche ae. y mit i reimen, stimmen nicht zu dem Dialekle
des Schreibers, sie gehören einem mehr nördlichen Dialekte an.
In ein paar Reimen ist ae. y durch y dargestellt, obgleich es nicht
mit i reimt: WL. VI, 14 wynne (= y) : synne (= y) : J)ynne (= y) :
mynne (= y). Ebenso GL. IX, 34, XI, 58. Innerhalb des Verses
ist ae. y nur an folgenden Stellen y geschrieben: WL. VII, 38 lystne
(= ae. hlystan); GL. I, 50 un wynne; GL. VIII, 40 myne (= ae.
mynian); GL. X, 26 IiynkeJ); GL. X, 18 synnes (plur.); GL. XII, 22
synne. Hierhin gehört auch die Form WL. XI, 15 mykel = ae. micel,
wo aber das i zu y geworden sein mufs (cfr. i).
In mehreren dieser Lieder ist der Laut i für ae. y schon durch
den Reim gesichert, nämlich in WL. VII, XI, GL. VIII, IX, X.
Für die übrigen, WL. VI, GL. I, XI, XII, ist wenigstens anzunehmen,
dafs die Vorlage des Schreibers den mittelländischen oder nördlichen
Dialekt zeigte.
In dem subst. kyng = ae. cyning ist das ae. y in allen Dialekten
zu i geworden. GL. VIII, 169, WL. IX, 14 etc.
Wir haben keinen Grund, für irgend ein Gedicht ein Original
von südöstlichem Dialekt anzunehmen. Der Reim GL. IX, 13 deye
(= anord. deyja) : beye {=z ae. bycgan) beweist nicht, dafs der Umlaut
von u den Laut e angenommen hat ; in demselben Gedichte ist ae. y
mehrmals y geschrieben und reimt mitae. i. — Das Particip des ae. J^yr-
lian, welches GL. VII, 13 als Jiurled erscheint, wird GL. XII, 10
ftcrled geschrieben. Indessen ist diese Form mit e nicht auf den süd-
östlichen Teil Englands beschränkt ; wie wir schon ans einer geo-
graphischen Anspielung ersehen haben, gehört GL. XII dem östlichen
Mittellande an; auch zeigt es v. 22 synne (= ae. y),
* Derselbe Reim findet sich auch in der Version des Ms. Eprerton 613,
und dies spricht gegen BöJdekers Ansicht über das Verhältnis der beiden
Versionen.
der mittelenglischen Ijiisclien Lieder des Ms. Harl. 2253. 157
y-
Ae. y, der Umlaut des ü, hat dieselbe Ent Wickelung im Mengl.
genommen wie ae. y. Es ist demnach in unserem Ms. gew. u ge-
schrieben: WL. III, 35 prüde :=: ae. pryta; GL. II, 25 hure 3= ae.
hyr. Im Reim findet sich diese Schreibweise nur einmal WL. VI, 44
luppe (= ae. hlyp) : cluppe {= ae. clyppan) : asluppe (=: *ae.
äslyppan, von ae. äslüpan) : huppe (niederd.). In diesem Reim sehen
wir aber das ae. y kurz geworden.
In zwei Gedichten reimt ae. y mit i. Diese Lieder müssen des-
halb einem mittelländischen oder nördlichen Dialekte angehören : WL.
XI, 21 kype (:= ae. cydan, Inf.) : blyjie (::= i) : syj)e (= i) : mythe
(= ^), und GL. III, 60 fyle (zu ae. fylan) : while {= ae. hwil).
Unser Ms. zeigt auch y für ae. y, obgleich es nicht mit i reimt,
WL. VII, 53 bryd (= ae. bryd) : hyd (Particip von ae. hydan). —
Im Inneren der Verse findet sich ae. y als y oder i nur GL. XIV, 5
lyl)e (= anord. hlyda), GL. XVII, 59 fyl (zu ae. fylan) ; WL. IV, 40
und X, 17 brid (= ae. bryd).*
Alle diese Formen, in denen y oder i einem ae. y entspricht,
werden Reste einer mittelländischen oder nördlichen Vorlage sein, die
unser Schreiber kopierte.
In dem Instrumentalis ae. \)y und hwy ist das y in allen Dia-
lekten i geworden : WL. II, 23 forjji, WL. VI, 25 why, GL. III, 50 whi.
Reste eines südöstlichen Dialektes finden sich in keinem Gedichte
vor. Hede reimt freilich mit e in GL. XVI, 33, WL. I, 48, V, 42,
aber schon im Ae. giebt es hedan neben hydan. — GL. XIV, 35
pestru (:= ae. {)ystru, peöstru) ist ebenso aufzufassen.
a.
Ae, ä ist öö geworden im südlichen England und im gröfsten
Teile des Mittellandes, im nördlichen England ist ä erhalten. In dem
Ms. Harl. 2253 entspricht dem ae. d fast immer ein o. Dies öö =
ae. ä reimt gewöhnlich nur unter sich, so WL. XI, 29, GL. I, 68,
II, 49. Alle die Gedichte, welche dies o = ae. ä mit unveränder-
lichem o reimen, müssen in einem südlichen oder mittelländischen Dia-
lekte verfafst sein, und es finden sich viele Beispiele solcher Reime:
o = ae. ä reimt mit ae. Ö, welches in offener Silbe lang geworden
* Das letzte Beispiel zeigt, dafs doch, wenn auch selten, der Buch-
stabe i für ae. y vorkommt, was Böddeker S. 9 u. bestreitet.
158 Über die Sprache und Metrik
ist und den Laut öö hat, in GL. I, XV, XVIII: I, 52 sore (:= ä) :
namore (= ä) : lore {= a) : fröre (= Particip froren) : jore (= ae.
geara). XV, 33 sore (= ä) : forlore (Particip) ; ybore (Particip).
XVIII, 10 more (=: ä) : fore (= for) : sore (= a) : ore (= ä).
o = ae. a reimt mit frz. oder Wallis. 5 in GL. IX, XII, XIII:
IX, 9 non (= ä) : Symeon. XII, 37 sor (=: ä) : tresor (frz.).
XIII, 33 gost (= ä) : wost (■= a) : most (=3e) : bost (= waU. böst).
Das unbestimmte Pronomen nobt (= ae. ne äwiht, näht) reimt
sehr häufig mit ae. o oder 6 : GL. XVI, 9 boht (= ae. boht, Particip
von bycgan) : wroht (j=: ae. worht, Part, von wyrcan) : noht : soht
(= ae. söht, Part, von secan). Solche Reime finden sich in WL. IV,
V, VII, IX, GL. III, VI, VII, VIII, IX, XVI, XVII.
In GL. V, VIII, XVII ist o = ae. ä im Auslaut öö geworden,
denn es reimt mit o = ae. ö, welches den Laut öö hat: V, 25 so
(= ae. swä) : to (= ae. tö) ; VIII, 77 so (= ae. swä) : do (= ae.
don) : wo (= ae. wä) : fro (= ae. främ). XVII, 49 tuo (= ae. twä) :
do {= ae. don).
Auch einige andere Beispiele finden sich, wo o = ae. ä mit o =
ae. ö reimt: WL. I, 37 grone (= ä) : done (Part, don); WL. IV, 25
wot (= ä, Präs. V. witan) : lot (= anord. lät) : raot (=z ä) : blöd
(= ö) : GL. II, 25 nome (= ae. nämon, Prät. von niman) : come
(Prät. V. ae. cuman) : lome (= ae. löma).
In ein paar Gedichten entspricht dem ae. ä ein a, diese müssen
also einem mehr nördlichen Dialekte angehören. Der Schreiber war
genötigt, solche Formen zu bewahren, wenn sie durch Reim mit un-
wandelbarem a geschützt waren; Diese Lieder sind GL. VI, XIV,
XVI. VI, 1 care (=: ae. cearu) : bare {= ae. baer) : sare (= ae.
sär); XIV, 43 mawen (= ae. mägon) : dawen (= ä) : slawen (= li,
Part.) : haven (Inf.); XVI, 26 drawe (= ae. dragan) : hawe (= ae.
heäb, afries. hach?) : knowe (= ä) : lowe (= anord. lägr). Ein
korrekter Reim verlangt hier die Formen knawe und lawe, die Böddeker
auch in den Text wieder eingesetzt hat. Die Form gale WL. I, 26
ist nicht mit Böddeker von ae. gäl, sondern von ae. galan abzuleiten,
cfr. Stratmann Dict.
In den drei Liedern GL. VI, XIV, XVI entspricht sonst immer
ein o dem ae. ä, in VI und XVI sogar im Reim mit ae. 6, VI, 4 noht
(= ae. näht) : poht; XVI, 13 noht (= ae. näht) : soht. Diese beiden
Gedidile werden woh! dem nördlichen Mittellande angehören, da sie
(Jer mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 159
ae. ä mit unwandelbarem a und mit unwandelbarem o reimen. In
GL. XIV reimt ae. ä nur noch mit ae. ä: v. 46 bon : non. Wenn
diese Formen dem Original angehören, so ist auch dies Lied dem nörd-
lichen Mittellande zuzuweisen.
Im Inneren der Verse ist a r= ae. ä selten. Die Form GL. IX, 35
naht (:=: ae. näht) ist nicht auf Northumbrien beschränkt, da in diesem
Worte das ae. ä in manchen Dialekten wegen der folgenden Doppel-
konsonanz gekürzt wurde (cfr. PL. VI, 170 naht : ylaht, Böddeker
p. 131). Wenn diese Form dem Original von GL. IX angehört, so
wird wohl der Dialekt dieses Gedichtes verschieden sein von dem der
anderen Gedichte, welche die Form noht durch den Reim gesichert haben.
Die im Cod. Digby 86 enthaltene Version von GL. IX ist an der ent-
sprechenden Stelle verderbt. Cfr. Anglia II, p. 254, v. 29. — Von
keiner Wichtigkeit ist GL. VIII, 73 saule (= ae. säwle) ; soule findet
sich GL. VIII, 23, 87, 96, auch VIII, 148 blac = ae. bläc. Wir
haben schon gesehen, dafs in beiden Gedichten GL. IX, 9 und VTII, 77
das o = ae. ä mit unwandelbarem o reimt.
Die Untersuchung des ae. ä ergiebt, dafs kein einziges Gedicht
unbedingt nach Northumbrien zu weisen ist; GL. VI, XIV, XVI
werden wahrscheinlich dem nördlichen Mittellande angehören.
a.
Vor den Konsonanten m und n wird ä im Aengl. häufisr zu o.
Dasselbe Schwanken zeigt sich im Mengl. Einige Dialekte bewahren
a, andere, besonders die südlichen und westlichen, ziehen o vor. Ms.
Harl. 2253 zeigt fast immer o.
Abgesehen von der Konjunktion ant finden wir stets o, wenn
auf m oder n noch ein anderer Konsonant folgt. GL. IX, 4 stonde
(= ae. standan) : honde (= ae. band). GL. VII, 35 strenge : longe;
WL. VI, 18 ponke (= ae. panc).
Auch vor einfachem m oder n ist gewöhnlich o geschrieben: GL.
XVIII, 1 mon : ron (Prät.), XVII, 4 con : mon etc.
Mehrmals reimt ae. a vor Nasalen mit o ■= ae. ä: GL. XI, 47
mon : gon (= ae. gän), ebenso WL. XIV, 16 mon : anon (^ an an) etc.
In einigen Gedichten ist zuweilen das ursprüngliche a vor m und n
erhalten. Dem Schreiber waren solche Formen nicht geläufig. Er
mufste sie jedoch gebrauchen, wenn ein Reim mit unwandelbarem a
ihre Umänderung verhinderte. Dies ist der Fall in WL. XI, 13 man :
160 Über die Spracht- und Metrik
am (= ae. eoin) : sham : lemman ; GL. XIII, 9 wan : man : am
(= ae. eom) : can ; X, 45 shame : blame (frz.). — Mehreremal sind
im Reim Formen mit a bewahrt, obgleich ihre Umänderung in den
Dialekt des Schreibers möglich ist: GL, VIII, 85 name : shame :
frame : tarne; XIV, 25 wynman : cam : man; XIV, 49 wymman :
cam : nam.
Selten findet sich a vor Nasalen im Inneren der Verse: WL. XI, 11,
GL. X, 22, XV, 3 shame; WL. V, 43 swannes; GL. VIII, 25 lem-
man, Vin, 54 mankynde ; X, 27 man; X, 7 ran (Prät. v. rinnan).
Dies sind die einzigen Beispiele; sie kommen meist in Gedichten vor,
die a auch in Reimsilben zeigen.
Resultat: germ. a vor m und n ist als a bewahrt in WL. XI.
GL. X, XIII; ferner in WL. V, GL. VIII, XIV, XV. Diese Ge-
dichte sind also wahrscheinlich in einem mittelländischen resp. nörd-
lichen Dialekte verfafst, obgleich eine absolute Sicherheit durch dies
Kriterium nicht erlangt werden kann, da Formen mit a zuweilen auch
in südlichen Denkmälern erscheinen.
Me. e.
Das rae. e ist aus verschiedenen ae. Vokalen entstanden. Hin-
sichtlich des Ursprungs und der Aussprache sind im Mengl. drei Arten
von e zu unterscheiden (cfr. ten Brink in Anglia I, 527):
Klasse a) 1) ae. sb = germ. ai ; 2) ae. eä = germ. au.
ß) 1) ae. £6 = germ. ä; 2) ae. » = germ. ai : i.
y) 1) ae. e := germ. ä : i, ö : i, au : i; 2) ae. eö = germ. eu.
Die Aussprache von Klasse y unterliegt keinem Zweifel, es ist
der geschlossene Laut ee. Die regelrechte Aussprache der Klasse a
ist der offene Laut ee. Die Klasse ß aber hat in den sächsischen Teilen
Englands den Laut ee, in den mercischen Dialekten den Laut ee.
Aufserdem können wir der Klasse a noch ein anderes ee hinzufügen,
welches durch Verlängerung des ae. e in offener Silbe entstanden ist
(beeren = ae. heran) oder durch Verlängerung des ae. se vor bestimmten
Konsonanten, z. B. GL. II, 42 wees (= ae. wajs) : lees (= ae. leäs).
Der Laut der Klasse ß ist von grofser Wichtigkeit, denn die Gedichte,
welche ß mit a reimen, gehören dem südlichen England, die, welche ß
mit y reimen, dem nördlichen oder mittleren England an.
Wir werden eine vollständige Tabelle der Wörter der Klasse ß
geben, welche mit Kla.^se a oder y reimen:
11
I
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 161
ßl reimt mit 7 (ee) : speche WL. XII, 9, leche WL. XII, 12,
ded (= ae. dged) WL. I, 45, GL. I, 8, III, 104, XVI, 37, XVIH, 24;
grede (= ae. gra;dan) GL. IX, 47, drede GL. I, 6, brede WL. I, 47 ;
wede WL. I, 43, GL. I, 10, HI, 31, jere WL. IX, 21, were (Impf,
von wesan) WL. V, 81, VI, 6, VII, 28, IX, 15, XIII, 17. wete
WL. IV, 26, XIV, 33, GL. IV, 20, XI, 8, 35. (un)sete WL. IV, 30;
XIV, 35, GL. I, 15, II, 51, III, 74, XII, 40; mete GL. I, 17, XI, 9.
ßl reimt mit « (ee) : read WL. IX, 16, GL. IV, 57, X, 36,
XVII, 85; rees GL. XVI, 42, mep GL. XVII, 46.
^l reimt mit y und «: leten hat ee in GL. II, 60, III, 68, 77,
IV, 18, VII, 45, XI, 6, XII, 38. Nur einmal reimt lete mit «:
GL. VIII, 68.
8 2 reimt mit y (ee): ene GL. VI, 12, mene WL. XI, 4; lere
GL. XIII, 17; mit a (ee): bileved GL. VII, 16.
Wir sehen aus dieser Tabelle, dafs die Klasse ß den Laut ee in
den meisten Gedichten hat, denn sie reimt mit der Klasse y in WL. I,
IV, V, VI, VII, IX, XI, XII, xm, XIV, gl. i, ii, iii, iv, vi,
IX, XI, XII, XIII, XVIII.
Reime mit der Klasse « (ee) kommen nur vor: GL. VIII, 68
leten : ybeten (^= ae. beäten) : sueten (:=. ae. swjfetan) : gredyn (= se),
und GL. XVII, 46 mej) : dej) (= ae. deäd). Das Subst. red = ae.
rajd hat immer ee in den Gedichten; diese Form wird wohl auch in
mittelländischen Dialekten gebraucht sein, um ein Zusammenwerfen
mit rede =: ae. redan, got. rödjan zu verhindern. Reime der Klasse ß
mit « und y finden sich in GL. VII und XVI: ee VII, 45 lete (= ae.
Iffitan) : bete (= ae. betan), aber ee VII, 16 bileved (^= ae. bilsefan,
got. bilaibjan) : heved (=: ae. heäfod). GL. XVI, 37 ee: dede (= ae.
diBd) : blede (= ae. bledan), aber ee XVI, 42 rees (ae. rses) : chees
(= ae. ceas) : lees (= ae. leäs) : pees (=r frz. pais).
Es ist noch zu bemerken, dafs immer ee ist in nede ( = ae. neäd,
iieöd) WL. IV, 58, GL. II, 47, XVI, 35, auch in eke (= ae. eäc,
ec) WL. V, 35. Vor j oder h scheint das e ebenfalls immer ee zu
s6in: GL. III, 30 heh (^ ae. heäh) : feh (= ae. feöh) : seh (= ae.
scäh), WL. V, 15 seje (= ae. ssego, Prät. v. seön) : bre^e (z— ae.
breaw) : heje (= ae. hetih) : dreyje (= ae. dreöge). Cfr. auch GL.
II, 13, XI, 45 etc.
Sehr wichtig ist es, dafs in einigen Gedichten Klasse « mit y
reimt. Der Reim GL. XVII, 58 heep (= ae. heäp) : keep (Subst.)
Archiv f. a. Sprachen. LXXt. 1 1
162 Über die Sprache und Metrik
läfst sich verschieden auffassen. Der Reimvokal ist wohl ee, also
heep : keep; diese Annahme wird durch die heutige Aussprache von
heap gestützt ; doch läfst sich vielleicht auch heep : keep lesen, da in
demselben Liede Klasse ß mit « reimt - v. 46 mep (= ä) : dep
(= eä) — und da auch Chaucer keep mit ee und ee gebraucht (cfr.
ton Brink a. a. O.). Der Reim GL. IX, IG dede (= ae. deap) : rede
ist zweifelliaft, Böddeker fafst rede = ae. redan, Inf., aber Zupitza
= ae. ra;d, Subst. Es ist aber sicherlich ee in GL. IX, 21 ded (= ae.
deäp) : fet {= e) ; ferner GL. I, 21 prete (= ae. preälian) :
swete (=: e).
Noch auffallender ist es, dafs wir die Klasse y (ee) im Reim mit
ae. 6 finden, das in offener Silbe lang geworden ist. Der Reim GL.
VIII, 1 8 bere (=: heran) : dere (= ae. deör) mag verderbt sein, denn
die Version des Ms. Egorton 613 hat steore statt bere. Aber es läfst
sich nichts einwenden gegen die Reime WL IV, 28 chete (= ae.
cete) : fete (= e): WL. VI, 4 gere (= ae. gearwe) : here (= ae.
heran). Dazu auch WL. XIII, 17 were (= ae. wsere) : frere (frz.) :
heie (= ae. her) : brere (= e). Hier reimen die Wörter chete, gere,
frere mit dem geschlossenen Laute ee.
Das Resultat, welches die Prüfung des me. e ergiebt, ist kein ent-
schieden festes, denn es würde gewagt sein zu behaupten, dafs alle
Gedichte, welche ee in Wörtern der Klasse ß haben, zweifellos dem
Mittellande oder Norden angehören, oder anderseits, dafs die Gedichte,
welche ee in Wörtern der Klasse ß haben, dem sächsischen England
angehören. Es ist sehr wahrscheinlich, dafs in manchen Wörtern die
Formen mit ee und in anderen die Formen mit ee von allen Dialekten
vorgezogen wurden, wie wir dies ja in betreff des Subst. red (= ae.
rsed) konstatiert haben. Das rae. e ist aber noch nicht hinlänglich
untersucht, so dafs wir keine sicheren Schlüsse daraus ziehen können.
Die Flexion.
Die Flexion des Präs. Ind. ist in den Dialekten verschieden. Es
sind folgende Unterscheidungsmerkmale festgestellt. Die Endung des
Plurals Präs. Ind. ist in den südlichen Dialekten ej), in den mittel-
ländischen en, in den nördh'chen es. Die Endung des Singulars ist im
Süden: 1. Pers. e, 2. Pers. est, 3. Pers. eJ) ; aber im westlichen Mittel-
land und Northumbrien endet die 2. und 3. Pers. auf es ; im östlichen
Mittelland werden im Sing, gewöhnlich die südlichen Formen gebraucht.
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. -2253. 163
Ms. Harl. 2253 zeigt im allgemeinen die südliche Flexion, welche
dem Dialekt des Schreibers entspricht, aber nur einmal durch den Reim
gesichert ist: GL. III, 42 atgoht : loht {=z ae. lad). In sehr vielen
Gedichten finden sich indessen neben der südlichen auch Reste einer
anderen Flexion. Solche Formen kommen vor in WL. I, IV, V, VI,
VIII, IX, X, XII, XIV, GL. I, V, X, XI, XII, XIII, XVII, XVIIL
Wir können diese Gedichte in verschiedene Gruppen teilen :
1) Nördliche Formen — Plural auf es — kommen nur vor in
WL. VIII, IX, XII. IX, 5 wowes (v. ae. wögian) : bovines (Plural
V. Subst.). VIII, 19 wowes; XII, 2 springes, XII, 14 says. In den-
selben Gedichten finden wir auch den Plural auf en : VIII, 15 waxen,
XII, 1 waxen. Der Singular endet auf es: WL. VIII, 24 likes,
IX, 1 dawes, XII, 1 singes, XII, 4 drinkes ; hierhin auch WL. XII, 11
mihtes (Impf. 2. Pers. Sing.). Wenn diese Formen vom Original her-
stammen, so werden diese drei Gedichte dem nördlichen Mittellande
angehören, da sie northumbrische neben mittelländischen Formen zeigen.
WL. IX und XII haben wir schon wegen der geographischen Anspie-
lungen dem östlichen Mittellande zugewiesen.
2) Eine zweite Gruppe wird von den Gedichten gebildet, welche
in der 2. und 3. Pers. Sing, die Endung es zeigen: WL. I, 18 sys
(2. Pers. V. seön) : rys : ys : pris; WL. V, 27 ledes (3. Pers.) :
spredes (3. Per.s.) : bredes (3. Pers.) : redes (3. Pers.). WL. X, 23
lumes; WL. XIV, 13 haves; GL. V, 18 bohtes (Impf. 2. Pers. Sing.) :
sohtest; GL. X, 12 overwerpes (3. Pers.) : Werkes (Subst.), v. 16
I)enkes, v. 27 gos. GL. XII, 59 honoures (2. Pers.) : boures (Subst.),
V. 53 weldes. Diese Formen weisen jedoch nicht mit Sicherheit auf
das westliche Mittelland hin, denn sie waren auch dem östlichen
Mittelland nicht völlig unbekannt. Das Gedicht GL. XII, wo die
Form auf es durch den Reim gesichert ist, gehört ohne Zweifel dem
östlichen Mittelland an, wie eine geographische Anspielung bewies.
3) Die mittelländische Pluralendung en findet sich in folgenden
Gedichten; WL. IV, 27 liven, v. 40 beyen ; WL. VI, 17 have ; GL.
I, 21 prete : suete (Adj.), v. 74 blowe : knowe (Inf.); GL. XI, 8
waxen, v. 9 wepen; GL. XIII, 30 buen ; GL. XVII, 17 i)uen :
ysuen (Inf.), v. 132 buen (im Ms.).* GL. XVIII, 13 han.
* An der letztgenannten Stelle setzt böddeker in seinen Text weren
ein, dijch ist wohl' buen zu halten, da dies auch im Ms. Laud 108 steht.
11 *
1C4 Über die Sprache und Metrik
Alle diese mittelländischen Formen werden sich schon in der
Vorlage befunden haben, die der Schreiber des Ms. Ilarl. abschrieb.
Bei den Liedein, die sie durch den Reim gesichert haben — WL. IX ;
WL. I, GL. X, XII; GL. I, XVII — gehören sie zweifellos dem
Original an.
Der Wortschatz.
Der Wortschatz ist von weit geringerer Bedeutung. Er kann
indessen zuweilen unsere Hypothesen betreffs des Dialektes unter-
stützen. Die 3. Pers. Plur. des Personalpronomens hat in unserem Ms.
die Form he oder hy, welche den südlichen Dialekten eigen ist. Die
Form J)ei, welche in Northumbrien und dem nördlichen Mittellande ge-
braucht wurde und dem Dialekte unseres Schreibers durchaus fremd
war, findet sich nur WL. XI, 19 und GL. XI, 9. Beide Lieder sind
schon aus anderen Gründen dem Mittellande zugewiesen. Es kommen
noch einige andere Wörter vor, die in den südlichen Dialekten nicht
gebraucht wurden: WL. IV, 3 til, WL. VI, 36 cleugen (Mätz. Wtb.),
GL. XI, 17 clyngen (Hall. Dict.), GL. XIV, 5 lyl)en. Solche Wörter
sind aber nur von sekundärer Wichtigkeit.
Wir wollen nun unsere bisherigen Resultate resümieren:
ae. y ist y (i) in WL. VII, XI, XIV, GL. VIII, IX, X, XIII,
XIV im Reim, aufserdem in WL. VI, GL. I, XI, XII.
ae. y ist y (i) in WL. XI, GL. III im Reim, aufserdem in WL.
IV, VII, X, GL. XIV, XVII.
ae. ä ist ä und ö in GL. VI, XIV, XVI im Reim,
ae. a vor n, ra ist a in WL. XI, GL. X, XIII im Reim,
aufserdem in WL. V, GL. VIII, XIV, XV.
me. e/? ist ee in WL. I, IV, V, VI, VII, IX, XI, XII, XIII,
• XIV, GL. I, II, III, IV, VI, IX, XI, XII, XIII, XVIII.
me. e/y ist ee in GL. VIII, XVII.
me. e. ß reimt mit e« und ey in GL. VII, XVI.
me. e« reimt mit ey in GL. I, IX, XVII, WL. IV, VI, XIIL
Flexion südlich: Plural auf ep: GL, III.
Flexion mittelländisch: 1) Plural auf es: WL. IX; — WL.
VIII, XIL 2) Singular auf es: WL. I, X, XII ; — WL. V,
X, XIV, GL. V. 3) Plural auf en : GL. I, XVII; — WL.
IV, VI, GL. XI, XIII, XVIIL
Der Wortschatz spricht gegen den Süden: WL. IV, VI, XI,
GL. XI, XIV.
der niittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 165
Wir werden jetzt die Laute, soweit es noch nicht geschehen ist,
untersuchen, um eine noch genauere Kenntnis der Sprache der Ge-
dichte zu erlangen.
1. Vokale.
a.
Ae. a, wenn es nicht vor m oder n steht, ist im Mengl. als a er-
halten, aber es ist in offener Silbe lang geworden und reimt mit ä,
z. B. GL. XIV, 43 mawen (= ae. mägon) : dawen (= ae. dagian) ;
Slawen (= ae. slagen) : haven {=. ae. habban).
Ae. a ist o geworden unter Einwirkung eines \ orhergehenden w
in wosshe (= ae. wascan) GL. VIII, 72, IX, 20.
8B. ,
Ae. cE vor einem einfachen Konsonanten ist in unserem Ms. ge-
wöhnlich wieder a geworden: GL. XVII, 151 staf (:= ae. staef) : jaf
(^=r- ae. geaf, Prät. v. gifan); WL. V, 40 whal (= ae. hwael) : al
(= ae. eal); ferner ajjel WL. IV, 67, XIV, 24; blak WL. II, 14,
GL. VIII, 19; fat GL. XVII, 80. — ae. ws&s hat aber gewöhnlich die
Form wes, die meisten Lieder /.eigen nie die Form was. was findet sich
WL. XI, 22, GL. XII, 10, XV, 45, XVII, 153, aber im Reim nur
WL. IV, 24 : glas. Die Form wes kommt im Reim vor WL. X, 36, 58,
GL. II, 42, III, 53. In WL. IV kommt auch wes (v. 23) vor, und in
GL. II, wo wes durch den Reim gesichert ist, finden wir auch was
(v. 22). Es scheint demnach, dafs der Schreiber beide Formen kannte,
aber wes vorzog. — In ähnlicher Weise ist für ae. hwaet meistens
whet geschrieben, z. B. WL. VII, 44, XI, 8, 28, XHI, 8, aber auch
what GL. IX, 16, X, 17, XVIII, 10. — ae. p«t erscheint immer in
der Form pat.
Auch im Präter. der starken Verba finden wir a neben e für ae, ae,
z. B. GL. XVII, 152 j^af (= ae. geaf, Prät. v. gifan) : staf, aber GL.
XVII, 154 jef. GL. II, 55 ^ef : bref (frz.). ber (= ae. bser, Prät. v. heran)
GL. V. 14, XII, 2. Das Präteritum von ae. biddan ist bad, im Reime
WL. III, 9, VII, 8, GL. I, 5, II, 20.
Ae. se vor Doppelkonsonanz kehrt zu a zurück z. B. faste (=z as) :
caste (= anord. a). WL. VI, 19, XI, 5, GL. XVIU, 30. — GL.
IV, 51 after, WL. V, 59 apples etc. Sehr selten ist es e geworden:
WL. III, 40 gest (= ae. gaist) : best. Der Schreiber scheint solche
166 Über die Sprache und Metrik
Formen mit e nicht gern gebraucht zu haben, wir finden sogar, daf.s
er lieber imgenauen Reim schrieb: GL. III, 20 beste (= ae. heähostj :
leste (= as) : beste (= e) : faste (= aj). Der Reim verlangt hier die
Form feste, welche daher sicherlich die des Originals ist. Hieraus
können wir schliefsen, dafs in demselben Liede GL. III, 48 faste (= sn) :
laste (= sd) im Original auch ein e Reim gewesen ist. In vielen
anderen Gedicliten, wo ae. ae weder mit unveränderlichem a noch mit
unveränderlichem e reimt, sondern nur mit ae. ae oder ^, können wir
nicht wissen, ob die Formen mit a aus dem Original oder vom Schreiber
des Ms. herrühren. Es ist stets e in der Konjunktion lest (= ae. laes |)e)
WL. II, 33, XIII, 4. Der Komparativ ae. laessa hat die Form lasse
GL. III, 22; der Superlativ ae. lassest, laest erscheint als leste GL,III, 23.
Zu bemerken ist noch, dafs vor gewissen Konsonanten, besonders
vor s, das e oder a (= ae. ae) lang geworden ist. Die Form wes
(j=z ae. wfes) reimt mehrmals mit Wörtern, die langen Vokal haben :
GL. II, 39 pees (frz.) : wees (= ae. waes) : lees (= ae. leäs) ; GL.
III, 52 lees : wes.
Ae. ea.
Ae. ea vor 1 oder 11 ist immer zu a zurückgekehrt: GL. XVIII, 17
falle : alle : calle; WL. V, 61, 73 al : sraal; WL. I, 21 bale : tale.
Ebenso vor It und Iw: GL. III, 36 halten = ae. healtian; GL. III, 90
falewen =. ae. fealwian.
Vor Id kehrte ae. ea auch zu a zurück, das aber vor der Konso-
nanz Id lang wurde und dann dieselbe Wandlung erlitt wie ae. ä,
nämlich in den meisten Dialekten zu öö wurde. Dies o = ae. ea
reimt mit ursprünglichem o: WL. IV, 50 wolde (= o) : colde (= ae.
ceald) ; holde (= ae. healde). Ähnlich WL. V, 3, X, 27.
Selten ist ea zu e geworden vor Id: ae. fealdan ist GL. III, 40
felde : beide (=z ae. heldan) : gelde (anord.) : elde (= ae. eldo) ; aber
in demselben Gedicht finden wir auch v. 21 die Form folde : wolde
(= anord. wald) : bolde (= ea) : ytolde (= ea). In GL. III sind
also beide Formen im Reim. Dasselbe ist in GL. I der Fall: I, 37
beide (= ae. bealdian) : weide (= e) : felde (= e) : gelde (anord.);
aber abgesehen von diesem Beispiele findet sich in GL. I immer o für
ae. ea, auch im Reim auf ae. o: v. 46 holde (-^ ea) : tolde (= ea) :
wolde (= o) : bolde (= ea) : colde (= ea). — e für ae. ea ist ferner
WL. VI, 11 kelde (= ae. cealdu) : beide (= ae. held). — Ae. eald
ist immer old, nur einmal GL. XIV, 22 elde (Flur.).
der mitlelenglischen lyrisclien Lieiler des Ms. Harl. 2253. 167
Ae. ea erscheint als a in baldore (Komparativ von ae. beald)
WL. I, 44, weil die folgende Silbe auf Liquida endet und daher das a
nicht lang geworden ist.
Vor r kehrt das ae. ea gewöhnlich zu a zurück: GL. XVII, 115
hard (= ea) : forward (= ea), GL. IX, 43 kare (=z ea) : fare (^= a).
In ein paar Wörtern ist ae. ea zu e geworden : ae, gearwe ist gere
WL. VI, 4: were (= ae. wa3re) ; ae. bearn ist bern GL. I, 26, IX, 19.
Ae. ea ist o geworden in GL. II, 2 wynjord (=r ae, geard).
Vor h ist ea zu a zurückgekehrt, z, B, ae. weaxen ist immer
waxen WL. II, 23, III, 2, VIII, 15, 32; aber ea ist e in seh (= ae.
seah) GL. III, 33 : feh (= ae. feoh), GL. II, 14 : neh (= ae. neah).
e.
Ae. e, der Umlaut von a, ist als e erhalten, aber reimt jetzt mit
allen anderen Arten von e: WL. X, 67 bende : ende; WL. III, 33
rest : best : gest (= ae); GL. IX, 31 teile : helle. — Rückumlaut
ist regelmäfsig eingetreten in den kontrahierten Verbformen vor Id wie
im Ae. : GL. I, 48 tolde (Prät. v. tellan) : wolde (= o). GL. XVI, 38
told (Part.). Das Part. Perf. von bisteden ist bistad GL. 11, 19, WL.
Vn, 9. Ein paar Verben zeigen Rückumlaut in allen Formen :
ae. merran = got. marjjan hat die Form marren WL. III, 3, VII, 20 ;
ae. feccan ist vachen in WL. VI, 31 ; ae. fellan ist fallen GL. I, 72
und wird so zusammengeworfen mit ae. feallan, von dem es das Faktitiv
ist. — Das Subst. ae. bend ist WL. X, 67 bende (Plural) : ende, aber
durch Einflufs der altnordischen und deutschen Form band zeigt sich
auch die Form bonde : londe WL. III, 12, GL. IV, 24.
Eine andere Änderung hat stattgefunden in ae. recenian, das
GL. VIII, 15 als rykenen erscheint, auch WL. IV, 62 rykenin»-.
Ae. stede, styde ist stude GL. V, 6, XVII, 22. Ae. sellan, syllan
(= got. saljau) ist gewöhnlich seilen GL. XI, 57, aber auch sullen
und einmal sylle GL. XVI, 18 im Reim auf i : ylle : stille : wille.
Was die Quantität anbetrifft, so reimt ae. e jetzt mit e vor st:
GL, XIV, 19 mest (= ae. msfest) : rest : best; WL. X, 84 beste :
beste (= ae. heähost). Es ist auffallend, dafs auch ae. tellan mit e
reimt: WL. IV, 35 tele (sie!) : feole (=: ae. feole).
e.
Ae. e ist erhalten. In offener Silbe ist es lang geworden: GL.
XIII, 18 bere (= ae. bcran) : lere (= ae. leeran). Es kommt nur
168 Über die Sprache und Metrik
eine unregelmäfsige Foim vor WL. V, 1 2 fyld (= ae. ft-ld) ; die regel-
mäfsige Form feld kommt GL. XVII, 123 vor.
eo.
Statt eo steht häufig e oder i im Ae. In unseren Gedichten ist eo
immer i geworden vor h, was schon im Ae. das Gewöhnliche war (vide i).
Vor r ist eo zu e zurückgekehrt, obgleich es im Ae. schon häufig
y geworden war. GL. X, 12 overwerpes (Präs. von ae. weorpan) :
Werkes (v. ae. weorc). GL. IX, 22 werne (= ae. wyrnan) : erne
(=: ae. yrnan); GL. XI, 49 herte (= ae. heorte) : smerte (nddsch.);
GL. IX, 11 suert (= ae. sweord); WL, XIII, 34 cherl (=: ae. ceorl),
GL. IV, 45 bern (=: ae. beorn).
Zuweilen ist ae. eo noch eo und zuweilen ue geschrieben: GL.
VIII, 60 heorte, VIII, 64 huerte. Man dürfte in solchen Fällen viel-
leicht an eine eigentömliclie dialektische Aussprache denken, doch
finden wir auch eo und ue ungenaueiweise manchmal für ae. e ge-
schriel)en: GL. XVII, 46 buere (:= ae. heran); WL. VI, 14 weore
(= ae. werian), cfr. auch eö.
Selten ist eo nicht wieder e, sondern i geworden: GL. XIV, 36
hirde (= ae. heorde, hirde); ae. goornian ist jernen WL. VI, 27, aber
^yrnen WL. II, 34, GL. II, 58, VIII, 116, III, 95.
In einigen Wörtern ist eo nach einem w zu u oder o geworden :
ae. weord, wyrd ist wurf)e WL. VI, 22, wozu das Adjektiv worpi
GL. VIII, 84, 143; ae. weordlic ist worly WL. VII, 13, wurhlich
WL. X, 9; WL. V, 71 worden (= ae. weorpan); WL. IV, 14, VI, 5
World (= ae. weorold).
Vor anderen Konsonanten ist ae. eo auch gewöhnlich zu e zurück-
gekehrt: WL. I, 2 selver (= ae. seolfer, silver) ; GL. III, 25 evel
(= ae eofel, yfel) ; GL. XVII, 104 selve (= ae. seif, sylf), eine
Form sylf kommt nie vor; GL. XIII, 11 heven {= ae. heoven). —
Selten ist eo zu i geworden : WL. V, 76 sylk (ae. seolc) : mylk. Das
Subst. ae. sceld, scild ist sheld GL. IX, 60, aber das Verb hat i: GL.
VI, 14, XII, 19 shild (Imper.). — eo ist einem vorangehenden w
assimiliert in GL. I, 12 sotel (= ae. sweotol, sutol); GL. I, 11 sotelen
(:= ae. sweotulian).
i.
Ae. i ist im Me. erhalten, aber oft y geschrieben. Das Ms. Harl.
2253 gebraucht zur Darstellung des i-Lautes die Buchstaben i und y
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 169
ohne Unterschied, zieht aber y vor: WL. XI, 33 stille : grylle : wille ;
WL. II, 1 averil (frz.) : wyl (= ae. will). Das ae. Suffix ing, ung
hat jetzt stets den i-Laut: GL. IV, 56 endyng (= ae. endung) : long-
ing : J)ing; GL. XV, 41 tydynge : brynge.
Nach dem Konsonanten w ist ae. i in einigen Wörtern u oder o
geworden: ae. willan erscheint als wille oder wile GL. I, 16, X, 18,
19, 36, aber wulle WL II, 19; die gebräuchlichste Form des Ms. ist
jedoch wolle oder wole GL. XVII, 2, WL. XII, 20 etc. Ebenso er-
scheint ae. wiste als wiste WL. VII, 15 oder als wüste. — In GL.
X, 18 for my sunnes y wil wete : forlete ist schwerlich mit Böddeker
wete = ae. witan zu fassen ; vielleicht ist es in bete zu emendieren,
oder in grete (=: ae. greetan), wie Zupitza in seiner Recension vor-
schlägt.
Nach j schwanken die meisten Ms. jener Zeit zwischen e und i.
In unseren Gedichten ist e geschrieben: GL. VIII, 27 jelden (== ae.
gildan) ; GL. V, 2 jef (Imper. von ae. gifan). Die Konjunktion ae. gif
ist jef GL. I, 24, WL. VI, 6, aber ^yf GL. X, 36. Dies ist das ein-
zige Beispiel, dafs ae. i nicht nach J zu e geworden ist.
Ae. liggen hat gewöhnlich die regelmäfsige Form liggen, aber
einmal WL. V, 83 leje : seje (= ae. ssege. Impf. v. seön), es ist
wohl konfundiert mit ae. lecgan. (WL. V gehört dem westlichen
Mittellande an.) Ae. siddan, seoddan erscheint als se|)j5e WL. IV, 24,
GL, I, 15, aber als sype GL. I, 55. Letztere Form ist in den sud-
lichen Dialekten nicht gebrätichlich, findet sich aber im Haveloc, Gen.
Exod. etc.
Vor gewissen Konsonanten reimt ae. i jetzt mit i, so 1) vor s :
GL. II, 37 ywis (ae. gewis) : his : unwis (== ae. wis) : ys (= is).
WL. III, 31 is : rys (=: ae. hris) : wys (= ae. wis) : pris (frz.) : bys
(frz.) : his; — 2) vor n : WL. V, 70 yn (=^ in) : wyn (= ae. win). —
3) vor ht : GL. XVII, 37 ryht (= ae. riht) : lyht (= ae. liht, Adj.).
Übergang zu u (z= u') hat stattgefunden im Imperf. von ae. dön,
welches indessen ?chon im Ae. häufig y zeigte, ae. dide oder dyde, in
unseren Gedichten stets dude GL. VIII, 65, XII, 51. Derselbe Über-
gang findet in ae. niicel statt, welches in unseren Gedichten gewöhn-
lich die Form muchel hat WL. V, 19, XI, 29, GL. I, 17, aber einmal
raykel WL. XI, 15 (cfr. y).
Im Ae. giebt es noch ein anderes i, welches nicht einem ursprüng-
lichen i, sondern einem germ. o oder a nach h -j- Kons, entspricht:
170 UbiT die Sprache und Metrik
1) Ae. i = germ. e ist stets i in unseren Liedern: WL. III, 24
ryht (= ae. rillt) : diht (Part, von ac. dihfan). Auch die Wörter,
die im Ae. noch eo hatten, zeigen jetzt i: GL. XVII, 103 wiht : briht
(= ae. beorht); WL. IV, 61 riht : miht : cniht (= ae. cneoht, cniht);
GL. XVII, 34 ariht : fyht (= ae. feoht).
2) Ae. i := germ. a ist meistens i geblieben, aber zuweilen
wieder a geworden. Das Imperfekt von ae. *raagan, ae. mihte oder
meahte erscheint als mihte in WL. VII, 27, XII, 11. Die 2,. Pers.
bing. Präs. ae. miht oder raeaht erscheint als miht GL. IX, 37, aber
als mäht WL. XI, 20 (WL. XI gehört dem östlichen Mittellande an).
Die beiden Subst. ae. miht oder meaht und niht bewahren gewöhnlich
die Formen mit i, die durch den Reim gesichert sind in WL. I, 8,
IV, 63, VI, 22, GL. IV, 6, V, 19, VIII, 35. Aber in ein paar
Gedichten sind sie zu dem ursprünglichen germ. a zurückgekehrt:
WL. V, 19 mäht : naht; WL. VI, 32 naht : atraht (kontr. Part, von
ae. rjecan). Es scheint, dafs Formen mit i und a in manchen Dia-
lekten nebeneinander existierten, denn wir finden in demselben Ge-
dichte WL. VI durch den Reim gesichert v. 22 miht neben v. 32 naht.
11.
Ae. u ist vor gevrissen Konsonanzen lang geworden und ou ge-
schrieben, so vor nd : GL. XVII, 135 houndes : stoundes, GL. IX, 52
founden (:= ae. fundian) : wounden (Plur. v. ae. wund). Zuweilen
ist noch 0 statt ou geschrieben: GL. X, 32 wondes ; stoundes; auch
GL. X, 10, XI, 48 wondes. In den Wörtern, in denen die folgende
Silbe auf Liquida schliefst, hat ae. u nur mittlere Länge erhalten: ae.
wunder ist stets wonder geschrieben WL. V, 81, XIII, 3, GL. IX, 30.
Ae. kurzes u ist erhalten in hundred, da es vor dreifacher Konsonanz steht.
Auch vor einigen anderen Konsonanzen ist ae. ü lang geworden:
ae. raurnan ist stets mournen geschrieben: WL. II, 36, X, 85, GL.
XI, 38. — Ae. I)urh erscheint als |)ourh WL. V, 9, als Jiorh oder
I)urh GL. XII, 30, XIV, 10.
Vor anderen Konsonanten hat ae. u seinen Laut bewahrt, aber
ist gewöhnlich o geschrieben, da der Buchstabe u gebraucht wurde,
um den Laut des ae. y zu bezeichnen.
In offener Silbe ist ae. u nicht lang geworden, denn es reimt nie
mit ü, aber es wird mittlere Länge erhalten haben, denn ohne Aus-
nahme wird es stets o geschrieben: GL. XIV, 40 sone (=; ae. sunu) :
der mittelenglischen lyrischen Lieder des RIs. Harl. 2253. 171
corne (Part. v. cuman) ; WL. VIII, 13, GL. XVII, 123 rode (= ae.
rudu) : wode (=: ae. wudu).*
In geschlossener Silbe ist ae. u meist auch o geschrieben, z. B.
GL. X, 42 ystODge (Part.) : yswonge (Part.), zuweilen aber auch u:
ae. füll erscheint als ful GL. III, 41, X, 15; fol WL. V, 32. Im
Pron. sum ist das u bewahrt WL. XIII, 23 sumwher, aber der Plural
zeigt o: GL. I, 39 some; II, 31 somme. u und o finden sich in
lussum (von ae. Infe oder nach Zupitza von ae. lust) WL. V, 17, X, 12:
aber lossom WL. I, 12, VIII, 17.
Es ist nur eine graphische Änderung, dal's ae. u zu o geworden
ist (cfr. ten Brink in Haupts Z. n. F. VIF, p. 214), es wird doch u
gesprochen, denn die Reime von o = ae. u und o = ae. o sind streng
geschieden. Eine Ausnahme macht das Subst. ae. duru, welches aller-
dings mit ae. o reimt: WL. XIII, 14 doren (Plural) : foren (= ae.
foran) : yboren (Part.) : yloren (Part.). Aber dies Wort hat auch im
Ne. eine unregelmäfsige Aussprache, und wir müssen annehmen, dafs
es schon im Me. in einigen Dialekten den Laut o angenommen hat;
auch wird es in den Town. Myst. (Mätzner Sprachpr. V. 283) doore
(= ö) geschrieben. — In der Phrase alle ant some reimt das Wort
some mit ö (= ae. ä und ö) in GL. II, 28: nome (Prät. Plur. von
niman) : come (Prät. Plur. v. cuman) : lome {= ae. löma). Aber
dies some hat vielleicht nicht das Pronomen sum als Etymon, sondern
etwa ae. samne.
0.
Ae. o ist gewöhnlich erhalten : WL. IV, 50 wolde (= ae. wolde) :
colde (= ae. ceald^; WL. IX, 40 bore {= ae. boren) : bifore (= ae.
biforan). In offener Silbe ist o lang geworden (öö) und reimt mit o =
ae. ä. Auch vor gewissen Konsonanzen finden wir ae. Ö mit ö reimen:
1) vor ft: GL. VII, 23 ofte (= ae. oft) : softe (z= ae. soft). 2) vor
ht: WL. V, 80 wroht (= ae. worht) : noht (= ae. näht).
In einigen Wörtern findet sich zuweilen u statt o : ae. borgian
erscheint als borewen GL. I, 73, aber als burewen GL. I, 37. Das
Imperf. des Hilfsverbs shulen, ae. scolde, ist jetzt sholde, aber häufiger
shulde GL. IX, 4, XIV, 27. Ebenso finden wir WL. IV, 16, 26
durste (::= ae. dorste, Imperf. v. durran). Ae. geong erscheint als
* In WL. Vlir, 13 ist des Reimes wegen ge<;en Wülcker und Kölbing
an der Auffassung Böddekers festzuhalten, der rode = ae. rudu ^= die Röte
fafst, während K. und W. es für ae. rod = der Stengel halten.
172 Über die Spraclie und Metrik
jung oder jong, aber GL. XIV, 22 jynge : mynge (= ae, myngian) ;
wir haben GL. XIV dem nördlichen Mittellande zugewiesen. Ae. {)ro8tIe,
prystle konnit vor als prustle WL. I, 23, I)restle WL. VII, 51, VIII, 7.
Das Particip von ae. wyrcan hat gewöhnlich die Form wroht (= ae.
worht), die durch den Keim gesichert ist in WL. IV, 11, 59, V, 80,
VII, 13, IX, 32, GL. n, 2, III, 76, 101, VIII, 43, 96, XIL 20,
XVI, 11. Aber es ist wraht GL. II, 35: unsaht (= ae. saht) :
bytaht (Part, von tsecan) : raht (Part, von r«ean). Hiernach scheint
der Dialekt von GL. II verschieden zu sein von dem der oben aufge-
zählten Gedichte. In GL. II finden wir auch v. 4 raarewe {= ae.
morgen). Es steht die Form ywraht auch WL. X, 34 und ywarpe
(= ae. woipen, Part.) in GL. I, 65. Dies sind in unseren Liedern
die einzigen Beispiele dieses Übergangs von o zu a, der in anderen
Mss., z. B. den Town. Myst., viel häufiger ist.
Ae. o ist zuweilen e geworden in ae. sorge, für welches die For-
men sorewe und serewe oft in demselben Gedicht vorkommen: sorewe
WL. X, 60, XI, 5, GL. I, 56, aber serewe WL. X, 67, XI, 7,
GL. I, 55. — Das Verb ae. sorgian ist serewen GL. III, 96, XIII, 7.
Derselbe Übergang zeigt sich in WL. XIV, 34 welken (::= ae. woicen);
WL. V, 28 neose (= ae. nosu).
y-
In Bezug auf ae. y ist noch zu bemerken, dafs häufig Röckumlaut
und Übergang zu o eingetreten ist : ae. lyft ist loft wohl unter Einflufs
der anord. Form lopt WL. XIV, 30 loft : oft; WL. V, 46 come
{= ae. cyme) : Rome, auch hier ist der Reim mit o auffallend und
wohl durch Form Übertragung zu erklären. WL. VI, 12, VII, 27
comely (= ae. cymlic); WL.I, 45 dohly (= ae. dyhtig); WL. VI, 33
hongren (=; ae. hyngrian) ; GL. XVI, 18 for|)ren (= ae. fyrdrian).
ä.
Einige Wörter, welche im Ae. ä haben, zeigen in unseren Liedern
neben den regelrechten Formen mit o für ae. ä auch solche mit e, die
also von ae. Formen mit ^ abzuleiten sind : ae. cläpian ist GL. XVII, 79
clopen, aber WL. VI, 12 clepe (im Reim). Der Plural des pron. dem.
ae. J)ä ist po WL. VIII, 23 (im Reim), ferner WL. X, 61, GL. IX, 47,
aber {)eo GL. I, 27 (im Reim).
In einigen Wörtern ist ae. ä zum ursprünglichen germ. ai zurück-
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 178
gekehrt — sicherlich durch Einwirkung des Anord., welches diesen
Laut bewahrt hatte: die ae. Phrase wä la wa ist wey la way
GL. XI, 20: may : day : clay ; aber auch regelrecht wolawo GL.
VIII, 163: go : wo. — Derselbe (Jbergang hat stattgefunden in cayser
(■== ae. cäsere, ahd. kaiser, anord. keisari) WL. I, 7, IV, 43. —
Ae. ä (= anord. ei) erscheint als oo und ay in demselben Gedichte
GL. XVI, 2 oo : foo : fro : go, aber GL. XVI, 7 ay : may : day : lay.
Beide Formen kommen sogar in demselben Verse vor GL. XVII, 143:
longe is ay ant longe ys o.
Ae. ä ist kurz geworden vor Doppelkonsonanz in GL. XVII, 118
asken (= ae. äskian). Ebenso vor einfachem Konsonanten in WL.
III, 2 mad (:= ae. mad, mged) : lad (= schw. Part, von ae. hladan) :
glad {=: se) : sad (=:ae); aber das ä ist nicht gekürzt in diesem Worte
und daher zu ö geworden in WL. IV, 29 mot (=: mad) : blöd (=^ ae.
blöd). Die letztere Form mit o mag begünstigt sein durch die anord.
Form mödr.
86.
Ae. ^ ist im Me. zu e geworden, aber in einigen Wörtern ist es
schon im Ae. zu ä zurückgekehrt. Daher sind auch im Me. Doppel-
formen mit 6 und e; diese sind zum Teil auch auf Einwirken anderer
gerra. Sprachen zurückzuführen: ae. miest (= got. maists) ist GL.
XIV, 19 mest : rest : best, aber GL. XIII, 35 most : gost (= ä) :
wost (= ä) : bost (= gäl. böst). — Die 3. Pers. Sing. Präs. von
ae. gän, g^p, ist GL. VI, 5 gep, VI, 9 go{) ; die 2. Pers. ae. gabst
ist gost GL. IX, 32. Ae. m^nan ist menen im Reim WL. XI, 4,
GL. III, 66, aber mone WL. XII, 20. Das Substantiv ist immer
mone GL. I, 17, XI, 42. Ae. blse (anord. blär) ist blo GL. VIII, 19,
XI, 24, Ae. wser ist wore WL. II, 32; ae. grseg (= anord. grär)
ist gray WL. V, 16, VII, 24, grey XIII, 19, aber gro I, 16. —
Ae. ge£ir (= got. jer) wird regelrecht ger WL. XII, 5, aber der Gen.
Plur. als Adverb, ae. geära, wird ^ore, und daher müssen wir schon
die ae. Aussprache yara annehmen; WL. VI, 27: lore (=r ae. lär);
WL. II, 34: sore (:= ae. sär).
Häufig wird ae. sb kurz und kehrt zu a zurück, zuweilen .«elbst
vor einfachem Konsonanten: ae. l^bstan ist lesten WL. III, 30, XIV, 5,
aber XI, 6 laste : faste : caste. WL. VI, 17 unwraste (vom ae.
wrseste) : caste : laste : faste. — GL. II, 48 wra[){)elees (vom ae.
wrwJde); — WL. X, 49 clannesse (= ae. dsenness). — Ae. hlaefdige
174 Über die Sprache und Metrik
ist gewöhnlich levedy oder ledy, nur einmal finden wir lady WL.
XI, 21.
Vor ht wird ae. & zu a.: WL. IX, 42 ahte (= ae. ajht) : tahte
(Prät. V. t«can) : Iahte (Prät. v. laeccan) : sahte (= ae. saht); —
GL. II, 33 raht (= ae. rieht, Part. v. rifecan). — In kontrahierten
Vorbformen findet sich meistens n, selten e für ae. sb : WL. III, 8
rad (Part. v. ae. ra^dan); GL. II, 22 byrad (Part.); GL. X, 9 spradde
(Prät. V. sprajdan); das Part, von ae. l^dan ist lad GL. III, 69, ylad
GL. XVII, 128, aber auch led GL. XII, 24 (im Reim); das Prät.
ist lad GL. II, 23. — Das Part, von ae. ondr^dan ist adi-ed WL.
Xin. 20, GL. XII, 21; — WL. VII, 11 ybrad (Part, von ae.
bruedan).*
Es ist seltsam, dafs ae. !b auch a geworden ist in pral (= ae.
pr«l) GL. XII, 44 : al : shal : smal. In diesem Worte wird a wohl
durch falsche Analogie entstanden sein. — Ae. t^can ist regelrecht
techen, aber GL. VIII, 70 tachen ; der Imper. von ae. l^tan ist GL.
IX, 13 let, aber IX, 18 lat. — Ae. jfenig ist gewöhnlich eny, doch
GL. XVIII, 1 any. — Ae. hwajr ist where oder whare, ae. paar ist
pere oder pare, beide Formen mit e und a ohne Unterschied oft in dem-
selben Gedicht.
Ein anderer Übergang hat stattgefunden in ae. flsesc (= germ.
flaisc), welches in unseren Liedern stets erscheint als fleish WL. IV, 31,
GL. I, 30, VIII, 103, XII, 7.
ö.
Ae. 6 ist erhalten, zuweilen oo geschrieben; GL. III, 1 bone
(= ae. bön) : mone (= ae. möna) : trone (frz.) : sone (= ae. söna).
GL. XI, 55 wode (^= ae. wöd, Böddeker giebt fälschlich ae. wäd als
Etymon an) : rode {= ae. rod). GL. XVIII, 9 blöd : good.
Auffallend ist ein Beispiel, w^o ae. ö wohl durch Forraübertraguwg
zu u geworden ist: WL. IX, 14 shup (= ae. sceöp, Prät. v. sceppan).
g.
Ae. e als Umlaut von 6 hat häufig Rückumlaut erfahren : ae. swete
hat in unseren Gedichten gewöhnlich die Form swete GL. VII, 41 :
grete {= ae. gretan); GL. XI, 35: wete (=r ae. w£et) etc., aber
* Böddeker fafst diese Form im Glossar etwas anders auf, doch cfr. v. 40.
(ier mitfelenglisphcn lyrischen [Jeder des Ms. Harl. 2253. 175
WL. X, 75 swote : fote (= ae. fot) : böte (= ae. b6t). Es ist
eigentiiinlich, dafs es an der citierten Stelle unmittelbar verbunden ist
mit der gewöhnlichen Form als „swete ant swote". Auch GL. IV, 11
swote : böte (= ö), aber in demselben Gedichte GL. IV beginnt jede
Strophe mit der Phrase „suete Jesu", und die Form suete findet sich
auch im Reim GL. IV, 17 suete : lete (= ae. Itetan) : grete (=r ae.
gretan) : wete (= ae. wjet). Solche Formen müssen daher in dem-
selben Dialekt nebeneinander bestanden haben.
Das Subst. ae. bene ist bene WL. XII, 13, aber bone VVL. I, 35,
GL. IIT, 1 ; letzteres wird durch die anord. Form bön begünstigt sein.
Beide Formen finden sich in GL. IV, 42 bene, IV, 44 bone. —
Ae. fet (Plural v. föt) ist jetzt fot oder fet infolge von Assimilation in
allen Kasus des Plurals.
Die 2. und 3. Pers. Sing. Präs. von ae. dön zeigte im Ae. den
Umlaut e, jetzt e oder ö, beide Formen oft in demselben Gedicht:
GL. I, 19 dej), I, 8 dop.
Ae. e erscheint einmal als y: GL. XI, 3 wyping (v. ae. wepan),
aber in demselben Gedicht kommt die regelmäfsige Form mit e vor:
GL. XI, 9 wepen (Präs. Plur.); GL. XI, 29 wepep (Präs. Sing.).
1.
Ae. i bleibt unverändert: WL. IX, 46 lyn (= i) : myn (= i);
GL. XI, 41 sike (= i) : like (= i); WL. IV, 13 wif (= i) : ryf
(= i) : stryf (= frz. estrif) : lyf (= i).
Ae. i wird kurz in ae. blids, bliss und in ae. wisian: GL. XIII, 1
blisse (:=: ae. blids) : mildenesse : wysse (Präs. v. ae. wisian) : misse
(Präs. V. missan).
Ae. wifman hat die Form wymman WL. II, 11, III, 34, aber
das i ist durch Einwirkung des vorhergehenden w zu o geworden in
VVL. III, 37 wommon.
Ü.
Ae. u ist erhalten, aber analog der frz. Schreibweise durch ou
dargestellt: WL. VIII, 1 toune (= ü) : roune (= ö), WL. XIV, 23
toiir (frz.) : bour (= ü). Am Ende der Wörter wird zuweilen ow
statt ou geschrieben: ae. nu ist nou WL. IV, 49, GL. XVII, 37,
aber now GL. IX, 31.
In einigen Wörtern ist ae. ü zuweilen kurz geworden. Das Pro-
nomen ae. üs, das auch bei Orm gekürzt erscheint, wird geschrieben
17G Über die Spniche uiui Metrik
ous (= fi) GL. m, 83, IV, 58, aber us (= li) WL. IV, 14, GL.
I, 5, VIII, 122. - Ae. nre ist oiire GL. VIII, 20, 72, WL. IX, 14,
ure odei' iir GL. I, 25, 71, III, 101. Es schwankt also in denselben
Gedichten. Ae. butan ist boute WL. VI, 15, aber mit mittlerem u:
böte GL. VI, 9, XI, 38.
WL. IV, 62 ron : mon : con ist nicht, wie Böddeker will, von
ae. rün abzuleiten, sondern von gäl. ron = Gesang (cfr. Stratm. Dict.).
eä.
Ae. ea ist e geworden, wenige Wörter ausgenommen: ae. sleän
ist immer slo WL. III, 16, XI, 20; diese Form ist von einem nörd-
lichen ae. slahan, slän abzuleiten. — Ae. breäw, brii erscheint wie im
Ae. in Doppelform: WL. V, 18 breje; WL. IV, 39, VIT, 26 browe.
Anomal ist in dem dem nördlichen Mittellande zugewiesenen Gedichte
GL. XVI, 28 die Form hawe = ae. heäh, fries. häch ; doch läfst
sich die Stelle auch anders erklären, Zupitza fafst das Wort = awe,
Furcht.
Zuweilen ist ae, eä gekürzt und a geworden, so in den kontrahierten
Verbformen: WL. IV, 15 rafte (Frät. v. reäfian), WL. X, 65 I)rat
(Prät. V. preätian). — Auch die Konjunktion ae. peäh ist pah, einmal
GL. IX, 45 l)ou.
eä ist i geworden WL. I, 5 hyht (^= ae. heähdo) : ryht : miht.
WL. VI, 32 nyje ist wohl nicht = ae. neäh, sondern nach Zupitza
= ae. nigon zu fassen.
Sehr selten ist noch die archaistische Schreibweise ea für ae. eä
bewahrt: WL. VIII, 28 deawes (Flur. v. ae. deäw).
eö.
Ae. eö ist e geworden, aber die archaistische Schreibweise eo ist
vielfach bewahrt, in manchen Gedichten z. B. WL. V fast ohne Aus-
nahme. Dies beweist, dafs der Diphthong eo länger erhalten blieb
als eä, aber in keinem Gedichte scheint eö noch den alten Diphthong-
laut zu bedeuten : WL. V, 51 beo (= ae. beön) : bleo (== ae. bleö) :
me (= ae. me) : seo (= ae. seö). Oft wird auch ue statt ae. eö ge-
schrieben, wie wir es auch für ae. eo gefunden haben: GL. XVII, 153
luef (= eö) : puef (= eö).
In einigen Gedichten ist ausnahmsweise u für ae. eö geschrieben:
WL. X, 23 Iure (= ae. hleör); WL. X, 23 lumes (= eö); GL.
der mittclenglischeu lyriscLen Lieder des Ms. Harl. 2253. 177
III, 75 huld (= ae. heöld, Prilt. v. ae. healdan). Schon im Ae. war
in einigen Wörtern f neben eö.
Ae. eö ist £ geworden vor ht in WL. I, 3 lyht (= ae. leöht). —
In manchen Wörtern ist eö, besonders vor w, zu o geworden: trowe
(=z ae. treöwian) WL. IX, 38, XIII, 9; trowe (= ae. treöw, Subst.)
GL. XVI, 27. Einmal finden wir sogar — sicherlich durch Einflufs
anderer germ. Sprachen — in einem Gedichte des nördlichen Mittel-
landes GL. XVI, 51 fro (= ae. freö) : ro (= ae. röw) : to : do
(=z döu). — Ae. treöwpe ist treuj)e WL. IX, 31, III, 28, aber
troupe WL. IX, 22. Ähnlich roupe (zu ae. hreöw) WL. III, 8,
GL. III, 14. Das Pronomen ae. eöw ist ou WL. V, 60; ae. eöwer
ist er WL. VI, 17, 18. Das Zahlwort ae. feörda ist furpe GL. XIV, 43.
2. Konsonanten.
a) Liquidse.
Die Liquidje bleiben unverändert. 1 ist ausgestofsen in den Pro-
nomen WL.I, 15 such (=ae. swylc); WL.IX,42 whuch (=: ae. hwylc) ;
GL. II, 38 uch (^ ae. «ghwylc). Ae. ealswä ist gewöhnlich ase oder as
WL. I, 1, GL. XIV, 1, selten mit 1: alse GL. IH, 84 oder also
GL. VI, 7, VIII, 146. — Das Präs. von ae. willan wird meist mit 11
geschrieben, aber zuweilen auch, wie schon im Ae., mit einfachem 1:
GL. XIII, 5 wile, I, 27 wole. — Ae. smael erscheint GL. XVI, 10
smalle (Plur.) : galle : falle : alle; diese Form mit 11 ist ohne Zweifel
durch Augleichung an die vielen Wörter auf all entstanden. Ganz
ebenso WL. VII, 1 whalles (Gen. v. ae, hwsel). — Auslautendes 1
ist oft abgefallen in ae. lytel und micel : WL. V, 23 muchel, WL.
VII, 28 muche, GL. X, 30 lutel, WL. IX, 19 lut.
m und n: ae. mynian, mynnan ist gewöhnlich munne, aber GL.
VIII, 40 myne. Ae. innan ist GL. VIII, 190 yne. Der Plural von
ae. sum ist some GL. I, 39, aber mit doppeltem m somme GL. 11, 31 ;
ae. pening hat das Suffix geändert und lautet peny GL. II, 27.
r ist ausgestofsen, wie oft schon im Ae., in speken WL. XI, 33
{=z ae. sprecan, specan). Metathesis des r ist in unseren Ms. nicht
sehr gebräuchlich, z. B. finden wir stets gras {= ae. grres) etc.
Ae. bryd zeigt gewöhnlich keine Metathesis: brid WL. IV, 40, X, 17,
bryd VII, 53, brude IV, 39, aber auch bürde WL. I, 1, IH, 36. —
Ae. rinnan ist GL. IX, 23 erne : werne (= ae. wyrnan). Das Prät.
von rinnan is-t GL. X, 7 ran, IV, 39 orn.
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 12
178 Über die Sprache und Metrik
b) Mutae.
b und p bleiben unverändert. Ein p ist eingeschoben in WL.
I, 29 nempnen (= ae. nemnan), aber wir finden auch WL. IV, 5G
nemnen. — Ae. bb, durch Assimilation aus bj entstanden, wird jetzt
gewöhnlich v geschrieben: ae. libban ist live WL. II, 19, XI, 10,
GL. I, 18; libbe WL. II, 5. Ae. habban ist have WL. V, 56, doch
ist das bb auch wohl ausgefallen: WL. IV, 3, 5 ha (Präs. Sing.
1. Pers.); WL. III, 18 han (Präs. Plur.).
t ist eingeschoben in WL. VI, 3 glistnian (=• ae. glisnian).
t statt tt findet sich GL. IV, 10 sete (Präs. Konj. v. ae. settan). Der
Komparativ ae. betera ist WL. XI, 28 betere, aber WL. XI, 12
bettere. Ae. t ist d geworden, schon bei Layamon, in prüde {= ae.
pryta) WL. IH, 35; proud (= ae. pröt) GL. XVII, 80.
Ae. d ist noch nicht zu J) geworden in hider, pider, whider, fader,
moder, weder. Auslautendes d ist oft t geschrieben, besonders nach n
und r: ae. and ist fast immer ant in unserer Hdschr. Die 3. Pers.
Sing. Präs. von ae. standan ist GL. XI, 18 stond, XI, 19 stont. —
WL. XIII, 24 hayward, XIII, 27 haywart. - GL. IX, 11 suert
(= ae. sweord); sogar WL. IV, 29 mot (= ae. mad). An der letzt-
genannten Stelle reimt auch auslautendes t und d miteinander.
Ae. C. a) Im Anlaut wird statt c vor e, i und n jetzt k ge-
schrieben: WL. VI, 11 kelde (— ae. cealdu); WL. XII, 3 kene
(= ae. cene); WL. IV, 43 kyng (=: ae. cyning); WL. I, 7 knyht
(:^ ae. cniht). Vor u = ae. y steht c oder k, z. B. GL. XVI, 26
künde, WL. I, 15 cunde (= ae. cynde). Vor anderen V^okalen oder
Konsonanten wird c geschrieben, nur einmal finden wir k auch vor o:
GL. XVII, 8 kok {= ae. cocc). Statt cw schreibt unsere Hdsclir.
qu : GL. IV, 43 quene (=:z ae. cwen).
Anlautendes c ist in einigen Wörtern vor e und i zum Zischlaut ch
geworden: WL. VII, 34 chep (= ae. ceäp); GL. XVI, 44 chees
(=z ae. ceäs, Prät. v. ceösan) ; WL. V, 34 cheke (=ae. ceöke); WL.
I, 10 chyn (= ae. ein); WL. XHI, 34 clierl (= ae. ceorl); GL.
IX, 38 child (=1 ae. cild).
ß) Im Inlaut ist ae. c als k erhalten (nie c geschrieben) oder ch
geworden. — ch ist eingetreten nach hellen Vokalen oder nach n oder r,
wenn ein ursprüngliches i (j) folgte. Einige Gedichte, die wir dem
Mittellande zugewiesen haben, bewahren aber in diesem Falle den
k-Laut : ae. pyncan ist punchen WL. VII, 47, aber punken GL. III, 49,
(ier mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 179
pynken GL. X, 26 ; — ae. |:)encan ist Jjenche GL. XII, 55, WL.
XII, 8, XIV, 8, aber Renken GL. VIII, 57, WL. XII, 16, GL.
X, 4, 6, 11, 16, 32. — Ae. wyrcan ist wurche GL. IL 49. — Nach
Vokalen: sechen (= ae. secan) WL. I, 34, XII, 10; tachep (v. ae.
tifecan) GL. VIII, 70; riche (= ae. rice) WL. V, 11, GL. XVII, 41 ;
muchel (=^ ae. niicel) WL. V, 19, aber mykel WL. XI, 15.
k ist immer erhalten in like (= ae. Hcian) GL. VIII, 86, 90,
XI, 43 etc.; fyke (= ae. fician) WL. IX, 26. — Ae. cc (= cj) wird
hierbei cch : GL. VIII, 42, 94 recche (:= ae. recan, reccan). WL.
VI, 46 wycche (= ae. wicca); WL. XIV, 21 drecchen (= ae.
dreccan); doch ist nur ob geschrieben WL. VI, 31 vachen (z= ae.
feccan). Sonst ist inlautendes c als k erhalten: GL. VIII, 174 make
(v. ae. macian); WL.XIII, 31 dronke (= ae. druncen, Part.). — c ist
gewöhnlich ausgefallen im Prät. und Part. Perf. von maken: Prät. made
WL.IV, 14, GL.XVn, 127; Part, mad GL. I, 1, WL.V, 74, GL.
XIII, 30, aber ymaked GL. XVIII, 5. — Erweichung und Attraktion
des c hat slattgefunden : GL. I, 56 seint (= senced) : forwleint (= wlen-
ced) ; WL. XIII, 31 dreynt (= drenced). Statt kk schreibt die Hdschr.
auch ck: WL. X, 14 lokkes (Plnr. v. ae. locc) ; WL. V, 31 lockes.
y) Im Auslaut ist ae. c erhalten als c oder k: GL. VIII, 19
blak (= ae. blgec), GL. VIII, 148 blac (= ae. bläc); WL. XI, 26
Clerk, XI, 33 clerc; WL. IV, 4 bok (= ae. böc). — Das Suffix
ae. lic ist ly, zuweilen lieh geworden: comely (= ae. cymlik) WL.
IV, 65, Vn, 27; lefly (= ae. leöflik) WL. V, 31, 78, IV, 6; aber
leflich WL. X, 14, 21, 55. — Das Pronomen ae. ic ist I, y oder ich.
c) Spirantes.
W.
a) Im Anlaut bleibt w unverändert. Häufig hat unsere Hdschr.
Kontraktionen: WL. II, 19 ichulle = ich wulle; WL. VIII, 23
ichot = ich wot; WL. X, 1 1 nuste =r ne wiste; WL. IX, 15 nere
= ne were; WL. VI, 4 nes = ne wes ; WL. IV, 56 nolde = ne
wolde: WL. XII, 10 nulle = ne wolle; WL. III, 19 nuly = ne
wolle I, etc.
ß) Im Inlaut ist w erhalten zwischen Vokalen: GL. I, 74 blowe
(= ae. bläwan). Nach Konsonanten wird auch u statt w geschrieben:
GL. VI, 15 duelle (= ae. dwellan). GL. IX, 11 suert; GL. VUI, 1
siiete etc. In einigen Wörtern ist w dem folgenden Vokal assimiliert:
12*
180 Über die Sprache und Metrik
WL. I, 15 such (= ae. swylc); GL. I, 12 sotel (== ae. sweotol);
ae. swa ist so WL. I, 1, GL. I, 38 etc., einmal GL. III, 50 svvo.
\v ist ausgefallen in V\'L. VI, 4 gere (= ae. geaiwe). Vor Konso-
nanten wird w stets vokalisiert: GL. I, 25 soule (= ae. säwle); GL.
III, 02 sleuj>e (= ae. sIecwcI).
j') Im Auslaut ist w abgefallen: WL. VI, 30 ro (:= ae. röw).
Ist es nicht abgefallen, so wird es w oder u geschrieben: WL. II, 13
heu (= ae. heöw); GL. VIII, 111 deu (= ae. deäw); der Imperativ
von ae. bläwan ist WL. X, 3 blovv, X, 4 blou. Dabei ist ou im all-
gemeinen als Diphthong zu betrachten (öu), doch findet sich auch der
Reim GL. XVI, 25 bowe (= ae. bügan, Inf.) : trowe (= ae. treöw,
Subst.) : gyw : now (= ae. nu). Dieser Reim beweist, dafs ow in
bow(e), trow(e) nicht immer den diphthongischen Laut hat, wie Bödd.
p. 8 behauptet, sondern zuweilen monophthongisch geworden ist.
f.
«) Im Anlaut schreibt unsere Hdschr. manchmal v statt f. Diese
dialektische Eigentümlichkeit ist dem Süden eigen: WL. XIII, 4 valle
(r= ae. feallan); GL. XVII, 9 vede {= ae. fedan); GL. XVI, 7 vol
{= ae. ful); GL. XVI, 27 vo (= ae. fäh) ; WL. VI, 31 vachen
(= ae. feccan). Diese Formen müssen zum Teil vom Schreiber her-
rühren, denn sie stehen auch in Gedichten, die sicher nicht dem süd-
lichen Dialekte angehören. Zuweilen wird im Anlaut ff" statt f ge-
schrieben: WL. XIII, 11 ffor, I, 27 ffrom, GL. III, 7 ffbl.
ß) Im Auslaut ist f erhalten: WL. VII, 11 wyf (= ae. wif);
WL. I, 18 seif (= ae. seolf).
y) Im Inlaut bleibt f vor Konsonanten, Liquid« ausgenommen,
z. B. W L. IV, 7 ofte. Vor oder nach Liquidae und zwischen Vokalen
wird es jetzt v geschrieben, und so wird es schon im Ae. gesprochen
sein: GL. II, 46 ever (= ae. ajfre); WL. VI, 46 never (= ae. nifefre);
WL. I, 2 selver (= ae. seolfer); WL. V, 41 evene (= ae. efen) ;
GL. X, 37 leve (j=^ ae. l^fan). — ZuAveilen fallt dies v zwischen
Vokalen weg: GL. lU, 1 loverd (= ae. hläford), aber XVII, 122
lord; GL. XII, 5 levedy (= ae. hltefdige), aber XII, 17 ledy ; GL.
VIT, 15 heved (= ae. heäfod) : bileved (Part.), aber WL. V, 13
hed; WL. VI, 46 never (= ae. nsefre), GL. XIII, 19 ner; wir finden
sogar WL. Xin, 34 del (= ae. deöfol).
f ist vor Konsonanten ausgefallen in GL. VIII, 133 frorep (von
der miltelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 181
ae. fröfrian). — f ist dem folgenden Konsonanten assimiliert in ae. wif-
man, welches jetzt wymmon WL. III, 34 oder wonimon WL. III, 37
ist; die Form wynmon GL. XIV, 25 wird nur ein Schreibfehler sein.
Ebenso in GL. VII, 33 lemmon (= ae. leöfman).
S.
Ae. s bleibt unverändert, sc ist sh geworden: WL. XI, 11
shame (= ae. sceamu), GL. XIII, 8 shilde (= ae. scildan) ; GL.
XVII, 33 shryve (= ae. scrifan). sc ist geblieben in GL. XII, 1
skrinkej) (Präs. v. ae. scrincan).
Statt sh schreibt die Hdschr. selten seh: WL. XIII, 32 schule;
aber im Inlaut manchmal ssh : GL. VIII, 72, IX, 20 wosshe, VIII, 76
fleysshlicbe ; und sogar shsh GL. I, 30 fleishshes.
Ae. ]) ist ausgefallen in WL. IX, 10 worly {= ae. weorplic),
dasselbe wird auch werbliche WL. X, 9, 42 geschrieben. — Aus-
nahmsweise ist {) ausgefallen in wher (= ae. hwaepere) WL. XIII,
13, 18. — Im Auslaut ist J) zu t geworden in WL. I. 5 hiht (= ae.
heähdo). — Ae. deäji erscheint als dej) oder ded. Es ist unwahr-
scheinlich, dafs diese beiden Formen in demselben Dialekte nebenein-
ander bestanden, und daher sind sie bezüglich des Dialekts der Ge-
dichte von Wichtigkeit. Es findet sich dej) im Reim GL. XVII, 47,
XVIII, 23, aber ded IX, 17, 21, X, 11, 28, 35. Im Inneren der
Verse kommt deJ) häufig vor: WL. V, 24, 29, XI, 20, GL. XVII. 32,
auch GL. IX, 8, obgleich in GL. IX die Form ded durch den Reim
gesichert ist. Aufser in GL. IX und X kommt die Form ded nur
noch GL. XII, 6 vor neben deJ) XII, 25. — GL. XII gehört dem
östlichen Mittellande (Petersborough) an. Die Form ded findet sich
z. B. auch im Havel, v. 1687 und Tristr. v. 2597.
Ae. {) wird fast immer durch das Zeichen J) dargestellt ; im Inlaut
und Auslaut schreibt unsere Hdschr. zuweilen th, auch ht und hji :
GL. VIII, 53 soth (= ae. s6{)), WL. XI, 24 mythe (= ae. mil^an) ;
WL. VI, 1 friht (= ae. frilj); GL. XVIII, 18 oht (= ae. ö|)).
s-
Ae. g wird jetzt j geschrieben, wo es die Spirans, g, wo es
die Media bedeutet.
182 Über die Sprache und Metrik
ß) Anlautendes ae. g ist jetzt immer Media vor einem Konsonanten
und meistens vor einem Vokale: GL. IX, 11 ground (= ae. grund) ;
WL. I, 16 glad (= ae. glaed); WL. V, 61 gold (= ae. gold) ; WL.
III, 40 gest (= ae. gaest). Es ist Spirans in folgenden Wörtern: WL.
VII, 36 geep (= ae. geäp); W^L. VI, 6 jef (= ae. gif); GL. VIH, 27
jelden (= ae. gildan) ; WL. XII, 5 Jer (= ae. geär, got. jer) ; auch
in allen Formen von jeven (= ae. gifan).
Das Präfix ae. ge ist y geworden: WL. II. 13 ynoh, GL. I, 67
ycoren etc. — Das Prät. von ginnen ist gewöhnlich mit c statt g ge-
schrieben, wenn es zur Umschreibung eines Verbs dient: WL. IV, 60,
VI, 1 con (Sing.); GL. XVIII, 28 conne (Plural); doch auch GL.
II, 60 gönne.
ß) Im Auslaut ist g erhalten nach einem Konsonanten: GL. VII, 43
among, VIII, 14 strong. Nach einem Vokal ist es vokalisiert: GL.
IV, 6 day {= ar. da;g); GL. XIII, 4 wey (= weg); WL. XHI, 26
sty (:= ae. slig) ; doch GL. VIII, 73 drah (= Imperativ v. dragan).
Das Suffix ig ist y geworden: GL. XVI, 3 mony; WL. IV, 56 niihti.
y) Im Inlaut ist g vokalisiert vor einem Konsonanten : GL. VII. 14
nayles (Plur. v. ae. ngegl) ; GL. XII, 50 maiden (=r ae. mgegden);
GL. III, 76 a^eyn (= ae. ongegn). — g ist auch erweicht in WL.
n, 3 foul (=r ae. fugel) ; WL. IV, 37 untoun (= untogen). — Ferner
wird g vokalisiert und attrahiert, wenn es durch ein n vom vorher-
gehenden Vokal getrennt ist: GL. IV, 7 streinj)e (= ae. strengdu);
GL. I, 58 meind (= ae. menged) : seint (=r ae. senced) : forwleynt
(= ae. wlenced) : feynt (frz.). — g ist ausgefallen und kein Diphthong
eingetreten in WL. V, 33 breden (j=z ae. bregdan) ; WL. VHI, 1
lenten (= ae. lengten).
Nach Konsonanten ist g zu w geworden : GL. XI, 2 sorewe
(= ae. sorg); GL. III, 48 folewej) (v. ae. folgian).
Zwischen Vokalen stehend ist ae. g zu w geworden nach einem
tiefen Vokal: GL. XVI, 26 drawe (= ae. dragan); GL. XVn, 1
|)rowe (= ae. I)rag) ; GL. I, 20 howep (v. ae. hogian). Nur einmal
finden wir ^ nach einem tiefen Vokal geschrieben: GL. VIII, 139 loje
(= anord. lagr), das sonst stets in der Form lowe erscheint.
Das g ist ganz geschwunden in GL. XVI, 25 bowe (=i: ae.
bugan) : now {= ae. nü). — Einige Doppelformen : WL. IX, 2 plawe
(= ae. plega), aber GL. I, 14, XIV, 2 play; WL. XIH, 36 lawe
(= ae. lagu); GL. I, 18 lay.
der mittelenglischen Ivrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 183
Nach einem hellen Vokale wh'd jetzt j geschrieben : GL. IV, 20
e^e (;^ ae. eäge) ; GL. XVII, 117 dre^e (= ae, dreögan). Nach i
ist CS vokalisiert : GL. III, 45 wrief) (v. ae. wrigian) ; GL. XII, 47,
WL. XIII, 35 hye (= ae. higian). Zuweilen ist g auch einem vor-
hergehenden e assimiliert, welches in diesem Falle zu i geworden ist:
GL. XVII, 117 dreje (= ae. dreögan) : lye (= ae. leögan). Böddeker
setzt hier mit Unrecht dreje : leje in seinen Text ein ; das Original
wird den Reim drye : lye gehabt haben, denn auch die Version des
Ms. Digby 86, ed. v. Varnhagen in Anglia III, p. 64, v. 123 liest
drie : lie, und die Version des Ms. Laud 108, ed. v. Horstraann in
Herrigs Archiv Bd. LH, p. 34, hat drije : lye. — GL. VII, 25 dreje
(= ae. dreögan) : Marie; hier eifordert der Reim wieder die Form
drye, die aber, wie wir sehen, dem Schreiber nicht zusagte, dessen
Dialekte die Vokalisation des j widerstrebte. Auch andere Gedichte
als GL. VII und XVII werden zur Vokalisation des § geneigt haben,
wie sich darin zu zeigen scheint, dafs zuweilen eyj statt ej geschrieben
ist: WL. V, 15 se^e : breje : heje : drey^e. WL. V, 16 eyje.
Ae. cg wird jetzt gg geschrieben, aber neben buggen (=: ae. bycgan)
finden wir auch beyen GL. IX, 14. — Ae. secgan ist seggen oder
suggen, aber gewöhnlich sayen. Letztere Form ist von einem *sagian
abzuleiten und kommt im Reim vor GL. I, 12, III, 10. — Ae. licgan
ist lyggen GL. I, 70, aber WL. V, 83 le^e, wohl konfundiert mit ae.
lecgan; GL. XVII, 18 lye (Präs. Konj.) im Reim; GL. XVII, 69 ly
(Präs. Konj.); WL. IX, 44 ligth (Präs. Sing.); GL. X, 22 li|).
h.
a) Anlautendes ae. h ist vor Konsonanten abgefallen : WL. V, 78
lere (= ae. hleör). GL. XVII, 11 rüg (= ae. hrycg). — Ae. hw
aber ist wh geworden: GL. III, 54 while (= ac. hwil); WL. V, 40
whal (:= ae. hwasl). Zuweilen schreibt die Hdschr. nur w: WL.
Xin, 7 wen, XIV, 14 wo; GL. XVII, 18 wet.
Vor Vokalen ist li erhalten, aber ae, hit ist hit oder it. Ebenso findet
sich ae. bis als is GL. XVU, 10, 11, 22, 86, X, 8, WL. IX, 27. Zu-
weilen findet sich auch unorganisches h im Anlaut: WL.IV, 69, XIV, 24
hajiei (=: ue. a^Jjele); WL.VII, 25 heje (= eje) ; GL. XIII, 1 5 her (= ever).
Die Hdschr. zeigt Kontraktionen wie beim anlautenden w: WL.
II, 9 ichabbe (— ich habbe); GL. XVU, 64 icholde {= ich holde);
WL. VI, 10 navy (=: ne have y).
184 Über die Sprache und Metrik etc.
ß) Im Auslaut ist h gewöhnlich erhalten: GL. 11, 13 neh (r= ae.
nndh); GL. I, 9 pah (= ae. peäh); WL. II, 15 loh (= ae. hloh,
Prät. V. lilihan). — Es ist abgefallen: GL. II, 50 roo (:= ae. räh);
GL. XVn, 73 fo (= ae. fäh); ae. feoh ist GL. III, 32 feh : heh,
aber XVII, 102 fee : pe (= ae. pe).
y) Im Inlaut ist h noch bewahrt vor t: WL. IX, 39 tahte (Prät.
V. t^can); GL. VIII, 95 oht (= ae. äwiht, dht). h ist verschwunden
nur in nout (= ae. näwiht) GL. VII, 16, aber die gewöhnliche Form
ist noch noht.
h ist ausgefallen vor st in den kontrahierten Superlativen : GL.
IV, 48 nest (= ae. neähost) : west; GL. III, 20, WL. X, 38 beste
(=: ae. heähost) : beste; auch in WL. XII, 7 ner (Kompar. v. ae.
neäh); GL. I, 58 murpe {= ae. myrhpe). — Die Form lyt WL. IV, 6 :
wyt : byt : syt ist nicht mit Böddeker von ae. liht, sondern von anord.
litr abzuleiten (cfr. Stratmann, Dict.) ; daher ist auch WL. V, 78 die
Form lit im Text zu belassen, wofür Böddeker liht eingesetzt hat.
Zwischen Vokalen ist ae. h zu j geworden: GL. VIII, 138 heje
(= ae. heäh); etc. — Wie vor j = ae. g finden wir auch vor j =
ae. h wohl cy statt e: GL. XI, 34 hey^e (^ he^e, ae. heäh).
(Schlufs folgt.)
Die Wortstellung
im altfranzösischen direkten Fragesatze.
Wer sich die Aufgabe stellte, die altfranzösische Wortstellung im Zu-
sammenhange zu behandeln, würde in einer ganzen Reihe von Arbeiten
über die Wortfolge in einzelnen Perioden oder Denkmälern des Alt-
französischen bereits eine reichliche Vorarbeit finden. Den Reigen er-
öffnete Le Coultre nu't seiner Abhandlung „De l'ordre des mots dans
Crestien de Troyes" (Dresden 1875); dann folgten Krüger: „Über die
Wortstellung in der französischen Prosalitteratur des 13. Jahrhunderts"
(Berlin 1876), Morf: „Die Wortstellung im altfranzösischen Rolands-
liede" (in Böhmers Stud. III), Marx: „Über die Wortstellung bei
Joinville" (in den Franz. Stud. I), Schlickum : „Die Wortstellung in
der altfranzösischen Dichtung Aucassin und Nicolete (Franz. Stud. III)
und Völcker: „Die Wortstellung in den ältesten französischen Sprach-
denkmälern" (Franz. Stud. III). Auch Ehering widmet in seinen
„Syntaktischen Studien zu Froissart" (Zeitschr. f. rom. Phil. V) der
Betrachtung der Wortstellung einen längeren Abschnitt. Vor Le Coultre
hatten natürlich schon Diez und Mätzner den Grundstein gelegt; an
dieser Stelle dürfen endlich auch Toblers wichtige Recensionen der
Arbeiten von Le Coultre (Gott. gel. Anz. 1875, Stück 34) und Morf
(Zeitschr. f. rom. Phil. III, 144 AT.) nicht unerwähnt bleiben. — Es
könnte fraglich scheinen, ob es geraten sei, dieser vielleicht schon zu
langen Reihe von Vorarbeiten noch eine weitere hinzuzufügen, die sich
zwar dadurch von den übrigen unterscheidet, dafs sie für die ganze
altfranzösische Zeit Gültiges aufzustellen versucht, andererseits aber
doch wiederum wie jene sich auf die Erforschung eines engeren Ge-
bietes, der Wortfolge in direkten Fragesätzen, beschränkt. Zur Recht-
fertigung diene der Hinweis auf die Thatsache, dafs gerade die im fol-
genden betrachtete Gattung von Sätzen trotz der zahlreichen Unter-
186 Die Wortstellung im altfiaiizosischcn direkten Frngesalze.
siicluingeii in ausreichender und beiechtigten Anforderungen genügender
Weise nicht behandelt worden ist, sei es, dafs ihr nicht immer die ge-
bührende Beachtung zu teil wurde, sei es, dafs die geprüfte Litteratur
zu wenig Material bot. Im weiteren bedarf es kaum der Erwähnung,
dafs ein Verständnis der sich für den Fragesalz bietenden Ersclieinungen
ohne Rücksichtnahme auf den asserierenden Satz nicht möglich, daher
die reifliche Erwägung der für den letzteren gewonnenen Resultate von
vornherein geboten war.
Morf hat zuerst den Unterschied zwischen metrisch freien und
metrisch unfreien Beispielen aufgestellt, und Tobler^ Mahnung, „sich zu
der Annahme, dafs das Metrum den Dichter zu sprachwidriger Wort-
stellung veranlasse, nur da zwingen zu lassen, wo gar kein anderer
Ausweg bleibt" (Zeitschr. III, 144) hat Völcker und Schlickum nicht
abgehalten, seinem Beispiele zu folgen. Eine nähere Vergleichung des
in den einzelnen Arbeiten Ermittelten beweist deutlich genug, wie be-
rechtigt jene Mahnung war; entscheidend ist besonders auch, dafs
Schlickum, dessen Untersuchung gerade von diesem Standpunkte all-
gemeineres Interesse beansprucht, nicht vermocht hat, irgend mehr zu
beweisen, als dafs die oder jene Stellung in den poetischen Abschnitten
seines Denkmals eine gröfsere Anzahl von Belegen aufzuweisen habe
als in den prosaischen, wohin schon Tobler in der Recension der Morf-
schen Abhandlung den Einflufs des Metrums präcisiert hatte. Freilich
zieht Schlickum nicht selbst dieses Facit aus seinen Beobachtungen;
doch ist er den Beweis für die im Eingange derselben aufgestellte Be-
hauptung, dafs das Metrum zu einer von der normalen abweichenden
Wortfolge veranlasse, schuldig geblieben.
In der vorliegenden Untersuchung ist ein Unterschied zwischen
metrisch freien und metrisch unfreien Beispielen nicht gemacht worden.
Bei der Auswahl der Texte mufste das Hauptaugenmerk auf die
dramatische Litteratur gerichtet werden; so sind denn besonders benutzt:
Mystere d'Adam (Ad.), ed. Luzarche, Tours 1854, Theätre fran-
(jais au moyen-äge (Th. fr.), publ. p. Monmerque et Michel, Paris 1842,
Miracles de Notre Dame par personnages, publ. par G. Paris et
U. Robert (M.), Paris 1877 — 1881.
Ferner: K. Bartsch, allfranzösische Chrestomathie, 3. Auflage,
Leipzig 1875 (B. Chr.), P. Meyer, Recneil d'anciens textes (M. Rec),
Paris 1874 — 77. Fabliaux des XIII« et XIV" siecles, p. p. A. de
Montaiglon et Raynaud (Fabl.), Paris 1872—80.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 187
Die Werke Chrestiens von Troyes: li Romans dou Chevalier au
lyon (Ch. lyon), ed. Holland, 2. Aufl., Hannover 1880; 11 Romans
dou Chevalier de la Charrette, ed. Jonckbloet (Roman von Lancelot
Bd. IJ), Gravenhage 1849 (R. Cham); Perceval le Gallois p. p. Potvin
(Perc), Mons 1865 — 72; Erec und Enide, hrsg. von Bekker in Haupts
Zeitschr. Bd. X (Erec).
Auch die von Jonckbloet a. a. O. publizierten Prosastücke (J.)j
sowie den von Potvin im ersten Bande herausgegebenen Prosaroman
(Pr. P.) habe ich benutzt. Ferner Li Chevaliers as devs espees, hrsg.
von VV. Förstei", Halle 1877 (Cl). II esp.), li Romans de Cleomades
par Adenet le Roi, ed. van Hasselt (Cleom.), Bruxelles 1865 — 66.
Von Übersetzungen habe ich, wenn auch natürlich nur mit Vor-
sicht, die Quatre Hvres des rois, ed. Le Roux de Lincy (L. Rois),
Paris 1841, bisweilen herangezogen.
Bemerkt sei schliefslich noch, dafs ich mit Imme („Die Fragesätze
nach psychologischen Gesichtspunkten eingeteilt und erläutert", Pro-
graramabhandlungen des Königl. Gymnasiums zu Cleve für 1879 und
1881) die Fragen, welche äufserlich durch das an der Spitze stehende
Fragewort kenntlich sind, Bestimmungsfragen nenne (vergl. Imme I,
15 — 18). Der Bezeichnung „Bestätigungsfragen", die im folgenden
für Fragen, die „ja"' oder „nein" zur Antwort verlangen, zur Ver-
wendung gekommen ist, hat sieh vor Imme schon Delbrück im „Ge-
brauch des Konjunktivs und Optativs im Sanskrit und Griechischen"
bedient.
I. Frage- und Aussageform im altfranzösischen
Hauptsatz.
§ 1. Sämtliche romanischen Sprachen unterscheiden die Frage
von der Aussage durch die Wortstellung, und zwar ist Regel, dafs die
erstere mit dem Verbum anhebt ; vor diesem haben nur die interroga-
tiven Pronomina und Adverbia ihren Platz (Diez III, 317 f., 320).
Henri Weil in der Abhandlung „De l'ordre des mots dans les langues
anciennes comparees aux langues modernes" erklärt dies Phänomen
p. 62 f. durch den Hinweis darauf, dafs die Frage, die nicht der Aus-
druck eines Urteils sei, sondern erst durch die Antwort zu einem
solchen vervollständigt werde, auch nicht die Form eines Urteils an-
nehmen dürfej d. h. das Verbum dürfe nicht in der Mitte des Satzes
1H8 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
entrc les idees du sujet et de Caitribut stehen. Vielmehr trete dasselbe
an die Spitze, um anzuzeigen, dafs der Satz nur die Hälfte eines
Urteils enthalte. Mit dieser Erklärung kann man sich nicht wohl zu-
frieden geben. Man sieht nicht ein, weshalb das Verbum, wenn es
nur darauf ankommt, die Stelle in der Mitte des Satzes zu vermeiden,
nicht mit demselben Erfolge an das Ende wie an die Spitze treten
könnte. Auch ist es unbegründet, zu sagen, der Fragesatz enthalte
nur die Hälfte eines Urteils: er enthält weder ein halbes noch ein
ganzes Urteil.
Le Coultre (de l'ordre des mots dans Crestien de Troyes) sieht
seinerseits p. 25 in dem Vorantreten des Verbums die Regel der
pathetischen Wortstellung beobachtet, da der Fragende in der That
nichts Eiligeres zu thun habe, als den Gedanken auszudrücken, auf
den sich sein Zweifeln beziehe.* Offenbar will Le Coultre unter Videe
Videe du verbe verstanden wissen ; er nimmt also an, der Zweifel des
Fragenden erstrecke sich nur auf das Verbum, während es doch in
Bestätigungsfragen (und nur von diesen spricht Le Coultre) die Richtig-
keit der Verbindung eines bestimmten Subjekts mit einem bestimmten
Prädikat ist, über die der Fragende im ungewissen ist. Neben diesem
Irrtum macht Le Coultre die durchaus unbegründete Annahme, der
Fragesatz zeige die pathetische Wortstellung.
Wenn somit' nach meiner Ansicht keine der beiden Erklärungen
für ausreichend erachtet werden kann, so mufs man doch zugeben, dafs
Weil auf den richtigen Ausgangspunkt hingeAviesen hat. Freilich nimmt
auch Le Coultre Weils zutreffende Bemerkung auf, dafs die Frage, da
sie kein Urteil zum Ausdruck bringe, nicht die Form eines solchen
zeigen dürfe; aber man sieht, dafs seine Theorie dieser Voraussetzung
nicht bedarf. Es kommt demnach, sofern man es überhaupt unternehmen
darf, eine Erklärung eines so allgemeinen Gesetzes wie des vorliegen-
den an der Hand der sich in einer einzelnen Sprache bietenden Erschei-
nungen zu versuchen, in erster Linie darauf an, festzustellen, welches
die Form des altfranzösischen Aussagesatzes war.
§ 2. Obgleich schon in der alten Sprache die Neigung vor-
herrschte, dem Subjekt die erste Stelle im Satze einzuräumen, ist doch
die Inversion desselben noch «ine überaus häufig auftretende Erschei-
nung. So zeigen von den Hauptsätzen mit nominalem oder ausge-
* Que cl'exprimer l'idee sur laquelle porte son deute (Le Coultre a. a. O.).
Die Wortstellung im ult französischen direkten Fragesatze. 189
setztem pronominalem Subjekt Inversion des letzteren im Alexius
47Proz., im Fragment von Gormond und Isembard 44 Proz. (Völcker
p. 9), im Rülandsliede 43 Proz. (Morf p. 205), bei Crestien 33 Proz.
§ 3. Die Fälle nun, in denen im uneingeleiteten Vordersatze
Inversion des Subjekts eintritt, hat Tobler in der Recension der Morf-
schen Arbeit (Zeitschrift III, 144) darauf zurückgeführt, dafs das Sub-
jekt entweder das Hauptgew^icht der Aussage trägt oder nachträgliche
Erläuterung zum Verbum ist. Es werden sich kaum Belege auch bei
anderen Verben als denen des Sagens (bei welchen die Inversion
geradezu die regelmäfsige Stellung ist) finden, auf die diese Erklärung
nicht anwendbar wäre. Wenigstens lassen sich die von Morf und
Völcker als Ausnahmen angeführten oder anders erklärten Stellen mit
ihrer Hilfe ohne Mühe verstehen. Freilich wird man zuweilen schwanken
können, ob das Subjekt der Kern der Aussage oder nachträgliche Er-
läuterung zum Verbum sei, und nicht immer wird der Zusammenhang
das Richtige lehren. Man darf indes sicher annehmen, dafs der lebendige
Vortrag jeden Zweifel ausschlofs: ist das Subjekt nachträgliche Er-
läuterung zum Verbum, so wird der Redende eine wenn auch noch so
kurze Pause hinter dem letzteren eintreten lassen,
Völcker (p. 10 f.) wendet nun die erwähnte Erklärung nur auf
den Fall an, dafs das Prädikat ein verbum dicendi ist. Von den p. 11 ge-
gebenen Belegen, die nach Völcker infolge metrischen Einflusses bei verbis
dicendi nicht Inversion des Subjekts zeigen, ist zu streichen Pass. 34 c,
Dafs das Metrum keinen Einflufs hatte, geht daraus hervor, dafs der Vers
durch die Stellung resjiondent li ü tuit aduii nicht gestört worden wäre;
eine Ausnahme liegt aber gar nicht vor, da, wie Morf p. 207 lehrt,
sich unter der grofsen Zahl von Beispielen für unbedingte Inversion
im Rolandsliede nie die Inversion eines pronomen personale findet.
Aber auch bei nominalem Subjekt wäre in dem Eintreten der regel-
niäfsigen Wortstellung bei einem verbum dicendi so wenig eine Aus-
nahme zu sehen, wie Ch. Rol, 2006: Rollanz respunt (Tobler a. a. 0.)
und Passion 46 b: Tuit li fellon evident adtin, bei welcher letzteren
Stelle Völcker ebenfalls metrischen Einflufs annimmt. Ob Völcker das-
selbe auch für Leodegar 16a: il cio li dist et adunat und AI. 105 a:
CiL an respondent gut l'ampirie bailissent thut, wird nicht recht ersicht-
lich; jedenfalls zeigen beide Belege die regelrechte Stellung. Gor-
mond 239: Hugelins dist une noiivelle soll das Objekt Inversion ver-
hütet haben j was wieder nicht zu erweisen ist. Freilich lehrt Morf
11)0 Die Wortstpllimg im altfranzösischeii direkten Fragesatze.
p. 206, dafs im Rolandsliede unbedingte Inversion in Sätzen mit transi- ^
tivem Verbum nur dann eintrete, wenn ein Objekt gar nicht oder durch
einen voU.^tändigen Satz ausgedrückt sei. Aber deshalb scheint man
mir (abgesehen davon, dafs die Allgemeingültigkeit der Morfschen Be-
merkung noch aufzuzeigen ist) noch kein Recht zu haben, dem Objekte
Inversion verhindernde Kraft zu vindizieren, wenn ohne dasselbe die
regelmiifsige Wortstellung gleich gut hätte Platz greifen können. Ähn-
liches gilt von Gorm. 489 und eb. 584, wo nach Völcker eine beim
Verbum stehende adverbiale Bestimmung Inversion des Subjekts ver-
hütet hätte. Von den bei V. p. 11 unter 2 (das Verb ist ein sonstiges
transitives oder intransitives Verb) gegebenen Belegen gehören zu denen,
in welchen das Subjekt den Kern der Aussage bildet, Leodegar 20 c:
vindrent parent e lor amic^ Alex. 63 c: vint une voiz ki lur ad andüet,
Passion 15a: venrant li an veiirant li di.
Die Bedeutung einer nachträglichen Erläuterung scheint das Sub-
jekt zu haben Alex. 88 a: plurent si oil (sie weinen, ihre Augen), eb.
llSd, 36a, 121a. Auch Alex. 9a ist wohl hierher zu ziehen: sie
war, die Jungfrau, von sehr hoher etc. Diesem Beispiel ist an die
Seite zu stellen das von Mätzner, Syntax § 486, p. 268 citierte: Fu
Jacob li mendrez fiz Isaac (cfr. Morf, Anm. p. 207, 237). Auch
AI. 36 a steht das Subjekt in ähnlicher Weise gewissermafsen in
Parenthese. Durch die von Völcker für die Beispiele unter 2 gegebene
Erklärung, dafs nämlich die Inversion dem Gedanken eine präcisere
Fassung, leichtere Verständlichkeit und gröfsere Einfachheit verleihe,
wird man nicht gefördert.
So wäre es nun auch von den vielen Beispielen für unbedingte
Inversion in der Chanson de Roland (Morf p. 206 f.) nicht schwer zu
zeigen, dafs sie alle, so oder so, die Toblersche Erklärung illustrieren.
Wir verzichten indes darauf, dies hier im einzelnen auszuführen, weil
wir, wie gesagt, glauben, dafs in vielen Fällen nur das lebendige Wort
einen Zweifel über die richtio-e Auffassunsr ausschliefsen konnte.
Lassen sich nun alle Beispiele für die sogenannte unbedingte
Inversion des Subjekts auf die oft genannte Erklärung zurückführen,
so haben wir für den altfrz. uneingeleiteten Vordersatz drei Stellungen
zu unterscheiden:
1) die regelmäfsige : Subjekt — Verbum, z. B. Cli. Rol. 2006:
RoUanz respunt, wodurch vom Rollant ausgesagt wird, sein Thun
bestehe in einer Antwort (cfr. Tobler a. a. 0.)i Das gram-
Die Wortstellung im altfranzösisclien direkten Fragesatze. 191
rnätische Subjekt ist somit in diesem Falle gleichzeitig logisches Sub-
jekt, * das grammatische Prädikat auch das logische. Jenes steht an
erster, dieses an zweiter Stelle.
2) Die invertierte (Verb — Subjekt), in der auf dem Subjekt das
Hauptgewicht der Aussage ruht, z. B. Ch. Rol. 1006: Dist Oliviers.
Hier ist der Sinn des Satzes: das Sagen kam vom Olivier (Tobler
a. a. O.), wer sagte, war der Olivier. So ist denn dist logisch Sub-
jekt und Oliviers logisch Prädikat. **
3) Die invertierte Stellung, in der das Subjekt als nachträgliche
Erläuterung zum Verbum aufzufassen ist. AI. 88a haben wir z. B.
als hierher gehörig bezeichnet: Plurent si oil; das Gewicht der Aus-
sage ruht zweifellos auf plurent, während si oil, das allerdings logisch
und grammatisch als Subjekt zu plurent zu denken ist, aufserhalb des
eigentlichen Satzgefüges steht. Das plurent, welches allein den voll-
ständigen Satz ausmacht, ist gewissermafsen in der falschen Voraus-
setzung ausgesprochen, dafs das Subjekt si oil dem Hörer schon vor-
schwebe und daher nicht nochmals ausgesprochen zu werden brauche
(heute wäre wenigstens die formelle Bezeichnimg durch das betreffende
Personalpronomen vonnöten).
^ So finden wir denn ein logisches Subjekt im altfrz. uneinge-
leiteten Vordersätze nie anders als an erster Stelle, was freilich bei
Stellung 3 nicht erkennbar wird.
§ 4, Im eingeleiteten Vordersalze nun rufen nach Morf (und
* Es scheint erforderlich, darauf hinzuweisen, dafs hier und im fol-
genden nach dem von Prot. Tobler in seinen Vorlesungen über liistorische
Syntax des Französischen beobachttten und vom historischen wie vom psycho-
logischen Standpunkte einzig gerechtfertigten Verfahren unter „logischem"
Subjekte das verstanden wird, in Bezug worauf eine Aussage gethan wird,
was die Grundlage, den Ausgangspunkt dieser Aussage bildet; hingegen
nennt das ..grammatische" Subjekt nur dasjenige Seiende, welches als Träger
des durch das verbum tinituni zum Ausdruck Gebrachten (entweder des
Seins selbst oder einer Art des Seins oder einer Bethätigung desselben)
erscheint.
** Es ist dist also im Grunde unpersönlich gebraucht und Oliviers ge-
wissermafsen adverbiale Bestimmung zu ihm. Auf dieser ruht dann not-
wendig das Hauptgewicht der Aussage, da dist mehr oder weniger Formwort
ist, das erst durch Oliviers seine Bedeutung empfängt. Im Italienischen
fehlt es ja denn auch oft genug in älinlichem Zusammenbange. Vergl. die
vielen Stellen in der divina commedia, wie Inf. III, 43: Ed io: Maestro etc.
Inf. III, 94: E il duca a lui, das nicht zu vervollständigen ist: E il duca
disse a iiii, sondern E disse il dtica a lui. Dafs das \'erb mit dem schein-
baren Subjekt kongruiert (vergl. Passion IIa), ist eine auch anderen Sprachen
(z.B. dem Deutschen) geläufige Attraktion: Es singen die Grofsen und die
Kleinen.
19"2 Die WortsU'Uung im alifraiizötiisclien direkten Fragesatze.
auch die übrigen Arbeiten geben Nachweise) Inversion des gräm-
mjitischen Subjekts hervor:
a) Adverbia und adverbiale Bestimmungen,
b) das Objekt,
c) attributive und
d) prädikative Bestimmungen,
e) (?) koordinierende Konjunktionen.
In vielen Fällen kann aber ebenfalls lediglich von Inversion des
grammatischen Subjekts die Rede sein, das logische hat auch hier
oft den ersten Platz. Wir versuchen, dies an einigen Beispielen zu zeigen.
a) Adverbien rufen Inversion hervor z. B. Ch. Rol, 116 La siet
li rois. Hier wird nun offenbar nicht von dem Könige ausgesagt, er
sitze und zwar an einem mit la bezeichneten Orte, sondern von einem
dem Hörer vorschwebenden und deshalb nur in formaler Weise
durch la zum Ausdruck gebrachten Orte sagt der Redende aus, an
ihm finde das Sitzen des Königs statt. Es ist demnach la logisch
Subjekt und siet li rois logisch Prädikat. Die Inversion des gram-
matischen Subjekts ist in diesem Falle durchaus obligatorisch, und ein
Satz wie la li rois siet (der sich übrigens nicht finden wird) würde
die Annahme einer Anakoluthie unumgänglich notwendig machen. |ßo
sehe ich denn auch eine Anakoluthie in Sätzen, in denen nach um,
ja (Morf 210), ensi, ainz (Le Coultre p. 19, Krüger p. 39) und be-
sonders oft nach präpositionalen Adverbialien Inversion des gram-
matischen Subjekts nicht eintritt, z. B. Ch. Rol. 891 : Devant Marsilie
eil s'escriet mult halt. Dafs dies beim präpositionalen Adverbiale häu-
figer als beim einfachen Adverbium geschieht, hat Morf p. 212 richtig
durch die gröfsere Selbständigkeit des ersteren erklärt.
b) Das Objekt ruft Inversion hervor, z. B. Aue. Nie. 18, 37: les
deniers prenderons nos. Zum Unterschiede von einem Satze nos pren-
derons les deniers, der zum Ausdruck bringt, das zukünftige Thun der
mit nos bezeichneten Personen bestehe im Nehmen der Heller, wird
hier von den Hellern ausgesagt, sie seien als Objekt zu einer Aussage
nos prenderons zu denken. Das Subjekt braucht natürlich nicht ein
Personalpronomen zu sein, cfr. Ch. Rol. 158: Les dis vmlez fait Carles
estahler. Die Inversion ist, wie nach Adverbien, durchaus die Regel;
doch sind auch hier Beispiele anakoluthischen Verfahrens nicht ausge-
schlossen, und zwar scheint die Stellung Objekt — Subjekt — Verb
besonders für personal[)ronominale Subjekte nicht gerade selten zu sein
Die Wortstellung Im altfranzösischen direkten Fragesatze. 193
(Krügerp. 30, Marx p. 348), ohne dafs sie indes auf solche beschränkt
wäre.* Le Coultre citiert p. 33 Ch. Lyon 4524: Ce cop li autre dui
comperent. Vergl. ferner Rieh. 57: Icheli cliar cascuns qiii croit Le
joiir de la pasque rechoit; eb. 1805: L'arbcdestre Eichars retent.
c) Eine attributive Bestimmung ist wohl nicht anders als eine
adverbiale anzusehen. Wenn es Ch. Rol. 2258 heifst: De pareis li
seit la porte ouverte, so gehört de pareis zum ganzen Satze, nicht blofs
zu la porte (s. Tobler, Versbau ^ 103), Ch. Rol. 1786, welchen Vers
Morf gleichfalls als Beispiel dafür anführt, dafs nach einer attributiven
Bestimmung Inversion eintrete, ist nicht ganz gleicher Art mit den
übrigen Belegen. Es heifst dort: De sun cervel rompuz en est li
temples. Daraus, dafs de sun cervel vor dem Verbum noch einmal in
formaler Weise durch en bezeichnet wird, geht zur Genüge hervor,
dafs es aufserhalb des eigentlichen Satzgefüges steht, das erst mit
rompuz anhebt.
d) Eine prädikative Bestimmung leitet den Satz ein.
Krüger citiert z. B. p. 37 aus Le roi Flore et la belle Jehanne
(p. 113): Chevaliers sui je voirement,** „Die Bezeichnung chevalier
kommt mir in der That zu" ist der Sinn des Satzes, mit anderen
W^orten: Chevaliers ist logisch Subjekt, sid je voirement logisch Prädikat.
e) Inversion des Subjekts nach koordinierenden Konjunktionen.
Krüger p. 36 leugnet, dafs koordinierende Konjunktionen überhaupt in
Betracht kämen, welche Behauptung Morf p. 208 völlig unbegründet
nennt. Dafs aber auch Morf nicht ganz das Richtige getroffen, hat
Tobler in der erwähnten Recension der Morfschen Arbeit gezeigt. Für
das Rolandslied wenigstens ist durch et hervorgerufene Inversion des
grammatischen Subjekts nicht anzunehmen, während dieselbe nach si
die ganze altfranzösische Periode hindurch ausnahmslos eintrat. Das
letztere gilt natürlich auch von et si. So wenig als Morf vermögen
nun auch Le Coultre, Schlickum und Völcker stichhaltige Belege dafür
beizubringen, dafs et Inversion hervorzurufen im stände gewesen sei;
denn letzterem scheint es ohne Grund zweifelhaft, ob Gorm. 78: e dist
Gormunz, eist cCOrient die Inversion durch e oder durch den Um-
stand, dafs das Verbum ein verbum dicendi sei (wie wir uns der Kürze
wegen ausdrücken wollen), bewirkt worden sei; ebensowenig wird
* Wie es nach Morf p. 212 scheinen könnte.
** Der citierte Satz ist die Antwort auf ein vorhergehendes: Et vous nie
samhles, sire, Chevaliers.
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 13
l'.l-l Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
ninn iliiii freilich zugeben, dufs et Inversion verhindernde Kraft habe,
wie er mit Le Coultre (p. 17) annimmt. Von der Mehrzahl der bei
Krüger p. ÜG für unbedingte Inversion des Subjekts gegebenen Be-
lege (von denen E. C. 21 und V. H. 163 als nicht hingehörig zu
streichen sind) ist gleichfalls zu bemerken, dafs auch ohne das die
sämtlichen Beispiele einleitende et, vorausgesetzt dafs die für das
Rolandslied gültigen Gesetze noch in Kraft waren, die regelmäfsige
Wortfolge nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre, wenn mir auch
die Zulässigkeit dieser Annahme für V. H. 91 : Et assemhlereiit li
baron et li dux de Venise en iin palais, und eb. 167: et issirent de
lor meillors gens wie partie fors zweifelhaft scheint. Jene Voraussetzung
trifft nun allerdings nach dem von Krüger und Marx Ermittelten weder
für die Prosalitteratur des 13. Jahrh. noch für Joinville zu. Keine der
beiden Untersuchungen bietet Beispiele dafür, dafs „absolute" Inversion
auch in nicht durch et eingeleiteten Sätzen möglich gewesen sei. Da-
gegen finden sich sowohl bei Krüger als bei Marx Belege für Inversion
des Subjekts nach et unter Bedingungen, die „absolute" Inversion in
der ältesten Zeit und im Rolandsliede nicht zugelassen haben würden.
So citiert Krüger p. 46 in anderem Zusammenhange zwei Beispiele
mit nominalem Objekt (cfr. Morf p. 206) und ebenda ein solches mit
prädikativer Bestimmung: V. H. 407: Et fu li uz et la noise granz
(cfr. Morf p. 307). Über Joinville sehe man Marx p. 339, über
Froissart Ehering Z. V, 348. Für den Fall also, dafs 1) Morfs für
das Rolandslied aufgestellte Behauptung, „absolute" Inversion des Sub-
jekts finde nur in objektlosen (d. h. eines nominalen Objekts entbeh-
renden) Sätzen statt, Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen darf,
2) sich weder in der Prosalitteratur des 13. Jahrh. noch bei Joinville Bei-
spiele für Inversion des Subjekts im uneingeleiteten Vordersatze finden
sollten (?), würde ich Bedenken tragen, der Konjunktion et für die
spätere Zeit des Altfranzösischen invertierende Kraft abzusprechen.
Es wäre nicht undenkbar, dafs si in seiner gleichartigen Funktion als
koordinierende Konjunktion Einflufs geübt hatte. Zur Erklärung der
Inversion nach si selbst darf man gewlfs daran denken, dafs si ur-
sprünglich Älodal- Adverbium ist.
Liefsen sich nun alle die Fälle, in denen ein Inversion des gram-
matischen Subjekts bedingendes Satzglied au der Spitze steht, auf die
durch mehrere Beispiele veranschaulichte Weise erklären, so wäre, wenn
wir vorläufig von Fällen absehen, in denen entweder das dem Verbum
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 195
vorangehende Subjekt oder ein einleitendes Satzglied der gedachten
Art durch ein weiteres Satzglied vom Verbum getrennt ist (cfr. p. 19, 2-4),
anzuerkennen , dafs im altfranzösischen Vordersätze (und auch im
Nachsatze, für den, wie wir sehen werden, die gleichen Gesetze gelten)
an erster Stelle das logische Subjekt, an zweiter das Verbum stände.
§ 5. Doch wird man überaus häufig Fällen begegnen, die sich
einer solchen Auffassung nicht fügen. Vor allem stellt sich heraus,
dafs, falls ein mit dem logischen identisches grammatisches Subjekt
nicht ausgesetzt ist,* es unter Umständen Regel ist, dafs nicht, wie
zu erwarten, das Verbum, sondern an seiner Stelle ein Prädikativum,
oder ein Objekt oder ein Adverbiale an die Spitze des Satzgefüges tritt.
a) Das Verbum ist estre. Schon Morf hat p. 236 die nicht nur
für das Rolandslied, sondern auch für die spätere Zeit zutreffende Be-
merkung gemacht (cfr. Le Coultre p. 28 f., Krüger p. 44 f., Marx
p. 346 f., auch Völcker p. 27 f.), dafs die Stellung, Verb, subst. —
Prädikativ (des Subjekts) nur dann gestattet ist, wenn durch dieselbe
estre nicht an den Anfang des Satzes zu stehen kommt. Dieser Fall
aber würde eintreten, wenn ein personalpronominales (logisches und
grammatisches) Subjekt nicht ausgesetzt wäre. Nehmen wir an, man
hätte afrz. ausdrücken wollen: „er ist reich", so wäre man bei Aus-
lassung des Subjektspronomens in die Lage gekommen, zu sagen:
est riches. Statt dessen nun sagte man regelmäfsig mit Inversion
des Prädikativums 7'iches est, ebenso wenn letzteres substantivisch :
Aleman sunt statt ursprünglich zu erwartendem sunt Aleman (Ch. Rol.
303), in der zusammengesetzten Verbalform Äfublez est (Ch. Rol. 462)
und nicht est afublez, und endlich auch, wenn eine adverbiale Bestim-
mung die Stelle des Prädikativs vertritt: a piecl estes, nicht estes a pied
(Ch. Rol. 2138).
b) Ebenso unleidlich wie estre scheint avoir für das Altfranzösische
an der Spitze des Satzes zu sein, und zwar nicht blofs, wie es nach
Morf p, 241 scheinen könnte, in der zusammengesetzten Verbalform
(cfr. Morf p. 241, Krüger p. 16, Le Coultre p. 39, Völcker p. 31).
Denn so wenig man afrz. ai pris Valterne sagen durfte für Pris ai
Valterne (Ch. Rol. 199), so wenig wäre auch ein ad la harhe blanche
für das regelrechte blanche ad la barbe (Ch. Rol. 117) möglich ge-
wesen. Morf hat nicht in Betracht geicogen, dafs unter den vielen
Oder nicht ausgesetzt werden kann (bei unpersönl. Ausdr.).
13*
19G IHc Wortstellung im altfninzösischen direkten Fragesatze.
Belegen, die er für die Stellungen ovpr und pr v o (v = aveir, pr =
Prädikativ des Objekts aufserhalb der zusammengesetzten Verbalform)
auf p. 240 giebt, sich nicht ein einziger mit nominalem Subjekt findet.
Die Beispiele haben sämtlich eine ganz konstante Form : aveir steht
zwischen dem Prädikativ und dem Objekt und wird weder von diesem
noch von jenem getrennt, nicht einmal durch das tonlose Personal-
pronomen. Das einzige Beispiel mit nominalem Subjekt, das Morf
citiert (Ch. Rol. 1785), zeigt die im Nfrz. obligatorische Stellung: Li
quens Rollanz ad la buche sanglente, so dafs denn die von Morf a. a. 0.
aufgestellte Behauptung," das Prädikativ könne vom Verbum durch das
Subjekt getrennt werden, weit entfernt ist, allgemein gültig zu sein.
Wenigstens geben auch die anderen Arbeiten (Krüger p. 49, Le Coultre
p. 3G, Völker p. 29, Schlickum p. 23) dafür, dafs sie für ein nomi-
nales Subjekt in einem durch das nominale Objekt eingeleiteten Satze
zutreffe, keinen Beleg. Nachgewiesen ist also bisher nicht, dafs man
etwa habe sagen können: Cors ad li rois midt gent; auch einem blanche
ad li rois la barbe ähnlich gestaltete Falle kann ich nicht aufzeigen.
Doch sehe man p. 22.
Aus der Abneigung der alten Sprache, avoir an den Anfang des
Satzes treten zu lassen, erklärt sich denn auch die Erscheinung, dafs
bei dem dem nfrz. il y a entsprechenden afrz. a (ot etc.) die Voran-
stellung des Objekts die Regel ist, natürlich im uneingeleiteten Satze
(cfr. Morf p. 226, Krüger p. 47).
Man vergl. auch das von Schlickum citierte Aue. Nie. 24, 54 :
Uiie lasse mere avoie.
c) Doch handelt es sich nicht blofs um avoii' und estre. So sei
zunächst darauf hingewiesen, dafs im Altfranzösischen der Ohjekts-
infinitiv eines modalen Hilfsverbums ganz gewöhnlich an die Spitze des
Satzes tritt, wiederum unter der mehrfach erwähnten Bedingung. Die
von Morf p. 231 und p. 275 gegebenen Belege, in denen das Verbum
finitum dem infinitum vorantritt (im uneingeleiteten Satze), sind alle
derart; cfr. auch Krüger p. 20, Le Coultre p. 49.
So heifst es Ch. Rol. 330: Ademplir voeill vostre comandement ;
ein Satz jo vceill vostre com. ad, hätte nichts Bedenkliches ; vceill vostre
comandement ademplir scheint mindestens sehr selten. Wenigstens be-
findet sich unter den von Morf p. 275 (Völcker p. 53 hat zu wenig
Beispiele) für die Stellungen vio und voi gegebenen Belegen nur
einer im nicht eingeleiteten Satze; es ist Ch. Rol. 701: Franc des-
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 197
herbergent, funt lur sumiers trusser ; * hier handelt es sich also nicht
um ein modales Hilfsverbum; oh faire auch sonst unter ähnlichen Um-
ständen Ton genug besitzt, um an der Spitze des Satzes stehen zu
können, bedarf noch der Untersuchung. Vielleicht aber ist man gar
nicht gezwungen, anzunehmen, dafs mit funt ein neuer Satz beginne;
vergl. die ähnliche von Morf, Anm. p. 241, konstatierte Ausnahme:
Ch. Roh 384: Vint i sis nies, out vestue sa brunie.**
d) Ganz gewöhnlich ist aber auch, dafs ein zu einem beliebigen
transitiven Verbum gehöriges Objekt bei nicht ausgesetztem Subjekt
an die Spitze des Satzes tritt, und zwar in Verhältnissen, die es als
logisches Subjekt zu betrachten nicht gestatten. Zwar läfst sich aus
den unserer Betrachtung zu Grunde liegenden Arbeiten hier wenig
beibringen, da es an einschlägigen Beobachtungen durchaus fehlt. Die
Thatsache ist darum nicht weniger sicher.
Schlickura citiert Aue. Nie. 24, 54 : Une lasse mere avoie (cfr. oben) ;
41, 13: andex ses bras li tendi; eb. 41, 19: Dame de Biaucaire en
fist; Le Coultre (p. 64) Ch. Lyon 1898: Cest chemin tanroiz.
Doch giebt jeder beliebige afrz. Text Beispiele. Man sehe z. B.
Rieh. 47: Une invocation ferai; eb. 76: Une femme ot, s'ot non Cia-
risse; eb. 115: Grant duel en fist, ses poins detort; eb. 130: et ses
yelz en refait; eb. 342: Le cheval point Ines d^une part; eb. 393: Tel
noise fist au tresbuchier ', eb. 464: Esgarde as en mal sautier ; eb. 484:
Ses poins detort, ses clievialz tire', eb. 712: Sa femme appielle, si
li dist; eb. 753: ./. chierf esmuch de .XVI. rains; eb. 899: JRoisant
fist a la matinee etc.
Ebenso treten gar nicht selten Adverbien und adverbiale Bestim-
mungen unter ähnlichen Verhältnissen an die Spitze des Satzgefüges:
Rieh, 349: Amont rampa tant qu'il fu sus; eb. 1719: Sus se
lievent, fait sont li lit; eb. 348: Et par dessus se mist et lanche;
eb. 299: Sour Vierbe chiet toute souuine; eb. 541: Fieus, mieus amaisse
que tous tans etc.; eb. 252: D^inne fieure se sent grevee; eb. 1131: Äu
signour vient etc.
Zur Erklärung der vorstehend konstatierten Thatsachen liegt, wo
es sich um avoir, estre oder ein modales Hilfsverbum handelt, die An-
* Vielleicht hat man mit der \'enez. Hdschr. IV zu lesen: lor sanier
fönt torser.
** Auch hier scheint die Lesart der Venez. Hdschr.: ven vestu (Tuna
hruna die bessere zu sein.
198 Die Wortstellung im altfranzösisclien dirckton Fnigosatzc.
nähme einer innigen, wie ein einfaches Verbum funktionierenden Ver-
bindung zwischen dem verbum finitum und dem ihm vorangehenden
Satzgliede nahe. Wenn der Redende ein Subjelct nicht aussetzte, so
that er das in dem Bewulstsein, dafs dem Hörer bekannt sei, worauf
sich die Aussage beziehe; es kam ihm also nicht darauf an, mit seiner
llede eine Verbindung zwischen einem bestimmten Subjekt und einer
bestimmten Aussage zu konstatieren, sondern nur darauf, von einem
dem Hörer bereits vorschwebenden Subjekte eine Aussage zu machen.
In einem Satze wie riches est hatte also est wenig mehr als flexivischen
Wert und trat daher ganz angemessen hinter riches. Am wenigsten
macht die sogenannte zusammengesetzte Verbalform einer solchen Auf-
fassung Schwierigkeiten ; für substantivische Prädikativa sind unper-
sönliche Ausdrücke wie 7iuit estoit (Joinv. 7, 26) am geeignetsten,
die Innigkeit der Verbindung hervortreten zu lassen.
Aber auch für Falle, in denen ein Objekt oder eine adverbiale
Bestimmung dem verbum finitum vorangehend an der Spitze des Satzes
steht, scheint uns die gleiche Auffassung zulässig; von einem mdt
estoit zu einem Roisant fist (Rieh. 899) ist kein grofser Schritt, und
auch in Beispielen wie Rieh. 115: Grant cluel en flst, eb, 393: Tel
noise foist, überhaupt wo es sich um faire handelt, oder Ch. Rol. 760:
Veir dites, oder etwa Myst. d'Ad. 6 : Grant grace^s) rend (/. rent) a ta
benignite etc. wird man die Annahme einer engen Verbindung nicht
gewagt finden (cfr. Diez III, 31, Holder § 144). Für Adverbien
cfr. Rieh. 541 : Fieus, mieiis amaisse etc. Freilich kann man nicht
sagen, dafs das Verb in diesen Fällen nur flexivischen Wert habe,
doch tritt es hinter dem ihm vorangehenden Satzgliede an Ton sehr zurück.
Man vergl. noch Ch. Rol. 2787: Quite vos claimet d'Espaigne
le regnet.
Es sei noch erwähnt, dafs zu gunsten der dargelegten Auffassung
auch der Umstand spricht, dafs bei avoir, estre oder einem modalen
Hilfsverbum das an der Spitze des Satzes siehende Prädikativ oder das
infinitivische Objekt vom Verbum nicht trennbar ist (vergl. Morf p. 231,
235, 241). Fälle freilich, in denen ein an der Spitze stehendes nomi-
nales Objekt durch eine adverbiale Bestimmung oder umgekehrt diese
durch jenes vom Verbum getrennt wird, * sind gar nicht selten. (Morf
p. 226, 250, Völcker p. 35.)
• Oder eine adverbiale Bestimmung durch die zweite Rieh. 821: En
apries au moustier le mainnenl.
Die Wortstellung im altfranzösiscben direkten E'ragesatze. 199
Doch wird man hier zu scheiden haben zwischen solchen, in
denen beide dem Verbum voraufgehende Satzglieder mit demselben
gleich eng verbunden sind (vergl. z. B. Rieh. 415: Des esporons son
destrier broche; ob. 846: Des esporons le clieval point; eb. 615: Le
frain au cheval abandonne), so dafs der Annahme einer engen Ver-
bindung zwischen Verbum und beiden zu ihm gehörigen Bestimmungen
nichts im Wege stände, und solchen, bei denen das an der Spitze stehende
Satzglied logisches Subjekt des Satzgefüges ist (so vielleicht Rieh. 552 : Au
relever son enfant baise; eb. 655: Eji sa canhre sa femme treuve). Doch
wird man sich selten mit Gewifsheit für die eine oder andere Auffassung
entscheiden können.* Letztere Fälle werden dann wie die unten (p. 24)
besprochenen zu betrachten sein, in denen ein an der Spitze stehendes
logisches und grammatisches Subjekt durch ein Objekt oder eine adver-
biale Bestimmung vom Verbum getrennt wird.
e) Immerhin scheint es mit dem Prädikativ des Objekts noch seine
eigene Bewandtnis zu haben. In einem Satze wie blanche ad La barbe
fällt es schwer, sich eine innige Verbindung zwischen dem voraus-
gehenden Prädikativ und aveir vorzustellen. Wohl aber scheint die
Annahme einer solchen möglich zwischen aveir einerseits und Objekt -|-
Prädikativ andererseits: „weifsbärtig sein" wäre in unserem Falle ihre
Bedeutung. Geht man von dieser Anschauung aus, so scheint auch
die konstante Form derartiger Ausdrucksweisen erklärlich. Neben
blanche ad la barbe begegnet vielleicht noch häufiger: {la) barbe ad
blanche (Morf 240), doch wird in beiden Stellungen in der Regel weder
Objekt noch Prädikativ vom Verbum getrennt. War man nun durch
Nichtaussetzung des Subjekts in die Lage versetzt, ad la barbe blanche
oder ad blanche la barbe zu sagen, so wurde der Anstofs, den das an
der Spitze stehende ad erregte, gleich gut durch ein blanche ad la barbe
oder {la) barbe ad blanche vermieden, wenngleich anzunehmen ist, dafs
die Sprache in der Wahl nicht willkürlich verfahren sein wird, sondern
ein ad blanche la barbe durch ein blanche ad la barbe und ein ad la
barbe blanche durch ein [la) barbe ad blanche vermieden haben wird.
Auch für das participiale Prädikativ des Objekts ergiebt sich bei
* So möchte Ch. Rol. 1248; Sun grant espiet par mi le cors li mist
(ebenso in den ganz ähnlichen Beispielen Ch. Rol. 1266, 1306) der Sinn
eine enge Verbindung zwischen dem Verbum und Objekt -\- adverbiale Be-
stimmung wohl anzunehmen gestatten; doch weist vielleicht andererseits die
hinter dem Objekt eintretende Cäsur auf die Auffassung desselben als
logischen Subjektes.
200 nie Worlstellung im altfi!uizösi.«clien direkten FrHgesatze.
näherer Betrachtung der von Morf p. 241 gesammelten Beispiele, dafs
bei Voranstellung sowohl des Prädikativs als auch des Objekts vor
aveir, d. h. in den Stellungen pr v o (Stellung 5) und o v pr (Stellung 3)
in der Regel ein Subjekt nicht ausgesetzt ist. So finden sich unter den
25 Belegen für erstere Stellung nur zwei, die ein nominales Subjekt
aufweisen: Ch. Rol. 1903: l^renchet li a Li cuens le destre puign und
eb. 2755 f. (bei Morf ist 2756 gedr.): Carles li emperere Mort m'ad
mes Jntmes, ma terre deguasiee. Bei letzterem scheint RIorf selbst,
wie auch wir thun (cf. p. 24), das engere Satzgefüge erst mit Moi't
beginnen zu lassen, so dafs denn dies Beispiel ganz gleicher Art ist
mit Ch. Rol. 1367; Danz Oliviers trait ad sa bone espee. (Bei einem
dritten Belege Ch. Rol. 1192 ist ein beziehungsloser Relativsatz Sub-
jekt.) Ebenso weisen die Beispiele für die durch das Schema ovpr
veranschaulichte Wortfolge, welche nach Morf die häufigste ist, nur
zwei übrigens gleichlautende Sätze mit ausgesprochenem nominalen
Subjekt auf: Ch. Rol. 164, 670: Messe e matines ad li reis escultet.
Dagegen haben von den dreizehn Beispielen für StelUuig 1 v o pr
sieben (Ch. Rol. 62, 193, 236, 441, 703, 708 [bei Morf steht 707],
1457) ein ausgesprochenes Subjekt, das in einem Falle (236) pro-
nominal ist. Gleichgeartet sind unter 11 Sätzen mit der Wortfolge
vpro vier (Ch. Rol. 78, 181, 496, 844).
Die Belege für die beiden letzteren Stellungen, in denen das Sub-
jekt unausgesprochen bleibt, sind mit Ausnahme von Ch. Rol. 384,
dem einzigen Falle, in dem aveir am Anfang des Satzes steht,* (^Vint
i sis nies, out vestue sa briinie) alle eingeleitet.
Diese Thatsachen beweisen, dafs, sofern ein Subjekt ausgesetzt
war, die regelmäfsigen Stellungen im Rolandsliede vopr und vpro
wäret}. War ein Subjekt nicht auf^gesprochen, so vermied man durch
eine der Stellungen pr v o und ovpr, dafs avoir an den Anfang des
Satzes träte.** Damit stimmen die einschlägigen Belege bei Völckcr
p. 30, Krüger p. 16, Schlickum p. 22. Le Coultre weist p. 38 die
Stellungen ovpr und prvo auch für nominale Subjekte nach (Ch.
Lyon 1364, 2725, 5646). Ch. Lyon 5917: Li rois la pucelle a veve
ist zu beurteilen wie Ch. Rol. 1367: Danz Oliviers trait ad sa bone
espee (cfr. p. 24).
• S. p. 17, Anm. 2.
** Zu ähnlichen Heobaditunpen geben die von Morf p. 275 für die ver-
schiedenen Kombinationen von vio ffPmachtfn Ermiltelunsjen Anlafs.
Die Wortstellung im allfranzösiFchen direkten Fragesätze. 201
§ 6. Wodurch aber wurde nun eine Stellung veranlafst wie
Ch. Rol. 640: Messe e matines ad U Beis esculiet sie bietet? Eine
Auffassung, der zufolge messe e matines logisches Subjekt zu einem
logischen Prädikat U reis ad escidtet wäre, scheint schon durch den
Zusammenhang ausgeschlossen. Logisches Subjekt ist offenbar li reis,
logisches Prädikat ad messe e m. esc. So würden wir denn eine Stel-
lung li reis ad m. e m. esc. erwarten. Aber auch diese würde augen-
scheinlich nicht dem Ausdruck geben, was gesagt werden soll. Eine
neue Person wird ja mit li reis gar nicht eingeführt, li reis ist viel-
mehr identisch mit dem Subjekt des vorangehenden Satzes: Li empe-
reres est par matin levez, so dafs uns ein Satz mit nicht ausgesprochenem
Subjekt vollkommen genügen würde. So kann denn das Aussetzen des
Subjekts li reis keinen anderen Zweck haben als den, ein neues Attribut
für die schon durch li empereres gekennzeichnete Person abzugeben, die
Bezeichnung li empereres gewissermafsen zu vervollständigen. Das führt
auf die Auffassung, li reis als nachträgliche Erläuterung zum Verbiim zu
betrachten, wozu man ja auch sonst, wie wir oben sahen, genöiigt ist.
Es wäre dann zu übersetzen: „Der Kaiser hat sich früh morgens er-
hoben, Messe und Frühmette hat er, der König, gehört." Das Subjekt
tritt somit ganz angemessen hinter das Verbum; es wäre aber auch
denkbar, dafs es hinter die ganze Aussage träte: Messe e matines ad
escidtet, li reis.
Dieselbe Auffassung (des Subjekts als einer nachtiäglichen Er-
läuterung zum Verbum) wird für Ch. Rol. 1903: Trenchet li ad li
cuens le destre puign, das einzige Beispiel, in dem in einem durch das
Prädikativ des Objekts eingeleiteten Satze ein nominales Subjekt aus-
gesprochen ist (cfr. oben p. 20), die richtige sein. Auch in diesem
Verse wird mit li cnens eine neue Person nicht eingeführt, li cuens ist
vielmehr auch hier identisch mit dem Subjekt des voraufgehenden
Satzes (1902): Vait le ferir en giiise de barun.* Die Annahme, trenchet
habe die Inversion des li cuens bewirkt, ist schon deshalb unzulässig,
weil bisher noch nicht nachgewiesen ist, dafs das Prädikativ des Ob-
jekts jemals Inversion des Subjekts hervorgerufen hätte, so wenig in
der zusammengesetzten Verbalform als auiserhalb derselben. P^-eilich
* Gautier befindet sich bei Übersetzung der drei Stellen, in denen wir
(las Subjekt als nachträgliche Erläuterung zum Verbum ansehen, offenbar
in Verlegenheit. Messe e mal. etc. übersetzt er 164: Charles entend m.
et m. 670 läfst er li reis unübersetzt, ebenso 193 li cuens.
202 Die U'ortstcllung im jiltfranzösisclicn direkten Fragesatze.
ist die Inversion das allein Denkbare, wofern das Prädikativ an die
Spitze des Satzes tritt ; trenchet li ciiens U ad le destre jMiign zu sagen
ist unmöglich. Der Redende stellte aber eben, wenn unsere Auffassung
die richtige ist, trenchet nur deshalb an den Anfang, weil er ursprüng-
lich nicht die Absicht hafte, ein Subjekt auszusprechen ; er wollte dem
in Vers 1902 (^Vait le ferir en guise de harun) Berichteten nur die
weitere ohne ein // cuens recht wohl verständliche Mitteilung an-
schliefsen : trenchet li ad le destre hras. Inmitten seiner Rede aber
wird er inne, dafs die Voraussetzung, unter der er den Satz begonnen,
nicht durchaus zutreffe, da dem Hörer möglicherweise der (sechs Verse
früher genannte) Träger der durch trenchet li ad zum Ausdruck ge-
brachten Handlung nicht mehr in aller wünschenswerten Deutlichkeit
vorschwebe, und diese Besorgnis ist es, die ihn veranlafst, gleichsam
in Parenthese hinter dem Verbum das Subjekt nachträglich wieder in
Erinnerung zu bringen. So aufgefafst wäre denn auch ein Satz blanche
ad li rois la barhe oder Cors ad li rois midt gent denkbar (cfr. oben
p. 16).
Dies führt uns nun auf die Erscheinung, dafs Sätze mit nomi-
nalem Subjekt, in denen ein am Anfang stehendes und invertierende
Kraft besitzendes Satzglied nicht logisches Subjekt ist, sondern mit dem
verbum finitum einen einheitlichen Begriff bildet, nicht selten vor-
kommen. Und schon a priori hätte man ihr Vorhandensein erschliefsen
können. Wir sahen oben, dafs die Inversion des grammatischen Sub-
jekts im uneingeleiteten Vordersatze doppelte Bedeutung haben kann :
zuweilen bildet das Subjekt den Kern der Aussage, zuweilen ist es
nachträgliche Erläuterung zum Verbum. Erstei-es ist z. B. der Fall
Ch. Rol. 797: Viiit i Gerarz de Eossillun li vielz, „es kam dorthin
G. de R. der Alte, einer derer, die kamen war G." wird durch diese
Worte zum Ausdruck gebracht. Wollte man nun sagen: „einer derer
die gekommen sind, ist G. v. R.", so mufste dies konsequentervveise
durch est i venuz Gerarz de R. geschehen ; und ähnlich mag man sich
denn auch in einer Zeit, in der estre noch Ton genug besafs, um am
Anfang des Satzes stehen zu können, ausgedrückt haben. Im Rolands-
liede ist estre jedenfalls nicht mehr so stark betont; man umging daher
eine derartige Ausdrucksweise auf dieselbe Weise, wie wenn ein Sub-
jekt nicht ausgesprochen war, d.h. durch Voranstellen des Prädikativs;
so ergab sich Vemiz i est G. de R., welche Stellung der dem erst-
citierten Verse folgende zeigt: Ch. Rol. 798: Vemtz i est li Guascuinz
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Frngesatzo. 203
Engellers. Man hat, wie mir scheint, nicht das mindeste Recht, die
Inversion des grammatischen Subjekts in Ch. Rol. 797 anders zu er-
klären als in Vers 798 und umgekehrt. Wie Ch. Rol. 798 möchte
ich von den bei Morf p. 236 gegebenen Belegen auch auffassen : 1084,
1914, 1807, 2792, 3671.
Man wird nun auch erwarten dürfen, Stellen zu finden, in denen
das Subjekt in ähnlichen Verhältnissen gewissermafsen nachträgliche
Erläuterung zum Verbum ist. Und in der That liegt diese Auffassung
in vielen Fällen nahe, so Ch. Rol. 577 : Mort sunt, li cunte (sie sind
tot, die Grafen), 1394, 1560, 1730, 2021, 2038 (?), 2042, 2242,
2281, 2920 (wo Gautier demnach 'niorz est mis nies ganz zutreffend
durch ü est mort, mon [eher'] neveu wiedergiebt) etc.* Auch die
meisten der von Morf p. 234 gesammelten Belege, in denen ein adjek-
tivisches Prädikativ an der Spitze des Satzes steht, sind demgemäfs
zu beurteilen, so Ch. Rol. 157: Bels fut li vespres et li soleilz
fut clers.
Vielleicht ist man auch Ch. Rol. 879: Tuz premerains l'en res-
ptiut Falsaruns nicht genötigt, in dem Vorantreten der prädikativen
Bestimmung tuz premerains den Grund der Inversion zu sehen; ohne
dies konnte sie gerade bei respundre sehr wohl eintreten. („Die aller-
erste Antwort kam von F.")
Auch Fälle, in denen ein Objekt an der Spitze steht, kommen in
Betracht. Le Coultre citiert z. B. p. 20 Ch. Lyon 380: Onbre li
{a la fontainne) Jet li plus Max arbres C'onques poist former nature.
Hier scheint das Subjekt den Kern der Aussage zu bilden: „Was ihr
Schatten giebt, ist der schönste Baum etc."; cfr. auch Ch. Rol. 2974.
Dafs sich in den Arbeiten über altfrz. Wortstellung kein Beleg
findet, bei dem das Subjekt in einem durcli das Objekt eingeleiteten
Satze nachträgliche Erläuterung zum Verbum bildet, ist zufällig ; **
Völcker citiert p. 13 ungehörigerweise unter den Beispielen für die
Erscheinung, dafs das am Anfang des Satzes stehende nominale Objekt
Inversion des Subjekts veranlasse, Passion 43 a: Anna nomnavent
le iudeu (zu der Änderung V.s in li luden liegt kein Grund vor).
Anna ist nicht Objekt, sondern Prädikativ des Objekts.
* Es ist charakteristisch, dafs die meisten der hergehörigen Belege mit
mort beginnen.
** Doch ist vielleicht das von Krüger p. 37 citierte V. H. 298 so auf-
zufassen.
204 Die Wortstellung im alt französischen direkten Fragesatze.
Das Subjekt scheint nachträgliche Erläuterung (Morf p. 244):
eil. RoI. 178: Fors s'en eissirent^ li Sarazin deJenz, während eb. 1631:
Deiant chevalchet wis Sarazins Ahisme das Subjekt deshalb invertiert
ist, weil das Gewicht der Aussage auf ihm ruht. Ob das Gleiche in
dem von Krügerp. 37 citierten Mis les a Fortune en honnour (Th. fr. 82)
der Fall ist, bleibe dahingestellt; unmöglich scheint es nach dem Zu-
sammenhange nicht.
Ziehen wir die Summa aus den bisher gemachten Beobachtungen,
so ergiebt sich :
1) Ein ausgesetztes logisches Subjekt steht an erster Stelle, mag
es nun mit dem grammatischen zusammenfallen oder ein Adverbium
(adverbiale Bestimmung) oder eine prädikative Bestimmung oder ein
Objekt oder endlich das Verbum resp. eine wie ein einfaches Verbum
funktionierende Verbindung des verbi finiti mit einer prädikativen Be-
stimmung, einem Objekt oder einem Adverbium sein.
2) Das Verbum steht an zweiter Stelle, was freilich nicht erkenn-
bar wird, sobald ein mit dem logischen identisches grammatisches Sub-
jekt nicht ausgesprochen oder das Verbum selbst resp. eine wie ein
solches funktionierende Verbindung logisch Subjekt ist. Tritt einer
dieser Fälle ein, so steht das Verbum scheinbar an erster Stelle, schliefst
sich aber, wofern es selbst tonlos oder nur schwach betont ist, gewissen
mit ihm eng verbundenen Elementen enklitisch an.
§ 7. Aber auch so gefafst scheint die Regel angesichts der vielen
von Morf p. 222 (unter a: Trennung des vorangehenden Subjekts vom
Verbum) gesammelten Beispiele, in denen ein nominales, logisches und
grammatisches Subjekt vom Verbum durch eine adverbiale oder prädi-
kative Bestimmung oder das Objekt getrennt ist, auf Allgemeingültig-
keit Anspruch nicht machen zu dürfen (cfr. auch Völcker p. 28, 33,
Le Coultre p. 29, 38, Krüger p. 45, 47, Schlickum p. 12, Ehering
Z. V, 355).
Der Umstand, auf den schon von Morf a. a. 0. hingewiesen wird,
dafs das Subjekt in allen diesen Beispielen regelmäfsig das erste
Ilemistich füllt, giebt einen deutlichen Fingerzeig für die richtige Auf-
fassunfj: Man hat beim Vortrage eine Avenn auch noch so kleine Pause
hinter dem Subjekt eintreten zu lassen, so dafs alle hergehörigen Be-
lege im Grunde als der epischen Sprache überaus angemessene Ana-
koluthien anzuerkennen sind. So hat man denn Ch. Rol. 2820:
E rptatre cttnte l^estreu li nnt tenut wiederzugeben durch: „Und vier
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesätze. 205
Grafen, den Steigbügel haben sie ihm gehalten." Noch deutlicher ist
Ch. Rol. 2755 f., wo das Versende hinter dem Subjekt eintritt: Carles
li eniperere Mort m'ad mes humes, ma terre deguastee.*
Die hergehörigen Belege sind grofsenteils derart, dafs das der
Cäsur folgende Satzglied mit dem Verbum finitum in enger Verbin-
dung steht; man vergl. auch (Krüger p. 47) V. H. 106: Li baron
merci vos criefit.
§ 8. Wenn wir somit nicht zugeben können, dafs so gestaltete
Beispiele der oben aufgestellten Regel zuwiderlaufen, so gilt das
Gleiche von solchen, die w\e Ch. Lyon 6340 (citiert von Le Coultre
p. 68): Mes mialz voel je que mes amis JWait oltre d' armes que tue,
ein pronominales (mit dem logischen identisches) Subjekt aufweisen,
trotzdem das einleitende Satzglied (jniah, da 7ves nicht in Betracht
kommen kann) offenbar als logisches Subjekt nicht gelten kann, viel-
mehr anzuerkennen ist, dafs es in enger Verbindung zum verbum
finitum stehe (jnialz voel = malo). Gleicher Art scheint auch Anc.
Nie. 295** (in den Nouv. fran9. citiert von Krüger p. 30) trop eii
avez vos fait. Dafs man, als das Bedürfnis, ein pronominales Subjekt
auszusetzen, mit der Zeit stärker wurde, dasselbe auch in Fällen dem
Verbum enklitisch anhängte, in denen es ursprünglich regelmäfsig zu
fehlen scheint, kann nicht auffällig sein, sondern mufste schon a priori
erwartet werden.
§ 9. Es erübrigt zu zeigen, dafs für den Nachsatz dieselben
Regeln wie für den Vordersatz gelten, so dafs das oben gewonnene
Resultat ganz allgemein für den altfranzösischen asserierenden Haupt-
satz zutrifft.
a) Im uneingeleiteten Nachsatz wird in der Regel das Subjekt
nicht invertiert (Morf p. 215, Völcker p. 19, Marx p. 341, Krüger
p. 39, Schlickum p. 0). Die Fälle, in denen Inversion eintritt, zerfallen
1) in solche, in denen auch der Vordersatz Umstellung des Sub-
jekts aufweisen würde. Derart sind die meisten der von Völcker ge-
gebenen Belege (Völcker p. 19). Auszuscheiden ist von diesen zu-
nächst Passion 57 d, wo ein Nachsatz gar nicht vorliegt.*** Leode-
* Eigentümlich ist Ad. p. 40: J'[os]tez en sui, par moii pecchie,
par wir.
"* In der Ausgabe von Suchier 32, 14.
*** Die Stelle lautet (Passion 57c f.): crucijlge crucifige Criüent P'dat
trcKtuit ensims.
20G Die Wortstellung im ;ilt französischen direkten Fragesätze.
giir 27 d ist das Veibiim ein verbiim dicendi: Cum si Vaut toth vitu-
peret Dist Eiiurnins qui tan fud niiels: (es folgt die Rede). Wenn
Völcker hier den Grund der Inversion in dem Umstände sucht, dafs
eine direkte Rede folgt, so hat er erst nachzuweisen, dafs eine dem
Yerbum folgende direkte Rede überhaupt je Inversion des Subjekts
veranlassen konnte. Auch bezüglich AI. 59 b: An la semaine rpied ü
s'en diit aler Vint une voiz treis feiz en la citet, und AI. 45 b: Quant
ot li pedre la clamor de sun ßl, Plurent si oil, ne s'en piiet astcnir
pflichte ich Völcker nicht bei, der behauptet, die vorangehenden Tem-
poralsätze hätten in diesen Beispielen Inversion bewirkt. Vor allem
liegt 59 b ein Temporalsatz gar nicht vor; dafs aber bei beiden Belegen
auch ohne die vorangehende adverbiale Bestimmung oder den Neben-
satz Inversion hätte eintreten können, beweist für 45 b das ganz ana-
loge Beispiel AI. 63c: vint une voiz etc., für 59 b AI. 88a; Plurent
si oil (citiert von Völcker p. 11).
Morf giebt p. 215 zwei Belege aus dem Rolandslied, in denen im
uneingeleiteten Nachsatz nach vorangehendem Temporalsatz Inversion
eintritt. Bei beiden wäre auch im uneingeleiteten Vordersatz Inversion
möglich. Für Ch. Rol. 2231 f.: Einz qn'om alast un sid arpent de
camp Falt li li coers citiert Morf selbst Ch. Rol. 2019 als Parallele.
Ch. Rol. 2917 könnte li hume als nachträgliche Erläuterung zu vendrunt
aufgefafst werden. Die beiden Fälle nicht normal zu nennen, wie
Morf thut, scheint mir kein Grund vorhanden.
Auch Ch. Lyon 809 : Ainz que la joie fast remeise Vint d'ire
plus ardanz que hreise Uns Chevaliers a si grant hruit etc., und eb.
1144: Que qu'il aloient reverchant .... Viiit une des plus heles dames
(citiert von Le Coultre p. 15) ijt man nicht gezwungen anzunehmen,
die vorangehenden Nebensätze hätten die Inversion hervorgerufen, da
da.s Subjekt den Kern der Aussage bildet und daher auch im uneinge-
leiteten Vordersatze recht wohl hätte invertiert werden können. Ebenso
ist das von Krüger p. 38 citierte V. H. 168: mais ainz que li estorz
parßnast, vint uns Chevaliers de la maisnie Henri zu beurteilen. Das
ebenda herbeigezogene Beispiel aus Aue. Nie. (Nouv. fran^. p. 273):
Qui que derve, n'ost joie Aucasins lautet in Siichiers Ausgabe- 20, 14:
Qui que denienast joie, Aucasins {ii'en ot talent).
2) Solche, bei denen der Grund der Inversion in dem vorauf-
gehenden wie eine adverbiale Bestimmung wirkenden Nebensatze zu
sehen ist.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 207
Derart scheinen zu sein Alexius 67 b (citiert von Völcker p. 19),
Ch. Lyon 4946 (Le Conltre p. 16), Ville-Hard. 287 (Krüger p. 38),
eb. 120, 143, Joinville 79, 266 und die übrigen von Marx p. 341
gegebenen Belege, mit Ausnahme vielleicht von 89, 300: Tandis que
le roy demenoit en Acre^ vindrent les messages. Aus Froissart giebt
Ebering Zeitschr. V, 350, 6 a Nachweise.
b) Im eingeleiteten Nachsatze findet sich Inversion des Subjekts
1) nach si (Morf p. 210, Völcker p. 19, Krüger p. 39, Schlickum
2) nach dune (Belege ebenda) oder nach einem anderen Adverbium
(selten; Ch. Hol. 3442 wird U nobüies vassals als nachträgliche Er-
läuterung anzusehen sein; immerhin würde das einleitende sempres
Inversion bedingen; Alexius 20b liegt für danz Alexis die gleiche
Auffassung wie für li noh. vassals nahe);
3) nach einem präpositionalen Adverbiale; nur Morf giebt einen
Beleg: Ch. Rol. 29 f.;
4) nach einem Objekt.* Völcker citiert AI. IIb, Gorm. 533;
5) nach einem Prädikativ, das allerdings nach unserer Auffassung
in den beiden von Morf gegebenen Belegen (Ch. Rol. 3934, eb. 1728)
nicht Ursache der Inversion des Subjekts ist.
Die Spärlichkeit der Beispiele** überrascht nicht, wenn man be-
denkt, dafs überall, wo im Nachsatz Inversion nicht eintritt oder anders
als durch den vorangehenden Nebensatz zu stände kommt, im Grunde
so gut Anakoluthien vorliegen, wie wenn nach einem Adverbiura oder
einer adverbialen Bestimmung, mit denen logisch die Nebensätze gleich-
wertig sind, die Umstellung des Subjekts unterbleibt. So ist denn in
einem Satze Avie Ch. Rol. 2481 : Qua)it il se drecet, li soleilz est
culchiez ursprünglich quant il se drecet logisches Subjekt zu dem
logischen Prädikat li soleilz est culchiez, so dafs durch den Vers von
einem Zeitpunkt, den der Redende nicht anders als durch den Satz
Quant il se drecet kennzeichnen zu können glaubt, ausgesagt wird, es
habe an ihm das durch den Hauptsatz li soleilz est cidchiez zum Aus-
druck Gebrachte stattgefunden. Ist der Sachverhalt dieser, so müfste
nach den sonst für die alte Sprache geltenden Gesetzen dem logischen
* Adde bei Morf, Ch. Rol. 19.35.
** Die übrigen«, wie Morf bemerkt, zum Teil darin begründet ist, dafs
sehr oft ki-in Subjekt ausgesetzt ist. Cfr. Ch. Rol. 1110, 2342, 2447,
1928 etc. (citiert von Morf p. 219).
208 Die Woitstelliing im iiltfranzb.-ischen (linkten Fragesätze.
Subjekt (luiüit iL se drecet zunächst das Verbum folgen, somit Inversinn
des grummatisclion Subjekts eintrelen. Aber es ist auch wieder leicht
begreiflich, dafs es einer so kunstlosen, ungeschminkten Sprache wie
dem Altfranzösischen, die, wie wir oben sahen, schon nach einem ein-
leitenden präpositionalen Adverbiale häufig das Aufgeben der ursprüng-
lich beabsichtigten Konstruktion für geraten hielt, schwer fallen konnte,
einen vollständigen Nebensatz als logisches Subjekt nicht sowohl zu
denken, als dem vielmehr auch äufserlich durch die Form Ausdruck zu
geben. Lieber griff es zu einem auch sonst beliebten Mittel, indem es
Haupt- und Nebensatz einfach nebeneinander stellte und es dem Hörer
überliefs, ihr logisches Verhältnis herauszufinden. Nicht selten aber
ffab es auch in einem gewissen Streben nach Saubeikeit des Ausdrucks
in äuf^erst schlichter Weise durch ein die beiden Satzgefüge verbin-
dendes et ihre Zusammengehörigkeit noch besonders zu verstehen oder
resümierte durch ein si oder donc an der Spitze des Hauptsatzes das
im Nebensatze Gesagte. Diesem Streben nach Sauberkeit und Ver-
ständlichkeit des Ausdrucks aber läuft es offenbar zuwider, wenn nach
einem vorangehenden Nebensatz nicht nur nicht Inversion des Subjekts
eintritt, sondern auch noch insofern von der gewöhnlichen Gedanken-
und daher Wortfolge abgewichen wird, als ein mit dem grammatischen
Subjekt niclit identisches Satzglied logisches Subjekt des Hauptsatzes
wird, wie dies z. B. Ch. Rol. 3442: ße li paieiis une feiz reciivrast,
Sempres fust morz, li nobüies vassals der Fall ist. So zog man es
denn vor, derartige an sich recht wohl mögliche Ausdrucksweisen, wo
nicht zu vermeiden, so doch möglichst einzuschränken.
Bei Sätzen hingegen, in denen das den Nachsat/; einleitende Salz-
glied nicht logisches Subjekt ist, sondern mit dem Verbum einen ein-
heitlichen Begriff bildet, wie z. B. Ch. Rol. 2845: Äl matinet qiiant
primes apert Valbe, Esveillez est, li emperere Carles (ebenso Ch. Rol.
745, 762, 1196, 2448, 3644, 3851) liegt keine gröfsere Abnormität*
vor als in dem vorher citierten Ch. Rol. 2481: Qxtant il se drecet li
soleilz est cidcldez.
§ 10. Darf man nunmehr annehmen, dafs die oben aufgestellte
Regel allgemein für den altfranzösischen asserierenden Hauptsatz Gültig-
keit habe, so liegt uns, indem wir zu unserem Ausgangspunkte zurück-
* So dürfen wir vom psycholo;;ischen Standpunkte sagen, obgleich das
Nichteintreten der Inversion Regel ist (Morf p. 215).
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 209
kehren, die Beantwortung der Frage ob, wie weit angesichts dieses
Resultats der Umstand, dafs das Verbura an die Spitze des Satzes tritt,
noch als Charakteristikum des Fragesatzes gelten könne? Offenbar
wird die Inversion des Verbs als äufseres Kennzeichen der Frage un-
wirksam für Fälle, in denen das Verb schon im Aussagesatze, wenn
auch zum Teil nur scheinbar, die erste Stelle einnimmt, d. h. 1) wenn
das Verb selbst logisches Subjekt ist, 2) wenn ein grammatisches und
logisches Subjekt nicht ausgesprochen ist. Dahin gehören auch die
Fälle, in denen das Subjekt als nachträgliche Erläuterung zum Verb
funktioniert. Auszunehmen sind dagegen solche, in denen dem Verb
ein mit ihm eng verbundenes Satzglied vorangehen mufs, z. B. Aus-
sage; mort sunt, Frage: sunt mort?
Fiir alle nicht unter 1 oder 2 gehörigen Fälle aber ist anzu-
erkennen, dafs die Inversion des Verbs auch das einzig mögliche Unter-
scheidungsmittel der Frage vom Aussagesatze war, sofern die Wort-
o o o '
Stellung dasselbe abgeben sollte. Für sie gilt nämlich, wie wir oben
sahen, die Regel: an erster Stelle steht das logische Subjekt, an zweiter
das Verbum.
Da nun jedes beliebige Satzglied logisches Subjekt sein kann, so
ergiebt sich, dafs die Form der Aussage wesentlich dadurch zu stände
kommt, dafs das Verbum einem anderen Satzteile nachfolgt. So
war denn in der That der einzig mögliche Weg, die Aussageform zu
vermeiden, der, dafs das Verb an die Spitze trat und irgend welche
andere Satzglieder* vor sich nicht duldete.
Dafs auch ein mort sunt nur durch simt mort zu umgehen war,
liegt auf der Hand.
Doch wir dürfen annehmen, dafs die Sprache sich des genannten
Mittels dennoch nicht bedient haben würde, wenn es nicht gleichzeitig
vortreflflich geeignet wäre, die Natur des Fragesatzes, der, um es zu
wiederholen, weder ein halbes noch ein ganzes, sondern ein in Schwebe
befindliches Urteil zum Ausdruck bringt, zu veranschaulichen : Das
einem Satzgliede folgende Verbum bildet den Stützpunkt der ganzen
Aussage; diesen Stützpunkt nun raubt man dem Satze, indem man das
Verbum an die Spitze treten läfsl. Die Frage ist somit, um bei dem
Bilde zu bleiben, eine Aussage ohne Stützpunkt.
* Dafs hier nur die dem engeren Satzgefüge angehörigen Satzglieder in
Betracht kommen (koorLlinierende Konjunktionen wie et, mais, cur also nicht],
versteht sich.
Archiv f. ii. Sprachen. LXXI. l'i
210 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
Doch sollte man nach unseren obigen Ausführungen meinen, dafs
die Sprache, die sich ganz gewifs nicht durch die grundlose Besorgnis,
man möchte ein als Frage gemeintes mort sti7it? als Aussage fassen,
veranlafst gefühlt haben würde, statt mort sunt? — sunt mort? zu
stellen, in ähnlichen Fällen, in denen doch das Verbum nur scheinbar
eine andere Stellung als in einem Satze (Ch. Rol. 1841) Demurent
trop einnimmt, die Frage, wie ja auch sonst zuweilen, mit der Aus-
sage gleichlauten liefse und den Ton allein zur Charakterisierung für
ausreichend erachtete. Die Thatsache, dafs diese Erwartung sich
nicht bestätigt, legt die Vermutung nahe, dafs für die Frage die Vor-
bedingungen jener Wortstellung des Aussagesatzes nicht vorhanden
waren.
Diese Vorbedingung stellt sich, um bei dem gewählten Beispiele
mort sunt zu bleiben, in der Thatsache dar, dafs man es vermied, das
tonlose oder nur schwach betonte estre an den Anfang des Satzes
treten zu lassen. Aber auch hier wieder, dürfen wir annehmen, hätte
sich die Sprache durch derartige rein äufsere Rücksichten nicht ver-
leiten lassen, von der ursprünglichen Wortstellung abzuweichen, wenn
nicht die dafür gewählte ebenso gut oder noch besser geeignet gewesen
wäre, dem betreffenden Gedanken Ausdruck zu geben. Wir glaubten
daher den Grund der vorliegenden Erscheinung in einer innigen Ver-
bindung des Verbums estre mit dem Prädikativum sehen zu dürfen:
das „Totsein" stellt sich dem Redenden als ein einheitlicher Begriff
dar, die vollendete, durch mort sunt ausgedrückte Thatsache schwebt
ihm vor. Ein Gleiches kann für die Frage nicht gelten ; der Redende
ist vielmehr völlig im Unklaren darüber, ob das durch sunt mort zum
Ausdruck Gebrachte Thatsache sei oder nicht, diese Ungewifsheit
selbst ist überhaupt die Veranlassung seiner Rede. Er hat demnach
auch keinen Grund, sich einer Wortfolge zu bedienen, die gerade darin
ihre Erklärung findet, dafs dem Geiste des Redenden als ein einheit-
licher Begriff vorschwebt, was die Sprache nur als die Verbindung
mehrerer auszudrücken gestattet.
§ 11. Alles bisher Gesagte gilt natürlich nur von den Be-
stätigungsfragen; es scheint mir nicht zweifelhaft, dafs man bei Er-
klärung der Inversion des Subjekts in Bestimmungsfragen von anderen
Gesichtspunkten ausgehen mufs. Henri Weil a. a. 0. p. 63 sieht
in diesen nur eine Abart der Bestätigungsfragen und betrachtet es
daher im Grunde als eine Unregelmäfsigkeit, dafs die interrogativen
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 211
Pronomina »nd Adveibia dem Verbum vorantreten. Seine Erklärung
dafür ist dann: Mais ces mots (die interrogativen Pronomina oder
Adverbia) so7it lyrecüement les Substituts de la partie inconnue qui
?nanque ä la totalite de la pensee, le x qui se place d^un cote de
te'quation. Ich habe mich vergeblich gemüht, den Gedanken Weils
zu verstehen, kann daher auf eine Besprechung seiner Ansicht nicht
eingehen.
Der wesentliche Unterschied zwischen Bestätigungs- und Be-
stimmungsfragen liegt darin, dafs jene der Ausdruck eines noch in
Schwebe befindlichen, diese der eines defektiven Urteils sind, dessen
Lücke das Fragewort auszufüllen auffordert. So ist es denn meiner
Ansicht nach auch nicht angängig, die Inversion in beiden Arten
von Fragen auf die gleiche Weise erklären zu wollen. Was ist nun
aber die eigentliche Bedeutung der Inversion in den Bestimraungs-
fragen ? Sehen wir einen Augenblick von der Natur des Satzes ab,
so kann nns offenbar nichts hindern, wie einen Satz la siet li rois
auch einen Satz ou siet li rois? aufzufassen. Nach unseren obigen
Aufstellungen wäre der Sinn dieses Satzes : Von einem mit ou be-
nannten Orte sage ich aus, dafs an ihm das Sitzen des Königs statt-
finde. Indem sich der Redende nun des Fragewortes ou bedient, be-
kundet er einerseits seine Unkenntnis in Bezug auf einen Ort, fordert
aber zweitens den Höier gleichzeitig zur Belehrung auf. Ist dies der
Sinn von ou, so bedeutet demnach ou siet li rois: die Aussage li rois
siet gilt von einem Orte, den ich nicht kenne, aber zu erfahren
wünsche. Augenscheinlich ist dies genau der Sinn einer Frage ou siet
li rois? Bei dieser Betrachtungsweise erscheint denn auch die Aus-
nahme, die in Fragen, in denen ein substantivisches Interrogativ-
pronomen (qui, lequel) oder ein von einem attributiven (quel) beglei-
tetes Nennwort Subjekt ist, Inversion nicht gestattet (Mätzner,
Grammatik 2 p. 554 bb), nicht mehr willkürlich, sondern notwendig.
Man konnte gegen diese Erklärung einwenden: Weshalb haben
die interrogativen Pronomina und Adverbia jederzeit ihre Stelle vor
dem Verbum, während die entsprechenden Satzteile im Aussagesatze
bald vor, bald hinter demselben stehen?
Ich würde antworten, dafs mir a priori die Stellung der Frage-
wörter hinter dem Verbum nicht undenkbar sei, dafs man im Deutschen
sogar nicht selten Gelegenheit hat, pädagogischen Fragen zu begegnen
etwa von der Form: „Karl der Grofse regierte wann?" Andererseits
14*
212 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
aber scheint jenes Gesetz, das den Fragewörtern die erste Stelle in
Bestimmungsfragen anweist, auch wiederum natürlich, wenn die Frage
ihren eigentlichen Zweck, den der Belehrung des Fragenden, erfüllen
soll; denn für diesen Fall ist die Erklärung, die Le Coiiltre unge-
hörigerweise für die Bestätigungsfragen giebt, angebracht: Celui qui
interroge n^a rien de plus presse qiie dtexprimer Videe sur laquelle porte
son doute oder besser son ignorance.
(Scblufs folgt.)
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Die Realgymnasien bezw. Realschulen I. 0. und das Studium
der neueren Sprachen. Mit einem Vorwort an alle früheren
Schüler der Realschulen I. O. und Realgymnasien und
einer Besprechung der Schrift des Prof. Dr. Körting in
Münster: „Gedanken und Bemerkungen über das Studium
der neueren Sprachen auf den deutschen Hochschulen",
unter Berücksichtigung der darüber erschienenen Beurtei-
lungen von Dr. Otto Danker. Kassel, F. Kefsler, 1883.
Die vorliegende Schrift charakterisiert sich in jeder Beziehung als eine
oratio pro domo im guten Sinne des Wortes. Der Verfasser, welcher dem
Realgymnasium seine Bildung verdankt und selbst als Lehrer der neueren
Sprachen an einer solchen Anstalt wirkt, unternimmt es, die Angriffe gegen
diese Schulen zurückzuweisen und besonders die Befähigung ihrer Abitu-
rienten zum Studium der neueren Sprachen darzuthun.
Es läfst sich nicht verkennen, dafs die Realgymnasien gegenwärtig in
einem Zustande der Stagnation verharren und dafs dem grofsen Aufschwünge
in der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts eine ebenso grofse Reaktion
gefolgt ist. Dieselbe ist hervorgerufen teilweise durch das Ausbleiben der
erwarteten Berechtigungen, teilweise durch die mafslosen Angriffe, welche
von kompetenter und inkompetenter Seite und Männern des verschiedensten
religiösen und politischen Standpunktes gegen diese Schulen gemacht sind.
Wie für jeden lebensfähigen Organismus ein Stillstand der Entwickelung
notwendig einen Rückschritt einschliefst, so mulste auch auf die Realgym-
nasien ein ^'ers!^gen der Berechtigungen, auf welche sie Anspruch zu haben
glauben, naturgemäfs reagierend einwirken. Kommt dann noch dazu, dafs
bchulmänner und selbst einige Professoren <ler neueren Sprachen an den
Universitäten ihre Stimme gegen diese Anstalten erheben, so ist es nur zu
erklärlich, dafs Fernstehende in ihrem Urteil beeinflufst und verwirrt werden.
Was wird alles auf Rechnung der Realgymnasien gesetzt ! Unwissenschaft-
lichkeit, Halbbildung, Materialismus, Araerikanismus, Unzufriedenheit mit
den bestehenden Verhältnissen und ähnliche \'orwürfe klingen immer und
immer wieder in den Schriften der Gegner. Welch ein Unterschied in dem
Standpunkt eines gewissen Oberlehrers Viktor Schlegel zu Wasen, welcher
den Sieg des Protestantismus im Kulturkampfe nur durch die Unterdrückung
der Realschulen für möglich hält, und dem Auftreten des Abg. Windthorst,
welcher seine Feindschaft gegen diese Anstalten als einen Ausflufs seiner
211 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
persönlit'lion Vorliebe für das Gymnasium bezw. seines Grolls gegen die
Itealgyinnasien oHen eingesteht ! Alle diese Punkte kommen in der Schrift
Danktrs, wenn auch oft nur in Exkursen, zur Besprechung, und die Vor-
würfe gegen die Realgymnasien werden nicht ohne Geschick und Kenntnis der
einschlägigen Veriiältnisse zurückgewiesen.
Im ersten Teile, welcher als „Vorwort" vorausgeschickt ist, beleuchtet
der \'erfasser einige Specialgutachten der Mitglieder der philosophischen
Fakultät zu Berlin nebst der bekannten Rektoratsreje des Prof. Ilofmann,
ilen Antrag der Kieler philosophischen P^ikultät an den Kultusminister um
Aufhebung der Verordnung, nach welcher es den Realscliul - Abiturienten
erlaubt ist, sich dem Studium der neueren Sprachen zu widmen, und die
aus dem jetzigen Stande der Berechtigungsfrage sich ergebende ungünstige
Stellung der von den Realgymnasien entlassenen Abiturienten. — In der
Kritik der Specialgutachten und der Rede des Prof. Hofniann darf man
Uanker im ganzen zustimmen. Wenn Hofmann die Idealität und Wissen-
schaftlichkeit nur auf die altklassische Vorbildung basieren will, so ist das
weder principiell richtig, noch entspricht es den Erfahrungen der Praxis.
Welche Klagen sind in dieser Beziehung gerade gegen die Studenten der
altklassischen Philologie erhüben worden ! Noch in einem der neuesten
Hefte des Philologischen Anzeigers klapt Prof. v. Leutsch bitter über die
mangelnde Neigung zu selbständiger Arbeit. „Dann plötzlich von dem her-
annahenden Examen geängstet, sucht man so viel als möglich sich einzu-
prägen (der Phiiolog liest dann statt der griechischen Texte deutsche Über-
setzungen) und glaubt sich geborgen, wenn es gelingt, knapp am Rande des
Durclifallens durch die Prüfung hindurchzuschlupfen. " — Das Vorgehen der
Kieler philosophischen Fakultät kann nicht stark genug gebrandmarkt worden.
Wenn dieselbe zur Stellung ihres Antrages die Zeit benutzt, wo der einzige
\'ertreter der romanisch-englischen Philologie krankheitshalber abwesend ist,
so verläfst sie den Boden, auf dem noch anständigerweise ein Streit geführt
werden kann. — Die Auseinandersetzung, welche dann Danker über die
ungünstige Lage der Realschul-Abiturienten giebt, ist durchaus zutreffend
und wird die Zustimmung aller Lehrer finden, welche Gelegenheit haben,
nach jeilem abgehaltenen Abiturienten-Examen diesen Notstand zu beob-
achten. Wenn indessen Danker die studierenden Realschul-Abiturienten
auffordert, „Vereine ehemaliger Kealgymnasiasten" zu bilden, so kann Hef.
ihm nicht zustimmen. Im Gegenteil ist denselben auf der Universität die
engste Verbindung mit den übrigen Studierenden zu raten sowohl im eigenen
Interesse als auch um jeden Rifs in den studentischen Kreisen zu vermeiden,
den viele Gegner der Realschulen absichtlich hineintragen wollen.
Im zweiten Teile seiner Schrift behandelt Danker eingehend die Real-
gymnasien und das Studium der neueren Sprachen. Es sind zwei Fragen,
welche er zu beantworten sucht: 1) Genügt die Vorbildung der Real-
gymnasial-Abiturienten für ein wissenschaftliches Studium der neueren Spra-
chen? und 2) Welche Vorteile zieht das Studium der neueren Sprachen
selbst aus der Berechtigung der Realschul-Abiturienten zu diesem Studium?
— Was die erste Frage betriff't, so hat man den Realschul-Abiturienten
eine ungenügende Kenntnis der lateinischen und den Mangel der griechi-
schen Sprache vorgeworfen. Der erste \'orwurf wird nach Einführung der
neuen Lein-pläne, durch welche der lateinische Unterricht auf den Real-
gymnasien um zehn Stunden wöchentlich vermehrt ist und dadurch im
ganzen eine höhere Stundenzahl erlangt hat als z. B. auf den französischen
Gymnasien, wohl für immer verstummen. Um die Unkenntnis der Real-
gymnasial-Abiturienten in der griechischen Sprache zu heben, schlägt D. vor,
denselben auf der Universität durch Vorlesungen unter dem Titel „Einfüh-
rung in die griecliische Sprache" Gelegenheit zu" geben, sich die für ihr
Studium nötigen Kenntnisse anzueignen. Wie immer, so wird auch hier bei
dieser Frage mit Wünschen und N'orschlägen operiert, welche niemals erfüllt
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 215
werflen. Man darf nur mit den gegebenen Verhältnissen rechnen, und da
wäre zunächst der Frage näher zu treten : Aus welchen Anstalten sollen die
Studierenden der neueren Sprachen hervorgehen? Das Gymnasium lehrt,
wenn wir von den bekannten Ausnahmen absehen, kein Englisch. Diesen
Unterricht überall fakultativ einzuführen, wie von verschiedenen Seiten vor-
geschlagen ist, wird bei dem heutigen Stande der Überbürdungsfrage wohl
immer ein frommer Wunsch bleiben. Man wird vielmehr darauf bedacht
sein müssen, von dem \'ielerlei, was auf den Gymnasien gelehrt wird, das
eine o'ier andere Fach zu streichen. Dazu wird notwendig, wie es auch
schon für die zweite Direktorenkonferenz in Schleswig-Holstein vorgeschlagen
ist, das F'ranzösische gehören. Zu bedauern wäre das weder für die Gym-
nasien, nocli auch für den französischen Unterricht. Die Kenntnisse, welche
ein Gymnasial-Abiturient sich im Französischen erworben hat, sind gewifs
nicht der verwandten Zeit entsprechend. Man darf ohne Übertreibung be-
haupten, dafs ihm auch in den elementarsten grammatischen Dingen jede
sichere Kenntnis abgeht; höchstens hat er gelernt, leichte französische Prosa
mit Hilfe von Erraten ins Deutsche zu übersetzen. Wenn einst an einer
deutschen Universität ein grammatisches Kolleg im Französischen angekündigt
war unter Zugrundelegung der Plötzschen Schulgrammatik von Lekt. 24 an, so
ist das zwar etwas drastisch au.«gedrückt, entspricht aber den thatsächlichen
\'erhältnissen. Wie sollte es auch anders sein? Der Gymnasiast weifs ganz
genau, dafs ihm eine mangelhafte Kenntnis des Französischen niemals in der
Erreichung seines Zieles hinderlich sein wird. Es giebt natürlich Ausnahmen.
Ein Gymnasiast kann durch häusliche oder andere \'erhältnisse zu einem in-
tensiveren Studium des Französischen oder Englischen veranlafst sein, aber
der normale Zustand, mit dem allein gerechnet werden mufs, ist das nicht.
Kann nun, so fragen wir, ein gänzlicher Mangel des Englischen und eine sehr
ungenügende Kenntnis des Französischen auch bei tüchtiger Beherrschung
des Lateinischen und Griechischen als eine genügende Vorbildung für das
Studium der neueren Sprachen angesehen werden ? Besitzen die Sprechwerk-
zeuge eines jungen Menschen, der bis zu seinem zwanzigsten Jahre keinen
englischen Laut gesprochen hat, noch die nötige Bildungsfälligkeit, um sich
in einer bestimmten Zeit eine gute Aussprache des Englischen, welche doch
als erstes Erfordernis der Lehrerbefähigung zu betrachten ist, anzueignen?
Die neuerdings erhobene Klage, dafs die Aussprache des Englischen und
Französischen, welche auf unseren Mittelschulen betrieben wird, gar nicht
englisch und französisch wäre, würde bei einer statistischen Untersuchung
über die Vorbildung der betreffenden Lehrer gewifs zu frappanten Resul-
taten führen. Wäre Danker der Erörterung der vorliegenden Frage in
diesem Sinne näher getreten, so würde er wahrscheinlich noch zu anderen
Ergebnissen gelangt sein. Ob das von ihm vorgeschlagene Nachstudium das
Griechischen auf der Universität grofse Erfolge haben wird, müssen wir
bezweifeln. Auch ein fakultativer Unterricht im Griechischen auf den Real-
gymnasien ist mit Danker entschieden abzulehnen. Es sind wahrhaftig
genug der Fächer auf diesen Schulen, und die Arbeitslast der Schüler ist
so grofs, dafs alles vermieden werden mufs, sie noch zu erhöhen.! Sollen
aber deshalb die Abiturienten der Realgymnasien von dem Studium der
neueren Sprachen ausgeschlossen werden? Es ist noch von keiner Seite die
Notwendigkeit des Griechischen zu einer wissenschaftlichen Beschäftigung
mit den neueren Sprachen bewiesen; es liegen nur einseitige Forderungen
einiger Professoren vor, von denen sie gewifs'auch zurückkommen würden,
wenn sie sich auf den Boden der gegebenen Verhältnisse stellen wollten.
Weder der termini technici wegen, noch um die Litteraturquellen im Urtexte
lesen zu können, ist die Kenntnis der griechischen Sprache notwendig. Nur
für die Lautphysiologie kann man mit einem gewissen Schein eine geringe
Bekanntschaft mit der griechischen Formenlehre , für wünschenswert er-
achten, aber deswegen das Griechische zur conditio sine qua non für ein
21 G Beurteilungen und kurze Anzeigen.
wissenschaftliches Studium der neueren Spraclien zu machen, geht entschieden
zu weit. Doshalb mag immerhin der Vorschlag Dankers den Realgymnasial-
Abiturienten, welche sich dem Studium der neueren Sprachen widmen, em-
pfohlen worden, ohne ihn aber als unbedingte Forderung hinzustellen.
In der Erörterung der zweiten Frage, welche Vorteile das Studium der
neueren Sprachen aus der Berechtigung der Realgymnasial-Abiturienten zu
diesem Studium zieht, weist Danker nach dem Vorgange vcn Prof. Stengel
überzeugend nach, dafs eine gewisse Solidarität zwischen ihnen stattfindet.
Er hatte ruhig noch den weiteren Schlufs ziehen dürfen, dafs nach dem
N'erschwinden der Realgymnasien die Aufhebung der romanischen und eng-
lischen Professuren nur eine Frage der Zeit ist. Wozu sollten diese noch
nützen, besonders bei der Art und Weise, wie von ihnen aus das Studium
iler neueren Sprachen gehandhabt wird? Das Gymnasium braucht für den
französischen Unterricht, welchen es betreibt, keinen wissenschaftlich gebil-
deten Neuphilologen. Es wird sicher die früher allgemein und auch jetzt
noch vielfach geübte Praxis befolgen, Altphilologen, die für ihr specielles
Fach zu schlecht sind, oder jüngeren Leuten, welche man sonst nicht be-
schäftigen kann, diesen Unterricht zu übertragen. Die Überrealschulen
zählen nicht mit, weil sie zu wenig zahlreich und fast ohne alle Berechti-
gungen sind ; auch würde, wie Danker mit Recht hervorhebt, das Studium
der neueren Sprachen, welches heute an den Universitäten betrieben wird,
durchaus nicht für diese Schulen geeignet sein. Dann bleiben aber, wie es
bereits in Elsafs-Lothringen thatsächlioh der Fall ist (ein Zustand, welcher
nach der Ansicht gewisser Herren ein Vorbild für Preufsen bilden soll), nur
noch die lateinlosen Realschulen. Für diese Anstalten würde aber das so-
genannte Mittelschullehrer-Examen als hinreichend angesehen werden können;
ganz abgesehen davon, dafs ein Gymnasial-Abiturient sich niemals bei solchen
Aussichten dem Studium der neueren Sprachen widmen würde. Wenn sich
dann die Hörsäle <ier Professoren für neuere Sprachen geleert haben, werden
diese Herren sicher nicht erwarten dürfen, dafs eine preufsische Wrwaltung
ihre Lehrstühle fortbestehen läfst, damit sie ihren Lieblingssfudien leben
können. Unter solchen Vei-hältnissen ist es unbegreifhch, wenn einige dieser
Professoren in wahrhaft blindem Eifer gegen die Realgymnasien auftreten,
besonders wenn man, wie bei den Herren Koschwitz und Kölbing, heraus-
fühlt, dafs ihnen eine hinreichende Kenntnis von dem Organismus und den
Leistungen dieser Anstalten abgeht. — Deshalb geht Danker im dritten
Teile seiner Arbeit dazu über, die bekannte Schrift von Körting „Über das
Studium der neueren Sprachen an den deutschen Hochschulen" einer ein-
gehen<len Besprechung zu unterziehen und im Anschlufs daran die Kritiken
über diese Schrift zu beleuchten. Dafs Körting, welcher die ganze Frage
sachgemäfs behandelt und sich dadurch alle Fachgenossen zu grofsem Danke
verpfliclitet hat, in den meisten Fällen auch die Billigung Dankers findet,
ist nur zu natürlich. Doch auch in den Fällen, wo Danker von ihm ab-
weicht, z. B. in betreff der Einheitsschule, des Wertes einer guten eng-
lischen Aussprache und der Notwendigkeit der griechischen Sprache, sind
die entgegenstehenden Ansichten mit solchen Gründen motiviert, dafs sie
eine ernste Erwägung beanspruchen dürfen. — Dagegen wird jeder prak-
tische Fachmann Danker in der Verurteilung der Ansichten von Koschwitz
imr beistimmen können. ^Velche päd;igogische Einsicht zeigt Koschwitz,
wenn er auch die Kenntnis der indogermanischen Grammatik von den Stu-
dierenden der neueren Sprachen verlangt („entschieden wünschenswert")?
Warum nicht auch die semitischen Sprachen? Dem Ref. ist seine Kenntnis
des Hebräischen wegen der grofscn Zahl von Analogien mit der englischen
Syntax oft sehr angenehm gewesen. — Welcher Lehrer der neueren Spra-
chen wird nicht staunen, wenn er aus dem Munde von Koschwitz sich über
die l^eichtigkeit der Erlernung der neuonglischen und neufranzösischen
Sprache belehren hört? Welches Realgynniasiuni körnte ni' ht statistisch das
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 217
Gegenteil beweisen, wenn Kochwitz als Grundsatz hinstellt, dafs nur die Elite,
<lie begabteren und wohlhabenderen Realschul-Abiturienten sich dem Studium
der neueren Sprachen zuwenden ! — Von nicht höherem Werte sind die
Einwendungen Kölbings gegen die Zulassung der Realschul-Abiturienten
zum Studium der neueren Sprachen. Kein Lehrer an den Realgymnasien
wird dem Prof. Kölbing zugeben, dafs die Abiturienten dieser Anstalten
das Studium der neueren Sprachen als das leichtere gegenüber dem Studium
der Mathematik und Naturwissenschaften ansehen. Dafs ferner das Real-
gymnasium mehr Gewicht auf die exakten Wissenschaften legen solle als
auf die Sprachen, ist schlechterdings unwahr; und wenn Kölbing die Real-
gymnasien dafür verantwortlich macht, dafs ihre Abiturienten Mifsgriffe in
der Wahl des Studiums machen, so klingt das eigentlich wie ein Hohn.
Mancher Realschul -Abiturient würde ein tüchtiger Mediziner oder Jurist
geworden sein, wenn ihn nicht die Verhältnisse in ein Studium trieben, zu
welchem er keinen inneren Beruf fühlt. — Alle diese Angriffe gegen die
Realgymnasien werden von Danker in scharfer, fast zu scharfer Weise be-
leuchtet und zurückgewiesen. Wenn man den ganzen Ton oft etwas milder
gestimmt haben möchte, so ist er doch zu entschuldigen wegen der Leicht-
fertigkeit, mit welcher diese Einwände von einer Seite erhoben werden,
welche von Fernstehenden als kompetent betrachtet wird. — Dafs auch noch
die Ansichten von Wolpert (Archiv Bd. LXVII, Heft 2 u. 3) und Professor
Trautmann einer Kritik unterzogen werden, mag hier nur der \'ollständigkeit
wegen Erwähnung finden.
Bietet somit die Schrift Dankers für jeden, welcher sich über das
\'erhältnis der Realschulfrage zu dein Studium der neueren Sprachen orien-
tieren will, ein reiches Material dar, so nuifs Ref. doch bedauern, dafs so
viel Arbeit in einem Streite verschwendet wird, welcher eigentlich gar nicht
vorhanden sein sollte. Derselbe wird sicherlicii aufhören, wenn alle Pro-
fessoren der romanischen und englischen Philologie zu lier Überzeugung
gelangt sind, dafs die jetzige Blüte ihres Faches ganz und gar dadurch
bedingt ist, dafs auch Schulen vorhanden sind, auf denen die neueren Spra-
chen eine hinreichende Pflege finden, und dafs das Gymnasium, ohne seinen
wesentlichen Charakter aufzugeben, zu diesen Schulen niemals gehören kann
und wird. Sollte zu solchem Erfolge die Schrift Dankers einen Beitrag
liefern, so mufs sie von allen Fachgeno«sen freudig begrüfst werden.
Flensburg. C. Flebbe.
Psalm CIV im Urtext mit seiner Übertragung als Specimen
einer Psalter-Polyglotte. Von Oberlehrer Dr. 11. Lambeck.
Köthen, Paul Schettler, 1883. IV u. 72 S. gr. 8.
Es steht wohl bei allen Kennern echter Poesie fest, dafs die hebräische,
also die biblische Poesie alle anderen an Erhabenheit und Schönheit über-
ragt. AVer im stände ist, sie in der Ursprache zu lesen, und zwar mit so
viel Verständnis, um sie auch geniefsen zu können, der braucht nicht erst
Lowth und Herder gelesen zu haben, um sie richtig zu würdigen. Erst
kürzlich hat der jetzt wohl gröfste der lebenden Dichter EngLunls. Charles
Swinburne, der zugleich bedeutender Kritiker ist, in einem .Artikel über
Les Legendes des Siecles von Viktor Hu<:o, der ihm als der gröfste Dichter
des Jahrhunderts gilt, sich dahin ausgesprochen, dafs dessen Dichtungen
mehr vom Geiste der hebräischen als selbst der «jriechischen Poesie beseelt
seien, und beide kennen ersteie doch <;ewifs nur aus den Übeiseizungen in
ihre Mutters[)rache. So gewaltig ist die Kraft der hebräischen Poesie näm-
lich, dafs sie auch in der Übersetzung noch immer genug von ihrem Einflufs
auf den Leser beibehält, u:ii denjenigen, der selbst Poesie in sich hat —
218 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
luid nur ein solcher kann ihr das richtige Verständnis entgegenbringen — zu
bogt'istern
Die Masse giobt sich nun freilich nicht mit der Bibel ab. Wenn unsere
Jupcnd die Schule verlassen hat und konfirmiert ist, so wird dieses Buch,
dessen wahrer Geist ihr wohl nur in den seltensten Fällen erschlossen wird,
als etwas Abgetlianes, ja bei der klassisch gebildeten Jugend, die ihren
Homer gelesen, mit unwissender Geringschätzung über Bord geworfen und
vielleicht nie wieder im Leben aufgenommen. Nur die Psalmen besitzen
den \ orzug, dafs sie in die I^iturgie der Kirche übergegangen, und sie sind
das einzige Buch der Hibel, das allgemeiner bekannt ist und bleibt. Den
vorliegenden, von Dr. Lambeck bearbeiteten Psalm hat nun bekanntlich ganz
besonders Alexander von Humboldt in seinem Kosmos zu Ehren gebracht,
und dort ist er vnn allen Gebildeten, wenigstens jener Zeit — denn auch
die.<!es grofsartige Werk wird heutzutage schon wenig mehr gewürdigt — ,
gelesen. Dem orthodo.xen Juden — dies sei beiläufig erwähnt — ist er in
Fleisch und Blut übergegangen, denn er recitiert ihn allsabbathlich im
Winter na(h dem Vespergehet, gewifs nicht zum Nachteil seiner Empfäng-
lichkeit für Poesie, falls er, was allerdings meist anzunehmen ist, den Text
auch wirklich versteht. Man würde jedoch sehr irren, wenn man aus dem
Vorangegangenen schliefsen wollte, ich befürwortete die Notwendigkeit einer
philologischen Behandlung des Textes, wo es sich darum handelt, irgend
welche Dichtung auf sich einwirken zu lassen. Im Gegenteil bin ich der
Ansicht, und habe den moralischen Mut, diese meine Ansicht offen auszu-
sprechen, dafs sich bei solcher Behandlung der Geist der Dichtung eher
veifliichtigt, als dafs er dadurch intensiver auf den Leser einwirke. Gerade
wie nach der Meinung der Ärzte der erste Morgengenufs, sei es einer
Arznei oder eines anderen Getränkes, mehr als das zu jeder anderen Tageszeit
Genossene das System affizieit, so ist meiner Ansicht nach der erste unmittel-
bare Eindruck einer Dichtung, wie jeder grofsartigen Naturerscheinung, sei
es des Meeres oder auch eines schönen Landschaftsbildes, der mächtigste. Ein
zweiter Anblick dieser oder ein eingehenderes Studium jener kann uns wohl
vertrauter mit ihnen machen, uns diese oder jene beim ersten Anblick un-
bemerkte Einzelheit aufdecken, nie aber an Wirkung dem ersten gleich-
kommen.
Nachdem ich dies vorausgeschickt, kann ich nun ungeliindert an eine
Würdigung der vorliegenden tüchtigen Arbeit gehen, die ja nicht den Zweck
iiat, zu erbauen, sondern philologisch zu belehren, und von diesem Gesichts-
punkte aus wird man ihr einen hohen Wert zuerkennen müssen. Dafs die
Wahl gerade des 104. Psalms eine glückliche war, erhellt aus dem Voran-
gegangenen ; ebenso kann man die Arbeit als philologische Studie als eine
gelungene bezeichnen. Der Verfasser ist dabei bescheiden genug, und sagt,
sie trete nicht mit der Prätension auf, dem Sprachforscher y.ar i^o/r,v irgend
etwas Neues bringen zu wollen. Sie wende sich vielmehr an den gebildeten
Mann, der Interesse für Sprachen hegt, um ihm zu zeigen, inwieweit es
älteren und neueren Übersetzern gelungen ist, die erhabenen Schönheiten
des hebräischen Urtextes wiederzugeben; sie wünsche besonders auch von
strebsamen Schülern der oberen Klassen höherer Lehranstalten gelesen zu
werden. Ihnen wolle sie zu einem allseitigen, gründlichen Verständnis dieses
Lobliedes verhelfen, in ihnen Interesse für Sprachvergleichung wecken, sie
zum Nachdenken über Sprachverwandtschaft anregen, ihnen zeigen, wie
Griechisch und Lateinisch, Germanisch und Romanisch Zweige eines und des-
selben Baumes sind, der in Indien wurzelt.
Ausgehend vom hebräischen Original, das bis auf drei oder vier Druck-
fehler (von denen ich hier blofs S. 1 i^/gj statt trrrjj, S. 4 nobk'D statt — 2i
S. 14 n")iJ.i statt, wie leicht ersichtlich, n"ij?.l erwähnen will) mit grofser Ge-
T T : TT*;
nauigkeit wiedergegeben ist, was vermuten läfst, dafs der Verfasser früher
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 219
der Theologie beflissen gewesen sein mufs, da moderne Philologen sich
sonst nicht auch mit Orientalia zu beschäftigen pflegen (i'h schöpfe ja diese
Yermutung aus meiner eipenen Erfahrung), giebt der Verfasser dann die
Übersetzung der Septuaginta, der Vulgata. an welche sich die Tlieod. Bezas
und Christian Reineckes anschlief>t. Es folgen dann die italienische, spa-
nische, portugiesische, französische, englische, danische, schwedische und
holländische Übersetzung, und nach kurzen Angaben, Aussprache und Va-
rianten betreffend, wird eine vollständige Analyse der hebräischen Formen,
eine sich daraus ergebemle wörtliche deutsche Übersetzung beigebracht,
worauf die Angabe der Formen un<l deutschen Bedeutunfien nebst Bemer-
kungen (besonders grammatischen Inhalts) in Bezug auf die übrigen Sprachen
folgt, wobei Zusammengehöriges gruppiert ist. Der Verfasser stützt sich
bei der Analyse und den etymologischen Angaben aller der genannten Spra-
chen auf die besten Quellen, die sowohl p. II wie p. 72 angeführt sind, und
liefert demnach nur Zuverlässiges; denn da, wo die Ableitung eines Wortes
oder dessen Wurzel noch nicht sicher ermittelt ist, sagt er dies einfach,
ohne etwa einen gewagten P>rklärungsversuch zu machen.
Das Ergebnis seiner Untersuchung fafst er am Schlüsse in Folgendem
zusammen: „Vulgata übersetzt nur die Septuaginta, das Portugiesische die
Vulgata (mit ganz geringen Abweichungen); somit teilen diese drei Über-
setzungen dieselben, wenn auch nicht sehr bedeutenden Ungenauigkeiten in
der AViedergabe des Originals. Das Schwedische hat zur Norm die Luther-
sche Übertragung genommen, die, wie bekannt, poetisch schön und sinn-
getreu ist, jedoch nicht in allen Fällen den Wortlaut des Hebräischen wie<ier-
giebt; die Übersetzer in das Italienische und Spanische gehen fast stets auf
den Originaltext zurück. Wort- und sinngetreue Übersetzungen dieses
Psalms enthält die englische, dänische und holländische Bibel.
Als Anhang folgt: Nr. 1. Vergleichende Übersicht des bestimmten
Artikels in den romanischen Sprachen; Nr. 2. Pronomina Persoualia ; Nr. 3.
Pronomina Possessiva ; Nr. 4. Das Hilfszeitwort „haben" und Nr. 5. Das
Hilfszeitwort „sein". — Die Ausstattung ist eine vorzügliche. Im Englischen
iänd ich nur einen einzigen ganz unbedeutenden Druckfehler: togo statt to
go (p. "}; sonst stiefs mir mit Ausnahme der oben angeführten hebräischen
unter den mir bekannten Sprachen nirgends einer auf, was von der grof>en
Sorgfältigkeit zeugt, die der Verfasser, was freilich zu verlangen, auf die
Korrektur verwandt hat.
Hiermit sei die schöne und lehrreiche Arbeit allen Philologen, alten und
neuen, bestens empfohlen.
Leipzig. David As her.
Program mens eh au.
Lehrplan für den deutschen Unterricht. Vom Lehrerkollegium
beraten und festgesetzt. Programm des Realgymnasiums
zu Schalke 1883. 28 S. 4.
Das erste Programm einer neu aufblühenden Schule in einem neu auf-
wachsenden industriellen Orte. Angegeben sind die Lehrpensa, nach Lek-
türe, Grammatik, schriftlichen Arbeiten und namentlich auch der Memorier-
stofi' für die einzelnen Klassen : dann ausführlich die Methodik für Lektüre,
Grammatik und schriftliche Arbeiten besprochen. Über diesen und jenen
Punkt werden die Ansichten immer verschieden bleiben; es ist aber zu-
zugeben, dafs der Lehrplan aus einer verständigen Praxis hervorgegangen
ist, dafs der neu eintretende Lehrer an ihm eine gute Stütze findet. Es ist
alles eben rein praktisch eingerichtet; es wird mancher daher bei der Lek-
türe dieses Lehrplans Sorgfalt in der Darstellung vermissen.
Ein Lehrplan für den deutschen Unterricht. Von Rektor Dr.
Gronau. Programm des Progymnasiums zu Schwetz 1883.
19 S. 4.
Der Lehrplan ist hier nach den Klassen eingerichtet; er enthält viele
praktisch verwertbare Bemerkungen, namentlich über Disposition. Es genüge
das anzuführen, was als neu hervorzuheben i?t oder zu Bedenken anregt.
Dahin gehört die Bemerkung über die beschreibenden Themata für die
Tertia S. 1 1 : „Darstellungen eigener Empfindungen der Schüler sind ver-
pönt." Warum? sollen etwa fremde, erheuchelte Empfindungen dargestellt
werden? Oder ist gemeint, dafs der Schüler bei einer Beschreibung sich
einer statistisch kalten Objektivität befleifsigen, also nicht etwa die Empfin-
dung, welche eine Landschiift in ihm erregt, äufsern soll? Die Lehrer soll-
ten doch froh sein, wenn ihre Schüler nicht kalte Verstandesmenschen sind,
wenn sie sich des Ausdruckes ihres Gefühls nicht schämen. — Im dritten
Kursus (Sekunda und Prima) zeigt Verf. zuerst, wie die Lektüre des Nibe-
lungenliedes und von Hermann und Dorothea zu behandein sei Es soll
dann Schillers Geschichte des Abfalls der Niederlande folgen und Lessings
Abhandlungen über die Fabel; in Bezug auf diese wird bemerkt: „Ein-
dringen in den abstrakteren Inhalt und die dialogische Schärfe der Lessing-
schen Prosa wird durch den Verzicht auf häusliche Vorbereitung und durch
reichliche Exemplifizierung erleichtert"; warum durch das erstere Mittel, ist
nicht ersichtlich. Von Sekunda an erscheint dem Verf. die Privatlektüre
unentbehrlich, auch für Aufsätze verwendbar. Er bemerkt hier aber: „dafs
bei der angegebenen Methode der Klassenlektüre und der Abnahme der
Programmenschau. 221
Privatlektüre reiche Gelegenheit für Pflege des mündlichen Ausdruckes sich
findet, ist ersichtlich;" wie soll das verstanden werden? Die Redeübiingen
sollen ihren fetoir lediglich aus dem deutsclien Unterricht nehmen ; „zu Rede-
übungen über Themen, die aus anderen Gebieten genommen werden, etwa
der Geschichte, fehlt die Zeit." Warum?
Der Unterricht im Deutschen. II. Teil. Von Oberlehrer Leon-
hard. Programm des Realgymnasiums zu Dortmund 1883.
29 S. 4.
Diesem zweiten Teil hat der Verf. die Überschrift gegeben: Mündlicher
unrl schriftlicher Gedankenausdruck und Logik ; es ist hier allein von den
Aufsätzen die Rede. Es ist die richtige Stufenfolge nie aufser acht zu
lassen. Der Verf. begründet den Salz: „Der Unterrieht mufs überhaupt die
jedesmalige Entwickelungsstufe berücksichtigen und die gerade zur Ver-
fügung stehenden Kräfte in geeignete Thätigkeit setzen. Geschieht dies
nicht, erhalten die zum Aufbrechen drängenden Knospen nicht die Gelegen-
heit zur Entfaltung, so tritt eine Verkümmerung ein mit dem sie notwendig
begleitenden Gefühle der Unbefriedigung, das so manchem aufkeimenden
Leben die Schule zu einem Orte dumpfer Qualen macht, die besonders bei
edel angelegten Naturen noch durch Selbstvorwürfe gesteigert werden, da
gerade der gute Schüler die Schuld des Nichtgelingens am ehesten in sich
selbst sucht, während sie doch so oft den Lehrer allein trifi't, der es nicht
versteht, auf die geeignete, von der Natur selbst vorgeschriebene Weise
auf ihn einzuwirken. Dieser Zustand wird aber unvermeidlich eintreten,
wenn der Schüler immer wieder nur nacherzählen soll, was er gehört oder
gelesen hat." Der Quarta entsprechend nennt nun der Verf. die Umarbei-
tung eines Gedichts in eine prosaische Erzählung. Mit Recht stimmt der
Yerf. in das Verdammungsurteil nicht ein, welches von einigen über diese
Übungen ausgesprochen ist. Wie bei der prosaischen Erzählung sehr oft
von einem anderen Punkte ausgegangen werden mufs als der Dichter anhebt,
setzt der Verf. auf eine für den angehenden Lehrer verständliche Weise
auseinander. Es konnte dabei auch auf eine für das praktische Leben wich-
tige Form aufmerksam gemacht werden, nämlich auf die Briefform. Es wird
den Schüler in diese einführen und ihn an Lebendigkeit und Anschaulich-
keit der Darstellung gewöhnen, wenn er bei solchen Paraphrasen ab und zu
sich der Briefform bedient, z. B. einen jungen Griechen aus Theseus' Stadt
das dem Freunde gegebene Versprechen, von den Kampfspielen auf Korln-
thus' Landesenge ihm baldigst Nachricht zu geben, erfüllen läfst, so dafs er
kurz die Reise über den Isthmus erwähnt und dann das gestern erlebte
grofsartige Schauspiel und die wunderbare Störung schildert u. s. w. Der
Verf. geht weiter über auf die Übung der Charakteristik. Er knüpft überall
gern, und mit Recht, an die Schillerschen Gedichte an. Welche Schwierig-
keiten bieten sie aber oft dar. Man nehme den auch hier herangezogenen
Kampf mit dem Drachen. Der Ritter hat eine grofse That ausgeführt, die
Gefahr leuchtet ein durch das, was wir von dem durch «Jen Drachen ver-
übten Schaden hören, durch die Beschreibung des Lindwurms, durch den
Jubel der Menschen; er hat sie mit Besonnenheit ausgeführt; er ist durch
das edelste Motiv geleitet. Er durfte stolz sein auf seine That, joder
Mensch darf sich seines Fleifses rühmen, er durfte stolz sein, alle Welt
stimmt ihm bei, und doch, zeigt irgendwo der Jüngling diesen berechtigten
Stolz? Aber der Meister emplängt ihn kühl, „denn ihn hat der eitle Ruhm
bewe<Jt", und der Jüngling legt schweigend von sich das Gewand. Da fragt
der Schüler: Ist der Vorwurf des Meisters gerecht? Was ihn bewogen hat,
hat ja der Jüngling vorher selbst gesagt; das Verbot des Meisters, der nur
das Leben der Ritter schonen will, stellt er gegenüber dem Kufe des Her-
zens, sich der Not der Menschen, die ja der Ordensritter lindern soll, zu
222 Progranimenscliau.
erbarmen, „des Gesetzes Sinn und Willen" ist er sich bewufst, treulich
erfüllt zu haben ; er hat durch seine Klugheit anders als seine Vorgänger
auf einen glücklichen Ausgang rechnen können: Was ist das also für ein
Gehorsam, den verletzt zu haben der Meister ihm zum Vorwurf macht? Igt
das der Gi-horsam des christlichen Ritters oder nicht etwa des Mitgliedes
des Assassinenordens? Das ist eine ganze Keiiie von Einwürfen, wie sie
wohl der nachdonkende Schüler macht. So faf»t beim Ring des Polykrates
der Schüler die Schönheit des Gedichtes ; aber es befriedigt ihn nicht ganz,
wenn er sich nicht auf einen allgemein menschlichen Standpunkt stellen
kann, wenn er mit Herodot gleich füiilen soll. Was haben wir. fragt er sich,
mit dem Neide der Götter zu thun? Ist Ama«is ein rechter Freund, wenn
er ihm nur im Glücke treu bleibt? Hat denn Polykrates etwas besonders
Seldimm«'s verübt? Gewifs thut da der Lehrer nicht unrecht, wenn er den
Schüler auf eine höhere Zinne hinaufsteigen Ihfst. l'olykrates ist «ler Tyrann
von Samos ; das wäre so schlimm noch nicht; wenn wir nur hörten, dafs
seine Tyrannis das wirkliche geistige und äufsere W^ohl der Unterworfenen
im Auge hätte, aber er stellt nur seine Person hervor, seine Macht, seinen
Reichtum, seine Siege hebt er allein hervor, nirgends eine Spur von tiefe-
rem Sinn; das Liebste ist ihm nicht die Liebe der Seinigen, sondern ein
blinkender Ring; kein Wort von Dankbarkeit gegen die Gottheit. Dem
Gott entfremdeten Menschen steht der fromme Amasis gegenüber, er mufs
sich von ihm trennen. So ist allerdings in das Gedicht hineininterpretiert;
aber kann das so bedenklich sein? — Weiterhin spricht der Verf noch von
logi.schen Übungen, spricht sich mit Recht gegen die Chrie aus ; nicht die
Disposition, sondern die Invention ist in den oberen Klassen die Hauptsache.
Zur Methodik des deutschen Unterrichts in der Prima der Gym-
nasien. Von Oberlehrer ür. Bindseil. Programm des
Marien-Gymnasiums zu Posen 1883.
Der Verf. will auseinandersetzen, dafs für den Aufsatz Invention und
Disposition nebeneinander hergehen müssen; mit den Elementen der Logik
und Psychologie müsse der Primaner zuerst bekannt gemacht werden Er
giebt selbst einen kurzen Abrifs der Logik, führt ein Thema an und stellt
überhaupt vernünftige Grundsätze auf. Wer aber mit den Schriften von
Deinhardt, Hoffmann, Göbel u. a. bekannt ist, wird nichts Neues darin
finden, auf diese stützt sich besonders die Abhandlung. \ ielleicht wäre es
praktischer gewesen, wenn der Verf. einige Themata aus den verbreitetsten
Dispositionssammlungen herausgenommen und nachgewiesen hätte, welche
logische Fehler darin voikommen. Auf die Themata, welche sich an die
Lektüre unmittelbar anschliefsen, läfst sich die Abhandlung nicht ein.
Über den Betrieb der deutschen Metrik auf den Gymnasien.
Von Überlehrer Eggeling. Programm des Gymnasiums zu
Krotoschin 1883. 20 S. 4.
Metrische Belehrungen in gewisser Bescliränkung hält der Verf. mit
Recht für notwendig. Für die Schule wählt er aufser den eigentlich deut-
schen Formen von fremdländischen nur die bei uns heimisch gewordenen
aus, also Hexameter, Pentameter, trochäische und jambische Verse, Nibe-
lungenvers nebst Alexandriner und Senar, sog. Knittelvers, Stanze, Terzine,
Sonett, Ghasele. Hexameter, trochäisclie und jambisehe Verse, stumpfende
un<l klingende Reime lernt der Untertertianer kennen, das Gesetz der
Hebungen und Senkungen, Nibelungenvers, freiere trochäische und jambische
\ erse, die verschiedenen Reirastellungen, vierzeilige und achtzeilige Strophen
der Obertertianer, immer bei der Lektüre, den abweichenden Bau des deut-
Programmenschau. 223
sehen Hexameters, Stanze, Terzine, Sonett der Sekundaner, die asklepia-
dische, alcilische, sapphische Strophe der Primaner bei der Lektüre des
Horaz. Die Allitteration, den Unterschied der älteren und modernen Nibe-
lungenstrophe führt die Übersicht über die Geschichte der Litteratur vor.
Damit die gewonnenen Kenntnisse niclit dem Gedächtnisse entsciiwinden,
sind metrische Übungen in der Art, wie sie X'iehoff in seiner Vorschule dar-
gelegt hat, zu empfehlen, die auf die sprachliche Ausbildung vorteilhaft, ein-
wirken. Den Anfang setzt er in Sekunda, und zwar mit der Richtigstelhing
von versus turbali und so früh als möglich gereimter Verse. Dann sind be-
kannte Gedichte in ein anderes Metrum zu übertrafen, auch kyrze Frosa-
erzäblungen z. B. Lessingsche Fabeln in Verse. Für Prima sind metrische
Übersetzungen aus lateinischen und griechischen Dichtern zu empfehlen,
und zwar in das Metrum des Originnls. Die Verbesserung ist unter Mit-
wirkung der ganzen Klasse vorzunehmen. Bei Übersetzungen in ein vom
Original abweichendes Versniafs ist auf Treue im Einzelnen zu verzichten.
Als Beispiele solcher metrischen Übungen hat der Verf. einige Umbildungen
und Übersetzungen seiner Schüler angehängt, welche als solche als Klassen-
leistungen zu betrachten sind; sie sind wohl lesbar.
Über einige Eigentümlichkeiten, insbesondere über Pleonasmus
und Tautologie in der deutschen Wortzusammensetzunor.
I. Teil. Von Oberlehrer Dr. Herrn. Mushacke. Programm
des Kaiser-Wilhelms-Gvmnasiums zu Hannover 1883.
35 S. 4.
Seitdem das Mittelhochdeutsche aus dem Lehrplan der höheren Schulen
ausgeschlossen ist, sollte keine Gelegenheit ungenutzt bleiben, um in den
Schülern ein Verlangen nach einer Vertiefung in den deutschen Sprach-
schatz wachzurufen. Dieser wohlberechtigten Mahnung nachzukommen, hat
der Verf. sich hier ein Glied der deutsehen Wortbildung ausgewählt, wel-
ches sehr geeignet ist, in dem Schüler die Vorstellung von der gewaltigen
Schaffenskraft unserer Sprache zu erwecken, mit Liebe und Ehrfurcht vor
seiner Muttersprache ihn zu erfüllen, zu weiterem Forschen ihn anzuregen.
Der Verf. zeigt eine gründliche Kenntnis seines Gegenstandes, eine grofse
Belesenheit, weifs jedes einzelne Wort verständlich und anziehend zu be-
handeln, so dals nicht blols die Jugend den gröfsten Gewinn aus der Arbeit
ziehen, sondern auch die Fachgelehrten angesprochen werden. Es ist daher
zu bedauern, dafs durch Raummangel sich der ^'erf. genötigt sah, den An-
fang seiner Arbeit auszulassen, welcher nach allgemeiner Einleitung einige
Besonderheiten der deutschen Wortzusammensetzung in Betonung und Stel-
lung der Bestandteile, in der Entwickelung und Mischung der eigentlichen
und uneigentlichen Zusammensetzung behandelte. Die Fülle aber des übrig
bleibenden Stoffes ist so grofs, dafs auf Einzelnes einzugehen hier nicht mög-
lich ist, nur der Gang der Arbeit angegeben werden kann, um dadurch auf
den Reichtum aufmerksam zu machen. — Der Zweck der Zusammensetzung
ist schärfere Bestimmung der Begriffe, sie wird notwendig, wenn sonst
gleichbedeutende Ableitungssilben nicht mehr verständlich sind; öfters ist
sie überflüssig und schleppend (Schwiegersohn statt Eidam, Witfrau statt
Witwe, Frühjahr statt Lenz), aber sie hat ihren hohen Wert, wenn es gilt,
neii auftauchende Vorstellungen zu bezeichnen. Unkenntnis und Geschmack-
lo>igkeit (man denke an die Puristen des 17. und 19. Jahrhunderts) haben
eine Unzahl von Zusammensetzungen erfunden, denen man mit aller Macht
entgegentreten mufs (Inhaftnahme, Rückäufserung, Kleinkinderbewahranstalt
u. ä.), nur die komische Poesie mag sich ihrer bedienen.
Jede Zusamtuensetzung sollte die Bestandteile deutlich erscheinen lassen,
also der Form nach vollständig sein, d. h. mindestens aus zwei Silben be-
224 Programmenschau.
stehen, der Bedeutung nach vollwertig d. h. beide Bestandteile in ihrem be-
grifllichen Unterschiede hervortreten lassen. Aber zunächst durch lautliche
EinbulVe sind so.i;ar einsilbige Komposita entstanden, wobei daim auch be-
grifl'llche Verdunkelung eintrat (AN'elt, Amt, heint u. a.), auch mehrsilbige
haben Verlust erlitten (neben, heute, Beichte, Messer [westfiil. sogar Mest],
Junker), andere sind entstellt (Eimer, Zuber). Bei anderen Kompositis hat
«ler eine oder andere Bestandteil di'n vollen Wert seines ursprünglichen
ßegrilh's aufgegeben (so die Endungen lieit, schaft. tum, bar, haft, lieh,
sam, auch andere Wörter sind jetzt untrennbar, wie Gam, Gall, Wer in
Bräutigam. Nachtigall, Werwolf, Urlaub, vergessen). Als Folge der Ent-
stellung und Verdunkelung des Begrifi's erscheinen dann pleonaslische oder
tautologische Zusammensetzungen (Mastbaum). Solche kommen auf allen
Gebieten vor, so bei Tiernamen, teils jetzt weniger üblich (Antvogel statt
Ente), teils neu (Walfisch, Auerochs, Windhund), Pflanzennamen (Ahorn-
baum, Lorbeer, Maulbeere, Holunderbaum, Wacholder, Kichererbse u. a.),
Steinnamen (Bimsstein, Marmelstein), astronomische, medizinische, Produkte
von Naturgegenständen (Flaumfeder), kirchliche und gerichtliche Namen
(Domkirche, Hansebund, Pöbelvolk, Femgericht), Namen aus dem Privat-
leben (Kredenztisch, Kabeltau, Angelhaken, Mahlzeit, Lebkuchen), Bezeich-
nungen für Abstrakte (Warnungsanzeige, frankfrei) und Personen (Dienst-
bote, Kebsweib).
Der Empfang der Gäste im Nibelungenliede, ein Beitrag zur
Kulturgeschichte des 12, und 13. Jahrhunderts. Von Dr.
Emil Kettner. Programm des Gymnasiums zu Mühlhausen
in Th. 1883. 26 S. 4.
Das Nibelungenlied bietet natürlich auch reiche Schilderungen des
höfischen Lebens dar, wie die Kunstepen. Aus dem reichen Stoff hat der
Verf. obiges Kapitel ausgewählt und die Sätze mit zahlreichen Belegstellen
versehen. Der erste Abschnitt betrifft die allgemeinen Formen des Empfanges :
den vornehmen Gästen eilen beim Herannahen Ritter und Knechte des Burg-
herrn entgegen, nehmen ihnen Rosse und Schilde ab und führen sie meist
in die Fremdenzimmer. Vornehme Gäste werden nicht nach ihrem Namen
gefragt, sie werden als bekannt vorausgesetzt. Minder hochstehende Gäste
finden ihr Quartier in der Stadt; ist ihre Menge zu grofs, so wird ein Zelt-
lager aufgeschlagen. Der Kämmerer bewahrt die Habe der Gäste. Vor
dem Zutritt zum Herrn wechseln sie die Kleider. Das Entgegengehen des
AVirtes gilt als Auszeichnung; sonst werden die Gäste von den Mannen des
Herrn zu ihm geführt oder sie müssen warten, bis sie Urlaub bekommen.
Der Grufs besteht in freundlichen Worten; man nimmt den Gast bei der
Hand und fuhrt ihn zum Sitz; die Frau und Tochter des Hauses küssen
auch den höher oder gleichstehenden Gast; der Schlufs der Begrüfsung ist
dann der \Villkomraenstrunk. Auch die Gesandten werden höflich en)pfangen,
sie bringen Nachricht über das Befinden ihrer Herren und deren Grufs, da-
nach verkündigen sie ihre Märe und erhalten darauf den Empfangstrunk.
Der grofse oder festliche Empfang, den der Verf. im zweiten Abschnitt
schildert, zeichnet sich aus durch die Menj^e der Teilnehmer, den Glanz der
Ausstattung und die Ritterspiele. Der Fürst reist nicht ohne grofses Ge-
folge; ein Bote meldet ihn an und empfännt reichen Botenlohn; Frauen
sehen von fern entgegen. Der Wirt indes bereitet sich vor, Teppiche wer-
den aufgehängt, Blumen gestreut, Tische aufgestellt u. s. w. In festlichem
(Jewande zieht man dem Festzug entgegen, um so weiter, je mehr man die
(laste ehren will ; zuweilen reitet ein Vortrab voran. Schon während des
Zuges beginnt ein Teil der Ritter die Waffenspiele. Zur Begrüfsung steigt
man von den Rossen, die Ritter fuhren die Frauen bei der Hand, währen«!
Programmenschau. 225
die jüngeren Ritter ihre VVaffenspiele fortsetzen. Hierauf treten die Frauen
in die aufgeschlagenen Zelte, die Wafleaspiele erneuern sieb, die Frauen
schauen zu, bis am Abend alles nach der Burg aufbricht; auch da werden
unterwegs die Spiele fortgesetzt. In der Burg machen die Gäste erst
Toilette, dann empfangen sie noch Besuch und werden endlich zum grofsen
Festmahl in den Saal geführt. Dies sind im allgemeinen die Empfangs-
feierlichkeiten; kleine Abweichungen führt der Verf. auf, der, wie gesagt,
Beweisstellen zahlreich beigefügt hat.
Wolframs voo Eschenbach VVillehalra und seine französische
Quelle. Von ürd. Lehrer Saltzmann. Programm des
Realgymnasiums zu Pillau 1883. 24 S. 4.
Entgegen San Marte, welcher aufser der Chanson d'Aleschans wegen
mehrfacher Abweichungen noch eine andere Quelle für Wolfram annahm,
erklärt der Verf. die Abweichungen aus Wolframs Mifsverständnis der
Chanson oder seiner eigentümlichen Darstellungsweise. Ebenso San Marte
gegenüber stellt er den dichterischen Wert der Chanson über Wolfram. Er
geht, um das zu beweisen, das französische Gedicht von Anfang an durch
und würdigt die Unterschiede des deutschen. Er wirft besonders Wolfram
vor, dafs er zuviel künstele, durch Reflexionen den lebendigen Gang der
Handlung hemme, dafs er in der Motivierung der Kämpfe dem Original
nachstehe, niedrigere Motive gelten lasse, auch weniger anschaulich sei, in
den Charakteristiken z. B. des Königs eine klare Auffassung vermissen
lasse. Die Abweichungen Wolframs von der Chanson sind zahlreich, sie be-
treffen nicht blofs Einzelheiten ; aber in allen erscheint Wolfram dem Original
gegenüber in dunklerem Lichte. San Hartes Urteil wäre also aus einem
unbegründeten Vorurteil über Wolframs Kunst zu erklären.
Friedrichs von Hausen und Heinrichs von Veldeke Minne-
lieder, verglichen mit denen ihrer Vorgänger. Von Dr.
Otto. Programm des Gymnasiums zu Konitz 1883.
26 S. 4.
Die Abhandlung bespricht sehr eingehend die älteren lyrischen Ge-
dichte, unterzieht eine sehr grofse Anzahl sorgfältiger Untersuchung, be-
sonders in metrischer Hinsicht, berührt auch chronologische Schwierigkeiten
und verdient gründliche Beachtung bei den diese Gedichte betreffenden
Studien. Es mag hier genügen, den Gang und das Resultat der Deduktion
wiederzugeben. Da die erste Periode der mhd. Lyrik bis etwa 1190 reicht,
so zeigt sie in ihren ersten Erzeugnissen die volkstümlichen Anfänge der-
selben, weiterhin aber schon den Einflufs der romanischen Kunstlyrik; die
unmittelbare Nachahmung derselben hört dann auf mit Heinrich von Vel-
deke und Friedrich von Hausen. Indem der Verf zur Betrachtung der
ersten Periode Lachmann-Haupts „Minnesangs Frühling" zu Grunde legt,
charakterisiert er zuerst die „namenlosen Lieder", ihre Technik und Stim-
mung, als Eigentümhcbkeiten hervorhebend den Neid anderer Frauen, die
der Frau den Besitz des Gehebten mifsgönnen, und den streitbaren Falken
als Bild des Geliebten, ferner die Ungenauigkeit des Reimes. Wegen der
angeblich dem Kaiser Heinrich VL angehörigen Strophen ist er geneigt sie
mit Lachmann- Haupt demselben abzusprechen. In den ebenfalls viel bc:
sprochenen Strophen des von Kürenberg findet er mit Bartsch Tiefe und
Wahrheit der Empfindung; hier erscheint das Weib sich nach der Liebe
des Mannes sehnend, ihn hütend und pflegend, um Wiedervereinigung mit
ihm Gott anflehend. Auch in den Liedern des Burggrafen von Regensburg
ist die Frau dem Manne gern unterthan, nirgends Weichheit der Gesinnung,
die Reime noch ungenau. In den Liedern ies Burggrafen von Rietenburg
Ärcliiv f. n. Sprachen. LXXI. 15
226 Programmenschau.
kommt zuerst die unglückliche Liebe als poetisches Motiv vor, die Schön-
heit der Natur steht in Kontrast mit den Phasen des Liebesverhältnisses,
es werden längere Gedanken ausgesponnen. Mehr noch ist Herr Meinloh
von Sevelingen eine Ubergangsgestalt; beeinflufst von romanischer Denk-
weise, stellt er sich auf den Boden einer neuen Reflexion, er will ganz ein
rechter Liebhaber sein, doch noch frei von der geistreichen Dialektik der
späteren Zeit, er reflektiert nur über die Phasen seines Liebesverhältnisse.«.
Nichts gemein mit der Minne haben die Lieder Spervogels. Unter dem
Namen des Dietmar von Eist kommen mehrere ihm niclit zugehörige Stro-
phen vor; die Lieder des ersten Liederbuches repräsentieren die ältere, die
des zweiten die jüngere Zeit; Dietmars Gefühl ist warm, leidenschaftlich, er
steht mit seiner Denkweise auf altem Boden, in seiner Formvollendung leitet
er auf die Folgezeit über. — Nun aber tritt die deutsche Lyrik in Berührung
mit der altfranzösischen und proven^alischen; von dieser war die erstere
auch von der proven^alischen beeinflufst, welche in ihrer Blütezeit um 1140
durch ihren schwärmerischen Geist und die vollendete Kunstform sich aus-
zeichnet; da ist die Liebe Urquell aller Humanität und Lehrerin des Ge-
sanges, der Dichter Vasall seiner Dame, die Liebe ist eine rein poetische,
die Unerbittlichkeit der Geliebten wird daher ruhig ertragen, nur der Tod
bewirkt herrliche Klagelieder. Die altfranzösische Lyrik ist nur ein farb-
loser Wiederschein der provencjalischen. Was nun die Minnelyrik Hausens
und Veldekes betrifft, so zeigt sich äufserlich in dem Princip der Dreiteilig-
keit und der Durchführung des Reimes durch die ganze Strophe der roma-
nische Einflufs. Zwischen Veldeke und Hausen herrscht grofse Ähnlichkeit
in der Reimstellung; im Bau der Stollen ist Hausen genauer als Veldeke.
Beide sind also Marksteine in der Entwickelung der mhd. Lyrik; es ver-
schwindet die alte, paarweise gereimte Langzeile, die Dreiteiligkeit der
Strophen wird Regel. Veldeke steht den Alten noch näher als Hausen,
jener hat nur vier mehrstrophige Lieder, bei Hausen sind alle Lieder bis
auf drei mehrstrophig. Es ist mit Hausen und Veldeke ein vollständiger
Umschwung der mhd. Lyrik eingetreten, aber nicht blofs durch den Einflufs
der romanischen Muster, sondern auch durch ihre hohe dichterische Be-
gabung: lange Zeit war Hausen einer unverdienten "\'ergessenheit anheim-
gefallen.
Zur Geschichte der deutschen Spruchdichtung im Zeitalter der
Minnesänger. Von Hermann Schlüter. Programm des
Progymnasiums zu Striegau 1883. 23 S. 4.
Den volkstümlichen Charakter des Spruches hervorgehoben zu haben
ist besonders das Verdienst Simrocks und W^ackernagels. Der Spruch hat
kein X'orbild, wie die Lyrik, im Westen. Mit dem ältesten Liede der Vor-
blüteperiode teilt er die Einstrophigkeit. In Bezug auf den Stoff" repräsen-
tiert er eine eigene, der Lyrik nicht untergeordnete Gattung; er ist nur
zum Teil didaktisch, teils läfst er die Persönlichkeit des Dichters, seine per-
sönlichen Verhältnisse hervortreten, teils ist er objektiv, allgemein refiek-
tiere|id. Hervorzuheben sind der ältere Spervogel, Walther von der Vogel-
weide und Reinmar von Zweter. Spervogels Sprüche sind bald voll von
Anspielungen an bestimmte Personen, ohne didaktischen Inhalt, teils sind
sie allgemein gehalten, ohne reale Grundlage, Ermahnungen und Lehren ver-
schiedenster Art. Dies beweist der Verf. im einzelnen. Der gesunde
Realismus Spervogels bildet einen Gegensatz zur schattenhaften Lyrik; man
sollte daher Spervogel nicht den Minnesängern zuzählen. Die andere Gruppe
der Spervogelschen Sprüche, von Ehe, Freundschaft, Dienstmannschaft
u. s. w. handelnd, unterscheidet sich ebenfalls von der Lyrik durch den
didaktischen Charakter. Sie haben gröfstenteils ein episches Kolorit und
lehnen sich an die Tiersage an, so dafs es scheint, als ob die Wurzeln der
Programmenschau. 227
gesamten didaktischen Spruchgattung in der altdeutschen Tiersage zu suchen
sei. Es giebt nun noch von Spervogel religiöse Sprüche, aber auch in ihnen
tritt keine subjektive Empfindung, wie in der geistlichen Lyrik, hervor,
Spervogel ist also kein Lyriker. Mit den gleichzeitigen Lyrikern teilt er
die schlichte Einfachheit, den volkstümlichen Hauch; erst die spätere Lyrik
reifst sich von dem mütterlichen Boden los, trachtet nach äufserem Glanxe,
verliert dabei aber an innerem Werte. Von dieser Umwandkmg hält sich
die Spruchpoesie frei, aber sie entwickelt sich auch intensiv, sie gewinnt an
Tiefe und geistigem Gehalt, sie spiegelt wieder, was die gesamte Nation
bewegt. Auch Walther von der Vogelweide macht seine eigenen Lebens-
schicksale zum Gegenstande seiner Dichtung; wir finden eine Fülle von
individuellen Zügen, ganz verschieden von den mhd. lyrischen Gedichten.
Diesen Sprüchen reihen sich nun die politischen Gedichte an, die wahre
kulturhistorische Bilder sind. Didaktischer Natur sind auch die Sprüche
Walthers, in denen er religiöse Stoff'e behandelt. Andere sind allgemein
ethischen Inhalts, Klagen über den Zustand der Welt, über Jugenderziehung,
auch Reflexionen an Frauen gerichtet. Bei Reinmar von Zweter finden
sich persönliche Verhältnisse selten erwähnt; in seinen politischen Sprüchen
ist er würdiger Nachfolger Walthers, durch Adel der Gesinnung hervor-
leuchtend. Meister ist er im eigentlichen Lehrspruch, reich an glücklichen
Bildern, in kernhaftem Ausdruck, in geistvollen Sentenzen. Die Lehrsprüche
sind teils religiös, teils allgemein ethisch, allgemeine Betrachtungen über
den Wehlauf, Sentenzen über den Ritterstand, Minne, Ehe, die Frauen;
in diesen letzten besonders tritt sein sittlicher Ernst hervor.
Die älteste Herzebrocker Heberolle. Zweiter Teil. Von Paul
EickhofF. Programm des Gymnasiums zu Wandsbeck
1883. 20 S. 4:
Schon der erste Teil der Abhandlung ist wegen seiner Bedeutung für
die Lokalgeschichte, noch mehr für die Lokalgeographie hervorgehoben,
aber, obgleich die Heberolle fast nur Eigennamen enthält, auch auf die
sorgialtigen sprachlichen Untersuchungen hingewiesen, welche der Verf. an
diese altsächsischen Namen geknüpft hat. Ebenso beachtungswert für den
Sprachforscher ist die vorliegende Abhandlung; der Verf. verfolgt die Wort-
stämme in den verwandten Dialekten und bringt schöne Beiträge zu den
vorhandenen Wörterbüchern und Grammatiken. Es sei z. B. gedacht des
Wortes letti, von welchem in dem Mittelniederdeutschen Wörterbuch nicht
vorkommenden Worte der Verf. nachweist, dafs es in der Bedeutung
„Hindernis" vorkommt, dafs es dann wie das mhd. letze Schutzwehr, Land-
wehr bedeutet, d. i. eine Erdaufschüttnng mit Graben, oben bepflanzt oder
bepfählt. Auf ähnliche Weise werden über Stamm und Verwandtschaft
vieler Namen gründliche Untersuchungen angestellt.
Niederdeutsche Passionsgeschichte nach dem Evangelium Jo-
hannis. Mitgeteilt von Dr. Martens. Programm der Real-
schule in der Altstadt zu Bremen 1883. 19 S. 4.
Das neu erwachte Studium des Niederdeutschen ist der Grund, dafs
wir jetzt mannigfache niederdeutsche Litteraturwerke erhalten, die wegen
ihres Inhalts keine Bedeutung haben, aber in sprachlicher Hinsicht beachtens-
wert sind. Dazu gehört vorliegende Passionsgeschichte aus einem im Besitz
des Herausgebers befindlichen Gebetbuche aus dem Ende des 14. oder An-
fang des 1 5. Jahrhunderts in niedersächsischer Sprache. Es ist die Pas-
sionsgeschichte- nach dem Evangelium Johannis Kapitel 18 und 19. Es ist
angenehm, dafs der Verf. neben dem Texte noch zwei andere Texte bat
15*
228 Programmenschau.
abdrucken lassen, nämlich der ältesten niedersächsischen gedruckten Über-
setzung der Vulgata, d. i. der Lübecker von 1494, und der ältesten nieder-
sachsisclion Übersetzung des Lutherschen Neuen Testaments, d. i. der VVitten-
berger von 1529. — Im Anhange teilt der Herausgeber den übrigen Inhalt
des Sanimelbandes mit, es sind Gebete und Andachten.
Über Herodis Funa3 et Racheiis lachrymEe von Andreas Gry-
phius. Nebst einigen weiteren Nachrichten über den Dichter
von F. W. Jahn. Programm des Stadtgymnasiums zu
Halle a. S. 1883. 32 S. 4.
In etwas weitläufiger Weise bebandelt der Verf. seine Themata, er setzt
zuerst auseinander, wie es gekommen, dafs, obgleich alle älteren Quellen
richtig den 2. Oktober 1616 als Gryphius' Geburtstag angeben, doch in
diesem Jahrhundert lange fälschlich der 11. festgehalten sei. In seinem
fünfzehnten Jahre dichtete Gryphius lateinisch die Herodis Furise, die man
in Litteraturgeschichten öfters falsch als Trauerspiel bezeichnet findet-, es
ist ein episches Gedicht, die Herausgabe steht von Palin zu erwarten. Der
Verf teilt die Widmungsdistichen nebst seiner Übersetzung und ausführlich
den Inhalt mit, den Bombast des lateinischen Originals giebt die deutsche
Inhaltsangabe glücklich wieder. Von dem zweiten lateinischen Gedichte
des Gryphius: Dei vindicis iropetus et Herodis interitus, in 1204 Hexa-
metern, erhalten wir auch den Inhalt angegeben. Schliefslich wird berichtet,
dafs 1665 von Schülern des Stadtgymnasiums zu Halle die Katharina von
Georgien von Gryphius in Gegenwart des Administrators Herzogs August
von Sachsen aufgeführt worden ist.
Wielands publicistische Thätigkeit. Von Oberlehrer Hermann
ßöhnke. Programm des Gymnasiums zu Oldenburg 1883.
27 S. 4.
Eine Ehrenrettung Wielands, die alle Beachtung verdient. Es ist
richtig, wie der Verf. sagt, dafs es förmlich Mode geworden ist, Wieland
herabzusetzen, während man von den anderen Dichtern seiner Zeit jeden
Flecken vvegzureiben sucht. Der Wandel in seiner schriftstellerischen
Thätigkeit, dessen Notwendigkeit schon Lessing prophetisch andeutete, mag
zu diesem schroffen Urteil viel beigetragen haben; aber allein schon der
Oberen und Goethes herrliche Worte über denselben sollten zur Behutsam-
keit mahnen. Nicht minder der ehrende Nachruf, den 1813 Goethe ihm wid-
mete und von dem der Verf. ausgeht: „Der geistreiche Mann spielte gern
mit seinen Meinungen, aber, ich kann alle Mitlebenden als Zeugen auf-
fordern, niemals mit seinen Gesinnungen." Man mufs Wieland ganz und
voll fassen, nicht dies oder jenes Stück herausgreifen, um ihm gerecht zu
werden. Der Verf., welcher sich eingehend mit Wieland beschäftigt und
eine grÖfsere Arbeit über denselben vorbereitet hat, ist zunächst durch das
bittere Urteil Biedermanns in seiner Kulturgeschichte, namentlich durch die
Behauptung, dafs Wieland für grofse Thaten und Weltbegebenheiten durch-
aus unempfänglich gewesen sei, zu dieser Abhandlung veranlafst worden.
Die publicistische Thätigkeit Wielands, der deutsche Merkur, soll die
Grundlosigkeit jenes Urteils beweisen. An dem Kampfe seiner Zeit bat
sich A\'ieland von früh an beteiligt. Nur der litterarische Kampf erregte
damals in Deutschland Interesse, der die Gestalt des Wettkampfes zwischen
englischem und französischem Geschmack annahm. Schon 1755 trat er mit
der Ankündigung einer Dunciade für die Deutschen gegen Gottsched auf
Reformideen treten auch hervor in den Jugendschriften (1758) „Plan einer
Akademie zur Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute" und
r
Programmenschau. 229
„Gedanken über den politischen Traum von einem Mittel die veraltete Eid-
genossenschaft wieder zu verjüngern". Wir ersehen daraus, dafs Wieland
einen in damaliger Zeit nicht häufigen Sinn für die lebendige Gegenwart
hatte. Bald dies bald das erregte sein hohes Interesse. Das ist bezeich-
nend für ihn, seine reiche Phantasie wirkte nur anregend, nicht schöpferisch.
Geranie diese geistige Behendigkeit, die seltene Aneignungsfähigkeit bildete
ihn zu einem Publicisten ersten Ranges. Den Plan zum deutschen Merkur
hat er lange gepflegt, die Gründung erfolgte erst mit der Übersiedelung
nach Weimar. Überall, wie nun der Verf. im einzelnen ausführt, wufste
er Mitarbeiter zusammenzufinden, unterhielt eine staunenswerte Korrespon-
denz, überwand die zahllosen Schwierigkeiten, hatte, um viele Abonnenten
zu gewinnen, zu lavieren. Endlich erschien 1773 das erste Heft. Alsbald
brach aber der Streit mit den Göttingern, mit dem Musenalmanach aus.
^\'elches Strafgericht jene an Wieland vollzogen, ist bekannt: nachher ist
aber das Verhältnis Wielands zu Vofs ein freundliches geworden, Wieland
war zu gutmütig, um lange zu grollen. Hiermit bricht die Abhandlung ab.
Über den Einflufs Holbergs und Destouches' auf Lessings
Jugenddramen. Von Dr. Adolf Scliimberg. Programm des
Gymnasiums zu Görlitz 1883. 16 S. 4.
Die Abhandlung bat das Verdienst, alles zusammenzubringen, was in
Lessings Jugonddramen an Holberg und Destouches erinnert, in denen also
Lessing offenbar sich auf diese Dichter bezogen hat; dem französischen
Dichter erteilt bekanntlich Lessing mehrfach grofses Lob. Gleich im ersten
Stück, im Jungen Gelehrten, linden sich zahlreiche Ähnlichkeiten mit Hol-
bergs Erasmus Montanus, in Charakteren und im Einzelnen, in der Heirats-
scene auch von Destouches. Es sei hierzu bemerkt, dafs es ein Lustspiel
giebt von Contessa: Der Gelehrte. Lustspiel in vier Akten nach Destouches
1826. — Dafs das zweite Stück „Dämon" von Holbergs „glücklichem Schiff-
bruch" beeinflufst ist, ward schon von Danzel bemerkt. \'on der Bemerkung
des Verf : „Überhaupt ist dieses Stück das unbedeutendste von Lessings
.Jugenddramen und ist wohl auch nie auf die Bühne gebracht worden", ist
nur die erste Hälfte richtig. In der Hamburgischen Theater-Geschichte von
J.F. Schütze (1794) heifst es S. 282: Am 5. August (1754) begann Schöne-
mann aufs neue und nun fortwährend für eigene Rechnung, doch ohne grofse
Rechnung dabei zu finden — bis zum 11. November. Unter den in diesem
Zeiträume gegebenen Stücken zeichnen wir Lessings Dämon (aus den Er-
munterungen zum Vergnügen des Gemüts — Hamburg 1747. 8 — eine Zeit-
schrift, an welcher Lessing mitarbeitete) und den Kaufmann von London
u. s. w. aus." Also zwischen dem 5. August und 11. November, an welchem
Tage Schönemann seine Direktion mit der Darstellung des Kaufmanns von
London schlofs, ist der Dämon in Hamburg aufgeführt. In Lessings drit-
tem Stücke „Der alten Jungfer" zeigte sich wieder direkt der Einflufs von
Holberg und Destouches (S. 10 ff.) Beiläufig, dies Stück liefs Koch
12. Aug. 1755 in Hamburg aufführen. Auch im „Misogyn" ist in Einzel-
heiten Holbergs Einflufs nachweisbar (S. 12), im „Freigeist" in einer Scene ;
bekanntlich ist der Freigeist 18G5 von Gubitz neu bearbeitet. In anderen
Gedichten ist es dem Verf. nicht gelungen, Benutzung von Holberg und
Destouches zu finden.
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und Johann Heinrich Vofs.
II. Von Ord. Lehrer Dr. Otto Hellinghaus. Programm des
Realgymnasiums zu Münster 1883. 16 S. 4.
Der zweite Teil der Abhandlung umfafst nur einen kurzen Zeitraum,
von 177C bis zu Vofs' Einzug in Eutin, es sind nur die Beziehungen in
230 Programmenschau.
dieser Zeit zwischen Vofs und Stolberg dargestellt. Der Verf. bat mit
grolsom Fleil's und Sorgfalt sein Thema behandelt, kleine Ungenauigkeiten
bei Herbst durch Einsicht in die Originalbriefe verbessert. Den ersten und
zweiten Teil, sowie die Fortsetzung, die nach dem vorliegenden Anfang um-
fangreich zu werden scheint, gedenkt er als ein Ganzes bald in der Herder-
schen Buchhandlung in Freiburg erscheinen zu lassen.
Schillers Lied von der Glocke. Für die Zwecke der Schule
erläutert von Oberlehrer A. von Sanden. Programm des
Progymnasiums zu Kempen, Regb. Posen 1883. 33 S. 4.
Der Verf. hat diese Erläuterung, die besonders durch sorgfältige Zer-
gliederung des Inhalts in den reichen Ideengehalt der Dichtung einführen
will, den scheidenden Schülern als Andenken hinterlassen wollen, dafs sie
auch auf ihrem ferneren Lehenswege noch gern zu der bewundernswerten
Schöpfung des Dichters zurückkehren und aus ihr Gewinn für Geist und
Gemüt schöpfen. Die Schulschrift macht nicht Anspruch diirauf, unbekannte
Wahrheiten zu bringen. Einfach wie sie auftritt, verdient sie das Lob, dafs
sie ihrem Zwecke vollkommen entspricht. Für die Schule könnte, um gleich
zur ersten Zeile des Kommentars einen Beitrag zu liefern, hinzugefügt wer-
den, da der Verf eine metrische Glockeninschrift anführt, dafs der Schiller-
schen oder Strafsburger Inschrift verwandt sind die von Linz am Rhein :
Defunctos plango, vivos voco, fulgura frango, und von Harsewinkel (in AVest-
falen): Funera deflango, plebem voco, fulgura frango.
Die dramatische Idee in Schillers Wilhelm Teil. Von Gym-
nasiallehrer Mühlenbach. Programm des Gymnasiums zu
Eatibor 1883. 26 S. 4.
Über die Einheit oder Nichteinheit des Wilhelm Teil ist viel hin und
her geredet und geschrieben worden. Die zahlreichen Urteile der Kritiker
älterer und neuerer Zeit, vielfach unter sich abweichend, hat der Verfasser
zunächst zusammengestellt; man hätte dabei mehr Präcision gewünscht,
zumal der Verf bei weitem nicht alle Specialwerke über Teil aufgeführt hat,
nicht einmal die allgemeinen Litteraturgeschichten. Und wenn er die Urteile
der Zeitgenossen Schillers besonderer Beachtung wert hielt, so verdiente
auch Schillers Briefwechsel mit Humboldt und Goethes mit Zelter, sowie
die interessanten Stellen aus Goethes Gesprächen mit Eckermann berück-
sichtigt zu werden. In ähnlicher Weise wie schon andere das Drama be-
sprochen haben, äufsert sich der Verf dahin, dafs wir einen zweifachen
Helden anzunehmen haben, wie auch die Tradition der Schweiz, in den
ersten zwei Akten sei das Volk der Held, von da an Teil. Der Dichter
wollte die Befreiung der Urkantone und die Geschichte des Teil darstellen.
Das Volk mufs erkennen, so berechtigt auch seine Empörung ist, dafs das
Gelingen nicht von den Massen, sondern von einzelnen, die selbständig ein-
greifen, vor allem von der Unterstützung einer höheren Macht abhängt, —
Teil, dafs seine eigene Not nur der Reflex der allgemeinen Not ist. Ist
nun auch das Volk der Held in den zwei ersten Akten, so wird doch schon
auf das Tellstück hingewiesen, wir wissen, dafs und wann und wie Teil in
die allgemeine Bewegung, der er sich seinem Charakter und der Tradition
nach bisher fern gehalten hat, eingreifen wird. Die Rütliscene führt un-
mittelbar durch die Erwähnung Gefslers auf Teil. Um zu zeigen, dafs Teil
allein in seinem Familienleben getroffen und aus der Gleichgültigkeit gegen
die Gemeinde herausgerissen werden kann, war zunächst sein friedliches
Glück daheim zn schildern. Nach Gefslers Ermordung ist eine dramatische
Steigerung nicht mehr möglich; nachdem im dritten und vierten Akte Teils
Programmenschau. 281
besondere That alles Interesse beansprucht hatte, kehrt im fünften Akte der
Dichter zum Volke zurück, der fünfte Akt vollendet das Werk der Be-
freiung. — Dies ist in Kürze der Inhalt der Exposition des Verfassers.
Über Schillers Auffassung und Verwertung des antiken Chors
in der Braut von Messina. Von Oberlehrer Dr. Arnoldt.
Progranani des Kneiphöfischen Gymnasiums zu Königsbero-
1883. 12 S. 4.
Wir wissen von Schiller selbst, dafs er mit der Braut von Messina
einmal ein Experiment machen wollte; er ahnte nicht, welch einen staunens-
werten Erfolg die Darstellung haben werde. Und doch, als sehe er voraus,
welche Bedenken späterhin sich laut raaclien würden, schrieb er zur Klärung
der Begriffe und zur Rechtfertigung die \'orrede. Er hat sich dadurch selbst
im Lichte gestanden, gerade daraus sind die Waffen geholt. Es sind, sao-t
man, geradezu die Gesetze der alten Tragödie verletzt, es ist die antike
Vorstellung von dem Dichter falsch aufgefafst, folglich ist das Drama ein
verfehltes Kunstwerk. Aber der Theorie gegenüber behauptet das Leben
sein Recht; noch immer macht das Drama den gewaltigsten Eindruck, es
ist sicher, dafs das nicht blofs die Wirkung der bezaubernden Diktion ist.
Wie kommt das? Haben die Tadler nicht recht? Die vorliegende Abhand-
lung wendet sich der Frage mit mehr Sorgfalt zu, als gewöhnlich geschieht-
sie beruht auf besserer Einsicht in das griechische Drama, auf den Fort-
schritten, die in neuester Zeit in der Erkenntnis desselben gemacht sind. —
•Der Chor und die Schicksalsidee, das sind die charakteristischen antiken
Elemente des Dramas. Die Einführung des Chores hat die ganze Gliederung
des Stückes, die Einfachheit der äufseren Ökonomie, die Pracht des Rhyth-
mus in seinem Gefolge, die antike Schicksalsidee die Charakterisierung der
handelnden Personen, die aber weniger handelnde Personen, als sie geleitet
werden, daher keine individuelle Färbung tragen. Es ist bekannt, dafs der
König Ödipus des Sophokles auf den Dichter am meisten eingewirkt hat,
und bis ins Einzelne hinab läfst sich die Ähnlichkeit verfolgen. Aber ist
der Chor in der Braut von Messina wirklich antik? Der antike Chor, so
heifst das allgemeine Urteil, ist der idealisierte Zuschauer, das unparteiische
Volksbewufstsein, er ist von keiner Partei, er darf an der Handlung nicht
teilnehmen, er ist nur auf die Reflexion beschränkt. Und dem entgegen ist
nun Schillers Chor gespalten, leidenschaftlich und wiederum den Gebietern
sklavisch unterthänig. Darauf ist nun zu erwidern : In den Schutzflehenden
und den Eumeniden des Aschjlus bildet der Chor die Hauptperson der
Handlung, die Jungfrauen in den Sieben, die Greise im Agamemnon zeigen
keineswegs die vielgenannte Ruhe, der Chor der Perser durchaus keine
sklavische Unterwürfigkeit. Und die Leidenschaftlichkeit der handelnden
Personen finden wir auch mehrfach bei dem Chor des Sophokles, auch des
Euripides, und Aristoteles verlangt geradezu ein Mitspielen vom Chor. Wenn
weiter geurteilt ist, dafs die Personen jetzt ungestüm daherstürmen und
dann in rascher Wandlung Weisheit predigen, so ist ein solcher Wechsel
auch öfters bei dem Chor des Sophokles und Euripides, wenn man den Ab-
stand der dialogischen Abschnitte von den lyrischen Partien betrachtet,
wahrnehmbar. Weiter ist der Vortrag durch einzelne Personen dem Schiller-
schen Chor vorgeworfen; aber auch innerhalb der lyrischen Partien des
griechischen Chores findet sich eine durchgehende X'erschiedenheit, bald
treten die Reihen, bald die Führer, bald einzelne Personen darstellend vor,
chorische Einzelstimmen licfsen sich auch auf der Bühne von Athen ver-
nehmen. Aber Schiller bat keinen Unterschied gemacht, er hat die Ver-
teilung aller Ciioreuten auf alle Gesänge ausgedehnt, und das hat er gethan,
weil die Mitwirkung der Musik ihm fehlte und ein Zusammensprechen des
232 Programmenschau.
ganzen Chores ihm unausführbar schien. Es ist auch nicht antik, dafs das
ganze Stück hindurch niemals der Chor als ein Ganzes erscheint, sowie dafs
er wie eine ßühnenperson mit derselben Freiheit auf- und abtritt. Trotz-
dem würde bei dem tiefen Ideengehalt der stets der Situation entsprechen-
den Chorlieder, dem erschütternden Ernst, dem hochtragischen Schwung,
der antiken Würde, den glanzvollen Rhythmen das deutsche Drama auch
auf der Bühne von Athen Beifall gefunden haben.
Zur Feier deutscher Dichter. Dreizehnter und vierzehnter
Abend. Von Direktor K. Strackerjan. Programm der
Realschule zu Oldenburg 1883. 15 S. 4.
Wie in Oldenburg im Winterhalbjahre von den Schülern der Realschule
Festlichkeiten zum Andenken deutscher Dichter gefeiert werden, bestehend
in einer Einleitungsrede des Direktors und Deklamationen und Gesangs-
vorträgen der für den Abend ausgewählten Dichter, wie dann die Aula die
Menge der Zuhörer kaum zu fassen vermag, das ist jetzt weit über die
Grenzen des Grolsherzogtums bekannt, und allgemein anerkannt, dafs durch
diese Feiern ein idealer Sinn nicht blofs in der mitwirkenden Jugend ge-
pflegt wird. Die Schulprogramme haben seit einer Reihe von Jahren das
Programm dieser Feier und die Eingangsrede mitgeteilt, welche in sehr an-
sprecliender Form eine kurze, aber treffende Charakteristik der an dem
Abend vorgeführten Dichter liefert. Auf diese möge auch diesmal aufmerk-
sam gemacht werden. Der dreizehnte Abend, betitelt: die schwäbischen
Dichter, bringt eine kurze Schilderung Uhlands, der schon früher einen
Abend für sich in Anspruch genommen hatte, eine genauere von J. Kerner, '
G. Schwab, Mörike, K. Mayer, von welchem letzteren ein bisher ungedrucktes
Lied mitgeteilt wird. Der vierzehnte Abend ist ganz Rückert geweiht, und
machen wir besonders auf die liebevolle Würdigung desselben aufmerksam.
Briefe von Ernestine Vofs an Rudolf Abeken, mit erläuternden
Anmerkunoren herausgegeben von Professor Dr. Fr. Polle.
Zweite Hälfte. Programm des Vitzthumschen Gymnasiums
zu Dresden 1883. 34 S. 4.
Diese zweite Hälfte der Briefe möchten wir noch der ersten vorziehen ;
sie sind von der Witwe Ernestine geschrieben. Die innigste Liebe zu dem
geschiedenen Gemahl spricht sich darin aus, wie nicht minder die aufrichtigste
Frömmigkeit, die Gewifsheit, dafs sie bald für immer wieder mit ihm ver-
einigt sein werde, dabei aber auch die treueste Anhänglichkeit an die ihr
gebliebenen Kinder, für die sie jetzt der einzige Mittelpunkt ist, und dann
wieder das rührende Angedenken an den früh entrissenen Sohn Heinrich.
Wir empfehlen diese Briefe allen denen, die eine der edelsten deutschen
Frauen kennen lernen wollen. Sie dienen aber auch wesentlich zur Cha-
rakteristik von J. H. Vofs. Ein Mann, der von den Seinigen so schwärme-
risch geliebt, von Männern wie Loback und Schlosser so warm verehrt wird,
wird immer über kleinliche Tadelsucht erhaben sein. — Den Briefen an
Abeken ist hier im Anhang ein Auszug aus einem Briefe Ernestines an eine
Jugendfreundin, Frau von Merwede in Flensburg, von 1H23 beigegeben, eine
freundliche Beschreibung ihres Wohnhauses nebst Umgebung. Der Heraus-
geber hat auch diesmal sorgfältige Anmerkungen beigefügt, die auch einige
Stellen in Herbsts Schrift über Vofs berichtigen.
Herford. H ö 1 s c h e r.
Miscellen.
Die alchymistischen und kabbalietischen Stellen in Goethes Faust.
Man hat schon vielfach Goethes Quellen zu seinem faustischen Zauber-
spuk aufzufinden gestrebt, aber ohne rechten Erfolg, was zu dem Urteile
zu berechtigen schien: Die Alchymisten schrieben immer ziemlich den glei-
chen Unsinn zusammen, und da Goethe sich viel mit ihren Schriften be-
schäftigte, so suchte er sich einige derartige Redensarten 'für seinen Faust
aus, ohne jedoch dabei ein bestimmtes Buch zu Grunde zu legen. Der erste
wirksame Stofs gegen eine solche absprechende Ansicht geschah 187 7 seitens
des Medicinalrates und Professors Herrn Mohr, indem dieser in einer
Sitzung der physikalischen Abteilung der niederrheinischen Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde in Bonn bei Besprechung der Stelle im ersten Teile
von Goethes Faust {v. Loeper: Vers 689 etc.):
Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,
Im lauen Bad der Lilie vermalt,
Und Beide dann mit offnem Flammenfeuer
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf mit bunten Farben
Die junge Königin im Glas —
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
und Niemand fragte, wer genas.
mit Bestimmtheit auf Theophrastus Paracelsus (Anfang des 16. Jahr-
hunderts) als Quelle hinwies. Desselben charlatanischen Arztes ward in
diesem Sinne auch in Dr. Eduard Sabells Festschrift „Zu Goethes hundert-
dreifsigstem Geburtstag" (1879) und zwar in einem „Die Hexenspriiche"
üherschriebenen Aufsatze Erwähnung gethan. Daneben wurden u. a. auch
die dem Basilius Valentinus zugeschriebenen Werke mit ihren deut-
schen Auflagen von 1677 und 1717 angeführt: „Diese Schriften etc. sind
voll von Versen, die an die Hexensprüche anklingen und von denen wir
einige hier folgen lassen." Die Probestellen sind jedoch nicht derart, dafs
sie einen zu Sabells Annahme zu stimmen vermögen — „Die Botschaft hör
ich wol, allein mir fehlt der Glaube!"
Nun kam dem Schreiber dieser Zeilen kürzlich ganz zufällig ein altes
chemisch-alchymistisches Buch zu Händen. Es war eine andere Auflage des
Basilius Valentinus, welche aber — wenigstens soweit der Vergleich der von
Sabell aufgeführten Verse ergiebt — keine wesentliche Abweichungen zu
bieten scheint. Der vollständige Titel lautet: „Fratris Basilii Valentin!
Benedictiner Ordens Chymische Schriften alle, so viel derer vorhanden,
anitzo Zum Dritten mahl zusammen gedruckt, aus vielen so wol geschriebenen
234 Miscellen.
als gedruckten Exemplaren vermehrt und verbeßert, und in Zwey Theile ver-
fallet. — HAMBURG, In Verlegung Gottfried Liebezeit's. — Anno 1700."
Das Buch hat einen sehr frommen Anhauch, die Wissenschaft desselben wird
als eine göttliche Ofienbarung hingestellt entgegen der teuflischen Zauberei.
Die Hauptabschnitte des ersten Teiles sind : „Von dem großen Stein der
uhralten Weisen." — „De Microcosmo, oder Von der kleinen Welt des
MenschHchen Leibes." — „De Macrocosmo, oder Von der großen Heimlich-
keit der W^elt, und ihrer Artzney, dem Menschen zugehörig." — „Von der
Meisterschaff't der sieben Planeten, ihrem Wesen, Eigenschafften, Krafft und
Lauff." — „De occulta philosophia, oder \'on der heimlichen Wunder-Geburt
der sieben Planeten und Metallen." — „Von den Natürlichen und Über-
natürlichen Dingen." — „Triumph-Wagen des Antimonii." — Beim Durch-
blättern dieses seltsamen Buches erinnerte mich so manches in dem be-
deutenderen ersten Teile desselben an Goethes Faust, dafs ich mir unwill-
kürlich sagte: Sabell hat doch nicht so ganz unrecht, nur die Probestellen
waren ungünstig gewählt ; leichtlich kann das Buch dem Altmeister vor-
gelegen haben! Einige Anführungen mögen dies zu beweisen suchen:
Seite 45 heifst es: „Der feurige König wird die liebliche Stimme der
Königin sehr lieben, und wegen großer Liebe freundlich zu sich nehmen,
und sich mit ihr ersättigen, biß sie beyde verschwinden, und in einen Leib
eingehen." Auch des „Leo, Löwen, roten Löwen" wird wiederholt Erwäh-
nung gethan. Wenn nun diese Ausdrücke an die Verse
Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier
Im lauen Bad der Lilie vermählt etc.
erinnern, so will ich doch nicht Mohrs Ansicht widersprechen, dafs Goethe
den Paracelsus benutzt habe. — Aber kann er nicht auch den Basilius
Valentinus gekannt haben? — Noch folgende Slellen scheinen mir der Be-
achtung wert:
B. Valentinus S. 42: „Also nun mufs von diser Materia ein sicht-
barer Geist außgetrieben werden, welcher doch unbegreiflich ist" etc.;
ferner:
B. Valent. S. 155:
Aus Venus Lieb mach dir ein Stein,
Und treib daraus den Geist allein.
Vergl. Goethe I, V. 1582 etc.:
Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben.
Such erst den Geist herauszutreiben. —
B. Valent. S. 74:
Ist nichts, spricht der Philosophus.
Denn ein zweyfach Mercurius.
Ferner: B. Valent. S. 154:
Der Philosophus spricht also: etc.
Vergl. Goethe I, V. 1574 etc.:
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch etc. —
B. Valent, S. 159:
j Hab gar ein melancholisch Art,
Davon hab ich mein greisen Bart.
Vergl. Goethe I, V. 1701 etc.:
Allein bei meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart. —
Miscellen. 235
B. Valent. S. 74:
Sind zwey und drei, und doch nur eins.
Verstehst dus nicht, so triffst du keins.
Vergl. Goethe I, V. 1564 etc.:
Dann lehret man Euch manchen Tag,
Daß, was Ihr sonst auf Einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nöthig sei. —
B. Valent. S. 154:
Ein Zeuge redt mit höchster Stimm,
Wer gar nichts gilt ist leer im Sinn:
FUnfftzig ist mehr denn Fünff die Zahl,
Und sind doch nur zween überall:
Tausend beschl ießen's End zugleich,
Wer diß versteht der ist gantz reich:
Fünff Ding im Leben solches oftenbahren,
Und fünff im ToJt dabey auch waren,
Viere die sprechen das Urtheil aus,
Das einig allein rieht nur den Strauß.
Vergl. Goethe I, V. 2185 etc.:
Du mußt verstehn !
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich u. s. w.
B. Valent. S. 154 (diese Verse finden sich auch bei Sabell):
0 Sonn, ein König dieser Welt,
Die Luna dein Geschlecht erhält,
Mercurius copulirt euch fix,
Ohn Venus Gunst schafft ihr alls nichts,
Welch Martern hat zum Mann erkohrn,
Jovis Genad sey nichi verlohrn,
Damit Saturnus alt und greiß,
In vielen Farben sich erweiß etc.
Ferner: B. Valent. S. 159 (Saturn spricht):
Ich komm vom höchsten Himmel her.
Und scheine oben weit und fer,
Daß man mich kaum erkennen kan.
Im Sinn bin ich ein Wundermann,
Hab gar ein melancholisch Art, etc.
Vergl. Goethe II, V. 343 etc.:
Die Sonne selbst, sie ist ein lautres Gold,
Merkur, der Bote, dient um Gunst und Sold,
Frau Venus hat's euch Allen angethan.
So früh als spat blickt sie euch lieblich an.
Die keusche Luna launet grillenhaft;
Mars, trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft;
Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein.
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein; etc.
Ja,- wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt.
236 Misccllen.
Die Gleichstellung der Planeten und Metalle ist also : Sol =: GolJ,
Luna = Silber, Saturnus = Blei, Jupiter = Zinn, Venus = Kupfer,
Mars ^= Eisen, Mercurius = Quecksilber. — Nun kann nicht geleugnet wer-
den : Was die letzte Anführung aus dem zweiten Teile des Faust betrifft,
so scheint ein AViderspruch darin zu liegen, dafs die berührten Stellen des
ersten Teiles in die frühe Jugend fallen, wohingegen die letzthin genannte
Stelle des zweiten Teiles dem hohen Alter angehört. Sollte Goethe die-
selbe Quelle auch noch späterhin vorgelegen haben? oder hatte er, als er
in der Jugend den B. Valentinus vorhatte, Auszüge gemacht, welclie er
später verwandte? Im Grunde genommen mag es ziemlich einerlei — gleich-
gültig darf man nicht sagen — erscheinen, aus welchen Büchern Goethe für
seine Meisterschöpfungen geschöpft habe. Aber die verehrende Teilnahme
für unseren gewaltigen Geistesfürsten ist uns Entschuldigung dafür, dafs
wir seinen Spuren nachspüren, soweit wir vermögen.
Adalbert Rudolf.
Die Moliöre-Philologie und ihre berufsmäfsigen Gegner.
Über den Aufschwung, den die deutsche Moliere-Philologie in den letzten
Decennien genommen, und über die Gunst, welche ihr die wirklich wissen-
schaftlichen Zeitschriften Frankreichs, Englands und Deutschlands zugewandt
haben, noch viel Worte zu verlieren, wäre für die sachkundigen Leser dieser
Zeitschrift überflüssig. Hier handelt es sich nur um Kennzeichnung einiger
versteckter, im sicheren Schutze der Ano nymität kämpfender Neider,
die in zwei deutschen Cliquenblättern, den „Grenzboten" und dem „Litte-
rarischen Centralblatl" (beide erscheinen natürlich zu Leipzig, dem Centrum
des litterarischen Nepotismus und Reklamenwesens), ihr dunkles Handwerk
treiben. Was die neueren Bestrebungen der Molieristik den „Grenzboten"
so vorhafst gemacht hat, will ich nicht untersuchen, sondern hier nur cha-
rakteristische Thatsachen vorbringen. Als das erste Heft des „Moliere-Mus.",
jenes mit so grofsen Opfern begonnenen und in allen Zeitschriften Deutsch-
lands und des Auslandes (Grenzboten und verwandte Blätter natürlich aus-
genommen) gelobten Unternehmens erschien, brachten auch diese „Boten"
ein selbstredend anonymes* Referat. Was stand darin! Der Redacteur, der
in der Vorrede all seinen Gönnern und Freunden dankt, habe sich das Ver-
gnügen machen wollen, seine Bekannten aus dem Adrefskalender zusammen-
zuschreiben. Dann wurden einzelne Sätze aus dem Zusammenhange ge-
rissen und bewitzelt. Etwa zwei Jahre später ging es dem Verf. dieses
Artikels ähnlich. Eine von ihm verfafste Moliere-Biographie hatte aus leicht
begreifhchen Grümlen politischer Natur den Zorn der Grenzboten-Redaktion
(die bekanntlich aus drei Personen besteht, welche ihre Zugehörigkeit zu
diesem Blatte sorgsam verschweigen) erregt. Es erschien eine lange, natür-
lich anonyme, Besprechung, die in nicht weniger als 23 Punkten Ver-
drehungen und direkte Unwahrheiten enthielt, was übrigens der Anonymus
in einem an die Redaktion gerichteten Schreiben, das mir durch ein Ver-
sehen der gerichtlichen Untersuchung vorgelegt wurde, teilweise selbst
zugab. Meine Berichtigung wurde von dem nominellen Redacteur, Buch-
händler Grunow in Leipzig, beiseite gelegt und der Staatsanwaltschaft gegen-
über die Nichtaufnahme damit gerechtfertigt, dafs meine Ausführungen
nicht lediglich „auf Thatsachen" sich beschränkten. Natürlich, denn wie
soll man Witzeleien und Verdrehungen, also Dinge, die ebenfalls nicht der
thatsächlichen Wahrheit angehören, durch rein „thatsächliche" Angaben
• Die Anonymität, ein heiliges Recht aller politischen und socialpolitischen
Zeitungen, ist in wissenschaftlichen Kritiken allmählich aufser Mode gekommen.
Miscellen. 237
widerlegen? Ein gewisser Karl Siegen, Gelegenheitsdichter und Zeitungs-
schreiber zu Leipzig, machte dann aus dem Grenzboten-Referat einen Aus-
zug für die Leipziger offizielle Zeitung, worin er geistreich bemerkte, mein
Buch enthielte nur auf hundert Seiten Neues, auf den anderen dreihundert
auch Bekanntes, daher wäre nur eine Publikation dieser hundert Seiten
nötig gewesen. Dabei zeigte K. S. eine so grofse Unkenntnis der Moliere-
Litteratur und meines eigenen Buches, welches er doch kritisieren zu wollen
vorgab, dafs er nicht einmal den Namen der Gattin Molieres, der dort
einige hundert Mal vorkam, richtig abschreiben konnte.
Im ,,Litt. Centralbl", das unter Leitung eines Professors steht, der
ausschliefslich Gerlnanist ist und somit die Kecensionen nicht germanischen
Charakters, also etwa sieben Achtel seines Blattes auf Treue und Glauben
annimmt, werden alle Moliere-Publikationen mit einigen Zeilen, entweder
lobhudelnder oder maliciös-witzclnder Art abgethan, auch wenn jene Publi-
kationen auf eingehenden Defailstudien ruhen. In dieser Weise, mit obli-
gater Hinzufügung von Verdrehungen, unbewiesenen Annahmen und Witzchen
wurden Humberts Schriften, Mangolds Tartuffe u. a. besprochen. Lotheifsens
Buch wurde mit so nichtssagenden Wendungen gelobhudelt, dafs die Lob-
hudelei hier fast zur Kränkung wurde. Aufnahme von Berichtigungen
wurde von dem Redacteur dem Prof. Humbert und mir in zwei Fällen ver-
weigert, und in einem anderen Falle so lange hingezögert, bis die Frist zur
Erlangung gerichtlicher Hilfe verstrichen war. Die nichtssagende Kürze der
anonymen Referate erklärt sich wohl mit daraus, dafs jenes „Centralblatt"
pro Zeile die horrende Summe von 5 Pf. entrichtet und mehr als 120 Zeilen
überhaupt nicht honoriert,* dafs es ferner das Recensionshandwerk zuweilen
von Studenten und Anfängern besorgen läfst. So wurda Ludwig Freytags
Buch über Tiberlus von einem Studiosus Kitt aus Bergamo, der mit seinen
wissenschaftlichen Arbeiten überall Fiasko machte und als Handlungsreisender
sich dann entpuppte, anno 1871 recensiert, so wurde von einem anonymen
Ref. der Historiker Brefslau in Berlin noch als jugendlicher Anfänger hin-
gestellt, nachdem er schon Bedeutendes geleistet hatte, und die Redaktion
des „Litt. Centralbl." suchte dieses Versehen in einer officiellen Erklärung
gar noch zu entschuldigen. Die Herren Mitarbeiter des „Litt. Centralbl.",
denen ein Urteil über die besprochenen Publikationen zuzutrauen ist, lassen
sich, wie ich in mehreren Dutzend Fällen nachweisen kann, durch Schul-
meinungen und durch wohlwollende Rücksicht für den Leipziger Verlag
allzusehr leiten.
Es ergiebt sich aus dem Gesagten, dafs die rüstig fortschreitende
Moliere-Philologie von jenen beiden Leipziger Blättern zwar nichts zu hoff'en,
aber auch nichts zu fürchten hat. Schriftsteller und Verleger mögen das
zu verstehen suchen.
* Die Kecensionsexemplare werden überdies zurückgegeben oder vom Recen-
senten bezahlt.
Halle. R. Mahrenholtz.
Bibliographischer Anzeiger.
Allgeraeines.
F. Techmer, Internationale Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft.
I. B(J . 1. Heft. (Leipzig, Barth.) 6 Mk.
F. Masing, Lautgesetz und Analogie in der vergleichenden Sprachwissen-
schaft. (Petersburg, Kranz.) 1 Mk. 80 Pf.
O. Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte. Linouistisch-histo-
rische Beiträge zur Erforschung des indogermanischen Altertums. (Jena,
Costenoble.) 11 Mk.
Franco-Galiia, Kritisches Organ. Hrsgb. von A. Krefsner. L Jahrgang.
12 Hefte. (Wolfenbüttel, Zwifsler.) 5 Mk.
Heinr. Free, Der muttersprachliche Unterricht in der Volksschule. (Bern-
burg, Bacmeister.) 1 Mk. 40 Pf.
F. Franke, Die praktische Spracherlernung auf Grund'der Psychologie
und der Physiologie der Sprache. (Heilbronn, Henninger.) 60 Pf.
Lexikographie.
H. Frischbier, Preufsisches Wörterbuch. Ost- und westpreufsische Pro-
vinzialismen in alphabetischer Folge. 12. u. 13. Lfrg. (Berlin, Enslin.)
k 2 Mk.
Jossier, pere, Dictionnalre des patois de l'Yonne. (Auxerre, Champion.)
6 fr.
Vocabulaire proven9al-fran9ais, contenant les mots dont la Iradiiction est
peu connue. (Carpentras, Lechevalier.) 1 fr. 25 c.
J. Loth, \'ocabulaire vieux-breton avec conimentaire. (Paris, Vieweg.)
10 Mk.
L. Toi hausen, Nouveau dictionnairc de poche espagnol-fran^ais et fran-
(jais-espagnol. (Leipzig, Tauchnitz.) 1 Mk. 50 Pf.
Grammatik.
W. Franz, Die lateinisch-romanischen Elemente im Althochdeutschen.
(Strafsburg, Trübner.) 1 Mk. 80 Pf
A. Lübben. Mittelniederdeutsche Grammatik nebst Chrestomathie und
Glossar. (Leipzig, Weigel.) 6 Mk.
W. Jütting, Phonetische, etymologische und orthographische Essays über
deutsche und fremde Wörter mit harten und weichen Verschlufslauten.
(Wittenberg, Herold.) 3 Mk. 50 Pf.
Bibliographischer Anzeiger. 239
Syntaktische Untersuchungen über Villehardouin und Joinville von A. Hase.
(Oppeln, Franck.) • 3 Mk.
A. Horning, Zur Geschichte des lateinischen c vor e im Romanischen.
(Halle, Niemeyer.) ' 3 Mk. CO Pf.
B. Schneider, Die Flexion des Substantivs in den ältesten Denkmälern
des Französischen und im Charlemagne. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
M. Banner, Über den Wechsel männlicher und weiblicher Reime in der
französischen Dichtung. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
R. Hofmeister, Sprachliche Untersuchung der Reime Btrnharts von
Ventadorn. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
Petit de JuleviUe, Notions generales sur les origines et sur l'histoire
de la langue fran(;aise. (Paris, Delalain.) 2 fr. 50 c.
Litterat ur.
H. Normann, Perlen der Weltlitteratur. Ästhetisch-kritische Erläuterung
klassischer Dichterwerke aller Nationen. 5 — 9. Lfr^. (Stuttgart, Levy &
Müller.) " ä 50 Pf.
F. Pfalz, Die deutsche Litteraturgeschichte, in den Hauptzügen ihrer Ent-
wickelung sowie in ihren Hauptwerken dargestellt. II. Teil: Die Litte-
ratur der neueren Zeit. (Leipzig, Brandstetter.) 2 Mk. 70 Pf.
O. W eddigen, Aus der litterarisehen Welt und für dieselbe. (Hannover,
^ Schüfsler) 1 Mk.
F. Avenarius, Deutsche Lyrik der Gegenwart seit 1850. Zweite verb.
Auflage. (Dresden, Ehlermaun ) 7 Mk. 50 Pf.
A. Stern, Geschichte der neueren Litteratur. Von der Frührenaissance
bis auf die Gegenwart. In 6 Bdn. (Leipzig, Bibliographisches Institut.)
k Lfrg. 50 Pf.
J. C. Poestion, Isländische Märchen. Aus den Originalquellen über-
tragen. (Wien, Gerold.) 6 Mk. 80 Pf.
C. Mündel, Elsässische Volkslieder. (Strafsburg, Trübner.) 3 Mk.
H. Düntzer, Goethes Eintritt in Weimar. (Leipzig, Wartig.) 6 Mk.
Fr. Strehlke, Goethes Briefe. Übersichtlich geordnet. 17 — 20. Lfrg.
(Berlin, Hempel.) ä 1 Mk.
E. Schmidt, Lessing, Geschichte seines Lebens und seiner Schriften.
I. Bd. (Berlin, W^eidmann.) 7 Mk.
E. Du Bois-Reymond, Friedrich IL in englischen Urteilen. (Leipzig,
Veit.) 2 Mk.
R. Dietze. Eichendorfls Ansicht über romantische Poesie. (Leipzig, Fock.)
1 Mk. 50 Pf.
E. Ko schwitz, Les plus anciens monuments de la langue fran9aise. S« ed.
(Heilbronn, Henninger.) 75 Pf.
F. Fath, Die Lieder des Kastellans von Coucy, nach sämtlichen Hand-
schriften kritisch bearbeitet. (Heidelberg, AVeifs.) 1 Mk. 80 Pf.
A. de Montaiglon et G. Raynaud, Kecueil general et complet des
fabliaux des Xllle et XlV^e siecles publies avec notes et variantes d'apres
les manuscrits. (Paris, Librairie des bibliophiles.) 10 fr.
J. Brown, Etüde sur le Marchand de Venise, de Shakespeare. (Paris,
Delagrave.) 1 fr.
J. Sarrazin, Das französische Drama in unserem Jahrhundert. (Berlin,
Habel.) 75 Pf.
F. Lotheifsen, Geschichte der franz. Litteratur im 17. Jahrh. 4 Bde.
(\\'ien, (TProld.) 9 Mk.
W. Scheffler, Die französische Volksdichtung und Sage. 2 — 4. Lfrg.
(Leipzig, Schlicke.) ä 1 Mk. 80 Pf.
G. Körting, Geschichte der Litteratur Italiens im Zeitalter der Re-
naissance. 3. Band: Die Anfänge der Renaissance- Litteratur. 1. Teil:
240 Bibliographischer Anzeiger.
Einleitung. Die Vorläufer der Renaissance. Die Begründer der Renaissance.
(Leipzig, Fues.) 10 MIc.
M. Landau, Die Quellen des Dekameron. (Stuttgart, Schelble.)
Hilfs buch er.
H. Isaac, Lernbuch für die franz. unregelmiifsigen Verba. (Berlin, Fried -
berg & Mode.) ^ 50 Pf.
A. Krefsner, Ausgewählte Kanzelreden aus dem Zeitalter Ludwigs XIV.
Für den Schulgebraucb erklärt. (Leipzig, Renger.) 1 Mk.
J. W. Zimmermann, Schulgrammatik der englischen Sprache für Real-
gymnasien. I. Lehrgang: Aussprache und Formenlehre. (Naumburg,
Schirmer.) 2 Mk. 50 Pf.
E. Bulwer Lytton's Athens, its rise and fall. Für Oberklassen bearbeitet
von Th. Weischer. (Leipzig, Sigismund & Volkening.) 80 Pf.
Fr. Pymuzal, Grammatik der polnischen Sprache zunächst zum Selb.st-
unterricht. (Brunn, Winkler.) 3 Mk. 20 Pf
Ben Jonson in seinen Anfängen.
Von
Th. Vatke.
William Shakespeare war ein zehnjähriger Knabe, als sein
dramatischer Rival und ehrlicher Gegner Ben Jonson zu West-
niinster, London, geboren wurde: wenn der ..süfse Schwan
vom Avon", wie der jüngere Dichter den gröfsten Dramatiker
Englands in frischer Erinnerung an den Dahingeschiedenen ge-
nannt, eine unerschöpfliche Quelle des Genusses für die ge-
bildete Welt geworden ist, so besitzt der Litterar- und Kultur-
historiker in Jonson und dessen bändereichen Dramen eine in
ihrer Art gleichfalls unversiegliche Funtigrube für das Studium
des Elis-abethanischen Zeitalters, das aus Shakespeare in seinen
allgemeineren, ideellen Zügen, aus Ben Jonson aber in der
Fülle, ja der fast erdrückenden Fülle seiner realen Einzelheiten
mit handgreiflicher Wirklichkeit uns ento-egentritt. Auf den
Höhen der Kunst, in ihrer freien Atmosphäre atmet Shakespeare,
im kampfbewegten Gewühl des Lebens und auf dem drängen-
den Markte desselben hat Jonson seine Stelle, der ein rüstiger
Kämpe für das, was er als Recht erkannte, gewesen ist, wenn
irgend einer: und wenn sein Mund nicht selten vom Selbstlobe
überfliefst in unerfreulicher Weise, immer steht ihm der Schweifs
des Kämpfers dabei auf der Stirn. Ein Kampf ums Dasein,
das materielle wie das geistige, ist sein Leben gewesen von
der rauhen, unsanft bettenden Jugend durch das stürmevolle,
vom Lorbeer des Ruhmes nicht immer genusrsam erfrischte
Mannesalter hindurch bis zur Resignation eines äufscrlich immer
dürftiger sich gestaltenden Greisenalters.
Die Familie elonsons stammt aus Schottland. Dort war
sein Grofbvater zuerst in Annandale, dann in Carliele ansässig,
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. IG
'21'2 Ben Jonson in seinen Anfangen.
bis er in die Dienste König Heinrich VIII. trat. Sein Vater,
der, wie es scheint, bei Hofe eine Stelle bekleidete, erlitt eine
lange Gefängnishaft unter der katholischen, sog. blutigen Königin
Marie, und ward, nach unseres Jonsons eigenem Bericht,
echliefslich seines Vermögens beraubt. Aller Wahrscheinlich-
keit nach hat es sich hierbei um die Religion gehandelt, so dafs
wir in Jonsons Vater einen jener niutvollen Bekenner des
Protestantismus zu erblicken haben, dem der Fanatismus einer
despotischen Herrscherin das Leben nicht eben leicht machte;
die Verfolgung erhöhte seinen Glaubenseifer, er widmete sich
der Kirche und ward, nach Antouy Woods Mitteilung, „ein
ernster Diener des Evangeliums". Unser Dichter aber hat
seinen Vater nicht gekannt, denn letzterer starb einen Monat
vor Geburt des Knaben ; wenn dieser abei' auf den Namen
Benjamin (Ben) getauft ward, so erkennen wir hierin die be-
sonders in puritanischen und eifrig protestantischen Kreisen
des damaligen Englands waltende Vorliebe für Namen des
Alten Testamentes, dem das allmählich «ieji^en das absolute
I^önigtum zum Kampf sich rüstende Puritanertum seine geisti-
gen Waifen vorwiegend entlehnte.
Jonsons Geburtsstätte ist London, genauer die Stadt West-
minster, die seitdem längst in der Riesenstadt an der Themse
aufgegangen ist; sein Geburtsjahr 1573. Die Vermögensver-
hältnisse der Mutter sind ohne Zweifel bescheiden genug ge-
Avesen; sie reichte, wie es scheint, kaum zwei Jahre nach dem
Tode ihres Gatten, einem Handwerker ihre Hand , einem
Maurermeister (a master bricklayer). Dieser Stiefvater des
jungen Ben mag aber keiner von den wohlhabenden oder rei-
chen Handwerkern gewesen sein, die in mächtige Gilden ge-
teilt zu den einflufsreichsten Klassen des damaligen Londons,
dessen Mayor zu wählen sie das längst errungene Recht be-
gafsen, gehörten; der Maurer mag überhaupt eine geringere
Rolle als der Zimmermann gespielt haben, da die Häuser der
Stadt bis auf Karl I. meist aus Holz bestanden.
Trotz aller beschränkten Mittel aber thaten die Eltern das
Möglichste für den Knaben, indem sie denselben seiner Zeit
einer Privatschule der St. Martin in-the-Fields-Kirche anver-
trauten. Hier mag der Knabe, der schon als Jüngling eine
Ben Jonson in seinen Anfängen. 243
fast unbegreiflich scheinende Fülle gelehrter Kenntnisse er-
worben hat, bereits seine aiifserordentliche Lernfähigkeit, seinen
später nie verleugneten Ehrgeiz, stets der Erste zu sein, an
den Tag gelegt und sich hierdurch einen Gönner erworben
iiaben. Dieser hat ihn, wie anzunehmen sein wird, auf eigene
Kosten, nach Absolvierung der vorbereitenden, auf eine gelehrte
(grammar school) Schule, die Westminster Schule, geschickt.
Ein berühmter Lehrer nahm sich hier des jungen Ben an, der
gelehrte Camden, Avohlbekannt in England durch seine umfas-
senden lateinisch geschriebenen Werke über die Pleimatskunde
seines Vaterlandes. Ihm hat Jonson sein erstes litterarisches
Produkt gewidmet, ihm, gesteht er in einem Epigramm, hat er
in Kunst und Wissenschaft alles zu verdanken:
Camden, most reverend head, to whom I owe
All that I am in arts, and all I know.
Eine aufserordentllche Kenntnis des Lateinischen, das ja
damals neben der Königin Elisabeth gar manche vornehme Dame
Englands zu sprechen und zu schreiben verstand, mufs Ben
schon auf Westminster School sich angeeignet haben ; von
Dichtern wird der Sitte der Zeit entsprechend Plautus, Terenz
und der als das höchste Vorbild in tragischer Kunst verehrte
L. A. Seneca studiert worden sein, und auch die griechischen
Dichter und Philosophen wird man im Urtext aufgeschlagen
haben, Avie denn später unserem Jonson nicht allein die uns er-
haltenen Tragödien eines Euripides, sondern auch dessen Frag-
mente in einer Weise geläufig sind, dafs er Reminiecenzen aus
denselben dem Strom seiner eigenen Erfindungen — oft aller-
dings nicht zum Vorteile seiner selbständigen Schöpfungen —
einzuflechten im stände ist. Hat er vielleicht auch schon als
Schüler an Aufführung lateinischer oder gar englischer Dramen
teilgenommen":' Etwas Bestimmtes wissen wir nicht hierüber,
der Zeitsitte aber würde es durchaus nicht zuwiderlaufen. Lu
Gegensatz zum deutschen Pedantismus, der noch im 18. Jahr-
hundert die vaterländische Litteratur oder gar die dramatische
Pflege derselben von den gelehrten Schulen ausschlofs, hat
schon vor 1553 ein gelehrter, dramatisch hochbegabter Lehrer,
Nikolaus Udall, zu Eton von seinen Schülern seine höchst wert-
volle, in vielen Partien meisterhafte Komödie „Ralph Polster
10*
244 Ben Jonson in seinen Anfängen.
Doister" auffuhren lassen. Diese Komödie wird mit Recht, als
die erste regehnäfsige, nach Plautus' und Terenz' Vorbild ge-
schriebene in England bezeichnet, und rnag von dem Schüler
Ben bereits ebensowohl gekannt worden sein, wie die an Schön-
heit und Kraft der Diktion so reiche erste regelmäfsige Tra-
gödie der Engländer „Ferrex and Porrex" vom Jahre 1560,
nach Senecas Vorbild von Lord Buckhorst geschrieben.
Auch ein vielberufenes politisches Ereignis fällt in die Zeit,
da Jonson auf der Westminster Schule war; derselbe war bei-
nahe vierzehn Jahr alt, als am 8. Februar 1587 Alaria Stuart
hingerichtet ward. Wie das ganze protestantische England
wird er von dem Jubel berührt worden sein, den die Nachricht
vom Tode der „Papistin" in London hervorrief, wo man vier-
undzwanzig Stunden lang mit allen Glocken läutete und Freu-
denfeuer (bonfires)* vor den Hausthüren anzündete. Und der
kriegerische Sinn des Knaben mao; ancrere^rt worden sein, als
bald darauf alle Männer in England vom achtzehnten bis sech-
zigsten Lebensjahre in den Dienst des Vaterlandes gerufen
wurden, um die Sache des Protestantismus gegen die S})anier
zu verteidigen, deren Invencible Armada am 6. August 1588
auf der Höhe von Calais erschien, um in vierzehnstündigem
Kampfe zersplittert zu werden. Wir werden aber mit William
Gifford, dem hochverdienten Herausgeber Ben Jonsons, nicht
irre gehen, wenn wir annehmen, dafs der Jüngling nicht vor
dem sechzehnten Jahre die Schule verlassen habe, um die
Universität Cambridge zu beziehen und in St. John's College
aufgenommen zu werden. Da aber die Universitäts-Register
zu Cambridge vom Juni 1589 bis Juni 1602 verloren gegangen
sind, so ist der Name Jonsons in den Urkunden der Univer-
sität nicht verbürgt.
Was nun dem jungen Studenten in Cambridge besonders
bemerkbar entgegentreten mufste, das waren die Puritaner, die
in jener alten Universitätsstadt einen Hauptsitz aufgeschlagen
hatten. Längst schon hatten sie gegen das Theater geeifert,
dem unser Dichter unzweifelhaft bereits zugethan war. Schon
1583 hatte der Puritaner John Field in seinen „Gottseligen Er-
* Bonfires wurden auch veranstaltet, als die Heirat des Prinzen
Henry, Sohn Jakob I., mit der spanisehen Prinzes.-^in nicht stattfand.
Ben Jonsoii in seinen Anfangen. 245
mahnungen" (Godly Exhortations) gegen die flaggengeschmück-
ten Theater geeifert, gegen „diese Flaggen des Trotzes gegen
Gott und die Trompeten, die geblasen werden, eine solche Ge-
sellschaft zusammenzubringen", denen es eher gelingen werde,
öffentHche Orte zu füllen, als es das Predigen des heiligen
Gotteswortes vermöge. Religiöse Kontroversschriften freilich
konnte der junge Jonson nicht lesen: es gab keine. Durch
Censurverbot der Sternkammer vom 29. Juni 1566 war Druck
und Verbreitung von Konti'oversschriften streng verboten ; und
im Jahre 1571 hatte das Parlament jene neununddreifsig Artikel
angenommen, wobei die Königin Elisabeth, die sich ja „für
eine Art Gottheit auf Erden" ausdrücklich ihrem Parlament
gegenüber erklärt hat, einen Zwang auf Seele und Gewissen der
Engländer ausübte, wie dies in Deutschland auch in den Zeiten
des äufsersten Absolutismus niemals ein Fürst gewagt hat.
War aber Cambridge und die dortige Universität von
puritanischem Geiste beherrscht, so wissen war doch, dafs die
Studenten daselbst* in Elisabeths Tagen demungeachtet
Komödie gespielt haben; nur weigerten sie sich in weiblichen
Rollen aufzutreten ; denn der Puritanismus, der seine Verhal-
tungsmafsreo-eln den mosaischen Gesetzen des Alten Testa-
mentes entnahm, hielt fest am Deuteronomion, wo es heifst,
dafs der Mann, der die Kleidung des Weibes anlege, „ein
Greuel sei in den Augen des Herrn". (Cf. Barthol. Fair des B. J.)
Lange Zeit aber ist Jonson nicht auf der Universität ge-
blieben: an ein triennium academicum darf bei ihm nicht von
ferne gedacht werden. Sein väterlicher Freund hat ihn zwar
auch zu Cambridge unterstützt, das Stipendium (the Exhibition)
aber reichte nicht aus, ihn vor Mangel zu schützen. Es müssen
zwingende Gründe vorhanden gewesen sein, die den so talent-
als energievollen, vielleicht siebzehnjährigen Jonson dazu ver-
anlafsten, die Universität zu verlassen und das Gewerbe seines
Stiefvaters zu ergreifen. Die Tradition will nun, dafs er die
* Wie der Hofmann Polonius auf der Universität im Cäsar, der
Friedensrichter Schaal (2 Henry IV. 3, 2) in seiner lustigen ^Studentenzeit
in Clement's Inn, den Sir Dagonet, den Narren am Hofe König Arthurs.
Und so oft er konnte, wird der junge Ben wohl das Theater aufgesucht
haben, um fiir einen penny dem understanding gentleman of the ground
sich ansehliefsen zu dürfen (B. Jons. Gase is alter'd. 1, 1).
2 J6 Ben Jonson in seinen Anfängen.
Mauerkelle in der einen, Iloraz und Homer in der anderen
Hand geführt habe. Das kann buchstäblich wahr sein. Bedarf
es der Versicherung, dafs die Beschäftigung des Maurers dem
gelehrten jungen Mann nicht zugesagt habe? Unter die trüb-
sten Vorstellungen aber, die wir uns von seinem damaligen
Scclenzustande machen, drückt er selbst das Siegel mit den
einfachen, aber schwerwiegenden Worten, die er später (1614)
gegen seinen „Freund" Drumraond geänfsert hat, „dafs er die
Maurerbeschäftigung nicht aushalten konnte" (that he could not
endure the occupation of a bricklayer). Später ist er von sei-
nen Fachgenossen, die einen ähnlichen Ton persönlich rück-
sichtsloser Satire anschlugen, wie einst die Dramatiker Athens
zu Aristophanes' Zeit, bitter genug und mehr als einmal damit
verhöhnt worden, dafs er seiner Zeit die Mauerkelle (the trowel)
geführt habe. (B. J.'s Conversations with W. Drummond.*)
Von dieser loszukommen, bot sich nämlich eine Gelegen-
heit für den Jüngling, freilich sehr fragwürdiger Art. Königin
Elisabeth, die Beschirmerin des Protestantismus, unterstützte
den heldenmütigen Glaubenskampf der Niederländer gegen
Spanien und den Papismus. Der englische General Vere nun
hatte Daventer gestürmt, hartbedrängt aber von dem kriegs-
kundigen Feldherrn der Spanier, dem Prinzen Alexander
Farnese, schienen die Engländer Gefahr zu laufen, und so
wurden denn zwischen 1591 und 1592 bedeutende Verstär-
kungen aus England nachgesandt, zunächst nach Ostende, das
von einer eno;lischen Garnison besetzt war. Es ist nun kaum
zu bezweifeln, dafs mit eben diesen Hilfstruppen der ungefähr
achtzehnjährige Jonson in die Niederlande gegangen ist. So
hatte ein anderer berühmter Schriftsteller George Gascoigne**
(geb. 1525) unter Wilhelm von Oranien (1573) in Holland
Kriegsdienste gethan.
Und nicht ohne eine Probe seines persönlichen Mutes ab-
gelegt zu haben, ist Jonsons, wenngleich nur kurze militärische
Laufbahn vorübergegangen.*** Es war, wie man anderweitig
* In den Works von Giffbrd u. Cunningham, Lond. 1875.
** Verfasser des für die Sittengeschichte der Zeit wichtigen „Stecl-
Glass" (Stahlspiegel).
*♦* I3en Jonson zeigt sich als teelniscben Kenner des militärischen
Exercierens in seinem Dran)a „Staple of News" IV, 4:
Ben Jonson in seinen Anfängen. 24 7
belegen kann, in jenen Zeiten nicht ganz ungewöhnlich, dafs
die feindlichen Armeen, die oft ohne gröfserc Aktion einander
längere Zeit gegenüber lagen, das Schauspiel eines Elnzel-
kampfes, in der Weise von David und Goliath, genossen : in
einem solchen Zweikampf hat Jonson im Angesicht beider
Armeen seinen Gegner getötet, wie er später dem obengenannten
Drummond erzählt hat. Wie aber der selbstbewufste JNIann es
niemals geliebt hat, von seinen Verdiensten zu schweigen, so
macht er auch eine Anspielung auf seine militärischen in dem
Epigramm (108) „The true Soldier", „er liebe das grofso
Soldatengewerbe, das er einst selbst betrieben und dem er durch
seine Handlungen keine Schande gemacht habe."
I love
Your great profession, which I once did prove ;
And did not shame it with my actions then,
No more than I dare now de with my pen.
Leider aber sind diese wenigen Worte das Ganze, was Jonson
uns von seiner Soldatenzeit mitgeteilt hat. Wie wertvoll müfste
bei des Dichters ßeobaclitungstalent, seiner Treue der Schilde-
rung eine eingehendere Darstellung seines flanderischen Feldzuges
für uns sein; gern würden wir dafür eine oder die andere sei-
ner durch realistische Breite so oft ermüdenden Komödien ent-
behrt haben. Der Vermutung GifFords aber, dafs Jonson aus
der Soldatenzeit die in seinen Schriften nur allzu häufigen Flüche
mitgebracht habe, will uns nicht in den Sinn : das lag in der Zeit.
Mit dem Ende seiner kriegerischen Laufbahn aber stehen
wir an der Schwelle seiner litterarischen, die wir in das Jahr
1593, etwa das zwanzigste Lebensjahr Jonsons werden zu
setzen haben. Von Subsistenzmitteln entblöfst wird sich der
Or wlien my muster-master
Talks of his tacticks, and his ranks and files,
His bringers-up, his leaders-on; and cries,
„Faces aboiit, to the right band", „the left",
Now, „as you were".
(„Faccs about", jetzt, to wheel, Rechts — links schwenkt! Mai'soh!) Cf.
licaumont and Fletcher „Knight of the B. Pestle" V:
„Double yom- filcs"; „as you were"; „faces about",
und Ben Jonson, „Ev. m. in h. h." III, 1:
Good captain, faces about, — to some other discourse.
248 15cn Jonson in seinen Anfängen.
junge Mann sogleich nacli Rückkehr aus Flandern der Bühne
zugewandt haben, mag er auch vorläufig bei seiner inzwischen
wieder verwitweten Mutter Wohnung genommen haben.
Aber ijerade über die Anfänge von Jonsons Bühnenthätis:-
keit haben wir nur eine trübe Quelle. Es ist die gegen unseren
Dichter gerichtete Tendenz-Komödie des sonst ehrenwerten
Thomas Dekker, „Satiromastix"; danach wäre Jonson zuerst
ein herumziehender Schauspieler (cf. Statute 39 of Queen Elizab.
The Poetaster I, 1. Tam. Shrew, Introd.) auf dem Lande gewesen,
bevor es ihm gelungen, beim Curtain-(Vorhang-)Theater eine Stelle
zu erhalten. Denn schon gab es fünf Theater in London, am
südlichen Ufer der Themse, zu Bankside, einem sonst wenig
G;ünstie; beleumundeten Stadtteile ""elegen ; schon frab es ferner
mehr als zweihundert Schauspieler in der Stadt, die, wie zu
allen Zeiten, durch besondere Eleganz der Kleidung sich aus-
zeichneten ; sie stolzierten, wie die Puritaner klagten, in Sammt
und Seide einher, und erregten „den Zorn des Himmels".
Ob Jonson ein guter Schauspieler war? Jedenfalls ist er
nach dem Bericht der Herzogin von Newcastle, deren Haus
mehr als ein halbes Jahrhundert lang allen Männern von Genie
und Gelehrsamkeit offen stand, ein vorzüglicher Vorleser ge-
wesen. ,;Ich hörte," sagt diese Dame, „niemals jemand gut
vorlesen aufser meinem Gatten; und ich habe ihn sagen hören,
er hörte niemals jemand gut vorlesen aufser Ben Jonson; und
er hat doch seiner Zeit manchen gehört."
Hauptsächlich aber verwandte der Theater -Unternehmer
(manager) unseren Jonson, sogenannte „adjeions", „Zusätze"
zu älteren beliebten Stücken, zum Behufe neuer Aufführungen
derselben zu schreiben. Unter diesen Stücken wird „Jeronyrao"
und die „Spanish Tragedey" des Thomas Kyd — als „Belim-
peria und Horatio" von Jakub Ayrer in Nürnberg bearbeitet*
— namentlich genannt, und Th. Dekker versäumt die Gelegen-
heit nicht, Jonson eine Rolle in dem Stücke zuzuweisen, das
durch seine bombastische Sprache, seine grellen Blutthaten
längst eine Zielscheibe des Spottes für die damaligen Bühnen-
schriftsteller geworden war. Shakespeare selbst hat in manchen,
Vergleiche Ludwig Tieck, Deutsches Theater, I. Teil, 1822.
Ben Jotison in seinou Anfängen. 24D
auf den ersten Blick nicht sogleich durchsichtigen Stellen den
Schwulst der bisher in England populären Stücke durchgehechelt,
und so thut dies auch Jonson mit der Spanish Tragedy in seiner
ersten uns erhaltenen Komödie, dem „Every man in his humour".
Die rastlose Thätigkelt aber, die unseren Autor bis an
sein Lebensende begleitete, erfuhr — wir wissen den Zeitpunkt
nicht ganz genau — jedenfalls wenige Jahre nach Beginn sei-
ner Thätigkeit für die Bühne eine jähe Unterbrechung. Ben
ward, wie er selbst sagt, zu einem Duell herausgefordert sei-
tens eines Kollegen, eines Schauspielers. Duelle waren damals
an der Taoesordnun";, und nicht ohne Grund eiferten die Puri-
taner iresen das Übermafs derselben ; erinnert man sich daran,
dafs fast jeder Gentleman* tagtäglich mit dem Degen bewaffnet
einherging, so ist es erklärlich, dafs man ebenso leicht wie
Diener der Fürsten im Eingang von Shakespeares „Romeo und
Julie" (vergl. auch daselbst) sehr leicht zu demselben griff.
Wenn aber ferner Jonson, der sich in einer späteren dramati-
schen Produktion so treffend als den „Asper", den „Scharfen"
einführt, in seinen mündlichen Aufserungen über seine Fach-
genossen nur annähernd so beifsend und bitter gewesen ist
wie in seinen Schriften, so ist jene Ausforderung nicht eben
befremdlich. Der Gegner aber, so hat Jonson erzählt, brachte
ein Schwert zum Kampfe mit, das 10 Zoll länger war als sein
eigenes: nichtsdcstowenifjer tötete Ben seinen Widersacher,
wurde aber selbst schwer am Arm verwundet. Ins Gefängnis
geworfen war er dem Galgen** nahe (brought near the gallows)
— wie er selbst sag-t. Ein anderes Zeugnis über dies Duell
finden wir in dem oben genannten Satiromastix: „Art not
famous enough yet, my mad Ilarostratus, for killing a player,
but thou must eat men alive?" Zu der Gefahr aber, des töd-
lichen Duells wehren harte Strafe zu erdulden — und die
Eechtspfiege jener Zeit Avar von barbarischer Härte — gesellte
sich alsbald eine nicht minder grofse für den Eingekerkerten.
Im Gefängnis nämlich^empfing er die Besuche eines papistischen
* Auch der Geistliche. „Nicht doch, lieber Herr Pfarrer, lafst die
Klinge stecken!" sagt Frau Page zu Pf. Evans in „IMerry VV. of VV." III, 1.
** Nicht der „Galeere", wie Mezicres irrtümlich in seinem sonst sehr
schätzenswerten Buche „Successeurs et contemporains de Shakespeare" sagt.
'250 Ben Jonson in seinen Anfängen.
Priesters, der den wankenden Gemütszustand des jungen Man-
nes für seine Propaganda höchst geeignet fand. Dafs Jonsons
„zäher Geist in eine Art Melancholie" gesunken war, das dür-
fen wir den Autoren der Biographia Britannica wohl glauben.
Um aber die Thatsache, dafs es den beredten Worten des
jiapistischen Priesters gelang, den trübselig gesinnten jungen
Mann zum katholischen Glauben zu bekehren, zu erklären,
wollen wir nicht mit Drummond diesen Wechsel der Konfession
einer religiösen Indifferenz zuschreü^cn. „Ich nahm das
AVort des Priesters an" — das ist Jonsons eigener Bericht.
Und wir mögen Gifford recht geben, dafs es einem in Kon-
troversen gewandten katholischen Geistlichen nicht allzu schwer
geworden sei, einen jungen Mann von schlecht verdauten
Studien, zumal bei Jonsons damaliger Gemütsverfassung, zu
gewinnen. War die englische Hochkirche jener Tage, bei ihrer
Tyrannei in Glaubenssachen, nicht in der That zum Katholisch-
werden? Katholische Priester aber, die im Tower bei Annähe-
rung der Armada Messe gelesen hatten für Spanien (Dixon,
Her Majesty's Tower, p. 250, Tauchnitz), wurden, zumal wo sie
als Proselytenmacher auftraten, scharf beobachtet von selten des
Staates, und nicht minder diejenigen, die, wie Jonson im Ge-
fängnis, so intim mit ihnen verkehrten. Und gerade zur Zeit
der Haft unseres Dichters, in den Jahren 1593 und 1504 war
die konfessionelle Spannung in England besonders grofs. Die
Katholiken, so nahm man an, trachteten der Königin nach dem
Leben. Die Nation schwebte in steter Furcht deswegen. War
doch Königin Elisabeth vom Papst Sixtus V. in den Bann ge-
than und ihre katholischen Unterthanen vom Eide der Treue
gegen sie gelöst. In den Priesterseminarien zu Douai, Eheims,
Ronen wurden junge Leute, deren Dr. Allen an hundert nach
England geschickt hatte, zur Mortimer-Rolle fanatisiert. Die
schärfsten Gesetze wurden erlassen, die ärgste Verfolgung der
Katholiken dauerte von 15S7 an gerade bis 1593, ohne dafs
jedoch die Religion als Grund der harten Mafsregeln, die wäh-
rend des Elisabethanischen Regimentes ijegen achthundert
Katholiken das Leben gekostet haben, genaimt worden wäre.
Aber die Königin von England befand sich eben in steter Todes-
gefahr. „Im Falle des Todes der Königin von England,"
Ben Jonsou in seinen Anfangen. 251
schrieb Herzog Alba einmal in einer politischen Note, „natural
o de otra manera." Und gerade die neunziger Jahre des
16. Jahrhunderts sind die Zeit der siegreichsten Propaganda
Roms, die Zeit, in der die Protestanten Deutschlands und
()sterrelchs scharenweise zum Katholicismus zurückkehrten; 1594
aber wandte ein Jesuitenzögling den Dolch gegen den Beschützer
der französischen Protestanten, gegen König Heinrich IV.
Nach alledem Ist es nicht befremdlich, dafs Jensons Ver-
kehr mit dem Priester durch einen Spion überwacht wurde.
Der junge jNIann aber war auf seiner Hut, da der Kerker-
meister seiner unvorsichtigen Aufserungen wegen ihn warnte.
Über jene Spionage aber giefst der Dichter seinen Spott aus
in folgendem Epigramm:
Spies, you are lights in State, but of base stuff,
Who, when you've burnt yourselves down to the sniiff,
Stink, and are thrown aside: — End fair enough!
Der Vergleich des Spions mit dem Lichte, das, w^enn es her-
untergebrannt ist, stinkt und fortgeworfen wird, ist gewifs ein
zutreffender zu rennen.
"Was aber weiter den Katholicismus unseres Dramatikers,
von dem er überdies später wieder zurückkam, anbelangt, so
ist zu bemerken, dafo letzterer das Dogma überhaupt in seinen
"Werken stets unberührt läfst, wahrend ein hervorragendes Mit-
glied der heute sogenannten Jonsonschen „Schule", Philipp
Massinger, zwölf Jahre jünger als Ben, das Dogma zu einem
wesentlichen Punkte in seinen Dramen gemacht hat. Auch der
„Atheismus", der damals ein besonders beliebtes Stichwort
war, und z. B. dem Dichter des Faust, Chr. Marlowe, zum
Vorwurf gemacht wurde, spielt bei Massinger eine bedeutsame
Rolle. Jonson aber, der fast seine ganze dramatische Lauf-
bahn hindurch die Puritaner mit so wuchtigen Keulenschlägen
verfolgte, iiat den docrmatischen Punkt hierbei unberührt ge-
lassen und — wie es der Bühne geziemt — nur die rein
menschliche Seite an der Sache herausgekehrt. Seiner inneren
Überzeugung nach ist Jonson gewifs ein Rationalist gewesen
oder geworden : er hat (in einer prosaischen Schrift) die Eccle-
siastical Pohtlc Hookers das beste derartige Werk genannt:
Hooker aber war ein bon-dstcrtcr Verteidiger des \'ernunft-
252 Ben Jonson in seinen Anfängen.
princips In religiösen Dingen ; er stellte, wie vor ihm Thomas
Morc die Vernunft höher als die Offenbarung.* Einen sehr
charakteristischen Seitenbliclc auf die Jesuiten aber wirft Ben
Jonson in seinem, die Anfäno:e des enoHgchen Zeituno^swesens
darstellenden und verspottenden Lustpiel „The Staple of News"
(Akt III, 1), wo gesagt wird, dnfs die Jesuiten sich jetzt als
die „einzigen Ingenieure der Christenheit bezeigten. (P. jun.:
Don Spinola made general of the Jesuits! Cymb.: O, no, he
is dispens'd withal — And the whole society, who do now
appear The only enginers of Christendom.) Aus allen Ge-
fahren im Gefängnisse und aus diesem selbst aber ward Jonson
nach einer, wie es scheint, nicht allzu langen Plaft durch
irgend welche Fürsprache befreit. Um diese Zeit auch, wird
anzunehmen sein, wählte er seine Gattin, eine junge Katholikin;
dieselbe gebar ihm im Jahre 1596 einen Sohn. Dies ist das erste
genau fixierte Datum im Leben unseres Dichters, in welchem
uns mit jenem Zeitpunkt der chronologische Faden nicht mehr
verläfst. Im übrigen wird unsere ganze Kunde von Jonsons
Gattin auf dessen gegen Drummond (im Jahre 1618) gethane
Aufserung beschränkt, „sie sei zänkisch (shrewish), doch ihrem
Gatten treu gewesen".
In das Jahr 1596 fällt nun auch das erste uns erhaltene
Drama des Dichters. Wohl hat er schon vorher, aufser den
erwähnten „Zusätzen", in V^erbindung mit anderen Schau-
spielern und Schriftstellern Stücke verfafst, die uns indes nicht
erhalten sind. Ein Theaterunternehmer nämlich pflegte Schrift-
steller zur gemeinsamen Anfertigung eines Dramas zu engagie-
ren und diesen Geldvorschüsse zu leisten, die von Zeit zu Zeit,
dem Fortschritt der Arbeit entsprechend erneuert wurden. Wir
haben einen Beleg hierfür namentlich in dem vielgenannten ge-
schäftlichen Tagebuche des Unternehmers Henslowe, die That-
sache aber, da fs die dramatischen Autoren jener Tage so häufig
gemeinsam arbeiteten, erklärt die im Ellsabethanischen Zeitalter
immer mehr hervortretende Gleichförmigkeit des Stiles bei diesen
* Hooker (1554 — 1600), Defence of Reason: „the name of the
light of nature is made hateful with men; the star of reason and iearning
. . . beginneth no othervvise to be thought of. than if it were an unlucky
comet."
Ben Jonson in seinen Anfängen. 253
Dramatikern ; und wenn Shakespeare natürlich als Löwe und König
auch ex ungue erkennbar ist, so hat doch auch er eine Älenge
Eigentümlichkeiten in bildlichem und nicht bildlichem Ausdruck
mit seinen Genossen gemein, die der nur mit Shakespeare Ver-
traute als dem Genius des letzteren eigentümlich betrachten wird.
Mit seinem ersten uns überkommenen Drama tritt nun
Jonson bereits in so hohem Grade als ein Fertiger, in sich
Abgerundeter vor uns hin, dafs wir dasselbe eingehender zu
betrachten uns anschicken.
Mit leicht in die Augen springender Gegenständlichkeit
bauen hier die Dinge und Verhältnisse und die innerhalb der-
selben mit vieler Natürlichkeit des Lebens sich bewegenden
Personen vor dem Anschauenden sich auf. Und dieser scenische
Vordergrund verstattet fort und fort ergiebige Perspektiven in
den weiteren und näheren Hintergrund vorangehender und mit-
wirkender Umstände, welche die Entwickelung einer weit-
läufig angelegten, beweglich gegliederten und wohl in sich ge-
schlossenen Handluncj immerdar bedingen.
Der alte Knowell, der das Stück eröffnend vor seinem
Hause erscheint und seinen Sohn Eduard zu rufen dem Diener
(Bruinworm) aufträgt, wenn jener nicht etwa bei seinen ge-
liebten Büchern beschäftigt sei, stellt sich als mild wohlwollender
Vater dar ; indes braust er dem Neffen Stephen gegenüber hef-
tiger auf, der seine gentlemanlike Neigung zur Jagd eifrig be-
fürwortet. So ist hier bereits ein doppelter humour, eine
doppelte, die ganze Persönlichkeit absorbierende und daher
leicht zur Lächerlichkeit werdende Einseitigkeit entwickelt.
Denn eben ist dies das von dem Begriff der „Laune" durch die
Stabilität wesentlich unterschiedene Merkmal des humour, von
dem Jonson selbst sagt:
As when some one peculiar qualitie
Doth so possesse a man, that it dolh draw
All his atfects, his spirits and his powers,
In their confliictions, all to run one way,
This may be ti'uly said to be a Humour.
Durch einen Diener, der alsbald mit dem alten Knowell allein
ist, da Stephen nach heftigem Streite ins Haus geschickt wird,
empfängt der erstere einen Brief, der indes an Ed. Knowell
•2j4 Ben Jonsoii in seinen Anfängen.
den Sohn gerichtet ist: aus dieser Verwechslung heraus spinnt
bich die Intrigue des Stüci<es. Der Brief rülirt von dem jungen
Gentleman Wellbred (Wohlerzogen) her, dessen Schwester ein
niaster Kitely geheiratet hat, ein reicher Kaufmann im Old
Jewry (Altes Juden viertel). In dem Briefe nun fordert Well-
bred den jungen Knowell auf, ihn noch heute morgen zu be-
suchen, und unter einigen leichtfertigen Mitteilungen schreibt
er, dafs jener zwei interessante Persönlichkeiten, deren eine
„ein Reimer", kennen lernen solle. Die Art, wie der Vater
nach Durchlesung des Briefes sich äufsert, erinnert an den
milderen jener Brüder des Terenz, auch bevor man gesehen,
dafs die ganze Schlufsbetrachtung des alten Knowell nichts
anderes ist als eine Übertragung aus dem „Adelphi" des alten
Römers. — Sc. 2. Der ungetreue Diener Bralnworm — der Intri-
gant und die eigentliche Seele des Stückes — hat dem jungen
Knowell alles verraten, mit dem er vor uns erscheint, um als-
bald mit seinem Vetter Stephen eich zu verabreden, jenen Be-
such — in Moorgate — gemeinschaftlich zu machen, indes in
dieser Unterhaltung der beiderseitige humour, der des städtisch-
feinen Ed. Knowell und des ländlichen Stephen, genugsam sich
ausgeprägt hat. — Sc. 3. Vor Cob, eines Wasserträgers Haus,
erscheint Master Mathew (a town gull, ein städtischer Gimpel,
Pflastertreter), der den ersteren nach Kapitän Bobadill fragt
und entsetzt genug ist, zu vernehmen, dafs ein solcher Gentle-
man in des armen Cobs Hause logiert. Während nun Tib,
Cobs Weib, ihn zu jenem hinaufführt, schildert Cob seinen
Hausgenossen, wie dieser in eines Kaufmanns, Kitelys, Haus
verkehre, und mit Mrs. Bridget, der Schwester des Herrn, ein
zärtliches Verhältnis unterhalte, dort seine Verse vorlese, ferner,
dafs er dem Schwören ergeben sei und den schändlichen
Tabak rauche,* dabei sei er ein übler Schuldner. — Den also
Geschilderten lernen wir (Sc. 4) kennen in Cobs Hause, wo
Mathew ihn besucht, den der Kapitän von seiner gestrigen Ge-
sellschaft beim jungen Wellbred unterhält; dem Kapitän wird
* Eine der frühesten Erwähnungen des Tabakrauchens in Eng-
land, gegen das Jakob I. die heftigsten Edikte richtete. Nichtsdestoweniger
i'^t CS liurch die Hilfstrnppen, welche dieser König seinem unglüclvlichen
Schwiegersohn, Friedrich von der Pfalz, nacli Böhmen sandte (1 62 1), in Deutsch-
land eingeführt worden ;cf. K. Elze citiert hierfür die Annales Zillavienses).
Ben Jonson in seinen Anfängen. 255
liierbei aufs verbindlichste begegnet, der Zuschnitt und die
Form damaliger Höflichkeit bieten sich anschaulich dar. Auch
auf neue Bücher dehnt die Unterhaltung der beiden sich aus ;
„Hieronymo" (The Spanish Tragedy), ein Stück, das, wie wir
gesehen haben, von Jonson mit Zusätzen versehen worden wiir,
wird gelobt, dann aber folgen heftige Ausfälle auf die damaligen
Dramatiker, die als „bedauernswerte Hohlköpfe" abgefertigt
werden („they'll prate and swagger, and keep a stir of art and
devices, when, a I am a gentleman, read 'era, they are the
inost shallow', pitiful, harren fellows that live upon the face of
the earth again"). — Mathew erzählt inzwischen, wie er mit
Wellbreds älterem Bruder, den sein Name Downright als den
Geraden, Schlichten bezeichnet, in Streit geraten sei, und zwar
über einen Hirschfänger. Downright habe gedroht, ihn zu
prügeln, Kapitän Bobadill rät, jenen zu fordern. Übrigens
wendet sich Bobadill mittlerweile mit einem Modeausdruck an
die Wirtin, für die Gäste zu sorgen. (Accommodate us, cf.
Shak., 2d Part of Henry IV., Akt HI, Sc. 4.) Nunmehr wird
Mathew zum Behufe des angeratenen Duells von Bobadill im
Fechten unterrichtet, bei welcher Gelegenheit der renommierende
Hauptmann, der seine Rede mit der Beteuerung „Beim Fufse
des Pharao" zu würzen liebt, sich sehr lebendig in dem ihm
eioenen humour vorführt. — Akt II. Eine Halle in Kaufmann
Kitelys Hause. Kitely erteilt seinem Kassierer Cash einige
geschäftliche AnAveisungen, der sich zur Ausführung derselben
hinwegbegiebt. Kitely beklagt sich über seinen Bruder Well-
bred, der sich seit kurzem sehr geändert habe, sich mit allerlei
Gesellschaft einlasse und sein — Kitelys — Haus gemein
mache wie einen Markt, ein Theater, einen öffentlichen Ort
„for giddy humour" (für schwindelköpfigen Humor). Kitely
ersucht Downright, dem Wellbred über sein Treiben Vorstel-
lungen zu machen. Kitely selbst nämlich zaudert dies zu thun.
„Jene," so sagt er, „würden verbreiten, weil mein Weib schön
ist, ich seit kurzem verheiratet und meine Schwester als Jung-
frau hier in meinem Hause lebt, dafs ich eifersüchtig sei,
jene würden sagen, dafs ich absichtlich einen Streit gesucht, um
einen Vorwand zu finden, sie aus dem Hause zu verbannen."
Hier unterbricht sie Mathew mit Bobadill kämpfend. Bobadill
25G Ben Jonson in seinen Anfängen.
schilt Downright einen Gassenkehrer, dieser setzt sich vor, den
Schimpf zu rächen. Der Downright beruhigende Kitely ver-
rät im nun folgenden Monolog die Eifersucht seines Gemütes
— womit unser Stück einen neuen humour gewinnt — . welche
darauf seiner Frau "[esjenüber ero;ötzlich genufj sich Luft macht.
— Sc. 2 (in Moorfield). Brainworm tritt auf verkleidet als
verwundeter Soldat. „Mein alter Herr beabsichtigt, meinem
jungen Herrn diesen Morgen über Moorfield nach London zu
folgen." Um sich nun bei dem letzteren zu insinuieren, hat er
die Verkleiduno^ angelegt, will hier im Hinterhalte lauern und
ihn Mitte Weges empfangen. „Wenn ich nur irgend etwas
von ihm erhaschen kann, ihn aufzuhalten, so hab ich gesiegt."
Den hier auftretenden Ed. Knowell und Stephen bietet Brain-
worm einen Degen zum Verkauf an, worauf der einfältige
Stephen, trotz Abratens seines weltklugen Vetters, eingeht. —
Sc. 3 (ein anderer Teil von Moorfield). Monolog des alten
Knowell, der sich jenen Brief an seinen Sohn nicht aus dem
Kopfe schlagen kann. Wie er aber seiner milden Denkungsart
gemäfs darüber philosophiert, dafs an so vielen Fehlern der
Kinder die Eltern die Schuld tragen, so ist die weitere Aus-
führung dieser Betrachtung nur allzu charakteristisch für Ben
Jonson. In die so dankenswerten scharfen Beobachtungen sei-
ner eigenen Zeit nämlich fügt der Dichter Einzelheiten ein, die
man bei der einheitlichen Prägung des ganzen Monologs nicht
minder für Schilderung englischer Sitten hinnimmt,* bis man
erfährt oder ersieht, dafs hier Stellen aus den Alten (Quint. 1, 2,
Juvenal Sat. 14) den eigenen Beobachtungen einverleibt worden
sind. Und solche IMonstra der Zusammenschweifsung moderner
und antiker Bestandteile begegnen uns leider öfter bei Jonson,
und machen ihn dann unerquicklich für uns, wenn nicht unge-
niefsbar. — Den alten Knowell nun spricht Brainworm um eine
Gabe an, und Knowell verspricht ihm Beschäftigung zu geben.
— Akt HI (in Old Jewrj, im alten Judenviertel). Mathew,
* Der alte Knowell sagt: I never yet was he Thnt travellM with niy
son, before sixteen, To shew liim the Venetian courtezans. Die vene-
tiaiiischen Coiirtesanen und ihr Treiben in London wird mehrfach bei Ben
Jonson und seinen Zeitgenossen erwähnt. Mit grellen Farben werden die-
selben geschildert in der Komödie von iMiddleton, Blurt, M.ister constable
or the öpaniard's night-walk. (Gedruckt 1602.)
Ben Jonson in seinen Anfängen. 257
Wellbred, Bobadill. — Ed. Knowell und Stephen statten den in
Sc. 1 verabredeten Besuch ab. Ed. Knowell wird über den
irrtümlich abgegebenen Brief aufgeklärt. Stephen stellt sich
vor als „etwas melancholisch"; in demselben humour befindet
sich Mathew; eine Scene, die in der ganzen Wendung von
Konversation und Inhalt. Stephen Mird nun von Bobadill über
seine vermeintliche Toledoklinge aufgeklärt, kurz bevor der
betrügerische Brainworm erscheint, welcher dem jungen Knowell
sich entdeckt und mitteilt, dafs sein Vater ihm gefolgt und
jetzt in Richter Clements Haus in der Colmanstrafse sei, v/o
er auf Brainworms Rückkehr warte. — Sc. 2 (in Kitelys
Warenhaus). Der eifersüchtige Kitely getraut sich nicht zum
Behufe eines Geldgeschäftes sein Haus zu verlassen; endlich
zieht er den getreuen Thomas zu Rate ; Mifstrauen und Furcht
des ersteren verschlingen sich zu den wunderlichsten Um-
schweifen, um zuletzt nichts anderes zu sagen als: „Wenn
Eurer Herrin Bruder Wellbred etwa einen Herrn hierher schickt,
ehe ich zurückkomme, so lafst es mich sogleich wissen." (Als-
bald giebt Cash dem Wasserträger Cob gegenüber folgende
Definition von humour: „it is a gentlenianlike monster, bred in
the special gallantry of our time, by affectation and by folly.")
Mit Übergehung der mit ebenmäfsiger Sauberkeit ausgemeifselten
nächsten Scenen befinden wir uns Akt IV, 1 in Kitelys Hause,
Downright schüttet gegen Frau Kitely seinen Zorn aus über
die Gesellschaft seines Bruders; die uns bereits bekannten Per-
sonen erscheinen fast sämtlich, doch Downright, der zu leiden-
schaftlich ist (too sudden in his humour), gerät mit Wellbred
in Streit, bis zuletzt alles blank zieht. Ed. Knowell stiftet zwar
Friede, der zurückkehrende Kitely aber vermutet das Schlimmste.
— Sc. 2 (vor Cobs Hause). Auch hier steht Kapitän Bobadill
in üblem Verdacht. Cob macht Frau Tib Vorwürfe, die ihre
eheliche Treue erheblich berühren. Wir haben hier also, ähn-
lich wie bei Shakespeare, eine der Haupthaudlung parallel-
laufende, welche die erstere im verjüngten Mafse wiederspiegelt.*
* „Die Intriguen-Lustspiele und Sclianspiele der ganzen Ben Jonson-
sclien Schule sind voll von Doppelfabeln, aber es ist fast eher Ausnahme
als Kegel, und scheint fast mehr Zufall als Absicht zu sein, wenn sie ein-
mal in einem inneren Bezüge zu einander stehen." (lervinus, Shak. 1, 95
Avcliiv f. n. Sprachen. LXXI. 17
258 Ben Jonsoa in seinen Anfangen.
— Sc. 3 (ein Zimmer in Windmill-Tavern). Brainworm ver-
spricht ileni Ed. Knowell, Wellbred, Stephen, in seinen Be-
niüliungen fortzufahren. Ed. Knowell versichert Wellbred, dafs
er dessen Schwester aufrichtig liebe. — Sc. 4 (Old Jewry).
Der verkleidete Brainworm eröffnet Knowell, dafs dem Sohne
alles verraten sei, was nur durch Brainworm geschehen sein
könne. (Die etwas starke Zumutung übrigens, anzunehmen,
dafs der Verkleidete nie erkannt wird, obgleich er so viel spricht,
ist ziemlich dieselbe, die wir in Shakespeares „Measure for
Measure" bei dem Herzog-Mönch mit in den Kauf nehmen
müssen. Verkleidungen werden überdies bei den Dichtern des
Elisabethanlschen Zeitalters zur wahren Manie, und müssen
dazu beitragen, möglichst künstliche Verwickelungen herbeizu-
führen oder dieselben zu steigern.) — Knowell: Doch wie sollte
er wissen, dafs du mein Diener bist? — Brainworm: Ja, Herr,
ich weifs nicht, wenn nicht durch die schwarze Kunst (black
art). Ist Euer Sohn nicht Gelehrter, Herr? • — Knowell: Ja,
doch ich hoffe, seine Gelehrsamkeit ist solchen höllischen Prak-
tiken nicht ergeben ; wenn es der Fall wäre, hätte ich gerechte
Ursache, mein Teil an ihm zu beweinen. — Brainworm hat
sich als Fitz-Sword dem Knowell bekannt gemacht. Er sei
überfallen worden und habe es gestehen müssen, wo Knowell
sei. Brainworm erzählt, dafs der junge Knowell seine Damen
in Cobs Hause treffen werde. — Sc. 5. Kapitän Bobadills
Prahlereien gegenüber Ed. Knowell, Mathew und Stephen, wie
leicht er mit Downright fertig werden würde; sobald der letztere
aber erscheint, wird Bobadill ohne Mühe besiegt. — Sc. G (in
Kitelys Hause). Kitelys gemäfsigte Vorwürfe gegen seinen
Bruder Wellbred; „seine Eifersucht ist das Gift, das er ge-
nommen hat." — Die Lust an Verkleidungen führt Brainworm
alsbald in Formals, des Gerichtsschreibers Anzüge herbei.
AA'ellbred trägt Brainworm auf, zu seinem jungen Herrn zurück-
zukehren und ihn aufzufordern, ihn und seine junge Schwester
Brigitte am Tower sogleich zu treffen, denn hier sei das Haus
so angefüllt von Eifersucht, dafs nicht Raum für die Liebe
vorhanden sei, darin aufrecht zu stehen. Doch Kitely tritt ein
und beauftragt (beiseite) den Kassierer, auf alles, was im
Hause vorgehe, genau zu achten. Lizwischen weifs Wellbred
Ben Jüiison in seinen Anfungeu. 259
seiner Schwester — Dame Kitely — plausibel zu machen, ihr
Mann frage nur deshalb soviel nach Cob, weil er dessen Haus
in zweideutiger Absicht besuche. Dame Kitely nun, ebenso
leichtgläubig als ihr Bruder eifersüchtig, begiebt sich alsbald
auf den Weg, ihrem Manne nachzufolgen. Nun redet Wellbred
seiner Schwester Brigitte zu, dem jungen Knowell ihre Hand
zu geben. Sie unterbricht der zurückkehrende Kitely, der mit
Entsetzen vernimmt, dafs seine Frau mit Thomas nach Cobs
Hause gegangen sei. — Sc. 7. iNIathew und Bobadill in Be-
trachtung über die PrügelafFaire. Bobadill will sich durch das
Gesetz Genugthuung verschaffen, durch Richter Clement, und
eben erscheint Brainworm verkleidet als Formal. Brainworm-
Formal verlangt Geld, doch ist er mit einem Pfand (Ohrringe und
seidene Strümpfe) zufrieden. Nunmehr verkleidet Brainworm sich
als Stadtdiener, um Downright zu arretieren. — Sc. 8 (Stralse
vor Cobs Hause). Knowell begehrt von Frau Tib Einlafs.
Tib: Was wünscht Ihr? — Knowell: Zu wissen, wer drinnen
ist aufser Euch selbst! — Tib: Nun, Herr, Ihr seid kein Kon-
stabler, hoff ich. — Knowell: O, fürchtet Ihr den Konstabier,
dann zweifle ich nicht, habt Ihr Gäste drinnen, die die Furcht
verdienen ; ich will ihn sogleich holen. — Tib (kommt heraus).
— Knowell: Ist der junge Knowell nicht hier? — Tib: Den
kenne ich nicht, bei meiner Ehre. — Knowell : Eure Ehre,
Dame, die fliegt zu leicht von Euch; es ist kein Mittel als den
Konstabier zu holen. — Tib: Den Konstabier? Der Mann ist
toll, glaube ich. — Nun langen auch Dame Kitely und Cash
an, erstere begehrt von Tib Einlafs. Sogleich ist auch Kitely
wieder hier, den dessen Frau auf seinen heimlichen Wegen nun
ertappt zu haben glaubt. Die Vorwürfe bleibt Kitely nicht
schuldig. Auch Knowell macht dem Kitely Vorwürfe, und
will ihn und Cobs Weib vor den Richter führen. Tib aber
entgeht nicht den Schlägen ihres Mannes Cob, weil sie gegen
sein Gebot jemand ins Haus gelassen habe; so gehen alle zum
Richter. — Sc. 9 (Strafse). Brainworm verkleidet als Stadt-
Sergeant. Ihn treffen Bobadill und Mathew, ohne iiin zu er-
kennen. Nun aber erscheint Stephen in Downrights Anzug,
um die Verwirrung noch weiter zu treiben. Ihn arretiert
Brainworm „im Namen der Königin". Als aber der wahre
17*
260 Ben Jonson in seinen Anfangen.
Downriglit cröcheint, wird dieser festgenommen. Downriglit
folgt, zu Kichter Clement zu gehen, indes Downright den
Brainworm besticht, auch Stephen zu arretieren, womit Akt IV
abschliefst. — Akt 5, Sc. 1 (in Clements Hause). Wir treffen
die ganze Gesellschaft an: Knowell, Kiteley und seine Frau,
Tib, Cash, Cob und Diener. Alles löst sich, wie zu erwarten,
in das gewünschte Gleichgewicht auf. Dame Kitely wird ihi'er
Eifersucht von Richter Clement überführt; doch wird die
Untersuchung unterbrochen durch das Erscheinen Bobadills,
der seine Klage gegen Downright anbringt; er (Hobadill) sei
diesem filthy humour of quarrelHng nicht ergeben. Zu guter
Letzt erscheinen nun auch Downright, Stephen und Brainworm,
dieser als Stadtsergeant verkleidet. Es wird ihm verziehen
und alles Mifsvergnügen durch Richter Clement beseitigt,
Downrights Ärger sowohl als Knowells Sorgen und die Eifer-
sucht des Ehepaares. So schliefst das Stück, wie denn Jonson
überhaupt und sehr charakterischerweise seine Stücke mit
Gerichtsscenen zu schliefsen liebt. (Vgl. Sir P. Eitherside am
Schlüsse von The Devil is an Ass,)
Man wird der Korrektheit der Charakterzeichnung, dem
grofsen Geschick, mit dem hier so vieles ineinander gefügt ist,
die Anerkennung nicht versagen. Every man in his humour
ist ein in Prägnanz von Stil und Dramatik wohl in sich har-
monierendes Stück; eine bedeutende Anzahl von humours ent-
wickelt sich mit Leichtigkeit und Lebhaftigkeit; doch — wie
der Titel andeutet — diese einseitigen humours bilden den
eigentlichen Inhalt und Zweck der Darstellung, die Fabel des
Stückes bietet nur das Vehikel zur Entrollung jener ; die Cha-
rakter-Komödie, die bald darauf in Frankreich so glänzend sich
entwickeln sollte, ist hier bereits vorgezeichnet, und auch bei
Moliere war anfangs das Typische, oft ans Schematische Strei-
fende über das Individualisierende überwiegend.* Der Bau des
„Ev. m. in h. h." ist wohlgefügt, durchsichtig und abgerundet.
Die Knappheit des Ausdrucks und der scenischen Ausführung
aber stellen das Stück als das vollendetste Ben Jonsons hin;
denn fast in allen übrigen finden sich ermüdende Längen und
* Vergl. Möllere, Shakespeare und die üeutsclie Kritik von
Dr. C. llumbert. Leipzig 1869.
Ben Juiison iii seinen Anfängen. 2G1
Breiten. Wenn aber die Vorführung der Charaktere, so plastisch
khir in der Form und überzeugend wahr dem Inhalte nach, die
eigentliche Absicht des Dichters bilden, so ist hiermit bereits
darauf hingewiesen, dafs wir mehr ein mosaikartiges als ein
Kunstwerk aus einem Gusse vor uns haben. Alles Einzelne —
das Gröfsere wie das Kleinere — ist mit gleicher Frische und
Sauberkeit gezeichnet ; aber es ist keine sich aufgipfelnde, auf-
und absteigende Handlung gegeben, kein Vorder- und Hinter-
grund, kein Licht und Schatten. So anerkennenswert, ja be-
wunderungswürdig bisweilen das Einzelne ist, so raubt doch dieser
Mangel einer beherrschenden Idee und Einheit dem Ganzen den
höheren dramatischen Charakter. Die Gefahr, durch ausgeführtes
Detail zu überladen, schwerfällig und drückend zu wirken, ist
zwar in „Ev. m. in h. h.", dank der künstlerisch mafs vollen
Haltung des mit seinem eigenen Ich vorläufig zurückhaltenden
Autors, noch vermieden, in anderen Stücken aber ist diese Gefahr
lun so verhängnisvoller geworden für den an Selbstbewufatsein,
nicht aber an künstlerischer Beherrschung zunehmenden Drama-
tiker. Ist aber jene Hervorkehrung der humours als „Zeichen
der Zeit" an sich sehr wohl berechtigt, so ist doch die unver-
deckte Absichtlichkeit und Einseitio;keit dieser Hervorkchrung;
eine bedenkliche; die sichtbare Kunst wird hierdurch vor-
wiegend, während es bei Shakespeare die unsichtbare ist. Die
einseitige Hingabe an die humours und das Seltsame derselben
aber führt unseren Dichter ferner zur Vorliebe für das Seltsame,
dann auch das Unwahrscheinliche überhaupt, ja für jene excep-
tionellen und monströsen Charaktere, wie sie besonders in
..Volpone" und im „Sllent Woman" behandelt werden, die kaum
mehr als Gegenstand der eigentlichen und höheren dramatischen
Kunst betrachtet werden können. Noch mehr als unser Stück
selbst aber ist der Prolog zu demselben von den Litterar-
historikern besprochen und verschiedentlich aufgefafst worden.
Derselbe ist volle zwanzioj Jahre nach der ersten Aufführunfj
des „Ev. m. In h. h." vom Dichter hinzugefügt worden, als
dieser seine bis dahin verfafsten Werke In einer Gesamtaus-
gabe herausgab. Dieser im Todesjahre Shakespeares (1616)
geschriebene l^rolog enthält eine Art ßückblick auf die drama-
tische Laufbahn des Verfassers, fafst dessen Principien der
262 Ken Jonson in seinen Anfängen.
Kunst zusammen, nicht ohne scharfe und unzweideutige Seitenhiebc
auf Shakespeare. Wir teilen den Prolog in der gelungenen Über-
setzung des Grafen Baudissin mit (B. J. u. s. Schule, Lpz. 1836):
Oft zeugt die Armut Dichter; mancher schuf sie,
Dem nicht Natur noch Kunst hernach lieruf lieh.
Doch unsrer hat die Bühne nie verwöhnt,
Aus Not und Ungeschniaek des Tags gefrönt,
Oder für solchen Preis nach Gunst getrachtet,
Um den er selber sich mit Recht verachtet.
Er liefs niemals ein Kind, in Windeln eben,
Zum Mann erwachsen und bis sechzig leben
Im selben Bart und Kleid ; drei rost'ge Schwerter
Und ein halb Dutzend ellenlange Wörter
Abthun Yorks und Lancasters ew'gen Jammer,
Noch Wunden heilen in der Anziehkammer.
Er ladet heut zu einem Stück euch ein,
Das er so schrieb, Avie andre sollten sein.
Da ist kein Chor, euch übers Meer zu raffen ;
Kein niederknarrnder Thron ergötzt die Laffen;
Kein sprühnder Schwärmer jagt in Furcht die Schönen,
Noch hört ihr mit geschobner Kugeln Dröhnen
Den Donner äffen; keine Trommel rollt,
Und sagt euch, dafs ihr Sturm erwarten sollt.
Wir bringen That und Wort wie sie sich zeigen,
Und Charaktere, die dem Lustspiel eigen,
Wenn's unsre Zeit darstellen will in Bildern,
Und nicht Verbrechen, sondern Thorheit schildern.
(Es sei denn, dafs wir selbst sie dazu steigern.
Wenn wir erkanntem Fehl die Bessrung weigern.)
Heut sollt ihr leicht erkannte Schwächen sehn,
Und sie durch Lachen harmlos eingestehn,
Wie sie's verdient. Klatscht ihr doch sonst so willig
Meerwundern ; seid denn heut für Menschen billig.
So hat Ben Jonson in wuchtigem Lapidarstil sein drama-
tisches Manifest mitgeteilt und hinterlassen. Wie gewaltherr-
lich springt er hier mit dem Publikum um! Wie schonungslos
werden diejenigen mitgenommen, die an den „Un Wahrscheinlich-
keiten" Shakespearescher Stücke Gefallen finden. Die schlimm-
sten Urteile Voltaires und Friedrichs des Grofsen über Shake-
speare sind im Keime enthalten in jenen denkwürdigen Zeilen
Ben Jonsons. Und doch will Gifford, der Prolog datiere von
1596 und gehe nicht auf Shakespeare.
über Mussatos Tragödie Eccerinis.
Ein Beitrag zur italienischen L i 1 1 c r a t u r g e s c h i cli t e
von
Oberlehrer Dr. J. Wychgram (Leipzig).
Das 14. Jahrhundert ist für Italien in noch höherem Grade
als für die anderen europäischen Länder eine Zeit des Ab-
sterbeus alter, des Aufkommens eigentümlicher moderner
I^ebensformen und Vorstellungskreise. Nirgends lagen für die
vielseitige Ausgestaltung staatlichen und persönlichen Lebens
so reiche und verschiedenartige Keime als hier, nirgends be-
günstigte die Abwandlung der historischen Ereignisse das
Sprossen dieser Keime so sehr. Die Zeit, welche man mit dem
Namen der Renaissance zu belegen pflegt, kündigt sich schon
in den ersten Jahrzehnten des Trecento an, ja dem genauer
Schauenden mögen wohl in dem Italien Friedrichs und Ezzelins
die ersten vorbereitenden Wehen wahrnehmbar sein. Die kaiser-
liche Gewalt hatte lange die fugende, zusammenhaltende Kraft
verloren, wenn sie dieselbe überhaupt je für Italien besessen ;
als der zweite Friedrich starb, hinterliefs er ein der politischen
Zersplitterung entgegeneilendes Land, und gerade der Ezzelin,
den er selber als Reichsvikar gesetzt, kann uns als der erste
Repräsentant einer neuen dem innersten Wesen des Kaisertums
geradezu entgegengesetzten Staatsform gelten : der Tyrannit^.
Schon treten allenthalben aus dem Chaos widerstrebender
Kräfte die Geschlechter hervor, welche den Sijjfnore zu liefern
bestimmt sind. Während andere Nationen sich in diesem Jahr-
hundert um feste Centren zusammenfügen, fallen die beiden,
264 Über Mussatos Tragödie Eccerinis.
jiuf welche das mittelalterliche Kaisertum vorvvlefiend sich
stützte, auseinander, um auf sechshundertjährigem Umwege das
zu iiewinnen, was natürliche Anlaoe und ein überlegener
durchgreifender Wille den französischen Nachbarn schon damals
schenkte. Aber welche Früchte sind an diesem Umweo^e ge-
pflückt worden! Wohl mag es eine tiefe Bedeutung haben,
dafs gerade die Italiener und die Deutschen es sind, durch
welche sich die wunderbarsten geistigen Bewegungen vollzogen,
■welche die moderne Welt kennt, auf denen noch immer jede
höhere Bildung, wie jede Initiative geistigen Fortschritts
beruht — die Renaissance und die Reformation.
In den kleinen und kleinsten Gemeinwesen Italiens ent-
wickelte sich zuerst wieder das „Individuum", hier machte die
allgemeine Signatur des Mittelalters, deren typischer Beleg
immer nur der Einzelne war und gegen die keine Individualität
aufkam, dem unendlich mannigfaltigen, scharf von anderen sich
abhebenden „modernen Menschen" Platz. Die Erinnerung an
das Altertum war auf italischem Boden während des ganzen
Mittelalters genährt worden: jetzt wird sie zur lebendigen An-
knüpfung. Man wird ergriffen von ideologischer Schwärmerei
für die Lebensformen der alten Römer, die um so gröfser ist,
als dieselben noch im Helldunkel stehen, noch nicht klar er-
kannt werden. Die litterarischen und politischen Gröfsen des
alten Italiens mit ihrem lebhaften Sinn für persönlichen Ruhm
werden zugleich Gegenstände eines fast abgöttischen Personen-
DD D
kults und Vorbilder: es ist bezeichnend, dafs man (wenigstens
seit Petrarca) gerade Cicero mit Vorliebe las und bewunderte,*
ihn, der wenn auch kein grofser Charakter, doch eine scharf-
gezeichnete Individualität war, die durch und durch erfüllt war
von der Wertschätzung persönlichen Ruhmes. Denn nicht nur,
dafs Individualität vorhanden, genügt ihr, sie will auch gelten,
anerkannt, gefeiert werden : selbst Dante gelingt es nur mit
grofser Selbstüberwindung lo gran disio dell' eccellenza zu ver-
werfen,2 obwohl er der Sehnsucht nach dem Dichterlorbeer
1 Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Dritte Aufl.
I, 171. Näheres bei Georg Voigt: Die Wiederbelebung des klassischen
Altertums. 2. Aufl. I, 37 ff".
' Vgl. Das Gesprach mit Oderisi von Gubbio, Purgat. XI, 85—119.
über Mussiitos Tragödie Ecccriuis. 265
öfters doch lebhaften Ausdruck giebt.^ Um wie viel mehr
sind die weniger strengen Naturen eines Petrarca und Boccaccio
erfüllt von der Sehnsucht, gleich Horaz sich ein erzüberdauern-
des Andenken zu scliafFen.'- Die halbmythische Dichterkrünung
wurde das klopfenden Herzens erstrebte Ziel der Humanisten;
während Dante sie in St. Giovanni seiner Heimatsstadt mit
eigener Hand an sieh vollziehen will, liefs sich Petrarca auf
dem Kapitol durch den Senator von Kom diese höchste irdische
Ehre beilegen.
Es hat einen grofsen Reiz, sich schon in die Schriften der
frühesten Humanisten tiefer einzulassen und den mannigfachen
Aufserungen eines dem ganzen früheren Mittelalter in dieser
Gestalt fremden Individualismus nachzugehen. Wie überall
ziehen auch hier die Anfänge am meisten an: haben sich erst
gewisse Typen festgesetzt, so gewähren die Variationen frei-
lich noch ein hohes, aber doch immer nur sekundäres Interesse.
Petrarca ist es, dem die Welt die „Entdeckung des Menschen"'
verdankt, wenn auch ihm selbst, wie dem Columbus, seine
Entdeckuno; nicht in ihrer ßedeutuno; klar geworden ist.^
o Od
Niemand wird diese weltoeschichtliche Leistung; dem Einsiedler
von Vaucluse verkleinern. Aber wie grofse tellurische Um-
wälzungen sich durch kleinere Bewegungen anzukünden pflegen,
so mag es nicht anders in der geistigen Entwickelung unseres
Geschlechts gehen. Auch Petrarca hatte Vorläufer.
Zu letzteren zählt man an vorwiegender Stelle Albertino
Mussato, den paduanischen Dichter, Historiker und Staatsmann,
über welchen in den letzten Jahren in Italien wie in Deutsch-
land mancherlei mitgeteilt ist. Als Zelt- und Geslnnungs-
genösse Dantes in den Tagen, da man von der Ankunft Arrigüs
eine Heilung Italiens erhoffte, als gewandter und wertvoller
1 Farad. 20:
Con altra voce omai, con altro vellu
ritoroero poeta ed in sul fönte
del mio battesmo prenderb 'I cappello.
Farad. 1, 13—18:
o buono Apollo all' ultimo lavoro
fammi del tuo valor si fatto vaso,
come dimandi a dar Tamato alloro.
' Vgl. Voigt a. a. O. T, 12G fi".
3 Voigt a. a. O. I, 133.
2G() Über Mussatos Tragödie Eccerinis.
Darsfcller des Lützelburgers und seines Unternehmens als
willcnsstarker Kämpfer gegen den berühmten Can Grande und
dessen Signorie, flöfst schon an und für sich Mussato Interesse
ein: ebenso hoch aber, will es mir scheinen, ist die poetische
Thätigkeit desselben anzuschlagen. Es geht durch dieselbe ein
deutlicher Zug der Sehnsucht nach dem Altertume, das er
durchaus mit dem Herzen erfafst, zu dem er eine persönliche
Stellung einnimmt. In einer Epistel beklagt er es tief, dafs
er nur von den Römern habe lernen dürfen und dafs ihm das
Griechische und seine Litteratur unerschlossen o-eblieben. Auch
eine originale poetische Kraft wohnte ihm inne. Zwar ist alles,
was wir von ihm besitzen, in die Sprache Latiums gekleidet,
nach deren vollendeter Handhabunir er strebt, ohne sie ganz
zu erreichen ; aber so sehr man es bedauern mag, dafs er nicht
„den Mut Dantes gehabt, jene lateinische Poesie zu verlassen,
welche die strengeren Geister der Nation noch als das Würdi-
gere angesehen haben", ^ so wenig kann man doch leugnen,
dafs trotzdem Mussato einen namhaften Platz auch in der
italienischen Litteraturgeschichte einnimmt. Die neueren Dar-
steller derselben seit Tiraboschi haben das fast alle gefühlt, und
sie werden nicht müde, die grofse Bedeutuno; des Patavinen für
die Nationallitteratur zu betonen ;2 wir mögen das in dem Sinne
gelten lassen, in dem einst Gaston Paris den geretteten Liguri-
nus ein Kleinod in der Krone deutscher Dichtung nannte.^
Die litterarische Thätigkeit Mussatos war eine ungemein
reichhaltige. Wenn man die Gesamtausgabe seiner Werke*
durchblättert, so mag man sich wohl wundern, wie dieser jNIann
in seinem überaus bewegten Leben, bei der vielfältigen thätigen
Anteilnahme an der Politik seiner Vaterstadt Zeit und Samm-
lung zu Arbeiten gefunden hat, denen man trotz ihrer grofsen
Zahl durchweg mühevolle Sorgfalt nachzurühmen berechtigt ist.
1 O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen etc. 11-, 254.
2 Tiraboschi, Storia della letteriitura italiana V, 339 fi". (Ausgabe
von 1775). — Settenibrini, Lezioni di letteratura italiana. Vol. I, lez. 27. —
Emillani-Giudici, Storia delle belle lettcre in Italia; lez. 8 („tutti voi" heifst
es bei letzterem, „diletti Italiani, conoscete il nome di A. M. il venerando
contemporaneo di Dante" etc.).
^ Gaston Paris, Dissertation critique sur le poeme latin du Ligurinu.«.
Paris 1872.
'' A. Mussati opera omnia. Venedig 1636.
über Mussatos Tragödie EcCL-riais. 2G7
Abiresehen von den umfangreichen und wertvollen historischen
AVerken, in denen er den Römerzug Heinrichs VII., die italie-
nischen Verhältnisse nach dem Tode desselben, sowie den
Rümerzug; Ludwigs zum Teil mit augenfälligem Sinn für ge-
schmackvolle phychologisch vertiefte Darstellung behandelte,
schrieb er eine lange Reihe verschiedenartiger Gedichte. In
seinen Episteln und Elegien, von denen übrigens zwei
(Priapus und uxor Priajji') noch nicht bekannt sind, zeigt sich
die Persönlichkeit am klarsten ; sie würden die Hauptquellen
sein für den, der eine (bisher nicht gegebene) umfassende
Würdigung Mussatos nach der litterarischeu Seite hin unter-
em o
nehmen wollte. Seine hohe "Wertschätzung schriftstellerischen
Ruhmes,^ seine Freude über die ihm als Dichter zu teil ge-
wordene Anerkennung,^ sein Verhältnis zu den Alten, von
denen er bezeichnenderweise Ovid am meisten verehrt und
studiert,* seine Theorie über die Bedeutung und Stellung der
Poesie im Kreise der scientia?,'' das alles lernen wir hier deut-
lich genug kennen.
Seine Soliloquien religiösen Inhalts, in verschieden-
artigen Versmafsen, scheinen dem Erbauungsbediirfnis vieler
reiche Genüge gethan zu haben. ^ In den Eklogen, deren
Stoffe teils dem Altertume entlehnt, teils neuere sind, erreichte
der Dichter hinsichtlich der Beherrschung der lateinischen
Sprache und des Verses seinen Höhepunkt.
Bei seinen Zeitgenossen erfreute sich Mussato eines aufser-
ordentlichen Ansehens; wo wir ihn erwähnt finden, fehlen nicht
die Epitheta des Lobes ; selbst in den Urkunden, deren das
paduanische Archiv eine Anzahl aufbewahrt, helfet er poeta et
ystoriographus, unter steter Voransetzung der ersteren Bezeich-
nung. Ein Ausflufs seiner litterarischen Verdienste, zugleich
' Die Provenienz derselben von M. ist angezweifelt, sie scheint mir
aber doch gesichert nach Mussatos eigenen Äufserungen in ep. VII (an
Giovanni da Vigonza).
-' Ep. IV.
3 Ep. I.
^ Vgl. Cento ex P. üvidii Nasonis libris 5 de Trii-tibus, ad Filium. Eleg. 3.
■'' Epist. 18; ein merkwürdiger Brief. Skizze desselben, freilich, wie es
mir beute scheint, nicht ganz ausreichend, findet man in meiner Schrift:
Albertino Mussato Leipzig, Veit und Comp. 18*0. p. 67 tf.
ti Ep. vn.
2t)8 i'bcr Mussatos Tragiidie Ecc(3riiris.
aber auch eine Ursivche von deren allgemeinerem Bekanntwerden
ist seine vermutlich im Jahre 1314 erfoljjte Dichterkrönun<T.
Unter höchst eigentümlichen Formen wurde dieselbe an ihm
vollzogen: auf Veranlassuno; des Bischofs von Padua, Pagano
della Torre, und des derzeitigen Rektors Herzog Albert von
Sachsen erkennt die Artistenfakultät ihm die Dichterkrone zu ;
im Beisein der ganzen Universität und einer orofsen Volks-
masse wird ihm der Kranz von Lorbeer und Epheu aufs
Haupt gesetzt; lauter Trompetenschall und Jubelruf der Menge
begleitet die seltene Feierlichkeit. Der grofse Rat der Stadt
setzt fest, dafs auf ewige Zeiten an jedem Weihnachtsfeste die
Werke Mussatos öffentlich gelesen und ihm selbst, solange er
lebt, Ovationen dargebracht werden: der Bischof selbst soll die
Deputation der Stadt und der Universität anführen mit zwei
AVachskerzen in den Händen ; ' dann soll die akademische
Jugend ihm Geschenke darbringen, unter anderem ein Ziegenfell:
Munus eniin tragicis vatibus hircns erat.
Tragicis ; denn es wird allgemein und auch durch ihn
selbst bestätloft, dafs Mussato die Krönung und das hohe litte-
rarische Anseilen hauptsächlich seiner Tragödie Eccerinis- ver-
dankt. Nach heutiger ästhetischer Wertschätzung freilich
könnte man kaum der Eccerinis diese Wirkung zuschreiben,
alles was wir von einer Trajxödie verlangen, sucht man in ihr
vergebens. Indes waren damals andere Gesichtspunkte aus-
schlaggebend; die Wahl eines nationalen Stoffes, die kraftvolle.
1 Ep. I:
Prajpositus binte portans hastilia ceife.
Aus dieser Stelle ist auch die Richtigkeit der von Burckhardt a. a. O. I, 199
(p. 172, Anm. 5) angezweifelten Lesart cereis muneribus zu entnehmen.
^ Man hat früher die Tragödie „Achilleis", die sowohl in die oben-
erwähnte venetianische als auch in die zweite Gesamtausgabe der Werke
(Grapvius thcs. antt. Ital. VF, 2) aufgenommen ist, auch Mussato zuge-
schrieben. Tiraboschi noch hat, obwohl schon Üsio einen Zweifel äufserte,
die Autorschaft Mussatos anerkannt. Es hat sich imles als sicher heraus-
gestellt, dafs nicht Mussnto, sondern der Vicentiner Antonio Loschi, gegen
Ende des Jahrhunderts, der Verfasser ist. Die Bibliothek in Vicenza besitzt
.seit 1832 das Manuskript, dessen Anfang und Ende den Namen Loschis
als des Autors tragt. Vergl. darüber: Cappelletti, A. M. e la sua
tragedia Eccerinis, Parma 1«81, sowie den Brief des Giuseppe Todeschini
an Antonio Meneghelli del vero autore della tragedia l'Achille, gedruckt
bei Picutti in \'icenza 1832. — Eine Separatau.sgabe : Achilles, prototra-
goedia Antonii de Luschis, Patavii 1843, ed. Schio, in dessen vita di A.
Loschi auch eine Inhaltsangabe sich findet. Voigt a. a. O. II, 409^.
über Mussatos Tragödie Eccerinis. 2G9
stellenwei's schöne Sprache, die gänzlich neue, dramatische
Form, die Mussato zuerst, wenn auch in enger Anlehnung an
Seneca, in Italien wieder einführte, ^^^ie der Titel besagt, hat
das Stück zum Gegenstande die Gestalt des Ezzelino da
Romano, des Vikars und Schwiegersohns Kaiser Friedrichs II.
Es liegt in den Handlungen und Schicksalen des trevisanischen
Tyrannen etwas, das auf den ersten Blick auch dem gereifteren
dichterischen Verständnis eines Joseph von Eichendorf als
tragisch erscheinen mochte, aber bei näherem Zusehen findet
man doch, dafs er mehr in die Kategorie jener „blofsen Teufel*'
gehört, die dem Hamburgischen Dramaturgen so wenig als die
blofsen Engel dramatisch verwertbar erscheinen.
Der Aufsatz Kortüms ' vom Jahre 1831 giebt uns ein aus
den Quellen geschöpftes, ausführlich und schön entworfenes
Bild Ezzelins. Geboren am 26. April 1194, hat Ezzelin die
entscheidenden Einflüsse auf seine Entwickelung schon in frühen
Jahren erhalten: des Vaters, Ezzelin des Mönchs, geschickte
Politik in den Wirren der trevio-ianischen Mark, den ihn be-
herrschenden Gedanken der Gröfse und Selbständigkeit des
Hauses, der Mutter, Adelheid, Schwester der „wütenden" Grafen
(Rabbiosi) von Mangono, gleich abergläubischen wie verbreche-
rischen Sinn finden wir vereinigt in dem Sohne. Wie der
Ahnherr des Geschlechts, der 1036 im Gefolge Kaiser Konrads
über die Alpen gekommen, wie der Vater, der von Otto IV.
die Statthalterschaft in Vicenza erhalten, so suchte auch Ezze-
lin das Heil in engem Anschlufs an die kaiserliche Politik ;
freilich nur solange seine egoistischen Absichten daraus Unter-
Stützung erhielten. Während der Hohenstaufe in den unseligen
Kreuzfahrtsstreit mit der Kurie verwickelt war, bildete sein
Name den Vorwand, unter dem das Haus Romano zu immer
gröfserer Macht emporstieg. Während das Verhältnis zwischen
dem lombardischen Bunde und Friedrich unaufhaltsam zn jenem
berühmten Schlage von Cortenuova hindrängte, war es Ezzelin,
der den Kaiser beständi«; über die Lage der Dinge auf dem
Laufenden hielt, ja ihn sogar verkleidet in Augsburg aufsuchte.
Und noch bevor die grofse Schlacht geschlagen wurde, hat
Schlosser und Berdit, Archiv für Geschiclitc und Lilteratur. Bd. 2.
270 Über Mussatos Tiagüdic Eccerlnis.
Ezzclin unter dem Schilde kaiserlichen Ansehens das reiche
Padua (24. Febr. 1237), wie Verona und Trevigi mit Waffen-
gewalt genommen. Die Ehe mit der natürlichen Tochter
Friedrichs, Selvaggia, war ein zweiter wesentlicher Preis seiner
Politik, Vor aller Welt stellten sich nun Ezzelin und sein
sinnverwandter Bruder Alberich miteinander verfeindet, indem
letzterer auf weifischer Seite kämpfte ; jede Regung einer Oppo-
sition gegen den einen meldete sofort heimlich der andere,
und mit sonst nicht erklärlicher Schnelligkeit wurde sie bluti<r
unterdrückt. Endlich aber, als den Kaiser gegen Ende seines
Lebens ein harter Schlag nach dem anderen traf, als ihn das
Glück verliefs, sein Sohn ihm geraubt, sein Vinea ihm untreu
wurde, da setzte Ezzelin durch, was er von je erstrebt, liefs
er die Maske fallen: er entfernte die kaiserliche Besatzung aus
Padua und den umliegenden Forts und wurde unumschränkter
Gewaltherr in der Mark, der erste Tyrann im späteren Sinne.
Aber jetzt, nach der Erreichung seines Zieles, begannen erst
recht die aller Beschreibung spottenden Thaten, die den Namen
des Ezzelin zu einem der bluti<i;sten der gesamten Weltge-
schichte gemacht haben. ^ Die glänzende friedeverheifsende
Hochzeitsfeier Ezzelins (nach dem Tode der Selvaggia) mit
der Tochter des Grafen Bontraversio da Castronuovo war nur
eine flüchtige Episode, ein letzter Lichtblick vor der herein-
brechenden Schreckensnacht.- Todesurteile, Hinrichtungen, Ein-
kerkerungen in nicht mehr zu bestimmendem grofacm Umfange,
kurz Trauer und Schrecken war das Los aller, die durch Wort
oder Gebärde Unzufriedenheit mit der neuen Tyrannis auch
nur zu verraten schienen. Ansedisio de' Guidoti, der von ihm
eingesetzte Podestä Paduas, kannte ebensowenig menschliche
Gefühle wie sein Herr. Was in dem Kerker Malta sich zu-
getragen hat, ist wert in einem Atem mit den Schrecknissen
von Seratscha Daulas schwarzer Höhle genannt zu werden !
In dem W^esen des Tyrannen, seinen Mienen, seinem Gang
1 Darum finden wir auch bei Dante Inferno XII, 109 den Ezzelin bis
an das schwarze Stirnhaar im Blute steckend
e quella fronte, c' ha '1 pel cosi neru
e Azzuliiiü.
'■' Vgl. Rolandi l'atavini chronicon, ed. Jafi'e. M. G. XIX, 32—117.
über Mussatos Tragödie Ecccrinis. 271
entdeckten die Zeltgenossen jetzt eine auffallende Veränderung,
die deutlich den Blutdurst des Inneren auch im Aufseren wieder-
gab. Nahe Verwandte, der Schwiegervater, der Schwestersohn,
der Halbbruder (Ciraraonte) fanden ob ganz grundlosen Ver-
dachtes den Tod; unschuldige Kinder wurden zu Hunderten
geblendet, Frauen an Händen und Füfsen verstümmelt. End-
lich raffte Norditalien sich zu einem Kampfe auf Leben und
Tod auf; der Papst, dessen Bannstrahl Ezzelin mehr als ein-
mal mit höhnischer Gleicho;ültiokeit hatte an sich abo-leiten
lassen, Venedig, Ferrara, die Emigrierten Paduas, Vicenzas,
Trevigis und viele andere Lombarden thaten sich zusammen
und rüsteten ein Kreuzheer. Ansedisio, der Podesta, wird nach
langer hartnäckiger Gegenwehr vertrieben, Padua genommen.
Ezzelin ist aufser sich. Der Bote, aus dessen Munde er die
Nachricht erhält, mufs sterben ; Ansedisio, als er kommt, wird
dem Feuertode übergeben, und alle die mit ihm Padua ver-
liefsen. Und damit die früher gefangenen Paduaner, IIOÖO an
der Zahl, sich nicht mit dem Kreuzheer vereinigen, läfst er sie
in Verona in Gefängnisse pferchen, aus denen im ganzen nur
200 nach Jahren lebendig wieder hervortraten, und, wenn die
Gefängnisse nicht reichen, läft er sie einfach niedermetzeln.
Auf den Feldern lagen die verstümmelten Leichname umher
und niemand wagte sie zu bestatten. i Der Verlust Paduas
wird wieder gut gemacht durch die Einnahme Brescias ; aber
sie ist auch der letzte Erfolg : in die mailändischen Wirren
zwischen Guilelmo da Soresino und Martino della Torre ver-
wickelt, im Begriff seine Hand nach der eisernen Krone in
Monza auszustrecken, wird er bei Cassano an der Adda ver-
wundet und, als er sich der Übermacht verzweifelt zur VVelir
setzt, gefangen. Wie eine grausame Ironie klingt die Nach-
richt, dafö ihn seine Gegner, besonders der Graf Palavicino,
als Gefangenen mit edler Höflichkeit behandelt haben. Aber
das mochte ihn um so mehr verbittern. Seinen fatalistischen
Gedanken nachbrütend,- nur dann und wann in jähem Zorn
aufbrausend gegen seine Wächter sitzt der gefangene Tiger
1 Dafs 11000 Paduaner auf einmal getötet .<ind, wie es in dem Schlufs-
chor des 3. Aktes der E^ccerinis heilst, ist nicht richtig. Cf. Kortüm p. 115.
- Kaumcr, llohciialaulcn 111, 43U.
272 Über Mnssalos Tragödie Eccerinis.
da; alle Speise, alle ärztliche Hilfe, auch den Zuspruch dc8
Priesters weist er ab ; am elften Tage endlich dünkt ihn sein
Los unerträglich: er reifst den Verband von seinen Wunden
und stirbt. In ungeweihter Erde, an der Treppe des Rathauses
von Soncino setzte man den marmornen Sarg bei, der des
Ezzelin Gebeine barg. Ein schrecklicheres Geschick aber war
Alberich, dem Bruder, bestimmt: auch er wird durch Über-
macht o;ef;inc;en genommen; gleich einem Pferde thut man ihm
ein Gebifs in den Mund und auf allen Vieren kriechend mul's
er die scharfen Sporen eines rohen Kriegsknechtes in seinem
Fleische fühlen : dann werden seine sechs Söhne nacheinander
verstümmelt und die blutigen Glieder ihm ins Gesicht ge-
schlagen ; und endlich, ehe er selbst den Todesstreich erhält,
werden ihm vor den Augen sein Weib und seine zwei Töchter
verbrannt. Fürwahr eine heillose Zeit!
Sehen wir nun zu, wie Mussato diese historisch gegebene
Gestalt behandelte. Im ersten Akt versucht der Dichter die
Motive darzulegen, aus denen sich Ezzelins und Alberichs
schreckliche Thaten erklären lassen ; so entsetzlich und aller
menschlichen Analogie spottend sind dieselben, dafs man ver-
gebens nach einer psychologisch fafsbaren Erklärung suchen
würde: in einem dunklen unterirdischen Ursprung, unter dessen
nachwirkendem Banne das ganze Leben der Brüder steht,
müssen wir sie finden. Eine ganze Mythologie hat sich ja um
die Ezzeline gebildet,^ und einen Zug aus ihr benutzt Mussato.
Adelheld, die Mutter, erzählt ihnen, dafs sie nicht ihre echten
Söhne, sondern der Gewaltthat eines mit furchtbaren Erschei-
nungen der Tiefe enttauchten und wieder in sie verschwundenen
Ungeheuers entsprossen seien.
Quum prima noctis hora communis quies
Omni teneret ab opere abstractum genus,
Et ecce ab imo terra miieitum dedit
1 Vgl. die cento novelle antiche (31 u. 84), in denen wir schon Ansätze
der Ezzelin-Fabeln vorfinden; sie sind nach Burckhardts Meinung (I, (.i;
Anm. p. 121) noch im 13. Jahrb. aufgezeichnet. Anspielung auf den
Tiauni der Mutter ist auch die von dem Hügel Romano sich herabstürzende
Fackel bei Dante Parad. IX, 29:
Lh. onde «cese gi^ una facella
Che l'ece alla contrada gramle assalto.
über Mussatos Tragödie Eccerlnis. 273
Crepuisset ut centrura et foret apertum Chaos,
Altnraque versa resonuit Coelum vice.
Faciem aeris sulphureus invasit vapor
Nubemque fecit. Tunc subito fulgur domutn
Lustravit ingens fulminis ad instar tono
Sequente, oletum sparsa per thalamurn tulit
Famosa nubes. Occupor tunc et premor,
Et, ecce pudor, adiilterum ignotum ferens.
Mit bitterer Ironie, die überhaupt sein Wesen bei Mussato
kennzeichnet, sieht Ezzelin in der Sendung dieses infernalischen
Wesens einen Fingerzeig Gottes :
Quid poscis ultra frater? An tanti pudet
Vesane patris ? an negas Divum genus ?
Diis gignimur. Nee stirpe tanta Romulus
Remusque quondam Marte toUuntur suo !
Als eine Geifsel der Menschen sein Leben zu führen im
Namen des „rex ultionum" fühlt er eich berufen, und diesem
Berufe sich ernstlich zu widmen ist der Entschlufs, mit welchem
er die Bühne verläfst.
Jetzt berichtet, auch in Trimetern, so dafs also diese Kegie-
bemerkung als ein Teil der Dichtung erscheint, Mussato, wie
Ezzelin sich in das Innere des Schlosses zurückzieht, dort sich
mit ausgebreiteten Armen auf die Erde wirft und zu Lucifer
als seinem Vater betet. Das Gebet selber steht wieder in
direkter Rede als Monolog. Er beschwört die Unterirdischen,
die er als Bestrafer der Verbrechen anruft, ihm das Amt der
Rache zu übertragen. Keine Macht werde ihn seiner Aufgabe
abtrünnig machen; niemals überhaupt habe seine Brust ein
menschliches Rühren gekannt; Christus selber und der Name
des Kreuzes sei ihm stets verhafst gewesen. Alekto, Tisiphone,
Megära, Persephone und alle stygischen Gewalten erbittet er
sich als Helfer und Schützer zu seinen Werken.
Ensis cruenli detur officium mihi
Ipse executor finiam h'tes merus,
Nullis tremiscet sceleribus fidens manus.
Annue Satan et filium talem proba!
Während, dies hinter der Bühne vorgeht, betritt der Chor,
in dem wir uns Bewohner der Mark Treviso, Augenzeugen
Aicliiv f. u. Si)i-aclieu. LXXI. 18
274 Über Mussatos Tragödie Eccerinis.
aller Greuel vorstellen müssen, die Bühne. Er beklagt in all-
gemeinen Worten die Wechselfälle und Unsicherheit des irdi-
schen Lebens; unbeständig erscheinen ihm in dieser Zeit alle
Einrichtungen, selbst die, welche sonst für die solidesten ge-
halten sind :
Leges juraque condimus
Post h£ec condita scindimus.
Sic semper rota volvitur
Durat perpetuum nihil.
"Aber über alles Mafs heimgesucht erscheint ihm der heimat-
liehe Boden: noch sieht man das Ende dieser Dinge nicht ab,
wohl mag noch Schrecklicheres bevorstehen, — Die Verse
dieses Chores sind glykonische, deren 49 sich ohne Unter-
brechung durch ein anderes Metrum folgen, so dafs das Ganze
etwas Schleppendes hat.
Im zweiten Akt, der nur eine einzige Scene umfafst,
kommt ein Bote atemlos auf die Bühne gelaufen. Der Chor
fordert seine Nachricht. Er giebt sie:
Finis petitus litibiis vestris adest,
Adest tyrannus vestra quem rabies dedit,
Nefanda vidi !
Es hat sich zwischen dem ersten Akt, dessen Inhalt aller-
dings keiner bestimmteren chronologischen Festsetzung fähig
ist, und dem zweiten die Einnahme Paduas vollzogen.
Bevor der Bote das Nähere über den Hergang dieses Ereig-
nisses erzählt, ergeht er sich in einer weitschweifigen, an die
Botenberichte der alten Tragödie anklingenden Auseinander-
Setzung über die früheren Geschicke der Mark, die zu bösen
Verhängnissen bestimmt sei:
sive sit terrse situs
Belli capacis sive tale hominum genns
Natura ab ipsa tale producat solum !
Die Erzählung von den Schrecken, die der Tyrann in
Verona und Padua verübt, und der Hinweis auf die noch zu
verübenden läfst den Chor in einem Schlufsgesange resignierend
Christus den Schutz des Landes in die Hände legen. Ich hebe
aus diesem Chor, der in kleineren sapphischen Versen (unter-
über Mussatos Tragödie Eccerinis. 275
brechen von adonischen ') geschrieben ist, die kraftvolle Schilde-
rung von den Leiden der Bevölkeruno; hervor:
Frater ut sajvo placeat tyranno
Fratris incumbit jugulo cruentus.
Proh dolor ! Patrem rogitat cremandum
Natus, ardentes siibicitque flammas.
nie tantorum scelerum superstes
Aspirans sa^vas Eccerinus iras,
Prolis ut senien pereat fntur»,
Censet infantiun genital recidi,
Feminas sectis ululare mammis.
Stratus in cunis chorus innccentum
Luget indocto mutilatus ore:
Lumen in caecis tenebris requirit
Lumine cassus.
Ein Gespräch in der ersten Scene des dritten Aktes ge-
währt uns Einblick in die Plane, welche die Brüder für die
Eolgezeit haben. Jedem Menschen, meint Ezzelin, steht der
Entschlufs zu jedweder Handlung völlig frei; und da Gott
selber uns gewähren läfst, warum sollen wir nicht so handeln,
wie es unserer Abkunft und unseren Neigungen gemäfs ist.
Die Missethat der Völker heischt eine rächende Hand. Ich
habe Verona, Vicenza, Padua mir gebeugt; auch das übrige
Italien soll mir gehorchen. Lombardien ist mir versprochen,
und die ganze Halbinsel wird von hier aus mir unterthan.
Aber auch das genügt mir nicht: ich will meine Hand aus-
strecken nach dem Orte, von wo einst mein Vater Lucifer fiel,
und weder Typhoeus noch Enkelados, noch irgend einer der
Giganten hat so gegen Jupiter gekämpft, wie ich gegen den
Himmel es thun will. Weniger himmelstürmend, aber desto
expansiver sind die Pläne Alberichs: bis an den Nordpol sollen
die Völker ihm gehorchen und auch das „dreifache" Gallien
soll seine Geifsel fühlen. — Ezzelin schlägt dem Bruder vor,
zu dem Kampf mit den Waffen List und Tücke zu gesellen :
sie wollen sich stellen, als ob sie sich gegenseitig hassen und
anfeinden, um dadurch desto sicherer die Menschen ins Ver-
derben zu ziehen:
1 Das Verhältnis der sapphisclien zu den adonischen Versen ist iin-
regehiVafsig: 14-1, 8-1, 8-1, 12—1, 7.
18*
270 Über Mussatos Tragödie Eccerinis.
absit Fides
Pietasque nostris actibus semper procul.
Albericli geht ab und es erscheint Ziramone, natürlicher
Bruder des Ezzelin. Dieser fragt ihn, ob die befohlene Hin-
richtung des Monaldo dei Lermizzoni^ vollzogen sei, und erhält
bejahende Antwort, worauf er Befehle zu weiteren Hinrich-
tungen erteilt. Nun erscheint ein gewisser Frater Lucas, mit
dem Mussato nach der sehr wahrscheinlichen Vermutung Mer-
cantinis den Bruder Lucas Belludi, Schüler des hl. Antonius
geraeint hat. Derselbe, scheu sich nähernd, sucht dem Ezzelin
ins Gewissen zu reden, stellt ihm vor, dafs nichts dauernd von
den göttlichen Lebensgesetzen abweichen könne ohne zu ver-
derben; er bittet ihn abzulassen von seinem bisherigen Thun
und den drei Tugenden Spes, Caritas, Fides ihr Recht zu
lassen. Ezzelin begegnet dem Mönch mit dem Hinweis darauf,
dafs Gott alles, was er thue, mit ansehe und ihn doch nicht
hindere; warum schlage er ihn denn nicht zu Boden? Viel-
mehr, meint Lucas, erwartet Gott, dafs du allmählich aus
freien Stücken zu ihm zurückkehrst. „Also," erwidert Ezzelin,
„läfst er Tausende untergehen um meines Seelenheiles willen.
Was ist das für ein Gott, dem ich lieber bin als Tausende
anderer?" „O glaube mir," sagt Lucas, „Saulus war dem
Herrn doppelt lieb, als er zu sündigen aufhörte; und gern
längert der Heiland dem Menschen das Leben, um begangene
Sünden zu bereuen." Auf Ezzelin machen solche Argumente
natürlich wenig Eindruck ; er ist vielmehr fest überzeugt, das
AVerkzeug der Rache, eine Gottesgeifsel zu sein und als solche
dürfe er kein Mitleid kennen:
Me credo mundo scelera ut ulciscar datum
lUo jubente.
Er vergleicht sich der Sündflut, der Feuersbruust, den
Heuschrecken, oder auch dem Nebukadnezar, Pharao, Saul,
Nero und der „generosa proles Philippi Macedonis". Bruder
Lucas geht unverrichteter Dinge ab.
' M. d. L. mit dem Beinamen Linguadevacca. Enthauptet wegen
Teilnahme an einer Verschwörung 1239. Muss.ito war mit dem Hause der
Lermizzoni verwandt als Schwiegersohn des Guiglieleno üente d. L., vgl.
uit'ine oben citlerte Schrift p. 3.
über Mussatos Tragödie Eccerinis. 277
Nun kommt ein Bote, der nach den nötigen Entschuldi-
gungen die Kunde bringt, dafd von einer Schar paduanischer
Verbannter, denen sich die Venetianer, die Ferraresen und der
Legat des Papstes angeschlossen, plötzHch Padua genommen
sei. Ezzelin fährt in hellen Zorn auf und läfet dem Boten zur
Strafe den einen Fufs abhauen. Die Nachricht von der Ein-
nahme Paduas bestätigt jetzt auch der hinzugekommene Anse-
disio, dem Padua anvertraut war. Er mufs die heftigsten
Vorwürfe hören, dafs er mit glattem unversehrtem Gesichte
zurückkomme und die Stadt dem Feinde feig überlassen habe.
Der Tod wird ihm dafür bestimmt:
secede cui non pccna sufficiat necis.
Nun wendet sich Ezzelin an seine Soldaten, sie auffordernd
mit ihm nach Padua zu ziehen, die Stadt zu überrumpeln. Sie
folgen ihm begeistert, indem sie rufen :
Fortuna vires ausibus nostris dabit.
Noch in demselben Akte erfahren wir von dem Verlaufe
des Zusres durch den nun auftretenden Chor, der also aus
seiner bisherigen Funktion blofs allgemeiner Klage und Be-
trachtung herausgeht. Er erzählt, dafs Ezzelin plötzlich vor
Padua erschienen sei, die Stadt umzingelt habe; aber alle Ver-
suche mifslangen; in VV^ut darüber sei der Tyrann nach Verona
geeilt und habe dort alle paduanischen Gefangenen, die er ge-
legentlich früherer Züge erbeutet, 11000 an der Zahl, auf
jammervolle Weise in ihren Kerkern umbringen lassen. Schreck-
lich sei die Klage und das Elend gewesen :
NuUis plaustra vehunt agnita Corpora
Non natum genetrix, non muHer virum
Agnovere suos, certave funera.
Communes lacrymaa desuper omnibus.
Desunt pra^dia tot busta recondere.
Corrumpit sanies a^thera desuper.
Spectator queritur judicii parum
Dum restat Patavum quofl reparet genus.
Getröstet über seinen Mifserfolg eröffnet Ezzelino den
vierten Akt mit einem kurzen Monolog. Auf Padua will er
zunächst verzichten, dem schlägt wohl ein andermal noch seine
Stunde; ganz Lombardien aber von den gallischen Pässen an
278 Über Mussalos Trngöilie Eccerinis.
seliiic sich unter seinen Waffen zu dienen! Mit dem Mifserfolg
scheint sein Mut zu wachsen, finster trotzig bietet er ihm
die Stirn :
Adversa vires fortibus prajbet viris
Fortuna viles opprimit pugnat vigor
Adversus ejus impetum.
Zwischen diesem Monolog und der sich daran schliefsenden
zweiten Scene liegt eine lange Zeit: denn diese berichtet schon
Ezzelins Mifsgeschick und Tod. Jauchzend kommt ein Bote
auf die Bühne gelaufen :
Hnc huc venite qulsquis opfatum velit
Finem malorum scire et snmmo datam
Coelo quietem : thure placetis Deum
Juvenes, senes, viduae : colite festum diern.
In vos ab alto justus respexit Deus.
Er erzählt, wie Ezzelin, überall nun selbst getäuscht von
vermeintlichen Freunden, an der Adda bei Cassano umzingelt
wurde. Einem Wolfe gleich, der nach der Mahlzeit von Hunden
angegriffen wird, habe er mit den Zähnen gefletscht ; da traf ein
Pfeil seineu linken Fufs; wie ein Rasender jagt er sein Pferd in
die Feinde, aber diese sind in der Überzahl, von neuem verwundet
wird er gefangen genommen. Aber trotzig wie in der Freiheit
ist er auch in der Gefangenschaft, er will weder einen Arzt für
seine Wunden, noch auch Speise und Trank aimehmen, und so
stirbt er an Hunger und Erschöpfung einen selbstgewählten Tod.
Nun feiert der Chor in einer sapphischen Ode von grofsem
sprachlichem Wohlklang die Wiederkehr des Friedens und
widmet Gott den gebührenden Dank:
Vota solvamus pan'ter datori
Digna tantorum juvenes bonorum,
Vos senes vos et trepidte puellae
Solvite Vota.
Venit a summo pietas Olympo
Quaj malis finem posuit patratis
Occidit saevi rabies tyranni
Paxque revixit.
Face nunc omnes pariter fruamur
Omnis et tutus revocetur exul,
Ad lares possit proprios reverti
Face potitus.
L'ber Mursatos Tragödie Ecoeiinis. 279
Supplices renes feriant habenis
Ictibus crebris domitent reatus,
Annuat votis Deus nt petitis
Virgine natus.
Die einzige Scene des fünften Aktes läfst uns durch
einen Boten den Untergang Albericos des Bruders erfahren.
Auch er ist geschlagen, aber entgegen dem tollverzweifelnd
sich wehrenden Bruder ist er mit Weib und Kind auf das
Kastell San Zeno geflohen. Treviso, Vicenza, Padua, Azzo
von Este und die übrigen Herren der Mark lao-ern vor dein-
selben. Der Sturm der Belaj^erer nicht weniger als der Auf-
rühr, der in der Festung selber sich gegen den nun hilflosen
Romano erhebt, ziehen schnell den Fall herbei. Die wilde
Schar der Eroberer dringt ein. Der Säugling wird von der
Mutter Brust gerissen, elend zerstückelt und das Blut der un-
glücklichen Frau ins Gesicht gespritzt. Dem kleinen drei-
jährigen Ezzelino schneiden sie die Kehle ab und sein Haupt
mufs auf einer Lanze stecken; ein Soldknecht zerreifst die
noch zitternde Leber mit den Zähnen. Dann wird die Mutter
selbst gefesselt in den Hof geführt:
Ecce thalamo rapta de summe feris
Abstracta turbis uxor Albrici venit
Coelo refusis lumina intendens comis.
Vor ihren Augen werden zunächst ihre fünf Töchter auf
den Scheiterhaufen geführt : als die Flammen emporzüngeln
und das blonde Haar der Mädchen sengen, da springen sie
entsetzt hinab und suchen Schutz bei der Mutter. Aber nun
werden sie ergriffen und samt der Mutter auf den Holzstofs
gelegt, der alsbald in helle Flammen aufgeht! Alberich hat
das alles mit ansehen müssen; keine Veränderung seiner Mienen
hat man bemerkt, es sei denn zu einem gleichgültigen Hohn-
lächeln. Bis zuletzt aufgespart empfängt nun auch er den
Tod : die Umstehenden richten ihre A^'urfspeere auf ihn, und
von einem derselben durchbohrt erleidet er in der Tragödie
einen sanfteren Tod, als ihn die Geschichte berichtet. Ein
Schwertschlag trennt das Haupt vom Rumpfe und die Glieder
werden den Hunden vorgeworfen.
280 Über Mussatos Tragödie Eccerinis.
Erschüttert wendet der Chor seine Gedanken ab und feiert
die überirdische Gerechtigkeit, die in dem Geschicke auch der
Romanos gewaltet:
Haec perpetuo dural in jbvo
Regula juris: fidite justi.
Nee si quando forsitan ulhim
Quemquam nocuum fors extollat,
Regula fallit. Consors operum
Meritum sequitur quisque suoruni.
Stat judicii conscius asqui
Judex rigidus judex placidus
Donat justos damnat iniquos,
Haud hie stabilis desinit ordo
Petit illecebras virtus supernas,
Crimen tenebras expetit imas
Dura licet ergo moniti stabilem
Discite legem !
Man sieht, im grofsen und fjanzen sind es nur die that-
sächlichen Ereignisse, wie sie uns in den Chroniken der Mark
begegnen und wie sie noch in der mündlichen Überlieferung
leben mochten, die uns Mussato vorführt. Die o-eringfüfriffen
Abweichungen von dem Geschichtlichen resultieren nicht aus
irgendwelchen dramatischen Rücksichten, sondern sind entweder
daraus zu erklären, dafs Mussato selbst die vergröfsernden
Gerüchte, wie sie im Volke umgingen, für Wahrheit hielt, oder
daraus, dafs er der Popularität solcher Gerüchte nachgab ; so
z. B. ist es, wie schon erwähnt, erweislich falsch, dafs Ezzelin
auf die Kunde von der Einnahme Paduas 11000 Emigrierte
dieser Stadt, welche in Verona und den umliegenden Dörfern
sich aufhielten, töten liefs. Merkwürdig ist in diesem Bezüge
die Unterredung mit Frater Lucas (Akt III, Sc. 2). Es ist
beglaubigt, dafs Ezzelin, als er Brescia eingenommen hatte
(es war im Februar 1259), mit dem päpstlichen Legaten Philipp,
Erzbischof von Ravenna, der in seine Gefano-enschaft oeraten
war, ein ähnliches Gespräch geführt hat. i In demselben ist
ebenfalls die Rede von der göttlichen Zulassung der Greuel,
welche allenthalben geschahen ; aber es erhält dann eine andere
Wendung als in der Tragödie: Ezzelin wirft der Kirche die
' Kortüm a. a. O. 118 f.
über Mussatos Tragöilic Ecccrinis. 281
Greuel vor, welche ihre Beauftragten gelegentlich tler Einnahme
Pacluas an den Bewohnern der Stadt verübt hatten, und fragt,
wenn die Kirche so etwas zulasse, wie könne man dann über-
haupt einem Laien in ähnlichem Falle Vorwürfe machen. Der
Legat antwortet, es stehe der Kirche freilich dieses Recht zu,
denn sie habe die Pflicht, oft gewarnte halsstarrige Abgewichene
mit blutiger Strenge zurückzuführen. Dieses Gespräch scheint
mir dem Mussato vorgeschwebt zu haben ; es nimmt zwar
einen anderen Gang, aber das Gemeinschaftliche und psycho-
logisch Interessante ist in beiden der Umstand, dafs Ezzelin,
der entmenschte Tyrann, über die Stellung Gottes zur Willens-
freiheit des Menschen spekuliert.
Die eigentümlichen Züge des Charakters sind dem Ezzelin
in der Tragödie gemein mit dem historischen. Der heifse
Blutdurst ist gemischt mit einer ganz und gar abergläubischen
Schwärmerei ; zahlreiche Beweise dafür überliefert die Ge-
schichte: einen ganzen Hof von Astrologen und Wahrsagern
führte Ezzelin mit sich : neben einem langbärtigen Sarazenen
Paul von Bagdad befand sich auch Guido Bonatto unter ihnen;'
seine Handlungen pflegte er meist nach den Ratschlägen dieser
Leute einzurichten. Auf Träume gab er unendlich viel, seine
Todesstätte Soncino sah er in einem seltsamen Gesichte schon
1259,- und auch was seine Verwandten, besonders die Mutter,
träumten, hatte einen oft entscheidenden Einflufs auf seine
Entschlüsse. Mussato unterläfst es nicht, solche Züge zu ver-
werten. Als er bei Cassano verwundet wird, ruft er einer
mütterlichen Prophezeiung gedenkend:
Heu! Cassam Assam Bassam! hie letiini mihi
Fatale dixti niater, hie finem fore!
Die Gewifsheit seines Todes ist ihm infolgedessen eine so
unerschütterliche Überzeugung, dafs er jeden Versuch sich zu
retten verschmäht, ja Speise und Trank zurückweist. So ist
sein Ende wie sein Anfang begleitet von einem Ausbruch fin-
steren fatalistischen Aberglaubens ; dem numen infernum ist sein
Leben und sein Tod, nach Auffassung des Dichters, geweiht.
» Burckhardt a. a. O. II, 280.
2 Kortüm p. 119.
282 Über Mussatos Tiagüdic Ecocrinis.
AN'as (las Vorbild angeht, dem Mussato folgte, so brauch-
ten wir nicht noch seine eigenen Versicherungen, um zu wissen,
dafs es Seneca war. Er hat sich über sein Verhältnis zu dem
römischen Tragöden an mehreren Stellen seiner Gedichte, be-
sonders in der ersten Epistel, geäufsert. Gern und eifrig hat
er sich dem Studium desselben gewidmet,' ja, und das ist sehr
bedeutsam, aus der Beschäftigung mit Seneca erwuchs ihm eine
gewisse Sehnsucht nach den Vorbildern desselben, bes^onders
nach Sophokles, 2 eine dunkle Ahnung, dafs über den römischen
Nachahmer hinaus die wertvollere Welt des Griechentums lieot.
Mussato kannte von Seneca nach der obigen Epistel: Hercules
Q^tffius, Hercules furens, Ti-oades, Agamemnon, Phädra, Odipus,
Octavia (die er natüilich noch dem Seneca zuschreibt), Thyestes,
Mcdea. Er war wohl der erste Schriftsteller des gesamten
Mittelalters, der die lateinische Tragödie nachahmte, ^ und wäh-
rend die nachher auftretenden italienischen Trauerspieldichter
diese Beschäftigung noch nicht als recht würdig ansehen, ja
vielfach als „Jugendsünde" bereuen, ist Mussato auf keins
seiner Werke so stolz als auf die Eccerinis; er sieht in ihr
die eigentliche Begründerin seines litterarischen Rufes, was sie
nach dem oben Gesao;ten allerdinsfs war. Aber man verhehle
sich dabei nicht, dafs es doch hauptsächlich der Stoff ist, der
dem Stücke diese Bedeutung verschaffte; es will doch wohl
etwas sasren, dafs gleich die erste lateinische Tragödie der an-
gehenden Wiederbelebung ihren Inhalt aus der nationalen Ge-
schichte bekam; nur einen Nachfolger hat Mussato darin ge-
funden, Giovanni Mazzini, der den Sturz der della Scala gegen
Ende des 14. Jahrhunderts behandelte/' Sehr bald hielt der
alles beherrschende Humanismus solche Stoffe nicht mehr für
angemessen, und wo überhaupt die Form der Tragödie einmal
in Anwendung kommt, da finden wir Stoffe aus der alten
Sage, wie in der „Achilleis" des Loschi, der „Prokne" des
Gregorio Corraro, oder aus der alten Geschichte, wie in Lio-
nardo Datis „Hiempsal"."^
1 GraBvius thes. antt. Ital. VI, 2. Alb. Mussati poemata etc. col. 35 E. F.
2 A. a. O. col. 36 C. — ■■' Voigt a. a. O. II, 408 fl".
■* Voigt p. 409, wo auf die Erwähnung dieser Tragödie bei Scliio vita
di Antonio Losohi p. 29 verwiesen wird.
'=> Alles nach Voigt p. 410.
über Mussatos Tragödio Ecccrinis. 283
Durcli den Stoff war dem Mussato schon eine ganz kom-
pilatorische Nachahmung des Seneca abgeschnitten; wir finden
eine gewisse Freiheit in der Handhabung der Sprache, ein
Streben nach Kongruenz zwischen Form und InhaU, dem nicht
durch ein mosaikartiges Aueschreiben des Vorbikics Genüge
geschehen konnte. Ich teile eine Stelle mit, die charakteristisch
ist für die Art der Anlehnung:
M u s s. Eccer. Akt I. Adelheid :
— arx in excelso sedet
Antiqua colle, longa Romaniim vocat
iEtas, in altuni porrigiuit (ectuni trabes
Premilque turrim contigua ad Austrum donius
Ventorum et omnis cladis a^ria? capax.
Senec. Thyest. Akt IV. Nuntius:
In arce summa .Pelopeia3 pars est domus
Conversa ad austros; cujus extremum latus
^Equale monti crescit atque urbem premit.
Die Chöre halten eich durchaus in den Versujafsen des
Seneca; das Schlufslied stimmt in Metrum und Verszahl mit
dem im Hercules (Etasus überein ; JNIussato muTs diesen Chor
vor sich gehabt haben, zumal derselbe überhaupt den einzigen
Fall darstellt, y\o bei Seneca ein fünftes Standlied des Chores
vorkommt.
Die Sprache Mussatos ist stellenweis, wie aus dem oben
Mitgeteilten ersichtlich, nicht ohne Kraft, und eine gewisse
Würde läfst sich dem Ausdruck nicht absprechen ; indes haftet
doch an dem bewufsten Streben nach Reinheit mancher Schatten:
focus gebraucht er in dem italienischen Sinne von fuoco, porri-
gere ist intransitiv wie ital. sporgere (I, 1), tonus gebraucht
er wie ital. tuono (I, 1), interire für interiraere (III, 2). Am
schwersten ist ihm der Kampf mit dem Metrum geworden;
weder die jambischen Senare des Dialogs, noch die Metra der
Chöre sind frei von gewaltsamen Verrenkungen, wie wir sie
doch in den ungleich besseren Hexametern der Episteln und
Elegien nicht finden. Akt III, Scene 4 im Schlufschor findet
eich z. B. unter asklepiadischen Versen auch der:
Convitiatur, arguit, vituperat,
2S4 Über Mussatos Tragödie Ecceriiiis.
den Nicolö Villani, dcseen bei Gra^vius wieder abgedruckter
Koinmentfir besonders die metrische Seite berücksichtigt,
„afisTQov atque Musis dormientibus confictum" nennt.
Doch genug davon. Ich füge diesen flüchtiijen Bemer-
kungen noch zwei Notizen an. Die eine über die Handschriften.
Der Text der P^ccerinis ist sehr entstellt, was wir besonders
bei der Beurteilung der Verse nicht aus dem Auge lassen
dürfen. Sämtliche Lesarten findet man nur in der Ausgabe
bei Muratori X, col. 787 — 800. Feiice Opio hatte zu der in
der Pinellischen Druckerei erschienenen ersten Ausgabe, Venedig
1636, vier Handschriften kollationiert, eine venetianische vom
J. 1378 (V), drei paduanische: 1) aus der Bibliothek des
Antonio Mussato (M), 2) eine dem Abte Albertino Barisone
(P), 3) eine dem Lorenzo Piguorio gehörende (Pigu.). Zu diesen
hat Muratori noch zwei andere aus der Ambrosiana verglichen,
von denen nach seiner Meinung die eine (A moros. I) der Zeit
des Autors sehr nahe steht, die andere (Arabros. II) aus dem
Anfange des 15. Jahrhunderts stammt. Die Abweichungen der
letzteren hat Grajvius (1722) noch nicht mitgeteilt, da Muratoris
Band X erst 1727 erschien.
Bei der hohen Meinunof, welche die Italiener neuerdings
von der litterarhistorischen Bedeutung des Mussato haben, ist
es erklärlich, dafs man versuchte, die Eccerinis in italienischem
Gewand weiteren Kreisen bekannt zu machen. Dieser Aufgabe
hat sich unterzosfen Lui^i Mercantini;' soweit ich aus den von
Cappelletti a. a. O. mitgeteilten reichlichen Proben ersehe, ist
es keine eigentliche Übersetzung, sondern eine Nachbildung mit
modernen Rhythmen und sogar mit Keduzierung der mytho-
logischen Beziehungen auf ein den Heutigen bequemeres Mnf?.
Leider ist es mir bisher nicht gelungen, in den Besitz dieses
Büchleins zu kommen, da im italienischen Buchhandel die
Exemplare vergriffen sind.
' L'Ezzelino, tragodia latina di Albertino Mussato da Padova, tradotta
da Luigi Mercantini. Palermo, nella tipogratia d'Ignazio Mirto. 1868.
Zur Charakteristik von C. F. D. Schubarth.
Weun sich die nachfolgenden Zeilen die Aufgabe stellen,
eine Seite aus des Dichters Wirken hervorzuheben und ein-
gehender zu charakterisieren, so ist sich der Schreiber wohl
bewufst, dafs gerade diese Art von poetischem Schaffen bei
Schubarth einen wenig erquicklichen und erfreulichen Anblick
bietet. Denn um den geistlichen und religiösen Gedichten Schu-
barths in einem billigen Urteil gerecht zu werden, mufs vor
allem die Wahrheit und Tiefe von des Dichters eigenstem reli-
giösen Denken und Empfinden geprüft werden, und Schubarth,
der nach D. F. Strauls als „Held des moralischen Katzen-
jammers"' am treffendsten charakterisiert ist, bietet hierfür durch
mehr als einen Ausspruch die deutlichsten Fingerzeige. Inwie-
weit an der moralischen Haltlosigkeit, und an der Oberflächlich-
keit gerade solcher Gefühle wie der religiösen, etwa auch seine
Erziehuuo- Schuld getragen haben möchte, läfst sich nur schwer
feststellen, wenn man nicht die frühzeitige Entfernung des Kna-
ben aus der Heimat hauptsächlich in Betracht ziehen will. Denn
so wenig wahr, d. h. in einer grofsen Selbsttäuschung befangen,
in seiner Selbstbiographie der Dichter gerade da ist, wo er von
seiner religiösen Bekehrung und Wandlung redet, ebenso ehr-
lich und unumwunden spricht er von der Zeit seiner Fehler und
seiner Irrungen, und wenn es auch einem gerechten Urteil wohl
zu bedenken ansteht, dafs diese Unwahrheit bei Schubarth viel
weniger eine natürliche als eine durch allbekannte Verhältnisse
und Personen aufgezwungene war, so läfst sich hierdurch doch
nicht der Gedanke aus dem Wege räiunen, dafs bei einem auch
L>8Ü Zur Cliivraktcristik von C. F. D. Schubarth.
nur einiffermaföen charakterfesten und gesinnungstüchtigen Mann
eine solche Schule der Leiden, wie sie Schubarth durchzumachen
hatte, gerade für das religiöse Denken und Empfinden einen
viel dauernderen und nachhaltigeren Einfluis hätte haben müssen.
Es ist ein nur ehrendes Zeugnis für den Sohn des Dichters,
wenn dieser in einem Nachtra"; zu seines Vaters Selbstbiogra-
phie sich bemüht, den Verstorbenen nach dieser Seite hin zu
rechtfertigen: „Es hat mich immer gewundert, dafs man den
Übergang vom Naturalismus zum Mysticismus bei einem Manne
so inkonsequent finden konnte, der schon in seinen frühesten
Schriften, z. B. seinen Todesgesängen, und sogar in den älteren
Jahrgänu^en seiner Chronik einen so entschiedenen Hano^ zum
Mystischen, zum Exaltierten und Übernatürlichen verriet. Man
denke sich nun diesen Mann, mitten aus den Strudeln eine«
dithyrambischen Lebens in eine tote, geschöpflose Einsamkeit
versetzt, wo er nichts als Trümmer der Vergangenheit vor sich
hat ; man reiche ihm im quälendsten Durste nach Thätigkeit die
heiligen Bücher, die Schriften eines Jakob Böhme, eines Hahn,
Otinger, Hollatz, man denke sich diese geistlichen Übungen bei
kärglicher Kost und hartem Lager mehrere Jahre fortgesetzt :
was ist natürlicher, als dafs ein solcher Mann seine Bahn ver-
lieren, alle vorhergehenden Überzeugungen verwerfen und sich
ganz einer Lehre hingeben wird, bei der die hervorstechendsten
Kräfte seiner Seele so viel Beschäftigung finden, die seinem
dichterischen Hange eine so weite Bahn öffnet, in der er end-
lich allein Beruhiguno^ und Trost im Tode zu finden hoflft."
Aber wir können aus dieser ganzen Rechtfertigung nur den
Hang zum Exaltierten, zum Überspringen von einem Extrem
ins andere gelten lassen, und müssen uns auch hier an Schu-
barths eigene Worte halten, da er bei Gelegenheit seiner An-
stellung in Ludwigsburg sich „nach seinen jetzigen Grundsätzen"
vornimmt, zwischen dem geistlichen und weltlichen Stand zu
balancieren, „damit mir der Übergang entweder zur Rechten
oder zur Linken gleich leicht bleibe". Wenn er in dem Zu-
sammenhang, in dem er dieses schreibt, zunächst auch nur an
die Wahl einer passenden Kleidung dachte, so ist der Schlufs
auf die Harmonie des äufseren Menschen mit dem inneren hier
doch ein durchaus richtiger und treffender. Denn hierfür darf
Zur Charakteristik von C. F. D. Schubarth. 287
sein Leben In Ludwigsburg als der schlagendste Beweis ange-
führt werden, und wenn im Anfang auch noch da und dort in
seinen Briefen ein frommer Entschlufs, eine religiöse Empfin-
dung sich oeltend macht, die freilich zugleich immer einem mehr
oder minder bewufsten Selbstbetrug gleichkam, so hatte das
dortige Leben den haltlosen Mann doch bald so ganz umgarnt,
dafs das Ende davon nur ein vollständiger Bankerott sein konnte,
üafs dieser in dem nunmehr auf den Ludwigsburger Aufenthalt
folgenden Wanderleben seinen ärgerlichen und anwidernden
Ausdruck in dem Entschlüsse Schubarths fand, um einer sor-
oenlosen Existenz willen, zunächst aber auch nur für seine
eigene Person, seinen Glauben durch den Übertritt zur katho-
lischen Kirche zu ändern, wirft, selbst wenn man Schubarth in
jedem seiner Worte, die den ganzen Vorgang in einer soviel
wie möfflich entschuldigenden Weise darzustellen bemüht sind,
Glauben schenken wollte, doch immerhin ein ganz eigentüm-
liches Licht auf seinen Charakter. Man braucht keineswegs
von vornherein mit einem Vorurteil an seine Beurteilung zu
gehen, um am Ende an der Redlichkeit seiner Schilderungen zu
zweifeln, und wenn man auch durchaus nicht gesonnen ist, den
Dichter und Schriftsteller um des Menschen willen zu ver-
urteilen, so kann man sich doch gerade bei dem Lesen der
geistlichen und religiösen Lieder eines peinlichen Gefühls, als
ob man einen gewandten Schauspieler in der Maske eines „em-
pfindenden Christen" vor sich hätte, nicht erwehren. Unbeschadet
der Ansicht Schubarths, dafs er wirklich Anlage zum geistlichen
Redner, und wie wir trotz allem hinzusetzen dürfen, auch geist-
lichen Dichter hatte, ist darum seine Selbstkritik, dafs er „ein
süfser Schwätzer gewesen sei, der zwar die Einbildungskraft
seiner Zuhörer zu erschüttern wufste, aber niemals bleibende
Überzeusuns: zurückliefs", eine nur zu treffende. Was aber seiner
Entwickeluug nach dieser Seite hin hemmend im Wege stand,
war nicht allein seine oberflächliche und exaltierte Natur, die
über dem Prunken und Glänzen mit Worten und gewaltigen
Phrasen die innere Wahrheit und den tief sittlichen Kern voll-
ständig hintansetzte, es war namentlich auch seine ihm gewifs
zur Ehre gereichende, aber eben hier auch nur äul'serlich auf
ihn einwirkende Begeisterung für Klopstock. Denn wenn es
•288 Zur Chaniktcristik von C, F. D. Schubarth.
ihm auch vermöge seiner natürlichen Formgewandtheit und
Leichtigkeit im poetischen Schaffen gelang, den Charakter der
Kiopstockschen Poesie mit Glück nachzuahmen, eo fehlte ihm
auf der anderen Seite doch wiederum die weise Mäfsigung und
das tief innen heraus quellende religiöse Denken und Empfin-
den, das eben Klopstock zum Dichter machte. Er verzerrte
dessen Poesie ins Ungeheuerliche, und während wir auch hinter
mancher Schwäche, hinter manchem gar zu auffällig nach Ori-
ginalität haschenden Gedanken und Satz bei Klopstock doch
immer noch den wackeren, sich der Redlichkeit seines Strebens
voUbewufsten und gesinnungstüchtigen Mann erblicken, sehen
wir uns dagegen bei Schubarth auch in dieser Beziehung auf
Schwankungen und Schwächen angewiesen, die nicht ohne Rück-
wirkung auf die Beurteilung seiner poetischen Produkte bleiben
konnten. Es steckte in Schubarth ganz gewifs ein Kern, wie
überhaupt zum echten volkstümlichen Dichter und Schriftsteller,
so auch zu einer erfolgreichen und fruchtbaren Thätiffkeit auf
dem Gebiete der religiösen Poesie; wenigstens darf von der
Natürlichkeit und Unmittelbarkeit seiner meisten lyrischen Ge-
dichte auf ein bei einigermafsen geübter Selbstbeherrschung und
Vertiefung gleichartiges Können nach dieser Seite hin geschlossen
werden; ja es finden sich unter seinen geistlichen Liedern einige,
die, in glücklicher Stunde entstanden, den schönsten Beweis für
des Dichters Begabung hierzu bieten. Aber diese sind eben
auch nur Ausnahmen, und nicht einmal als solche im stände,
das oben ausgesprochene Urteil zu alterieren. Denn wer auch
nicht einmal auf seinen Charakter und seine natürlichen Anlagen
eingehen wollte, müfste sich schon durch den einfachen und
thatsächlichen Vergleich der drei Perioden in Schubarths Leben,
der Zeit vor seiner Gefangenschaft, der Kerkerhaft, die zugleich
die religiöse Periode bei ihm bildet, und den Rest seines Lebens
hernach, zu einem gerade für diese mittlere Periode und ihre
Glaubwürdigkeit nicht durchaus günstigen Urteile veranlafnt
sehen. Es will ja damit keineswegs gesagt sein, dafs es dem
Manne im Augenblicke des Entstehens und Festhaltens von
solchen religiösen Gedanken und Empfindungen mit diesen nicht
durchaus ernst gewesen sei ; aber dieser Ernst verliert eben
sogleich seinen ganzen Wert, wenn man in Erwägung zieht,
Zur Charakteristik von C. F. D. Scbubarth. 289
(lafs derselbe auch nur durch die engen Schranken des Kerkers
zusammengehalten wurde und sich, sobald einmal diese gefallen
waren, auch sogleich wieder vollständig verflüchtigte. Schubarth
selbst mochte wohl am deutlichsten fühlen, dafs ihm gerade für
das echte religiöse Denken und Empfinden das Organ vollstän-
dig fehlte, allein wenn wir von beinem Sohne berichtet hören,
dafs einer der Hauptzüge in seines Vaters Charakter „Heife-
hunger nach Celebrität" gewesen sei, so liegt die Annahme
nicht fern, dafs Schubarth sich gerade zu denjenigen seiner
geistlichen Lieder, die ihre Entstehung der Gefangenschaft ver-
danken, durch den Gedanken habe veranlafst gesehen, dafs die
Welt und das Publikum, das besfreiflicherweise an der gänzlich
unmotivierten Haft des Dichters lebhaften Anteil nahm, auch
etwas von der Einwirkung derselben auf Schubarth erfahren
wollte. Wenn er sich dann in der Kundeebung einer solchen
zum tief zerknirschten Sünder und demütiu; aufrichtigen Christen
stempelte, so war dies ja nur im Sinne seines gnädigen Fürsten
und seiner hochgeborenen Gefängniswärter, mit denen Schubarth
in dieser Beziehung ebenso wie mit sich selbst eine unwürdige
Komödie spielte. Denn abstofsend ist die Beobachtung, dafs
Schubarth, der das eine Mal den fürstlichen Tyrannen mit Flü-
chen belud, der das ganze Rüstzeug seines Spottes und seiner
Satire, seines Grimmes und Wütens gegen seine Peiniger und
Hüter mit voller Wucht gebrauchte, doch nicht allein während
seiner Gefangenschaft, wo noch einigermafsen der Zwang ent-
schuldigen konnte, sondern auch nachher sich jederzeit zu den
niedrigsten Schmeicheleien dem Herzog gegenüber gebrauchen
liefs, und es ist nur natürlich, dafs er, der einmal um eines
lediglich materiellen Gewinnes willen in München hatte seine
Religion ändern wollen, nun auch zur Erlangung der Freiheit
die Maske der Religion und des Christen vorhielt, und später,
um sich ein sorgenloses Leben im Schutze fürstlicher Gnade
zu sichern, dieselbe als nutzlos nach erreichtem Zwecke ablegte,
um nun dagegen als zahmer, ergebener und schmeichelnder
Fürstendiener aufzutreten. Dies bei einem Mann wie Schubarth,
dem die Freiheit über alles ging, der selbst in seinen geist-
lichen Gedichten es aussprach: Nur Freiheit macht die Seele
weit, und Knechtschaft macht sie eng.
Archiv f. ii. Sprachen. LXXI. 19
290 Zur Charakteristik von C. F. ü. Schubarth.
Das verneinende und absprechende Urteil, das nach dem
obigen seinen geistlichen Liedern zukommt, darf teilweise ge-
mildert werden mit Beziehung auf die während des Aufent-
haltes in Geifslingen entstandenen „Totengesänge". Denn hier lag
wenigstens nicht die trockene Absichtlichkeit, das nackte Zweck-
bewufstsein so auffallend vor Augen wie in den später ent-
standenen geistlichen Gedichten. Die „Totengesänge", die ihr
Entstehen teilweise einer schweren Erkrankung des Dichters,
teilweise seiner amtlichen Thätigkeit in Geifslingen verdankten,
sind gerade durch den Hinweis auf bestimmte Gelegenheiten,
und demnach als Gelegenheitsgedichte im Goetheschen Sinn,
ungleich wahrer und aufrichtiger als die übrigen geistlichen
Gedichte. Freilich findet man bei ihnen Schubarths Bericht, nach
dem er sie mit seiner „gewöhnlichen leidigen Eilfertigkeit" ver-
fertigte, vollständig bestätigt. Wenn er seinem Leser die Be-
obachtung mitteilt, „dafs es nicht so leicht sei, ein geistliches
Lied zu machen, selbst die wenigen Muster, die wir haben, be-
zeugen es, Luther und Klopstock (von dem er freilich ein
andermal sagt, dafs seine geistlichen Lieder kaum mittelmafeig
sind) haben kaum ein paar Nachfolger gefunden", wenn er
daraus für sich selbst die Nutzanwendung zieht, dafs seinen
Todesgesängen zwei Eigenschaften fehlen, Einfalt und Salbung,
so ist es bei ihm merkwürdig, dafs er nach Aussjjrüchen bei
andei'er Gelegenheit wohl die Ansprüche an die geistliche und
religiöse Poesie kennt, aber nicht im stände ist, denselben in
seinem Dichten zu entsprechen. So einmal, wenn er dunkel
den Unterschied empfindet zwischen Salbung und Naturkraft,
zwischen dem eiutältigen Gebet des Christen und den Figuren
und Tropen des Redners und Dichters, und ein andermal in
geradezu auffallender Weise, wenn er seinen geistlichen Ge-
dichten als jNIotto einen Ausspruch Otingers voransetzt: „Die
Galanterie breitet sich sogar auch in die Lieder aus. Es ist
aber besser, in heiligen Sachen zu wenig als zu viel zu reden,
besser trocken als ausschweifend sein ; es hat zwar seinen
Nutzen, das Christentum durch Lieder angenehm zu machen,
aber ihr Schmuck mufs sein: Kürze, Reinigkeit der Lehre,
Geisteskraft, Einfalt." Freilich weifs Schubarth nicht
allein von seinen ToJesgesängen zu berichten, dafs sie, obgleich
Zur Charakteristik von C. F. D. Scbubarth. 291
in brausender Jugend niedergeschrieben, so dafs „die frommen
Empfindungen, die sanften himmelahnenden Christengefühle
unter einer Lava poetischer Floskeln nicht selten erstickten",
nicht ohne Erfolg und Segen geblieben seien, auch von seinen
übrigen geistlichen Gedichten vernehmen wir, dafs sie teilweise
zur süfsesten Belohnung des Dichters in unsere neueren Ge-
sangbücher aufgenommen wurden, während andere dem „ortho-
doxen Alt-Chrieten noch täglich Erbauung und Seelenkraft ge-
währen".
Es ist nicht zu leugnen, dafs manchem der geistlichen Ge-
dichte von Schubarth ein echt poetischer Gedanke zu Grunde
liegt, und ebenso, dafs der Dichter oft einen erfreuenden und
erquickenden Ansatz zur poetischen Ausführung desselben
nimmt. Allein ihm fehlt die Strenge gegen sich selbst, der
scharfe Blick für die Grenze eines solchen Gedankens, die Ab-
rundung nach innen und aufsen, eine Schwäche, die sich eben
immer wieder auf den Mangel an einem fruchtbaren Boden für
die Entvvickelung eines solchen Gedankens in der Seele des
Dichters zurückführen läfst. Es sind eben nur plötzliche Ge-
danken, die aber der Dichter hartnäckig festhält und so lange
ausspinnt, ausdehnt und ausnützt, bis auch der letzte Funke
von Poesie verflogen, bis die nackte Prosa hervorsieht und das
Ganze in einem unleidlichen doktrinären und rationalistischen
Tone ausklingt. Einer der besten Beleg-e hierfür ist das Ge-
dicht „Die Christnacht", das einem gewifs tief und durch und
durch poetischen Gedanken Gewalt anthut, und denselben, der
in kurzer gedrängter epigrammatischer ^Veise seinen schönsten
und ergreifendsten Ausdruck finden könnte, in geradezu wehe-
thuender Weise ins Breite schlägt. Es könnte unter Schubarths
geistlichen Gedichten eine ganze Reihe genannt werden, denen
das geistliche Gewand nur übel steht, deren Gedanken und
Stimmungen in einem weltlichen Kleide einen behaglicheren,
harmonischeren und wahreren Ausdruck fänden als in der
Zwangsjacke des geistlichen Büfsers und zerknirschten reumüti-
gen Gefangenen. Daher auch gar manchesmal die nackteste
Prosa, wo der Dichter „im Forellenbache Gott sieht", oder wo
er bekennt, dafs „zu Gefühlen der Schönheit und Gröfse" sein
Herz immer geöfi^'net gewesen sei, daher ein aligeschmacktes Bild:
'292 Zur Charakteristik von C. F. D. Sclmbarth.
Wie der geritzten Birke Saft
Flossen unsere Thränen auf Waldgras
Und tnänklcn den lechzenden Erdsclnvanim,
oder „ßiederaiut und Christenkraft sei der Deutschen Eigen-
schaft". Daher ferner, um von diesen Stellen, die sich noch
um ein Erkleckliches vermehren liefsen, zu schweigen, so
manche abstofsende Hyperbel, dafs einem nach des Dichters
eigenem Ausdruck „jede Nerve dröhnt", und daher ganze Ge-
dichte, die in Anlage und Ausführung nur Prosa sind. Einige
finden sich wohl auch, in denen er nicht Dichter sein will, son-
dern ist, und diese lassen wenigstens auf Augenblicke ver-
gessen, aus welch trüber Quelle sie geflossen sind, während
andere wieder, sei es nun, dafs sie den erhabenen Schwung
eines Klopstock oder die kindliche Naivetät eines Claudius nach-
zuahmen bemüht sind, in tönenden Phrasen und gesuchten
AVendungen das Fehlen der echt poetischen treibenden Kraft
zu verdecken suchen. Es kann und will nicht die Aufgabe
dieser Zeilen sein, den Ruhm Schubarths, den er zudem nach
allgemeiner Anerkennuno- weit mehr seinem wechselreichen
Leben als seinem schriftstellerischen Wirken verdankte, zu
schmälern, als einer der am meisten charakteristischen V^ertreter
der Sturm- und Drangperiode bleibt er immer interessant, und
gerade auf der Seite seines poetischen Schaffens, mit der sich
diese Zeilen beschäftigten, lehrreich. Als Dichter durch fürst-
liche Willkür und, wenn man so sagen darf, pädagogische
Wut, ein Exempel zu statuieren, auf falsche Bahnen gelenkt,
als Mensch von innen heraus haltlos und schwankend, „ein
Augenblicksmensch" in des Wortes vollstem Sinn, bietet er
dem Auge nur wenige lichte Stellen in dem Bilde seines
Lebens und dem Urteil die Bestätigung des Goetheschen
Satzes, dafs dem, der sich nicht zu zähmen weifs, sein Leben
wie sein Dichten ins trostlose Nichts zerrinnt.
Stuttgart. Th. Ebner.
über eine Stelle in Goethes Iphigenie.
In Goethes Iphigenie empfängt bekanntlich Iphigenie den
ans einem Rachezuge für den gefallenen letzten Sohn siegreich
zurückkehrenden König mit dem schönen Segenswunsch:
Mit königh'chen Gütern segne dich
Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm
Und Reichtum und das Wohl der Deinigen
Und jedes frommen Wunsches Fülle dir!
Dafs, der du über viele sorgend herrschest.
Du auch vor vielen seltnes Glück geniefsest.
Darauf erwidert Thoas:
Zufrieden war ich, wenn mein Volk mich rühmte:
Was ich erwarb, geniefsen andre mehr
Als ich. Der ist am glücklichsten, er sei
Ein König oder ein Geringer, dem
In seinem Hause Wohl bereitet ist.
Bisher hat, soviel ich weifs, niemand in dieser Erwiderung
eine Schwierigkeit gefunden. Das Kolon nach dem ersten Satze
sollte offenbar anzeigen, dafs der folgende Satz den Inhalt des
Kuhmes enthielt, dafs man also von dem König sagen könnte,
den gewonnenen Reichtum lasse er anderen mehr zu teil werden
als dafs er ihn selbst geniefse.
Dao-e'>en hat im Aprilheft der Berliner Zeitschrift für das
Gynmasialwesen vom Jahre 1879 Herr Direktor Franz Kern,
damals in Stettin, jetzt in Berlin, nachzuweisen gesucht, dafs
204 Über eine Stolle in Goethes Iphigenie.
in dem Text aller Ausgaben sich ein Interpunktionsfehler nach
dem Worte „rühmte" befinde. Es müsse dort nicht ein Kolon
oder ein Komma stehen, sondern ein Fragezeichen, also :
Zufrieden war ich, wenn mein Volk mich rühmte?
Was ich erwarb, geniefsen andre mehr
Als ich, u. s. w.
Denn bei der bisherigen Interpunktion, meint Herr Kern, leiden
diese Verse an einer sehr bedenklichen, ja geradezu unerträg-
lichen Unklarheit. Man erwarte in der Erwiderung des Thoas
folgenden Gedankengang: „Was soll mir Sieg und Keichtum?
Dauernde persönliche Befriedigung finde ich in ihnen nicht.
Dem Könige wie dem Geringsten ist friedliches Glück im Hause
das Höchste." Und diesen Gedankengang erhalte man durch
die oben erwähnte Änderung der Interpunktion.
Herr Kern zieht zur Unterstützung seiner Auffassung den
Text der ursprünglichen prosaischen Bearbeitung herbei, welcher
60 lautet:
„Iphigenie. Diana segne dich mit königlichen Gütern,
mit Sieg und Ruhm und Reichtum und dem Wohl der Deinen,
dafs, der du unter vielen gnädig und freundlich bist, du auch
vor vielen glücklich und herrlich seist.
Thoas. Der Ruhm der Menschen hat enge Grenzen, und
den Reichtum geniefst oft der Besitzer nicht. Der hat's am
besten, König oder Geringer, dem es zu Hause wohl geht."
In diesen beiden Bearbeitungen findet dann Herr Kern
zunächst den Unterschied, dafs die prosaische Fassung schon
im ersten Satze den Grund andeutet, warum der Ruhm keine
letzte Befriedigung gewähren könne, die poetische dagegen in
der Form der uu willigen Frage den Ruhm als ein letztes
Ziel des Strebens ablehnt, ohne sich, wie es scheint, auf eine
Begründung für diese Ablehnung einzulassen. Ein weiterer
wichtiger Unterschied bestehe in dem Verhältnis der beiden in
Betracht kommenden Sätze zu einander. In der prosaischen
Bearbeitung seien beide koordiniert, so dafs in dem ersten der
Ruhm, in dem zweiten der Reichtum als letzte Ziele des mensch-
Übei" eine Stelle in Goethes Iphigenie. 295
liehen Strebens abgewiesen würden. In der poetischen Fassung
der Stelle dagegen sei logisch der zweite Satz dem ersten als
seine Begründung untergeordnet und die Begriffe „rühmen" und
„erwerben" seien in weiterer Bedeutung zu nehmen als in der
prosaischen „Ruhm" und „Reichtum". Der Sinn sei also: „Ich
persönlich kann in meinen Erfolgen nicht die Befriedigung finden
wie andere; denn den Genufs derselben verkümmert mir mein
heifser Herzenswunsch nach häuslichem Glück und, was damit
zusammenhängt, die Sorge um die Fortdauer der Liebe meines
Volkes." Das Verhältnis der beiden Sätze so aufzufassen,
meint er dann, gebiete die verschiedene Form der Sätze, be-
sonders aber die asyndetische Anfügung des zweiten an den
ersten.
Wenn in der That die betreffende Stelle nicht genügend
klar ist, so scheint doch das vorgeschlagene Heilmittel schlim-
mer zu sein als jener vorausgesetzte Mangel an Klarheit. Der
König, der von der Priesterin mit einem so schönen, so ganz
der Sachlage angemessenen Segenswunsch empfangen wird, soü
diesen Segenswunsch in der Form einer unwilligen Frage ab-
w'eisen? Wann gebraucht man denn diese Form? Doch wohl
nur dann, wenn man durch die Aufserung eines anderen gereizt
ist, wie z. B. Avenn Thoas im Verlauf der Unterredung, die für
seinen Herzenswunsch eine so ungünstige Wendung nimmt, auf
die Bemerkung der Iphigenie, dafs die Götter nur durch unser
Herz zu uns reden, zuerst erwidert: „Und hab Ich sie zu
hören nicht das Recht?" und dann auf ihre Entgegnung: „Es
überbraust der Sturm die zarte Stimme" höhnend fragt: „Die
Priesterin vernimmt sie wohl allein?" — Aber hier, wo Iphi-
genie wünscht, die Göttin möge ihn mit königlichen Gütern
segnen, mit Sieg und Ruhm und Reichtum und dem Wohl
der S e i n i g e n und ihm jeden frommen Wunsch er-
füllen, damit er, wie er über viele segnend herrsche, auch
vor vielen seltenes Glück geniefse: wie kann er da den
so schönen, alles Wünschenswerte enthaltenden Segenswunsch
in der Form einer vmwilligen Frage ablehnen? „Glaubst du
aber," läfst Herr Kern ihn erklärend sprechen, „ich wäre zu-
frieden, ich hätte meines Wunsches Ziel erreicht, wenn meine
Thaten und ihre Erfolge vom Volke gerühmt werden? Von
29(i Über eine Stelle in Goethes Iphigcnie.
allem, was ich errungen, haben ja andere mehr Gcniifs als Ich
selber."
Diese Erwiderung würde vielleicht passen, wenn, Iphigenie
in ihrer Begrüfsung gesagt hätte: „O König, jetzt hast du
Grund, zufrieden zu sein. Du hast durch den Sieg über die
Feinde deinen Sohn gerächt, durch die Zerstörung ihres Reiches
deine Herrschaft erweitert, deinen Reichtum vermehrt. Wie
glücklich darfst du dich doch schätzen!"
Herr Kern legt einen Wert auf solche Auffassung der be-
treffenden Stelle, dafs der zweite Satz dem ersten logisch sich
unterordnet. Er drückt dies in seiner Umschreibung durch das
eingeschobene „ja" aus, das gern einen bekannten oder ohne
weiteres zugestandenen Grund bezeichnet. Ist nun wirklich in
jener Erklärung die logische Verbindung eine natürliche? Müfste
der Grund nicht ganz anders lauten? etwa so: „Ich sollte zu-
frieden sein, wenn mein Volk mich rühmte? Ich verlange nach
dem Ruhme der ganzen Welt." Oder dem angeführten Grund
hätte ein anderer Hauptsatz vorangehen müssen, etwa: „Ich
sollte zufrieden sein durch meinen neuen Erwerb?" — Aber
der Ruhm einerseits und der Umstand, dafs andere mehr als
der Besitzer den Reichtum oder alle Erwerbungen
geniefsen, haben logisch, scheint es mir, nichts miteinander
zu thun.
Wenn demnach das vorgeschlagene Heilmittel nicht an-
nehmbar erscheint, wie ist denn die Stelle zu verstehen? Ich
halte das Kolon nach dem ersten Satze für vollkommen richtig
hier sowohl als an allen Stellen, wo es in diesem Stücke vor-
kommt. Die Interpunktion ist in der Ausgabe letzter Hand
sehr genau und nach bestimmten Grundsätzen durchgeführt.
Sie stimmt übrigens mit der in der zweiten Einzelausgabe vom
Jahre 1790 (Leipzig, Göschen), soviel ich sehe, genau über-
ein. Das Kolon zeigt immer eine innige logische Verbindung
zwischen den Sätzen an, die es trennt. Entweder ist der zweite
Satz begründend, oder er hebt eine Folge des ersten bedeutend
hervor und trennt deshalb bisweilen Vordersatz und Nachsatz,
oder endlich er oriebt den Inhalt eines voraufgehenden Verbalsub-
stantivs oder Verbums an (z. B. Apoll gab uns das Wort: „im
Heiligtum der Schwester Sei Trost und Hilf und Rückkehr dir
über eine Stelle in Goctlies Iphigenie. ' 297
bereitet" oder: „So bleibe denn mein Wort: Sei Prlestcrin der
Göttin, wie sie dich erkoren hat). Den letzten Fall haben wir
an unserer Stelle. Der zweite Satz ist der Inhalt des Verbums
„rühmte". Der König will sagen: Kuhm im gewöhnlichen Sinn
reizt mich nicht, ebensowenig wie mich der erworbene Reich-
tum selbst beglückt. Ich wäre schon zufrieden, wenn mein
Volk nur das von mir rühmend sagte: was ich erwarb, davon
haben andere mehr Genufs als ich selbst. Das Glück aber, das
du mir wünschest, kann ich allein in meinem Hause finden,
wenn dies aufhört ein verödetes zu sein."
Dafs diese Abhängigkeit des zweiten Satzes von dem ersten
nicht durch eine sprachliche Form ausgedrückt ist, das Uifst
allerdings das riclitige Verständnis nicht sofort zweifellos er-
scheinen. Da in unserer heutigen Sprache die frühere Unter-
scheidung des Indikativs des Präsens von dem Konjunktiv
in der dritten Person der Mehrheit (mit einziger Ausnahme
von: sie sind, sie seien) gänzlich verschwunden ist, so ist die
Abhängigkeit in solchem Falle (formeller Hauptsatz, logischer
Nebensatz) nur dann auszudrücken, wenn man dafür den Kon-
junktiv des einfachen Präteritums wählt. Aber man begreift,
dafs der Dichter nicht wohl sagen mochte: „Zufrieden war ich,
wenn mein Volk mich rühmte: Was ich erwarb, genössen
andre mehr Als ich." So blieb ihm denn nur übrig, das Ver-
hältnis durch sein Kolon anzudeuten.
In diesem Sinne habe ich die Stelle stets aufgefafst, so-
weit ich mich erinnern kann, und daher nie eine Unklarheit in
ihr gefunden. Und ich freue mich, in der von Prof. Denzel
in Stuttgart besorgten Schulausgabe (Cotta, 1872), wo an die
Stelle des Kolon ein Komma getreten ist, dieselbe Auffassung
wiederzufinden. Es heifst da in einer Anmerkung zu dem
Worte „geniefsen": Konjunktiv, abhängig von rühmte, s. v. a.
rühmte, dafs andere mehr geniefsen.
Dafs in dieser Auffassung auch nicht der Umstand irre
machen kann, dafs die prosaische Fassung einen anderen Ge-
dankenzusammenhang aufweist, hat Herr Kern selbst erwähnt,
und wer beide Bearbeitungen miteinander vergleicht, findet
zahlreiche Beispiele, wo die ursprüngliche Fassung, abgesehen
298 Über eine Stelle in Goethes Iphigcnie.
von der poetischen Form, eine Veredlung erfahren hat. Zu
solchen Veredlungen gehört offenbar der Segenswunsch in der
poetischen Form.
Somit wird also die Überlieferung diesmal unangetastet
bleiben dürfen.
Wismar. Fried r. Theodor Nölting.
Ein Reformationsschauspiel
im Jahre 1540 in Paris aufgeführt.
Aus einem in der Zwickauer Ratsschulbibliotbek befindlichen handschriftlichen
Berichte mitgeteilt von
Dr. phil. Georg Buchwald.
Ein Summa eines sehr artlichen vnd wolgemeinten
Spiels, so zw paries inn Franckreich au ff offenem
platz inn französischer sprach ynn diesem Jar
1540 gehalten ist,
Es seindt vff offenem platz acht gezelt mit^ grosen vn-
kosten sehr herrlich vnd königlich zugericht gewesen
Das erst mitt des ßapsts namen vnd wapen,
Das ander Römischer kaiserlicher Maiestat.
Das dritte des konigs von Franckreich.
Das vierde des konigs von Portugall.
Das fünffte des konigs aus Schotten,
Das Sechste des konigs aus Dennenmarckt,
Das Siebende des konigs von Engellandt,
Das Achte was etwas weytt von den andern gelegen,
war Romischer königlicher Maiestat.
Als nun eine grose meng volcks vorhanden, vnd jedermann
mitt sondern! verlangen daraufF wartet, was es wolt werden, da
trat erstlich ein schone Junckfraw herfür, inn einem ganz weissen
kleide, derselben gingen neun ehrlicher tapffer alter menner, als
Ihre Rethe nach. Die Junckfraw füret den titel an Ihrem
kleide, sie wer die Christliche kirche, hub an erstlich zu seufF-
zen vnd inniglich gen himel auffzusehen, schrihe vnd klaget,
das leider niemand wehr auff erdenn, der sich Ihr annehmen,
hülff vnd beistand in ihrem grosen leidt vnd jammer thun wolte,
dieweil denn wieder hülff nach trost von jeniandt zu hoffen sey,
müsse sie sar zu noden gehen. Solche klaji; war so schendtlich
vnd tapffer gestellet, das es einen stem weychen vnd jammern
hett mugen.
Weil sie nun also klaget, scufFzet vnd weynct, traten die
neun alter menner zu ihr, trösten sie, sie wolt doch nach nicht
verzagen, Denn es wehren nach viel grosser herren auff erden.
300 Ein Reformatlonsschauspicl 1510 In Paris aufgeführt,
bcy welchen sie schütz, oder doch zum wenigsten einen guttcn
willen vnd vnterschleif finden werde, pot hab sie nicht gar ver-
lassen. Derhalben sol sie itzt auch nicht verzagen vnd ihrem
Kadt folgen.
Die Christliche kirch niembt solchen trost an, vnd fragt,
wo sie denn meynen, da sie vmb hülfF bewerben vnd ansuchen
sol. Denn sie bifsher viel hundert Jliar wenig hülff vnd tropt
bey den leuten gespürt, sondern von ihnen, ye grossers Standes
sie gewesen, jhe mehr zuplagt vnd gemartert sey.
Die alten antwortten: Es sey da inn nehe der allerheili-
giste vater, der Bapst, bey dem sol sie anhalten, Dann, weil er
alle ehre, gewalt vnd hochheit von ihr, der Christlichen kirchen
habe, werde sie ohne zweifFel guten willen, auch redligen bei-
standt bey ihme finden.
Die bekümmerte Junckfraw folget ihrem Rathe, gehet sampt
einn hin, vnd klopffet an des Bapsts gezelt an, aber da wäre
niemandt, der da wolt aufFthuen, sie klopffet wieder vnd aber
wieder. Nach einer guten vveyl thut man ihr gleich mitt vnwillen
auff, vnd lest sie hinein für den allerheiligisten vater, den Bapst.
Nun w^ahren aber die gezellth künstlich gemacht, das, wo man
eins aufFmacht, jederman auff allen seyten künden sehen, was
man darinnen handelt, Da sas der Bapst inn seiner herrligkeit,
vnd hatte inn der rechten handt ein Schneiders schere vnd inn
der lincken handt ein purpur vnd schnit Cardinal huetlein. AU
nun die Christlich kirch sich inn aller demuth für ime gebeuget,
vnd auff die knie gefallen, ihr noth, mangel, kummer, vnd herzen
leydt, nach aller notturfft, mitt einer sehr schönen rede im fur-
gelegt, vnd ihn vmb hülff, schütz vnd beystandt gebetten hett,
antwortet ihr der aller heiligist vater mitt wenig vnd vnfreundt-
lichen wortten, sie sehe wol, das er itzt nicht müssig wehre,
vnd mitt andern geschafften beladen sey, die ihme mehr gelds
tragen, vnd der er besser geniesscn kunne. Derhalben müge
sie ann andere orth gehen, er wolle ihr nicht helffen. Die
Christliche kirch, so sie ein solche antwort horete, gehet sie
traurig vnd elend darvon, klaget got ihr leidt, das der, so ducli
alle wirde vnd gewalt von ihr haoe, sich ihr so gar nicht wil
annehmen, fragt ihre Rethe, wie sie der sache weitter thun sol.
Da sey alle hoffnung aus, wie sie dann aus erfarung langer zeyt
her, erstlich nicht sunder gute hoffnung zur Sachen gehabt habe,
die Rethe antwortten, sie sol es auch mit der Römischer kayser-
licher Maiestat versuchen. Sie volget, gehet hin vnd klopffet
an, man thut ihr auff. Da findet sie Römische kayserliche
Maiestat sitzen vnd ein paternoster inn der handt haben, vnd
zwen pfaffen neben ihm stehen, als sie nun da gleich wie vor
dem Bapst ihre noth anzeiget, vnd demütiglich vmb hülff an-
Ein Reformationsschauspiel 1540 in Paris aufgeführt. 301
suchet, winket ihr der Kaiser mitt der handt, sie sol abtreten,
er müsse itzundt des gebets auswartten. Die Christlich kirch
gehet weitter, vnd aus gut bedüncken ihrer Kethe klopfFet sie
ann das dritte gezelhh, ann des konigs von Franckreich, wie
mau nuhn aufFthuet, liegt der konig bett rieg, vnd stehet aufF
einer seitten ein Doctor raitt einem harnglas vnd auff der andern
seytten ein Balbirer, der macht pfiaster. Da nun die Junckfraw
vmb hülfF bittet, antwort ihr der konig, sie sehe, er hab mitt
seinem eigen leib zu schaffen, er könne nicht einem andern helffen
vnd sich darneben verkürtzen.
Da gehet die Junckfraw weitter inn das verdt gezelth, des
konigs von Portugal, den fiendt sie sietzen, vnd eine grose
anzal der seck gerings vmb ihm her, mitt pfeffer, zimmet,
negel, Muskaten, goldt vnd geldt. Als sie nun gleicher weis
vmb hiilff ansucht, antwort ihr der konig, er sey jetztmals mitt
viel geschafften beladen, derhalben wolle es sich nicht leiden,
nach grose geschafft an sich zu nehmen, vnd sich damit zu
beschweren, sie sol anders woh gehen, zu denen, so der musen
haben, vnd zur sachen tueglich sein.
Die Junckfraw gehet fordt, vnd kompt in das gezelth des
konigs von Schotten, da findet sie zwen alter greysen, die
wiegten ein kindt, da sie nun merckt, das der konig nach ein
kindt wehr, kondte sie sich nichts vertrösten, vnd fort an, vnd
kam inn das gezeltt des konigs von Dennenmarckt. Nun helt
sie zwischen solchen allewege ihr klagrede, hilt Radt mitt den
altten, welchs also auff das artligst vnd best gestellet war, aber
vmb kurtz willen wirdt es hie vnterlassen. Als sie nun hinein
kam, fandt sie zwen alter ehrlicher menner ann einem tisch
sitzen, vnd die krohn vnd den Scepter auff dem tiesch liegen,
da fragt sie, wo der konig wehr? sie wustens nicht, ob er noch
im leben wehr, oder gefangen wehr, also must die elende Jungk-
fraw weitter.
Da gehet sie aus Radt der alten, zum gezelth des konigs
von Engellandt, als man yhr nun auffthet, siebet sie den konig
inn einem bett liegen, vnd zwey weiber neben ihm, zu einer
jeden seitten eine. Da entsetzt sie sich, vnd wie es einer
junckfrauen wol anstehet, errötet sie sich vor solcher vnzucht,
schlecht das gezellt zu, vnd gehet darvon.
Wie sie nun nirgendt einige hulff odder Radt findet, hebt
sie auff ein neues an zu weinen vnd klagen, das sie so gar
verlassen, vnd ane hulff so jemerlich verderben mus, vnd machts
so kleglich, das auch die alten schier anheben zu verzagen mitt
ihr. Doch nach langen klagen vnd beradtschlngen trösten sie
die Reth wieder. Es sey noch ein konig, welchs name ihnen
vnbekandt sey, sie solle es mitt demselben auch versuchen, wer
302 Ein K(forni;itionsschausp!el 1540 in Paris aufgoflihrt.
vveys, gott uiöcht radt schaffen. Wie sie also redeten, hören
sie ein stimme, er heyfs Ferdinandus, der der Christlichen
kirchen wurde hulffe thuen. Da sehen sie sich vmb, vnd sehen
von lerne ein gezehlt auff(»^eschlagen, wie es aber dem abendt
zu nahet, meinet die Jungkfraw, es würde sicii nicht leiden, so
spat ihm zu vberlauffen, aber die Reth sagten. Ein kleiner Ver-
zug thu offt inn einer Sachen einen grosen schaden, beredens
also, das sie sich auff macht vnd hin gehet. Als sie nun hin-
ein kompt, findet sie Römische königliche Maiestat inn einem
ganzen kurafs stehen, sich an eynem tiesch leyhnen, vnd be-
dencken. Da hebt die Junckfraw an ilir Sachen nach notturfit
furzubringen, vnd bittet vmb hülff; weil doch sonst niemandt
sey, der ihr woU helffen. Der konig antwortt. Er wolle es von
hertzen gerne thuen, er sey auch schon im werck, allein wolle
es ein mangel haben an dem, das man für allen diengen zu
kriegen geldt niufs haben. Die Junckfraw erzelt viel nachein-
ander, vnnd vntter andern auch den kayser, der gantze inseln
mit geldt innen hab, das er furstrecken, vnd getrewlich mitt
gelde helffen werde. Wie sie nun freundlich mitt einander
vnterreden vnd radtschlagen, wie man kundte geldt machen,
hören sie von ferne ein grofse posaune, pfeiffen vnd singen,
vnd sehen, das der kayser mitt seinen Rethen heraus gehet,
inn des Bapsts gezellt, niempt den ßapst bey der handt, vnd
nöttet ihn, er sol mitt ihm tanzen, vnd zurtanzt den allerheili-
gisten vater, also, das er genn der erden sincket, als Avolte er
sterben, desgleichen thut er mitt Franckreich vnd Portugall auch.
Seine Reth aber vermanen ihn, er wolle mitt den Venedigern
auch tanzen. Aber die Venediger fielen ihm zu fuessen vnd
baten in, er wolde doch ihres alters verschonen, sie wolten sunst
gerne thun, was sie kundten vnd solten.
Nach demselben vermanen ihn die Retlie wieder, er wolle
aber doch mitt dem konis; Ferdinando vnd mitt dem vom Engel-
landt tanzen. Aber er antwortt, er wolle nicht mitt Ferdinando
tanzen, er muste einen haben, der im die hochzeit vorleg, vnd
(\en singern vnd pfeiffern lohne. Das versehe er sich, werde
der konig von Ensrellaudt gerne thun.
Also hat dises spiel ein endt genohmen, inn welchem man-
cherley schöner spruch, auch viel tapffers vnd nötig bedencken,
so zu diesen leuftten sich reumet, von der Christlichen kirchen
ist furbracht worden. Doch seindt ihrer funff aus denen, so
solch spiel haben angericht, inn das Wasser, Sena genannt,
geworfien vnd ertrencket worden.
Die Wortstellung
im altfranzösisehen direkten Fragesatze.
(Schlufs.)
n. Stellung der einzelnen Satzglieder im
altfranzösischen Fragesätze.
§12. Stellung des Subjekts
a) in Bestätigungsfragen.
Trotzdem das Französische mit den übrigen romanischen Sprachen
das der Fragestellung zu Grunde liegende Princip gemein bat, weist es doch
eine ganz eigenartige Entwickelung desselben auf. Der heutige Sprach-
gebrauch gestattet in Bestätigungsfragen dem Subjekt nur noch in der
Form des tonlosen Personalpronomens hinter das Verb zu treten; ist
das Subjekt ein Substantivum oder ein anderes Pronomen als das ton-
lose persönliche, so bedient sich die Sprache entweder der fast mit einer
Fragepartikel gleichAverligen Umschreibung durch est-ce que (est-ce qiie
nion pere est venu?), oder sie nimmt ihre Zuflucht zu einer Anakoluthie
(^)Hon pere est-il venu ?), die dann nicht zu rechtfertigender Weise auch
in Bestimmungsfragen zur Anwendung kam, in denen im übrigen auch
Inversion eines substantivischen Subjekts bis zu einem gewissen Grade
noch gestattet ist (cf. § 12 b). Aber auch die Inversion des tonlosen
Personalpronomens verliert mehr und mehr an Boden. Unbedenklich
bedient man sich derselben nur noch in der zweiten und dritten Person ;
einem aime-je? dors-je? etc. geht man indessen durch est-ce que fahne,
est-ce que je clors aus dem Wege, auch sagt man est-ce que nous avonsß
lieber als avons-nous f Erträglich findet man die Inversion von je noch
bei einigen sehr gebräuchlichen Verben, so ist dois-je? suis-je? vois-je?
dis-je? fais-jef nicht gegen den guten Sprachgebrauch. Die volkstüm-
liche Redeweise besitzt indes schon heule ein Mittel, auch die Inversion
304 Die Wortstellung iin altfranzüsischen direkten Fraj^esatze.
des tonlosen Personalpronomens erster und zweiter Person zu ver-
meiden, ohne sich der umständlichen Umschreibung mit est-ce que be-
dienen zu müssen: statt aime-je sagt das Volk: fahne-ti. Über den
Ursprung und die Anwendung dieser P'ragepartikel vergl. den lehr-
i-eichen Aufsatz von Gaston Paris, Romania VI, 438 — 442 (27, sifjne
d'interrogatwn). Das Eindringen derselben in die Schriftsprache ist
nach der Meinung des genannten Gelehrten nur eine Frage der Zeit.
Dafs das Subjekt in der altfranzösischen Bestätigungsfrage noch
regelmiifsig hinter das Verbum trat, ist schon oft gelehrt worden, so
von Diez III, 318, Mätzner Synt. § 491, Le Coultre p. 25, Krüger
p. 41, Morf p. 217, Schlickum p. 8, Völcker p. 17, Ehering, Zeitschr.
V, 351, Marx, Frz. Studien I, 344.
Die Erwägung, dafs die Inversion, falls die Sprache von der ihr
zustehenden Freiheit, ein personalpronominales Subjekt unausgesprochen
zu lassen, Gebrauch machte, nicht erkennbar war, veranlafste Morf
p. 204 zu der irrigen Vermutung, das Altfranzösische biete von Be-
stätigungsfragen mit nicht ausgesetztem Subjekt kein Beispiel. Tobler
hat in der Recension der Morfschen Arbeit (Zts. III, 144) gezeigt, dal's
diese Vermutung nicht zutrifft, der Frageton vielmehr vollkommen aus-
reicht, um die richtige Auffassung zu bewirken. Allerdings läfst sich
eine gewisse Vorliebe für Aussetzung des personalpronominalen Sub-
jekts nicht verkennen.*
Neben der einfachen Inversion eines substantivischen Subjekts be-
gegnet schon in der alten Sprache die in der neueren zur Regel ge-
wordene Anakoluthie, vermöge deren das Subjekt dem P'ragesatze in
absoluter Weise vorantritt, um dann innerhalb desselben hinter dem
Verbum durch das ihm zukommende Personalpronomen wieder aufge-
* Folgende Zahlen scheinen geeignet, dies zu beweisen: Von den
.S'2 Bestiitigungsfragen des Mystere d'Adam zeigen ein ausgesetztes personal-
pionominales Subjekt 23, während sich im asserierenden Hauptsätze nur
27 Prozent so geartete Beispiele finden. Die Zahl der letzteren beträgt hei
Crestien im asserierenden Hauptsatze ungefähr 50 Proz., von den 20 Be-
stätigungsfragen des Ch. Lyon fehlt ein pronominales Subjekt nur bei einer.
Elienso wie Crestien verhält sich im Hauptsatze Butebeuf im Miracle de
Theophile (Th. fr. 139 — 156), wohingegen 11 Bestätigungsfragen alle ein
personalprouoniinales Subjekt aufweisen. Auch Adan de la Halle schlief^it
sich in Bezug auf den asserierenden Hauptsatz den beiden genannten Dichtern
an, während die Zahl der Bestätigungsfragen mit ausgesetztem Subjekt
88 Proz. bei ihm beträgt. Im Jeu de Nicolas (Th. fr. 162— 207) niachen
letztere 85 Proz. aus im (legensatz zu nur 37,5 Proz. des asserierenden
Hauptsatzes. Die L. Rois lassen in letzterem das Subjekt unausgesprochen
in 78 Proz., in der Bestätigungsfrage in 44 Proz.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 305
nomnien zu werden. Schon aus dem Rolandsliede citiert Morf p. 217
Ch. Rol. 643: Uaveirs Carlun est il apareülez? Le Coultre stellt das
Vorkommen dieser Konstruktion für den Ch. Lyon mit Unrecht in
Abrede, vergl. Ch. Lyon 6005: Et la harne don ne rest ele tote aperte?
Doch trifft Krügers Bemerkung, dafs sie erst gegen Ende des 13. Jahrh.
häufiger erscheine (Krüger p, 42), zu. Einige weitere Beispiele seien
hier noch angeführt:
Raoul de Cambray (ed. Le Glay) p. 203: Iceste guerre dura ele
toudis? Perc. 2803: Li drap he ma mere me fist Dont ne valent il mius
que eist? R. Charr. 6820: Et la reine n'i est ele A cele joie quon de-
inainne? Ch. II esp. 8379: Ma seiir, est ele dont chaiens? eb. 9246:
Et eil qui si grant diiel faisoient Erent il arme u comment ? Blanc. et
rOrg. (ed. Michelant) 2905: Sire, fait il, eil chevalier Vauront il estre
soldoier Et madame aidier de sa gicerre? Fabl. IV, 120: Cis ventres
vous deut il or mes? eb. III, 241: Cele j?el doit ele estre vostre? Pr. P.
265: Et li rois, feit Brians, est il reperiez? Th. fr. 86: Que c'estf
mesires sains Acaires A il fait miracles chaiens? eb. p. 114, 420 etc.,
L. Rois p. 90: Cil de Ceila, liverunt me il as mains Said etc. (lat. Text:
Si tradent me y/n'etc); eb. 183: Eespundi Abisai le fiz Sarvie: Cumentl
Semei ki maldist nostre seignur le roi, esehaperad il de mort poiir ces
paroles Jcil ad ei di[s]t{es)? (lat. Text: Numquid pro his verhis non
oceidetur Semei quia maledixit christo Domini?)
In den Miracles de Nostre Dame ist diese Konstruktion schon
sehr gebräuchlich. Vergl. M. 1, 1346, 111,916, V, 670, XVIII, 1625,
XIX, 1105, XXIII, 524, XXVII, 741, XXXIV, 2352 etc. Aus
Froissart belegt sie Ehering, Zts. V, 351.
Es ist mir in Originalwerken kein Beispiel dafür begegnet, dafs
im Fall der absoluten Voranstellung eines nominalen Subjekts das
personalpronominale im Fragesatze selbst nicht ausgedrückt wäre.*
* Unmöglich wäre es nicht, dafs Fabl. III, 239: Li vostre enfant sont
moul loial Que vous avez du prestre ens ? so aufzufassen wäre. Aber i's
liegt wohl näher, in dem Satze einen ironisclien Ausruf zu sehen. Auch
Th. fr. 459 \_Parfoij! de querir ne la {madame) cesse Et si n^en puis uon-
velle flir ... Haro ! Dlex! taisiez vous! Comment Dites vous?] ma dorne est
perdue? liegt wohl ein anderer Sachverhalt vor. Vgl. § 17. Doch wird eine
Stelle aus der von Michel im Anhang zum Oxforder Psalter mitgeteilten
metrischen Übersetzung des Psalters heranzuziehen sein: Ps. '29, 11: Poudre
dont ne te yehirait Et ta vertu unnunccrait? Die Vulgata liest: mimquid
cunjUeh'dur tibi pulvis aut annindiabit veritatem tiiam? was der Oxf. Ps. 29, 12
mit Ihnn ne regehirat a iei puldre u aiinuncerat la tue oeritetf wiedergiebt.
Cfr. auch Versio metrica 76, 7.
Archiv f. ii. Spiachon. LXXI. 20
306 Die Wortstellung im altfranzüsischen direkten Fragesätze.
Dieser Umstand kann höchstens beweisen, dafs das Nichtaussetzen des
personalpronominalen Subjekts in diesem Falle selten war, nicht aber
die Annahme rechtfertigen, dafs sich die Sprache aus Besorgnis, die
als Frage gemeinte liede könne für eine Behauptung gehalten werden,
eine Beschränkung auferlegt habe, die das Italienische z. B. nicht kannte,
wenn es Inferno X, 7 heifst: La gente, che jier gll sepolcri giace, Pu-
tvehhesi veder ? Wie hier, so würde auch im Altfranzösischen der Frage-
ton eine irrige Auffassung ausgeschlossen haben.
Die Bedeutung der absoluten Vorausnahme des Subjekts (vom
Objekt und einer adverbialen Bestimmung gilt das Gleiche) hat Tobler,
Zeitschr. II, 394 f. (Nr. X der vermischten Beiträge zur Grammatik
des Französischen) dahin definiert, dafs „solche Gestaltung des Ge-
dankens in glücklichster Weise den Umfang des Fraglichen abgrenze
gegen das, worüber zwischen dem Redenden und dem Angeredeten
Gemeinsamkeit des Wissens bestehe ; das materiell Vorausgestellte sei
das dem Gedanken nach als Grundlage, auf welcher die Frage sich
erhebt, Vorausgesetzte, und erst mit dem Verbum (in Bestimmungs-
fragen mit dem Frageworte) beginne die Frage selbst."*
W^ie das Subjekt dem Fragesatze vorantritt, so kann es im Afrz.
und Nfrz, auch folgen. Beispiele für die alte Sprache sindt B. Chr.
361, 34: Gauteron, est ü ferrez^ Mes palefroiz?
Th. fr. 76 : Me siet ü bien, li hurepiaus ? und gleichlautend eb. 84.
Auch gehört dahin M. XIII, 761: Ha! mere Dien, qiiai je veu
de toy ? Peilt e'estre ore menconge, Ceste vision ou vray songe ?
Beide Ausdrucksweisen dienen dem Zwecke, das Gebiet des Frag-
lichen abzugrenzen; während aber bei Anwendung der ersteren das
Streben, der Rede eine Grundlage zu geben, so dafs irgend welcher
Zweifel darüber, in Bezug worauf gefragt wird, nicht aufkommen kann,
in erster Linie hervortritt, sieht sich der Fragende, indem er sich der
* So scheint mir denn die aVjsolute Voranstellung psychologisch gleich-
wertig mit der in der alten Sprache öfter begegnenden Redeweise, der zu-
folge man durch ein dites moi oder Ähnliches ausdrücklich zur Belehrung
in betreff" eines bestimmten Seienden, das jener Aufforderung mit de an-
geschlossen wird, auffordert. Z. B. Pr. P. p. 331: Mes distes {l. diles) moi
del seinlhne Gracil noveles que von reconqu{es)istes: eat ü ancore en sa seintiine
chapele qui fu Je roi Pescheor? M. VIII, 122: Dites noits de nostre requestc :
Votroiera poiiii estre faicte Le pape, sire? Nicht notwendig gehört hierher
Rleraugis p. 115: Vües moi De Gawain le neveu le roi Saoez en vos mdts
iHweles/ Ebenso in Bestimniungsfragen Cb. Lyon 1799. Perceval 9505.
Mais or nie dites del roi Lot: De na fame qiians en/ans ot? Über eine
analoge \'erwendung von de vergl. Tobler, Zts. 1, 10.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 307
zweiten bedient, erst nach dem Aussprechen der Frage, durch die Er-
wägung, dafs jener Zweifel möglicherweise nicht ausgeschlossen sei,
zu einer nachträglichen Erläuterung seiner Rede veranlafst. Die Be-
deutung einer nachträglichen Erläuterung hat auch ein aus einem be-
ziehungslosen Relativsatz bestehendes Subjekt in Sätzen wie: Fabl. II,
120: N'est il hien hors de memoire Qui mat sa main sus ./. provoiref
oder R. Charr. 1982: Filz, qiie te sanhle, dont n'est il Molt preuz qui
a fet tel{s) efforz f
Die Frage, ob sich die Sprache in ähnlichen Fällen des Rechtes,
ein tonloses pronominales Subjekt unausgesetzt zu lassen, begab oder
nicht, kann erst im Laufe der Untersuchung erörtert werden.
Trennbarkeit des Subjekts vom Verbum.
I. Des tonlosen pronominalen. Dasselbe schliefst sich nfz. stets
unmittelbar an das Verbum an, während in der älteren Zeit noch ton-
lose Pronomina, sowie en und y, regelmüfsig ihre Stellung zwischen
Verb und Subjekt fanden. Da wir weiter unten (vergl. § 15 b, 1)
noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen, so mögen hier wenige
Beispiele genügen.
Ad. p. 10: Vols le tu save?'? Aue. Nie. VI, 10: avez le me vos
tobte ne emblee? Reimpredigt 29 c: /Sunt en il venu ^ Ad. p. 8: Purrum
i nus durer? Ch. Lyon 6388: Volez m'an vos prendre a parole? Dafs
sich auch die betonte Form an dieser Stelle finden darf, wird durch
B. Chr. 108, 26: Deust mei ele plus amer ? wo Hds. B statt viei — ine
bietet, und Rou 11, 2978: As mei tu coneu? wo Förster me einsetzen
will (Zts. I, 155), kaum erwiesen. Zu emendieren ist Flore Bl. (ed.
du Meril) p. 134: Irai o vos ge? non par foi. Das Fragezeichen ge-
hört hinter vos.
II. Gleich untrennbar wie tonlose Pronomina sind für die neuere
Sprache on und ce vom Verbum, dessen Subjekt im Fragesatze sie
bilden. Für on liegen mir auch altfrz. Beispiele nur mit unmittelbarem
Anschlufs an das Verbum vor (es liegt nahe, dafs sie nicht zu häufig
sind) ; dafs ce dagegen durch Adverbien trennbar ist, zeigen R. Ciiarr.
3822: Comantl est or ce avenant Qu'il ne te toche et tu lefiers? Erec
660: Est donc ce veritez ? oder durch ein Pronomen: Th. fr. 185:
Sanle vous che raison aperte.''
III. Im übrigen ist ein nominales Subjekt vom Verbum trennbar:
c<) Durch ein Adverbium oder eine adverbiale Bestimmung:
20*
308 Die Wortstellung im altfranzösisclien direkten Fragesätze.
Percev. 4737: Aloü devant le Greail nus? Th. fr. 185: Vient
hien chis contes? vergl. § 16 b.
/3) Durch eine prädikative Bestimmung. Fabl. IV, 213: Sonl
boilli li laaton? J. XCIV: la fa donc qiätee li Chevaliers? Vergl. § 14 b.
y) Durch das Objekt. B. Chr. 124, 37: Dont n'a nom Turnus
tes amis ? Vergl. § 15 a, /3 2.
V) Stellung des Subjekts in Bestimmungsfragen.
Regel ist, afrz. wie nfrz., dafs auch in Bestimraungsfragen das
Subjekt jederzeit invertiert wird, wofern nicht das Fragewort selbst
Subjekt oder Attribut desselben ist. Doch zeigen sich auch hier manche
Abweichungen zwischen dem alten Verfahren und dem der neueren
Sprache. Wie bei den Bestätigungsfragen gestattet der heutige Sprach-
gebrauch unbedingte Inversion nur noch einem tonlosen, in der Form
des konjunktiven Personalpronomens, beziehungsweise als on oder ce
auftretenden Subjekte. In betonter Form darf dasselbe nicht invertiert
werden, wenn das Verbum ein Objekt nach sich hat, oder wenn qui
Objekt ist. In diesem Falle tritt das Subjekt zwischen Fragewort und
Verbum und wird hinter dem letzteren durch das ihm zukommende
tonlose Personalpronomen wieder aufgenommen ; aber auch sonst ist
diese Stellung die herrschende, aufser wenn das Interrogativum selbst
Prädikatsbestimmung oder Attribut einer solchen ist. Alsdann ist die
Inversion auch eines betonten Subjekts erforderlich (Liicking § 258).
Dafs für die alte Sprache einfache Inversion* auch eines betonten
Subjekts die Regel war, lehren Mätzner § 491, Le Coultre p. 27,
Krüger p. 42, Morf p. 217, Völcker p. 17, Schlickum p. 8.
* Bei Bestimmungsfragen kann noch weniger als bei Bestätigungsfragen
die Vermutung entstehen, die Sprache habe darum sich jiescheut, ein per-
sonalpronominales Subjekt unausgesprochen zu lassen, weil in diesem Falle
die Inversion nicht kenntlich gewesen wäre. Wie zu erwarten ist, werden
<lie Bestimmungsfragen in diesem Punkte wie die asserierenden Hauptsätze
behandelt. So zeigen ein ausgesetztes pronominales Subjekt
in ass. Hauptsätzen: in ßestiminungsfragen :
Ch. Roland 50 Proz. 50 Proz.
Ch. Lyon etwa 50 „ 50 „
L. ßois 22 „ 21 „
Miracle de Theoph. 50 „ von 12 Fragen — 7.
Eine merkwürdige Ausnahme machen
Adau de hi Halle 50 Proz. fast 100 Proz.
Jean liodel (St. Nicolas) 37,5 „ von IG P'ragen — 13.
Die Wortt*tellung iin altfranzösischtn dii'i'ktfn Fragesatze. 309
Unter den an diesen Orten gesammelten Beispielen findet sich
aber keines dafür, dafs ein nominales Subjekt bei Anwesenheit eines
nominalen Objekts invertiert wäre. Derartige Belege (vergl. § 15 a, /3 1)
sind in der That recht selten und meist besonderer Art.
Von dem nfrz. Verfahren, dem gemäfs ein betontes Subjekt zwischen
Fragewort und Verbum tritt, ist mir in der alten Sprache keine Spur
begegnet. Offenbar konnte auch diese psychologisch nicht zu rechtferti-
gende Konstruktion erst Platz greifen, als man daran gewöhnt war, in
der Bestätigungsfrage ein nominales Subjekt absolut voranzustellen.
Dies letztere ist nun auch bei Bestimmungsfragen sehr häufig,
häufiger sogar als bei Bestätigungsfragen im Altfrz. der Fall. Tobler
hat den altfrz. Gebrauch mit Beispielen belegt in dem schon oben
citierten Artikel Zts. II, 394. Auch dem Nfrz. ist diese Erscheinung
nicht fremd; doch ist heute die Wiederaufnahme des der Bestimmungs-
frage absolut vorangestellten Subjekts durch das ihm zukommende Per-
.«onalpronomen hinter dem Verbum durchaus erforderlich, so gut wie
bei den Bestätigungsfragen. Von letzteren konnten wir auch aus dem
Altfranzösischen keine Belege beibringen, in denen ein pronominales
Subjekt nicht ausgesetzt gewesen wäre; in Bestimmungsfragen ist diese
Erscheinung jedenfalls ungemein häufig; schon Diez citiert III^, 320
aus den L. Kois (p. 218) ices ueilles que unt forfait? Vergl. auch Ad.
p. 81: Li pecheoi\ las! que ferunt! J. LXXXI: Et cele liame, fet «7,
li est.' M. XXVI, 407: »SV grant diieil faire que vous vault? M. Reo.
330, 187: Q.ui soi pert et altrni, chaitis^ que devenra? eb. 233, 243;
M. XVIII, 968: Guillot^ ma fille ou est? chj moij etc.
Dafs sich das pronominale Subjekt auch ausgesetzt findet, bedarf
kaum des Beweises: Ch. II esp. 10765: mais vostre drois 7ions ki est
ü? eb. 11119: Mais eil ki a la traison Faite, u est iU eb. 11650: Biaus
dous sire, et mi chevalier U sont il? Rieh. 1379: Chüz gayans de quel
forche est il? M. XVIII, 1625: La grant amour dont tu iii'amoies Que
peut eile estre devenue? Am. Am. 1527: Vostre proesce qu'est eile
devenue? Le Coultre p. 27 bestreitet das für Crestien mit Unrecht,
vergl. Ch. Lyon 3690, Erec 6562, ebenso Krüger p. 43 für die Prosa
des 13. Jahrb., vergl. Nouv. fran9. p. 208.
Wie bei den Bestätigungsfragen kann das Subjekt auch als nach-
trägliche Erläuterung der Be.stimmungsfrage folgen und zwar so gut
heute wie in der alten Sprache. Für letztere mögen dies bezeugen :
Ch. II esp. 5956 : Et Id sont il, li chevalier, U issi s'en vont maugre
^\0 Die Wortstellung im nltfmnzosisclicn direkten Fragesätze.
7iu'c)i? Pr. P. 323: Comment a il non U Chevaliers? M. XXIII, 68:
El Die.r, quelle part va il ore Celui qiie dis? cb. XIX. 1119: Ou est
il alez, le hon corps? Men. R. 277: Hai! cuens de Boulognc, qiteil
favez bastie la traison, entre voiis et frere Garin ?
Über Bestimmungsfragen mit nicht invertiertem Subjekt sehe man
Zusatz 1.
Trennbarkeit des Subjekts vom Verbum.
I. Ist das Inferrogativum selbst Subjekt oder Attribut desselben,
so finden sich (da das Verb an zweiter Stelle stehen mufs) zwischen
ihm und dem Verbum afrz. wie nfrz. nur solche Satzteile, die eine
proklitische Stellung zu letzterem einnehmen, d. h. tonlose Pronomina
und die Negation, wovon Beispiele zu geben nicht erforderlich ist.
Parenthetisch eingeschobene Satzglieder können nicht als trennend
gelten, wie z. B, Erec 4468 : Quel(e') aventure, beax doicz sire, Por Deu^
sire, fa qa tramis etc.
II. Ein pronominales Subjekt wird nicht vom Verbum getrennt,
in der Regel auch nicht durch tonlose Pronomina.
III. Das nominale kann, wie in Bestätigungsfragen, vom Verbum
getrennt werden «) durch Adverbien B. Chr. 182, 17: Par com faite
aventure sunt en cel hos ces femmes ? vergl. § 16 b; ß) durch eine prä-
dikative Bestimmung, vergl. § 13 p", II; § 14 b; j') durch das Objekt
vergl. § 15 /^, 2.
Zusatz zu § 12.
1) Tobler hat Zts. II, 395 (Vermischte Beiträge Nr. 10) einen
der alten Sprache eigentümlichen Gebrauch, demzufolge in Bestim-
mungsfragen ein tonloses Subjekt häufig nicht invertiert wird, mit vielen
Beispielen belegt und dahin erklärt, dafs man es in solchen Fallen
(Fragen wie que c^estf que ce doit? sind besonders häufig) im Grunde
mit der indirekten Frageform zu thun habe, da an die Stelle der Frage
ein verwunderter Ausruf getreten sei. Ich habe dem dort Gesagten
nichts hinzuzufügen. Beispiele mit nominalem betontem Subjekt sind
auch mir nicht begegnet; jedenfalls sind sie äufserst selten; doch vergl.
man das von Krüger citierte Th. fr. 201: Ou Pinchedes et Basoirs est?
auch M. V, 840: Or me respong donc a ceci/: Comment ce que dis avenra ?
Weber („Über den Gebrauch von devoir, laissier, pooir, savoir etc.")
macht in einer Anm. p. 6 auf das mehr als seltsam gestaltete Ren. 386 :
Renart, Tienart, ce que ce doit . . .? aufmerksam, wo die beiden Kon-
Die Wortstellung im altfriinzösischeii direkten Fragesatze. 311
struktioncn ce qiie doit und que ce doit verschmolzen scheinen.* Weitere
ähnlich gestaltete Beispiele kann ich nicht nachweisen.**
2) Gehören zwei oder mehr Subjekte zu einem Verbum, so
folgen sie demselben entweder, und zwar
a) ungetrennt: AI. lOP: que valt eist criz, eist dols ne ceste noise ?
Ch. Rol. 2403: U est Varcevesques e li cuens Oliviers? eb. 2404,
2405, 2407; M. XXIV, 1110: Ou sont ne Barharans ne Grie.v Qvi
laut soitfrissent poiir leurs diex? Karls Reise 623: Di, val que funt
Franceis e Carles al fier vis? Th. fr. 458: Ou doit estre aussi le retour
Ne le refuge ä creature Fors qiCen vous, doulce vierge pure? Jubinal,
Myst. ined. 15« s. p. 43. Vergl. auch L. Rois 55, 122, 161, 269, 3G2.
b) getrennt:' Th. fr. 570: Comment li peut estre la face Pour cheoir
en si belle place Ne le corps devenu si noir ? eb. 656: Ou alez vous ainsi
Et ees genz touz? eb. 530: Comment fu ceste lettre faitte Et wie autre
que n'ay pas trcdtte Ne avant mise? M. XXXVI: N'est pas le corps
cncore et Farne En vie humaine?
Oder sie gehen der Frage in absoluter Weise voran : M. XXXII, 33 :
Ce dos, ces reins ne ces costez Vous dolent il? oder sie gehen zum
Teil der Frage voran, zum Teil folgen sie derselben : Lai von Melion
(Zts. VI, 46): Tes grans sens qu'est il devenus, Tes pris et ta ehevalerie /
Besonderer Art sind Beispiele wie Th. fr. 7Q: A ein este Morgue li
'ce Ne ele ne se conpaignie? (cfr. Tobler, Zts. VI, 524) Men. R. 277:
ilueil l'avez bastie la traison, entre vous et frere Garin? „entre vous et frere
Garin^^ stets aufserhalb des engeren Satzgefüges als nachträgliche Er-
liinterung.
Über Th. fr. 201 : Ou Pinchedes et Rasoirs est? vgl. oben Zusatz, 1.
Es darf nicht überraschen, dafs die hergehörigen Beispiele nicht
zu zahlreich und auch insofern meist besonderer Art sind, als es sich
vielfach um rhetorische Fragen handelt. Die altfrarizösische Frage zeigt
in der neufranzösisch zum Teil zur Regel gewordenen Abgrenzung
des fraglichen Gebietes ein unverkennbares Streben nach Kürze und
Deutlichkeit. Solchem Streben aber laufen Beispiele wie die obigen,
namentlich die, in denen mehrere Subjekte dem Verbum ungetrennt
folgen, deshalb zuwider, weil der Redende in Gefahr kommt, die Auf-
merksamkeit des Hörers von dem eigentlichen Zwecke der Frage, der
* Man sehe die Stelle jetzt bei Martin II, 1068.
** Über weiteres Vorkommen der indirekten Fragefonn an Stelle der
direkten vergl. § U ß; § 15 a, fi; § 15 d; § 16 a, II ß.
312 Die Wortstellung im allfranzösisclicn direkten Fragesätze.
Erkundigung entweder danach, ob die Verbindung dieser Subjekte mit
einem bestimmten Prädikate zuliissig, oder danach, wie eine bestimmte
Lücke in einem Vorstellungskreise, dem jene Subjekte angehören, aus-
zufüllen sei, abzulenken.
2) Gleiches gilt von dem Fall, dafs zu einem Subjekt zwei
Verben gehören.
a) Das Subjekt tritt hinter beide Verba: Perc. 2418: Ahne le taut
u prise chil Qti'ü li ait de son gre rendue? M. XXXVI, 1532: Quelle
pari demeurent ne hantent Ceulx qu'ay oy qui si bien chantent?
b) Absolut vor beide: M. XXVI, 937: El Diex^ mon euer pour-
quoy ne part Et creve afin que je mourusse ?
c) Hinter das erste: M. XVIII, 337: Voit Diex et scet am^si le
fait Du pechie qui de nutz est f ait Comme de jours? eb. III, 918: Y boit
on ne menjne point? Hierher gehört auch ein Beispiel, in dem ein
absolut vorangestelltes Subjekt hinter dem ersten von zwei koordinierten
Verben im Fragesatze wieder aufgenommen ist: M. X, 76G — 771: Et
la doidce vierge Marie Quant on ot matines chante Si bei com vous m'avez
compte Ne parla eile point a vous Ne ne fist semblant, sire douhc ? Ob
M. XXVI, 937, das oben citiert ist, eventuell, sofern ein pronominales
Subjekt ausgesprochen wäre, auch unter c gehörte, ist nicht zu ent-
scheiden. Für diese Konstruktion scheint auch ein streng genommen
nicht hierher gehöriges Beispiel zu sprechen: M. II, 164: Et quant
vous fustes revenue De quoy fut ce que vous rie's Entre vous deux et
chucheties? Die Annahme, dafs die Frage ohne die Erweiterung durch
das verbum substantivum gelautet haben wurde : De quoy rie's vous
entre vous deux et chucheties^ ist wohl nicht zu gewagt. Verfährt der
Redende wie in Konstruktion c, so läl'st er im Gefühle, dafs das an
erster Stelle angewandte Verb das, was er zu sagen wünscht, nicht in
ganz geeigneter Weise zum Ausdruck bringe, das zweite gewissermafsen
korrigierend und vervollständigend zum Begriff des ersten hinzutreten,
nachdem die eigentliche Frage schon ausgesprochen ist, Avährend das-
selbe Gefühl bei Anwendung von Konstruktion a wirksam wird, bevor
die Frage beendet ist. Zwingen könnten uns freilich zu solcher Auf-
fassung die beiden unter a beigebrachten Beispiele nicht, da Perc. 2418
cMl recht wohl als nachträgliche Erläuterung gelten könnte zu aime le
tant u prise^ das selbst als aime le (il) tant u prise aufgefafst werden
dürfte. Entsprechendes gilt vom zweiten Beispiel.
Über dilemmatische Fragen vergl. § 19.
Die Wortstolking im altfranzösischcii iliroktcn Fragesalze. 313
§ 13. Stellung der prädikativen Bestimmung
des Subjekts.
a) Im altfrZi asserierenden Hauptsatze kann das Prädikativ des
Subjekts zu Subjekt und Verbum fünf verschiedene Stellungen ein-
nehmen.
I. Subjekt — Verb — Prädikativ ist überall die gewöhn-
lichste Stellung. Vergl. Völcker p. 27«, Morf p. 238, Le Coultre p. 28,
Krüger p. 44, Schliokum p. 21, Marx p. 346, Ehering p. 353.
Die gewöhnlichste Stellung ist auch die natürlichste: das gram-
matische Subjekt ist eins mit dem logischen und nimmt daher die erste
Stelle im Satze ein; dem Verbum gebührt die zweite, so bleibt die
letzte für das Prädikativum.
]I. Ist der Satz durch ein Inversion des Subjekts hervorrufendes
Satzglied eingeleitet, so erhalten wir die zweite Stellung: Verb —
Subjekt — Prädikativ (Völcker p. 27, Morf p. 238, Le Coultre
p. 28, Krüger p. 46, Schlickum p. 21, Marx p. 346 [nur in Relativ-
sätzen], Ehering p. 353).
ni. Freilich ist unter denselben Umständen noch eine andere
Stellung möglich: Verb — Prädikativ — Subjekt. Es werden
beide anscheinend ohne ersichtlichen Unterschied verwendet, wenn sich
neben Ch. Rol. 165: Desuz im pin en est li reis alez ein übrigens
gleichgeartetes Ch. Rol. 501: Enz el vergier s''en est alez li reis findet.
Doch wird man folgendes bedenken müssen : Zu einem logischen Sub-
jekte desuz nn pin (um uns an das citierte Beispiel zu halten) ist als
logisches Prädikat denkbar 1) ein li reis en est alez oder 2) alez en est
li reis. Letztere Ausdrucksweise kann nach unseren obigen Erörte-
rungen entweder darin ihren Grund haben, dafs das Subjekt nach-
trägliche Erläuterung ist oder dafs auf ihm das Hauptgewicht der Aus-
sage ruht (.,er ist weggegangen, der König" oder „der, der weg-
gegangen ist, i.st der König"). Offenbar mufs nun der Redende, falls
er sich zu dem logischen Subjekte desuz iin pin der Aussage alez en est
li reis mit der Bedeutung des Subjekts als einer nachträglichen Erläu-
terung bedient, die in Ch. Hol. 501 zur Anwendung gekommene Stel-
lung wählen, d. h. er mul'ste sagen Desuz im pin en est alez li reis, da
ja li reis im Grunde aufserlialb des engeren Satzgefüges steht. Solclie
Auffassung gestatten denn aucli die meisten der hergehörigen Bei-
spiele; so alle die, in denen ein die Intensität des adjektivischen Prä-
.■^11 Die Wortstellung im nltfranzösisclien direkten Fragesatze.
(llkaliws beloiiendes Adverbiiiin zum Verbiim (litt, zuiii Teil als ein-
leitendes Satzglied: Ch. Rol. 546, 1736, 3546, 3579, 3745, Ville-
Hard. 192, 250, Cli. Lyon 843, 928, 2187, 3771, Nouv. frane. IIÜ,
Aiic. Nie. 259 (ed. Nouv. fr.). Das Prädikativ i.-t ein Partieipimn ;
Passion 68c, Gorm. 253, Ch. Rol. 501, 835, 1152, Ch. Lyon 1190.
— Vergl. auch Ch. Lyon 862, 1190. Einigemal« scheint auch auf
dem Subjekt das Hauptgewicht der Aussage zu ruhen (doch mag ich
mich hier nicht entscheiden): Ch. Rol. 1100, Gormond 372, Ch. Lyon
1134, 1054, Ville-Hard. 160. An zwei Stellen ist tel Prädikativ
(ViUe-Hard. 159, Joinv. 71, 240, vgl. Marx 346).
IV. Überdie Bedeutung der Stellung Pr ä d i kat i v — Verbu m —
Subjekt haben wir oben (vergl. § 4 d, § 6 [Fleft 2 p. 202]) ge-
sprochen. Ebenso § 7 über
V. Die Stellung S u b j e k t — P r ä d i k a t i v — Ve r b u m (Völcker
p. 28: „häufig in den älteren Denkmälern", Morf p. 222, Le Coullre
p. 29 f., Schlickum p. 21).
VI. Die sechste a priori mögliche Stellung wäre Prädikativ —
Subjekt — Verbum. Dieselbe kommt in altfranzösiseher Zeit für nomi-
nale Subjekte niemals, für pronominale, die ja auch sonst (infolge ihrer
Tonlosigkeit?) Ausnahmen zulas-en (vergl. die Beispiele, die Krüger
p. 39 für die Stellung Objekt — Subjekt — Verb giebt, dazu § 4b),
erst spät und selten vor (cfr. Mätzner, Synt. § 486). Das Prädikativ
ist viel zu innig mit dem Verbum verbunden, um eine absolute Stellung
aufserhalb des Satzgefüges (denn eine solche würde man ihm bei der in
Rede stehenden Wortfolge zugestehen müssen) einnehmen zu können ;
wenigstens wenn estre das Verbimi ist; bei anderen wäre das Vor-
kommen einer Stellung PrSV noch eher denkbar.
ß) Wie verhält sich nun die Frage zu diesen für den asserie-
renden Hauptsatz geltenden Gesetzen? Eine rein theoretische Be-
trachtung ergäbe folgendes :
a) Halten wir fest, dafs 1) die Frage das Verb an erster Stelle
verlangt; 2) die Stellung II (vspr) des asserierenden Hauptsatzes sich
aus der Stellung I (svpr) ergiebt, wenn ein einleitendes Satzglied
Inversion des Subjekts hervorruft, so folgt, dafs Stellung I und II für
den Fragesatz in eine Stellung (vspr) zusammenfallen.
b) Das Gleiche wäre nach dem oben Gesagten in gewissem Mafse
von den Stellungen III (v pr s) und IV (pr v s) zu erwarten: Frage-
stellung V pr s.
Die ^^'orts1cllmlg im altfranzösisilicn direkten Fragesätze. 3i5
c) Der Stellung V (spi'v) niiilstc im Fragesatze eine Stellung
s vpr entsprechen, bei der freilich in Bestätigungsfragen das absolut
vorangestellte Subjekt jedenfalls durch das tonlose Pronomen hinter
dem Verbum wieder aufgenommen sein würde. Vergl. § 12. Belege
ebenda.
Im ganzen finden wir diese Erwartungen bestätigt.
1. Die häufigste Stellung ist: Verb — Subjekt — Prädi-
kativ. Nicht mi)glich ist sie nur dann, wenn in Bestimmungsfragen
das Interrogativum selbst Prädikativ oder Subjekt ist.
Wir geben zunächst einige Belege, und zwar ohne die beiden
Arten von Fragen zu trennen :
1) Das Verbum ist nicht das verbum substantivum. Th. fw 185:
tSatile voiis che raison aperte? M. XXIII, 632: Egar! ou va la fillc
au roy Ainsi seiile, sanz compagnie? M. XXII, 1478: T)ij, demenres tu
seul, hon homme? Fabl. I, 265. Das Subjekt ist unausgesprochen:
Cleoni. 9427: pour quoi remanommes vires . . .? L. Rois 83: pur qiiei
viens suis e nuls ne vient od teil (lat. Text: Qjuare tu solus et nnllus est
tecuin .?)
2) Das Verbum ist estre
a) aufserhalb der zusammengesetzten Verbalform. B. Chr. 119,
28: Est dont amors inferipetes ? Th. fr. 56: N'est mie Rikiers Amions
Bons clers et soutiex en son livre? Toblers Mitt. 26, 18: En'est (so
möchte ich mit der Hs. lesen ; en = ene, eane) mes peres Bastns li
enforcis . . .? M. XXXV, 1179: Est mon seigneur sain et haitie?
M. XXX, 585: Est nature en vous si grant dame ? Pr. P. 126: //t/,
sire, est donc li rois hermites vostre peres? Fabl. IV, 202 (wo don mit
einem Apostroph zu versehen ist); Jubinal (Myst. inedits du lö*' siecle)
p. 12: Dy, ne fu pas Joseph le pere A ton Dieu Jhesus et saniere Marie
la Koiisse nommee? eb. 108: est Dieu omnipotent? Fabl. I, 155: Est
eil roncins Jones ou vieoc? R. Charr. 6833: N^estoit hien la joie ante-
rine . . .? Pr. P. 332: dont nest eist chastiax vostres? Ad. p. 24: Que
n'est li niond (1. mons) de moi delivre{s) ?
b) in der zusammengesetzten Verbalform. Fabl. IV, 125: Qii'est
ce? Est li feus estains dont? Tobl. Mitt. 207, 22: Et nert »la vie por
avoir rachatee? J. XXIX: Seroit la reine delivree ...? eh.: Dame,
feit il, est encore madame la reine delivree? Fabl. III, 160: Fu on'pies
riion maribatu,? Perc. 6216: Dex^ fait mesire Gauwains, Dont ne fu
Meliaus de Lis En la tnaison Tiebaut noris ? Ch. Lyon 596: Sont
3Ui Die Wortstellung im iiltfranzösis^chtMi direkten Fragesatze.
voölre piiiiel anhorre . . ./ Rou III, 1940: Fu la coülier, dist il, trovee ?
B. Chr. 399, 30: Voiis est U coers faülis, puls que venistes clia?
R. Charr. 410: Tvit demandent: A qiiel martive Sera eist Chevaliers ran-
duz? Fabl. III, 38: Dotit est eist palefrois venuz? eb. III, 159: Deusl
porqiioi fu ma mere morte! B, Chr. 190, 32: De qiiele mort ert eis
coitis iiie's? Fabl. IV, 152. Ch. Lyon 1499, Lyon. Ysop. 2866, Th. fr.
420, M. VIII, 195, Nouv. fran9. 7 (Krüger p. 43).
In Bestätigangsfragen wird ein pronominales Subjekt in der Regel
ausgesetzt, doch ist das Gegenteil nicht ohne Beispiel: B. Chr. 88, 22:
fustes pris poiir le songe?
In Bestimmungsfragen fehlt es oft (vergl. Ch. Lyon 1225, 5220,
L. Rois 62, 64, 122 etc.).
IL Nicht ganz so häufig ist die Stellung des Prädikativs zwischen
Verb und Subjekt, Ich kann sie nur für den Fall belegen, dafs das
Verbum eslre ist. Alexius (ed. Paris, Romania VIII) p. 172, 215:
Est donkes pechie mariage ? Pr. P. 139: (es ist nötig, die Stelle im
Zusammenhange zu eitleren) „CÄeuaZzers," /ei il^ „qiii vos dona cest escu
et de par qui le portez vos itel?^^ — „Je le port de par mon pere,''^ fet il. —
.,Porta donc vostre pere tescu vermeil au cerf blanc ?'■'' — „Oil, fet
Perceval, maint jor.^^ — m-^?' donc vostre pere li rois Vilains des vaus
de Kamaalot 9^'' — „M es per es fu il saus faille.^^ Ad. p. 23: Est tel
(I. tex) li fruiz? Oil par voir. L. Rois 269: Einz dist: Cument! (das !
fehlt bei Le Roux) sunt teles les cites e les chastels que mis amis m'ad
duned ? (6am\t wird übersetzt: Ileceine sunt civitates quas dedisti mihi,
frateri\ Erec 1263: Qu''en diles vous, sire? n''est dons JSlout beax et
malt riches li dons? Band, de Conde 129, 289 : Engest contraires fausetes
A foi . ..? Jourd. Blaiv. 1557: N'iert inais requis Froinons? Ch. II
esp. 4956: Si est ore si tost desrous Cil hons voloirs? Fabl. I, 190:
Diva, sont cuites les pertris ? eb. IV, 213: Erme, jai tel fain que je
miiir, Fet il, sont hoilli li maton? eb. IV, 145: Comant, sire, est donnues
failliz Li fromenz ? J. CXVI : Dame, por Deu, seront moi ja pardone
si grant inesfait? Pr. P. 95: nies, por Deu, dites moi ou je trouverai
man frere. — Sire, fet Lanceloz, je le vos dirai. Je me parti hui matin
de son cors et Paidai a enterrer. . . . Est dont ocis mes freres ? fet li
Chevaliers, eb. p. 126: Est donc gariz li Chevaliers ? M. XIX, 1113:
Avant! est rompu le festu? Joinv. 28, 84: Est aree vostre besoigne?
(Marx p. 344.) M. XXVI, 473: Est mors Anbin? Fabl. IV, 105:
Dieus! ou est alez mes barons ...? Ch. Rol. 2407: Qu''est devenuz li
Die \Yor(stellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 317
Gnascuinz Engeliers, Sauses li ducs e Anseis li flers? Ch. Lyon 2179:
Por den, qu'est ore devenuz Mes sire Yvains qui 7i'est ventiz . . .? Cleom.
4126: qiiest devenus Melocandris et Baldigans ? M. XXVII, 764:
Qii'est devenu vion maistre ? Pr. P. 186: De quel terre est venuz itex
hom? Th. fr. G4 : Quant fust avetius eins afaires? Jubinal (Myst.
ined. lö« s. p. 116: quest or devenus I. faids vieillars .. .? Rieh. 3980:
cofi est baillis Mes castyans et que fait ma dame? Th. fr. 441.
Bei der Mehrzahl der Belege kann das Subjekt als nachträgliche
Erläuterung angesehen und in diesem Umstände die Erklärung der
Stellung des Prädikativs, ganz wie bei der entsprechenden Stellung
vprs des asserierenden Hauptsatzes, gesucht werden. Besonders deut-
lich verlangen diese Auffassung die beiden ersten Beispiele: Alex. 215,
Pr. P. 139. Dagegen scheint in den (zuletzt citierten) Stellen,* die
devenu als Prädikativ aufweisen, das Hauptgewicht der Rede auf dem
Subjekt zu ruhen ; doch kann ich aus Originalwerken keine so deutlich
sprechenden Belege anführen wie den folgenden aus den Sermons de
S. Bernard p. 550: Est dons eist enfes Deus? . . . Est il dons rois ?
Ou est li roials sale et U sieges royals f Ou sunt les courz et li roials
frequence ? — Est dons sale li estaules, sieges li maingeure, corz li fre-
quence de Joseph et de Marie?**
III. Voran geht das Prädikativ des Subjekts dem Verbum nur
1) in Bestimniungsfragen, in denen es selbst Interrogativum ist, von
welchem für die alte und neue Sprache ausnahmslos geltenden Ver-
fahren Beispiele zu geben nicht nötig ist. Doch sei erwähnt, dafs
hierher auch Fälle gehören wie Fabl. I, 222: Äinis, com /als est li
■plus haus? eb. Et com fais est eil par dalez?
Das interrogative Adverbium com bildet mit fait einen Begriff
{qualis).
2) In Fragen mit Aussageform, vergl, Abschnitt III.
Trennbar ist das Prädikativ vom Verbum in der Stellung vprs
durch Adverbien: Erec 1253: n'est dons Moiit heax et inolt riches li
dons? Fabl. IV, 202, Ch. Lyon 2179: Quest ore devenus Mes sire
Yvains etc., die denn auch in der Stellung vspr als trennend zum
Subjekt hinzutreten: Fabl. IV, 152: Qu'est donc la toille devenue /
Men. R. 173: Serons nous ouan mais enclos en ceste citei ne plus ne
* \'ieileicht auch in dem Beispiel M. XXVI, 473: Est mors Auhiu?
** Doch war. hier das Original mal'sgebend: Numquiii aulu est stabuluin,
tliruntis i>rihse[)iuvi^ curice frequcntia Joseph et Maria ?
;)18 Die \Vort^tc'llu^g im uli französischen cJiiekten Fragesätze.
faisons? Perc. G21G: De.v^ fiüt mesire Gamoains lors, Doiit ne fa
Meltaus de Lis En la inaison Tiebaut noris ? etc.
Zusatz zu § 13.
1) Auch zwei koordinierte Prädikativa folgen stets dem Verbum ;
Perc. 6520 : Vassaus^ Dont ?i'estes vos sains et haüie's . , .? M. XXVII,
1125: IIa! emperiere, sire einer , Coment vi'estes si dur et fier Quamort
me mettez sanz raison? etc. Ein nominales Subjekt steht entweder voi-
beiden; Th. fr. 5G: N'est mie Rikiers Amions bons clers et soutiex eu
son livre? oder hinter beiden (als nachträgliche Erläuterung): Erec
1263: liest dons Moid beax et molt riches li dons? Dafs man etwa auch
habe sagen können : nest dons mout beax li dons et molt riches, kann ich
durch Beispiele nicht beweisen; für unmöglich halte ich es trotzdem
nicht. *
2) Das zu einem verbum infinit um oder einem Prädikativ
gehörige sekundäre Prädikativ steht wie das primäre nur dann vor
dem Verbum, wenn es selbst Interrogativum ist. Ch. Rol. 334: Dient
.Franceis: que purrat co estre ? Meraugis p. 18: Qu'' est mes ciiers devenuz
Qu^ainsi s'en vole qa et la ?
§ 14. Stellung des Prädikativs des Objekts.
«) Im asserierenden Hauptsatze kann die prädikative Bestimmung
des Objekts zu diesem und dem Verbum vier verschiedene Stellungen
einnehmen: 1) v o pr, 2) vpro, 3) o v pr, 4) prvo. (Morf p. 238 bis
242, Völcker p. 28—31, Schlickum p. 21 f.)
ß) Das Gesetz, das dem Verbum im Fragesat/.e die erste Stelle
anweist, reduziert sie für diesen auf die beiden 1) vopr und 2) vpro;**
d, h. im Fragesatze folgt das Prädikativ des Objekts dem Verbum.
Ausnahmen von dieser Regel kommen kaum vor. Freilich liest man
Fabl. II, 89: „3Iande m^a che sire Selvestres /'•'■ Fait li Chevaliers. —
„0//, SireJ'' Doch liegt hier wohl eine der nicht seltenen Bestätigungs-
fragen in Aussageform vor (cfr. § 17). Nur B. Chr. 318, 1: Mon
euer pour coi seul i envoi? und M. III, 276: Coinment soffert l'as ainsi
morir? sind mir als Beispiele dafür begegnet, dafs in Bestimmungs-
fragen das Prädikativ des Objekts vor das Verbum tritt. Sollte hier
* V'ergl. M. XIII, 7G1 : Ha! inere Dieu, qu'ay Je veu De (oy? Peut c estre
ore nienrnnge, Ceste vinion au rray sniige?
** Wenigstens sofern das Objekt nominal o 'er nicht Interrogativam ist.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 319
wie bei que cest? die indirekte Frage an Stelle der direkten eingetreten
sein? (Vergl. § 12, Zus., 1. Auch .sehe man § 15 a, 6 und § 15 d.
§ IG a, II, ß.)
1) Belege für die Wortfolge vopr sind R. Charr. 3949: Ou avez
vos or cest euer pris ? Ron III, 7873: As tu le duc qui vieni veu ^
Ch. Lyon 3541 : Donc n'ai je ce lyon veu . . .? Cli. II esp. 3839 : A il
por ce mort cleservie ? eb. 2784; Ai je dont Folie faite . . .? etc.
2) Für vpro B. Chr. 182, 22: U ont eles trouve joiivent qui taut
lor dure .. ..? Ch. Lyon 1G21, 6314, Th. fr. SG etc.
Nur in dem besonderen Falle, dal's das Objekt mit dem Interroga-
tivum zusammenfällt, wird natürlich die Stellung o v pr auch für den
Fragesatz obligatorisch.
Somit kann die prädikative Bestimmung des Objekts zu Subjekt,
Verbum und Objekt folgende Stellungen im Fragesatze einnehmen :
a) Die Wortfolge vopr ergiebt
aa) svopr; ist nur möglich, wenn das Interrogativum Subjekt
ist, z. B. Tb. fr. 630: Qiii vous a ce salut appris ?
bb) vsopr ist für ein pronominales Subjekt die einzig mögliche
Stellung, ein nominales zeigen z.B. M. XXVIII, 1090: Ou a virginitez
honnour Recouvre par desus nature ? eb. VII, 458 : A chascune son livreprest ?
ce) vospr ist bei nominalem Objekt für ein tonloses personalprono-
minales Subjekt nicht möglich. Für das betonte Subjekt weist diese
Wortfolge auf: Th. fr. 20: Ad ceo Pilate comande f doch ist dies Bei-
spiel nicht entscheidend, einmal, weil wegen des doch wohl nicht mög-
lichen Pilate irgendwie zu ändern sein wird (vielleicht E ad ceo Pilaz
comande?)^ zweitens weil ceo vorliegt, das doch die Existenz dieser
Wortfolge für betonte nominale Objekte nicht ohne weiteres zu erweisen
vermag. Für ein tonloses pronominales Objekt weist die Stellung
vospr auf: Jourd. Blaiv. 3751: A te Fromons a moi fait envoier?
dd) voprs scheint nicht vorzukommen.
b) Die Wortfolge vopr ergiebt:
aa) SV pro findet sich nur, wenn das Interrogativum Subjekt ist;
Ch. Lyon 6314.
bb) vspro ist für tonlose pronominale Subjekte die einzig mögliche
Stellung. Für betonte zeigen sicTh.fr. 614: yl Clotilde fait sa doniiee /
L. Rois 353 : Di, si te piaist, pur quei ad nostre Sires asseinblez ci nvs
treiz reis . . ./ (lat. Text: Quare congregavit Dominus tres reges hos . ../).
cc) vprsö ist nur für betonte Subjekte möglich, z. B. M. Rec.
320 Die Wortstellung im iiltfVanzösischen direkten Tragcsatze.
309, 102; Cument^ fiint li ü dune, a vus ahandonez Li reiz tuz cels par
cid ses filz fu corunez ?
dd) vpros weist z. B. auf; M. IT, 1161: Vous a fait si grant coiir-
toisie la mere Dieu comme vous dites 1 Auch in dieser Stellung sind
natürlich nur betonte Subjekte möglich.
Ist das Interrogativum resp. ein tonloses Personalpronomen Objekt,
so ergiebt die dadurch möglich werdende Stellung o v pr noch 1) s o v pr,
das wie 2) o s v pr nicht vorkommt. 3) ovspr: R. Charr. 439; QiCa
eist Chevaliers mesfet? Th. fr. 331 : Quont ore les gens empense /
L. Rois 14 etc. 4) ovprs: Fabl. I, 51: ili'a donques trahi Mes oneles
en qiii me fioie? M. XXII, 692; Vous a hien tant fem S'amor au euer?
J. XCIV: la t'a done quitee li Chevaliers? M. XXVII, 808: Qu'a faxt
man seigneur? eb. XXV, 1219 etc.
§ 15. Stellung des Objekts.
«) Des nominalen.
«) Im asserierenden Hauptsatze kommt das nominale Objekt in
Verbindung mit Subjekt und Verbum in folgenden Stellungen vor :
1) Subjekt — Verbum — Objekt. Diese Stellung ist überall die
gewöhnlichste. (Morf p. 225, Le Coultre p. 31, Krüger p. 46, Marx
p. 347, Schlickum p. 13, Völcker p. 33.) 2) Die demnächst häufigste
Stellung ist Objekt — Subjekt — Verbum (Morf p. 226, Le
Coultre p. 20, Schlickum p. 14, Krüger p. 37, Marx p. 348, Völcker
p. 34). Unsere Ansicht über die Bedeutungen dieser Wortfolge haben
wir oben dargelegt, vergl. § 4 b, § 6 (Heft 2, p. 203). 3) Die Stellung
Subjekt — Objekt — Verbum ist nach Völcker (p. 33) sehr üblich
in der Passion, im Rolandslied nicht selten (Morf p. 222), Le Coultre
bringt drei Beispiele aus Crestien bei (p. 33), bei Schlickum ist sie
p. 14 mit einem, bei Krüger p. 47 mit zweien aus asserierenden
Hauptsätzen belegt ; Marx findet sie bei Joinville nur im Relativsatze.
Über die Bedeutung dieser Wortfolge sehe man § 7. 4) Die Stellung
Verbum — Subjekt — Objekt findet sich im eingeleiteten asse-
rierenden Hauptsatze. Die von Völcker p. 33 gegebenen Belege (von
denen Gorm. 125 zu streichen ist) sind alle derart; Morf stellt das
Gleiche für das Rolandslied p. 226 fest; ebenso für ihre bezüglichen
Texte Krüger p. 46,* Le Coultre p. 32, Marx p. 349, Schlickum
* Zwei der von Krüger ce<rebenen Belege sind allerdings durch cl ein-
geleitet; cfr. darüber § 4 e (p- 194).
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesätze. 321
p. 14, Ebering p. 354. Unter denselben Umstcänden, d. li. wenn ein
einleitendes Satzglied Inversion des Subjekts hervorruft, ist auch mög-
lich 5) die Stellung Verburn — Objekt — Subjekt. Dieselbe ist
nach Völcker in den ältesten Denkmälern selten (Passion 57 d war unter
ovs zu stellen, da das vorangehende crucifige [Passion 57c] Inversion
bewirkte). Die beiden aus AI. gegebenen Belege sind durch ein Inversion
bewirkendes Satzglied eingeleitet. Das Gleiche gilt von denen bei
Morf p. 2*23, Krüger p. 38, Le Coultre p. 33, Schlickum p. 11, Marx
p. 349 (ein Beispiel ist durch et eingeleitet : A^, 158) und Ebering p. 354.
Die hier zusammengetragenen Belege sind der Mehrzahl nach be-
sonderer Art. Alexius 49a, Ch.Rol. 1076, 1173, 3451, Ville-Hard. 49
und Aue. Nie. 41, 22 ist avoir das Verburn, zu dem das folgende
nicht mit dem Artikel versehene Objekt in inniger, einen einheitlichen
Begriff darstellender Verbindung steht: avoir num (AI. 49 a, mitG. Paris),
aveir rcproece (Ch. Rol. 1076), aveir ciilpe (eb. 1173), aveir doel (eb.
3451), avoir fiance (Ville-Hard. 49). Nur Aue. Nie. 41, 22 ist aus-
zunehmen, wo sich das possessive Adjektivpronomen vor dem Objekt
findet: or a sa joie Aiicassins. Ville-Hard. 226 ist das den Thätigkeits-
begriff nur in formaler Weise zum Ausdruck bringende /rnVe das Verburn,
eb. 123 liegt in prendre conseil eine stehende Verbindung vor, ebenso
Joinv. 59, 196 in empörter le pris und Ch. Lyon prendre la joi. Es
liegen also Fälle vor, in denen, fehlte das einleitende Satzglied, das
Objekt rocht wohl an die Spitze treten könnte, bei einigen (denen mit
avoir.') vielleicht sogar treten müfste; so wäre man wahrscheinlich
gezwungen, Ch. Rol. 3451 : 3Iidt ad grant doil Carlemagnes li reis bei
Fehlen des einleitenden mult das Objekt grant doel an die Spitze zu
stellen: grant doel ad Carlemagnes li reis; ein ad grant doel Carlem. li r.
wäre wenigstens für das Rolandslied nicht möglich und auch sonst
sind analoge Beispiele bisher nicht nachgewiesen. Freilich könnte ja
jene unstatthafte Ausdrucksweise auch durch ein Carlem. li reis ad graut
doel umgangen werden, oflFenbar aber mit anderer Sinnesfärbung: letz-
terer Satz würde von dem Könige Karl aussagen, er habe grofses Leid,
während ein grant doel ad Carlemagnes li reis nach unseren obigen Auf-
stellungen entweder besagen kann : „er hatte grofses Leid, der König
Karl" oder „wer grofses Leid hatte, war König Karl". Jedenfalls
wird man zugeben müssen, dafs, wenn der Redende, indem er nndt
zum logischen Subjekte wählt, den hohen Grad der Gültigkeit einer
von ihm beabsichtigten Behauptung zum Gegenstand der Aussage
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 21
322 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
macht, er diese Aussage selbst doppelt gestalten konnte: 1) Carlemagnes
ad graut doel, 2) grant doel ad Carlem, li reis. Bediente er sich der
letzteren Form, so mulste seine Rede, da dem Verbum die zweite Stelle
im Satze gebührt, eben jene in dem citierten Verse des Rolandsliedes
vorliegende Gestalt annehmen. Somit werden wir bei den Beispielen,
die im assericrenden eingeleiteten Hauptsatze die Stellung Verbum —
Objekt — Subjekt aufweisen, zu unterscheiden haben zwischen
solchen, in denen das Subjekt den Kern der Aussage bildet, und solchen,
in denen es als nachträgliche Erläuterung gellen mufs. Zu letzteren
wird Ch. Rol. 3451 zu zählen sein, ebenso Ch. Rol. 1173: II n'en set
7not, nH ad cidpe li her.* Vielleicht auch Ch. Rol. 1076, wenngleich
hier auch die andere Auffassung nicht ausgeschlossen scheint; ferner
Alexius 4 a: Enfemiens ensi out nom li pedre (mit G. Paris).
Dagegen liegt auf dem Subjekt das Hauptgewicht der Aussage
Joinv. 59, 196: de celle journee emporta le pris monseigneur Geffroy de
Mussaubonc. Vielleicht auch Aue. Nie. 41, 22: Or a sa joie Aucasins
Et Nicolete autresi.
6) Sehr selten ist bei nominalem betontem Subjekt die Stellung
Objekt — Subjekt — Verbum. Für pronominale Subjekte frei-
lich kommt sie schon im 13. Jahrh. vor, wie Krüger p. 39 beweist.
Natürlich auch später; so glebt Marx p. 348 aus Joinville, Ehering p. 349
aus Froissart Nachweise. Einen Beleg für diese Wortfolge mit nomi-
nalem Subjekt giebt Völcker p. 33: Fassion 78^: trestot cest mund
granz noiz cubrid, einen zweiten Le Coultre p. 20: Ch. Lyon 4524
(nicht 1524): Ce cop li autre dui comperent. Man wird nicht umhin
können, in so gestalteten Beispielen Anakoluthien zu sehen; vergl. im
übrigen § 4b (Heft 2, p, 192 f.).
ß^ Was dürfen Avir nunmehr für den Fragesatz erwarten?
Stellung 1 (svo) und 4 (vso) müssen in eine Stellung vso zu-
sammenfallen, da sich St. 4 (vso) aus St. 1 (svo) ergiebt, wenn ein
einleitendes Satzglied Inversion des Subjekts bewirkt. Gleiches werden
Avir nach dem oben Gesagten bis zu einem gewissen Grade auch für
St. 2 (ovs) und 5 (vos) annehmen dürfen. Für St. 3 (sov) wäre
ein Gegenbild svo mit absolut vorangestelltem Subjekt, und für St. 6
(osv) ein solches ovs mit absolut vorangestelltem Objekt zu erwarten.
* Gautier fühlt die Bedeutung von /*■' her richtig; denn er übersetzt;
Certes il nest pas coiij)aMe, car il iien seilt mot, le baron.
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 323
1) In der That ist die häufigste Stellung im Fragesatze: Ver-
b u m — Subjekt — Objekt. Beispiele sind:
Fabl. III, 272: Menoit sainz Fransois teile vie? Pr. P. 139: Porta
clonc vostre pere Vescu vermeil au cerf blanc / Th. fr. 70: Comment, ont
jyrelas Vavantage D'avoir fernes a remuier . . ,? M. XVIII, 337 : Voit
Diex et scet aussi le fait Du pechie qui de niiiz est fait Comvie de jours?
M. Reo. 309, 1G2: Coment! funt li il dune, a vtis abandunez Li reiz
tuz cels par cui ses filz fu corunez ? Th. fr. 614: A Clotilde fait sa
donnee ? M. VII, 458: A chascune sun livre prest? R. Charr. 1076:
Fera donc eist sa volenti de moi . . .? Ch. Lyon 6062: Comant? vialt
donc Yvains ocirre Mon seignor Gauvain son ami /* Vergl. auch eb.
6065. M. V, 938. Ehering eitert p. 351: ne orent pas ce jour nos
gens une belle aventure'f L. Rois 189: Respundi li reis: E ad mes fiz
Absalon pais e est il haitiez? (lat. Text: Estne pax puero Absalom f)
eb. 86 : Durrad li fiz Ysai a vus tuz champs e vignes . . .? {iiumquid
Omnibus vobis dabit filius Ysai agros et vineas . . .9) eb. 157: Ki ocist
Abimilecli le fiz Jeroboal? Dun ne jetad une femme sur hd une piece de
muele del mur? (jionne midier misit super eum fragmen molw de mitro ?)
eb. 410: Cnment, chieles ! (das ! fehlt bei Le Roux) pout dune mds
Dens de nule terre defendre sun pais e sa gent de mei e de mes ancesurs ?
{Numquid liberaverunt dii gentium terram suam de manu regis Assyrio-
rum?) eb. 337: Cument, dan maistre, si laissad li esperiz Deu mei e ad-
parled od tei? {Mene ergo dimisit Spiritus Domini et louutus est tibi?)
eb. 378. Vergl. auch Oxf. Ps. p. 312: Oubliera Deux sa merci? (Versio
metrica LXXVI, 9). In Bestimmungsfragen ist diese Stellung seltener:
M. XXVIII, 1690: Ou prent loyaute son sejour, ... Ou a virginitez
Jionnour recouvre par dessus nature? L. Rois 179: Pur quei maldist
cest chien qui ja murrad lu rei? eb. 410: Nids Deus de mdes terres ne
pourent pas defendre lur pais de mei, e cument dune defendreit vostre
Deu Jerusalem? (lat. Text: Quinam Uli sunt in universis diis terrarum
qui eriierunt regionem suam de manu mea, ut possis eruere Dominus Jeru-
salem de manu mea?).
Für pronominale Subjekte ist Beispiele zu geben nicht nötig; sie
sind natürlich in Bestätigungs- und Bestimraungsfragen überaus häufig.
Noch das Neufranzösische stimmt hier mit dem altfranzösischen Ver-
fahren überein?
* Von Le Coultre citiert.
21'
32-1 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
Ungleich seltener als die Stellung Verbum — Subjekt — Objekt ist
2) die Stellung Verbum — Objekt — Subjekt. B. Chr.
124, 37: Dont n^a nom Turnus tes amis? M. II, 11 Gl: Vons a fait
si grant courtoisie La mere Dien comme voiis dites ? eb. XX IV, 15:
Oll tiennent leurs escoles Les crestiensf Th. fr. 489: Ou a pris ce coii-
rage Mon pere . . .? Pr. P. 78 : Et comment a non li chastiaus ? eb. 112 :
Et comment a non vostre sires^ Max amis? eb. 335: Et comment a non
li rois, feit Perceval, damoisele? eb. 333: Dame^ feit il, comment a non
eil qiii est au ]j7'isson? Rieh. 1343: Car me dites, comment a non Li
castyaus de si grant renon? Blanc. et l'Org. (ed. Miohelant) 3316:
Comment a non ceste mirmande? eb. 2929: Comment avoitnonUmescins?
Morf bemerkt p. 226, dafs die Stellung Verbum — Subjekt —
Objekt für das Rolandslied nur dann möglich sei, wenn das Subjekt
ein Eigenname oder ein Pronomen sei. Die Beobachtung Morfs ist
nicht auf das Rolandslied beschränkt. Freilich bedarf die von ihm ge-
gebene Regel, um Allgemeingiiltigkeit beanspruchen zu können, insofern
der Erweiterung, als den Eigennamen auch persönliche Appellativa
gleichzustellen sind. So weist schon Morf selbst p. 215 darauf hin,
dafs die von Krüger (p. 46) und Le Coultre (p. 32) gesammelten Bei-
spiele seine Regel insofern bestätigen, als es sich bei ihnen gleichfalls
um pronominale Subjekte oder das einem Eigennamen gleichwertige
dnx handelt. Allerdings sind die Pronomina keine tonlosen persön-
lichen ; vielmehr handelt es sich in den beiden in Betracht kommenden
Beispielen (Ville-Hard. 34 und 193) um chasciins^ das Morf nach
seiner Anmerkung 2 auf p. 204 nicht pi-onominal nennen sollte. Auch
die von Völcker, Schlickum, Marx und Ehering (p. 349) beigebrachten
Belege widersprechen der Morfschen Regel in jener erweiterten Fassung
nicht.* Als Subjekte finden sich: deus, amiratuv, le roy cf Angleterre ,
nostre Dame, nostre Dien, les Tiirs, li contes, li roys de Franche, les
Franqais, ces seigneurs.
Den Grund dieser Erscheinung sieht Morf p. 214 in demselben
Umstände, der das Altfranzösische des Rolandsliedes veranlafste, sich
der „unbedingten" Inversion des Subjekts in Sätzen mit nominalem
Objekt nicht zu bedienen, d. h. darin (cfr. p. 207), dafs es für den
Hörer schwierig, ja im Falle mangelhafter Kasusflexion kaum möglicli
* Nur hemorke man Joinv. CO, 200: Apres ces choses prist le conseil le
roy ei le cO)tseil le Soudanc Journce (hei Marx p. 34;)).
Die \Yoi"tstellung iui alifianzösischen direkten Fragesatze. 325
sei, das Subjekt vom Objekt zu unterscheiden, wofern sich eben nicht
ersteres als Eigenname von den übrigen Wörtern abhebe oder als Pro-
nomen so eng an das Verbum anschliefse, dafs es nn't demselben gloicli-
sam ein Wort bilde, und auf diese Weise eine Erschwerung des Ver-
ständnisses in beiden Fällen ausgeschlossen scheine.
Mir erregt diese Erklärung einige Zweifel. Zunächst nnifs es
doch auffallen, dafs die Sprache in gewissen Fällen die Anwe^^cniieit
eines pronominalen Siil)jekts oder eines als Subjekt fungierenden Eigen-
namens für genügend erachtete, um eine Erschwerung des Verständ-
nisses auszuschlicfscn, in anderen (bei der „unbedingten" Inversion
des Subjekts) nicht? Ferner fällt es mir schwer zu glauben, dafs die
Sprache sich gescheut haben sollte, so gut wie De bons vassals avrat
Charles suffraite (Ch. Rol. 939) etwa auch zu sagen De bons vassals
avrat l'ost sufraite aus Besorgnis, der Hörer möge nicht herausfinden,
dafs l^ost Subjekt und suffraite Objekt sei ; „so ängstlich ist das sprechende
Volk nicht." Ist es nicht ungleich kühner zu sagen: Fu donc vostre
pere li rois oder Est dont amors infermetes oder Est donc pechie mariage
(cfr. die § 13/?, 1,2 gesammelten Belege), als es wäre, sich einer Kon-
struktion, wie De bons vassals avrat Vost soitffraite sie darstellt, zu be-
dienen ? Von einem zu besorgenden Mifsverständnis wird in der That
in der Mehrzahl der Fälle nicht die Rede sein können; da aber, wo
dies mit Grund geschieht, wie z. B. Joinv. 55, 184: Par pluseurs fois
li disconfirent les Turs sa gent (wenigstens wenn li fehlte), kann offenbar
auch ein als Subjekt fungierender Eigenname ein Mifsverständnis nicht
ausschliefsen.
Der Grund der von Morf konstatierten Erscheinung wird also
anderswo zu suchen sein; diese selbst bleibt natürlich darum niclit
Aveniger sicher. Auch für den Fall, dafs das Subjekt durch das Objekt
vom Verbum getrennt wird, also für die Stellung Verbum — Objekt —
Subjekt trifft Morfs Beobachtung zu. Sie trifft endlich auch für den
Fragesatz zu. ]\Iit zwei Ausnahmen handelt es sich bei den Beispielen,
die wir für die Stellung Verb — Subjekt • — Objekt, sowie für die zweite :
Verb — Objekt — Subjekt beigebracht haben, um solche, die einen Eigen-
namen oder ein persönliches Appellativuni oder schlicfslich ein Pro-
nomen zum Subjekt haben; auch die Übersetzungen entnommenen Be-
lege machen hiervon keine Ausnahme, da L. Rois 179: Purquei maldist
cest chien qui Ja murrad lu rei / wo mit cest chien doch auch eine Person
bezeichnet wird, als solche nicht gelten kann. Auch M. XXVIII, 1G90;
326 Die Wortstellung im altfranzösisehcn direkten Fragesatze.
Oi( prent loijaute son sejour ... Ou a virginitez lionnour recouvre par
desstis naliire? widerspricht dem Gesagten nicht, Aaloyaute und virginitez
als Bezeichnungen von Persönlichkeiten angesehen werden können.
Und am Ende fällen auch Pr. P. 78: Et co7mnent a non U cha-iiaus?
(und Rieh. 1343: Comment a non Li castyaus de si graut renon?) und
Blanc. et l'Org. 3316: Comment a non ceste mirmcmde? nicht so schwer
ins Gewicht, da doch auch das Schlofs sowie das Städtchen gewisser-
raafsen als Person betrachtet werden, wie zur Genüge daraus hervor-
geht, dafs man ihnen, wie einer Person, einen Namen giebt.
Angesichts des Urastandes, dafs für die Frage eben jene beiden
Stellungen die regelmäfsigen und, sofern nicht das Subjekt oder das
Objekt aus dem engeren Satzgefüge heraustritt (Beispiele für letzteres
unter 3), die einzig möglichen sind, mufs diese Thatsache auffallen.
Mit ihrer Konstatierung erwächst uns zugleich die Pflicht, die Frage
zu beantworten, wie denn die alte Sprache verfahren ist, wenn das
Subjekt des Fragesatzes weder ein Eigenname noch ein persönliches
Appellativum noch auch ein Pronomen war? Machte sie es sich etwa
in solchen Fällen zur Pflicht, das Subjekt oder das Objekt dem Satz-
gefüge absolut voranzuschicken? Auf diese Frage zu antworten, sind
wir aus dem einfachen Grunde nicht im stände, weil es uns an ein-
schlägigen Beispielen völlig fehlt. Und vielleicht nicht zufällig fehlt;
denn, wenn es auch nicht ausgeschlossen sein mag, dafs sich das Alt-
französische Mengen oder Stoffe oder schwerer zu personifizierende
Dinge als Subjekte zu transitiven Thätigkeilsbegriffen vorstellte, so
liegt es doch nahe, dafs dieser Fall für eine so schlichte Sprache das
bei weitem Seltenere sein mufste. Damit stimmt überein, dafs auch
die bisher für die Stellungen Subjekt — Objekt — Verb um und
Objekt — Subjekt — Verbum gesammelten Belege mit einer
Ausnahme: Passion 78b (von Völcker cit. p. 33) in Bezug auf das
Subjekt alle den Anforderungen genügen, die Morf an die Stellungen
Verb — Subjekt — Objekt und Verb — Objekt — Subjekt stellt. Die
ganze F'rage bedarf noch der Untersuchung.*
Was nun den Unterschied der Wortfolge Verbum — Objekt —
Subjekt von der häufigeren Verbum — Subjekt — Objekt angeht, so
haben wir im Fragesatze Avie im Hauptsatze in dem Umstände, dafs
* Vergl. Tobler, Gott. gel. Anz. 1872, S. 1897 Anm. und Hornings
Aufsatz Zts. VI, 439. (T.)
Die Wortslellung im altfianzosischen direkten Fragesatze. 327
das Subjekt gewissermafsen die Bedeutung einer nachträglichen Er-
läuterung hat, den Grund der Trennung desselben vom Verbuni durch
das Objekt zu sehen. Dafs sich unter den Beispielen keines findet,
in dem auf dem Subjekt das Hauptgewicht der in Frage gestellten Aus-
sage ruhte, wird zufällig sein, ebenso dafs es sich bei den meisten der-
selben um avoir nom handelt, welche Verbindung uns auch unter den
Belegen, die im asserierenden Hauptsatze die Stellung Yerbum —
Objekt — Subjekt aufwiesen, begegnete (Alex. 4 a). Eine gewisse Be-
stätigung unserer Ansicht, dafs das Subjekt als nachträgliche Erläute-
rung aufzufassen sei, scheint ein demselben Denkmal, dem die meisten
Belege mit avoiv nom angehören, entnommenes und schon oben citiertes
Beispiel zu bieten, in dem ebenfalls bei avoir nom ein ausgesetztes
personalpronominales Subjekt dazu zwingt, das dem Objekt folgende
nominale Subjekt als aufserhalb des engeren Satzgefüges stehend zu
betrachten. Es ist Pr. P. 323: Comment a il non, li Chevaliers?
3) Das nominale Objekt kann drittens dem Fragesatze auch in
absoluter Weise voranfreten, und zwar häufig in Bestimmungsfragen.
Schon Tobler citiert Z. II, 391: CIi. Lyon 1617: Vostre terre qui des-
fandra Quant li rois Artus i vendraß Weitere Belege sind: Perc. 2417:
Et ma coiipe coment ot iU eb. 3516: Et dient tuit: Aguigrenon, Quant
vous qaiens ne le meistes, La teste por coi lüen prcistes ? Ad. p. 29:
Mun criator cum atendrai? B. Chr. 318, 1: Mun euer pour coi seul
i envoi? M. Rec. 258, 147: Üonnor ton pere pour quoi gueroieras ?
Ch. n esp. 6046: Et plus lonc conte ke feroie ? und gleichlautend eb.
6884. Elie de S. Gilles 314: Ces prisons u presistes que si mal de-
menes? M. V, 965: . . . les celestiennes (choses) Comment croirez se les
vous di? Romania VHI, p. 49, 655: Et lesset lions quio eist? Schon in
der Passion findet sich ein Beispiel 46c: maior forfait que i querem?
was Vülcker p. 34 hätte erwähnen sollen. Eis sei hier auch gleich ein
Beispiel angeführt, in dem der Sachverhalt insofern ein verscliiedener
ist, als das Objekt von einem Infinitiv abhängt: M. XVIH, 1225:
E .' mere Dieul ceste honte Comment te pourray desservlr ? Dies Beispiel
beweist, dafs Ch. Rol. 2583: Cest nostre rei pur quei laissas cunfundre?
die Wiederaufnahme des cest nostre roi durch ein le vor laissas, wie sie
Morf, der diesen Vers p. 27G citiert, iierstcllcn will, nicht not thut.
Dafs eine solche im Nfrz. obligatorische Wiederaufnahme eines
absohlt vorausgeschickton Objekts auch schon afrz. vorkommt, versteht
sich. Perc. 2569: Ces armes qui le tes bailla ? J.XLIV: Or me dites,
328 Die Wortstullung im aUfriiiizüsischen direkten Fragesatze.
Ics chevalcrics que vos avez f altes, por cid les feistes vos ? Fabl. III, 242:
Cele pel qui la vous dona? M. J, 1296: Cest enfant qui le vous do)ia.'
eb. XXI, 156: Ceste nouvelle ou Vas tu prlse? eb. XXXVI, 991: Ce
garnement que faij vestit, Le cognois tu point? dy me voir. Rieh. 3796:
Che castiel la qui le connoist? Ob das von Morfp. 246 citierte Ch. Rol.
534: Sa graut valur ki V purreit acunter ß wo das vorangestellte Objekt
wiederum von einem Infinitiv abhängig ist, hierher gehört, scheint
zweifelhaft, da l mit Bezug auf vahtr doch höchst bedenklich ist (T.).
Vielleicht ist das l zu streichen und das Beispiel gleicher Art mit Ch.
Rol. 2583 (s. oben).
In Bestätigungsfragen ist die absolute Voranstellung des Objekts
bedeutend seltener. Fabl. I, 7G: Ostes, f et il, vostre jpersone Du moustier
dont ne connissiez? Ces XV. sols hien li croiriez Se j^of "^noi les vos
voloit rendre? Jourd. Blaiv. 2494: Cest Chevalier connissiez voz, suer
hele? — Dil, voir, sire etc. M. Rec. 301, 143 (aus Crestiens Perceval) :
Di moi, se tu sez, ou il sont? Et les puceles veis tu?* Pr. P. 37:
Et la damoisele del char, sire, veistes vos ? — Oil, dame, fet il ...
M. XXXIV, 1283: Dy me voir, se Dieu te sequeure, Nostre pere
as tu point veu? Ne m^en soit pas le voir teu etc. Hierher wei'den
auch gehören Fabl. II, 87: Dame Avinee, tel merite, Fait li Prestres,
doi ge recoivrc? Dit dou Magnlficat (ed. Tobler, Jahrbuch 2) 138:
Comment, fait il, me maudissies? Vostre roi ne reconissies ? obwohl
hier eine andere Auffassung nicht ausgeschlossen erscheint (vergl. § 17).
Auch hier sei es gestattet, gleich ein Beispiel mit aufzuführen, bei dem
das Objekt von einem Infinitiv abhängt: M. Rec. 237, 3: Bone chanqou
plest vos a escouter Del meillor home qui ainz creust en De?
Nfrz. wäre die Wiederaufnahme des Objekts innerhalb des engeren
Satzgefüges durch das ihm zukommende tonlose persönliche Pronomen
in solchen Fällen unbedingt erforderlich. So kann auch schon afrz.
verfahren werden: Raoul de Cambr. 46: Iceste guerre lairez la vos
ester? Perceval 2744: Amie, cel chevalier Qui vient armes encontre nous,
Dites moi, connissiez le vous? So auch, wenn das Objekt durch einen
Satz ausgedrückt wird: M. XXXII, 547: Ce que je vous commanderay,
Le fere: vous? Th. fr. 667; Et que Scdnt-Esperit, di moy^ Est Diex,
le croiz tu en tel guise? Von einem Infinitiv hängt das Objekt ab
Th. fr. 606: Dame, cest annel, que ci voy Vous plaira il a le me vendre ?
* Potvin liest (Percev. 1422): Et des puceles veis tu? Paul Meyers
Lesart ist indes als besser bezeugt vorzuziehen.
Die VVorLstulhmg im altfiMiizösiscliou direkten Fragesätze. 329
1) Selten begegnet das Objekt auch als nachträgliche Erläiiterinig
eines Personalpronomens, das seine Stelle im engeren Satzgefüge in
formaler AVeise ausfüllt: Men. R. 277: Queil Vavez bastie, la traison,
cntre vous et fr er e Garin?* Ehering citiert Zts. V, 375 aus Froissart
I, 192, 3560: A quel pois les doit on peser Ces regars saus lui ahuser ?
Hierher ist auch zu rechnen L. Rols 121 : Respundi David: E cument le
sez qne mors est Said et Jonathas sis fiz ? wo das Original nichts dem le Ent-
sprechendes aufweist : Unde scis qina mortims est Said et Jonathas fdius ejus ?
5) Ist das Interrogativum selbst Objekt, so wird die Stellung
Objekt — Verb — Subjekt notwendig. Th. fr. 64: Qiie dist cele
feilte/ Men. R. 201: Quans deniers doi jou? mögen als Beispiele ge-
lingen, Ist das Interrogativum Subjekt, so mufs die Stellung Sub-
jekt — Verb — Objekt Platz greifen: Ch. Rol. 2926: Qui giiierat
mez hoz a tel poeste ? Fabl. IV, 123 etc.
6) Nur zwei Beispiele sind mir begegnet, in denen sich das nomi-
nale Objekt vor dem Verbum befindet, aber deshalb nicht als aufser-
halb des engeren Satzgefüges stehend betrachtet werden kann, weil es
in einer Bestimmungsfrage hinter dem Interrogativum steht: M.
XXVIII, 1766: Aiiquel de vous deux cest a faire Adjugeraij ? Th. fr.
618 (617 extr. f.): Quelle cause vous a fait mettre En cest estat que
seinhlez povre estre? Ne pour quoy, voir m'en soit retrait, JSIon mantel
arriere auez trait ? IHtes le nioy. Vielleicht ist hier, wie aucli sonst
cinigemale, die direkte Frageform durch die indirekte ersetzt. Vcrgl.
§ 12, Zus. 1 ; § 14 /?; § 15 d und § 16 a, II, ß.
Trennbarkeit des nominalen Objekts.
1) In der Stellung Verbum — Objekt — Subjekt wird, in
Übereinstimmung mit der oben über die Bedeutung dieser Wortfolge
gemachten Bemerkung, das Objekt in der Regel weder im asserierenden
Hauptsatze noch in der Frage vom Verbum getrennt. Einmal finde
ich im Fragesatze das Prädikativ des Objekts zwischen Verb und
Objekt: M. II, 1161. Vergl. § 14 b, dd.
2) Dagegen können in der Stellung Verbum — Subj<kl — Oljckt
als trennende Satzglieder zum Subjekt hinzukommen:
h) Adverbien und adverbiale Bestimmungen: Tli. fr. 104: Mais
veis tu par. chi devant Vers cesle riviere nul ane / B. C'iir. 124, 8: As
* Entre vous et frere Garin ist gleichfalls als nachträgliche Erläuterung
anzusehen. Vergl. § 12, Zusatz '2, b.
330 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
hl de nid hoine talent? so aiicli ein entfernteres Objekt: B. Chr. 182, 20:
Quant a trestoiite ju'ost ont tvove forniture En fönt des as dex nesune
forfaiture? Erec 4385: por qiiel forfait Falles a eel home tel lait Que
comme larron le menez? L. Rois 8G: Durrad li fiz Ysai a vos tuz
cJuunps e vignes? ßomania VIII, 49, 651.
b) Das Trädikativ des Objekts: M. Rec. 309, 102: a vus aban-
donez Li reis tuz cels . . .?
Im übrigen sehe man die oben gegebenen Beispiele.
Zusatz zu § 15 a.
Zwei koordinierte Objekte folgen stets dem Verbiim und zwar un-
getrennt: M. Rec. 300, 117: Veis tu hui cn ceste lande .V. chevaliers
et .HL puceles? Erec 527; M. III, 920 ; B. Chr. 73, 37 ; Fabl. III, 90 ;
Th. fr. 615 etc. L. Rois p, 90: E lii'erunt mei H hurgeis de Ceila e
ces ki od mei sunt en la main Said? kann nicht in Betracht kommen,
da sich die Übersetzung Wort für Wort an das Original hält: Si tra-
dent me viri Ceilw et viros qni sunt mecum in manus Said? Nur wenn
beide den Gegenstand der Frage bilden, gehen sie voran: M. III, 284:
Quel revel Ne quel noyse menez ceans? In diesem Falle finde ich sie
einmal durch das Verb getrennt.* Ch. II esp. 3332: Biaus tres dous
nies, et quel deport Puis je et quel restorement Avoir de vous et je-com-
ment Tenrai terre se vous moures? Freilich sind sie vom Infinitiv ab-
hängig. Ch. Lyon 1489: Por coi detort ses beles mains et fiert son piz
et esgratine? tritt ein zu zwei verb. fin. gehöriges nominales Objekt
zwischen beide.
h) Stellung des ]n-onominalen Objekts (einschliefslich der Adverbien en und i).
1) Der tonlosen Pronomina. Im asserierenden Hauptsatze treten
die tonlosen Pronomina vor das Verbum, aufser wenn in nicht nega-
tiven Sätzen das Verbum an der Spitze des Satzes steht, in welchem
Falle an Stelle der proklitischon eine enklitische Stellung derselben
zum Verbnm notwendig wird. Wenn Völcker p. 36 f. behauptet, dafs
diese von Tobler in der Recension der Le Coultreschen Arbeit (Gott,
gel. Anzeigen 1875, p. 1062) gegebene Regel insofern für die ältesten
Denkmäler nicht ganz zutreffe, als die Nachstellung der tonlosen Pro-
nomina nicht auf den Fall beschränkt sei, dafs das Verbum an der
Spitze des Satzes steht, so ist zu bemerken, dafs die Belege, die er für
diese Behauptung beibringt, der Mehrzahl nach nicht geeignet sind,
Die Wortstellung im altfranzosi«c!ien ilirekten Fragesatze. 331
sie zu beweisen. Leodegax* 2a: Frimos didrai vos, ebenso Alex. 92 e:
Co peiset mei, und eh. 96 b gleichlautend, schliefslich auch Alex. 116c:
Co peiset eis handelt es sich um die betonte Form; wenigstens ist
das Gegenteil für Leodegar 2 a nicht zu beweisen. Leod. 32 d: Dane
oct ab lui dures raizons gehört natürlich nicht hierher, AI. 72 b: venent
tlevanf, ietent s'en (mit Paris) ureisuns kann das Verbum als an der
Spitze stehend betrachtet werden, so dafs nur Leod. 11c: et F/uuruins
Ott eil grau dol und eb. 13 d: et sancs Lethgiers oc s'ent pavor bleiben.
Vielleicht hat man in diesen beiden Beispielen hinter dem an der Spitze
stehenden Subjekte eine Pause eintreten zu lassen: Euuruins^ olt eii
gran dol. *
Was nun den Fragesatz angeht, so sind bisher folgende einschlägige
Beobachtungen gemacht worden: Völcker p. 38 findet mit Ausnahme
von Gorm. 214 das tonlose Pronomen im Fragesatze vor dem Verbum;
dafs Gorm. 214 eine Bestätigungsfrage vorliegt, alle übrigen Belege
aber Bestimmungsfragen sind, hat er nicht beachtet. Im Rolandslied
tritt das Pronomen hinter das Verbum in der Bestätigungsfrage, es geht
demselben voran in der Bestimmungsfragc (Morf p. 230). Zu dem
gleichen Resultat kommt Le Coultre p. 44, nur dafs der Ch. Lyon im
Vers 1763 auch ein Beispiel dafür bietet, dafs in der Bestimmungs-
frage das tonlose Pronomen hinter dem Verbum steht. Schlickum p. 17
findet in seinem Texte die tonlosen Personalpronomina sowie en und i
in eingeleiteten Fragesätzen vor, in uneingeleiteten hinter dem Ver-
bum. Für letzteres biefel jedoch Aue. Nie. eine Ausnahme (24, 33):
Ba! me conissies vos? Bei Joinville steht nach Marx p, 330 das Pro-
nomen in der Bestimmungsfrage vor dem Verbum. Ehering endlich
bemerkt p. 356, dafs im altfrz. Fragesat/e das Pronomen in der Regel
nach dem Verbum stehe, wenn dieses selbst an der Spitze stehe, dafs
dagegen bei Froissart eine solche Stellung sich nicht finde. Krüger
untersucht die Stellung der Pronomina für den Fragesatz nicht besonders.
Es ergiebt sich aus den angeführten Daten, dafs für Bestimmungs-
fragen während der ganzen altfranzösischen Periode das Vorantreten
des Pronomens durchaus die Regel war. Der einen von Le Coultre
* Für (las Rolandslied freilich und die spätere Zeit wäre diese An-
nahme nicht statthaft, da man ein JCwiruins, grant dol en otl erwarten
würde. (Vergl. § 5 b.) Aber für die ältesten Denkmäler wini sie kaum ge-
wagt erscheinen, wenn man bedenkt, dwfs für diese auch noch estre Ton
genug hatte, um am Anfange des Satzes stehen zu können; vergl. AI. 9a:
Fxd la pulcele de molt halt parenlet (cfr. lieft 2, p. lUO).
332 Die Wortsklhing im altfranzösischen direkten Fragesätze.
ans dem Cli. Lyon (1763: Di donc ! por coi Feis le tu / poi' mal de moi, Por
haine nepordespü .^) konstatierten Ausnahme vermag ich gleichgeartele Be-
lege nicht an die Seite zu stellen, Avenigstens nicht aus Originalwerken.
In den L. Rois ist mir p. 201 eine hergehörige Stelle begegnet: E cn-
ment purrad nnls qidder que Deu velrement habited en terre? Si neis 11
cels nel puet cuinprendre, cumeiit dune ciiniprendrad le ceste maisun que
fait ai en fonuvance de sun num ? Der Herausgeber interpungiert falsch,
wenn er hinter terre ein Komma, hinter cumprendre aber ein Frage-
zeichen setzt, worüber der Urtext keinen Zweifel läfst: Ergone putan-
dum est quod vere habitet super terram? si enim ccelum, et coeli ccelorum
te capere non possunt, quanto magis domus ha'C quam cedifieavi! Nicht be-
Avcisend ist Pr. P. 64: Que plest vos? da vos die betonte Form sein kann.
Zu korrigieren ist L. Rois 127: E Abner criad vers Joab si U
dist : Cument vols tu nus pursiure senz merci jusques a la, mort ? (lat. Text :
Num usque ad internecionem tuiis mucro desccviet ?) Hinter cument ist
ein Ausrufszeichen zu setzen. Unter diesen Umständen scheint mir
die Stelle aus dem Ch. Lyon bedenklich. Vielleicht könnte man, ohne
den Text zu ändern, folgendermafsen interpungieren : Ch. Lyon 1760
bis 1765: ^Via.v tu donc,^^ fet ele, „7ioier, Que par toi ne soit morz nies
sire?'"'' ^^Ce^'"'- fet il, „ne puis je desdire, Einz Votroi bien.^^ „Di donc por
coi? Feis le tu por mal de moi, Por haine ne por despit?^^ Man hätte
sich alsdann aus dem Emz l^otroi bien ein je l'ai mort zu entnehmen.
Auch die aus den L. Rois (261) citierte Stelle braucht nicht not-
wendig als beweisend angesehen zu Averden. Unmöglich wäre es nicht,
dafs man sich hinter cument dune ein Ausrufszeichen zu denken hätte.
In Bestätigungsfragen ti'itt, wofern sie nicht negativ sind,
ganz wie im asserierenden Hauptsatze, der aus irgend einem Grunde
das Verbum an der Spitze aufweist, das tonlose Pronomen hinter das
Verbum. Was also Völcker p. 38 mit Bezug auf Gorm. 214: Veus
me tu donc issi guerpir? eine „sehr seltsame Konstruktion" nennt, ist
die Regel. Zu den schon oben § 12 a (Trennbarkeit des Subjekts) ge-
gebenen Belegen sei es gestattet folgende hinzuzufügen: Adam p. 13:
Creras me tu? Oil, mult bien; eb. Criens le tu tant ? eb. p. 15, 48, 65.
Erec 1108: Savez en vos rien? eb. 1777: Poez i vos rien contredire?
J. XLIV: Et combatistes i vos? Pr. P. 93: avez i vos donc este? eb. 100:
Avez i vos volentez dualer? B. Chr. 189, 38: Baron, dist il, laires l'en
vous aler ? Perc. 7348: Et tenes m\nt vos a vilaine Se por sa proiere
Ufas Compagnie, joie et soulas? L. Rois p. 83: Suid se netteuient guarde
Die Wortstellung im altfranzÖsischen direkten Fragesatze. 333
tes vcullez e meimement de haut de fenime? eb. 85: Faülent nus dune
hwnes forsenez ?
Doch gilt diese Regel nicht ausnahmslos. Schon Schlickum kon-
statiert p. 17 aus Aue. Nie. eine Ausnahme, die das tonlose Pronomen
vor dem Verbum zeigt. Die Frage, die Schlickum a. a. O. zur Er-
klärung dieses Ausnahmefalls stellt, ob man nämlich dem vorauf-
gehenden Ba ! (jne connissiez vous ?) die Wirkung eines einleitenden
Satzgliedes zuschreiben dürfe, wird verneint werden müssen. Einmal
könnte diese Annahme schon deshalb gewagt scheinen, weil doch die
Verbindung des Ausrufs mit dem Fragesatze eine sehr lose ist,* zweitens
aber hat, wie wir sehen werden, nur die Negation die Wirkung, welche
Schlickum ganz allgemein einleitenden Satzgliedern zuschreibt. End-
lich ist Aue. Nie. nicht das einzige Denkmal, das ein gleiches Schwanken
zeigt. Z. B. liest man Ch. II esp. 857: Comanda le il? eb. 3975:
Menra il noiis a nid repaire ? eb. 8379: Et verai je la? Andererseits
aber auch eb. 1200: I porrai jo hui mais aler de jor ? eb. 1626: Vous
tournast il donc a laidure Se devcint inoi descendissies ? In Jean Bodels
Jeu de St. Nicholas ist Th. fr. 179: Veus me tu tolir mon affaire? eb. :
hovtes me tu? eb. 189: Veus le tu avoir par effort? und sonst das Pro-
nomen nachgestellt; einmal steht es v o r dem Verbum: Th. fr. 206:
Fi! mauvais, nie cuidiez vous prendre?
Weitere Beispiele für die Voranstellung bieten Pr. P. 83: Me
herbejeroiz vos amiit? eb. 94: IIa! sire, me sauriez vos dire uouvelles
d'un Chevalier ...? eb. 157: Le fist il mieuz que misires Gauvains?
J. XLIII: Et vos i vi ge onques? eb. : Et vos i vi ge plus? (dagegen
eb. XLIV: Or me dites, fait ele, pids que vos fustes ... vi vos ge onques
puis?) Oleom. 14529.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts schon ist Voranstellung des
tonlosen Personalpronomens vorherrschend. Bei Adan de la Halle
finde ich (Th. fr. 55 — 102) kein Beispiel für die Nachstellung mehr,
ebensowenig in den Mirakeln. Von Froissart konstatiert das Gleiche
Ehering p. 356.
Ist die Bestätigungsfrage dagegen negativ, so treten die tonlosen
Pronomina regelmäfsig zwischen tonlose Negation und das Verbum.
So bei Crestien, der ohne Negation das Pronomen ausnahmslos folgen
läfst: R. Charr. 1689: JSel savez? nel veez vos donques ? eb. 2004: Ne
* Cfr. auch z. B. L. Rois 3G: Da! purrad nus eist de nos enetniz salvcrf
334 Die Wortstellung im altfranzösisclien direkten Fragesatze.
vos ai ge dit que je sui Del reanvie le roi Artu? eb. 4210 etc., cfr. auch
L. Rois 350, B. Chr. 87, 3; 87, 4 ; 88, 21; Ad. p. 24 etc.,* B. Chr.
04, 28: Ne membre vus, via bele amie, De une petite druerie ...? wird
daher in vus die betonte Form zu sehen sein.
Einigemal scheinen wie eine am Anfang des Satzes stehende
Negation auch die Adverbien or, donc zu wirken ; doch sind die Stellen
nicht beweiskiäftig. Perc. 7348: Or me diras tu dont mon vuel Com-
ment li rois a joie et duel? Fabl. II, 53: ,,Dont me pluveres (1, plevires)
vous vo foi,'"'' Fait li Prestres, ,,que je serai Demain paiies et si arai Mon
convenant trestout sans noise?'^ Pr. P. 100: Dont me creantez-vos que vos
revendroiz par ci por parier a moi, se li Graax s'apert a vos et que vos
denianderoiz de quoi il sert? — Voire^ daiiie, fet Lanceloz, se vos estiez
outre la mer. eb. 77: Sire, fet misires Gauvains, dont m''avez vos trai ? —
Par mon chief, dit li rois, nou (1. non) auroie etc. Men. R. 304 : Corn-
ment, hiau seigneur, donc niavez vous trai? Aue. Nie. 10, 66: Or
7n afies vos, fait Aucassins, que a md jor, que vos a'ies a vivre, ne porres
men pere faire honte ne destorbier de sen cors ne de sen avoir^ que vos
ne li facies ?
Perc. 2039, Fabl. II, 53 und Aue. Nie. 10, 66, vielleicht auch
Pr. P. 100 können als Imperative angesehen werden, Pr. P. 77 und
Men. R. 304 sind deshalb nicht beweisend, weil auch ohne das am
Anfang stehende dont das Pronomen hätte vor das Verb treten können.
Trennbar ist 1) das dem A'^erbum folgende pronominale tonlose
Objekt durch das tonlose Subjektspronoraen. Die Erscheinung ist ziem-
lich selten: Th. fr. 13: Cuidiez vous le a vie traire? Pr. P. 81: Volez
vos me plus demander? Ch. II esp. 8379: Et verai je la? (T.) L. Rois
115: Pols tu me mener la u ti compagnun sunt? (T.) Nicht entschei-
dend sind B. Chr. 221, 24: Irai je li dont s^amor demander? Ch. II
esp. 3975: Afenra il nous a md repaire? L. Rois 127: Cument! vols
tu nus pursiure senz merci jesques a la mort? Th; fr. 188: Alumera
on vous pour nient? da hierüberall die betonte Form vorliegen kann.
2) Das dem Verbum vorangehende tonlose pronominale Objekt kann
wie nfrz. nur durch tonlose Pronomina sowie en und i vom Verbum
getrennt werden. Th. fr. 63: 3fen estuet il ge'&ir? Pr. P. 71 : Co?n-
ment! vos an iroiz vos ainsint? L. Rois 337: Dun nel te dis devant que
* Cfr. auch die von Schlickum aus Aue. Nie. gegebenen Belege
mit enne.
Die Wortstellung im alt französischen direkten Fragesatze. 335
eist . ..? eb. 350. J. XLIII: Et vos i vi ge onques? eb. : Et vos i vi
<je plus ? etc.
2) Die betonten Pronomina. Sie folgen dem Verbum, wofern
sie nicht wie Fabl. 11, 2G2: Mes toi por cot les donnoit Ven? Ad. p. 11:
E moi que ehalt? Erec 3732,* Trist. I, 49 der Frage in absoluter
Weise vorangehen; z. B. B. Chr. 108, 26:** Deust mei ele plus amer?
Ron II, 2978:** As mei tu cimeu? L. Rois 90: E liverunt mei li bur-
geis de Ceila e ces ki od mei sunt en la main Saul? eb. 105: Pur quei
dechaces si mei tun serf ? J. CXVI : Dame, por Den, seront moi ja par-
done si grant mesfait? Fr. P. 90: Durra moi ausques eist orages?
Ad. p. 17: Forma il toi por ventre faire? L. Rois 337: si laissad li
esperiz Deu mei e parlad od tei? eb. 358: Requis jo tei de ßz aveir ?
Wie ans den Belegen ersichtlich, können sie vom Verbum durch
ein tonloses oder betontes Subjekt oder ein Adverbium (si) getrennt
werden.
c) Das neutrale Demonstrativum ee verlangt für das Afrz, eine
besondere Besprechung. Es nimmt einerseits die Stelle eines nomi-
nalen Objekts ein in Sätzen wie Men. R. 425: comment soufferez vous
ce? Perc. 3534: Qui a cou fait? Rou II, 1710: pur quei avez ceo dit?
L. Rois 268: Pur quei ad li halz Sires co fait a sa terre et a sa demeine
viaisun? Marx citiert atis Joinville (p. 344) 4, 18: Comment me distes tu
(1. vous) hier ee? eb. 78, 266: Dame, comment ferons nous ce? eb. 87, 296.
Nicht entscheidend sind L. Rois 170: As tu eo fait par le cunseilJoab ?
(?) Th. fr. 20: Ad ceo Pilate comande? Vergl. § 14/? (vospr).
Andererseits möchte man in anbetracht des Umstandes, dafs die
Stellung Objekt — Verbum — Subjekt in der Bestätigungsfrage ziem-
lich selten begegnet, meinen, es sei wie ein tonloses persönliches Pro-
nomen behandelt, wenn es sich in Bestätigungsfragen an der Spitze
des Satzes findet: Fabl. II, 244: Hange il hien, ce savez dire? M. XXII,
1539: Cavez veu? eb. XXIX, 911: Se {= Ce) fera ü? eb. XXIX,
19G: Ce peut il faire sans mesprendre Contre la foy?
Eine solche Ansicht wäre aber deshalb nicht haltbar, weil wir
auch bei Crestien, der die Voranstellung des tonlosen Personalpronomens
vor das Verbum noch nicht kennt, derartigen Beispielen begegnen:
Ch.Lyon6284: Ice feriez vos por moi ? Perc. 9966: Cedist elle,la renoie?
* Bekker interpungiert falsch; das Fragezeichen gehört hinter il/a/aw/'Cf;
also Lars serai plus malauree. Malauree? moi que chaut?
** S. oben § ■12 a (Trennbarkeit des Subjekts) I.
o3ß Die Wortstellung im alt französischen direkten Fragesatze.
Besonders deutlich tritt auch Cli. Lyon 3827 : Ice plalroü vos il a dirc
Por coi viavez tant enore Et taut fet joie et puis plore? die Verschieden-
heit der Behandlung beider Pronomina hervor. Auch tritt die Negation
zwischen ce und das Verbum : Fl. Bl. (ed. du Meril) p. 203: Ice vc
puis ge pas savoir ? Vor allem aber kommen Stellungen wie etwa
fera ce ilf nicht vor.
Vielleicht hat man Einflufs des asserierenden Hauptsatzes, in dem
ce ganz gewöhnlich an die Spitze tritt, anzunehmen.
d) Objekt ist ein Infinitiv. Wie nfrz. folgt der Infinitiv in der
Regel dem Verbum; Ausnahmen sind ziemlich selten. R. Charr. 4347:
Dex! eist forfez quex estre post? Perc. 6727: Quel droit faire vos en
puis ge? Ch. II esp. 1142: Et ce quels cose estre poroit? eb. 12060:
Je comment croire vous peusse? M. XXVIII, 1524: Pardon! las! com-
ment dire Vose? eb. XXXVI, 1189: Sire, quel part aler tendez? Mit
Ausnahme von Perc. 6727 könnte in diesen Beispielen die indirekte
Frageform für die direkte eingetreten sein. Vergl. § 12, Znsatz 1 ;
§ 14/i; § 15a, 6; § 16a, II, /?.
Auch dem folgenden Beispiel, in dem der Infinitiv als absolutes
Satzglied einer Bestimmungsfrage vorangeht, dürften sich nicht viele
gleichgeartete an die Seite stellen lassen: M. XVII, 1345: De conseil
de fol amender Comment peiit nidz ?
Trennbarkeit des Infinitivs. Ist ein Subjekt ausge-
sprochen, so tritt es regelmäfsig zwischen Verbum und Infinitiv. Fahl.
I, 45: Comment Vosa eis viex pensser? Ch. Lyon 6062: Comantf vialt
donc Yvains ocirre Mon seignor Gauvain, son ami? eb. 6065: Sivoldroit
mes sire Gauvains Yvain ocirre de ses viains Ou feire pis qiie je ne di?
L. Rois 410: Cument chieles! (das Ausrnfszeichen versäumt der Heraus-
geber hier wie an den gleichgearteten Stellen p. 34, 362, 409 zu
setzen) pout dune nids Dens de nule terre defendre siin pais e sa gent
de mei e de mes aneesurs? Ch. Lyon 6087: Porra Yvains par reison
dire, Se la soe partie est pire, Que eil li ait fet let ne ho7ite, . . .? Perc.
2279: Varlet, ose nus qa venir Por le droit le roi maintenir? M. XXIII,
249: Peut le roy cVaussi courageux Chevaliers avoir comme il est? L. Rois
p. 36, eb. p. 261. Ehering citiert aus Froissart XII, 64 : Me euide le sire
de Cliclion mettre hors de mon heritage? eb. II, 29, 963: iSe deveroit un
eoer gcntieus Beposer ou h't ä ceste heure? (Für pronominale Subjekte
ist Beispiele zu geben nicht nötig.)
Nicht selten aber schliefst sich auch der Infinitiv dem VcM-biim
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 337
unmittelbar an: Cli. Lyon G017: Dex, meismes en .1. ostel Comant puet
estre li repaires Ä choses qui taut sont contraires? Rou II, 1090: Qu^
fiuet faire uns seuls hom e que puet espleitier Se li hume li faillent ki li
deivent aidier? Cleom.6693: Dont puet venir tel assainblee? M.V, 938:
Peilt donc avoir Viel homme nonvelle naissance? eb, VI, 265: Ou peut
estre ma viere allee ? eb. XXVI, 953: Doit ainsi parier uii tel homme
Com toy a Vempereur de Rammet eb. XXI, 470: Et dedans quans ans
peut venir La mort a homme? Th.fr. 569: Doulee mere Dien, par quel
point Puet estre ma dame cheue? eb. 457: Ou doit estre aussi le retour
Ne le refiige a creature A ce quen gloire touz jours diire? Ch. Lyon
1554 besieht das Subjekt in einem ganzen Satze: Coment puet donc bon
siegle avoir Qui voit gu'an le quiert por ocirre ? desgleichen Lyoner
Ysopet 101: Comant doit comparer pechie Cd qui n'an puet estre entoi-
chie? Fabl. II, 87.
Die Wortfolge Verbum — Objekt — Subjekt ist also bei infini-
tivischem Objekt häufiger als bei nominalem. Während wir bei diesem
dem Subjekt in der Mehrzahl der einschlägigen Belege die Bedeutung
einer nachträglichenErläuterung beimessen zu dürfen glaubten, scheint
in obigen Beispielen mit wenigen Ausnahmen auf dem Subjekt das
Hauptgewicht der Aussage zu ruhen.*
Nicht zuzulassen scheinen diese Auffassung M. VI, 265, Th. fr.
560 und M. XXI, 470. In den beiden ersteren Beispielen handelt es
sich uin pouvoir estre, welche Verbindung in den Miracles häufig ganz
gleichwertig mit einfachem estre angewendet wird. Cfr. M. XXVII, 852 :
Et se saviez que ce peut estre Vous diriez autrement, Je crog. Michel
Th. fr. 385 (letzte Zeile) übersetzt daher richtig et si vous saviez ce
qu'll en est etc. M. XVI, 1654: Viens veoir, meschanf, que peut estre
Ce quil est annuit avenu. eb. XIII, 586: Je ne scay que ce pourra estre.
In der Stellung Verbum — Subjekt — Infinitiv können trennend
zum Subjekt hinzutreten: ein vom Infinitiv abliängiges nominales
Objekt: R. Charr. 2753: Viax tu merci avoir? Ch. Rol. 581: Cum-
faitement purrai Rolant ocirre? etc., oder adverbiale Bestimmungen:
L. Rois 36: purrad nus eist de nos ennemiz salver? R. Charr. 5141:
Vint la puis nus an ceste terre, Fet messire Gauvains, requerre ?
* D.is Gleiche ist anzunehmen im asserierenden Hauptsätze für das von
Morf p. 223 citierte Ch. Rol. 1440, während Ch. Rol. 89 das Subjekt nach-
trägliche Erläuterung scheint.
Archiv f. n. SiiMLlitii. h.NXl. 22
338 Die Wüitstellung im altfranzösischcn direkten Fragesatze.
Zusatz zu § 15.
Über die Stellung des von einem Infinitiv abhängigen Objektes
bleibt wenig mehr zu sagen. Ist es ein tonloses Pronomen, so gehört
es nach altfranzösischer Anschauung zum verbum finitum* und ist daher
nicht getrennt zu betrachten. Dafs das nominale, zum Infinitiv ge-
hörige Objekt in absoluter Weise dem Fragesatze vorantreten kann,
ist oben durch einige Belege erwiesen (p. 327 f.). Folgt es dem Ver-
bum, so gelten die für den asserierenden Hauptsatz bestehenden Regeln
auch für die Frage. So tritt das Objekt hinter den Infinitiv: Ch. Lyon
6062; Fabl. IV, 32; eb. IV, 8; B. Chr. lo4, 13; vor denselben
Fabl. II, 225; Ch. Rol. 581; B. Chr. 150, 8.
Ist das zum Infinitiv gehörige Objekt das Interrogativum, so ver-
steht sich, dafs es an die Spitze des Satzes tritt: Nouv. fr. 23: Dame,
iien bees voiis a faire ?
§ 16. Stellung des Adverbials.
a) Vor dem Verbum.
I. Wenn in Bestimmungsfragen das Adverbium den Gegenstand
der Frage bildet, so steht es afrz. wie nfrz. notwendig an erster Stelle.
Beispiele sind nicht erforderlich.
Das Gleiche gilt, wenn ein präpositionales Adverbiale jene Funktion
inne hat, sofern zum Ausdruck gebracht werden soll, dafs dem Redenden
zwar das Verhältnis eines Seienden zu einer Aussage, nicht aber ent-
weder dieses Seiende selbst (a) oder ein Attribut desselben (b) oder
endlich, wenn das Seiende ein Infinitiv ist, ein zu ihm gehöriges Objekt (c)
bekannt sei. Beispiele für
a) Ch. Lyon 6080: Or dites! de cid se j?laindi'a eil qui des cos
avra le pis Quant li uns Vautre avra co)iqids? eb. i486: Dexl por
coi fet si grant folie Et por coi ne se hlece mains? J. LXXXII:
Encontre hi, fet mesires Kex, la pretiez vos en conduit?
b) Ch. Rol. 395: E par quel gent quide(t) il espleiter tant^
Men. R. 469: En queil garde estes vos, ou en la moie ou en Varce-
vesque? Am. Am. 208: Par cui conduit venez en ceste villef Vie
de Saint Gilles 3566: en ki garde rem.aindrwn? M. XXI, 470: Ei
dedans quans ans p>eat venir La mort a homine? Jourd. Blaiv.
1409: En con mal Heu a ores converse?
* Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist das oben citierte R. Charr
5141: Vint la pitis mis uii ceste tej-re, Fet messire O'aucaitts, rerjuerrc/
Die AVortstellung im altfranzösisclieii direkten Fragesatze. 339
c) Fabl. IV, 10: Ä ke faire feries vous batre? eb. II, 244:
Ä quei fere me demaundez cJiose que vous meismes bien savez?
M. XXXIII, 2032: Ä quot/ faire vous mentiroie? War letztere (der
neuen Sprache nicht mehr mögh'che) Ausdrucksweise auf Fälle mit
faire beschränkt?*
II. Im übrigen sollten sich mit Ausnahme der tonlosen Negation
Adverbien nicht vor dem Verbum finden. Doch ist dieser Fall nicht
ausgeschlossen
A. beim einfachen Adverbium
a) in Bestätigungsfragen. Häufiger finden sich vor dem
Verbum
1) die Fragepartikel donc: Ch. II esp. 11644: Donqucs estes
vous mes parens'^ Dist U rois. — Oest voirs. Ch. Lyon 1461:
Donques sui ge ses anemis? Nel sui certes, mes ses amis. R. Charr.
1209: Donc est ce force'? autant se vaut (Jonckbioet unterläfst das
Fragezeichen zu setzen). Tli. fr. 149: Dont sui je de trestoz chaciez
et envaiz? Fr. P. 100; eb. 265; M. XXI, 428: Donc cognoist on
ceulx plainement Qui tel mal ont a soustenir Ou viennent il sanz
diffinir'^ So besonders auch in negativen Fragen (sogenannten Ja-
fragen), wo dann donc mit der Negation häufig zu einem Worte ver-
wächst mit den Formen donne^ dumne, dunne^ dune, denne, dene.
B. Chr. 124, 37: Dont n'a nom Turnus tes amis'? eb. 192, 4 etc.
Für dumne, dünne etc. finden sich viele Belege aus dem Oxforder
und Cambridger Psalter, sowie aus den L. Rois bei Cornu, Rom.
VII, 362 ff.**
2) or: Fabl. IV, 121: Or estes vous garis enßn? Th. fr. 144:
Or sui je venuz trop matin? Men. R. 408: Ore, dame, j)arti7'ons
nos nostre depouillef M. XVI, 1794: Ore as tu nxdle remembrance
Quelle deist dont estoit nee? eb. XIX, 568: Ore tenras tu bien a
fait Ce que je voulray ordener de toi? eb. XXXIII, 198: Ores scez
tu qu'il est, vilain? eb. XXVII, 1823, Th. fr. Ü62. or und donc zu-
* Vergl. Lasso! ci che dicer vetjno? Dante, Ganz. XVIII ed. FraticoUi
(Bd. III, 09).
** Sucliier weist Z. III. 150 f. die dort vorgetrageno Etymologip von
fhimne = numnam mit Recht zurück. Wäre Cornus Ansicht nicht au sich
völlig hahlos, so würde sie es durch die Tliatsache, dafs für üunne auch
dun nen vorkommt. L. Rois p. 59: Diin neu as tu plus Jizf eb. 414: dun
nen as oid co que' fait ai an arriere? Ich behalte mir vor, an einem anderen
Orte zusammenhängend über die alt französischen Fragepartikeln zu handeln.
22*
340 Die Wortstellung im altfranzosischen direkten Fragesatze.
sammen finden sich vor dem Verb um : Ch. Lyon 5993: Et or donc ne
fi' antraimment ü?
Zur Erklärung dieser Stellung von or und donc ist es nötig, auf
das Wesen der Fragepartikeln näher einzugehen, als das hier geschehen
kann. Nur sei bemerkt, dafs, wenn Mätzner für donc Synt. II, 87 f.
die sich seltsam widersprechende Erklärung abgiebt, „der Fragende
deute durch die konklusive Form seiner Rede an, dafs er auf einen
überraschenden Grund im voraus vorbereitet sei" (welche
Erklärung Zeitlin Zts. VI, 259 wörtlich wiederholt, nur dafs er
„Grund" in „Antwort" bessert!) und Zeitlin Zts. VII, 6 über or be-
merkt, es diene zum lebhaften Ausdrucke der Frage, indem es, seiner
Grundbedeutung ganz angemessen, den Wunsch nach unmittelbarer
Antwort durchblicken lasse, man, wie mir scheint, weit entfernt ist,
über das Wesen der Sache genügend aufgeklärt zu sein.
Andere Adverbien als donc und or finden sich in Bestätigungs-
fragen nicht häufig vor den. Verbum. Einigemal begegnet ja an
dieser Stelle: Th. fr. 596: Ja soufjisi ü? — C'est bien dit, maistre
Pierre, oll. B. Chr. 265, 36: Ja n^as tu öi, de bien fait A ort tele
eure le col frait? hat man 7i'as tu öi wohl als in Parenthese stehend
anzusehen. J. XLII: Et antredeus mandastes me vos mde rien?
Meraugis 124: Biaus sire, encor ne savez voics Que ce sera? (bei
Michelant fehlt das Fragezeichen). — Dame, je non. Nur eine schein-
bare Ausnahme liegt vor Ch. Lyon 1899: {Ceanz est ja.) Ceanz estilf
so auch wohl Ch. Lyon 6381: La estes vos? Vergl. § 17.
AVenn wir M. XXV, 758 lesen: Comment le fait mon seigneur?
Bien Fait, Dieu mercy? — Oil, so liegt auch hier eine Ausnahme
nicht vor. Der Fragende spricht mit Bien fait, Dieu mercy dem An-
geredeten gewissermafsen schon die Antwort vor, die er zu hören
wünscht, so dafs es von dessen Seite nur noch eines bestätigenden od
bedarf. Das Dieu mercy wäre sonst nicht zu erklären. Freilich Fabl.
I, 77: Ces .XV^. sols bien U croiriez Se por moi les vos voloit 7'endre?
scheint zu beweisen, dafs sich auch bien vor dem Verbum finden darf,
doch fehlen mir weitere Belege dafür. Bien ist natürlich hier ganz
anderer Natur als M. XXV, 758.
ß) In Bestimmungsfragen. Wir haben hier zu unter-
scheiden, ob das Adverbium dem ganzen Satze vorantritt, also von
dem Verbum durch das Interrogalivum getrennt wird oder zwisclien
diesen beiden seine Stelle findet.
Die Wortstellung im altlVanzüsisclien direkten Fragesätze. 341
Beispiele für crstere Stellung sind: Fabl. IT, 244: Don (jue Je-
mandem com enfant? Job 341, 34 (ed. Förster): Dankes queil chose
conut El'qyhaz quant il fnt raviz en contemplation ...? CIi. II esp.
7193: Cil dont qul sera Ki seurement le traira? Doch ist in Bo-
stimmungsfragen diese Stellung von donc seltener als in Bestätigungs-
fragen.
Andere Adverbien vor dem Interrogativum : Ch. Lyon 1874:
Mes ci per coi demorez vos? Perc. 3367: (7a qui fenvoie? eb. 7681:
La qne feistes? eb. 9824: Or mais por coi somes nos vires . . .?
M. XXXII, 704: Or comment va? Cfr. M. XIII, 94ß.
In ähnlichen Beispielen werden vi'ir das Adverbium als aufser-
halb des engeren Satzgefüges stehend betrachten müssen; eine solche
Annahme scheint nicht zulässig für Fälle, in denen dasselbe zwischen
Interrogativum und Verbum seine Stelle findet; so Ch. II esp. 5039:
Et conDnent dont vüen kerriez vous? M. XXIV, 590: Comment
(odrement penst il Avoir eschape du peril Qiia ja passe? L. Kois
233: E pur qucl ditnc n'as (jnarded niun cumandement? Flore Bl.
124: Et jnir quei dune ne velt le roi? Romania VIII, 987 (Vie de
S. Gregoire le Grand ed. Mon(aiglon) : Pour qnoy, dist il donques
amis As tu .XJII. j^ovres la niis? Doch ist letztere Stelle nicht be-
weisend, da donques auch zu dist il gezogen werden kann. Auch
L. Rois 261: Coment dune cumprendrad le cesie maisun que fait
ai en Ponour de sun num? ist vielleicht anders zu interpungicren (cfr.
oben p. 332).
AVie ist nun diese SteHung des Adverbs zu erklären? Grundlose
Ausnahmen in obigen Belegen zu sehen wird man sich nicht ent-
schliefsen. Das Nächstliegende scheint mir zu sein, dafs man das
Adverbium wie ein parenthetisch eingeschobenes Satzglied betrachtet,
so dafs es denn doch wiederum aufserhalb des engeren Satzgefüges
stände. Es finden sich allerdings Belege, die eine solche Auffassung
deshalb auszuschliefsen scheinen, weil das Advejbium nffcnbar nur zum
Verbum und nicht wie in obigen Beispielen zum ganzen Satze gehört.
Ch. II esp. 2792: Et ke ce fu ore Kc nwn salu ne me rendistes Et
por Uensi me respondistes Ki ne me senc mesfait de rien? B. Chr.
235, 27: Avoi, fait Blanceßors^ Claris, Por coi si griement m'es-
rarnis? M. XVII, 694: Pour quoy contre lui forveoies? L. Rois
315: Cume lunges si faitement closcerez e fermemcnt ne vus tendrez
ne cha ne In? ■ Das Original gab keine Veranlassung zu dieser Stel-
31J Die Woribtflluug im aUfranzüsitclicii diickicn Fiagesatze.
lung: Usqite quo claudicatis in duas paties? Es wird hier die indirekte
Frageform vorliegen. Vergl. § 12, Zus. 1 ; § 14/?; § 15 a, 6; § 15d.
ß. Viel liäufiger nun nimmt sowohl in Bestätigungs- wie in Be-
stimmungsfragen eine adverbiale Bestimmung die absolute Stel-
lung vor dem Fragesatze ein.
u) Beispiele für Bestätigungsfragen: Rieh. 3503: Hoste»,
fait ü, en ceste terre Saveriez voiis tournoy ne guerre? Ch. II esp.
11128: Et de ma gent ke- il a piise Savez u est? Fabl. III, 109:
Et as freres de no maison Aveis vos fait nule raison? Ce dient li
doi Frere al prestre. Naie voir. M. X, 792: Dites moi, de ceste
nouvelle Estes point liez? M. XXVI, 1218: Sire baillif, en ma
maison Par vostre gre m^en j^uis faler? eb. XXV, 10 • A estre clerc
metterez vons Bien diligence? eb. XIV, 1049: EM ta honte tres
exeellente Est il mdz homs qin ne se sente? eb. XXIX, 1722: Mei^e
Dieu, de dueil demener Ar/ je cause? eb. XIX, 1103: Belle fille,
pour vous guerir Iraij je querre inire? eb. XX, 643: Sire jyour
gloire es cieulx avoir Sanz fin, requerez vous haptesme Et que vous
oigne du saint cresme Comme il covient? — Oll, sire. eb. XXXIV,
1835: Et vous, sire, en ceste meslee Voidez niourir? eb. XXV, 757
findet sich ein attributiver Genetiv in dieser Stellung: De nouvel me
direz vous rien? Auch Erec 3333 wird hierher gehören: v. 3330 bis
3335: Ne me deigneriez amer, dame? (statt des Fragezeichens setzt
Bekker einen Punkt) Irojy estes ßere. Por losenge ne por proiere
Ne feriez rien que je vuille? Bien est voirs que fanie s'orgidlle
Quant on plus la prie et losenge. Cfr. auch M. XXIII, 718. Der
gleiche Sachverhalt liegt vor, wenn die adverbiale Bestimmung in Form
eines vollständigen Nebensatzes gegeben ist: M. XXI, 422: Pins qu^ eile
est en komme trouvSe L'a donc chascun? M. XXII, 776: Se je te
garis et te eure Laisseras tu la loy paienne Pour tenir la foy
crestienne . . .?
Einen deutlichen BeAveis dafür, dafs das vorangehende Adverbiale
aufserhalb des eigentlichen Satzgefüges steht , bietet eine Stelle aus
den L. Rois, in der zwischen dem absolut vorangehenden präpositin-
nalen Adverbiale und dem Verbum die Konjunktion resp. Fragepartikel
et sich findet. Es ist L. Rois 143: Par tuz les Ileus u jo passal od
les fiz Israel e parlai jo nule feiz a alcune des lignhs de Israel . . . .^
(lat. Text: Per cuncta loca quce transivi cum omnihus ßliis Israel,
numquid loquens locutus su77i . . .?
Die Wortslt'llung im altfranzösischen diiekten Fragesatze. 343
Es kann das absolut vorangestellte Satzgliod auch in formaler
Weise im Fragesätze selbst wieder aufgenommen werden: Th. fr. 163:
En eitel fust as i tu creancJie?
Das Gleiche kann geschehen, wenn die adverbiale Bestimmung
in absoluter Weise folgt: R. Charr. 6820: Et la reine n'i est eh
A eele joie qiion demaine?
ß) Für Bestimmimgsfragen sind die Beispiele von absoluter A' oran-
stellung einer adverbialen Bestimmung noch zahlreicher. Perc. 4741:
Et apres le Graail ki vint? eb. 6525: .Diva, fait il, a toi que tahit
L'ocoisons 2^cir coi il remaijitf eb. 6726: A moi, fet il, bete, que
montef eb. 9027: De cest escacier que vos samble? eb. 9506: 2Iais
or me dites del roi Lot De sa fame quans enfans ot?
Weitere Beispiele bieten Perc. 10333; eb. 10571; Erec 500;
Ch. Lyon 3528; eb. 6017; Th.fr. 181; B. Chr. 328, 38; M.XXIV, 267;
eb. XXXIV, 2087; XXVIII, 1353; IX, 979; XI, 527; Lyoner Ysopet
1718; eb. 2325 (attributive Bestimmung: De la seile ou est la nohlesce
Et dou froin docey la richesce? ebenso M. XXXIV, 2119) ; Ch. Rol.
1806,* 1840, 1913, 2411; Tristan (ed. Michel) II, p. 6; eb. I, 138;
eb. T, 189. Die adverbiale Bestimmung ist durch einen vollständigen
Nebensatz ausgedrückt: Rf. XXXV, 303: Puis que ne vous vtj mais
comhien Y a il ore? eb. XXI, 681 : Puis quil estoit vray Diex con-
ment Senti il peine ne toxirment Ne sovffry raort'?
Auch hier wird zuweilen das absolut vorangestellte Satzglied im
Fragesatze wieder aufgenommen: Ch. Rol. 145: De cez paroles que
ras avez ci dit En quel mesure en purrai estre ßz? Rou II, 3415:
De p>artir de cest siege quel conseil iWen dunezf M. X, 490: IIa!
vierge, de ta grant honte Qui en puet dire la haidesce . . .? Lyoner
Ysop. 3086: Di, en ceste maison, Cers, quel besoigne ii amoine?
Pr. P. 108: et de mon neveu que i'os an sanblef Dafs das Ncämliche
bei dem Fragesatze absolut folgender adverbialer Bestimmung geschieht,
sei gleich hier erwähnt. Ch. II esp. 7930: Et vous k'en volez de ce?
Ch. Rol. 244: Cui i enveieruns En Sarraguce al rei Marsilirin?
Zuweilen ist noch ein zweites Satzglied absolut vorangestellt:
M. Rec. 233, 243: Qui n'a que prendre a autrui que donra? M. III,
888: Et toy cy entour que fais tu?
Sehr selten findet sich ein präpositionales Adverbiale in Bestim-
* Wehrmann nimtut sonderbarerweise Rom. Stud. \', 440 in Ch. Hol.
1806: De co cui calt? eine besondere interrogative Bedeutung von de {O an.
"11 Die Wortstellung im altfianzösisclien direkten Fragesätze.
rnungsfragen zwischen Inforrogativum und Verbum. Es wird sich
schwer entscheiden lassen, ob Th. fi". 513: Cominent a si tres helle
femine Est advcnu si lait diffame? die indirekte Frageform, wie auch
sonst einigemal, an die Stelle der direkten getreten ist, oder ob das
präpositionale Adverbiale als gleichsam in Parenthese stehend zu be-
trachten ist, wie dies sicher gilt z. B. für Fabl. II, 254: Ou a deahles
ad il estS? und mir auch für M. XXII, 1542: . . . 2'>our qno?/ de fait
Se soiit il si vilment laissie Trebuchier que tont sont froissie die
nächstliegende Auffassung zu sein scheint.
Auch der neueren Sprache ist jenes dem Altfranzösischen so ge-
läufige Verfahren nicht fremd* (cfr. Mätzner Gr. 559): De tous ceiur
qid se discnent nies cnnis aucun vi\i-t-il secouru? (Ac.) Rousseau,
Emile: Pour former cet homme rare qu'avons nous ä faire? eb. :
Dans un don que je veux hien faire, ne suis -je pa.s maitre de nies
condifions? Wenn, wie B. Chr. 182, 20: quant a trestoute m^ost
ont trouve fourniture, En fönt eles as dex nesune forfaiture^ ebenso
R. Charr. 3440 etc. und nfrz.: Puisque ce sont des risques inseparahles
de la vie humaine, peut-on mieux faire . . .? (Emile) ein vollständiger
Nebensatz vorhergeht, liegt im Grunde derselbe Sachverhalt vor.
b) Hinter dem Verbian.
Im übrigen müssen im Fragesatze Adverbien und adverbiale Be-
stimmungen aller Art dem Verbum folgen.
L Die Adverbien schliefsen sich in der grofsen Mehrzahl der
Fälle dem Verbum so eng an, dafs sie nur durch tonlose Subjekts-
oder Objektsprouomina regelmäfsig von ihm getrennt werden dürfen.
Ausnahmen kommen freilich vor:
a) bei Zeitadverbien: die Fragepartikel donc findet sich zu-
weilen getrennt vom Verbum: Perc. 6755: Est ele vostre flle
donquesf Ch. Lyon 1498: Comant poist ce estre donques? Fabl.
IV, 125: Qu'est cef Est li feus estains dont? Th. fr. 190:
Eids jo estre dont asseurs De cliou que Rasoirs elvi nie conte f
Th. fr. 615 (cfr. ainsi). ore M. XIII, 761: Peut c' estre ore men-
conge Ceste vision ou vray songe? eb. XVIII, 120: Estes vous ei
setde ore? depuis M. XXVII, 2063: Comment vous a este Depuis,
* Auch im Deutschen verfährt die dichteriscbe Sprache gelegentlich so;
verpl. Soff mir Hoch! von deinen Gegnern warum willst du gar nichts tcissen?
(Goethe). Zu Goethes Denkmal was zahlst du jetzt? (ders.). Mit Kirchen-
geschichte was hob ich zu schaffen? (ders.).
Die WortstcUunjr im altfranzösisohcn «lircktcn Fragesätze. 345
m
\imie? cnfin Fabl. IV, 121: Or estes vous garis enfin? einiit
Th. fr. 587: Avec garde ce hois eiuiit? hmjmais M. XXTI, 1251:
Ferez vous autre cliose Iwymais de vos brandons? tauf Jourd.
Blaiv. 2804: Por quoi ai rescu tant?
h) Ortsadverbien. Besonders häufig begegnet caiens (rcsp. Jaiens)
getrennt vom Verbum. Men. R. 48: Comment ne metez vous le roi
iiodre seigneurs caiens, si comme vous devez? Th. fr. 86: mesires
sai)is Acaires A il fait miracles chaiens? Ch. II esp. 9445: A^'a il
ncnt laicns? Fabl. III, 285: A il nidui caienz Qui m enseignast tel
cordelier? eb. I, 19: Est il donc revenuz ceanzf M. I, 593: Ha!
donlce vierge debonnaire Ont il donqiies este ceens?
Andere Adverbien des Ortes: Th. fr. 75: Venront dont les fees
apres? M. XVIII, 447: Est l'abbe ci? Fabl. I, 224: Sont vo com-
paigiion auqites pres? cfr. L. Reis 353.
c) Modaladverbien. M. XXVII, 725: Xe vous ai je pas pris
To}i>i deu.c ensemble? eb. XVIII, 560: Content m^estes vous ravie
si faucement? eb. XXI, 428: Donc cognoist on ceidx plainenient
Qui ...? Th. fr. 615: Vouhz vous cder liors Donqiies ainsi? eb.
598: Semble je estre bien pelerine En cest estat? M. XXII, 62:
voidrez vous estre Voulentiers mire? eb. IX, 981: qui vous alie ainsi?
II. Adverbiale Bestimmungen werden dagegen nicht selten vom
Verbum getrennt, so diiil^h das nominale Subjekt: Ch. Lyon 3529:
Que fei anie an si dolent cors? so besonders, wenn estre das Verbum
ist: Pr. P. 342: Est ceste danioisele de vostre compaigne? eb. 333:
Est son chastel jires de ci? Fabl. IV, 181: Est or li vilains en
nieson? L. Rois 34: Est Saul entre les prophetes? (Num et Saul
inter proplietas?) M. XXV, 197: Sire quel part demeure un hornme
En ceste terre ci con noniuie Vcdentin? cfr. L. Rois 157, 14, 86,
Th. fr. 165. Durch das Objekt: Ch. Rol. 2926: Qui guierat mes
hoz a tel poeste . . .? M. XXIII, 1832: Dites vous ceste clause Pour
vi'rite? B. Chr. 178, 2: Veistes mais si beles en trestous vos aes?
L. Rois 180: Pur quei iie j^ortes cwnpaignie a tun ami David e ne
ras od lui? (Quare non ivisti cum amico tuo?). Fabl. III, 94: En
portes tu riens ä fände? eb. IV, 79: Me dites vous tout ce pur geu?
oh. II, 244 : Vendras tu ton roncijn a mo>/? L. Rois 408, eb. 103. Ein
Infinitiv ist Objekt L. Rois 23, Ch. Lyon 6017. Durch ein Prä-
dikat i V u ni : B. Chr. 88, 22 : Fustes pris pour le songe? Ad. p. 32:
Qid fa toleit de'ta bonte? etc. Durch mehrere der angeführten Glieder:
316 Die VVortstcllmig im altfranzüsisclien direkten Fragesatze.
Af. XXIII, 632: Ou va lafiUe an. roj] Aimi seule sanz compaifjnie?
R. Cliarr. 1076. M. XIII, 310.
Trotzdem sich die oben konstatierte Tliatsache, dal's Adverbien
lind adverbiale Bestimmungen aller Art dem Verbiim im Fragesatze
folgen müssen, ans dem für die Fragestellung geltenden Gesetze not-
wendig orgiebt, wird man liior so wenig wie beim Objekt und Pr.ä-
dikativ annelmien dürfen, die Sprache habe sich infolge jenes Gesetzes,
sofern sie nicht zu einer Anakoluthic greifen wollte, aufser stände ge-
sehen, jene Beziehungen des Adverbs, die sie im asscrierenden Haupt-
satze dadurch veranschaulichte, dafs sie ihm seinen Platz vor dem
Verbum anwies, auch im Fragesatze zum Ausdiuck zu bringen, abge-
sehen davon, dafs wir nicht immer eine parallele Wortfolge im Frage-
satze erwarten dürfen (cfr. § 10, p. 210). Sobald das Subjekt pronomi-
naler Natur oder auch unausgesprochen ist, wird sich zwar heute schwer
entscheiden lassen, inwieweit eine Frage [7i\a{m jo vus »mit, die
1) einer Assertion jo vus ahn midi (Ch. Rol. 635), 2) einer solchen
rmdt vos aim (jo) entspräche, durch den Ton anzu:^eigen im stände
war, ersteres oder letzteres sei der Fall. Bei nominalem Subjekt aber
lag jedenfalls a priori für den Redenden die Möglichkeit vor, eine
Wortfolge avs (a =: Adverb, v = Verb, s = Subjekt) der Assertion
von einer solchen sva bei Übertragung derselben in die Fragestellung
zu unterscheiden, da ihm die beiden Stcllii^gen vas und vsa zu
Gebote standen. Nach den beim Objekt und Prädikativ gemachten
Beobachtungen duiften wir erwarten, dafs die Wortfolge vas im all-
gemeinen der Stellung avs in der Assertion entsprechen würde, und
finden, angesichts des Umstandes, dafs die Adverbien in der alten
Sprache am gewöhnlichsten noch vor dem Verbum ihre Stelle finden,
diese Erwartung in dem oben für die Frage konstatierten Resultat,
demzufolge das Adverbiura in der Regel durch ein nominales Subjekt
vom Verbum nicht getrennt wird, bestätigt.
Wie wir nun oben für die Stellung des Adverbs am Anfange des
Satzgefüges verschiedene Motive unterscheiden zu müssen glaubten, so
wird man sich auch zur Erklärung des Umstandes, dafs das Adverbium
im altfranzösischen Fragesatze sich in der Regel dem Verbum so nahe
als möglich anschliefst, nicht damit begnügen dürfen, auf die enge Zu-
sammengehörigkeit beider hinzuweisen. In vielen Fällen Avird ja ein
solcher Hinweis zur Erklärung ausreichend sein, beispielsweise in
einem Satze wie Th. fr. 185: Vient hien cJiis C07ites? Sehr oft aber
Die Woi'tstollung im altfran^.ösischcn direkten Fragosalzc. 34/
auch wird er schon deshalb nicht statthaft, weil das Adverbiiim nur
in sehr losem Zusammenhange mit dem Verbum steht, wie dies z. 15.
bei den Fragepartikeln der Fall ist. B. Chr. 119, 28: Est dont amors
infertnetes? Dont gehört offenbar zum ganzen Satze und steht zu
keinem Gliede desselben in engerer Verbindung, sondern bildet viel-
mehr das logische Subjekt der Frage: wie eine Assertion Dont ed
anwrs üifermetcs bedeuten wilrde: Zu einem mit dont bezeichneten
Zeitpunkte habe man sich die Aussage amors est infermetes zu denken,
so bringt die Frage est dont amors infermetes zum Ausdruck : Mit
Bezug auf diesen selben Zeitpunkt werde die Frage est amors infern\e-
tcs? gethan.*
Dafs bei präpositionalen Adverbialen freilich die Stellung vsa
mindestens ebenso häufig vorkommt wie vas, ist ans der gröfseren
Selbständigkeit derselben, vermöge deren sie weniger leicht als einfache
Adverbien mit dem Verbum zu einem einheitlichen Begriff" verwachsen
oder als logisches Subjekt eines Satzgefüges funktionieren, erklärlich.
Zusatz zu § 16.
a) Bilden zwei koordinierte Adverbialien den Gegenstand der Be-
stimmungsfrage, so kann das zweite dem Verbum folgen: Elie de
S. Gilles 1866: Dont es et de qiiel terre? R. Charr. 1028: Dom
('sfes vous et de quel leu? eb. 137: Don vos vient et de quel corage?
]M. XXII, 368: Filz, dont viens tu ne de quel Heu? eb. XIII, 945:
Ou est il mors ne en quel point? eb. XXII, 210: Ou iraij ne en quel
lieu? (cfr. Fabl. IV, 120: Robin, que est ce ne comment?) Beide
gehen voran: I\I. XX, 208: Dassel pour quoy na quelle fin Le dites
rous? eb. XX, 1326: Pour quoy donc ne par quel affaire Seroit il
nez en Jhesu Crist? Jubinal, Myst. ined. du 15® s. p. 85: Par quel
point, sire, et en quel guise y pourrions nous advetiirf
b) Die Behauptung Morfs (p. 285), dafs die adverbiale Bestim-
mung, die nach moderner Auffassung zu einem vom verbum finitum
abhängigen verbum infinitum gehöre, nach altfranzösischer Anschauung
vorzüglich zum ersteren trete, ist nach unserer Ansicht durch die am
angeführten Orte gegebenen Beispiele nicht hinreichend gestützt, da
wir in Sätzen wie La ruldrat il crestiens devenir (Ch. Hol. 155)
* \ on dieser Auffassung wird man aucli zur Erkläri:iig einer Stellung
Dont est amors infermetes? ausgehen müssen.
318 Die Wortstellung im nHfrnnzösischcn direkten Fragesatze,
oder Taitf nel vas sai ne prisci' ne her (cb. 532), Ben les mint ajastant
(eb. 3024) etc., desgleichen, wo ein präpositionalos Adverbiale vor-
liegt, wie Ch. Rol, 700: Parnii cel host funt mil graiUes siincr, die
adverbiale Bestimmung als zum ganzen Satze gehörig betrachten.
Auch aus Fragesätzen vermag ich Morfs Behauptung nicht zu
beweisen. Denn abgesehen von Fallen, in denen das zum verbum
infinitum gehörige Adverbiale dem Satze absolut vorantritt, wie Ch.
Lyon G017: Dex, vieismes in .1. ostel Coinant puet estre li repaires
A choses qui tant sont coiitraires? (weitere Beispiele wurden schon
oben gegeben) wird man sich, wenn das Adverbiale bei nicht ausge-
setztem oder bei personalpronominalem Subjekt zwischen dem verbum
finitum und dem verbum infinitum seine Stelle hat, wie B. Chr. 1 34, 11 :
Par qicoi volez st tost morir? Th. fr. 122: Me cnidiez vous cid
faire liontel etc., oder wenn das Gleiche stattfindet, da ein nominales
Subjekt hinter den Infinitiv tritt, wie M. XXIV, 053: iJo'd ainsi
parier un tel komme Com toy etc. . . . ? nicht entscheiden können, ob
die Sprache das Adverbiale als zum verbum finitum oder zum verbum
infinitum gehörig betrachtete. Wohl aber finden sich Beispiele, die
Morfs Behauptung widerlegen: Ch. Lyon 6087: Porra Yvains por
reison dire . . .? Porceval 2279: ose mis ca venir . . .? Pr. P, 334:
Poroit vos nus d'üecqiies oster? L. Rois 36: Ba! purrad nus eist
de nos ennemiz saloer? (lat. Text: nuni salvare nos poterit iste?)
Ch. Lyon 3526: Comant puis je demorer ci Et veoir les choses ma-
dame? M. XXII, 62: Ore, Mau ßlz, vonlrez vous estre Vonlentiers
mire? eb. XXVII, 768. Reimpredigt 28^ Th. fr. 189 etc.
Auch R. Charr. 5141 : Vint la preis nus an cesle terre, Fei
messire Gauvains, requerre? spricht, da jnds zum ganzen Satze
gehört, nicht für Morf.
III. Fragen in Aussageform.
§ 17. In der neueren Sprache begegnet os häufig, dafs in Bp-
stäfigungsfragen der Fiagende den Ton für ausreichend zur Kenn-
zeichnung seiner Rede erachtet und davon absieht, derselben aiicli noch
durch die Wortstellung ein besonderes, sie von der Assertion unter-
scheidendes Gepräge zu verleihen. (Diez III, 318, Mätzner Gr. 2 ,554,
Holder p. 88.)
Wenn Mätzner Gr.- 554 den Grund zu solchem Verfahren ent-
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 349
weder darin sieht, dafs die Frage eine Voraussetzung enthalte, oder
darin, dafs die Behauptung Zweifel oder Erstaunen verraten solle, so
trifft diese Erklärung, wie mir scheint, das Wesen der Sache nicht.
Vor allem wird man nicht mit Mätzner die Fragen mit der Wortfolge
der Assertion das eine Mal Fragen, das andere Mal Behauptungen zu
nennen berechtigt sein. Tragt der Redende seine Worte im Frage-
tone vor, so haben wir kein Recht, auf Grund der Wortstellung seine
Rede als Behauptung zu bezeichnen. Zweitens kann es auch nicht als
besonderes Charakteristikum einer Frage gelten, dafs sie eine Voraus-
setzung enthalte, da das Gleiche offenbar für Fragen aller Art zutrifft.
Lassen wir vorläufig unerörtert, wie die Erklärung besser zu
geben wäre, und sehen wir zu, wie die alte Sprache verfuhr.
Schon im Altfranzösischen kommen Fragen mit der 'Wortstellung
des Aussagesatzes nicht selten vor. Es ist unnötig zu erwähnen, dafs
damit nicht wie für die neuere Sprache gesagt ist, das Subjekt müsse
jederzeit vor dem Verbum stehen ; unter den für den asserierenden
Hauptsatz geltenden Bedingungen kann es recht wohl auch inver-
tiert sein.
Das Hauptkontingent der hergehörigen Fragen nun stellen die
Wiederholungsfragen, d. h. Fragen, durch die der Redende eine vorauf-
gehende Mitteilung meist wörtlich, zum Teil nur inhaltlich gleich
wiederholt. Zunächst folgen einige Beispiele:
R. Charr. 497: [I] ce verroiz, Jet il, jjar tens. — lel verrai^
Voire. eb. 3859: Que hien sai que eist focirroit Qui conbatre vos
lesseroit. — II m'ocirroit? Einz ocirroie je lui. Perc. 1437: Escus
a noni cou que je poit — Escus a nom? — Voii^e, fait iL eb. 8873:
Sire, ne sai. — Vous ne savez? eb. 10201: Je siii eil que vos tant
Jiaes, Voire li nies le roi Artu, Voire Gauvain{s). — Gauoain{s)
es tu? Ch. Lyon 1899: quant venra Mes sire Yvaiusf — Ceanz est
ja. — Cea)iz est ü? Venez donc tost etc. Erec 660: becuv sire, est
donc ce veritez? Erec(s) li filz Lac estes vos? — Ce sui je, fait il a
estros. Ch. II esp. 5930: Certes, Maus sire, Gauvains sui Et sui
nies le roi Artu. — Cui? Vous estes Gauvains? — Ce sui mon,
Issipor voir m^aqjele on. Meraugis 132: Gaicain ai nom. — Coinent?
Gawains li miens amis estes vos? Fr. P. 29: L'an nt'apele uton
seignor Gauvain ... Qiioi? messires Gauvains estes vos:? Fabl. lU,
121: Ocise tai par mon outrage. — Ocise Pas? Coment, jyechieire ?
eb. 11, HO: Guillaxnne, qui ri gist malades, Viut eu ma chamhre
350 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
devant moi. — II i vint, dame? et il por qnoif vergl. auch Ch. Lyon
G381 (?).
Vielleicht gehört auch hierher Fahl. II, 89, wo der Ritter, nach-
dem der Knappe seine Botschaft ausgerichtet, fragt: „Mande rna ein
sire SelvestresP^ Fall li Chevaliers. — Oil, Sire. M. I, 1493:
Dien vous mande que vous avecques nous veigniez. . . . Dieu veidt
que je face la voie Avec vous ou j^ais Sauveur?
Statt der Mitteilung kann auch eine Aufforderung vorangehen :
B. Chr. 370, 36: rent la chartre que du clerc as ... Je la vous
rande? Aue. Nie. 18, 24: aS^ dix vos ait, bei enfant^ fait ele, dites
li . . . Je li dirai? und ohne ausgesprochenes Subjekt Lai de l'esper-
vier 181: Avoi! por Deu, im dites mie! — Xe die ce que fai veu?
Das Wesen dieser Fragen scheint mir darin zu liegen, dafs der
Fragende eine ihm gewordene Mitteilung, resp. Aufforderung, die ihn
unerwartet trifft, in der Erwägung, dafs ein Irrtum von selten des
Mitteilenden resp. Auffordernden nicht ausgeschlossen sei oder auch
er selbst durch seine Sinne getäuscht worden sein könne, dem, der sie
gethan, nochmals zur Bestätigung vorlegt, indem er sie wörtlich oder
inhaltlich gleich wiederholt. Er geht dabei von der richtigen Voraus-
setzung aus, dafs, falls die Wiederholung nicht der zu wiederholenden
Mitteilung entspricht, der, von dem letztere ausgegangen, eine geeignete
Berichtigung eintreten lassen werde.
Nicht mehr ganz der ursprüngliche Sachverhalt liegt vor, wenn
der Fragende nicht sowohl die ihm gewordene Mitteilung selbst, als
vielmehr eine sich für ihn aus derselben mit Sicherheit ergebende
Konsequenz zur Bestätigung in Form einer Wiederhoiungsfrage vor-
legt, wie z. B. J. LXXXVII: Je me bee, fet il, a couchier en ce
beau lit. — Fi! fet ele, vos vos i coucheroiz? Meraugis SO: L'outre
doutez qui riens ne doute Ft taut chevaliers a vaincuz L'y fist
jwendre. — Oest ses escuz? — Voire, et si vous dirai por quoi.
I\I. XXII, 761: // tient donques et si honneure Crestiente? Oest
voirs. Nicht notwendig gehören hierher: Fabl. II, 87: Dame AvinSe,
tel merite doi ge recoivre'? Dit dou Älagnificat (ed. Tobler, Jahrb. 2)
133 ff.: Que c^ est, fönt il, sireribaus? Trop fustes outrageus et baus
Quant vous ou baing no roi entrastes . . . Comment, fait il, me mau-
dissies? Vostre roi ne reconnissies? Vergl. § 15a, /?, 3.
Mit mehr Sicherheit darf man hierher rechnen: Th. fr. 459: Por
foy 1 de querir ne la (jna dame) cesse Ft si ii'en jnds nouvelle oir . . .
Die Wortstellung im allfranzösiscLen direkten Fragesatze. 351
Haro! Diexl taislez vousi Comment Dites vous? ma dame est
perdue? Th. fr. G37: Comment! mon regne et nwn avoir Ciddc
avoir donc cnnsi Clovis? Aanil, tant com je soie vis.
Die Sprache kann aber noch einen weiteren Schritt thiin. Es ist
nicht unbedingt erforderlich, dafs der Fragende die ihn überraschende
Mitteilung aus dem Munde eines Zweiten vernehme: er kann sie einer
vor seinen Augen stattfindenden Thatsache entnehmen. Fabl. I, 129:
Cele s^en est tost revenue, Et quant la dame l'a veue: Qu' est ce?
/et el, tu rCen as mie? — Non dame, par le fil Marie etc. M.
XXVII, 82 : Mon cliier seigneur, quefaites vous? Vous vous vestez? —
Oii'y, c'est voirs. eb. XXXIII, 797: Or ca, dame, je vien; connient
Vous va ? Qu' est ce la ^ vous j^leurez ?
Es können ja auch die eigenen Gedanken sein, die den Redenden
überraschen und sie sich selbst in Gestalt einer Frage behufs noch-
maliger Prüfung vorzulegen, veranlassen können, so z. B. Ch. Lyon
1433: Son seignor a mort li navrai, Et je cuit a li pes avoir?
B, Chr. 84, 37: De [gi^ant] haltesce sui mis a val N'en serrai trait
por home ne, Si deu neu est de majeste. Que di jo [Zas] / p>or quoi
le nomai? 11 inaidera? coroce Tai.
In letzteren beiden Fällen wird indessen, da die Möglichkeit
eines vorliegenden Irrtums verschwindend klein ist, die Rede stets
einen starken Affekt tragen und die Grenze zwischen Frage und Ausruf
häufig nicht leicht zu ziehen sein.
Hier ist nun auch der Ort, einer dem Altfranzösischen eigentüm-
lichen Erscheinung Erwähnung zu thun, die darin besteht, dafs bei
Mitteilung überraschender Nachrichten den letzteren sehr häufig ein
tu ne ses oder vous ne savez voraufgeschickt wird. Man wird auszu-
gehen haben von Beispielen wie Meraugis 79: mal aves esploitie. —
Et je de quoi? — Vous ne savez) Li diahles est eschapez. eb. 213:
Qu'est ce, sire, que vous avez? — Que c'est? fet il, vous ne savez?
Li feus nia mort. Th. fr. 113: Rohin, ies tu che? Quelnovele? —
Tu ne ses? (der Herausgeber setzt ein Komma) Marote te mande Et
s'averons feste trop grandc.
Das vous ne savez resp. tu ne ses in diesen Beispielen als Wieder-
holungsfrage aufzufassen, macht keine Schwierigkeiten, da die mit vous
oder tu bezeichnete Person durch die Fragen Mer. 79: Et je de quoi?
eb. 213: Qiüest ce? Th. fr. 113: Quelnovele? ihre Unkenntnis der
dem vous ne savez resp. tu ne ses folgenden Nachricht ausreichend
352 Die Wort.-tellung Im altf'ranzösischen direkten Fragesatze.
bekunden; jene Fragen enthalten implicite das Geständnis jo ne sai
qiie diras. Auf dieser Grundlage kann demnach einer Wiederholungs-
frage Vous ne saves (nämlich que Jirai)9 die Berechtigung nicht ab-
gesprochen werden.
Meist geht aber nun ein solches Geständnis des Nichtwissens
nicht voiher; so B. Chr. 85, 16: Ne demora c\in jyoi, vint li uns
messagiers, Si li a conseillie en l'oreille deriers: Sire, vous ne saves?
(Bartsch setzt ein Komma) vo fil sont chevalier. eb. 194, 1; Et li
cartriers s'en est atant tornS, Vint el palais, Vamiral a, trove : Sii'e,
dist chil, par MaJiom, ne savSs? (hier setzt der Herausgeber das
Fragezeichen) Li crestiiens c'aviens emprisone, Qui ert de France, de
faim Vai mort trove. Th. fr. 129: Warnet, tu ne sesf Mehalos est
hui agute de no prestre. eb. p. 107: Robin, tu ne ses, dous amis?-
(der Herausgeber setzt ein Komma) Et si ne le tien mie a mal: Par
chi villi .j. hom a cheval etc. Fabl. II, 159: Taut parlerent et sus
et jus Que li voisin d^aval le rue En ont la nouvelle esj^andue; Se li
dient: „Vous ne saves? Chius Valles veut vo fille amer.^'- Gleich-
lautend Fabl. II, 160, Einmal finden wir den zu tu ne ses gehörigen
indirekten Fragesatz wirklich ausgesprochen: Fabl. II, 163: Li valles
ist de le niaison, Puls si dist a sen conipaignon: Tu ne ses que je te
dirai, Comj)ains? je nie marierai.
Seltener wird dem tu (vous) ne ses (saves) die überraschende
Nachricht in einem Objektssatze angeschlossen. Fabl. III, 59: Tu ne
sez compaing, Que je fis ersoir biau gaaing Ä Briset, le frere Chapel?
Nouv. fr. 51 : Tu ne sez, comjyains, tu ne sez quar Amis ai amble le
tresor a Roi . ..?
Auch in solchen Beispielen nun scheint es mir geraten, in der in
Rede stehenden Wendung eine Wiederholungsfrage zu sehen. Was
sollte vor allem eine Behauptung an diesen Stellen besagen ? Das
Nichtwissen, um das es sich überall handelt, bezieht sich zweifellos auf
die folgende Mitteilung. Es würde demnach dem Angeredeten durch
die Worte vous ne saves angedeutet sein, die folgende Mitteilung sei
ihm noch unbekannt, in der Voraussetzung, so könnte man meinen,
er werde daraus einen Grund zu erhöhter Aufmerksamkeit entnehmen.
So würde es denn vielleicht auch erklärlich scheinen, dafs man gerade
bei überraschenden Mitteilungen jene Worte voranschickte, da bei solchen
die volle Aufmerksamkeit des Angeredeten doppelt erwünscht ist.
Abgesehen davon, dal's auf diese Weise jene zuerst angeführten
Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze. 353
drei Beispiele, in denen wir den ursprünglichen Sachverhalt zu erkennen
glaubten, keine Erklärung finden würden, scheint eine solche Auffassung
weder dem altfranzösischen Spraohgeiste angemessen noch auch vom
psychologischen Standpunkte haltbar. Man wird nicht leicht annehmen
dürfen, dafs einer in der Mehrzahl der Fälle mit starkem Affekt vor-
getragen zu denkenden Mitteilung ein gleichsam in Parenthese stehender
Satz vorangeschickt werden könne zum Zwecke, die Aufmerksamkeit
des Hörers zu erregen, besonders wenn dies schon auf anderem Wege,
wie durch die Anrufung des Angeredeten, erreicht ist.
Andererseits ist auch eine Vermittelung zwischen der ersten und
zweiten Anwendung der in Rede stehenden Wendung nicht undenkbar,
da der Fragende das Geständnis jo ne sai von seilen des Angeredeten,
dessen er zur Wiederholungsfrage bedurfte, gewifs häufig aus den seine
Frage begleitenden Umständen, dem Benehmen der angeredeten Person
vornehmlich, erfahren konnte. So wird es erklärlich, dafs jene Worte
nach und nach zu einer blofsen Formel zur Einleitung überraschender
Mitteilungen herabsanken. Der Redende bringt durch dieselben ge-
wissermafsen sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, dafs die Mittei-
lung, die er zu machen die Absicht hat, noch nicht bis zum Angeredeten
gedrungen sei. Von einem Tu ne ses que je te dirai^ Compains ?
(Fabl. II, 163) aus sind aber auch Fälle nicht auffällig wie R. Charr.
IIG: Es vos le rot moidt despere, Si est a la reine alez: Dame, f et
il, vous ne savez Del seneschal que il me quiert? Congie demande
et dit qiCil n'iert A ma cort plus, ne sai por coi. (Jonckbl. setzt
hinter quiert einen Doppelpunkt.) M. XXIX, 22G5: IIa! hiaux
hostes, vous ne savez A quoy je pense maintenant. Engandrastes
vous cest enfant Par vostre foy"} In diesem Beispiel scheint allerdings
der ursprüngliche Sachverhalt schon ganz verkannt. Man vergleiche
schliefslich noch Ch. II esp. 1287: Et la danioisele est alee Au roi
et dist: Vous ne saves, Biau sire, quel don vous m'aves Donne^ si
voel Jce le sachies.
§ 18. Nicht wenige der neufranzösischen Bestätigungsfragen ohne
Inversion des Subjekts werden auf diese Weise, d. h. als Wieder-
holungsfragen im engeren oder weiteren Sinne aufgefal'st, ihre Erklä-
rung finden. Für Fragen aber wie z. B. Vous ne supposez jias que
ce Bernard, aitpour nous une af/'ection hien vivef (M"® de la Seigliere
II, 4) ist dieselbe Auffassung niciit mehr statthaft.
Ähnliche Fragen begegnen, wenn auch selten, schon in der allen
Archiv f. u. Spraclieu. LXXI. ■^"^
354 Die Wortstellung im altfranzüöiscLon direkten Fragesatze.
Sprache: Meraiigis79: Cil dist quant il ot escoute : Covient, i avez vous
este AI tref ^ — Oil g'i ai geu. — Vous ne touchastes jjas Cescu Clui
pent/ — Si ßs etc. M. XVIII, 823: Tu inentens hien ? — Se (=z ce)
fas mon. eb. XXXII, 1880: Vous m'etitendes assez hien Quant en ce
cas? — C^est voirs. Tii. fr. 574: Toute seule estes? — Sire, une de-
mande me f altes etc. M. XXXIII, 2120; Et vous savez qu'elle est
muette? Pr. P. 121: Dame, et se il meurt, je an serai quites? — Sire^
voire. Marx citiert p. 344: Tu es venu de Vost de Tartarins? Et il
respondi: Sire, ce siii mon.
Voi'ausgesetzt, dafs die hier angeführten Sätze mit Frageton ge-
sprochen wurden, dafs also in der That Fragen vorliegen, könnte man
eine Erklärung dieses Verfahrens darin finden, dafs dem Fragenden
unter Umständen daran gelegen ist, den Schein des Zweifels in Bezug
auf die Antwort, wie ihn die Anwendung der gewöhnlichen Frageform
notwendig mit sich bringt, zu meiden, statt dessen vielmehr seiner
Überzeugung Ausdruck zu geben, das, worüber er Auskunft zu
haben wünscht, sei Thatsache oder nicht. Zu diesem Zwecke legt
er seine Überzeugung in Form einer Behauptung dar, in der richtigen
Voraussetzung, der Angeredete werde, wenn nötig, eine Berichtigung
derselben eintreten lassen. Gleichsam zum Überflufs aber trügt er nun
diese Behauptung im Frageton vor, um einer Antwort in jedem Falle
sicher zu sein. Nur letzteres Moment kann uns überhaupt zwingen,
in ähnlichen Fällen Fragen anzuerkennen, so dafs wir denn bei einer
verschwundenen Sprachepoche, wie dem Altfranzösischen, in vielen
Fällen darauf verzichten werden müssen, zu entscheiden, ob eine Frage
vorliege oder nicht.
Nehmen wir ein Beispiel wie J. LXXXIV : Saroies me tu dire
noveles, fet il, d!une dame qui par ci va? — Ha, fet li nains, tu paroles
de la raine. — Voire, fet il, so wird man die Worte tu paroles de la
raine mit gleichem Rechte als Behauptung oder als Frage auffassen
dürfen. Entscheidend ist, ob die Person, von der sie ausgehen, sei es
durch den Ton, sei es auch nur durch einen „fragenden" Blick ihrem
Wunsche nach einer Antwort Ausdruck giebt oder nicht. Man ver-
gleiche noch: M. XXIII, 212: Sire, nous qui nouvellement Sommes li
vostre sodoier Iro7is aussi nous donoier tS'il vous agree? — Oil, alez sanz
demouree. eb. XXV, 568: Vous dites en vostre majour . . . que ce Jhesus
est Diex, Si com me semhle? — Voirs est etc. eb. XXVII, 786:
Dont ne pourraij je a li jjai'ler A ce que voy? — Ison, quant a ore,
Die Wortstellung im altfranzüsischen direkten Fragesatze. 355
en honne foyl M. XXIT, 888 : Donques a ce que puis veoir Tu es
erestien? — C'est voirs. eb. XXII, 762: II tient donques et si honneure
Crestiente? — Cest voirs. Th. fr. 418. Besonders seien hier noch
folgende drei Stellen erwähnt, die mir im Miracle XXIII (d'Amis et
d'Amille) begegnet sind. M. XXIII, 822: Amille., qaJ levez la main:
Vous jurez au Dieu souverain Par ses sains falz et par ses diz, Par
vostre part de paradis, Que la journee ici serez Que comhatre vous deverez
Sanz nid deffauü? — Ma chiere dame, si me vaidt, Je le vous jur en
verite. eb. XXIII, 1182: Sa, vostre main! et vous, la vostre! Vous
jurez par la patenostre Et par la foy qu\i Dieu devez Que ma fille que
cy veez Prendrez a femme? — Sire, ainsi le vous jur par m^ame.
Die beiden Beispiele werden so aufzufassen sein, dafs der Fragende
dem Angeredeten gleichsam die Eidesformel vorspricht, wie ziemlich
unzweideutig aus dem ganz ähnlich gearteten dritten Beispiel hervor-
geht: M. XXIII, 1037: Hardre', Hardre, la main levez: Vous jurez
Dieu qui vous crea Et par sa mort vous recrea Par le hatesnie que re-
instes . . . Que vous avez veu de fait Gesir en un lit Amille Qui ci est,
avecques ma fille. Est il ainsi? — Oil, par les sains etc.
§ 19. Dafs bei dilemmatischen Fragen die zweite im Altfranzö-
sischen in der Regel die Form der Assertion annimmt, hat Tobler,
Zts. I, 13 durch viele Beispiele erwiesen; einige weitere geben Krüger
p. 43, Ehering p. 351. Zum Überflufs seien den an diesen Stellen
gegebenen zahlreichen Belegen noch folgende hinzugefügt: J. CXLIII:
Remandrez vos caiens u vos vendrez a moi? B. Chr. 185, 30: Faurez
me vous ou vous me secourrez? R. Charr. G343: Est ce songes ou vos
resvez Qui dites Que je sui desvez . . .? Jahrb. III, N. F. p. 1 2 : Ee-
querrum le par amour u nos nus cuinhaterum ? M. VII. 390: Que peut
cestre? Ay je sens desve Ou j'ai este enfantosmee . . .? eb. IX, 1109:
Fait il le sourt ou il est mournes? Jubinal (Myst. ined. du 15" siecle)
p. 93: Dor je ou je veille? und ohne ausgesetztes Subjekt : Th.fr. 175:
ochirrons le ou prenderons vif? Cleom. 7032: Dormez vous, fönt il, ou
veillez? Jubinal p. IGl: Dors tu ou veilles? Rieh. 2472: Ysterons
fors u coy serons ?
Von Beispielen, die das neufranzösische Verfahren aufweisen, i.';t
mir nur begegnet: M. XXI, 430: Donc eognoist an ceidx plainement
Qui fei malont a souste^iir Ou viennent il sanz diffinir? Dites me voir.
Wie so oft bringt auch in diesem Falle das Veifahren der alten
Spraclie den Gedanken des Redenden trefflich zum Ausdruck. Während
23*
350 Die Wortstellung im altfranzösischen direkten Fragesatze.
derselbe bei der einfachen Frage in völliger Ungewifsheit darüber ist,
ob eine ihm als möglich vorschwebende Aussage Thatsache sei oder
nicht, und die Entscheidung dieses Punktes der Person, an die er sich
um Auskunft wendet, gänzlich überläfst, nimmt er bei den dilemma-
tischen Fragen insofern einen festeren Standpunkt ein, als er überzeugt
ist, dafs die Wahl nur zwischen zwei ihm vorschwebenden Möglich-
keiten getroffen werden könne, so zwar, dafs bei der Nichtwirklichkeit
der einen an der Realität der zweiten nicht zu zweifeln sei. Er selbst
vermag indessen die Entscheidung nicht zu treffen und greift deshalb
zur Frage. Seinem Bedürfnis nach Belehrung müfste es genügen,
wenn er die eine der ihm möglich scheinenden Aussagen in Frage
stellte; es liegt ihm aber daran, zu gleicher Zeit dem Angeredeten be-
greiflich zu machen, dafs die Nichtbestätigung seiner Frage für ihn
einer Asserierung der zweiten ihm vorschwebenden Möglichkeit gleich-
komme, und so schliefst er denn ganz angemessen die letztere der in
Frageform vorgetragenen ersteren in Gestalt einer Behauptung an.
Berlin. Alfred Schulze.
über die Sprache und Metrik
der niittelenglischcii weltlichen und geistlichen lyrischen Lieder
des Ms. Harl. 2253.
(Schlufs.)
IL Die Metrik.
A. Die Strophe.
In unseren Gedichten kommen die mannigfaltigsten Strophen-
formen vor. Über dieselben handelt Schipper in seiner altengl. Metrik
p. 342 fr. sehr ausführlich. Wir wollen sie danach übersichtlich zu-
sammenstellen :
I. Zweiteilige glcicligliedrige Strophen.
A. mit Kreuzreim (a b a b etc.).
1) GL. XVI, achtzeilig, viertaktig.
2) GL. XV, achtzeilig, dreitaktig.
3) WL. XIII, achtzeilig, vierhebige allitt. Langzeile.
4) WL. VI, abwechselnd acht- und vierzeilige Strophen, vier-
hebige allitt. Langzeile.
B. mit Schweifreim (aabccb). •
1) GL. IX, XVII, V, sechszeilig, doch in GL. V i.^t die
erste Strophe nennzeilig, und in GL. IX sind alle Verse
viertaktig.
2) WL. V, VIII, IX, zwölfzeilig.
3) GL. n, zwölfzeilig, aber alle Verse dreitaktig.
4) WL. X, achtzeilig (aaabcccb).
IL Einreimige Strophen.
1) GL. IV, VIII, vierzeilig, viertaktig.
2) WL. XI, XII, GL. XIII, vierzeilig, siebentaktig.
358 Über die Sprache und Metrik
III. Zweiteilige ungleicligliedrigc Strophen.
1) WL. I gleichmetrig (allitt. Langzeile), zehnzeilig.
2) GL. VI ungleichmetrig, fünfzeilig.
3) WL. VII, GL. XIV ungleichmetrig, sechszeilig.
IV. Dreiteilige ungleichmetrige Strophen,
1) Schweifreimstrophe kombiniert mit septenarlschen und
alexandrinischen Rhythmen in verschiedener Art : GL.
XII, WL. III; GL. X, VII, XI; WL. IL
2) Andere Arten dreiteiliger ungleichmetriger Strophen:
GL. III; GL. I, WL. IV; WL. XIV, GL. XVIIL
B. Der Reim.
Es kommen die gewöhnlichen Arten des Reims vor: einsilbiger:
best : rcst, be : me ; zweisilbiger verschleif barer: berej) : sherej),
swore : bifore; zweisilbiger un verschleif barer: wide : side, felde: beide;
dreisilbiger verschleifbarer: moreve : sorewe; fremede : glemede. —
Rührender Reim findet sich zuweilen, aber nie besonders beabsichtigt:
GL. XIV, 3 may (= Mädchen) : may (= mag); GL. XVII, 141 ever :
never; GL. XVII, 136 away : weylawey etc. Gleicher Reim kommt
fast gar nicht vor, doch ist bei einem wenig gewandten Reimer in der
vierzeiligen Strophe GL. VIII, 105 dreimal Jie als Reimwort. —
Doppelreim zufällig : WL. X, 50 lealte : bealte. — Unaccentuierte resp.
durch schwebende Betonung ermöglichte Reime sind häufiger: GL.
XIV, 34 lyhtnesse : wytnesse; GL. XI, 38 mourninde : wepynde.
Hauptsächlich einseitig unaccentuierte: WL. XI, 13 man : lemman ;
GL. V, 1 kyng : endyng; GL. XVII, 58 kcep : dungheep etc.
Die Gedichte zeigen fast über.all volle Reinheit des Reimes. Wir
werden sämtliche Fälle unreinen Reimes aufführen.
1) Vokal des Reimes. In Bezug auf den Vokal sind die Reime
durchweg rein. Die einzige Freiheit, die sich die Dichter erlauben, ist
die, langen mit kurzem Vokal zu reimen vor bestimmten Konsonanzen,
vor denen kurzer Vokal schwebend wird. Es kommen eine Reihe von
Reimen vor, in denen nur eine graphische Verschiedenheit der Reim-
vokale vorhanden ist : der Schreiber hat zuweilen ü nicht durch ou
dargestellt: GL. X, 32 wondes : stoundes; GL. VIII, 137 Jesus :
hous. Ähnlich ist e als ee oder e, o als oo oder o geschrieben : WL.
XIV, 31 greete : suete; GL. II, 49 wo : roo. Zuweilen schreibt der
Schreiber noch eo statt e: WL. V, 51 beo : me, GL. I, 23 I)re : be :
der mittelengliscben lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 359
{leo : fleo. — Andere Reime sind erst durch den Schreiber inkorrekt
geworden, aber im Original sicherlich rein gewesen. Der Schreiber hat
noch j, wo es schon aufgelöst war oder in der Auflösung begriffen
war: GL. VII, 25 dre5e : Marie, XVII, 117 dre^e : lye; GL. XI, 32
sleye : heyje ; WL. V, 1 5 seje : breje : heje : dreyje. Der Schreiber
stellt ae. y durch den Buchstaben u dar: WL. VII, 25 blisse : cusse;
WL. XIV, 13 sunne : wynne. Ebenso hat der Schreiber a = ae. x,
wo Avir, um reinen Reim zu erlangen, e einsetzen müssen: GL. III, 26
beste : faste. Auch setzt er o statt a: GL. XVI, 26 drawe : hawe :
knowe : lowe. — Wahrscheinlich ist auch GL. XIII, 1 blisse : railde-
nesse : wysse : misse als reiner Reim aufzufassen. Die Version des
Ms. Egerton 613 hat an dieser ^Stelle die Form milternisse, cfr. Bödd.
p. 458. Sicher ist auch GL. XVI, 24 bowe : trowe : gyw : now als
reiner Reim fl zu betrachten. Das End-e in den beiden ersten Formen
ist stumm, ebenso wie in dem Reim WL. VII, 25 y wisse : blisse :
cusse : his.
Hiernach bleiben nur noch solche vokalisch unreine Reime übrig,
in denen kurzer Vokal vor gewissen Konsonanzen mit langem reimt:
1) vor n: GL. IV, 25 myn : J)in : yn (= in) : engyn ; WL. V, 13
apon : noon ; GL. XI, 47 lemmon : gon ; 2) vor S-' GL. X, 21 blis :
unwis (=r i), aber GL. X, 38, blis : ywis (= i); WL. X, 58 wes :
pees; 3) vor st: GL. XIV. 19 mest : rest : best; GL. III, 20 beste:
leste : beste. — 4) vor ht: GL. XVII, 37 riht (= i) : liht (= ae.
liht, adj.); WL. V, 79 wroht : noht; 5) vor ft: GL. VII, 23 ofte :
softe. — Auffallend ist nur WL. IV, 33 feole : tele (statt teile). Cfr.
PL. VIII, 81 stel : teile (Bödd. p. 142).
2) Die Konsonanz des Reimes. Die meisten Gedichte sind auch
in Bezug auf die Konsonanz der Reime durchaus genau. Die Konso-
nanz ist unrein :
A. Im einsilbigen Reim :
1) m : n: WL. XI, 13 man : am : sham : Icmman ; GL. XIII, 9
wan : man : am : can ; GL. XIV, 25 wynman : cam : man;
ebenso GL. XIV, 49.
2) d : t: GL. IX, 21 ded : fet; GL. X, 8 fot : blöd; WL. IV, 25
wot : lot : mot : blöd. — Der Reim GL. I, 56 seint (= senced) :
meind (= menged) : forvvleynt (= wlenced) : feynt (frz.) ist
nur graphi.^ch ungenau, ebenso wie WL. XIII, 1 strit : slit :
bid : sit.
360 Über die Sprache un 1 Metrik
B. Im zweisilbigen Reim :
1) Konsonanz der zweiten Silbe ist ungenau: GL. V, 18 bohtes :
solltest. Der Reim ist rein, die Ungenauigkcit rührt vom Schrei-
ber her.
2) Konsonanz der ersten Silbe ist ungenau:
a) bei einfacher Konsonanz :
«) m : n: GL. XII, 23 tyme : pyne : virgyne : medicine; GL.
XIV, 40 sone : bicome.
ß) Ö. '. t: GL. VIII, 65 gredyn : sueten : ybeten : leten. Hier
ist vielleicht reiner Reim herzustellen und greten (= ae. graj-
tan) zu lesen. — GL. I, 13 suete : unsete : unmete : hede.
Auch hier ist vielleicht reiner Reim herzustellen.
jO W : v: GL. XIV, 43 mawen : dawen : Slawen : haven.
(5) k : t: WL. VII, 48 syke : whyte.
f) 1 : r: GL. XVII, 40 holest : porest. Auch hier ist vielleicht
zu emendieren, denn es hat Ms. Digby (Varnhagen, Anglia III,
p. 62) v. 46 coverest : poverest, und Ms. Laud (Horstmann,
Herrigs Archiv Bd. LH, p, 33) hat coveret : povere.
^) W : 3: WL. XI, 25 newe : trewe : seje : leje ist wohl als
reiner Reim zu betrachten.
b) bei Doppelkonsonanz:
a) ng : nd: GL. VIH, 54 toknynge : mankynde; GL. IX, 7
wepinge : kynde; WL. X, 14 long« : fonde : monge; hier
könnte man eventuell fonge setzen.
ß) rp : rk: G. X, 12 overwerpes : werkes.
C. Im dreisilbigen verschleif baren Reim: WL. VI, 1 fremede :
glemede : kenede : gremede.
Sicherlich korrupt, denn gar kein Reim ist GL. VII, 31 conjie :
lemmon. — Ebenso GL. XII, 58 Jesu have merci of us : ble, wo viel-
leicht US in me zu ändern ist. Anders aufzufassen ist in GL. XIV,
V. 23, 29, 41, die ohne Reim sind; hier ist in der Strophenform
aaabab der fünfte Vers der Strophe an jenen drei Stellen ohne Reim.
C. Die Allitteration.
In fast allen Liedern ist neben dem Endreim die Alliteration an-
gewandt. In drei Gedichten, nämlich WL. I, VI, XIII, hat die
Allitteration, obgleich sie auch hier wesentlich zum Schmuck dient, doch
eine besondere Bedeutung, denn diese Gedichte sind in allitterierenden
der mittelenglisclien lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 361
Langzeilen verfafst. Wir wollen diese daher besonders betrachten. In
ihnen ist mehrmals der Stabreim im Widerstreit mit dem Endreim :
WL. I, 14, 27, 40; XIII, 28, 32. Doch finden wir nirgends, dafs
die Allitteration im Widerstreit mit dem Wortton ist, dafs also unbe-
tonte Vorsilben und nicht die höher betonten Stammsilben allitterieren.
Es zeigt sich aber in diesen drei Gedichten eine gewisse Verschieden-
heit im Gebranch der Allitteration.
WL, I zeigt die Allitferation in überreichem Mafse. Von den
50 Versen des Gedichtes haben 41 Verse vier Allitterationsstäbe, nur
9 beschränken sich auf drei Stäbe (v. 12, 14, 15, 26, 27, 28, 30,
40, 49). Die Stellung der drei Stäbe zueinander ist dabei ganz will-
kürlich und entspricht nicht immer den alten Regeln, so z. B. sind
zwei Stäbe im ersten Halbvers, aber die vierte Hebung hat den dritten
Stab V. 15, 27, 40, oder von den drei Stäben sind zwei im zweiten
Halbvers v. 14, 26. Von den 41 Versen mit vier Stäben zeigen 8
doppelte Allitteration in paralleler Stellung, also 2 a -j- 2 b, so v. 3,
4, 19, 21, 23, 25j 43, 45. Die übrigen haben vier gleiche Stäbe.
Häufig ist auch in WL. I die Allitteration auf die Senkungen ausge-
dehnt, sicherlich beabsichtigt, v. 21, 22, 32, 35, 36, 39, 43, 47. Der
Dichter führt aber nie gleiche Allitteration durch mehrere Verse fort,
aufser regelmäfsig zur Verkettung des Schweifes mit der Stirn der
Strophe. Was die Qualität des Stabreims anbetrifft, so scheint der
Dichter von WL. I bei Konsonantverbindungen zuweilen absichtlich
nicht nur den ersten, sondern beide Konsonanten zu reimen, v. 16, 17,
23, 32, 35, 37.
In mancher Beziehung verschieden in der Anwendung der Allitte-
ration verfährt der Dichter von WL. VI. Dieser strebt noch in ganz
anderer Weise nach Reichtum der Allitteration, denn in WL. VI er-
streckt sich derselbe Stabreim fast stets über zwei Verse, also gleiche
Allitteration in v. 1 — 2, 3 — 4, 5 — 6 etc. Aufserdem ist regelmäfsig
concatenatio der Strophen, gerade wie in WL. I zwischen frons und
cauda. Die Alliteration in WL. VI ist nicht so reich wie in WL. I;
vier Allitterationsstäbe finden sich selten. Vier gleiche Stäbe nur in
V. 2. Vier Stäbe, aber in paralleler Stellung (2 a -[- 2 b) sind in
v. 6, 10, 24, 28, 46, ferner in umschliefsender und gekreuzter Stel-
lung nur je einmal v. 38 und 22. Häufig sind drei Stäbe, aber ohne
Beachtung der alten Regeln: 2 a -|- **= v. 3, 5, 21, 2G; oder a -f- 2 a:
V. 1,4, 8, 9, 11, 16, 17, 23, 25,^32, 34, 39. Häufig ist in jedem
362 Über die Sprache un'l Metrik
Halbvcrs nur ein Stab: v. 7, 12, 13, 19, 30, 35, 36, wo die AUitle-
ration je zwei Verse umfafst, aber auch v. 40, 41, wo sich nicht gleiche
Allitleration durch mehrere Verse erstreckt. Die alten Regeln über die
Stellung der Stäbe zueinander werden durchaus nicht beachtet; es
stehen sogar oft beide Stäbe im selben Halbvcrs, merkwürdigerweise
stets dem zweiten, und der erste Halbvers hat keinen Stab in v. 14,
18, 19, 20, 27, 29, 47, 48. — In WL. VI zeigt sich ferner das in
WL. I ganz unbekannte Bestreben, Hebungen, die im eigenen Verse
nicht reimen, mit dem vorhergehenden oder folgenden Verse durch
Allitferation zu verknüpfen, nicht nur wenn ein Halbvers ohne Allitte-
ration ist, v. 18, 19, 27, sondern auch wenn die zwei Stäbe auf die
Halbverse verteilt sind, v. 31, 35, 36, S7. Einige Verse haben keine
eigene Allitteration, nehmen aber an der AUitteration des vorhergehenden
oder folgenden Verses teil: v. 15, 43, 44.
In WL. XIII ist die Allitteration noch vielmehr verwildert als in
WL. VI. Vier gleiche Stäbe finden sich nie. Vier Stäbe, aber ver-
schieden in den Halbversen (2 a -|- 2 b) sind in v. 1 und 26 ; ferner
gekreuzt (abab) in v. 10, umschliefsend (abba) in v, 15. Drei Stäbe
sind auch selten, sie sind ganz beliebig gestellt, 2 a -j- a : v. 7, 36, 37;
a -|- 2 a: V. 2, 27, 34, 40. — In den meisten Versen sind nur zwei
Stäbe, beliebig gestellt, entweder auf die zwei Halbverse verteilt (elf-
mal), oder auch in demselben Halbvers (zehnmal). Selten geht die-
selbe Allitteration durch mehrere Verse, v. 7 — 8, 29 — 31. — Mehrere
Verse zeigen in sich selbst gar keine Allitteration: v. 3, 6, 12, 13, 18,
22, 24, 33. Von diesen nehmen aber v. 18 und 24 an der Alliteration
des folgenden Verses teil, und v. 3 allitteriert mit dem nicht reimenden
Halbverse von v. 4, ebenso v. 24 mit dem nicht reimenden Halbverse
von v. 23; v. 18 lehnt sich aufser an v. 19 auch an v. 1 7 an. Auch
wenn jeder Vers eigene Allitteration hat, erscheint diese verschlungen
V. 27 : 28.
Abgesehen von WL. I, VI, XIH zeigen alle unsere Gedichte
Versarten, die nach dem Muster der mittellateinischen und romanischen
Poesie gebaut sind, d. h. die Zahl der Silben steht in den Versen fest,
die demnach aus gleichen Rhythmen oder Takten zusammengesetzt sind.
Cfr. Schipper a. a. 0. p. 223, p. 346 fF. In solchen Versen hat also die
Allitteration nicht dieselbe Bedeutung wie in WL. I, VI, XIII, sondern
dient nur zum Schmuck. Doch ist ihre Behandlung im allgemeinen
gerade so wie in den allitterierendgn Langzeilen jener Gedichte, soweit
der mittelenglischcn lyrischen Lieder des Ms. Ilarl. 2253. 363
dies bei der Verschiedenheit des Versbaues möglich ist. Dieselben
Tendenzen, die wir in jenen drei Gedichten konstatiert haben, zeigen
sich auch in den Liedern mit gleichtaktigem Rhythmus, und zwar tritt
in dem einen mehr diese, in dem anderen mehr jene Tendenz hervor,
wie ja auch jene drei Gedichte sie nicht gleichmälsig zeigten.
Von der Beachtung der alten Regeln über die Stellung der Stäbe
kann in den gleichtaktigen Versen nicht mehr die Rede sein, da die
Zahl der Hebungen sehr verschieden ist, und die Gedichte Verse von
zwei bis zu solchen von sieben Takten zeigen, in denen aber die
Allitteration ohne Unterschied auftritt. Nur etwa der viertaktige Vers
läfst sich mit der allitterierten Langzeile vergleichen, und in ihm ist die
Allitteration gerade so wie in dem vierhebigen Verse. Finden sich
vier Stäbe in solchem Verse, so sind diese zuweilen gleich (aaaa),
zuweilen gekreuzt (ab ab) oder umschliefsend (abba), oder auch
parallel laufend (aabb). Sind drei Stäbe im viertaktigen Verse, so
ist die Stellung ebenfalls ganz willkürlich. Sind nur zwei Stäbe vorhan-
den, so sind sie zwar gewöhnlich auf die zwei Vershälften verteilt, aber
auch manchmal in demselben Halbvers, und der andere Halbvers ist
ohne Allitteration, so WL. V, 5, 22, 46 etc. Dabei ist häufig auch
in den gleichtaktigen Versen wie in den allitterierenden Langzeilen der
Stabreim im Widerstreit mit dem Endreim, indem die Ableitungssilbe
eines Wortes im Reim steht, aber die Stammsilbe allitteriert, so WL.
n, 5, 8; WL. X, 49, 51 — 53 etc.
Nicht in allen Gedichten wird die Allitteration mit gleicher Kon-
sequenz durchgeführt. In Bezug darauf könnten wir die Gedichte in
verschiedene Gruppen teilen :
1) solche, welche die Allitteration mit grofser Konsequenz an-
wenden: WL. m, TV, V, VII, VIII, IX, X, GL. I, II, III, XV;
2) solche, welche eine beabsichtigte Allitteration zeigen, aber ohne
Konsequenz: WL. II, XI, XII, XIV, GL. V, VI, XI, XII, XIII,
XVI, XVII, XVIII;
3) solche, in denen die Allitteration selten und zufällig ist: GL.
IV, VII, VIII, IX, X, XIV.
Doch selbst von den Gedichten der Gruppe 1 sind wenige, in
denen sämtliche Verse allitterieren: WL. VIII, IX, GL. I. In den
übrigen ist doch zuweilen ein Vers ohne Allitteration, so WL. III, 40,
IV, 47, V. 62, VII, 36 — 37, 89, 42, 54—55, X, 44, 45, 47, 68', 84 ;
GL. II, 26, 54, 56, III, 49, 91, XV, 5, 11, 13, 23, 39, 41, 43.
361 Über die Sprache und Metrik
Im letzten Gedichte zeigen aber alle Stabreim mit den französischen
Versen, aufser v, 23. — In den Gedichten der Gruppe 2 finden sich
noch weit häufiger Verse ohne Allitteration, und in einigen, bei denen
das Streben nach Allitteration nicht zu verkennen ist, überwiegt doch
die Zahl der nicht alHtterierenden Verse, nämlich in WL. XI, XII,
GL. XIII, WL. XIV, GL. XVIIL In einigen Liedern ist auffallend,
dafs gerade in einzelnen Teilen, z. B. GL. XVI in Strophe 4 und 5,
die Allitteration zurücktritt.
Es ist natürlich die Allitteration in den Liedern der Gruppe 1 im
allgemeinen eine reichere als in denen der Gruppe 2, wenn auch in
keinem der Reichtum der Allitteration so grofs ist wie in WL. I. In
einzelnen Gedichten zeigt sich ganz besonders das Bestreben, möglichst
viele Hebungen an der Allitteration teilnehmen zu lassen. Diese haben
in viertaktigen Versen oft vier Stäbe, in di'eitaktigen drei Stäbe, so
WL. IV in viertaktigen Versen vier Stäbe: v. 2, 4, 17, 31, 32 etc.,
in dreitaktigen Versen drei Stäbe: v. 33, 34, 46, 57 etc.
Gedichte mit reicher Allitteration zeigen meistens auch concatenatio
der Strophen. Diese ist regelmäfsig wie in WL. I und VI so auch
in WL. IV und GL. I; sie ist fast stets in WL. X, GL. II, III; sie
ist zum Teil in WL. VII und nur zweimal in GL. XVI. Die con-
catenatio ist dabei derart, dafs gelegentlich auch ein nicht allitterie-
rendes Wort wiederholt wird: WL. X, 30 : 31, 38 : 39, oder über-
haupt nicht ein ganzes Wort, sondern nur derselbe Stabreim, so zu-
weilen in WL. Vir, GL. II, III.
In vielen Gedichten geht häufig, in einigen fast regelmäfsig die
Allitteration durch zwei Verse und gelegentlich durch drei oder noch
mehr: WL. II, III, IV, VII, VIII, IX, GL. I, II, XI, XVIL Dies
ist nur selten in WL. V, X, GL. III, V, XVI. Dabei ist in einigen
Gedichten die Allitteration zwei Verse umfassend, auch wenn sie sehr
reich ist, besonders in WL. IV und GL. I, in anderen fast nur dann,
wenn so auf jeden Vers nur e i n Stab kommt: GL. II, XI, XVI, XVIL
Wenn gleichzeitig concatenatio der Strophen vorlranden ist, so zeigen
dort also vier Verse denselben Stabreim, so in WL. IV — also gerade
so wie in WL. VI.
Häufig könnten zwei Verse wie zwei Halbverse einer alHtterieren-
den Langzeile angesehen werden : der eine hat zwei, der andere einen
Stab, so z. B. in den dreitaktigen Versen von WL. III, v. 7 : 8, 11 :
12, 19 : 20, 21 : 22, 28 : 29; selbst wenn die zwei Verse gram-
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 365
matisch gar nicht verbunden sind: v. 30 : 31. Ähnlich ist es auch in
anderen Liedern, besonders häufig in GL. IL Zuweilen sind auch
vier Stäbe in gekreuzter oder umschliefsender Stellung auf zwei Verse
verteilt, so dafs auf jeden Vers zwei Stäbe kommen : WL. VII 28 : 29 ;
GL. III, 97 : 98. Sehr häufig sind zwei Verse derart durch die
Allitteration verbunden, dafs in jedem ein Stab steht, so WL. VII,
21 : 22, 23 : 24, 52 : 53. — In vielen Gedichten finden sich auch
Verse, die neben der eigenen Allitteration auch solche mit dem voraus-
gehenden oder folgenden Verse zeigen, z. B. WL. VII, 15, 20, 25, 31, 38 ;
GL. I, 38, 39 etc. Auch wohl Verse mit zwei Stäben, von denen einer
mit dem vorhergehenden, der andere mit dem folgenden Verse reimt,
z. B. WL. VII, 9, 18, 19, 24, GL. III, 29 etc. So ist die Allitte-
ration oft sehr verschlungen und verbindet eine ganze Reihe von
Versen, so z. B. WL. VII, 27—34.
D. Der Vers.
Wenn wir den Versbau der Gedichte betrachten wollen, so müssen
wir die nach germanischem, accentuierendem Princip gebauten Lieder
WL. I, VI, XIII von den übrigen, unter Einflufs des romanischen,
silbenzählenden Princips gebauten, trennen und für sich betrachten.
In diesen drei Gedichten finden wir die alte allitterierende Langzeile
von vier Hebungen vor. Dieselbe ist aber in den drei Liedei-n nicht
gleichmäfsig behandelt.
In WL. I nähert sich der Rhythmus einer gewissen Taktgleichheit,
die Verse haben fast durchweg daktylischen Charakter; sie sind an
Länge ziemlich gleich ; fast stets ist die Senkung zweisilbig, zuweilen
fehlt sie (v. 18, 20, 30, 44), oder enthält mehr als zwei Silben (v. lü,
45). Der Auftakt ist ein- oder zweisilbig, zuweilen fehlt er im ersten
wie im zweiten Halbvers, selten zeigt er mehr als zwei Silben (z. 15.
V. 1). In den Fällen, wo längerer Auftakt oder längere Senkungen sind,
nehmen diese auch gewöhnlich an der Allitteration teil, so dafs die Zahl
der vier Hebungen überschritten zu sein scheint, so v. 22, 23, 30 etc.
In WL. VI haben die Verse nicht immer daktylischen Charakter,
viele unterscheiden sich durchaus nicht von viertaktigen Versen und
zeigen regelmäfsigen Wechsel von Hebung und Senkung, cfr. Schipper,
Altengl. Metrik p. 222. Zuweilen hat die Senkung mehr als zwei Silben
(v. 26, 27), sie fehlt nur in v. 6. Der Auftakt ist fast stets einsilbig
oder fehlt im ersten wie im zweiten Halbvers.
3G6 Über die Sprache und Metrik
In WL. XIII fallt besonders die Ungleichmäfsigkeit der Verse
auf. Ein Teil der Verse zeigt den daktylischen Charakter wie in
\VL. I, andere nähern sich viertaktigen Versen Avie in WL. VI. Be-
sonders aber ist weit häufiger als in WL. I oder WL. VI Fehlen der
Senkung (v. 2, 3, 5 etc.) und andererseits sehr lange Senkung (v. 4,
11, 32) zu konstatieren, z.B. v. 11 fFor non hihpe pat he ha}) ne syht
me him ner shake.
In allen übrigen Gedichten sind die Verse nach lateinischen resp.
romanischen Mustern gebaut , sie beachten das Princip der Silben-
zählung und zeigen regelniäfsige Aufeinanderfolge von betonten und
unbetonten Silben. Sie unterscheiden sich also dadurch, dafs sie dem
Princip nach stets einsilbige Senkungen haben, wesentlich von den
oben besprochenen Liedern WL. I, VI, XIII, in denen mehrsilbige
Senkung und Fehlen der Senkungen durchaus erlaubt ist. Es kommen
in unseren Gedichten Verse von zwei Takten bis zu solchen von sieben
Takten vor, am häufigsten sind die von drei, vier und sieben Takten.
Wenn wir nun die Freiheilen und Unregelmäfsigkeiten hinsicht-
lich der Senkung zusammenstellen, so müssen wir dahingestellt sein
lassen, wie viel derselben etwa vom Schreiber herrühren, da fast alle
Gedichte nur in einer Handschrift vorhanden sind.
Für die Silbenzählung ist von Wichtigkeit die Behandlung der
tonlosen Flexionsendungen, die nur in der Senkung stehen können,
aber dort zuweilen voll als Silbe zählend die ganze Senkung ausfüllen,
zuweilen mit einer anderen Silbe zusammen die Senkung bilden, cfr.
Schipper a a. O. p. 93.
Das End-e ist stets stumm als zweite Silbe nach dem Accent
sowohl wenn die vorhergehende Silbe tieftonig ist, wie in GL. I, 77
ryhtwise, III, 61 lyare, WL. II, 28 whittore, GL. IV, 14 bryhtore,
WL. XI, 6 lengore, IV, 15 richesse, IV, 34 falsleke, GL. III, 25
monye etc., als auch wenn eine Silbe mit tonlosem e vorhergeht, die beiden
tonlosen Silben bilden dann nur eine Senkung, z. B. GL. II, 4 in
marewe men he sohte; WL. IX, 14 pat shup oure heje hevene kyng;
GL. I, 21 alle is unj)rivene pewes prete etc. Dies geschieht, auch
wenn die letzte Silbe noch einen Flexionskonsonanten hat, also die
Endung es, en, ep, est ist, so WL. XIV, 24 wyj) ha])eles ant wyj)
heowes; GL. I, 73 to borewen us alle he wes ybore; GL. III, 48
folewej) me so faste; GL. VIII, 13 Jesu, for love I)ou I)oledest
wrono- etc. Wir sehen daraus, dafs das tonlose End-e keine Hebung
der mittelenglisclien lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 3C7
tragen kann. Nur einmal in unseren Gedichten wird solches Flexions-e
nicht unterdrückt und zählt als Hebung, falls man nicht an Korruption
des Textes zu denken hat: GL. III, 107 ant hevene to raede, viel-
leicht auch in WL. X, 45 u. 71.
Auslautendes tonloses e kann, wenn der Ton auf der vorher-
gehenden Silbe ruht, je nach dem Bedürfnisse des Verses verstummen
oder als eine Silbe zählen.
a) Vor einem vokalisch anlautenden Worte wird das tonlose End-e
fast stets elidiert. Doch findet sich manchmal, wenn auch verhältnis-
mäfsig selten, Hiatus, so WL. IV, 50, IX, 19, XII, 9, GL. II, 28,
III, 27, 105 etc. Ebenso findet vor anlautendem h gewöhnlich Elision
des End-e statt; doch auch Hiatus: GL. III, 13, 20, IV, 46, VII, 138,
X, 19, 37, 38, XIV, 9, 11.
b) Vor Konsonanten schwankt der Wert des tonlosen End-e weit
mehr, denn nach Belieben gilt es als volle Silbe oder wird unterdrückt.
Oft finden wir in demselben Gedichte tonlose e von ganz gleichem
AVerte als Silbe zählen oder verstummen. Indessen scheint in einzelnen
Gedichten besonders Neigung zu solchen Kürzungen zu herrschen.
1) Das End-e des Infinitivs zählt vor Konsonanten meist als Silbe,
doch finden sich in sehr vielen Gedichten auch Beispiele, daJ's es ver-
stummt, z. B. WL. III, 20 ne lete for non of I)o; WL. XI, 10 shalt
pou never live Jiat day; GL. X, 29 he may oure soules to hevene led.
WL. VII, 27 cusse : bis; GL. III, 87 bring, IV, 5G come etc.
2) Das End-e des Part. Perf. starker Verba ist stets silbezählcnd
aufser in drei Beispielen : WL. VIII, 1 lenten ys come wij) love to
toune; GL. II, 29 Jjat er were come wi}) lome; GL. IV, 15 ybore I)ou
wcre in Bedleheera.
3) Das End-e der verschiedenen Personenendungen der Verbal-
flexion wird vor Konsonanten ohne Unterschied als Silbe gezählt oder
nicht. Beispiele, dafs es nicht zählt :
tt) 1. Pers. Sing. Präs. Ind.: WL. II, 19 ichullc, ebenso GL.
II, 48, III, 71; WL. III, 28 ichave; WL. IV, 32 y falk; WL, IV. C4
y holde; WL. XI, G y wene, XI, 17 y calle ; GL. III, 81 y sugge;
zuweilen ist die Endung schon in der Schrift verschwunden: GL.
XVI, 6 habbe, aber v. 11 u. 20 yha.
ß) Imperativ Sing, der schw. Verben: WL. III, 21 j>oii rew ant
red me i'yht; WL. XI, IG lete, XII, 15 loke; WL. XIV, 18 ha, v. 19
lef etc.
3C8 Über die Sprache und Metrik
y) Präs. Ind. Plur. und Präs. Konj. : WL. IX, 10, 19 ave, XI, 19
lete; GL. VII, 37 conne; GL. XVIII, 13 we han, v. 27 we nulle.
8) Präteritum : Am häufigsten kommt die Form were mit unter-
drücktem End-e vor: WL. III, 40, IV, 41, V, 4, VII, 15, 32 etc.;
auch mihte WL. IV, 42, V, 32, VII, 32; wiste WL. VII, 15; wolde
WL. VII, 31, 33, 35 ; come GL. II, 59, ohte GL. VII, 18 etc.
4) Das End-e des Nom. und Acc. germanischer zweisilbiger Sub-
stantiva wird oft nicht als Silbe gezählt: WL. III, 32 rüde, IV, 25
sonne, VII, 11 care, VII, 47 herte, XI, 11 shame; WL. XI, 15 sham :
am; GL. X, 21 und 38 bliss (im Reim), sone (= Sohn) ist einsilbig
GL. IX, 2, 4, 34, aber zweisilbig v. 16, 46, 52, etc.
5) Das End-e der Substantiva als Flexion im Dativ ist ebenfalls
oft nicht silbezählend : WL. VII, 35 froni helle to hevene ant sonne to
see; WL. VII, 27 Wisse : bis; WL. III, 8 to roujie, III, 25 to del)e ;
GL. XVI, 17 on pe rod (im Reim). — love ist zweisilbig GL. VII, 5
al for a love newe, aber einsilbig GL. VII, 19 for bis love to smerte
oder V. 37 of love ne conne we noht, etc.
6) Substantiva romanischen Ursprungs werden ebenso behandelt,
oft ist das End-e stumm: GL. III, 58 coveytise, VIII, 185 grace,
III, 53 glotonie, III, 56 lecherie, XII, 30 medicine, aber v. 31 medy-
cyn, beide Formen im Reim. Ebenso ist in joie das e gezählt GL.
XIII, 35, XIV, 31 pat oJ)er joie of I)at may (sogar Hiatus), aber in
demselben Gedichte wird es nicht gezählt v. 43 pe furpe joie we teile
mawen und v. 47 more joie ne mai me haven.
7) Das End-e der Adjektiva verstummt oft, aber nie nach dem
bestimmten Artikel oder Possessivpronomen : WL. XI, 17 be stille pou
foul; GL. I, 47 so feie bej) founden; ebenso WL. V, 42, VII, 14 etc.
8) Das End-e der Adverbien und Präpositionen verstummt oder
zählt als Silbe, so z. B. in sone (= ae. söna) ist es silbezählend GL.
I, 51 sone bej) I)is gomenes gon; aber stumm GL. I, 7 of sunful sauht-
ing sone be sad ; oder GL. II, 8 he sende hem Inder fol son ; andere
Beispiele GL. IV, 19 I)arefore we shulden ofte pe grete; ferner verstummt
in GL. I, 42 sore, VII, 9 eke, WL. 11, 7 böte, GL. IV, 60 sepjje etc.
9) Das End-e der Pronoraina ist gewöhnlich stumm in hire, aber
hire wird in demselben Gedicht oft einsilbig gebraucht, so WL. V,
49, 83, GL. XIV, 19, und auch zweisilbig, so WL. V, 54, 62, GL.
XIV, 18. Das End-e ist stumm in alle: GL, III, 42 and alle my
godes me atgoj), ebenso GL. II, 40; in oure GL. IX, 60.
der niittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 22:)3. StJ'J
10) Das End-e der Zahlwörter ist zuweilen stumm: in GL. V, 13
one, WL. IV, 47 boI)e.
Das Schwanken in dem metrischen Werte des fiexivischen e zeigt
sich aber nicht nur, wenn das e allein die Endung ausmacht, sondern
auch wenn die Flexionssilbe mit einem Konsonanten schliefst.
1} Die Endung -es im Gen. Sing, der Subst. zählt gewöhnlich
als Silbe; doch ist das e elidiert vor Vokal in GL. IV, 28 and wite
me from fendes engyn.
2) Die Endung -es im Plural der Subst. zählt oft nicht a) vor
folgendem Vokal: GL. VIII, 127 alle unj)ewes ant lustes fle; GL.
VIII, 69 Jesu, fyf woundes ich fynde in I)e; ebenso GL. IV, 20,
III, 81, IV, 37 etc. — Vor Kons. : WL. V, 75 ase feynes wij) oute
feie; WL. XIV, 33 as dewes dropes bep weete. GL. II, 21 huere
lomes to fonde; ebenso GL. III, 10, 78, VIII, 32, 51, 175 etc.
3} Die Adverbialendung -es zählt in elles WL. V, 81 ant elies
wonder were ; ebenso GL. VJII, 102.
4) Die Endung -en im Plur. der Subst. ist meist voll gemessen.
Sie ist verschleift vor folgendem Vokal: WL. V, 16 hire ey^en aren
giete and gray ynoh; vor Kons.: WL. VII, 26 hire bende browen ]^at
bringe}) blisse ; GL. XVI, 23 of myne deden fynde y non god etc.
5) Die Endung der Präpositionen -en ist verschleift in GL. XVII,
121 wher bej) hue I)at byforen us were.
6) Die Infinitiv-Endung -en zählt in dieser vollen Form in der
Regel als Silbe (auch vor Vokalen). Sie wird verschleift (abgesehen
von synkop. Formen wie han GL. XVII, 44): a) vor Vokalen und h:
WL. II, 20 ant feye fallen adoun, WL. IV, 45 semcn him may on
sonde etc.; b) vor Kons.: WL. V, 1 mosti ryden by Kybbesdale.
7) Die Endung -en der starken Part. Perf. wird meistens voll ge-
messen, selten verschleift: WL. IX, 23 by swyken he haj) [)at suete
wyht; GL. I, 24 jef he bej} pryven and I)Owen in [jcode.
8) Die Plural-Endung -en im Präs. und Prät. wird oft verschleift:
a) vor Vokalen GL. XVII, 127 hue eten ant dronken and maden hem
glad, GL. I, 67 to queme crist we weren ycore, GL. I, 2 unmihli
aren is meste mede; b) vor Kons. GL. III, 44 pat feyre founden mi
mete ant cloht, WL. IV, 27 alle heo lyven from last of lol, etc.
9) Die Endung -est der 2. Pers. Sing, wird oft verschleift: a) bei
vokalischem resp. vokalisch erweichtem Stammesauslaut, wie in ha.st
AVL. IV, 63, GL. III, 67, XVI, 34, 61; auch in havest GL. VIII,
Archiv f. n. Sin-aclion. LXXI. -4
370 Über die Sprache und Metrik
44, 46; b) doch auch bei anderen Verben : WL. XI, 33 for pou spekest
so stille, GL. XV, 27 pou restest I)e under rode, GL. XVII, 59 ne
findest |)0U non so fyl dungheep, GL. XVII, 80 ant makest \)y fomon
fat and proud, etc.
10) Die Endung -ej) der 3. Pers. Sing. Präs., des Plur. Präs. und
des Plur. Iniper. ist sehr oft verschleift. Wie schon im Altengl. finden sich
in der Schrift Kontraktionen bei den Verben, deren Stamm auf d oder t
endet: GL. I, 62 fynt (= findep); GL. I, 75 byt (= biddep); WL.
V, 68 stont, GL. XI, 68 stond (= stondep); GL. III, 84 halt (=
haltej)) etc. Ebenso Kontraktionen bei vokalischem Stammesauslaut:
WL. II, 3 ha}); GL. X, 22 lyj) {= Hggep) ; GL. XI, 20 seyl); wriel)
GL. III, 45. Andere Beispiele: WL. VII, 47 me J)unche|) min herte
vvol breke a two ; GL. I, 63 we fallep so flour when hit is fröre, etc.
Zuweilen finden wir dieselbe Form ein- und zweisilbig nebeneinander:
GL. III, 95 {)at jokkyn haf yjyrned jore; GL. III, 98 to grounde
hit havep hini ybroht.
11) Die Endung -ed des Part. Perf. und Prät. ist verschleift:
a) vor Vokalen GL. III, 22 hitel loved ant lasse ytolde; GL. I, 42
ant sore ben fered on folde; b) vor Kons.: GL. III, 10 I)at semly
sawes wes woned to seyn; GL. XIV, 52 ase hit wes woned to bene;
WL. XII, 8 ich have loved I)e jore.
Auch abgesehen vom flexivischen e finden sich zahlreiche Fälle
doppelter Senkung. Die zwei Silben, die in der Senkung stehen, lassen
sich aber meist leicht verschmelzen. Besonders häufig ist die Ver-
schleifung der tonlosen Silben el, er, en (auch le oder re geschrieben)
vor folgendem Vokal: 1) el: WL. IV, 67 in uch an hyrd J)yn apel ys
hyht; WL. V, 61 hire gurdel of bete gold is al; WL. XI, 29 wel
muchel y couI)e of lore; GL. III, 46 such is evel ant elde, etc. 2) er:
WL. IV, 54 ant ever in hyrd wip hem ich holde; WL. XI, 18 wij)
fader ant al ray kynne ; GL. IV, 40 J)i moder hit seh, [lat pe by stod;
3) en: WL. VIII, 1 lenten is come wip love to toune; GL. XIV, 7
I)is maiden is suete ant fre of blöd; WL. III, 39 hevene y tolde al his.
Weit schwerer ist die Verschleifung der Silben el, er, en vor
Konsonanten: WL. V, 5 pat ever wes niad of blöd ant bon; WL.
XII, 7 rae nis love never pe ner ; GL. VIII, 38 pat ever mi Jjoht upon
pe be; GL. XII, 3 in somer, pat suete tyde; WL. XI, 3 in somer
when hit is grene; v. 31 under pe wode göre; ebenso GL. I, 71, II, 28,
XII, 39, IV, 47.
der mittelenglischen lyrisclien Lieiler tles Ms. Harl. 22 J3. 371
Häufig ist die Verkürzung durch Synkope in Wörtern wie comely
WL, IV, 65, VII, 27; stevening TVL. IX, 33; mildenesse (zweisilbig)
GL. VIII, 133. Wir finden lord neben der volleren Form loverd, ledy
neben levedy, hed neben heved zuweilen unmittelbar nebeneinander, so
lord (einsilbig) GL. IV, 36, XVI, 24, aber loverd (zweisilbig) GL.
IV, 37, XVI, 26.
Es kommen auch verschiedene Fälle doppelter Senkung vor, in
denen es sich um schwerere Verschleifung als die des tonlosen e han-
delt. Manchmal mögen sie indessen durch die Nachlässigkeit der
Schreiber verschuldet sein:
Häufig ist bei doppelter Senkung die erste Silbe ein tonloses i (y),
welches vor der zweiten tonlosen Silbe gleichsam konsonantiert wird :
a) Vor Vokalen: GL. I, 38 by body ant soule y sugge al so; GL.
XII, 51 for he Jjat dude is body on tre; GL. XVI, 3 ichabbe be losed
mony a day; ebenso GL. V, 9, WL. X, 54 ; aufserdem in WL. X, 48
heo is rubie of ryhtfulnesse, wo aber die doppelte Senkung sich als
Folge einer Cäsur nach der zweiten Hebung auffassen läfst. — |3) vor
Konsonanten: meist im viertaktigen Verse als Folge der Cäsur, so GL.
III, 87 bryng \)\s body, I)at is so bare; GL. VIII, 84 ant make nie
worpi I)at y so be ; ebenso GL, VIII, 19, 59, XIV, 50; aber auch an
anderen Stellen : GL. II, 56 a peny Jiat wes so bref; GL. IX, 28 sone,
y se \n bodi byswongen ; GL. XII, 39 wij) oute gold o\)ev eny tresor.
Wie in dem eben behandelten Falle findet sich auch in anderen Fällen
die schwere zweisilbige Senkung meist im viertaktigen Verse nach der
zw^eiten Hebung, so zuweilen als zweisilbiger Auftakt nach stumpfer
Cäsur: GL. V, 10 I:>is enderday in o morewenyng; GL. XII, 11 from
Petresbourh in o morwenyng; aber gewöhnlich bei klingender Cäsur,
so WL. II, 11 from alle wymmen mi love is lent. GL. VIII, 25, 26
Jesu, mi lemman, I)ou art so fre J)at I)ou dejedest for love of me. GL.
VIII, 171, 172 when \n wille is, to I)e hire bryng, ]}0\\ art suetest of
alle I^yng; ebenso GL. VIII, 56, XIV, 17, XVI, 36; WL. IV, 53, 68;
GL. XVIII, 16 etc. In GL. IX, 49 moder, may y no lengore dwelle
ist vielleicht nach der Version des Ms. Digby (Anglia II, p. 255)
y vor may zu stellen. Auch GL. XVII, 122 lordes, ledyes, pat havekes
bere ist wohl zu emendieren, denn die vier anderen Handschriften lesen :
J)at houndes laddcn ant havekes bere.
Die Präposition to vor einem Infinitiv wird nur einmal vor einem
Vokal verschleiff: GL. I, 77 wyj) ryhtwyse men to arise; ähnlich ist
21*
372 Über die Spraclie und Metrik
GL. VIII, 78 pat wher y be, ant what so y do. Der Artikel pe vor Vokalen
wird einmal elidiert GL. XIV, 38 Jjat men clepe}) |)e epypliany. Die
Neo-ation ne lehnt sich oft an das folgende Verb an, so nolde = ne wolde,
nes = ne wes, nis = ne is, auch GL. VIII, 30 J)ou ne askest nie non
o|jer I)ing. Ne lehnt sich an ein vorhergehendes Personalpronomen an :
WL. XIV, 14 I)at he ne may ner ywynne; WL. XIV, 21 Jjat y ne may
lyve namore. — Anlehnung eines Personalpronomens findet sich noch
WL. IV, 48 for on pat us warp from wo; WL. XIV, 31 my gode luef,
y I)e greete; GL. VII, 34 so duere he us haj) yboht. Aufserdem kommen
wenige andere Fälle doppelter Senkung vor: WL. IV, 38 such tiding
mei tide, y nul noutteme; WL. III, 14 have resting on honde ; in letz-
terem Verse könnte man auch an schwebende Betonung denken. Sehr
hart klingt der dreitaktige Vers GL. II, 46 to alle pat ever hider eode ;
GL. XVII, 50 pat on saip „let", pat oper sey]) „do"; hier möchte man
nach dem Ms. Digby und Ms. Vernon das zweite seyp streichen, doch
stimmt Ms. Laud zu dem unsrigen; GL. X, 17 what he sofFiede so
sore ist vielleicht auch verderbt und so zu streichen.
Während wir so viele Fälle doppelter Senkung zu konstatieren
hatten, ist das Gegenteil, Fehlen der Senkung, im Innern des Verses
sehr selten und kommt in vielen Gedichten gar nicht vor. Wir werden
sämtliche Fälle anführen: 1) Die Senkung fehlt am häufigsten zwischen
zwei Hebungen, die verschiedenen Wörtern angehören und zwar a) im
viertaktigen Verse nach der zweiten Hebung: WL. VII, 5 hire glad-
shipe nes never gon, v. 19 hou shal pat lefly syng; v. 39 herknej) me,
y ou teile; ebenso WL. X, 10, 25; GL. IV, 47, 48; GL. V, 1, 20, 23;
GL. VI, 7 also hit ner nere yv^^is, hier könnte man auch never statt
ner lesen; GL. VIII, 79, 137, XIV, 23, 41, XVI, 15, 30, 31; v. 31
läfst sich aber auch anders auffassen. WL. VIII, 19 wowes pis wilde
drakes möchte man vielleicht emendieren, indem man all einschiebt,
cfr. WL. IX, 5 al pis wylde wyhtes wowes. Manchmal mag fehler-
hafte Überlieferung das Fehlen der Senkung verschulden, wenigstens
werden in GL. XVII und IX solche Stellen fiist nie durch die andere
Hdschr. bestätigt: GL. XVII, 5 hou holy writ spekep of nion steht
allerdings auch in den anderen Hdschr.; aber für v. 29, 74, 146, avo
nach Ms. Harl. ebenso die Senkung fehlt, haben die anderen Mss.
sämtlich metrisch korrekte Lesungen: v. 29 jet alast pou shalt de^e
lautet im Ms. Vernon: wolton, niltou, |)0U schalt dygen; im Ms. Digby
und Ms. Laud : nedes costes J)ou most deyen. — v. 74 ff. \)e ahc
der mittclenglischcn lyrischen Lieder des Ms. IJarl. 2253. 373
worst is Jiat on, | here nomes y shall teile, ist sicher verderbt; M.^.
Uigby V. 79 lautet here nomes con ich everichon, | nou i shall teilen
alle, und dazu stimmt Ms. Land und Vernon. — Im V. 146 {)ourli
wycked werk oper eggyng haben Ms. Digby und Auchinleck fals, Ms.
Laud vuel vor eggyng stehen. — In GL. IX fehlt die Senkung in
V. 8, 9, 12, 30, im Ms. Digby sind diese Verse korrekt: v. 8 y Jiole
de|) for mon kynde ; Ms. Digby hat monnes kynde; v. 9 for my gult
J)ole y non ; INIs. Digby liest korrekt: niine gultes. — v. 12 |)at mo
byliet Symeon ; Digby hat bihete; v. 30 no wonder \ydh nie be wo;
Digby liest: hit nis no wonder,
ß) Zuweilen fehlt die Senkung an anderer Stelle. Dabei ist sie
einigemal durch eine Pause ersetzt, so GL. XI, 55 alas! men be])
wode; WL. IV, 48 for on, Jmt us warp from wo. In anderen Fällen
ist keine Pause: GL. XVII, 25 Jje fleysh stont ajeyn pe gost lautet
in den anderen Hdschr. ebenso, aber hier ist das Fehlen der Senkung
durch den Zusammenstofs der schweren Konsonanzen sh und st er-
klärlich ; in anderen Versen desselben Gedichtes, v. 54, 106, 117, 128,
scheint das Fehlen der Senkung vom Schreiber verschuldet zu sein,
v, 54 1)6 pris forte wlnne lautet in Ms. L. : pe maistrie for to winne;
in D.: pe pris hoe hantfe to winnen; in Vern. : al Jie pris für to wynne.
v. 106 wi[> foule wille ant foul J)oht laufet in L., D. und V. überein-
stimmend ganz anders. — In GL. XVII, 117 holde ne dreje ist hinter
ne ein wel einzuschieben nach Als. L. und D. — In v. 128 huore
lyf al wi|) joie ylad ist hinter lyf nach den vier anderen Ms. was ein-
zuschieben. — WL. V, 2 wil wymmen forte wale ist im Ms. korrekt,
dessen Lesung beizubehalten ist (wilde statt wil). — GL. X, 47 wi|)
scourges yswongen ist wohl korrupt, ebenso WL. V, 48 styjic upon
stede, wo vielleicht vor stede der Artikel zu setzen ist. Ferner fehlt
eine Senkung: GL. VI, 14 ant shild us from helle; WL. VIII, 6 uch
foul song singes. GL. XII, 47 wher so eny sek ys ; WL. XI, 36 to
don al I)i wille; GL. XIII, 15 I)at art so god ; GL. XIII. 3 preyje
Jesu, {)y sone, ist zu emendieren, indem hinter Jesu nach Ms. Egcrton
Christ eingeschoben wird.
2) Einigemal fehlt die Senkung zwischen zwei Hebungen, die
Silben desselben Wortes sind: WL. IX, 35 to late comcl) [)e ^eyn-char;
GL. IV, a2 for me I>ou shcddest I)i blöd; WL. X, 24 ase a launtcrnö
a niht. Das Gedicht WL. X nimmt indessen eine besondere Sti'lhiiig
ein, es zeigt stark d».n Einflufs d<'r allittcrierenden Langzeile; manclio
374 Über die Sprache und Metrik
Verse lassen sich schwerlich als viertaktige lesen, oder man nuifstc die
Betonung mäiden, wörhlicho etc. zulassen, der aber andere Stellen
durchaus widersprechen würden, so v. 7 menskful raaiden of myht ;
V. 9 In al |)is worhliche won; ebenso v. 14, 43; auch v. 45, 71, 73.
E. Die Betonung und der Rhythmus.
Hebungsfähig ist die höchstbetonte Silbe eines Wortes und ferner
eine andere, wenn sie von der höchstbetonten durch eine Silbe getrennt
ist. Doch die Flexionssilben mit tonlosem e sind nicht hebungsfähig;
das End-e kommt nur einmal so vor GL. III, 107 ant hevene to mede,
doch mag die Stelle verderbt sein, vielleicht auch WL. X, 45, 71.
Der Versrhythmus stimmt im allgemeinen mit der natürlichen Wort-
betonung überein, doch findet manchmal Widerstreit zwischen Wort-
und Versaccent statt, indem unter dem Erfordernis der regelrechten
Zahl und Abwechselung der Hebungen und Senkungen der natürliche,
durch die Wortbetonung bedingte Rhythmus der Verse leidet. Manchmal
müssen deshalb Wörter in unnatürlicher Weise mit schwebender Be-
tonung gelesen werden, wenn der Versaccent es verbietet, auf die
Stammsilbe den Ton zu legen. Dies geschieht meist dem Reim zu-
liebe, so
1) bei Nominal- Kompositis: GL. XI, 14 midday : may; GL.
IX, 8 monkynde : wepinge, ebenso GL. VHI, 54 ; GL. XVIII, 35
monkunne : punne; häufig ist man der zweite Teil der Komposition:
WL. XI, 13 man : lemman; GL. XI, 47 lemmon ; gon ; ebenso GL.
XIV, 25, 49, WL.XIV, 2 etc. GL. XVII, 58 keep : dungheep; WL.
I, 25 gale : Whyrhale.
2) bei Ableitungssilben :
a) sehr häufig die Silbe ing und inde : GL. V, 1 kyng : endyng;
GL.'vni, 31 serving : mourning, ebenso GL. VIII, 53, 29, 113, 169,
181, 193, XI, 37, WL. U, 2, VII, 19 etc.
ß) die Endung esse: GL. XIV, 34 lyhtnesse : wytnesse, ebenso
WL. X, 47 flf.
f) die Endung ere: GL. VIII, 5 suettere : blysfulere : lyke-
rusere ; alumere.
S) die Endung y: GL. VHI, 129 unwor])i : alraihti : hardy ; GL.
XIV, 37 levedy : epyphany : wery; GL. XIV, 55 levedy : merci : holy.
Dies sind sämtliche Fälle; andere Ableitungssilben kommen nicht
als Reimsilben vor, so dafs schwebende Betonung notwendig wäre.
der mittelfnglischen lyrischen Lieder des Ms. Ilarl. 2253. 375
Im Inneren und im Anfang der Verse stimmt ebenfalls oft die
natürliche Betonung nicht zu dem Versrhythmus, und es ist schwebende
Betonung resp. Umstellung des Taktes anzunehmen. — Häufig ist
Taktumstellung im Versanfang. Dabei widerstreitet der Versaccent
entweder dem rhetorischen Accent wie in WL. III, 30 whil mi lif lestc
may (dreitaktig), oder dem Wortton, so in WL. II, 32 wery so water
in wore; WL. III, 11 levedy of alle londe; GL. I, 33 werryng is worst
of wyve, etc.
Es findet sich aber auch freie Betonung im Inneren der Verse,
besonders nach einer Casur : WL. X, 85 for hire love raournvn'^ v
make; WL. VII, 40 in such Avondryng for wo y welle. Alan beachte
in beiden Beispielen die Allitteration. Bei manchen Stellen ist man ge-
neigt, an Korruption des Textes zu denken, z. B. WL. VIII, 17 Jie
lilie is lossom to seo (viertaktig), wo durch Umstellung zu lossom is
leicht ein korrekter Vers herzustellen wäre; ähnlich in GL. XII, 22
of synne Jiat y have my fleish fed. — In einzelnen Gedichten tritt die
blofse Silbenzählung resp. freie Betonung besonders hervor, so in GL.
II, 1, 2, 12, 14, 26; ebenso in GL. VIII, X, XII, XVIH, WL. XIV.
Die romanischen Wörter kommen mit verschiedener Betonung
vor. Im Reim haben sie natürlich romanische Betonung bewahrt,
aber im Inneren der Verse oft sich germanischer Betonung gefügt:
WL. II, 27 boünte, IV, 61 resoun, IV, 15 richesse, V, 39 römaunj,
V, 66 emeraudes, etc. Manchmal zeigt sich sogar, dafs die romanische
Betonung im Reim eben nur des Reimes wegen geschieht, denn die
Allitteration, an der die Stammsilben teilnehmen, spricht für germanische
Betonung, so WL. I, 14, 17, 40, XIII, 28, 32, II, 8 etc. — Ebenso
finden sich genug Verse, in denen von germanischen Wörtern die Ab-
leitungssilbe reimt, aber die Stammsilbe die Allitteration trägt, ■/.. B. WL.
II, 5 ich libbe in love longynge ; dies beweist, dafs der Wortaccent nur
des Versaccents Avegen in solchen Fällen schwebend ist, solche un-
germanische Betonung aber der wirklich gesprochenen Sprache unbe-
kannt war.
Die romanisch gebauten Verse unserer Gedichte sind sehr ver-
schieden lang, denn es kommen solche von zwei Takten bis zu solchen
von sieben Takten vor. Der Rhythmus ist in allen der Regel nach
ein jambischer, doch mit vielen Ausnahmen.
In siebentaktigen Versen (Septenarpnj sind vorfafst:
WL. XI, XII, GL. XIII. In diesen Versen ist die Cäsur nach der
37(: Über die Sprache und Metrik
vierten Hobung und der Regel nach männh'ch, doch häufig auch weib-
lich in allen drei Gedichten. Nicht nur steht eine tonlose Flexions-
silbe vor der Cäsur, sondern einmal sogar eine volle Bildungssilbe WL.
XI, 8 whet helpejj pe, my suete lemmon, niy lyf Jms forte gaste.
Durch die weibliche Cäsur haben die Verse daher nach der vierten
Hebung oft doppelte Senkung, die aber der oben behandelten doppelten
Senkung nicht gleichzustellen ist. Die Cäsur ist verwischt in GL.
Xni, 32 bring us to Jje ioie I)at no tonge may of teile. — Der Vers-
ausgang ist der Regel nach weiblich, so stets in WL. XH; auch in
WL. XI, aufser in der Strophe v. 13 — 16, wo männlicher Reim ist.
In GL. XIII sind nicht sämtliche Verse Septenare, sondern diese sind
mit Alexandrinern untermischt; hier ist männlicher Versausgang häufiger,
es reimen fünf Strophen klingend und vier Strophen stumpf. — Der
Auftakt fehlt oft im ersten oder im zweiten Halbvers oder in beiden,
so WL. XI, 5. Mehrsilbiger Auffakt kommt nicht vor. Zuweilen
findet sich Mittelreim WL. XI, 5, 6, auch Binnenreim WL. XI, 2, 4.
Viele Verse zeigen aufser der Cäsur nach der vierten Hebung noch
eine Nebencäsur nach der zweiten Hebung, die besonders hervortritt,
wenn Binnenreim zwischen der zweiten und vierten Hebung stattfindet,
so WL. XI, 2, 4. Nach dieser Nebencäsur, auch wenn sie männlich
ist, fehlt zuweilen ebenso wie nach der Hauptcäsur die Senkung resp.
der Auftakt, z. B. WL. XI, 4 jef mi poht helpep me noht; WL. XH, 12
a suete cos of py mou|) ; GL. XIH, 4 so my wey forte gon. Anderer-
seits kommt bei weiblicher Nebencäsur auch zweisilbige Senkung nach
der zweiten Hebung vor: WL. XI, 21 suete lady, I)ou wend |)i mod ;
WL. XII, 9 suete lemmon, y preye J)e; v. 17 bituene Lyncolne ant
Lyndeseye, etc.
In GL. XIII sind die Septenare mit Alexandrinern gemischt;
unter 36 Versen von GL. XIII sind sieben, die nur sechs Hebungen
haben: v. 11, 16, 24, 29, 34, 35, 36. Bei anderen Versen, v. 13,
21, 25, kann man zweifelhaft sein, ob sie als Septenare oder Alexan-
driner zu lesen sind. Diese Alexandriner sind wie die Septenare ver-
schieden gebaut, sie zeigen den Versausgang wie die Cäsur klingend
sowohl als stumpf, auch Fehlen des Auftaktes.
Der Septenar kommt ferner in der ersten Zeile des Refrains von
WL. XIV und GL. XVIII vor: WL. XIV ever ant oo for my leof
ich am in grete Jichte ; GL. XVIII ever ant oo, nyht and day, he
havej) US in bis f)ohte. Diese Septenare haben weiblichen Reim und
der mittelenglisdien lyrisclion Lieder des Ms. Uarl. 2253. 377
männliche Cäsur, auch Nebencäsur nach der zweiten Hebung und dort
Fehlen der Senkung.
Der Alexandriner kommt noch als letzte Zeile jeder Strophe
in GL. VI vor. Auch hier ist sein Reim wie die Ccäsur sowohl klingend
als stumpf; auch zeigt sich Fehlen des Auftaktes; also wie in GL. XIII.
F i\ n f t a k t i g e Verse kommen nur in WL. XIV und GL. XVIII
vor als fünfte und sechste Strophenzeile und als letzte Zeile des Refrains.
Sie haben stets klingenden Reim ; die Cäsur ist stets nach der zweiten
Hebung und ist klingend z. B. WL. XIV, 5 oder stumpf z. B. WL.
XIV, 6. Im Anfang des Verses fehlt der Auftakt in WL. XIV, 20,
GL. XVIII, 6. Der Auftakt nach der Cäsur fehlt WL. XIV, 27.
Einige Verse in WL. XIV, die nach dem Strophenschema fiinf-
taktige sein müfsten, wei'den indessen wohl als Alexandriner zu lesen
sein; v. 21, 34, 35. v. 21 love drechej) me, Jiat y ne may live na-
more; v. 34 ase sterres bej) in welkne and grases sour and suete;
V. 35 whose love|) untrewe, bis herte is selde seete. — Schipper p. 442
faftt solche Verse allerdings als fiinftaktige auf. Jedoch es liegt um
so weniger Grund vor zu bestreiten, dafs diese Verse Alexandriner
sind, als statt der Fünffüfsler sogar Septenare vorkommen, nämlich
WL. XIV, 14 und 28 : v. 14 wo is him Jiat lovej) pe love Jiat he ne may
ner ywynne; v. 28 wo is him J)at lovep J)e love I)at ner nul be trewe.
So sehen wir in WL. XIV an Stelle der fünftaktigen auch sechs-
und siebentaktige Verse treten. Dies geschieht nicht in GL. XVIII;
dort könnte man höchstens v. 13 als Alexandriner auffassen: |)at wo
han y don, i rede we reowen sore.
Der zweitaktige Vers konimt nur in WL. VII vor als vierte
und sechste Strophenzeile. Er zeigt stumpfen oder klingenden Vers-
ausgang: V. 4 in toune trewe; v. 10 wij) oute strif. Selten fehlt der
Auftakt, unter zwanzig Versen zweimal (v. 42 u. 53). v. 28 in nuiche
murpe he were, hat drei statt zwei Hebungen.
Am meisten verwandt wird der vier- und der dreitaktige Vers.
Der dreitaktige in WL. III, GL. II, VII, XI, XV, der vicrtaktige in
WL. VII, GL. IV, VIII, IX, XVL Die noch übrigen Godichtc /.eigen
in ihrer Strophenform eine Verbindung von vier- und dreitaktigen
Versen.
Wenn der dreitaktige Vors für sich steht, nicht verbunden
mit dem viertaktigen, so mufs er als halber Alcxaiiüriner angesehen
werden, und es müssen ihm dieselben Freiheiten gestattet sein wie
378 Über die Sprache und Metrik
jenem, al.so aucli der Gebrauch männliclicr und wiiblicljer Reime ohne
Unterschied. Doch in einigen Gedichten werden im Strophenbau männ-
liche und weibliciie Dreifüfsler getrennt. In GL. XV, wo engh'sche
Dreifiifsler mit französischen Sechssilblern abwechseln, haben die fran-
zösischen Verse stets männlichen Reim, die englischen weiblichen,
aufser in der zweiten Strophe, wo auch die englischen Verse stumpf
reimen. In GL. VII und XI ist die Reimfolge ababccbddb. Hier
sind die Reime b stets nicünnlich (aufser GL. XI, 32, 34), die übrigen
stets weiblich. In WL. III und GL. II findet sich nicht ein solcher
regelmäfsiger Wechsel männlicher und weiblicher Verse. Der Auftakt
fehlt ziemlich seifen, doch kommen in allen fünf Gedichten solche Fälle
vor. Zweisilbiger Auftakt ist nur in GL. II, 1 1 so I)e furmest hevede ydon.
Der viertaktige Vers zeigt natürlich männlichen Reim so gut
als weiblichen. Der Auftakt fehlt sehr häufig, seifen ist er zweisilbig:
GL. XVI, 8 al ungreipe icham to Jie to gon ; GL. VIII, 110 hit bi-
hoveji nede pat ich hit have. Oft zeigt sich Cäsur nach der zweiten
Hebung derart, dafs dort infolgedessen zweisilbige Senkung entsteht
(cfr. oben p. 371). — WL. VII, 37 — 38 sind überflüssig im Strophen-
bau; WL. VII, 7 when heo is glad hat nur zwei statt vier Hebungen;
GL. VIII, 39 — 40 wij) Jjine suefe ejen loke towart me, | ant mylde-
liche myne, y preie, al J)at fou se, sind wohl korrupt, denn sie haben
sechs statt vier Hebungen; ebenso GL. VIfl, 106 ofte ych habbe mis-
don ajeynes pe, wo fünf statt vier Hebungen sich vorfinden.
In sehr vielen Gedichten zeigt die Strophenform Vierfüfsler
in Verbindung mit D r e i f ü f s 1 e r n , nämlich in WL. II, IV, V,
VIII, IX, X, XIV, GL. I, III, V, VI, X, XII, XIV, XVII, XVIII.
In WL. IV bilden acht Vierfüfsler den Aufgesang, vier Drei-
füfsler den Abgesang. Hier sind die Dreifüfsler als halbe Alexandrine
zu betrachten, sie zeigen wie die Vierfüfsler männlichen sowohl wie
weiblichen Reim. Oft fehlt der Auftakt.
In WL. XIV und GL. XVIII ist der erste Teil der Strophe
abab, wobei a viertaktig, b dreitaktig ist. Diese Verse sind als streng
gebaute Septenare mit Miffelreim aufzufassen; a hat stets männlichen,
b stets weiblichen Reim. Der Auftakt fehlt zuweilen in beiden; zwei-
silbig ist er in GL. XVIII, 12: he nagulte nout per fore.
In GL. X ist die Strophenform ababccdeed, in GL. XII
aabaabcbcb. Dabei sind b und d Dreifüfsler, die übrigen Verse
Vieifüfsler. Der erste Teil der Strophe von GL. X entspricht genau
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. llarl. 2253. 379
dem zweiten Teile der Strophe von GL. XII, der zweite Teil der
Strophe von GL. X dem ersten von GL. XII. Die Verse des ersten
Teiles der Strophe von GL. X und des zweiten von GL. XII sind
wieder als streng gebaute Septenare mit Mittelreim aufzufassen; wie
in WL. XIV und GL. XVIII hat der viertaktige Vers stets männ-
lichen, der dreitaktige stets weiblichen Reim. Der Auftakt fehlt in
beiden öfters. — In dem zweiten Teile der Strophe von GL. X und
dem ersten von GL. XII wechseln zwei viertaktige mit einem drei-
taktigen Verse ab. Auch in diesem Teile haben die dreitaktigen Verse
ohne Ausnahme weiblichen Reim ; die viertaktigen haben in GL. XII
sämtlich männlichen Reim, in GL. X fast sämtlich, nur v. 18 : 19,
45 : 46 reimen klingend.
Der letzte Teil der Strophe von GL. X und der erste von GL.
XII hat die Form der Schweifreimstrophe, und diese zeigt wie in GL.
X und XII so auch in anderen Gedichten ihre Vorliebe für weibliche
Dreifüfsler und männliche VierfÖfsler. In WL. V, VIII, IX, GL. III,
V, XVII ist die Reimfolge aabccb etc., wobei a und c vierfaktig,
b dreitaktig ist. Die viertaktigen Verse reimen in allen sechs Ge-
dichten beliebig stumpf oder klingend; der Auftakt fehlt manchmal in
ihnen. Aber die dreitaktigen Verse haben in WL. VIII, IX und GL. III
stets weiblichen Reim; in WL. V, GL. V und XVII überwiegt wenig-
stens der weibliche Reim bei weitem. Der Rhythmus der Dreitakter
ist in allen sechs Gedichten jambisch, der Auftakt fehlt nicht oft.
In GL. III ist noch eine zweite Strophenform abaab, die mit der
ersten abwechselt; hier ist a viertaktig, b dreitaktig. b hat stets weib-
lichen Reim und ist durchaus jambisch, der Auftakt fehlt nur einmal
(v. 48). a ist stets männlich aufser in der Strophe v. 64 fF. und zeigt
sehr oft Fehlen des Auftaktes.
In WL. X ist die Strophenform aaabcccb; a und c ist vier-
taktig, b ist dreitaktig. Hier haben die dreitaktigen Verse fast ebenso
oft männlichen als weibliclien Reim ; auch fehlt ihnen ebenso wie den
viertaktigen sehr oft der Auftakt.
In der Strophenform von GL. XIV aaabab ist a viertaktig,
b dreitaktig. Hier zeigt sich noch einmal die Vorliebe für weibliche
Dreifüfsler und männliche Vierfüfsler, denn in neun Strophen sind die
Dreifüfsler weiblich und die Vierfüfsler männlich, nur in einer Strophe
(v. 43 ff.) ist es umgekehrt. Dem Dreifülsler fehlt aber wie den Vier-
füfslern häufig der Auftakt.
SSO über die Sprache und Mitrik
In der Strophenform von GL. VI aacabb ist a vieilaktig und
stets trochäisch aufser v. 8, wo der Auftakt vorhanden ist. Das erste b
ist dreitaktig. Männliche und weibliche Dreifüfsler und Vierfüfsler
werden in dieser Strophe ohne Unterschied verwandt.
In GL. I bilden acht viertaktige Verse den Aufgesang; den Ab-
gesang bilden drei Verse in der Stellung cbc, von denen c dreitaktige
sind, sämtlich mit weiblichem Ausgang und stets jambisch. Die vier-
taktigen Verse in der Reimstelhing ab ab etc. sind abwechselnd stumpf
und klingend, nur in der letzten Strophe haben sie alle weiblichen
Reim; in ihnen fehlt der Auftakt sehr oft.
In WL. II ist das Schema ababbbbc; dabei ist a stets vier-
taktig; b ist verschieden, in Strophe II und III hat es stets vier
Hebungen, aber in Stroplie I und IV hat es drei Hebungen und je
einmal vier Hebungen, nämlich v. 6 (?) und v. 35. Eine gleichmäfsige
Abwechselung männlicher und weiblicher Reime findet nicht statt,
Fehlen des Auftaktes kommt in den dreitaktigen wie in den viertaktigen
Versen vor.
Wie in WL. II finden wir auch in anderen Gedichten dieser letzten
Gruppe, in denen dreitaktige mit viertaktigen Versen kombiniert sind,
gelegentlich einen dreitaktigen Vers, wo nach dem Strophenschema
ein viertaktiger stehen müfste, und umgekehrt einen viertaktigen, wo
ein dreitaktiger stehen sollte. In WL. II mag dieser Wechsel vom
Dichter beabsichtigt sein, aber für die anderen Stellen müssen wir wohl
Nachlässigkeit des Dichters oder Korruption des Textes annehmen. —
Drei statt vier Hebungen finden sich in WL. VIII, 28 deawes donke|)
]>e dounes; GL. I, 43 lest he to harmes helde; ebenso GL. V, 7 u. 8.
Vier statt drei Hebungen finden sich: WL. IV, 59 soj) is pat y of hem
ha wroht; GL. XII, 46 heried be hyr joies fyve ; GL. XIV, 12 Jesu
Crist, hevene kynge; der letzte Vers wäre durch F^ortlassung des
Wortes Crist leicht zu emendieren, im Ms. steht die Abkürzung, für
die Wright an dieser Stelle nur Jesu (ohne Crist) schreibt.
III. Die wörtlichen Anklänge.
Auffallend sind die zahlreichen wörtlichen Anklänge, die sich
zwischen einzelnen unserer Gedichte finden. Böddeker macht darauf
aufmerksam und identifiziert die Verfasser mehrerer Gedichte, indem er
sich hauptsächlich auf das Vorliandenseiu solcher Anklänge stützt.
der mittelenglisclien lyrischen Lieder des Ms. llarl. 2253. 381
Er hebt, zum Teil im Anschliifs an ten Brinks Littgesch. p. 383 ff.,
fünf Dichter hervor als Verfasser von 1) "WL. I, III, V; 2) \VL. IV,
GL. I; 3) WL. VIII, IX; 4) WL. XI, XII; 5) GL. V, XII, XIV.
Die Anklänge reichen indessen viel weiter, als Böddeker sie an-
giebt. Es sind teils individuelle Ausdrücke, teils feststehende formel-
hafte Phrasen, letztere besonders unter den allitterierenden Redensarten.
Beide Arten werden sich nicht immer sondern lassen, aber das so
häufige Vorkommen gleicher formelhafter Phrasen, wie es in der That
in einigen Gedichten sich findet, spricht freilich dafür, dafs solche Ge-
dichte von demselben Verfasser herrühren, wenn auch im übrigen die
Metrik, die Sprache, der Ausdruck etc. in auffallender Weise überein-
stimmen.
Wir wollen diese Anklänge aufzählen:
A. Allitterierende.
1) bende browen :
WL. V, 25 heo ha]) browes bend an heb;
WL. VII, 26 hire bende browen, pat bringep blisse;
WL. V, 18 ybend wax eyjjer breje.
2) blisse bringe:
WL. I, 19 pat syht upon I)at semly, to blis he is broht;
WL. II, 7 he may me blisse bringe;
WL. VII, 26 hire bende browen, I)at bringej) blisse;
WL. VIII, 3 pat al pis blisse bryngep.
3) blöd ant bon:
WL. V, 5 pat ever wes mad of blöd ant bon ;
WL. X, 10 a bürde of blöd ant of bon.
4) bold in bour:
WL. V, G in boure best wip bolde;
GL. III, 19 in uch a bour among pe bolde;
5) briht in bour:
WL. I, 1 Ichot a bürde in a bour ase beryl so briht;
WL. X, 5 ichot a bürde in boure bryht ;
WL. IX, 8 ase ledies pat bep bryht in bour;
GL. XII, 5 ne no levedy so bryht in bour.
G) briddes breme:
WL. IV, 40 our blisse heo beyen, pis briddes breme ;
WL. X, 17 pat brid so breme in boure;
382 Über die Sprache und Metrik
WL. VIII, 27 when briddes singej) breme (hier hat aber brid eine
andere Bedeutung),
7) brihtest under bis:
WL. I, 17 he is blosme opon bleo, brihtest under bis;
WL. ni, 38 bryhtest under bys.
8) browe broune :
WL. II, 14 hire browe broune, hire e^e blake;
WL. IV, 39 of brudes briht wij) browes broune.
9) bürde briht:
WL. I, 1 ichot a bürde in a bour ase beryl so bryht;
WL. X, 5 ichot a bürde in boure bryht;
WL. VI, 6 J)is bürde bryht, gef hire Avil were;
WL. IV, 39 of brudes bryht wiJ) browes broune.
10) casten from cares:
WL. IV. 52 I)at ous hap cast from cares colde;
WL. VI, 11 casten y wol pe from cares ant kelde.
11) dawes in dounes:
WL. IX, 1 — 2 in may hit murgej) when hit dawes
in dounes wiJ) Jjis dueres plawes;
WL. VIII, 28 — 29 deawes donkej) pe dounes,
deores wip huere derne rounes;
12) derne dedis:
WL. I, 36 when derne dedis in dayne derne are done ;
GL. I, 8 — 9 pat derne doj) J)is derne dede,
pah he ben derne done;
13) dejj er my day:
WL. in, 25—26 to defe pou havest nie diht,
y deje longe er my day,
WL. VII, 21 — 22 heo me wol to depe bryng
longe er my day;
1 4) fingres to folde :
VV'L. V, 55 fyngres heo haj) feir to folde,
WL. X, 29 ant fyngres feyre forte folde,
GL. in, 21 nou y may no finger folde,
GL. III, 40 ant mey no finger felde.
15) gomenos gelde:
GL. I, 41 of gomenes he mai gon al gelde;
GL. III, 43 myn gomenes waxej) gelde.
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Harl. 2253. 383
16) hap yhent:
WL. II, 9 an hendy hap ichabbe yhent;
WL. IV, 69 hap I)at haljel haj) hent.
17) lemej) wij) lyht (oder lyt):
WL. I, 3 ase jaspe pe gentil, [)at leniej) \vi{) lyht;
WL. X, 23 hire lumes liht;
WL. V, 8 in uche londe heo leome{) liht;
(WL. V, 78 wiJ) leofly lyt on lere;)
WL. IV, 6 pat lemeli all wiJ) luefly lyt.
18) leven on lore:
WL. VI, 25 why is pe loj) to leven on my lore;
WL. XIV, 19 lef I)ou no false lore.
19) lilye lossum :
WL. I, 12 Avi}) lilye white leres lossum he is;
WL. V, 10 J)e lylie lossum is ant long;
WL. VIII, 17 ])e lilie is lossom to seo.
20) lockes lefly ant longe :
WL. V, 31 hire lockes lefly aren ant longe;
WL. X, 14 wi|) lokkes lefliche ant longe.
21) pe lossum loh :
WL. V, 17 J)e lossum, when heo on me loh;
WL. II, 15 wi|) lossum chere he on me loh.
22) love is liht :
WL. II, 12 from alle wymmen my love is lent
and lyht on Alisoun ;
WL. III, 22 my love is on pe liht;
WL. VI, 26 lengore pen my love were on pe lyht.
23) mad on molde :
WL. III, 2 on molde y wa,xe mad ;
AVL. IV, 29 forjji on molde y vvaxe mot.
24) maiden moder milde:
GL. XV, 1 maiden moder milde;
GL. VII, 28 mayden and moder milde.
25) miht of |)e mone:
WL. I, 31 mnge he is ant mondrake I)ourli miht of 1)6 mone;
WL. V, 19 Jje mone wip hire muchele mäht.
26) Jesu, for \n muchele myht, GL. V, 16 und X, 1
27) mury mou|) :
384 Über die Sprache luul Metrik
WL. V, 37 heo ha[) a mui-y aioiiht to mele;
WL. X, 43 maiden niurgest of inoul).
28) murpes nionge:
WL. V, 32 ful sone he milile hire niuij)es monge;
WL. X, 16 wi}) murj)es nionie mote heo monge.
20) reden ryht:
WL. I, 30 whose ryht rede|), roiine to Johon ;
WL. VI, 28 I)at nolde J)e noht rede so ryht.
30) rode ase rose:
WL. I, 11 hire rode is ase rose I)at red is on rys;
WL. III, 32 hire rode so rose on rys;
WL. V, 35 —36 whit ynoh ant rode on eke,
ase rose Avhen hit redes ;
WL. V, 11 wip riche rose and rode among;
WL. VIII, 13 Jje rose raylej) hire rode.
31) semly on syht:
WL. I, 2 ase saphyr in selver semly on syht;
WL. X, 6 I)at ful semly is on syht.
32) sivve}) sore (und so) :
GL. I, 57 J)at siwej) me so fuUy sore;
GL. in, 72 syker hit siwej) me ful sore;
WL. X, 64 hou sykyng me haj) siwed so;
GL. III, 29 hit siwel) me so faste.
33) swannes swyre:
WL. II, 28 hire swyre is whitlore I)en pe svvon;
WL. V, 43 swannes swyre swype wel y sette.
34) ytold wil) tonges:
WL. I, 32 trewe triacle ytold wij) tonges in trone;
WL. IV, 36 wij) tonge ase y her tolde;
GL. XIII, 32 bring us to pe joie pat no tonge may of teile.
35) pryven ant pro:
WL. I, 23 he is prustle pryven ant pro;
WL. VII, 16 pat pryven ant pro.
36) war ant wys:
WL. III, 34 wymmon war ant wys;
WL. XVII, 67 mon, be war ant eke wis.
37) whyt ase whalles bon :
WL. Vn, 1 a wayle whyt ase whalles bon;
der mittelengllschen lyrischen Lieder des Ms. Ilarl. 2253. 38j
WL. V, 40 hire teht aren white ase bon of whal.
38) wod ant wilde :
GL. XV, 7 Ich wes wod ant wilde;
GL. XVII, 64 icholde l)e ful wilde ant wod;
GL. XIII, 14 soffre never pat y be so wilde ne so wod.
39) wommon by west :
AAL. III, 37 J)is wommon wonep by west;
ML. IX, 10 so worly wymmen are by west.
40) wonges wet:
WL. IV, 1 weping have[) myn wonges wet;
GL. III, 13 unwunne have{» myn wonges wet;
WL. IV, 26 pat durste for werk hire wonges wete.
41) wowes J)is wilde:
WL. VIII, 19 wowes Ins wilde drakes;
A\ L. IX, 5 al J)is wylde wyhtes wowes.
B. Anklänge ohne AUitteration.
Die nicht allitterierendcn wörtlichen Übereinstimmungen sind zum
Teil, selbst wenn sie einen ganzen Vers umfassen, gewöhnliche, häufig
vorkommende Redensarten, z. B.
1) nouper day ne niht: GL. XVI, 54, XVII, 27.
2) I)at US so duere bohte: GL. V, 18, VII, 34, VIII, 11, 44, XI, CO,
XII, 80, XVII, 63.
3) for love of Inn childe: GL. VII, 29, XV, 5.
4) merci, loverd! y nul namore: GL. III, 70, IV, 36.
5) y J)e preye aniong: GL. V, 5, VII, 44.
6) WL. VII, 47 me punchej) min herte wol breke a two;
GL. III, 49 me JjunkeJ) myn herte breke[) a tuo.
7) GL. V, 17 pou graunte us alle hevene lyht.
GL. VII, 30 ernde us hevene lyht.
Auffallender ist schon :
8) WL. XII, 5 ich have loved al I)is jer, pat y may love namore.
WL. XIV, 21 Love drecche}) me I)at y ne may lyve namore.
Zuweilen werden dieselben Ausdrücke, Bilder und Vergleiche
zum Preise der Geliebten gebraucht:
ö) eyjen gray :
WL. V, 6 hyre eyjen are grete ant gray ynoh;
WL. VII, 24 wip ebenen gray.
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 25
38G Über die Sprache und Metrik '
t
10) lilye whit: \
WL. I, 12 wip lilye white leres lossuni he is; *
WL. in, 31 lilie whyt hue is; \
WL. V, 50 \)e lylie white lef in lond. j
11) middel snial:
WL. II, 16 wij) middel smal ant wel y make; ,
WL. V, 62 umben hire middel smal;
WL. V, 73 heo haji a mete myddel smal;
WL. X, 31 middel heo haj) menskful smal.
12) tortle, I^rustle, laveroc WL. I, 22, 23, 24 : WL. VII, 3, 51,52. I
13) coral, rubie, lilie, parvenke, selsecle WL. X, 54 — 57 : WL. I, 7, ;
4, 12, 13, 20. I
Noch auffallender sind einige andere Anklänge: j
14) Der Schlufs von WL. III ist sehr ähnlich dem von WL. V. i
WL. III, 39 — 40 hevene y tolde al his !
pat o nyht were hire gest. i
WL. V, 83 — 84 pat myhte nyhtes neh hire leje, j
hevene he hevede here. ]
15) WL. IV, 8 — 9 pat is unsemly per hit syt; i
hit syt and semep noht. !
GL. III, 15 ne semy nout per v am set. 1
16) Auffallend ist die Übereinstimmung einer ganzen Strophe in GL. !
V, XII, XIV. i
GL. V, 10 — 15 pis enderday in o morewenyng,
wip dreri herte ant gret mournyng
on mi folie y pohte ;
one pat is so suete a ping
pat ber iesse, pe hevene kyng
mercl y besohte.
GL. XII, 11 — 16 from petres-bourh in o morewenyng
as y me wende omy pleyjyng,
on mi folie y pohte ;
menen y gon my mournyng
to hire pat ber pe hevene kyng,
of merci hire besohte.
GL. XIV, 1 — 4 Ase y me rod pis enderday
by grene wod to seche play,
der mittelenglischen lyrischen Lieder des Ms. Ilarl. 2253. 'iS7
mid herte y J)ohte al on a niay,
suetest of alle Innge.
Für die erste Gruppe von Gedichten, WL. I, III, V, deren Heimat
die wallische Mark ist (cfr. Archiv Bd. LXXI, Heft 2, p. 2), weist
Böddeker auf die Übereinstimmung hin, die wir unter A. 7, 30, B. 10, 14
notiert haben ; er hätte noch A. 17, 19, 25 anführen können. Der ersten
Gruppe sind wohl sicherlich WL. VII und X hinzuzufügen, welche zahl-
reiche Anklänge an jene drei Gedichte zeigen, cfr. für WL. VII: A. 1, 2,
13, 35, 37, B. 9, 12; für W^L. X: A. 3, 5, 9, 14, 17, 20, 27, 28,
31, B. 11, 13. Die Sprache in diesen fünf Gedichten zeigt manche
Übereinstimmung, und von dieser Seite also würde kein Hindernis vor-
liegen, sie demselben Verfasser zuzuweisen. Der Versbau ist freilich
in ^^ L. I durchaus verschieden von dem der übrigen Gedichte, inid
dies ki'innte Bedenken erregen. In WL. I sind die Verse nach germ.
Princip gebaute allitteriercnde Langzeilen ; in den übrigen Gedichten
finden sich nach rom. Mustern gebaute, gleichtaktige Verse, jedoch
zeigt sich in WL. X noch stark die Einwirkung des germ. Princips,
und dies Gedicht könnte wohl den Übergang des Dichters vom einen
zum anderen Princip darstellen.
Einem zweiten Dichter schreibt Böddeker WL. IV und GL. I
zu. Diese Lieder haben keine wörtlichen Anklänge aneinander, wohl
aber an die fünf Gedichte der ersten Gruppe, cfr. für WL. IV: A. 6,
9, 17, 23, 34; für GL. I: A. 12 (besonders auffallend) und A. 32.
Es sind daher vielleicht alle diese Gedichte einem Dichter zuzu-
schreiben. Diesem würden dann auch andere Gedichte zugehören,
welche viele, zum Teil recht auffällige Anklänge an die erste und auch
an die zweite Gruppe zeigen, so GL. III an Gruppe I: A. 4, 14, 32,
B. 6; an Gruppe II: A. 15, 32, 40, B. 15; ebenso WL. II an
Gruppe I: A. 2, 21, 22, 33, B. 11, und an Gruppe II: A. 8, IG;
ferner WL. VI an Gruppe I: A. 9, 22, 29 ; an Gruppe II: A. 9, 10. —
Auch Maximian (Bödd. p. 24 4 ff.) zeigt aufserordentlich viele An-
klänge nicht nur an GL. III, was Böddeker erwähnt, sondern auch
an andere Gedichte der ersten und zweiten Gruppe.
Für die dritte Gruppe, WL. VIII und IX, führt Böddeker als über-
einstimmende Stellen A. 41 und A. 11 an. Der Dichter scheint in der
Gegend von Leicester gelebt zu haben (cfr. Archiv Bd. LXXI, Heft 2, p. 2),
doch klingen die beiden Lieder auch zuweilen an die zwei ersten Gruppen
an, die dem westlichen Mittellande angehören, cfr. A. 2, 5, 6, 19, 30, 39.
25*
388 Über die Sprache und Metrik etc.
Die Lieder der vierten Gruppe, WL. XI und XII, haben unter-
einander keine gleiche Redensarten; auch nicht mit anderen Gedichten,
höchstens einmal unter B, 8.
In der fünften Gruppe, GL. V, XII, XIV zeigt sich wörtliche
Übereinstimmung nur unter B. 16, Anklang an andere Gedichte ist
selten, an Gruppe I und III nur unter A. 5. Es klingt GL. V an
GL. X an: A. 26; GL. Y an GL. VII: B. 5, 7 ; GL. VII an
GL. XV: A. 24, B. 3.
Auch andere Gedichte zeigen zuweilen Anklänge an die vor-
stehenden Gruppen oder an andere Gedichte, aber da dies nur ganz
vereinzelt vorkommt, so ist kein Gewicht darauf zu legen.
Liesnitz. Schlüter.
Sitzungen der Berliner Gesellschaft
für das Studium der neueren Sprachen.
Sitzung vom 8. Januar.
Herr Müller gab eine praktische Erläuterung der holländischen
Laute, indem er besonders bei den vom Deutschen abweichenden ver-
weilte.
Herr Tobler redete über die Etymologie der Wörter butor
und avertin und über die Bedeutung von recreue im Altfranzösischen.
Herr V a t k e sprach über Recht und Gesetz in Shake-
speares England.
In den verderbten Strömen flieser Welt
Kann die vergoldete Hand der Missetliat
Das Recht wegstofsen, und ein schnöder Preis
Erkauft oft das Gesetz. —
In the corrupted currents of this world,
Offence's gilded Hand niay shove by justice,
And oft 'tis seen, the wicked prize itself
Buys out the law —
5-0 sagt Hamlet III, 3. Welch düsteres Gemälde der damaligen
Rechtszustände in England enthalten jene Worte ! Und wie stimmt
der Inhalt derselben überein mit der Darstellung der öffentlichen
Rechtspflege Grofsbritanniens, die Macaulay in seinem so geistvoll
skizzierenden Kapitel State of England in 1685 entworfen hat! Der
Geschichtschreiber hebt hervor, wie käuilich und bestechlich selbst
die höchsten Beamten damals gewesen, wie unzuverlässig einerseits
und wie furchtbar hart auf der anderen die Justiz war: grausam waren
die Strafen, die Gefängnisse prisons on carth, und mit dem scheufslich
gemarterten Menschen habe man kaum das Mitleiden gehabt, das man
heute einem galled (wundgescheuerten) horse erweise. Man war sich
aber bis zu einem gewissen Grade wenigstens dieser Zustände bewufst.
Im Hick Scorner, einem Interliide aus der Zeit Heinrichs VIII., wird
das „Mitleiden" in die Blöcke gelegt und dann von der „Be-
harrlichkeif" (Perseverance) und der „Beschaulichkeit"
390 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
(Contemplalioii) befreit.* Niiclistcnliebe und Barmherzigkeit gab es
wenig im damaligen England, trotz der Statuen derselben vor Aldgah;
in der City der Hauptstadt. (Yen see, gilders will not work, but
inclosed . . . How long did the canvass hang afore Aldgate? Were
the people suflered to see the city's Love and Charity, while
they were rüde stone, before they were painted and burnish'd?" [Ben
Jons. Silont Wom. I, 1.])
Wann aber ist dies „in die Blöcke" gelegte Mitleiden befreit
worden in England? F^rst allmählich im Laufe des 18. Jahrhunderts.
Die Humanität kam nicht durch die Kirche, sondern trotz derselben,
wie Diderot ausführt, zum Siege. Die Elizabethanischen Dramatiker,
die sich über die Einzelheiten des Kleiderluxus ereifern, haben für die
Lage des Volkes, die Rechtlosigkeit desselben keine wesentliche Em-
pfindung. Allmählich erst wurden auch die Gefängnisse menschlicher,
und Thomson in den „Seasons" setzt den Männern, die dies in
England durchgeführt, ein Denkmal, welches düstere Schatten zurück-
wirft in die jüngste Vergangenheit.
The social tear would rise, the social sigh;
And into dear perfection, gradual bliss,
Refining still, the social passions work.
And here can I forget the gen'rous band,
Who' touch'd with human woe, redressive search'd
Into the horrors of the glooniy jail?
Uupitied, and unheard, where mis'ry moans;
Where sickness pines; where thirst and hunger burn,
And poor misfortune feels the lash of vice.
While in the land of liberty, the land
Whose ev'ry street and public meeting glow
With open freedom, little tyrants raged ;
Snatch'd tbe lean morsel from the starving mouth;
Tore from cold wint'ry limbs the tatter'd weed;
Even robb'd theni of the last of coraforts, sleep.
(Winter 355—370.)
Die „gen'rous band" ist die jail committe, vom Jahre 17 2 9.
Solche Töne haben die Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts
nie gefunden,** wenigstens niemals derart, dafs dieselben zu einem
herzbewegenden Accord zusammengeschmolzen wären. Ein John
* Mitleid hatte man nicht mit den Irrsinnigen, man sperrte sie ins
Gefängnis: die erste Irrenanstalt nach neueren, humanen Begriffen ist St.
Lukas' Hospital, London, vom J. 1751. — Kein Mitleid hatte man mit den
l'estkranken : ilire Hauser wurden vermieden und mufsten mit der Inschrift:
Lord have mercy on us bezeichnet sein. (Lovcs L. L. V, 1.) Wohhhätig-
keitsaiistalten im heutigen Sinne gab es nicht, aufser einigen Hospitals:
mit den Hospitals verbunden aber waren oft die Schulen: die Gründung
einer solchen Schule und Hospital umfassenden Anstalt galt für
ein aufserurdcntiiche.s "^^'erk der Charity. (Cf The Blue Boys' School; cf.
B. J., Alchem. 11, 3.)
*'* Im 18. Jahrh. erst, nachdem die Religionsstreitigkeiten ihren bestia-
lischen Charakter verloren, bricht die Humanität siegreich hervor: W. Hogarth
für das Studium der neueren Sprachen. 39]
Evelyn schildert die Greuel französiscljer Exekutionen mit denselben
Ruhe und Genauigkeit wie irgend ein Kunstwerk. Und John Taylor
(Werkes 1630) sagt;
I think a gaol a school of virtue is,
A house of study and of contemplation:
A place of discipline and reformation.
Es ist wohl erkliirlich, dafs ein S. Pepys von Shakespeareschen
Stücken wie „Taming of the Shrew" abgestofsen wird: man prügelte
eben seinen Schneider nicht mehr, wie dies Stück als selbstverständ-
lich ansieht.
Marterwerkzeuge, wie die Folter, die Blocks, sind einem
Shakespeare sehr geläufig:
You speak upon the rack,
Where nien cnforced do speak anything.
(Merch. of Venice III, 2.)
Das hat Wilhelm von Oranien auch gesagt, und zwar mit
Bezug auf die Daumschrauben, zu Rev. Castairs, seinem Kaplan :
Castairs hatte für Wilhelm in England Propaganda gemacht, als dies
noch gefährlich war: man legte ihm Daumschrauben an, damit
er seine Genossen angäbe. Castairs that es nicht; später schenkte
ihm die Stadt Edinburgh die Schrauben, mit welchen er gepeinif^t
Avorden war. Der König hörte davon : Castairs sollte dieselben am
Könige probieren. Der Kaplan scheute sich, die Sache schmerzhaft
zu machen. Er drehte die Schraube nicht fest an: „Fester!" befahl
der König, bis er vom Schmerz gepeinigt, aufhören lief's. „Bei dieser
Qual würde ich alles bekannt haben," sagte er, und — die Daum-
schraube wurde in England abgeschafft.
Vergleichen wir hiermit das Verhalten Jakob L, der an den
scheufslichsten Qualen im Gefängnisse sich weidete, und doch z. B.
von Ben Jenson als ein Hort der Gerechtigkeit in den Himmel er-
hoben wurde. (Über die deodand unter James I. cf. Sil. Woman
s. f. Verlust von ?Iaus und Hof wegen gezückten Degens im Hause.)
Wie leicht aber auch ein ehrlicher Mann in Shakespeares Zeit
ins Gefängnis kommen konnte, ermifst man, wenn man nur an die
Härte der Schuldgesetzgebung denkt: der Schuldner ist ja mit Leib
und Leben seinem Gläubiger verfallen, wie einst im alten Rom: er
steht in seiner Macht, dominarium, franz. danger: You slaiid within
bis danger — sagt Portia zum Kaufmann von Venedig (IV, I.) [etre
cn danger de l'enncnii ist, nach Brochef, au moyen ;ige elre au
pouvoir de l'ennemi]. Wie ein pnsonor in his twisted gyves, sagt
Julia (Romeo I, 2). Und auch der Schuldgefangene hat diese Fufs-
malt 1751. vier Blätter: „The stages of cruelly", die Grade der Grausamkeit
gegen die Hunde. An der Art aber, wie der Alenseh sein Vieh l)eliaiidelt,
erkennt man seine Kultur, wie David Straufs im „Alten und neuen (ilauben"
hervorhebt.
302 Sitzungen der Berliner Gesellscliaft
schellen zu schleppen. (Gyves upon liis heels, Thomas Lord Crom-
well II, 1.) „I hope to have his body rot in prison," sagt in dem-
selben Drama der harte Gläubiger von seinem Schuldner. Und mit
diesen Fufsschellen beladen schleppte sich der Schuldgefangene an die
eisernen Fenstersläbe in seinem Kerker in Fleetstreet und flehte die
Vorübergehenden „um Gotteswillen" (for the Lord's sake) um ein
Almosen an. „At that time that thy joys were in fleeting, and
thus crying for the Lord's sake out at an iron window, sagt
Thomas Nashe in der Apologie for Pierce Pennilesse, einer Stelle,
welche auch Delius herbeizieht, um die Worte Shakespeares in Measure
Ibr Measure IV, 3 zu erklären, wo eine Reihe von Verschwendern
aufgezählt wird, von denen es heifst: all cry (die Lesart are ist
sinnlos) now for the Lord's sake. Unter den Verschwendern
zählt übrigens Shakespeare dort auch den master shoe-tye, den great
traveller auf, indem er damit der Reisewut seiner zeitgenössischen
Landsleute einen Hieb versetzt. „Unsere modernen Ritter, nämlich
die von König Jakob für Geld zu Rittern geraachten, w^agen nicht,
ihr Haus zu verlassen , aus Furcht vor dem Schuldgefängnis von
Liidgate. In seinem Hause aber ist der Schuldner unverhaftbar : for
my house is my Castle."* (Vgl. lO^/^, Zinsen bis auf Jakob I.)
Ein sehr geläufiger Anblick war einem Shakespeare eine whipping-
execution am St. Paul's Gross (die Stäupungen fanden ja auch bei uns
auf dem Marktplatz statt): „I had as lief to be whipped at the high-
cross every morning" ('Tam. Shrew I, 1). Lieber alle Tage öffent-
lich ausgepeitscht werden, als ein solches Weib haben, besagt jene
Stelle, zu welcher Delius bemei'kt: „Das steinerne Kreuz auf dem
Marktplatz, an dem die öffentlichen Züchtigungen vollzogen werden."
I^iemals aber waren dieselben blutiger als unter Cromwell: „Chastis-
ing a Quaker at Paul's Gross, Cheapside, in the time of Cromwell"
ist ein bekanntes Bild. (Über Spione in prisons cf. B. J., Spy, Epigr.)
Ein nicht minder häufiges Strafsenbild Londoner Lebens war es,
den halb-entkleideten, an den cart gebundenen Verurteilten zu sehen,
der mit dem Buchstaben R (Rogue) auf seiner Fessel durch die
Strafsen gepeitscht wurde:
* Über Bridewell ist zu bemerken: Die City Er idewell, London,
was originally a palace and was chartered to the oity by Edward VI.
as a place of penal confinement for unruly apprentices, sturdy
beggars, and other disorderly persons. It formerly coiitained a portrait
of the donor with tbese lines.
This Edward of fair memory the Sixt,
In whom witli greatness güodness was commixt,
Gave this Bridewell, a palace in olden times,
For a chastening house of vagrant crimes.
The gift was made in 15 5 :' , at the reqiiest of Bishop Ridley, who begged it
as a workhouse for the poor, an a liouse of correction „for the strutnpet
and idle person, for the rioter that consumeth all, and for the vagabond
that will abide in no place".
für dns Studium der neueren Sprachen, 393
T see the, Frotli, alrcady in a cart,
For a close bawd, thine eyes even pelted out
Wlth dirt and rotten eggs ; and niy band hissing,
If I 's Cape the halt er, with the letter R
Printed upon it."
(Massinger, A New Way to pay old debts, 1G33, IV, 2.)
Da lief der Pöbel — das Volk — also hinter dem Verurteilten her
und warf ihm mit Koth und faulen Eiern fast die Augen aus dem Kopf:
um den Lcärm dabei zu verstärken, stürzte man schnell in die Barbier-
läden, erbat und erhielt die metallenen Becken aus denselben, und nun
erst war der Höllenlärm vollständig:* (Das hieis to beat the bason,)
And send her home
Divested to her fannel in a cart.
Lat. And let her footuian beat the bason afore her.
(ß. Jons., New Inn 1\', 3.)
Dies scheint eine ergiebige Erwerbsquelle der damaligen Barbiere
Londons gewesen zu sein, wie Nares, Glossary, Barber's Shop er-
wähnt: „It seems that the hire of their basins for this puiposc was
profitable to barbeis, for it is uttered as an execration against Cut-
beard : Let there be no bawd carted that year, to eniploy a bason
of his." — Ben Jons., Silent Wom. III, 5.
Nares hatte vorher bemerkt: ,.When bawds and other infamous
persons were carted, it was usual for a mob to precede them, beating
metal basins, pots, and other sounding vessels, to increase the
tnmult, and call more spectators together. "
Über die w h ippi ng- p os ts in London hören wir:**
In London and within a niile, I weene,
There are of jayles or prisons füll eighteene.
And sixty wh ippi ng-posts, and Stocks and cagcs,
AVhere sin with shame and sorrow hath due wagcs.
(Taylor's Works, 1630.)
.,Duc Avages!" Das heifst: Es geschieht ihnen ganz Recht —
ein Bewui'stsein der Härte dieses Verfahrens hat John 'i'aylor nicht,***
* Ähnlich ging es bei den Exekutionen in Tyburn zu:
Hard by the place toward Tyburn
Was execution ; nnd I never dreamt this morning on't
Till I heard the noise ol' the people and the horses."
(B. J., Devil an Ass V, 3.)
„To hear you groan out of a cart" (Barth. F.) „Meaning the asrent
from the River Fleet to Holborn on the way to execution at Tyburn."
** Auch auf Jahrnuirktun befanden sich die wh ipping-posts wie die
Stocks zur Aufrechterlialtung iler Mar k t polize i. In Barihol. Fair
(B. J.) heifst es: „stand not you fix'd here, like a stake in Finsbury, to
be shot at, or the wh ipping-post in the Fair." — Der Polizist ist der
Constable (blue coat), mit dem auch Frau Hurtig zu thun hat. Vi-rgl.
Middleton, 16 02, Blurt, Master Constable: Violetta coines to seek lier
busband at tiie house of a courtesan.
*** Ein ömolett dagegen stellt die Greuel von Bridewcll prison ans Licht.
391 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
der ültrigens in seiner „Reise von London niicli Deiitseljlnnd", 1618,
die dentschen Gesetze fnrchthar hart findet, besonders die Jagdgesetze:
Es ist hier, bemerkt er, gefährlicher einen Hasen zu töten als anderswo
einen Menschen.
Viel genannt ist von den Strafinstrumenten der Block,* der in
vornehmen Häusern (Lear) für die Diener** bereit gehalten
Avurde. Auch im Hndibras wird derselbe noch erwähnt. Im
Bartholoniew Fair (1614) des Ben Jenson wird der Puritaner,
Zeal-of-the-Land, Rabbi Busy, wegen Verstofse? gegen die Markt-
ordnung — er hat nämlich ein Puppentheater in heiligem Eifer als
heidnisches Götzenbild zertrümmert — in den Block gesetzt. Er aber
erträgt es freudig, denn er duldet um des Herrn willen, wie später tau-
sende von Quakers ähnliche Strafen in ähnlichem Geiste erduldet haben.
Der Galgen (the gallows) wird zumal für Diebe angewendet.
Der Kanzler Heinrichs VIII., Thomas Morus — ein geistiger Vorläufer
Rousseaus — sagt in der Utopia : „Man unterzieht die Diebe den
schrecklichsten Martern. Hierin gleicht die Justiz Englands und
mancher anderen Länder einem schlechten Lehrer, der seine Schüler
lieber schlägt als unterrichtet."***
Die Betrachtungen über die Rechtspflege Englands, die König
Lear anstellt, sind gewifs um so richtiger, je trübsinniger sie aus-
fallen: dieser Trübsinn weist eben allen subjektiven Trost von sich
und sieht die Dinge in ihrer scheufslichen Nacktheit. Es geht in der
Welt so böse her, dafs man sogar nicht einmal des Auges bedarf, um
das zu sehen. Lear sagt (IV, 6): „A man may see how this world
goes, with no eyes. Look with thine ears: seo hoAV yond justice
rails upon yond simple thief. — Heark, in thine ear: change
places ; and, handy-dandy, which is the justice, which is the thief? —
Thou hast seen a farmer's dog bark at a beggar? — Glo. Ay, Sir. —
Lear. And the creature run from the cur? There thou mightest
behold the great image of authority: a dog's obey'd in office. — Thou
rascal beadle, hold thy bloody band! Why dost thou lash that
whore?f Strip thine own back; Thou hotly lust'st to use her in
* — — — like silly beggars,
Who, sitting in the Stocks, refuge their shame,
That many have and others must sit there. (Rieh. II, 5, 5.)
** The usual place of chastiseraent for the raeniais and humbler re-
tainers of great families was the porter's lodge (B. J., Masque of
Augur.=;). Cf. Massingor I, 294 ed. Gifford.
*** Humours of a thief g<jing to execution finden sich in The
Triuniphant Widow : by the Duke of Nevvcastle, 1677 (Lamb's Drani. 511).
t Vergl. Ben Jons., Barthol. Fair IV, 3:
(Alice, a whore.) Tbou sow of Smith fiel, thou! — Urs. Thou
tripe of Turnbull. — K. Cat-a-niountain vapours, ha! — Urs. You know
whcre you were taw'd lately ; both 1 a.«h'd and sla sh'd you were in Bride-
well. — AI. Ay, by the same token you rid that week and broke out
the bottom of the eart, night-tub.
für das Stiidiuin der neueren Sprachen. 305
Ihat kind For which thou whipp'st her. Tlic usurer hangs tlio
cozenor. Through tatter'd clothes small vices do appear; Rohes and
ftirr'd gowns hide all. Plate sin with gold And ihe strong lance
of justice hurtless breaks ; Arm it in rags, a pigrny's straw does
})ierce it." Shakespeare spricht hier ein allgemeines Urteil aus, das,
glücklicherweise, aber nur für seine Zeit pafst: es fehlte einem
Shakespeare wie allen seinen Zeitgenossen eben der Sinn der ge-
schichtlichen Ent Wickelung, der Ausblick in eine bessere Zukunft,
den er freilich in dem damaligen England, in welchem der König
eine Gottheit war, nicht erspähen konnte. Der Hegeische Satz:
„Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewufstsein der Frei-
heit", bildet den stärksten Gegensatz zu jenem Shakespeareschen
Pessimismus.
Dieser Pessimismus Shakespeares prägt sich auch aus in Hamlet
(in, 1). To be or not to be: Kein Mensch würde die Welt wie sie
ist (das England Shakespeares) ertragen ohne die Hoffnung auf eine
bessere: For who would bear the whips and scorns of tinie, The
oppressor's wrong — die im rechtlosen England von seilen des
Mächtigeren zugefügte Unbill — tlie proud man's contumely (geht
besonders auf den courtier, cf. Rog. Ascham) — the law's delay —
man kann lange warten, ehe man in England Recht bekommt: und
man mnfs Geld dazu haben; das ist schon von John Lydgate in
seiner Ballade ergreifend dargestellt worden. Der arme Bauers-
mann aus Kent, der upon bis knees — der Sitte gemäfs —
seine Klage vor dem Richter anbringt, erreicht nichts: But lacking
money I could not spede, (The London Lackpenny, about A. D. 1420
cf. Skeat.)
Besonders verhafst sind daher die laAvyers, die Advokaten:
John Taylor, der bei seiner Überfahrt von London nach Hamburg
einen solchen als Schiffspassagier erblickt, bekreuzigt sich drei-
mal, möge Gott ihn bewahren, sagt er, vor den Praktiken dieser
Menschen. ..Juristen böse Christen" — ist die leider allgemeine An-
schauung des älteren Europas. (Die schärfste Satire auf diese bleibt
Le Pathelin.)
„Help, master, helpl here's a fish hangs in the net, like a
poor man's right in the law; 'twill hardly come out. (Shak.,
Pericles II, 1.)
Und ganz ähnlich sagt John Webster, Duchess of Malfi, 1(523, 1, 2:
the law to him
Is like a foul blnck cobwcb to a spider,
He makes it Ins dwelling, and a prisoii
To entangle those tliat feed him.
Auch Ben Jonson stellt, wie oben Taylor, die KniHe des Advo-
katen und des Wucherers auf eine Linie, wenn er ,-agt (Introduclion
to E v e r y m an out o f h i s h u ni o u r , 1 ö99) :
396 Sitzungen der Berliner Gesellschaft.
I fear — No broker's, usurer's, or lawyer's gripe,
Were I disposed to say, they're all corrupt.
Es scheint übrigens, als ob die Verletzung des Staatsrechts dem
Engländer fniher schon empfindlicher gewesen ist als diejenige des
Privatrechts : wir besitzen ein ergreifendes „Lied auf den Bruch der
Magna Charta durch Edward II.", die erschütternde Klage einer tief-
bewegten Brust: das Siegel des Rechts — aus Wachs gemacht — sei
dem Feuer der Gewalt zu nahe gebracht und sei — molten all away:
For might is right,
Liht is miht,
And fiht is lliht.
Fügen wir noch hinzu, dafs der Verlust der rechten Hand keine
ungewöhnliche Strafe in Merry Old England war. Camden hat es
mit angesehen und erzahlt in den Annales, wie dem Puritaner Stubb
auf Befehl der Königin Elizabeth die rechte Hand abgehauen wurde
und derselbe mit der linken den Hut schwenkt und die Königin
leben läfst. (Star-chamber, riots, B. J., Magn. L. III, 3.)
In der Masque, Honour of Wales p. 321, des Ben Jonson heifst
es: von will go nere to hazard a t h u m b.
GifFord bemerkt hierzu: „the penaUy for striking in court, which
was the loss of the right band."
Die „blut'gen Köpfe" „auf Londons Brücke warnend aufgesteckt"
hat auch Jakob Rathgeb 1592, der Sekretär des Herzogs von Wüitem-
berg-Mömpelgard, gesehen: „Over the river at London there is a
beautiful long bridge, with quite splendid, handsome, and well-built
houses, which are occupied by merchants of consequence. Upon one
of the towers, nearly in the middle of the bridge, are stuck about
ihirty-four heads of persons of distinction, who had in former
times been condemned and beheadcd for creating riots and from other
causes." (Rye, England p. 9.) Paul Hentzner, 1598, says he counted
above thirty heads on London Bridge. He' adds: „Above three
hundred are said to be hanged annually in London : beheading witli
them is less infamous than hangingl" (One that hath lost his ears by
a just sentence of the Star-chamber, B. J., The ]\Iagn. L. III, 1.)
Sitzung vom 22. Januar.
Herr Hansknecht bespricht die Sage von Floris und Blanche-
flor, die um 1160 zuerst auf französischem Boden auftritt. Sie geht
auf byzantinische Quellen zurück, ohne dafs jedoch an eine direkte
Übernahme aus einem griechischen Originale zu denken ist. Das
französische Gedicht wurde zuerst nach einem i\Is. von Imm. Bekker
im Jahre 1844 veröffentlicht, dann von Du Meril 1856 mit Benutzung
aller Mss. Eine dieser Hss. bietet eine von den drei anderen zum Teil
für das Studium der neueren Spraclien. 397
lecbt bedeutend abweichende Fassung. «Du Meril unterscheidet daher
zwei Gestallungen, die version aristocratique und die version populaire,
von denen die erstere der ursprünglichen Gestaltung des Gedichts am
nächsten kommt. Auch in lyrischen französischen Liedern wird die
Sage erwähnt. Die häufigen Anspielungen der provent^aliscben Tro-
badors auf dieselbe Erzählung können ebensogut auf einen französischen
als auf einen proven^alischen Roman zurückgehen. Die deu Ischen,
holländischen, dänischen, schwedischen, norwegischen Bearbi.'itnngen
weisen auf das Französische zurück. Von diesen weicht die ebenfalls
aus dem Französischen hervorgegangene italisch-griechisch-spanische
Gruppe ab. In Italien giebt es fünf Bearbeitungen, unter anderen das
erste Prosawerk des Boccaccio, der Filocolo, der ins Französische,
Englische und Deutsche übersetzt wurde. Eine ältere Bearbeitung ist
das Cantare, das vielleicht auf ein franco-italisches Gedicht zurück-
geht. Auf dem Cantare beruhen die griechischen und die spanischen
Bearbeitungen. Das böhmische Buch stammt aus deutschen Quellen.
Sogar eine jüdisch-deutsche Bearbeitung findet sich. Das englische
Gedicht ist eine freie Übertragung aus dem französischen, die sich
jedoch in den Hauptzügen eng an das Original anschliefst. Es empfiehlt
sich durch leichte Sprache und frischen Ton.
Herr Zupitza empfiehlt in kurzen Worten das neue auf den
Sammlungen der Fhilological Society beruhende englische Wörterbuch
von Murray, von dem soeben die erste Lieferung erschienen ist.
Herr Förster bespricht Knapp, Grammar of the Modern
Spanish Language. Das Buch, dem eine genaue Kenntnis des
Spanischen zu Grunde liegt, zerfallt in vier Teile: Phonologie, Formen-
lehre, Syntax, drill book. Die Beispiele sind gut und reich, die
wissenschaftliche Erklärung ist ausreichend. Die Analogie aber, die in
der spanischen Formenlehre eine sehr ausgedehnte Anwendung findet,
ist nicht genug berücksichtigt.
Sitzung vom 12. Februar.
Herr Risop sprach über den Dichter des Roman de Florimont,
Aimont de Varennes. Als Geburtsjahr desselben nimmt der Vor-
tragende 1188 an, als seine Heimat Lothringen und nicht Griechen-
land, das derselbe aber durchreist haben mufs.
Herr Wüllenwebcr setzte die Grundsätze auseinander, die bei
der Bearbeitung der von ihm und H. Dickmann besorgten himdcrtsfen
Ausgabe des französischen Schulwörterbuchs von (Pseudo-)Thibaut
mafsgebend gewesen sind. Das Lexikon erschien zuerst 1788 in der
Bearbeitung von Haas, seit 1821 unter Thibauts Namen. Seit 1871,
wo es zum zweitenmal stereotypiert wurde, erschienen die 60. bis
99. Auflage. Die Reformen in der franz. und deutschen Orthographie
veranlafsten die neue Bearbeitung.
3Ö8 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Herr Bourgeois spracli, von den Precleuses Ridicules aus-
gehend, über das Hotel de Rambouillet.
Sitzung vom 26, Februar.
Der Vorsitzende widmete dem Andenken Büchmanns, des lang-
jahrigen Mitgliedes und Schriftführers des Vereins, anerkennende Worte.
Die Versammlung erhob sich zu Ehren des Verstorbenen von den
Sitzen.
Über Georg Buch mann möge nachstehend folgen ein Ge-
denkblatt von Immanuel Schmidt, einem der ältesten Freunde des
Dahingeschiedenen.
Georg August Buch mann wurde am -4. Januar 1822 in
Berlin geboren, wo sein Vater, der die Feldznge mitgemacht hatte,
eine Stelle als Assistent am Montierungsdepot bekleidete. Er war ein
alter Degenknopf, ernsten Wesens und würdig in seiner Erscheinung,
dabei aber voll Freude an dem lustigen Treiben der Jugend. Er halte
von seiner früh verstorbenen Frau aufser Georg noch zwei Söhne,
Dieser besuchte das Joachimsthalsche Gymnasium, dessen Direktor
August Meineke stets bedeutende Lehrer zu gewinnen wufste,
ihnen aber nicht wie so manche seiner damaligen Kollegen das Leben
durch kleinliche Kontrolle sauer machte. Seine Primaner wurden
nicht nur in den alten Sprachen tüchtig geschult, sondern fühlten
sich auch angeregt durch Meinekes geistvolle Erklärung des Horaz
und der griechischen Tragiker, zumal da er auf eine elegante Über-
setzung viel Gewicht legte und mit eigenem Beispiel darin voran-
ging; dabei bewunderten sie den männlichen Charakter des Schul-
monarchen. Zu dem Lehrerkollegium gehörte Ludwig Wiese,
der nach dem Urteil seiner besten Schüler den deutschen Unter-
richt in unvergleichlicher Weise gab und sie vor allem zu eigenem
Denken anregte. Buchmann zählte zu seinen unbedingten Verehrern
und bekannte oft, dafs er von ihm am meisten gefördert sei. Wiese
hat auch seinen Schüler richtig gewürdigt, indem er im Abgangs-
zeugnis die Selbständigkeit seines Urteils hervorhob und hinzufügte,
dafs seine Sprache, die früher an einer gewissen schwerfälligen
Unverständlichkeit gelitten, sich zu angemessener Klarheit ausge-
bildet habe.
Als Büchmann zu Ostern 1841 in Berlin Theologie zu studieren
begann, von der er sich jedoch bald der klassischen Philologie zu-
wandte, war eine von der jetzigen wesentlich verschiedene Richtung
vorherrschend. Es ging ein idealer Hauch durch die akademische
Jugend, der sie allerdings leicht zu Verflüchtigung in ihren Studien
führte. In der Philosophie gaben die Hegelianer noch den Ton
an, obgleich einerseits schon eine Zersetzung des Systems durch die
jüngere Schule vorbereitet war und andererseits der reinen Spekulation
fiir das Studium der neueren Sprachen. 399
durch Trendeleii burgs vorwiegend aristotelischen Eklekticismus
lind dnrcli seine philologische Beliandlung der Quellen ein Gegen-
gewicht gegeben wurde. Als Philologen standen einander Böckh
und Lachmann gegenüber; nur dafs letzterer ungeachtet seiner Hin-
neigung zu Gottfried Hermann seinen Kollegen, den Hauptver-
treter der historisch-realistischen Richtung, nicht anfeindete, wie es
\on Leipzig au? geschah.
Biichmann folgte dem allgemeinen Zuge in die Kollegien der
Philosophen, kehrte sich aber von ihren Studien bald wieder ab;
immerhin war es ein Gewinn für seine geistige Entwickelung, dafs er
dieselben eine Zeit lang eifrig betrieben hatte. Er wurde als junger
Student von Werders glänzendem Vortrag bestochen, wollte aber
später weder dessen Logik, noch seine Geschichte der Philosophie, die
er beide bei ihm gehört hatte, sondern nur seine ästhetischen Vor-
lesungen gelten lassen. Ob er Hothos regelmältsiger Zuhörer gewesen,
weifs ich nicht mehr, und das Abgangszeugnis von der Universität ist
verloren gegangen ; ich erinnere mich aber, dafs er sich über den
Hegelscheu Ästhetiker sowohl als Üocenten wie als Schriftsteller stets
sehr anerkennend ausgesprochen hat. Ebenso entsinne ich mich ihn
in Vatkes religionsphilosophischen Vorlesungen gesehen zu haben.
Dafs wir uns nicht an Trendelenburg angeschlossen, haben wir beide
später lebhaft bedauert. Die meisten Kollegien, die Böckh las, hörten
wir zusammen und besprachen den Inhalt regelmäfsig in unseren täg-
lichen Zusammenkünften. Lachnianns kritische Richtung zog uns
weniger an, zumal da wir bei ihm Böckhs liebenswürdige Urbanität
vermifsten. Büchmann ist damals auch den germanistischen Studien,
denen sich einige seiner Koätanen von Joachimsthal eifrig widmeten,
fern geblieben und hat erst später durch das Englische Veranlassung
erhalten, sich einigermafsen damit bekannt zu machen. Er hospitierte
jedoch manchmal bei Jakob Grimm und bewunderte ihn nicht nur
als Forscher, sondern fühlte sich von seiner Persönlichkeit ganz be-
sonders angezogen.
Böckh gab in seiner Encyklopädie der Philologie, die Biichmann
hörte, keinen bestimmten Studienplan, sondern riet, man solle sich
irgend einen Lieblingsschriitsteller, ein einzelnes Werk, oder einen be-
sonderen Gegenstand wählen und zur Operationsbasis machen, um von
dort aus vorzudringen, alle Studien darauf zu beziehen und so den
Kreis des Wissens allmählich zu erweitern. Dies würde pädagogisch
richtig gewesen sein, wenn er lauter Schüler wie Ottfried Müller ge-
habt hätte. Für die grofse Masse seiner Zuhörer war es zu beklagen,
dafs er ihnen nicht einen eng begrenzten Kreis des notwendig zu
Lesenden anwies. Infolge dessen begnügte sich die Mehrzahl mit den
Böckhschen Kollegien, und Meineke sprach sich als Examinator olt
dahin aus, die von Berlin kommenden Kandidaten hätten selbständig
wenifr celesen. • Auch Büchmann dehnte auf der Universität seine
400 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
klassische Lektüre nicht genug aus, obgleich er sich eine sehr schätzens-
■\vertc allgemeine philologische Bildung erwarb. In den letzten
iSomestern beschäftigte er sich vorzugsweise mit Archäologie, hörte
bei Panofka, wurde dessen Amanuensis und gewann viel durch
täglichen Verkehr mit ihm.
Das Museum besuchte Büchmann als Student fast täglich, und
Theatervorstellungen waren für ihn ein besonderer Genufs, um so mehr
da er als Gymnasiast einmal ernstlich daran gedacht hatte, Schauspieler
zu werden, und auf die Kunst des Vorlesens stets viel Aufmerksam-
keit verwandte. Für ein Studentenkränzchen redigierte er die Bier-
zeitung mit viel Humor und lieferte sowohl Artikel als Gedichte, vor-
zugsweise komischen Inhalts. Seine poetische Hauptlektüre bildete
Goethe, und seine Bewunderung galt vorzugsweise der Unmittelbarkeit
der Elmpfindung und der Leichtigkeit der lyrischen Form. Daher ge-
hörte auch Hoffmann von Fallersleben und später besonders Mörike
zu seinen Lieblingsdichtern. Als Student machte er auch die damals
herrschende Begeisterung für Herwegh mit.
Die Berliner Studentenbewegung im Winter 1843 — 1844, die
von der Bildung eines akademischen Lesekabinets ausgegangen war,
aber auch Einsetzung von Ehrengerichten und in letzter Instanz Be-
seitigung der akademischen Gerichtsbarkeit erstrebte, verfolgte Büch-
mann mehr als Zuschauer, als dafs er sich lebhaft daran beteiligte.
Er ahnte wohl, dafs durch die damaligen allgemeinen Studentenver-
sammlungen nichts erreicht werden könne. Den zum Teil der Bauer-
schen Richtung angehörenden Litteraten, mit denen viele der Studenten
verkehrten, blieb er ganz fern.
Büchmanns äufsere Erscheinung während seiner Studentenzeit
hatte etwas Auffallendes. Aus einem blühenden Knaben war ein
hagerer Jüngling mit langem Halse und blassem Gesicht geworden ;
in den tiefliegenden Augen konnte man fast etwas Dämonisches
finden, und um den Mund spielte oft ein faunisches Lächeln. Mau
wurde leicht auf ihn aufmerksam und staunte dann, wie sein von
Natur kritischer Geist sich in schlagfertigem Witze äufserte, wie aber
zugleich eine grenzenlose Lebenslust in ihm aufschäumte und sich
doch wieder mit dem Talent der heitersten und liebenswürdigsten Ge-
selligkeit paarte. Dabei war er ein treuer Freund, aufopfernd bis zur
Selbstvergessenheit, und in seinem ganzen Wesen so grundehrlich, dafs
er sich, wenn er kein Vertrauen hegen konnte, zur Unduldsamkeit
fortreifsen liefs.
Zu Ostern 1844 ging ich nach Halle, und Büchmann verliel's
Berlin ein oder zwei Semester später, um eine Hauslehrerstelle in der
Nähe von Warschau anzutreten ; wir korrespondierten aber noch eine
Zeit lang miteinander. Er liel's es sich sehr angelegen sein, das
Polnische zu erlernen, was ihm auch gewifs in verhältnismäfsig kurzer
Zeit gelang, da er nicht nur eine grofse Leichtigkeit der Aneignung
für das Studium der neueren Sprachen. 401
besafs, sondern auch Sprachidiome scharf beobachtete und überall tief
eindrang. Das Ergebnis seiner damaligen Studien war eine Dissertation
über die charakteristischen Differenzen zwischen dem slavischen und
deutschen Sprachstamme, durch die er im Oktober 1845 aus Erlangen
das philosophische Doktordiplom erhielt. Von Polen aus ging er nach
Paris ; aber ich weifs nicht genau anzugeben, wann er dorthin über-
siedelte und wie lange sein Aufenthalt gedauert hat. Als Lehrer an
einem Institut fand er eine günstige Gelegenheit, sich mit der Sprache
vertraut zu machen, und wie glücklich ihm dies gelungen war, hat er
später hinlänglich bekundet. Es ist mir wahrscheinlicli, dafs er sich
infoige der Zustände nach der Februarrevolution veranlafst sah, Frank-
reich zu verlassen; vielleicht erhielt er dadurch nur einen unmittelbaren
Anstofs zur Rückkehr und wünschte, da er des Französischen Herr
geworden war, schon längst sich in seinem Vaterlande eine dauernde
Wirksamkeit zu begründen. Im September des Jahres 1848 bestand
er vor der Berliner Prüfungskommission das Examen pro facultate
docendi, indem das Französische sein Hauptfach bildete. Es wurde
im Zeugnis seine pädagogische Begabung und seine schon geübte
Lehrweise rühmend anerkannt. Nachdem er sich längere Zeit mit
dem Englischen beschäftigt hatte, holte er sich auch in dieser
Sprache eine facultas nach, entschlossen, sich fortan ganz dem Studium
der neueren Sprachen zu widmen und das des klassischen Altertums
nur aus alter Anhänglichkeit zur Erfrischung in Mufsestunden zu
betreiben.
Büchmann ging bald als Lehrer an die Saldernsche Realschule
in Brandenburg und blieb drei Jahre lang an derselben thätig. Er
stand auch noch in späteren Jahren in einem Verhältnis der
Freundschaft zu dem Direktor Riebe und erkannte stets bereitwillig
an, dafs er von diesem eigentlich pädagogisch und praktisch ge-
schult sei. Von Brandenburg siedelte er dann wieder nach Berlin
über, erhielt eine Lehrerstelle an der Friedrich- Werderschen Ge-
werbeschule und verliefs diese Anstalt nicht mehr, bis er sich 1877
pensionieren liefs.
Büchmanns erstes Auftreten als Schriftsteller ist von H. Pröhle,
dessen Nekrolog sich in der Vossischen Zeitung vom 20. Februar
findet, nicht ganz richtig dargestellt worden. Es mag seine Richtigkeit
haben, dafs er eine Zeit lang einem „Verein dichtender Freunde" an-
gehörte, obgleich es immerhin auffallend erscheint, dafs die Beziehungen
zu den meisten in jenem Artikel aufgezählten Mitgliedern später voll-
ständig abgebrochen waren; jedenfalls haben seine Märchen ihren
Ursprung dem erwähnten Vereine nicht verdankt. Vielmehr verkehrte
Büchmann mit seinem etwas jüngeren Schulbekannten Ludwig
Pomtow täglich in dem Hause des Töchterschuldirigenten Vogler,
wozu auch der bekannte Jugend- und Volksschriftstclier Ferdinand
Schmidt gehörte. Diese beiden sind von den in Pröhlos Artikel
Archiv f. n. Spraclion. LXXI. •""
402 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
aufgezählten Musenjöngern die einzigen, die Büchmann selbst später
erwähnt hat, während von den Beziehungen zu den übrigen seiner
näheren Freunde nichts bekannt geworden ist. Den Kindern Voglers
erzählten nun Büchniann und Pomfow des Abends selbsterfundene
Märchen, und liefsen sich durch den Beifall, den dieselben fanden, zur
Aufzeichnung und später zur Herausgabe bestimmen. Diese Märchen
sind nun sehr verschiedener Art, und wir wissen, dafs die komischen
von Büchmann, die sentimental gehaltenen von Pomtow herrühren.
Obwohl Büchmann selbst, als er später durch Vertiefung seiner litterar-
historischen Studien eine richtige Erkenntnis vom Unterschied zwischen
Kunstepos und Volksepos gewonnen hatte und nicht umhin konnte,
dieselbe auf Märchendichtung und Volksmärchen anzuwenden, auf
diese Jugendversuche keinen sehr grofsen Wert mehr legte, so wäre
es doch zu wünschen, dafs die von ihm herstammenden, von denen
manche in Sammlungen übergegangen sind, noch einmal besonders
abgedruckt würden.
Zu Ostern 1858 schrieb Büchmann für das Programm der
Friedrich-Werderschen Realschule eine Abhandlung über Longfellow.
Dieser nur 15 Seiten füllende Aufsatz, in welchem sämtliche bis dahin
erschienene Werke Longfellows, besonders aber die „ethnographischen
Dichtungen" besprochen sind, zeichnet sich ebenso sehr durch Klar-
heit der Darstellung und Angemessenheit der Sprache als durch ge-
sunde Kritik aus. Der Verfasser ist weit entfernt von der Krankheit,
die Macaulay als Ines Boswelliana bezeichnet, d. h, von der Tendenz,
seinen Helden zu überschätzen und alles an ihm göttlich zu finden; im
Gegenteil, er erkennt dessen Schwächen ebenso sehr an als sein
glückliches Talent und hebt neben der an Beispielen nachgewiesenen
ansprechenden Schilderung lieblicher Scenen auch ebenso gut den her-
kömmlichen didaktischen oder allgemein reflektierenden Schlufs hervor,
durch den die Täuschung der Phantasie wieder aufgehoben wird. In-
dem ein Ausspruch von ^^mile Monte gut zu einer allgemeinen Charak-
teristik des amerikanischen Dichters erweitert wird: „il charme plus
qu'il n'etonne", ergiebt sich, wie er vorzugsweise zum geeigneten
Vermittler zwischen seiner Heimat und der Kultur der alten Welt be-
rufen war. Besonderen Wert hat die Arbeit noch dadurch, dafs der
Verfasser auch das 1845 erschienene umfangreiche Werk The Poets
and Poetry of Europe, welches nur wenige Deutsche zu Gesicht be-
kommen haben, herbeizieht und auf dessen Inhalt, mitgeteilte Über-
setzungsproben von Longfellow selbst wie von anderen, in aller
Kürze eingeht.
Im Sommer 1858 kehrte ich nach einem mehr als achtjährigen
Aufenthalt in England in das Vaterland zurück und fand Büchmann,
mit dem ich schon zwei Jahre vorher auf einem Besuch in Berlin die
alte Freundschaft erneuert halte und täglich zusammen gewesen war,
als jungen Ehemann wieder. Als ich ein Vierteljahr später eine
für das Studium der neueren Sprachen. 403
Lehrerstelle in Berlin antrat, war seine Frau, mit der er ein Jahr lang
verheiratet gewesen, gefährlich erkrankt; sie starb nach wenigen Tagen.
Zu Neujahr 1859 zog ich dann zu Büchmann und wohnte drei
Vierteljahre lang bei ihm. Wir waren wieder Avie in alter Zeit durch
Gemeinsamkeit der Studien vereint und harmonierten, obgleich sich
jeder in seiner Weise entwickelt hatte und ein ganz anderer geworden
war, doch nicht minder als vor anderthalb Decennien. Es war ein
heiteres und inniges Zusammenleben, von dem scherzhaft bemerkt wor-
den ist, es habe sich schwer sagen lassen, wer das männliche, wer
das weibliche Princip dieser Ehe gewesen sei. Wöchentlich einmal
traf sich bei uns ein Kreis von alten und neuen Freunden, zu denen
Büchmanns noch in Berlin lebender Schulbekannter Dr. Ludwig
Schwerin, sein damaliger Kollege der Historiker David Müller,
später Professor in Karlsruhe, Professor de Lagard e in Göttingen
und Dr. Ludwig ^Daffis gehörten. Bisweilen kam auch Professor
Herr ig, mit dem sich Büchniann oft sah und dessen Verein für das
Studium der neueren Sprachen Büchmann mit ins Leben gerufen hatte.
Büchmann war 1858 und noch lange nachher einer der beiden Schrift-
führer und eins der eifrigsten Mitglieder sowohl durch Vorträge als
durch Beteiligung an den Debatten. Er lieferte auch für das Archiv
wertvolle Beiträge, insbesondere Ergänzungen zu den englischen
Wörterbüchern, wie dies später in umfassender Weise von Hoppe
geschehen ist. Er konzentrierte seine Studien dann allmählich auf das
Altfranzösische und beschäftigte sich insbesondere mit dem karolingi-
schen Cyklus.
Als Lehrer war Büchmann im höchsten Grade anregend, dabei
aber auch gründlich und genau im Einzelnen, wie er in der Wissen-
schaft allgemeine Gesichtspunkte mit dem Eingehen auf das Detail
vereinigte. Er gab seinen Schülern stets eine volle Anschauung, sei
es nun des Ideenkreises eines Schriftstellers und der Verhältnisse
seiner Zeit, sei es des jetzigen Lebens und der Sitten des fremden
Volkes. Dabei unterstützte ihn Lebendigkeit des Vortrags, der durch
pikanten Ausdruck und durch Formgewandtheit die Zuhörer fesselte.
Der einzelnen Schüler, insbesondere der begabteren und strebsameren
nahm er sich mit liebevollem Wohlwollen an, dessen sie sich noch
immer dankbar erinnern. Er beklagte nnr, dafs an einer lateinlosen
Realschule den idealeren Interessen weniger Raum gewährt war, als
er wohl gewünscht hätte.
Im Herbst des Jahres 18G0 verheiratete sich Büchmann wieder,
und zwar mit der jüngsten Schwester seiner verstoibenon Frau. Er
hatte wie schon in seiner ersten Ehe eine sehr glückliche Wahl ge-
troffen; denn beide Frauen verstanden ihn und bereiteten ihm eine
glückliche Häuslichkeit.
Als der Verein für das Studium der modernen Sprachen im
Winter 1861 eine Reihe von Vorlesungen im Konzertsaal des Schau-
26*
404 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Spielhauses veranstaltete, um Reisestipendien für junge Philologen zu
stiften, wurde Biichmann in weiteren Kreisen bekannt durch eine Vor-
lesung: „Über den Berliner Adrefs kaiende r." Er stellte
darin unsere Familiennamen gruppenweis zusammen und gab An-
deutungen über den Ursprung derselben. Noch mehr Glück hatte ein
zwei Jahre später vor derselben Zuhörerschaft gehaltener Vortrag:
„Geflügelte Worte." Büchmann kannte das Werk von Fournier,
das den Titel führt L'Esprit des Autres, und war dadurch zu einer
Arbeit über die im Deutschen gäng und gäben Citate angeregt worden,
die er jedoch von vornherein in einer wissenschaftlicheren Weise an-
griff, als es von dem französischen Schriftsteller geschehen war, indem
er namentlich allgemeine Kriterien zu gewinnen suchte und insbesondere
auf die Entstellung der Dichterworte im Munde des Volkes hinwies.
Einen gewissen Anhalt besafs er auch an einer anonym erschienenen,
ohne Zweifel von einer Dame herrührenden Sammlung Hancibook of
Familiär Quotations (a new edition 1853), die er öfter in den Händen
gehabt hatte. Indem er nun über die Ankündigung seines Vortrags
nachsann, fiel ihm auf einem Spaziergang plötzlich die Bezeichnung
als geflügelte Worte ein. Wie es so oft der Fall ist, mochte auch
hierbei eine Reminiscenz im Spiel sein; denn Büchmann kannte Home
Tooke's Epea Pteroenta, or the Diversions of Furley aus dem Auszug
von Richardson, on the Study of Language etc., Lond. 1854. Er gab
nun dem Homerischen Ausdruck eine neue Deutung, die seitdem all-
gemein üblich geworden ist. Geflügeltes Wort als Bezeichnung des in
den allgemeinen Sprachschatz übergegangenen Citats ist selbst schon
längst als ein geflügeltes Wort zu bezeichnen.
Die Vorlesung erschien 1864 zu einem Buche erweitei't im
Haude- und Spenerschen Verlag und machte erstaunlich viel Aufsehen,
so dafs der Verfasser, indem fortwährend neue Auflagen nötig wurden,
bald ein berühmter Mann war. Es ist weit über ein halbes Hundert-
tausend Exemplare verkauft worden, und die Nachfrage scheint immer
noch zuzunehmen. Da der Verfasser unablässig bemüht war, seine
Sammlung zu vermehren, zu sichten und eingeschlichene Irrtümer zu
verbessern, da er von den verschiedensten Seiten und aus den fernsten
Ländern Zuschickungen mit Beiträgen erhielt, so war die Fortarbeit
an den geflügelten Worten geradezu zu einer Lebensaufgabe ge-
worden. Das Register der Korrespondenten ist auf 906 Namen an-
gewachsen.
Nachdem Büchmann 1872 in Anerkennung seiner Leistungen
den Professortitel erhalten hatte, mufste er sich infolge eines Rücken-
markleidens 1877 pensionieren lassen. Er widmete seine Mufse aus-
schliefslich der Durcharbeitung seines Hauptwerks, bis er durch zu-
nehmende Körperschwäche und durch die endlich eingetretene Um-
nachtung seines Geistes daran verhindert wurde. Er starb am
24. Februar 1884.
für das Studium der neueren Sprachen. 405
Büchmann war ein durchaus mannhafter Charakter, ausgezeichnet
durch die Grundtugenden des germanischen Volksstamraes, Treue,
Ehrenhaftigkeit und unbedingte Wahrheitsh'ebe. Mit Freude an seinem
Schaifen vereinte er die anspruchsloseste Bescheidenheit. Streng gegen
sich selbst, war er liebevoll gegen andere, anerkennend und voll
AVohlwollen. Nur der Lüge und hohlen Phrase, oder der Unduldsam-
keit gegenüber konnte er schroff werden. Seine gelegentliche Rück-
sichtslosigkeit ging aber aus der Aufrichtigkeit seines Wesens
hervor. Seinen religiösen und gemäfsigt liberalen politischen An-
sichten ist er bis zum Tode treu geblieben. Sowohl seiner geistigen
Kraft als seinem sittlichen Wesen nach war er ein bedeutender
Mensch. —
Herr Michaelis besprach das erste Heft der neuen Zeitschrift
von Techmer und empfahl dasselbe der Beachtung. Es enthält zwei
Aufsätze von Techmer selbst. (Es giebt eine unübersehbare, kontinuier-
liche Reihe von Vokalen. Die typischen Laute einer Sprache müssen
so w^eit voneinander abliegen, dafs sie für das Ohr auffafsbar sind.)
Techmer giebt zunächst eine akustische Gruppierung in einem System
von sieben von a ausgehenden Reihen, von denen vier nach oben,
drei nach unten gerichtet sind, wodurch indes nach Ansicht des Refe-
renten das System der Vokallaute zerrissen wird. Techmer giebt dann
auch ein physiologisch genetisches System in Kreuzstellung. Da aber
die akustischen Eigenschaften von den physiologischen als Vorbe-
dingungen abhängen, so kommt Techmer schliefslich wieder auf das
Dreieck zurück. Vietor giebt in seiner Zeitschrift für Orthographie
eine neue Anordnung, indem er das Dreieck ungleichseitig macht.
Alan kommt nach Meinung des Referenten eben immer wieder auf das
Dreieck zurück.
Herr Wetz el sprach über Franke, Die praktische Spracherlernung
auf Grund der Psychologie und der Physiologie der Sprache. Das
Schriftchen enthält fruchtbare und anregende Gedanken, die auf die
Schule zu übertragen, nach Meinung des Referenten aber weder mög-
lich noch wünschenswert sei, da die Schule vor allem für die Lektüre
der Schriftsteller zu befähigen habe. Dem beistimmend, bemerkte
Herr Zupitza, dafs das Schriftchen erträglicher sei als die dasselbe in
mafsloser Weise lobende Recension von Schroer.
Herr Förster empfahl Passarge, Reisebriefe aus dem heutigen
Spanien und Portugal. Der Verfasser erweist sicli als viel gereister,
vorurteilsfreier, wahrheitsliebender, mit wissenschaftlichen Kenntnissen
mancherlei Art ausgerüsteter Mann. Besonders interessant ist
CS, zu sehen , wie ihm allmählich die Augen aufgehen und er
frühere irrige Anschauungen berichtigen lernt. Speciell dankenswert
sind die Mitteilungen aus Portugal, über das es wenig Reiseberichte
giebt.
406 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Herr Vatke sprach über die Courtoisie. Courtoisie, Höf-
lichkeit, bedeutet höfisches und höfliches Wesen. Dies zeigt sich nun
;:iinächst in der AVahl der Worte, der Sprache. Die Cento Novelle
antiche, deren Abfassung vor das Jahr 1300 fällt, haben die aus-
gesprochene Absicht, gegenüber der Vulgtärsprache des Volkes eine
feinere Schriftsprache geltend zu machen: sie nennen dies das Curiale,
die höfische Sprache. Jak. Burckhardt, Geschichte der Renaissance
in Italien, S. 298 führt aus, dafs das Curiale im 13. Jahrhundert den
Höfen und ihren Dichtern in Italien gemeinsam war. Der Zweck des
Curiale und des bei parlare ist nach ihm der einfach klare, geistig
schöne Ausdruck in kurzen Reden. Man erkennt das Vorbild des
klassischen Altertums. Was dort bei parlare genannt wird, heifst bei
Chaucer fayr langage. Der Ritter Chaucers C. T. 69 nevere yit
no vileinye ne sayde, in seinem Benehmen (port) ist er meke as
is a mayde. Chaucers Ritter aber ist das Ideal eines solchen (a verray
perfight gentil knight). Zum Vermeiden der vileinye gehört aber
auch das Vermeiden des Fluchens, Von der Nonne, der Prioresse,
die sich bemüht die Art des Hofes (cheere of court) nachzuahmen,
heifst es (132): „In curtesie was set ful moche hire leste. Alles
Schwören begrenzt sie auf ein Minimum: Hir gretteste ooth ne
Avas but by seynt Loy." Wie beunruhigt sich doch der brave Join-
V i 1 1 e darüber, dafs man in Frankreich so viel fluche, dafs das Gott
gar sehr mifsfallen müsse. — B. Jonson, Ev. m. out of h. h. (IH, 1)
hält es für Pflicht eines Renommisten: to discharge a good füll oath.
Dieser Gegensatz der volkstümlichen und der höfisch-höflichen Rede-
weise hat sich im Munde des Volkes hier und da in seiner ursprüng-
lichen Bedeutung erhalten. Wenn nämlich das Volk in Thüringen
unter „höflich schwätze" versteht „hochdeutsch reden" und sein eigenes
Platt das der „groben Thüringer" nennt, so hat es den sprach-
lichen Gegensatz vollkommen festgehalten. Wie sich aber im Deut-
schen die Vorstellung des Höflichen oder Höfischen mit der des Ge-
sitteten, Zierlichen — des Gebildeten, möchten wir sagen — ver-
schmolzen, zeigt die Entwickelung des Wortes in Form und Bedeu-
tung: denn aus hövesch ward hübsch, ein Wort, das z. B. im
Nibelungenliede (13. Jahrhundert) neben dem ersteren gleichbedeutend
vorkommt. „Hübschen mit den vrowen" (Nib. 855, 4) bedeutet,
ihnen den Hof machen. Es liegt aber nahe, dafs der Begriff des
Freundlichen in den des Gütigen überhaupt übergeht. Und so
verzeichnet Grimm (Wörterbuch): „aus Keisersberg, eschengrüdel :
o herr mein gott, schöpfer, erlöser und mein behalter, aller mech-
tigster, aller weisester, aller bester, ganz hübsch, süfs und
barmherzig."
Man wird daher verstehen, dafs Chaucer von our courteous
lord Jesus spricht. Die Courtoisie is eben begrifflich geschmolzen
in den weiteren Begriff der Güte. So sagt Joinville (261): Ceste
für das Studium der neueren Sprachen. 407
graut courtoisie fist Diex ä moyet k mes Chevaliers; car uous
oussions le soir guete en grant peril.
Die Courtoisie kennzeichnet sich nun weiter, nach aufsen
wie nach innen, in dem Mafshalten. Perceforest III, 147 sagt
geradezu: Courtoisie et mesurc est une mesme chose. Das ent-
spricht einem bereits damals vielhundertjährigen Bcwurstsein. Denn
schon im „Leben der Kaiserin Adelheid" (im 10. Jahrli.) wird die
„Mafse" „die Mutter aller Tugenden" genannt. Dieses Einlialtcn des
Mafses ist von der courtoisie unzertrennlich und erstreckt sich auch
auf den Anzug. So rühmt Chaucer von seiner Virginia, dafa sie
in Kleidung und Benehmen Mafs gehalten (With mesure eke of bering
and array). Den Gegensatz, das nicht Mafs halten, bezeichnete der
Fjanzose mit oultragenx, engl.; outrageous. Christine de Pisan z. B.
cmptiehlt ihrem fürstlichen Sohne; Item, ordonne que ilz ne portent
habiz oultrageux ne autres que leur appartiennent. Und Chaucer
tadelt the outrageous array of women.
Die Courtoisie war zum Inbegriff aller Tugenden geworden.
Auch Gottfried von Strafsburg nennt bescheidenheit und hö feschen
sin zusammen, als zueinander gehörig:
Ir kleider waren üf geleit
mit vier bände richeheit,
unt was der vierte ieghch
in ir ambete rieh :
daz eine, daz was höher muot ;
daz ander, daz was volles guot;
daz dritte was bescheidenheit,
diu disiu zwei zesammene sneit;
daz vierte, daz was höveicher sin,
der näte disen allen drin.
Immer wieder wird dies höfesche Wesen dem bäuerlichen ent-
gegengesetzt. Dies hebt Mätzner in seinen Altfranzösischen Liedern
hervor; „Das ,hövesche' hübsche (courtois) , dem ,dörperlichen'
(vilain) entgegengesetzt, deutet in der mittelalterlichen Dichtung
das fein gesittete und gebildete Wesen an und ist ein ehrendes
Attribut."
Im allegorischen Roman de la Rose, der im 14. und 15. Jahrb.
eine so grofse Rolle in der europäischen Littcratur spielte, der von
Chaucer übersetzt ward, dem Petrarca nur antike Dichtungen an die
Seite zu stellen wagte, tritt auch die Courtoisie als allegorische Figur
auf; sie heilst (Vers 784) Cortoise la vaillant et la debonaire.
Spenscr, der anachronistischerweise, am Schlufs des IG. Jahrb., die
Ritterpoesie in England noch einmal zu Ehren bringen wollte, widmet
den ganzen sechsten (Schlufs-)Gesang seiner Fairy Queen der Courtoisie :
Dem Hofe nach nennt man die Höflichkeit . . .
Die allen guten Sitten Grund gegeben
Und art'ger Unterhaltung Wurzel ist.
408 Sitzungen der Berliner Gesellscliaft
Doch wir gehen zum 14. Jalirli. zurück und lesen im Altfranzös.:
Cortoise et sage et simple sens orgueil,
Gente de cors et de clere facon.
Die Demut also tritt uns hier als Bestandteil der Courtoisie
entgegen. Damit stimmt Chaucer (v. 1477), der von dem Mädchen
sagt: Curteis she was, discrete and debonaire.* Die Basis der
Courtoisie nämlich wie die der ganzen Romantik ist eine christlich-
religiöse, mithin eine sittliche. In des Pfaffen Lamprechts Alexander-
sage (im 12. Jahrh.) Avill der Held, nachdem er Indien und die Welt
erobert, auch das Paradies „mit Gierigkeit" erstreiten: aber er mufs
umkehren an den Pforten desselben, weil ihm die Demut fehlt.** So
finden wir denn, wo das Lob des „Höflichen" erteilt ist, gewöhnlich
den erläuternden Zusatz von der Dienstfertigkeit und Demut der ge-
rühmten Person. In seinem unvergleichlichen Prolog zu den Canter-
bury Tales sagt daher Chaucer von dem Junker (Vers 99): curteis
he was, lowly and servisable. Und von seinem Ritter sagt
Chaucer :
he loved Chevalrie,
Trouthe and honoür, fr e dorn and cur te sie.
Wie nun die Courtoisie das Ideal der Menschheit überhaupt, so
ist es auch dasjenige der Erziehung und der Schule (der Bildung).
Wir beziehen uns auf Furnivall, Education in Early England
(London 1867). Da heifst es (p. 5):
The child was taught great nurterye;
a Master had him under his care,
and taught him curtesie.
(Tryamore, in Bp. Percys Folio-Ms. vol. II, ed. 1867.)
Und ferner:
It was the worthy Lord of learen,
he was a Lord of hie degree ;
he had noe more children but one soune,
he sett bim to schoole to learne curtesie.
(Lord of Learne, Bp. Percys Folio-Ms. vol. I, p. 182, ed. 1867.)
Die Courtoisie also ist lehrbar, wie später die Tugend (eine
Frage, über die Sokrates und Plato lange Dialoge geredet haben).
Wie im 14. Jahrh. das Ziel des Unterrichts, das Abstrak-
tum, dem nachgejagt wurde, die Cour toi sie war, so wurde es im
18. Jahrh. die Tugend; so geniefsen in Fieldings Tom Jones
(III, 5) die Knaben hinreichenden Unterricht zur Tugend und
wahren (d. i. mit der Vernunft nicht widerstreitenden) Religion.
* V. 250 (von Friar) sagt Chaucer: Curteys he was, and lowly of
servyse. Ther nas no man nowlier so vertu ous (da ist die Identität der
Courtoisie mit der Tugend einfach ausgesprochen).
•* Ein Tisch des King Henry VIII. trug das Motto: Humilitatem sequitur
gloria.
für das Studium der neueren Spraelien. 409
Und wenn der Ritter Chaucer.s, des 14. Jahrh., honoür and curtesie
liebte, so läfst derjenige des sich neigenden 17. Jahrh. auf seinen
Degen eingravieren: j'aime l'honneur qui vient par la vertu (in der
BerHner Kuhmeshalle). Im 15. Jahrh. stellt Caxton das Book of
Curtesie* zusammen — eine Reihe meist langweiliger oder sehr
naiver Anstandsvorschrifton. Aber der Begritf der Courtoisic stellt und
fällt mit dem Rittertum, das ja eigentlich nur vorhanden ist, um die
Kirche Christi zu schützen: the swerd, sagt Chaucer, de septem
peccatis mortalibus, that men yeven first to a knight signifieth that
he shal defend holy Chirche.
Wie das wuchtige Schwert des Ritters, der für Christum ficht,
sich allmählich verflüchtigt in den zierlichen Galanterie-Degen des
Hofmanns, so zergeht die tief sittliche inhaltsreiche Vorstellung der
Courtoisie in die rein äufserliche Höflichkeit.
Als aber die Sonne der Courtoisie, im 13. und 14. Jahrh., in
ihrem Zenith stand, da beherrschte sie vor allem auch die Welt der
Liebe und der Ehre, eine Welt, in welcher der Feudale sich als
den einzig Berechtigten ansah : das Gefühl eines unberechtigten
Hochmutes und des Stolzes aber weifs er sehr geschickt in sich zu
beschwichtigen, indem er diese Bevorzugung auf den Willen Gottes
zurückführt: der Adelige, der höhere Ehre von Gott empfangen, sei
Gott auch zu mehr Dank verpflichtet und mehr als der Nichtadelige
verbunden, auf Ehre zu halten. Dies findet sich mit grofser Deutlich-
keit auseinandergesetzt in dem Breviaire des Nobles des Alain
Chartrier (im 15. Jahrh.):
üieu tout puissant, de qui noblesse vient . . .
pour tenir la terra en union
a ordonne chascun en son office,
ly ung seigneur, l'autre en subjection,
pour foy garder et pour vivre en justice.
Cil qui de dieu le plus de honneur obtient
par seigneurie et domination
plus est tenu et plus luy appartient
d'avoir en lui entiere aff'ection
crainte et honneur, bonne devocion
et vergoigne de niefi'ait et de vice.
Dafs aber der Nichtadelige nach der Minne nicht zu streben hat,
sagt Wolfram v. Eschenbach im Parzival:
vil hohes topeis er doch spilt,
der an riterschaft nach mumen zilt.
Ein sehr hohes Spiel (topeis, franz. doublet, Würfelspiel) spielt
doch, wer ohne Ritterschaft nach Minne strebt. Dafs courtoisie Wesen
* FA. Furnivall (London 1868):
[13] Aduise yon wel whan ye take your disporte
Honest games that ye haunte and use
And suche as beii of vylayns reporte
I conceyl yon niy cbyld that ye refuse.
410 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
des Hofes ist, bedarf keiner Erläuterung: wohl aber bedarf es einer
Erläutcrunc;, wie dieses höfische Wesen so allgemein als Vorbild und
Muster angesehen werden konnte. Wer in der Masse — auch der
höheren Stände — weifs denn heutzutage so genau, wie es bei Hofe
zugeht? Das war früher ganz anders, wie auch Macaulay in State of
England in 1685 richtig hervorhebt. Der Hof trat viel mehr in die
Erscheinung als in unserer Zeit — man kannte denselben und konnte
also, wie Chaucers Nonne bereits, die Manieren desselben nachahmen.
Ein guter Anzug verschaffte Zutritt bei Hofe : an he had good clothes,
l'd carry him to court with me (Ev. m. out II, 1). (Vergl. John
Skelton, Why come ye nat to Courte?) Für die Dramatiker und
Satiriker des 16. u. 17. Jahrh. in Shakespeares England bildet es eine
unerschöpfliche Quelle des Hohnes, dafs der Bürger das Wesen des
Hofes nachahmt: sich bis auf den Schnitt seiner Kleider dem Hofe
gleichzustellen sucht.. Die silken fellows of the court werden genug-
sam verlacht, ohne dafs — es etwas hilft. Vergl. O a fine court ier!
How comly he bows him in his court'sy! how füll he hits a
woman between the Ups when he kisses! how upright he sits at
the table! (B, Jons., E v. man out of h. h. IV, 3); the perfum'd
CO Urtiers keep their casting-bottles (Cynthia, Rev. I, 1).
„Great men in court, by their example, make or marreall
other mens manners. And in meaner matter, if three or four
great ones in Courte, will nedes outrage in apparell, in huge
hoses, in monstrous hattes ... let the Prince make Laws (Rog.
Asham, Scholem. p. 68) (A. D. 1563 — 68). — R. Asham tadelt
den Hochmut der Jugend „and specialle soch as do liue in the
Court". — what court news is there ? any proclamations Or
edicts to come forth? (Ben Jons., Staple of News HI, 1). — You
must talk forward, 'tis most court-like and well (E v. man
out of h. h. V, 1). Der Anzug, den die Frau des Bürgers in London
trug; this straight-bodied city attire will stir a courtier's blood
more than the finest loose sacks the ladies use to be put in (Ben
Jons., Poetaster IV, 1). (Cf. The New Inn, B. J. pure language.)
So ahmte, wie die Nonne Chaucers im 14. Jahrb., die Bürgers-
frau Londons im 17. Jahrh. den Hof in allen Aufserlichkeiten nach:
Frau Hurtig möchte als Falstaffs Gattin ebenso gern Madame heifsen
als die Frauen in Chaucers Zeit („it is füll well to ben yclept m adanie").
Den Gegensatz zu curtesie bildet die villanie. „For vilanie
makelh vileine" (Rom. of the Rose 2181). Wer courtoisie be-
sitzt, legt V e 1 o n n i e und Stolz ab : Per cortoisie depuel (depoiller, ab-
legen) velonnie et tout orguel (Li Lais dou Chievrefuel, Bartsch
Altfr. Chr. p. 214). Wie die Courtoisie die Tugend, so bedeutet
die „vilenie" das Laster, „villainement" ist honteusement, schimpf-
lich. Wie jene die Ehre, so ist diese die Schande: ensi fönt toutes
dames k'a honor beent (baer = attendre) et totes vilonies heent
für das Studium der neuevou Spraclitn. 111
(Robert de Blois, Xllle siecle, Bartsch 278). II se disoieiit vilonie
(Rustebuef), schimpften einander.*
Sitzung vom 11. März.
Herr Blitz teilte mit, dafs sicli im Anschlufs an einen von ihm
im vorigen Jahre in der Gesellschaft gehaltenen Vortrag eine Kontro-
verse entsponnen habe. Bei Gelegenheit der Besprechung der ersten
Hefte von Scherers Litteraturgeschichte hatte Referent das Lutherlicd
„Ein feste Burg" nicht in das Jahr 1527, sondern in das Ende des
Jahres 1528 oder den Anfang von 1529 setzen zu müssen geglaubt.
Köstlin erwähnt den in der Neuen Preufsischen Zeitung abgedruckten
Vortrag von Blitz, schliefst sich aber an Scherer und dessen Vor-
gänger Schneider an. Direkt gegen Biltz wenden sich die „Blätter
für Hymnologie", in deren siebentem Hefte Biltz eine Entgegnung
veröffentlicht hat. Auch Linke tritt in einer Monographie, wo er
Übersetzungen des Liedes abdruckt, Biltz entgegen, giebt aber zu,
dafs es 1528 entstanden sein könne. Dagegen giebt Achelis im Mar-
burger Michaelisprogramm von 1883 Biltz recht, wenn er die Hypo-
these, die die Entstehung des Liedes in das Jahr 1527 setzt, un-
sicher findet.
Herr Bourgeois gab eine Fortsetzung seines Vortrages über
das Hotel de Rambouillet, wobei er besonders auf Voiture, Bossuet
und Vaugelas einging.
* Über die Cour toi sie handelt Alwin Schultz (Leipzig 1879): Das
höfische Leben, Bd. 1. Am Hofe der Könige war die fi-inste Sitte
zu Hause . . . Ein Dörper (villain) zu sein, galt für den höchsten Schimpf . . .
Gegen Ende des 13. Jahrh. sprach Adenes li Reis in seinem Uomani"
Cledmades (135 ff.) es schon otTen aus, dafs nur Leute edler Ceburt ehren-
haft, treu, bereit seien für ihren Fürsten das Leben einzusetzen, die niede-
ren Volksklassen, eben jene Vilhiins, des Ehrgefühls bar, den Tod fciji
fürchten, nur auf Gelderwerb bedacht, zum Verkehr für einen Fürsten sich
nicht eigneten. [Diese Anschauung rächte sich fürcliterlich, als vor der
Schlacht von Azincourt, 1415, der Adel die Unterstützung der Bürger von
Paris ablehnte : die schweriallifren Ritter wurden von den engHsch-schottischen
Bauern und Bogenschützen jämmerlich in den — Kot getrieben. Th. V.J
— Diese höfische Bildung beruhte zunächst auf einem anständigen Be-
nehmen [Graf Rudolf p. 14: Durch niinen willen saltu pflegen Wisen zu
der hovischeit Und leide ime die d orperichh ei t. Titur 2908:
Sprechen und gebaren mit hoefschen siten riebe. — Trist p. 55, 1:
Aller hande havespeil Diu tote er wol und künde ir vil"], dann auf der
Kenntnis der gewöhnlichen Spiele, der Musik und der Sprachen. Schon
im 12. Jabrl). war es in Deutschland Sitte, Franzosen zu engagieren, damit
die Kinder von früher Jugend dieses schon damals als Umgangssprache so
hochgeschätzte Idiom lernten. [Li rois et la roigne et Berte o le der vis
Sorent prcs d'aussi bien le francj-ois de Paris Com se il fussent n<5s el
bour a Saint Denis.]
412 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Herr V a t k e sprach über die Frauen in Shakespeares
England.
He capers nimbly inalady's Chamber,
To the lascivious pleasing of a lute.
Shak., K. Richard III. 1, 1.
AVer ist wohl mehr beschäftigt als die Lady? Sie hat so viel zu
thun, dafs sie sich um ihren Haushalt nicht bekümmern kann, dazu
hat sie ja ihre Leute; England ist das Paradies der verheirateten
Frauen;* die Sorge für ihren Haushalt, welche die Ehre der deutschen
Frau bildet, war schon zu Shakespeares Zeiten den Engländerinnen
fremd. Doch sie mögen es selber sagen. Hören wir, was eine reich
gewordene Dame mit ihrem Gelde zu thun denkt : „ Aem. For the
rest, Ile spend it upon my seife in bravery: there shall be not a
new fashion, but Ile have it. Ile looke after nothing eise; your
house shall shall be a mart for all trades. Ile keepe twenty continually
at worke for me; astaylor, perfumers, painters, apothe-
carieSjCoach-makers, s empters, and tir e- women. Besides
em broyderers, and pensions for intellige n cers." (Marmyon's
Fine Companion 16 3 3.)
Der „In telli gencer" nämlich ist der Mann, welcher die
* „Wives in England are entirely in the power of their husbands.
They go to market to buy what they like best to eat. They are well-
dressed, fond of taking it easy, and commonly 1 eave the care of
house hold matters and drugery to their neighbours. They sit be-
fore their doors, decked out in fine clothes, in order to see and be
seen by the passers-by. (Sy sitten verciert voor haer Deuren, om de
voorbygaenders te besien, ofte van die besien te worden.) In all banquets
and feasts they are shown the greatest honour; they are placed at the
Upper end of the table, where they are first served ; at the lower they help
the men. Ali the rest of their time they employ in Walking and riding,
in playing at Cards or othervvise, in visiting their friends and keeping
Company, conversing with their equals (whom they term gosseps) and their
neighbours, and niaking merry with them at child-births, christening, chur-
chings (kerck ganghen), and funerals; and all this with the permission and
knowledge of their husbands, as such is the custom. Although the hus-
bands often recommend to them tbe pains, industry, and care of the
German or Dutch women, who do what the men ought to do both
in the house and in the shops, for which Services in England men are em-
])loyed, nevertheless the women usually persist in retaining their customs.
This is why England is called the Paradise of married women. The girls
who are not yet married are kept much more rigorously and strictly than
in the Low Countries. The women are beautiful, fair, well-dressed and
modest, which is seen there more than elsewhere, as they go about the
streets without any covering either of huke or mantle (huycke), hood,
veil or the like. Married women only wear a hat both in the street and
in the house; those unmarried go without a hat, although ladies of
distinction have lately learnt to Cover theit faces with silken
masks or vizards, and feathers, — for indeed they change very easily, and
that every year, to the astonishment of many." (Van Meteren, Nederl.
Historie; ed. 1614, fo. 258.)
für das Studium der neueren Sprachen. 413
Aufgabe hat, in Ermangelung der heute übh'chen langspaltigen Zei-
tungen, die Neugier zu befriedigen. (Intelligencer oiie who gives
notice of private or distant transactions, Baco.) Was soll er denn
■wissen ? Nun, z. B. in welcher Maske diese oder jene hohe Dame
beim letzten Maskenfeste am Hofe erschienen ist.
Wbere is my fashioner, my feat ber-man ,
My linener, perfumer, barbar, all
That tail of riot follovv'd me tbis morning?
(Staple of News V, 1.)
Musik wird fleifsig gepflegt von den Damen Englands : She now
remains in London — to learn fashions, practice music, the voice
between her lips, and the viel between her legs, she'll be a
fit consort very speedily." (Middleton, Am. Dr. V.) Diese viola
di gamba wird auch sonst erwähnt : he plays on the viol-de-Gambo,
and speaks three or four languages (Tw. Night I, 3). Die Bafsgeige
hing auch wohl an der Wand: a bass viol shall hang o' the wall
(B. Jons., Ev. man out of h. h. IV, 6). Dafs den Damen kunstreiche
Handarbeit sehr geläufig ist, darf nicht bezweifelt werden : auch Ophelia
ist auf ihrem Zimmer mit needlework beschäftigt, als Hamlet im auf-
geknöpften doublet eintritt, Königin Elisabeth hat mit eigener Hand
die Einbanddecke ihres Gebetbuches in Perlen gestickt.
Dafs ladies and gentlemen sans gene auf den rushes des Zimmers
lagen, die ersteren oft mit dem Kopf auf dem Schofse der letzteren
(to lie in the lap), war durchaus nicht anstöfsig.
Wohl aber scheint man in der cadence der Tänze für ladies
wählerisch gewesen zu sein : im Garten führt man gern den ge-
messenen Tanz auf dem Rasen aus'^. to tread a measure upon the
lawns. Bei Tische sitzen vornehme Damen oben an und werden von
den gentlemen bedient; die geringeren Damen am unteren Ende der
Tafel jedoch müssen sich selbst bedienen! Welches Tableau !
Zu den Beschäftigungen der Bürgersfrau zählt auch das Ale-
Brauen: Im Gentleman of Verona III, 1 :
She brews good ale
And thereof coraes the proverb:
Blessing of your beart, you brew good ale.
Das ist wohl uralt. — Als Bierbrauer siegt Odliin in der
Edda im Wettstreit über seine Gemahlin Frey ja.
Auf ein bei der Jugend des 17. Jahrb., wie scheint nicht unge-
Avühnliches, nach heutiger Anschauung aber ein ganz abscheuliches
Vergnügen spielt Julia an (Romeo and J. II, 2) :
I would have thee gone:
And yet no further than a wanton's bird,
Who lets it bop a little from her band,
Like a poor prisoner in bis twisted gyves,
And with a silk thread plucks it back again,
So loving-jealous of bis liberty.
414 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Auf dem berühmten Bilde, auf welchem Rubens seine beiden
Söhne dargestellt hat, hält der jüngere Knabe in der von Julia an-
gedeuteten Art einen Vogel am Faden flattern. Shakespeare
selbst hat böse Urteile über die Ladies seines Englands laut Averden
lassen. So sagt Jago:
Come on, come on ; you are pictures* out of doors,
Beils in your parlouis, wild cats in your kitchens,
Saints in your injuries, devils being off'ended,
Players in your housewifery, and housewives in your beds.
(Othello II, 1.)
Merkwürdig, dafs Hamlet und Jago so ganz aus einem Atem
sprechen ! Wenn man aber nach Skakespeare und B. Jenson das
painting — Schminken als ziemlich allgemein auch bei anständigen
Damen anzusehen befugt ist, so spi'icht dagegen eine Notiz im Diary
des John Evelyn, welcher unter dem 11. Mai 1654 schreibt: „I now
observed how the women began to paint themselves, for-
merly a most ignominious thing and us'd only by pro sti tu te s."
Ebenso sollte man nach Shakespeare und vielen Stellen seiner dra-
matischen Zeitgenossen annehmen, dafs das falsche Haar ziemlich
allgemein bei der eleganten Frauenwelt in England war. Dem aber
steht entgegen eine Notiz in Samuel Pepys Diary, wo es,
March 2 4^'! 16 62, heifst: „By and by comes La Belle Pierce to
see my wife, and to bring her a pair of peruques of hair, as
the fashion now is, for ladies to wear, which are pretty,
and are of my wife 's own hair, or eise I should not
endure them."
Über den Kleiderluxus der damaligen Engländerinnen haben wir
früher gesprochen. Fügen wir ein Wort hinzu über das Garderobe-
z i m ra e r.
Ich Ärmste bin unschmuck, ein Kleid nicht modisch.
Und weil zu reich ich bin, im Schränk zu hängen,
Mufs ich zerschnitten sein."
(Cymb. III, 4.)
*„Hier ist pictures der Gegensatz zu dem Folgenden: stumm,
vielleicht auch anmutig wie Gemälde (Delius).« Wir meinen, pictures
geht darauf, dafs das Antlitz der Dame aufser dem Hause meist ein künst-
liches war: man schminkte sich, und Ben Jonson sagt, ein wenig zu starke
Bewegung der Damen reiche hin, ihre erborgte Gesichtsfarbe zu verraten.
Und wie sagt Hamlet zu Ophelia? ,,I have heard of your paint ings
too, well enough: God hath given you one face, and you make yourselves
another : you jig, you amble, and you lisp, and nickname God's creatures,
and make your wantonness your ignorance. Go to ; l'U no more on't:
it hath made me mad. I say, we will have no more marriages : those that
are married already, all but one, shall live; the rest shall keep as they
are. To a nunnery. go."
für das Studium der neueren Sprachen. 415
Poor I am stale, a garment out of fashion;
And, for I am richer than to bang by the walls,
1 must be ripp'd : * — to pieces with me ! —
Königin Elisabeth, die ihrem Parlamente erklärt hat, dafs sie
keinem Menschen auf Erden Rechenschaft über ihre Handlungen
schuldig sei, soll dreitausend Anzüge hinterlassen haben. — Zum
Schlufs setzen wir das Urteil unseres Landsmannes, des Elsässers
Jakob Eathgeb, über die Engliinderinnen hierher. Wie bekannt, war
derselbe 1592 mit dem Grafen Friedrich von Wirtenberg-Mömpelgart
in England. „Die anderen Nationen, sagt die Badenfahrt, haben das
Sprichwort, England sei das Paradies der Weiber [ebenso spricht
Meteren], das Gefängnis der Männer und die Hölle der Pferde. . . •
Der Weiber Paradies sagt man, weil diese grofse Freiheit haben, viel
mehr als an anderen Orten, wissen sich deren auch wohl zu ge-
brauchen, sind gleichsam Meister, gehen in Kleidern überaus prächtig,
dergestalt, dafs Avohl eine auf der Gassen Samet, der bei ihnen ge-
mein, tragen darf [Man denke an die Luxusgesetze in Deutschland],
die daheim vielleicht ihr trocken Brot nicht gehaben mag. Alle eng-
lischen Weiber tragen Hüte auf den Köpfen [cf. die French hoods, in
Deutschland Avar ja noch die „Kappe" oder das Kopftuch vor-
wiegend] und gehen mit ausgeschnittenen Pocken auf die alte teusche
Manier, wie dann ihr Abkunft Sachsen seindt. Hexen werden viele
gefunden, die oft durch Ungewitter grofsen Schaden thun." — Herman
Kurz (Zu Shakespeares Schaffen, München 1868, S. 14) iuhrt ferner
an: Kiechel schreibt über das englische Frauenzimmer: „Ittera es
gübt ein holdsälig und von natur mechtig schön weibsbildt, als ich in
meinen äugen kaum gesehen, dann süe sich nicht kezern, an-
streichen oder ferben, als wol in Italia oder andern ortten; allein
das süe in der kleudung was plonips gehn, kleuden sich von statt-
lichen guten lacken oder thucb, do dann manche 3 röckh von thtich
ob ein ander soll anhaben. Ittera es sey ein frembder oder innwohner,
wann er in eines burgers haus zu thuen hat oder zu gast gebeten
würt, und er nun dahün kompt, der herr des haus, frau oder junckfrau
* „Kleider wurden vormals nicht, wie jetzt, aus wertlosem Stolf ge-
macht, und, wenn sie abgetragen oder aus der Mode gekommen waren,
nicht weggeschenkt, sondern man hängte sie an hölzernen Pflöcken in eigens
dazu bestimmten Zimmern auf; die aus reicherem Stoife wurden gchgent-
lich zu häusbchem Gebrauche aufgetrennt (zerschnitten, ripped), wahrend
man die minder kostbaren an den Wänden hängen liels, bis Zeit und
Motten verzehrt hatten, was der Stolz Dienern und armen ^'erwnndten zu
tragen nicht gönnte; es war nicht Sitte: Comitem horridulum trila
donare laceina. Königin Elisabeth hinterliefs dreitausend Anzüge ; Steevtns
sah einmal in Sufiblk eine solche Kleidersammlung von anderthalb Jahr-
hunderten. In der Garderobe von Covent-Garden beündet sich noch ein
reicher Kleidervorrat, welcher einst Jakob L gehörte." A.lc.\. Schmidt,
Sacherkl. Anrii. 421. (Wie ganz anders Friedrich der Grolsel)
416 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
enipfaliet oder wüllkom heist sein, als dann ihr sprach mit sich bringt,
liat er wol macht, süe an arm nemnien und zu küssen, wölches des
landts gebrauch; und do es einer nicht thut, wärt es ihrae für ein un-
verstandt und grobheit geachtet und zugemessen, wüe dann solcher
gebrauch im Nöderlandt auch ist." (Kiechel S. 31) — Johann
Limbergs „Denkwürdige Reisebeschreibung" etc. (Leip-
zig 1690) sagt S. 652 von England: „Das Frauenzimmer ist schön,
lebt in grofser Freiheit und ist in den Wollüsten sehr vertieffet."
Dann folgt das gleiche Sprichwort wie oben — (Herrn. Kurz, p. 15).
Sitzung vom 25. März.
Herr I. Schmidt bespricht die Zeit vom Tode Ben Jonsons
bis zum ersten Auftreten Miltons ausführlicher und geht zunächst auf
die von Samuel Johnson so genannten metaphysischen Dichter ein.
Der Name führt irre, denn tiefe Gedanken und ein Idealisieren findet
man bei ihnen nicht. Sie kultivieren das Derb-Natürliche und wollen
wie der Euphuismus aus dem Gewöhnlichen Ungewöhnliches machen,
leiden aber im Gegensatz zu demselben an Armut der Erfindung.
Der erste ist der 1618 gestorbene Sylvester, der die Semaine
des Du Bartas übersetzte und auch eigene Gedichte schuf.
John Donne, gestorben 1631, gab religiöse, in euphuistischem
Stile gehaltene Gedichte heraus. Aus seinem Nachlasse erschienen
1635 weltliche Gedichte, die viel Gekünsteltes und Bedenkliches
enthalten.
Cowley (1618 — ^1667), der begabteste Jünger Donnes, ist ein
edler, liebenswürdiger Dichter, der die ihm beschiedene ländliche Mufse
würdig auszufüllen wufste. Aber er redet nicht die Sprache des
Herzens, und Verstand und Witz müssen bei ihm wie bei Donne die
Phantasie ersetzen. Besondere Verdienste erwarb sich Cowley um die
Prosa, auch ist ein Trinklied von ihm populär geworden.
Herr Vatke und Herr 1. Schmidt führten darauf mehreres
an, um den Begriff des wit festzustellen.
Herr Kühne spricht über den Mentor von Erbe und Vernier,
ein lateinisch-französisches Vokabularium, das dem Schüler das Fran-
zösische vermöge des Lateinischen erleichtern soll. Nach einer kurzen
historischen Einleitung giebt das Buch eine Wörtersammlung, um die
Lehre von der Wortbildung zu illustrieren, Eedensarten und Sprich-
wörter. Es ist nicht klar, welche Klassen die Verfasser im Auge
gehabt haben ; Referent glaubt vor dem Gebrauche desselben in unteren
Klassen warnen zu müssen.
Herr Michaelis spricht über die neuesten amtlichen Ortho-
graphien. Die Hauptunterschiede bestehen in der Beschränkung der
Dehnungszeichen, in der Bezeichnung der S-Laute und im Gebrauche
des th. Österreich ging im Juli 1879 voran, nahm die Heysesche
für das Studium der neueren Sprachen. 417
Regel an, slrich aber kein th. Bayern folgte; es ging im S-Laut auf
Gottsched und Adelung zurück, und beseitigte das th halb. Preufsen
schlol's sich nun mit möglichst geringen Abweichungen an Bayern an.
Auch Sachsen, Hessen, Baden regelten die Orthographie amtlich,
während sich die kleineren Staaten an Preufsen anschlössen. In
Würtemberg hat man für § im lateinischen Druck ein einheitliches
Zeichen eingeführt. Die Schweizer Orthographie ist die erste in
lateinischen Lettern gedruckte. Sie beseitigt das th ganz, macht aber
darin einen Rückschritt, dafs sie das ß gar nicht kennt.
Herr Bischoff bespricht Sturmhöfel, Neulatein als Welt-
sprache. Dor Verfasser fordert zur Gründung von internationalen
Gesellschaften auf, die auch die unteren Stände und die Frauen mit
dem Lateinischen bekannt machen sollen. Dadurch soll eine Sprache
für den internationalen Verkehr geschafFen und zugleich der ideale
Sinn gestärkt werden.
Sitzung vom 22. April 1884,
Herr Müller gab in kurzen Umrissen ein Bild von der hollän-
dischen Litteratur bis zum Jahre 1600, indem er auf das Tierepos, auf
Jakob van Maerlandt und auf die Bedeutung der Kammern besonders
einging.
Herr Tobler sprach von den Quellen für die Sammlung der
echten altfranzösischen Sprichwörter, den verschiedenen Sammlungen,
die vom 13. Jahrhundert ab angelegt worden sind, teilweise so einge-
richtet, dafs lateinische Verse den Sinn des französischen Spruchs er-
läutern ; dann von alten Gedichten, die je eine Strophe mit einem
Sprichwort schliefsen, darunter die proverbes du vilain, von deren zahl-
reichen Versionen jetzt auch Berlin in einer Hamilton-Handschrift eine
sein eigen nennt. Die Hauptquelle ist die schöne Litteratur, die vom
12. bis 15. Jahrhundert in immer steigendem Mafse das Sprichwort
verwendet und meist auch durch besondere Zusätze als solches be-
zeichnet, dabei aus dem Zusammenhang den Sinn unzweifelhaft er-
kennen läfst.
Herr Hoppe bespricht die Stelle in der ersten Scene des zweiten
Aktes des Othello: You are pictures out of doors. Herr Vatke hatte
in einem Vortrage pictures mit „geschminkt" erklärt. Herr Hoppe
beweist durch die sonstige Verwendung von picture und to paint, dafs
es nur „stumm" bedeuten kann, was auch aus dem Zusammenhange
hervorgeht.
Sitzung vom 13. Mai 1884.
Herr Rossi bespricht die 1544 von Celio Secundo Curio in
einem Bande von 337 Seiten veröffentlichten pasquillorum tomi duo.
Da viele Exemplare wegen der beifsenden Angriffe auf die Päpste ver-
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 27
418 Sitzungen der Berliner Gesellschaft etc.
brannt wurden, so ist das Buch, von dem die hiesige königl. Bibliothek
ein sehr schönes Exemplar besitzt, sehr selten geworden. Der Redner
beleuchtet den Ursprung des Buches, das eine Sammlung der an der
nach einem witzigen Schneider Pasquino genannten Statue angeklebten
Epigramme enthält. Mehrere davon sind germanischen Ursprungs;
eins ist in deutscher Sprache abgedruckt. Die Sitte, an dem Pasquino
Epigramme anzuheften, hat sich bis in die neueste Zeit erhalten, wovon
der Redner Beispiele mitteilt.
Herr Zupitza berichtet über das 300jährige Jubiläum der Uni-
versität Edinburg, an dem er als Vertreter der hiesigen Universität
teilgenommen hatte. Die Universität besteht vollständig erst seit An-
fang des vorigen Jahrhunderts, während 1583 nur ein College ge-
gründet wurde. Den 80 anfänglichen Zöglingen stehen jetzt 3341
gegenüber. An der Spitze steht der Chancellor, der von allen Gra-
duierten auf Lebenszeit gewählt wird, während die Studenten den
Rektor auf drei Jahre wählen. Unserem Rektor entspricht am meisten
der von der Krone auf Lebenszeit ernannte Principal. Die Hauptfeier
fand am Donnerstag statt und bestand im Empfange der Delegierten
und der Verteilung der honorary degrees. Der Redner wohnte auch
einer Sitzung der Scottish Text Society bei, auf die er aufmerksam macht.
Herr Förster spricht über Apuntes para un curso de Pedagogia
von Berra. Der als hervorragender Gelehrter und Schulmann in Uru-
guay bekannte Verfasser trat als Lehrer an einem Seminar ein und
stellte in diesem Buche das Material für seine Vorträge zusammen.
Das Buch ist etwas rasch geschrieben, verrät aber den talentvollen
Kopf. Dafs er fremde, besonders auch deutsche Werke, wenn auch
nur in Übersetzungen, studiert hat, verhindert ihn nicht, selbständig
zu denken.
Derselbe berichtet darauf nach einem Reglamento und einem Schul-
programm über ein Asyl für auf der Strafse aufgelesene Knaben in
Montevideo. 400 Knaben werden darin von drei Lehrern in vielen
Fächern unterrichtet. Sie können dort auch sämtliche Handwerke
lernen, deren eins sie erwählen müssen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Das Genus der französischen Substantiva. Eine neue Anlei-
tung, das Genus aller französischen Substantiva (über 40000)
durch Begriff und Form zu bestimmen. Für Lehrer, Schüler
und überhaupt alle Freunde der französischen Sprache
herausgegeben von J. Spelthahn, königl. Reallehrer. Amberg
1Ö83. Verlag von Eduard Pohl. Preis 1 Mark.
Der Verfasser dieser — Einleitung und Anhang abgerechnet — 50 Seiten
zählenden Schrift hat den französisch-deutschen Teil des Encyklopädischen
Wörterbuchs von Dr. Karl Sachs mit Rücksicht auf die Hauptwörter von
A bis Z durchgegangen und dieselben in Bezug auf ihr Genus zu klassi-
fizieren versucht. Wenn man bedenkt, dafs das genannte Wörterbuch über
vierzigtausend Substantiva enthält, so wird man den Unternehmungsgeist
und die Geduld des Verfassers bewundern müssen. Wir vermuten, dafs
der erste Antrieb zu dieser Untersuchung aus der Erfahrung hervorging,
dafs Schüler, die nicht Latein gelernt haben, bei ihren Übersetzungen ins
Französische die Substantiva aufs Geratewohl und ohne sich irgendwie
Rechenschaft abzulegen bald als Maskulina, bald als Feminina behandeln,
natürlich meist verkehrt. Es giebt wohl keinen Lehrer des Französischen,
der nicht seine Schüler auf gewisse Endungen aufmerksam gemacht hätte,
aus denen man ziemlich sicher auf das Geschlecht des Hauptwortes schliefsen
kann. Hat der Schüler im Falle des Zweifels über das Genus eines Haupt-
wortes gewisse Anhaltspunkte, so wird er entweder einen Fehler vermeiden,
oder wenn das betreffende Wort eine leidige Ausnahme macht, wird er doch
wenigstens nicht gedankenlos einen Fehler gemacht haben. \'om Stand-
punkte des Lernenden aus erscheint es also sehr erwünscht, einmal eine
zuverlässige Richtschnur für diesen speciellen Fall zu erhalten. Doch auch
für den Lehrer und den Freund des Französischen im allgemeinen ist es
interessant, einen systematischen Einblick in diesen Gegenstand zu gewinnen,
wie es auf der anderen Seite bequem ist, ein praktisch angelegtes kleines
Schriftchen zum leichten Nachschlagen zu besitzen.
Diese Klassifikation der Substantiva beruht ihrem Ilanptteile nach auf
der Endung. Es braucht ja nicht erst bewiesen zu werden, dafs man
a priori annehmen kann, dafs Wörter mit derselben Endung wohl auch im
allgemeinen dasselbe Genus haben, und da leider keine Kegel ohne Aus-
nahme ist, werden wir wohl auch annehmen können, dafs es fast innerhalb
jeder besonderen Klasse von Endungen eine Minderheit von Wörtern geben
wird, deren Genus dem der Mehrheit entgegengesetzt ist. Deshalb ist es
27*
420 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
interessant zu selien, wie sich die Geschlechter auf die verschiedenen Wort-
ausgänge verteilen und welches Genus bei dieser oder jener Endung vor-
herrscht und welches die Ausnahmen sind. Dafs aber das Geschlecht eines
Substantivs — abgesehen von jenen Benennungen lebender Wesen, bei
welchen die Sprache für Maskulinum und Femininum eigene Wörter hat —
am ehesten aus der Endung sich ersehen lassen, mufs, bedarf für jeden, der
die Geschichte der französischen Sprache einigermafsen kennt, keines Be-
weises. Freilich kann im streng historischen Sinne nur dann von einer für
das Genus mafsgebenden Endung gesprochen werden, wenn dieselbe eine
charakteristische Form hat und als Ableitungsendung gefühlt wird. Solche
Endungen sind z. B. die auf age, oir und oire, ande, ende, ment, teur, ion,
ure, aire, ier, ain, ien, iste, ee, ade, erie, isme etc. etc. In zahlreichen Fallen
jedoch sind die ursprünglichen Suffixe entweder abgeworfen oder tonlos ge-
worden, z. B, in fat von fatuus, ami von amicus, <ios von dorsum, glaive
von gladius, neige von nivea, gräce von gratia, caille von quaquila aus
wahtala u. s. w. In diesen Fällen wird man auf die historisch erkennbare
Endung verzichten und, sich mit dem AVortausgange begnügend, alle Wörter
mit gleichklingender Endsilbe zueinander stellen müssen. So verschiedener
Herkunft auch z. B. die folgenden Wörter sind: amalganie, caucame, dame,
drame, epithalame, hippopotame, lame, ranie, trame, vidame, so machen sie
doch wegen des Gleichklangs ihrer Ausgänge den Eindruck der Zusammen-
gehörigkeit, und man wird dieselben aus praktischen Gründen in einem
Verzeichnisse, das vorzüglich bei raschem Nachschlagen sicheren Dienst
leisten soll, nicht trennen. Vielleicht wird man sogar noch äme und bläme
den obigen ^\"örtern anreihen. Beiläufig sei bemerkt, dafs der Wortausgang
ame zu jenen wenigen gehört, bei denen nicht eine grofse Mehrheit z. B.
männlicher Wörter einer kleinen Anzahl weiblicher Substantiva gegenüber-
steht, sondern bei denen Maskulina und Feminina — hauptsächlich wegen
ihrer verschiedenen Abstammung — sich so ziemlich an Zahl gleichkommen.
Trotzdem wird man bei der Bestimmung des Genus im allgemeinen nicht
die Etymologie zur Führerin nehmen können, weil in nicht wenig Fällen
ein Wort auf seiner Wanderung von der Originalsprache in die französische
sein ursprüngliches Geschlecht mit dem entgegengesetzten hat vertauschen
müssen, während wieder andere von derselben Abstammung sich dasselbe
bewahrt haben. So sind gramme, centigramnie, chronogramme, decagramme,
decigramme, diagramme, hectogramme, hexagramme, kilogranmie, mono-
gramme, myriagramme, parallelogramme, tautogramme, telegramme Masku-
lina, während anagramme und epigramme, die doch ebenfalls zu y^ä(ji/ua
gehören, feminini generis sind.
Um nun auf den Gegenstand unserer Erörterung zurückzukommen,
müssen wir zuerst bemerken, dafs eine Anleitung, das Genus aller Substan-
tiva zu bestimmen, nach unserer Anschauung absolut vollständig* sein mufs,
wenn sie neben dem Wörterbuche sich behaupten und auch jenen, die die
Sprache kennen, etwas bieten will. Eine Klassifikation der Substantiva
nach dem Genus ist kein Werk, das man zum Vergnügen oder auch nur
zur allgemeinen Belehrung vom Anfang bis zum Ende durchlesen wird, es
wird wohl hauptsächlich nur für einen bestimmten Fall, für ein bestimmtes
Wort zu Rate gezogen werden: wenn man dann Gefahr läuft, das Gesuchte
nicht i-asch oder gar nicht zu finden, so greift man lieber gleich zum eigent-
lichen Wörterbuche. Aus diesen Gründen wird man von einer solchen
Arbeit aufser der selbstverständlichen Richtigkeit der Angaben auch noch
Vollständigkeit und praktische Anordnung verlangen müssen. Unter der
letzteren verstehen wir die alphabetische Reihenfolge der einzelnen Endungen.
* D. h. es sollen nicht alle Substantiva des Wörterbuches wieder abgedruckt
sein, wohl aber .soll für jedes Substantiv des Wörterbuches das Genus mit Hilfe der
Anleitung bestimmbar sein. Wir verlangen nur die Ausnahmen vollständig.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 42 1
Nach unserer Anschauung müssen diese Endungen in der Regel mit einem
Vokale beginnen ; man wird nicht die Wörter auf be, ce, de, fe, ge, he u. s. w.
behandeln, sondern die Wörter auf abe, able, abrc, acp, ache, acle acre
u. s. w. zusammenstellen müssen, weil man dadurch zwar mehr, aber schärfer
voneinander getrennte Gruppen erhält. Innerhalb der einzelnen Gruppen
müssen die Wörter allerdings alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben
und nach dem Genus getrennt vorgeführt werden, also würden sich z. H.
die Wörter auf abre so vorstellen : candelabre, cinahre, sabre. (Flierhcr
gehörige Feminina auf abre giebt es nicht.)
Etwas anders verhält sich die Saclie, wenn man nicht eine Anleitung zur
Bestimmung des Genus von „über vierzigtausend Substantiven" geben will, son-
dern wenn man nur die Absicht hat, dem Schüler für seinen Wissenskreis einige
Anhaltspunkte zu bieten. Wie wir uns die Lösung dieser Aufgabe vorstelleii
werden wir am Schlüsse durch einen aus eigenem Antriebe gemachten Ver-
such darzulegen uns erlauben.
Gehen wir nun zu Herrn Spelthahns „Anleitung, das Genus aller fran-
zösischen Substantiva (über 40 000) zu bestimmen" über. Da dieselbe kein
Inhaltsverzeichnis enthält, sehen wir uns genötigt, selbst ein solches zu ver-
fertigen und dasselbe hierher zu setzen, um dem Leser eine bessere Ein-
sicht in genannte Schrift zu ermöglichen. Einleitung und Anhang (7 Seiten)
beschäftigen uns hier nicht.
Neutrale Begriffe, S. 7.
Nichtneutrale Begriffe, S. 7—56.
I. Substantiva auf e, S. 7 — 48.
A. Substantiva auf dumpfes e, S. 7 — 45.
a) Maskulina, S. 7 — 17.
1. Komposita, S. 7—12. a) Mit Bindestrich, S 8. ß) Ohne Binde-
strich, S. 9. Endungen: cide, fice, gene, glyphe, graphe, scoi)e,
fere. S. 10 : branches, caudes, cephales, ccres, coles, conques, corncs,
dermes, dontes, feres, formes, geres, glosses, grades, pedes, pennes,
podes, pteres, rostres, sonies, stomes, vores. S. 11: phile, phore,
coles, limaces, morphes, thuses, valves, teles, are, carpe, compte,
corde, edre, gastre, gone, gramme, löge, logue, litre, metre, phone,
phragme, phjdle, sperme, stade, stere, type.
2. Einfache Substantiva, S. 12 — 17. Endungen: «) age, S. 12.
ß) Gge, /) eme, ieme, S) ome, s) sme, alle auf S. 13.
S. 14: <) toire, rj) aire (Bücher und Räumlichkeiten). S. 15:
d-) ate (chemische Ausdrücke), «) ite (chemische Salze), ä;) idc
(chemische und mineralogische Ausdrücke). S. 16: /) ique (Heil-
mittel), //) are, ide, ure (Tiernamen), *-) ure (ehem. Ausdr.).
b) Feminina. S. 17—28.
1. auf e mit vorhergehendem Doppelkonsonanten, S. 17.
2. die übrigen auf dumpfes e, S. 19. ce : «) ace, ß) ce mit vorher-
gehendem Nasallaute, de : «) ade, ß) ude, y) de mit vorherg.
Kons, ge: «) rge, ß) gue. he: che. le: «) cele,' /;?) ole, ;■) le
mit vorherg. Diphthong, ne: «) ane, ß) ene, y) ine, S) one, f) une,
'O ne mit vorherg. Kons. pe. que: ique. re: «) iere und illcre.
ß) aire (Pflanzen), y] oirc, S) ure. se. te: «) te mit vorherg.
Nasal, ß) te mit vorherg. Diphthong, y] ate, S) ete u. ete, e) ite
(Krankheiten), ^) ote, rj) ute. ve. Liste der gebräuchlichsten Sub-
stantiva auf e, deren Genus sich nur etymologisch bestimmen
läfst, S. 28—45.
B. Die Substantiva auf stummes e, S. 46 — 48.
II. Substantiva auf „nicht e", S. 48 — 56. eur, on, te, S. 48 — 51. Die
übrigen auf „nicht e", S. 5:\ Die Substantiva auf a, S. 55 — 56.
Die geographischen Ausdrücke und Namen der Buchstaben, S. 59.
Fünf Genusregeln für Schüler, S. 57 (in 12 Zeilen).
422 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Machen wir nun den Versuch, das Genus einiger Substanliva mit Hilfe
dieser Anleitung zu bestimmen. Nehmen wir z. B. die gebräuchlichsten
\Vörter auf ume: amertumo, bitume, brume, eostume, coutume, ecumc,
enclume, legume, plume, rhume, volume.
Die Endung ume kommt in dem Verzeichnis gar nicht vor, bei den
Maskulinen unter I. A.a, 2/, ^, e stehen nur die Endungen: hme, ome, sme;
bei den Femininen unter i.A. b, 2 steht zwar le und ne, aber me ist nicht
zu finden. Nun bleibt noch die Liste S. 28—45 übrig. Wir gehen zuerst
die Reihe der Maskulina S. 29 — 32 durch und finden endlich als Maskulina:
eostume, legume, rhume, volume auf S. 32; dann gehen wir an die Liste
der Feminina und finden als solche angeführt: coutume, eeume, enclume auf
S. 39 und plume auf S. 40. Amertume, bitume, brume haben wir jedoch
nicht gefunden.
Von den Wörtern auf ice finden wir folgende nicht: cilice, dentifrice,
exercice, frontispice, iudice, injustice, lice.
Aufserdem haben wir keine Anleitung zur Bestimmung des Genus fol-
gender Substantiva gefunden: grable, debäcle, acre, jade, parafe, bagne,
Champagne, anniversaire, brumaire, dromadaire, exemplaire, honoraire, re-
paire, salaire, paire, suaire, häle, räle, dedale, calque, asphalte, basalte,
dimanche, cancre, calandre, lange, melange, vidange, chambranle, abaque,
casaqiie, claque, fanfare, tiare, alarme. vacarme, remarque, tintamarre, arrhes,
vase, basque, desastre, pilastre, emplätre, daube, chiquenaude, jauge, sauge,
heaume, paunie, bejaune, parallaxe.
Diese Wörter gehören alle zu jenen, deren Endungen mit .a, ai oder au,
einem oder mehreren Konsonanten und einem e muet gebildet sind. Wir
wollen nun nicht auch noch die mit e, i, o, u gebildeten Endungen in der
Anleitung aufsuchen : wir begnügen uns damit, gezeigt zu haben, dafs der
Titel unserer Schrift mehr verspricht, .als der Inhalt derselben leistet. Mau
kann nicht „das Genus aller französischen Substantiva" mit Hilfe dieser An-
leitung bestimmen. Wir legen jedoch weniger Gewicht auf diesen Umstand:
es ist ja leicht möglich, dafs beim Excerpieren von über 40 000 Substantiven
ein paar Dutzend unter den Tisch fallen. Aber darüber beklagen wir uns,
dafs es uns ungemeine Mühe gemacht li;it, zu konstatieren, dafs über die
oben angeführten Wörter in der „Neuen Anleitung" kein Aufschlufs zu er-
halten ist. \\'enn man sich z. ß. über das Genus eines Wortes auf sogen,
dumpfes e unterrichten will, so ist man gezwungen, zuerst unter den Masku-
linen zu suchen, findet man es da nicht, so bat man die weiblichen Endungen
durchzugehen; steht das Wort auch hier nicht, so mufs man noch unter der
Liste jener Substantiva nachsehen, deren Genus sich, wie der Herr Verf.
sagt, nur etymologisch bestimmen läfst. * Nun ist aber auch diese Liste
unglücklicherweise nach Maskulinum und Femininum getrennt, so dafs viel-
leicht erst nach viermahgem Suchen sich das Gewünschte findet. Mit Sicher-
heit kann man aber auch darauf nicht rechnen. Wir gestehen, dafs wir
unter solchen Umständen lieber gar nicht suchen. Es war eine höchst un-
glückliche Idee des Verfassers, seine Substantiva — wenigstens im gröfseren
Teile seiner Schrift (p. 7 — 45) — nach Maskulinen und Femininen zu tren-
nen. Seine Aufgabe bestand nicht darin, zu zeigen, welche Endungen die
männlichen Substantiva haben können, sondern er hätte angeben sollen, ob
eine bestimmte Endung vorwiegend Maskulinen oder Femininen eigen ist,
und dann hätte er diejenigen Substantiva aufzählen sollen, welche eine Aus-
nahme von dem für diese bestimmte Endung vorwiegenden Genus machen.
Suchen wir uns z. B. bei Herrn Spelthahn Auskunft über die Endung
i{]ue zu verschaffen, so finden wir p. 16 die Heilmittel auf ique als Masku-
* Merkwürdigerweise finden sich in dieser Liste mehr als dreifsig Substantiva,
die gerade das entgegengesetzte Genus ihres Stammwortes haben.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 423
lina, p. 24 die Namen der Kiinste und Wissenschaften auf i(jue als Feminina,
p. 32 cantique, lexique als Maskulina, p. 33 portique als Rlaskuiinuni, p. 40
barrique, basilique, boutique, brique, dnplicjue als Feminina, p. 41 fabrique,
pique, pratique, relicjue, replique, republique, rubrique, supplique, tunique
als Feminina.
Abgesehen davon, dafs wir, was zur Endung ique gehört, an sechs ver-
schiedenen Orten haben suchen müssen, sind wir ganz ratlos über folgende
Wörter gelassen: chronique. clique, colique, critique, distique, ecliptique,
nique, pique, plique, poiitique, pratique, silique, tique, tonique (Grundton),
topique, trique, troiiique, veronique, viatique und voniique.
Es wäre nun gewifs viel einfacher für Herrn Spelthahn, und angenehmer
für den Besitzer seiner Schrift gewesen, wenn alle die zerstreuten Anr^aben
über ique etwa folgendermafsen zusaramengefafst worden wären :
Ique. Die Substantiva dieser Endung sind meist weiblich. Männlich sind :
1. Die Namen der Heilmittel auf ique.
•2. Folgende einzelne : cantique, distique, emetique (Brechweinstein),
letique, portique, tropique, viatique.
Anmerkung. Topique ist Maskulinum in den Bedeutungen a) örtliches
Heilmittel, b) unbestrittener Rechtsgrundsatz. Topique ist Femi-
ninum im Sinne von Topik (in der Rhetorik).
Fände man nun bei dem Artikel ique vielleicht noch angegeben, wie
viele Substantiva ungefähr auf ique endigen, so wäre gewifs allen vernünf-
tigen Anforderungen Rechnung getragen, ohne dafs der Verfasser über zu
viele Mühe bei seiner Abf\issung der Schrift, und der Leser über zu viele
Mühe bei Benützung derselben sich zu beklagen hätte.
Man gestatte uns noch, auf einige Versehen aufmerksam zu machen.
Pag. 21) ist prejudice mit „^'orurteil" übersetzt; p. 30 ist louange als Masku-
linum angeführt; p. 31 steht vehicle statt vehicule; p. 34 steht rozaire statt
rosaire; p 43 steht bei nacre: vom span. nakir, statt: vom arab. nakir;
p. 45 steht trapeze bei den Femininen aufgeführt. Es ist aber nach Littre
und Academie Maskulinum (auch bei Sachs steht es irrtümlich als Fem.).
Indem wir nun unsere mühevolle Besprechung dieser Arbeit schliefsen,
können wir nicht umhin, zugleich mit der Bewunderung des Fleifses und
der Ausdauer, die der Herr X'erfasser an den Tag gelegt, auch unser Be-
dauern darüber auszusprechen, dafs er einerseits durch ungeeignete Dispo-
sition die Benutzung seines Werkchens sehr erschwert hat, und dafs er
andererseits sich selbst um den Preis seiner Muhe gebracht hat, da infolge
mannigfacher Unvollständigkeit seiner Schrift man die Aufgabe, die er sich
gestellt, durchaus nicht als gelöst betrachten kann.
Im Anschlüsse an diese Besprechung erlauben wir uns, ein Verzeichnis
nach dem Genus gruppierter Substantiva unseren Herren Fachgenossen zu
beliebiger Verwertung vorzulegen. Dasselbe enthält nur gewöhnlichere
Wörter, wie sie in Schulbüchern vorkommen, und zwar auch nur diejenigen,
welche eine Ausnahme zu einigen in einer Übersicht zusammengestellten
Anhaltspunkten für die Beurteilung des Genus eines Haujjtwortes nach seiner
Endung bilden. Dieses Verzeichnis soll nur rein praktischen Zwecken
dienen, und deshalb benennen wir es:
Genusregeln für Schüler.
1. Die durch Bindestrich miteinander verbundenen Hauptwörter sind ge-
wöhnlich Maskulina. Ist das erste derselben ein Fcniininuin, so wird
das ganze auch als Femininum betrachtet.
2. Bei lebenden Wesen wird das Genus des Suhstinüivs durch das natür-
liche Geschlecht bestimmt, wenn die Sprache zwischen Maskulinum und
Femininum unterscheidet. Giebt es nur ein Wort für beide Geschlechter,
so finden die folgenden Kegeln. Anwendung.
424 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
3. Übersicht.
1. N'okalischc Endungen.
a) Feminina: te, tie.
b) Maskulina: Die übrigen V^okale. (Auch 6, wenn kein i oder t
vorausgeht.)
II. Konsonantische Endungen.
a) Feminina: eur, ion. Vokal -|- son.
b) Maskulina: Alle übrigen.
III. Endungen auf stummes e.
a) Maskulina: «) Vokal + ge. ß) Vokal + ,^^^ asme, isme.
y) Konsonant (jedoch nicht r) -j- re. S) ice, cide, side.
b) Feminina: «) Volyil + e. ß) Nasal -f- e. Vokal -f- ne. ;^') Vokal
-f- se. S) Doppelkonsonant -\- e. e) ere, ete, ete, eve, eve.
^) ace, ade, ude. ?;) che, gue, que.
c) Regel für die übrigen Wörter auf e: Sie haben dasselbe Ge-
schlecht, welches ihre Grundbedeutungen im Deutschen haben,
wobei das deutsche Neutrum im Französ. zum Mask. gestellt wird.
d) Einzelbehandlung.
1 . Vokalische Endungen.
1. Feminina: te, tie. Ausnahmen: Le comite, le comte, le
cöte, un ete, le päte, le traite.
2. Maskulina: Die übrigen Vokale. Ausnahmen: la veranda,
la villa, die Namen der Tänze, la mi-niai, une eau, la peau,
la merci, une apres-midi, la fourmi, la foi, la loi, la paroi,
la glu, la tribu, la vertu.
II. Konsonantische Endungen.
1. Feminina: eur, ion, Vokal -|- son. Ausnahmen: le labeur,
bonheur, malheur, heur, honneur, deshonneur, coeur, choeur,
equateur, Instrumente und mathcm. Ausdrücke, le Hon,
gabion, talion, billion, million, trillion, lanipion, scorpion,
bastion, crayon, rayon. Le blason, diapason, polson, tison.
2. Maskulina: Alle übrigen auf einen Konsonanten. Aus-
nahmen : la faim, la main, la chair, la paix, faux, chaux,
clef, nef, dent, gent, cuiller, mer, foret, tin', vis, brebis,
souris, chauve-sourls, oasis, moeurs, fois, soif, croix, noix,
poix, voix, fa9on, contrefacjon, le9on, ran9on, chanson,
boisson, moisson, mousson, cuisson, part, mort, dot, cour
(et composes), tour, nuit, perdrix, toux.
III. Endungen auf stummes e.
1. Maskulina: n) Vokal -f- ge. ß) Vokal -|- me, asme und
isme. y) Konson. -f- re. S) ice, cide, side. Ausnahmen:
a) la cage, nage, page, plage, rage, image, la tige, une
horloge, löge, toge (aber: un eloge), la neige.
b) Une iime, lame, reclame, rame, trame, creme, mi-careme
(aber: le careme), cscrime, estime, Iime, maxime, prime,
rime, victime, amertume,_brume, coutume, ecume, enclume,
plume, paume.
c) La nacre, escadre, chambre, ancre, barre, algebre, encre,
cendre, lepre, fenetre, lettre, couleuvre, chevre, fievre,
Icvre, fibre, epitre, huitre, mitre, vitre, iivre (Pfund),
ceuvre, ofTre, ombre, montre, rencontre, foudre, poudre,
poutre. Seltener: balafre, calandre, podagre, sala-
mandre, amarre, martre, piastre, gaufre, vcpres, tenebres,
guetre, ocre, pourpre (auch Mask.), loutre, outre, hydre,
palestre.
d) Une avarice, cicatrice, epice, (in)justice, malice, matrice,
milice, notice, police.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 425
2. Feminina : «) N'okal -(- e. ß) Nasal + e. >') Vokal -j- ne,
Vokal -f- se. S) Doppelkonsonant -|- e. f) cre, ete, ete,
eve, eve. t) ace, ade, ude. ?;) cbe, gue, que. Ausnahmen :
a) Le colisee, elysee, musee, rez-de-chaussde, trophee. Un
incendie, genie, parapluie, foie.
b) Le silence, dimanche, manche (Stiel), change (et comp.),
melange, compte (et comp.), monde, conte.
c) Le cräne, organe, chene, frene, chemische Ausdrücke
auf gene, le platine, aune (Erle), domaine, jeüne, cöne,
tröne, patrimoine.
d) Le lierre, tonnerre et para-, parterre, verre, cimetcrre,
le colosse.
e) Le cimetiere, le reve.
f) Un espace, un grade, un prelude.
g) Un dogue, orgue (im S.), die Wörter auf loguc (aber :
une eglogue), un cantique, distique, lexique, portiquc,
tropique, masque, risque, catafalque, die Namen der
Arzneien auf ique (während die Namen der Krankheiten
auf ique generis fem. sind), le relächc, fetiche, hd-
mistiche, caniche, reproche.
3. Regel für die übrigen Wörter auf e: Man gebe ihnen das-
selbe Genus, welches ihre Grundbedeutungen im Deutschen
haben (wobei das deutsche Neutrum zu den franz. Masku-
linen zu stellen ist). [So seltsam diese Anweisung klingt,
so praktisch ist sie. Ein Versuch hat ergehen, dafs bei
Beobachtung derselben 35 Proz. weniger Ausnahmen zu
konstatieren sind, als wenn die Regel über das Genus der
Wörter auf unaccentuiertes e so gefafst wäre :
a) Maskulina: Vokal -f-ge. Vokal -f-me etc. wie oben.
b) Feminina: Alle übrigen auf e.]
Ausnahmen:
1) Deutsche Grundbedeutung männlich oder sächlich, das frz. Wort
weiblich: La table, etable, debäcle, Cataracta, eiimpagne, niontagne,
aile, contrainte, circulaire, paire, retraite, cale, valse, halte, jambe,
epigramme, estampe, barbe, gare, niarge, alarme, carpe, marque,
vase (Schlamm, aber le vase. (lefäfs), date, päte, taupe, faute,
cave, piece, atteintc, grele, herbe, luzerne, averse, controverso,
perte, gueule, mcule, preuve, bride, c^nigme, vigne, argile, tuile,
cire, robe, cicogne, ctoile, voile (Segel), armoire, gloire, victoire,
geole, tole, camisole, idole, obole, parole, trompe, amorce, corde,
corne, pelote, redingote, pantoufle, coupc, croupe, course, banque-
route, mule, virgule, chutc.
2) Deutsche Grundbedeutung weiblich, das franz. Wort männlich :
Le calme, troublo, cigare, hectare, saule, regne, axe, precepte,
merle, diocese, geste, episode, röle, controle, moule, groupe, tube,
crepuscule.
Die Zahl derjenigen gewöhnlichen Wörter, welche hier nicht eigens
aufgeführt sind, aber deren Genus durch die aufgestellten Regeln bestimmbar
ist, dürfte wohl die vierfache Anzahl der hier angegebenen bilden. Ob das
obige Verzeichnis oder ein ähnliches für die Schule (ohne Latein;) dienstbar
gemacht werden kann, ob nicht andere Gruppierungen vorteilhafter sind,
oder ob nicht vielleicht das ganze Kapitel wie bisher der blofsen Routine
zu überlassen ist, wollen wir hier nicht entscheiden. Es genügt uns, auf
diesen Gegenstand aufmerksam gemacht und diese mühevolle Zusammen-
stellung zu Ende gebracht zu haben.
München. Th. AV oh 1 fahrt.
426 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Thibaut, Französisch-deutsches und deutsch-französisches Wörter-
buch. 100. Aufhige. Braunschweig 1883, G. Westermann.
530 u. 464 S.
^\'obl kein Wörterbuch hat sich bisher einer so allseitigen Verbreitung
zu erfreuen gehabt, wie der uns allen aus der Jugendzeit wohlbekannte
Tliibaut. Beinahe eine halbe Million Exenijjlare sind von demselben in den
\'erkehr gekommen; nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich
hat er sich zahlreiche Freunde erworben. Aber der Grundsatz noblesse
oblige gilt auch hier. Soll ein derartiges Buch lebens- und konkurrenz-
fähig bleiben, so darf es nicht hinter den Anforderungen der Gegenwart
zurückbleiben.
Eine lebende Sprache steht keinen Augenblick still; jedes politische
Ereignis, jede neue Erfindung, ja jeder neue Schriftsteller verändert und
bereichert den AVortschatz derselben. Die Notwendigkeit, diesem veränderten
Besitzstande beider Sprachen Rechnung zu tragen, sowie auch die Rück-
sicht auf die vor einigen Jahren fast gleichzeitig in Deutschland und Frank-
reich geschehene Umgestaltung der Orthographie machte es der Verlags-
buchhandlung zur Pflicht, wiederum nach zwölf Jahren eine vollständige
Neubearbeitung des Thibaut veranstalten zu lassen. Die nunmehr vorlie-
gende 100. Auflage ist vom Professor Dr. AVüUenweher im Verein mit dem
Oberlehrer Dr. O. Dickmann hergestellt worden. Unter Benutzung aller
bei einer solchen Arbeit in Betracht kommenden lexikalischen Hilfsmittel
und auf Grund lan^rjähriger, durch Unterricht und Studium gesammelter
Erfahrungen haben dieselben ein Werk geschaffen, welches in der That in
jeder Hinsicht als ein vollständig neues betrachtet werden mufs. „Da war
kein Stein, der ruhig blieb, man warf die Erde gar durchs Sieb;" so denkt
man unwillkürlich, wenn man die einzelnen Artikel der neuen Bearbeitung
mit denen der früheren (von 1871) vergleicht. Schon äufserllch erkennt
man dies an der vermehrten Bogenzahl und dem gröfseien Formate, wo-
durch das frühere Volumen um ein Zwölftel gewachsen ist. Dafs trotzdem
der Preis des Buches derselbe geblieben ist, verdient hier besondere An-
erkennung. Mit Rücksicht auf die Bestimmung des neuen Prüfungsregle-
ments für Abiturienten an Realgymnasien und Oherrealschulen (§ 8, 4) ist
die Einrichtung getroffen worden, dafs der französisch-deutsche Teil für
sich allein zu beziehen ist. In typographischer Beziehung ist ebenfalls
nichts von dem versäumt, was die moderne Pädagogik von Schulbüchern zu
verlangen berechtigt ist.
Was nun die Bearbeitung selbst betrifft, so haben die Verfasser nicht
blofs die rein lexikalischen und phraseologischen, sondern auch die gram-
matischen und synonymischen Beziehungen der einzelnen Wörter in gebüh-
render Weise berücksichtigt. Die Aussprache ist überall da angegeben, wo
für den Ausländer erfahrungsmäfsig irgend eine Schwierigkeit vorliegt. Für
den französischen Teil wurde natürlich in erster Linie das neue Dictionnaire
de l'Academie zu Grunde gelegt und nur da, wo letzteres keinen Aufschlufs
gab (z. B. bei vielen Pluralbildungen und bei der Aussprache) zu dem
älteren Littre gegriffen. Dafs für beide Teile das vortreffliche Wörterbuch
von Saclis und für einzelne technische Gebiete Specialwörterbücher (z. B.
Ribbentrop, VVershoven u. a.) benutzt wurden, erkennt man auf jeder Seite.
Von neuen Wörtern, die wir jetzt zum erstenmal im Thibaut antreffen, und
die zum Teil erst neueren Ursprungs sind, seien hier folgende erwähnt:
Bauernfänger, Dienstwohnung, Doppelwährung, Dorfgeschichte, Drahtseil-
bahn, Drückebei-ger, Einschub, Engelmacherin, Erdrutsch, Fahrstuhl, Farben-
blindiieit, Fliegenpapier, Galgenhumor, Gefühlsmensch, Gelenkrheumatismus,
Gründer, kandidieren, Kanonentieber, Karbolsäure, Kellerwechsel, Krach,
Kümmelblättchen, Lampenfieber, Leichenverbrennung, Moorbad, Nachwahl,
Pantoffelheld, Prefskohle, Probiermamsell, Puff, Reblaus, Ringbahn, Riesel-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 427
feld, Rohrpost, llollschuh, Sauregurkenzeit, Schlafwagen, Schlagwort, Schlufs-
schein, Schonzeit, Solbad, Spitalbrand, Stadthahn, Standesamt, Stichwal)!,
Stimmvieh. Treppenwitz, Trockenwohner, Unfallversicherung, Vegetarianer,
Verstaatlichung, Wahlkampf, Weltpostverein, AVeltschmerz, Zuchtwahl u. s. w.
Die verschiedenen Bedeutungen der einzelnen Wörter sind streng logisch
geordnet und durch zahlreiche Beispiele, sowie durch kurze synonymische
Erklärungen veranschaulicht. Es ist eine bekannte Erfahrimg, dafs der
Schüler sehr häufig beim Aufschlagen eines ^^'ortes durch die grolse Zahl
der möglichen Übersetzungen in \ erlegenheit gerät und meist das Falsche
wählt. Will er z. B. das Wort „Geschlecht" übersetzen und findet im
Wörterbuch weiter nichts als: sexe, genre, race, generation, espece, oder
für Ruhe: tranquillite, repos, calme, oder für Rede: discours, propos, parole,
langage, bruit, raison, oder für heilig: saint und sacre, so ist er nicht klüger
als vorher. In allen diesen und ähnlichen Fällen giebt Thibaut durch kurze
eingeklammerte Erklärungen und durch praktische Beispiele die nötige An-
leitung, das Richtige zu finden. Die Phraseologie (Sprichwörter, bililliche
und scherzhafte Ausdrücke, Gallicismen und üermanismen) ist in der neuen
Auflage bedeutend mehr berücksichtigt worden als bisher. Auch die gram-
matischen Beziehungen der Wörter (namentlich die Modus-, Kasus- und
Infinitivlehre) sind in genügender Weise, sei es durch kurze Angabe der
betrefi'enden Regel, sei es durch entsprechende Beispiele, zur Darstellung
gekommen. Hierher gehören ferner die vielen stereotypen Verbindungen
von Substantiven und Präpositionen, welche mit besonderer Sorgfalt be-
handelt worden sind. Es genügt nicht zu wissen, wie „Belohnung, Dank,
Erinnerung, Furcht, Mifstrauen, Rücksicht, Strafe, Vertrauen u. s. w." heifst;
man mufs auch erfahren, wie zu übersetzen ist: „zur Belohnung für, zum
Dank für, zur Erinnerung an, aus Furcht vor, aus Mifstrauen gegen, mit
Rücksicht auf, zur Strafe für, im Vertrauen auf" u. s. w. Die Zahl der
Eigennamen ist beträchtlich vermehrt, und im französisch-deutschen Teile
ist aufser der Übersetzung eine kurze Erklärung derselben in Klammern bei-
gefügt worden, z. B. Hebe, f. Hebe (Göttin der Jugend). Dasselbe ist bei
den zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Fremdwörtern geschehen,
welche ohne eine solche Erklärung dem Schüler und auch manchem Laien
unverständlich bleiben würden.
Was nun endlich die Korrektheit des Drucks betriflt, so stehen wir
nicht an zu behaupten, dafs dieselbe bis auf wenige leicht zu beseitigende
Ausnahmen (z. B. p. 190 les armes statt les larmes ; p. 318 Paleographe
statt paleographe) in vollem Mafse erreicht worden ist.
Wir glauben daher, diese neue Auflage unseren Fachgenossen in jeder
Hinsicht aufs wärmste empfehlen zu können, und wünschen zum Schlufs,
dafs das Buch in seiner neuen Gestalt sich immer zahlreichere Freunde er-
werben möce.
Ciala, Französische Schulgramrnatik. Mittlere Stufe. 2. Auflage,
umgearbeitet von H. Bihler. Leipzig, Teubner.
Vor einigen Jahren wurde an vielen hatlischen Gymnasien auf Ver-
anlassung des Oberschulrates zum Ersatz der Plötzschen Lehrbücher die
französische Schulgrammatik von Ciala eingeführt. Es mochte dies damals
eine etwas gewagte Neuerung sein; denn wie durch eine äufserst eingehende
Recension in dieser Zeitschrift (Bd. LXVIH, Heft 1) ntichsewiesen, fehlte
es besonders bei den französischen Beispielsätzen nicht an unrichtigen oder
wenigstens bedenklichen Ausdrücken und Satzwendungen. Die günstige
Beurteilung des Buches in der „Zeitschr. für neufrz. Sprache und Litt."
(Bd. I, p. i27) mufste also in der That eine sehr oberflächliche Arbeit sein,
428 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
und nicht ganz ohne Grund wurde die erste Auflage in einer Besprechung
in der „Zeitung für das höhere Unterrichtswesen" (1883, Nr. 40) als ein
gänzlich verfehltes Lehrmittel bezeichnet. Es war daher ein zeitgemäfser
Schritt, als im vorigen Jahre die Lehrerkollegien unserer Gelehrtenschulen
vom Oberschulrat zu einer Meinungsäufserung veranlafst wurden, welche
X'eränderungen für die nötig gewordene zweite Auflage der Mittel-
stufe etwa wünschenswert sein möchten. Natürlich gingen die Ansichten
weit auseinander, dennoch unternahm es Professor Bihler (am Karlsruher
Gymnasium), durch eine neue Bearbeitung des Buches den Wünschen der
Kollegen möglichst nachzukommen. Inwieweit ihm dies gelungen, läfst sich
natürlich nicht bestimmt sagen; wohl aber kann von einem höheren päda-
gogischen Standpunkte aus beurteilt werden, ob das Lehrmittel in seiner
neuen Gestalt besser und brauchbarer geworden sei. Es wird diese Frage
am leichtesten zu beantworten und zu entscheiden sein, wenn wir die Haupt-
veränderungen der zweiten Auflage hier in Kürze zusammenstellen und
besprechen.
In der Formenlehre des Verbs ist vor allem die für die Schule
ganz unpraktische Einteilung in starke und schwache Konjugation be-
seitigt und dieser ganze erste Abschnitt wieder mehr in Einklang gebracht
mit der althergebrachten ßehandlungsweise. Es scheint uns dies der einzige
vernünftige Standpunkt zu sein ; der praktische Schulmann mufs ganz ent-
schieden Front machen gegen die Verwirrung, welche gerade für dieses
Kapitel in den Köpfen der Schüler angerichtet wird durch die sogenannte
historische oder streng sprachwissenschaftliche Behandlung des Verbs. Diese
mag ganz am Platze sein in den tlörsälen der Universität, aber gewifs nicht
an der Mittelschule. Auch sollte man in einem so wichtigen Punkte so viel
als möglich im Einklang bleiben mit den französischen Grammatikern, und
vielmehr diesen es überlassen, so weitgehende Neuerungen ein- und durch-
zuführen.— Für die Veränderungen der unregelmäfsigen V^erben (wozu
auch die auf oir gezählt sind) werden dann in § 1 elf kurze Gesetze zu-
sammengestellt; es ist dadurch nicht blofs dem Gedächtnisse des Schü-
lers nachgeholfen, sondern es ist ihm auch ein Einblick in die historische
Lautlehre ermöglicht. Für das Mafs aber, das der Verfasser hierin ge-
halten, ist ihm allerdings volle Anerkennung zu zollen: darin stimmen wir
ganz mit dem Recensenten der „Zeitung für das höhere Unterrichtswesen"
überein.
Aufser in dem erwähnten — allerdings sehr wichtigen — Punkte sind
in der Formenlehre keine gröfseren Abweichungen, dafür aber manche kleine
Verbesserungen zu verzeichnen. Dem § 22: „Gebrauch der Hilfsverben
avoir und etre" sind die Hauptregeln über das Participe passe beigegeben.
Es ist dies nur zu billigen; denn dieselben kommen ja so häufig zur Ver-
wendung, dafs es nicht ratsam ist, dieselben auf den dritten Teil, d. h. auf
den Schlufs des grammatischen Unterrichts aufzusparen. Dagegen könnte
es nichts schaden, auch zu den gesperrt gedruckten Grundregeln (Parti-
cipe mit etre und avoir) einige prägnante Beispielssätze beizufügen ; denn
Beispiele ermöglichen im Sprachunterricht dem Schüler die Anschauung und
sollten deshalb bei der Regel nie fehlen. — Nicht absolut notwendig und
fast etwas störend scheint uns die in § 1 festgesetzte und dann in der
Grammatik streng durchgeführte Anordnung der Redeteile. Es wäre
gewifs besser, den Artikel, der ja eigentlich dem Schüler längst bekannt
ist, unmittelbar vor oder nach dem Substantiv vorzunehmen. Warum sollte
denn diese Abänderung von der durch die alte lateinische Schulgrammatik
festgestellten Anordnung nicht erlaubt sein? Aus dem gleichen Grunde
dürften auch die einfachen, leichten Regeln von der Bildung des Adverbs
besser gleich nach dem Adjektiv (also vor Zahlwort und Fürwort) zur Be-
handlung kommen. Es wäre das eine methodische Rücksicht, die dem System
durchaus keinen Eintrag thäte. — Bei einzelnen Regeln sind von den Aus-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 429
nahmen oft nur die häufig vorkommenden ^Vörte^ angegeben. AVIr sind
im Grundsatz ganz mit diesem Verfahren einverstanden ; nur dürfte hier und
da Meinungsverschiedenheit darüber entstehen, was mehr und was weniger
gebräuchlich sei. In solchen Fällen würde eine Besprechung mit Fach-
genossen am leichtesten die Streitfrage entscheiden ; um nur ein Beispiel
anzuführen, so sollten, scheint uns, in § 40, 3 doch die Wörter profonde-
ment und commodement mit angeführt sein (eher noch als etwa ppi-
niätrement).
In einem zweiten Teil, p. 40 — 85, folgen nun die französischen und
deutschen Übungsbeispiele, meist einzelne Sätze und nur zumSchlufs einige
zusammenhängende Stücke. Die Anordnung derselben mufste natürlich den
Abänderungen im grammatischen Teile entsprechend einigermafsen umge-
staltet werden, so dafs namentlich aus diesem Grunde die beiden Auflagen
nicht nebeneinander gebraucht werden können. Durch Beigabe dieser Bei-
spiele beweist der Verfasser, dafs er der grundverkehrten und widersinnigen
Meinung, wie sie z. B. von einem Kritiker der „Bad. Schulzeitung" ge-
äufsert worden, nicht bestimmt, dafs er also vielmehr die Notwendigkeit
der Übungsbücher beim Sprachunterricht voll und ganz anerkennt. Es ist
ja sonnenklar, dafs es ein ungeheurer Zeitverlust ist, wenn der Lehrer erst
die Übungssätze vorsagen oder diktieren mufs, dafs ferner dem Schüler die
Arbeit aufserordentlich erschwert ist, wenn er dieselben nicht gedruckt vor
sich hat, und dafs für letzteren endlich beim Mangel eines Übungsbuches
irgend welches Privat Studium oder häusliche Nachhilfe fast ganz unmöglich
gemacht wird. Man möchte fast sagen, es sei ein trauriges Zeichen der
Zeit, dafs man überhaupt über solche einfache Wahrheiten in Zweifel sein
und streiten kann. — In diesen Übungssätzen handelte es sich nun beson-
ders darum, viele Unrichtigkeiten und Verstöfse gegen den guten Sprach-
gebrauch zu verbessern. Soweit wir dies kontrolieren konnten, ist das red-
lich geschehen und die früher gerügten Sätze sind gröfsteuteils abgeändert
oder weggelassen worden, insofern sie sich nämlich nicht verteidigen liefsen,
was immerhin auch einigemal der Fall war. Obgleich wir nicht allzu hohen
AVert darauf legen, dafs die Übungssätze immer durchaus gehaltvoll
und geistreich seien — den Schülern ist das ja doch mehr oder weniger
gleichgültig — so verdient es immerhin Anerkennung, dafs sie sonst in
dieser Auflage, wie übrigens auch schon in der ersten, meistens ziemlich
sinnvoll, vielseitig und mannigfaltig sind, besonders auch die verschiedenen
Bedeutungen eines Verbs berücksichtigen und zur Anwendung bringen.
Zusammenhängende Übungsstücke halten wir auf dieser Stufe des
Sprachunterrichts auch noch nicht für ganz zweckmäfsig; denn die Einübung
und häutige Anwendung bestimmter Regeln kommt dabei leicht zu kurz.
Es kann deshalb dem Verfasser auch kein Vorwurf gemacht werden, dafs
er deren nur eine kleine Zahl bringt.
Das Vokabelverzeichnis ist gegenüber der ersten Auflage bedeu-
tend verkürzt; es umfafst statt 32 nur noch 20 Seiten. Während früher
eine Menge etymologisch verwandter, aber oft ganz selten vorkommender
und daher unnötiger Wörter sich hier zut-amniengestellt fanden, sind solche
jetzt weggelassen, nach dem ganz richtigen Grundsatze, dafs es nicht rät-
lich sei, Wörter memorieren zu lassen, die in den Übungsbeispielen keine
A erwendung finden. Auch lür diese Bescliränkung darf man dem Neu-
bearbeiter zu Dank verpflichtet sein. Die ca. 1(J00 Wörter, die auch jetzt
noch dem Schüler zu erlernen bleiben, dürften für ein Jahr ganz genügend
Material zu Gedächtnisübungen bieten.
Sehr wertvoll ist ferner die Beigabe einer Anzahl poetischer und
prosaischer Lesestücke; es ist dem Schüler damit die Anschafhing
eines besonderen Lesebuches erspart, was in jeder Beziehung nur vorteilhaft
ist. Mit anderen Recensenten möchten wir die gute Auswald der einzelnen
Lesestücke lobend anerkennen und betonen, dafs es sehr vernünftig war,
430 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
auf dieser Stufe nicht ein gröfsercs, zusammenhängendes Werk der franzö-
sischen Litteratur dem Schüler vorzulegen. Alan hat in letzter Zeit unnötig
für den Lesestoff' genannter Art sich ereifert und begeistert, unter der An-
nahme, dafs das Interesse der Schüler dadurch geweckt werde. Es ist das
eine reine Phrase: die Lektüre vollständiger Werke wird allerdings
für den herangereiften Geist eher spannend und anziehend sein. Der jugend-
lichen Fassungskraft und Denkungsart aber, sind kurze Stücke viel ange-
messener und sie bieten auch besser Anlafs zu Sprechübungen, als lang-
atmige Geschichten, wo oft seitenweise gar kein Fortgang der Handlung
zu verzeichnen ist. Durch Absätze auch äufserlich gut gegliederte, kleinere
Lesestücke in möglichst einfacher Sprache sind für Anfängerklassen
weitaus am geeignetsten; gröfsere, zusammenliängende Sachen, die ja mei-
stens nach Form und Inhalt viel mehr ScLwierigkeiten bieten, passen erst
für obere Klassen, und auch dort wird daneben eine gute Chrestomathie
immer nötig und nützlich sein, indem ja sonst die Kenntnis der Litteratur
und die Sprachübung eine sehr einseitige wäi'e.
Mit dem alphabetischen Verzeichnis der in den Übungspara-
graphen vorkommenden Wörter schliefst das Buch; auch diese Erweiterung
wird der praktische Schulmann, der die Vergefslichkeit der Schüler kennen
mufs, mit Freude begrüfsen: es ist auf diese Weise -Grammatik, Übungs-,
IjCse- und Wörterbuch in einem Bande von mäfsigem Umfang vereinigt. —
Das Schlufsurteil der Kritik wird demnach sein, dafs die Mittelstufe
durch die neue Bearbeitung des Prof. Bihler ein praktisches, brauchbares
Schulbuch geworden ist. Der Lehrer, welcher mitten in der Berufsthätigkeit
steht, wird diese N'orzüge zu schätzen wissen; denn er allein ist im stände
zu ermessen, wie unendlich ihm seine Wirksamkeit erschwert, der Erfolg
des Unterrichts beeinträchtigt wird durch verschiedene der in neuer Zeit
Mode gewordenen Lehrmittel, die leider zu oft das Lob der theoretisch
fachwisseiischaftlichen Kreise geerntet haben, für die Schule aber geradezu
verderblich sind. In dieser neuen Auflage ist der klare Blick, die richtig
und mit Takt sichtende Hand des praktischen Schulmannes unverkennbar.
Möge der Neubearbeiter auf dem begonnenen Wege weiterschreiten und
durch keinerlei Nebenrücksichten sich von der nun einmal eingeschlagenen
Bahn ableiten lassen ! Es ist sehr zu wünschen, dafs auch für Umgestaltung
der ersten und dritten Stufe immer das Princip der praktischen Brauchbar-
keit hochgehalten werde; dadurch vor allem ist der Schule gedient und
dadurch allein wird auch am ehesten eine möglichst ausgedehnte \ erbreitung
dieses Lehrbuches erzielt werden.
Karlsruhe. J. Gutersohn.
Etudes 8ur la Conversation fran9aise, Manuel de Conversation
et de Voyage par George Storm, au Lycde I Hanovre.
Hanovre, Charles Meyer (Gustave Prior), 1878. VIII und
496 p. 3 Mk.
Mit 1494 französischen, alphabetisch geordneten Verben sind 6736 Sätze
gebildet, in denen die verschiedenartige Verwendung dieser Verben in der
Sprache des gebildeten Umgangs klargelegt wird. Zu sämtlichen Sätzen
ist die deutsche Übersetzung gegeben. Nur selten findet sich ein Verb an
nur einem Satze erläutert, wie elaborer (Nr. 2901); sind, wie in der Mehr-
zahl der Fälle, mehrere Sätze mit demselben Verb gebildet, so enthält ge-
wöhnlich der erste das Verb in seiner Grundbedeutung; die folgenden dienen
dazu, die hiervon abweichenden, mitunter recht mannigfachen Verwendungen
desselben Verbs einzuüben. Einige Verben, wie aller, faire, laisser, passer,
perdre, prevenir, tenir, tendre, venir sind mit besonderer Sorgfalt behandelt
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 431
und bieten auch Gallicismen, die sonst in dem Buche weniger häufi<; zu
finden sind. Dem Ubelstande, dafs durch die Anordnung des ßuches'eine
umfassende Zusammenstellung ganzer Klassen von sinnverwandten Substan-
tiven ausgeschlossen ist, wird dadurch abgeholfen, dafs in einzelnen Nummern,
wie unter voir 6690 und 6692, wo alle möglichen Gemüse, Obstarten und
Früchte überhaupt genannt werden, derartige Aufzählungen dennoch vor-
genommen werden. Das nach den deutschen Bedeutungen angeordnete
alphabetische Wörterverzeichnis am Ende des Buches gestattet, "sätze, in
denen ein Wort in dieser oder jener Verwendung aufgetreten ist, mit
Leichtigkeit wieder aufzufinden. Das Buch kann also auf der einen Seite
als eine ziemlich umfassende Synonymik des französischen Verbs bezeichnet
werden, während es gleichzeitig mittelst der darin beobachteten Methode,
immer in gut gebauten Sätzen zu reden, für die Bildung des Stils und die'
Erweiterung des X'okabelschatzes von Bedeutung ist. D;ifs es zur ei"-ent-
lichen Lektüre infolge der bei andauerndem Lesen zusammenhanwsToser
Sätze leicht eintretenden Ermüdung nicht geeignet ist, hat das Buch mit
anderen derselben Art gemein. Für solche aber, die sich mit der Anferti-
gung von Übersetzungen aus dem Deutschen in das Französische, oder mit
der Abfassung französischer Aufsätze zu befassen haben, stellt es einereiche
Fundgrube übersichtlich angeordneten und bequem zu verwendenden Ma-
terials dar.
Gehen wir auf Einzelheiten ein.
Zwei Nummern von suftire (6109 und 6116) sind unter soudrir (6031
und 6032) geraten. 803 steht hagelneu für nagelneu; 6342 ä brebis tondu
statt tondue; 6347: Les effects du tonnerre, statt effets. Das Komma ist
zu beseitigen in 6151: J'ai suppose, qu'il ne vous montrerait pas cette
lettre; und 6429: Je me fais fort, de trancher la question d'emblee (das
Beispiel hätte so gewählt werden können, dafs daran ersichtlich wurde, dafs
auch bei weiblichem Subjekt das Adjektiv fort nach altfrz. Art unver-
ändert bleibt).
Bei einigen Artikeln würde man gröfsere Vollständigkeit des Gegebenen
wünschen; so bei trainer 6403 — 13 ein Beispiel von trainer = „unordent-
lich (auf Stühlen und Tischen) herumliegen"; bei ternir 6294 eines von se
ternir = „den Glanz verlieren" (von Stoffen); von tenir dans = „Platz
haben in", ist kein Beispiel gegeben, wozu in Nr. 6280: Cette salle peut
contenir 500 personnes, Gelegenheit geboten gewesen wäre (f)00 personnes
tiennent dans cette salle); bei voir 6688 — 6703 vermifst man voyaiit = „in
die Augen fallend" (couleurs voyantes, un chapeau voyant).
Die Ausdrucksweise ist in einzelnen Sätzen ungewöhnlich. Besser hie fse
es Nr. 6165: Les idees que j'en avais formees, statt: les iddes que je m'en
etais formees; 6107: 11 faut me faire suer, oder il faut que je me fasse
suer, statt: il nie faut me faire suer; 6140: Les marins ecartes par la tem-
pcte, statt: les marins ecartes de la tempete; 6141: avec une grande pa-
tience, statt: avec grande patience ; 6160: le navire surgit au bon port,
statt: ä bon port. 6257: tu deviendras bossu, statt: tu dcviendrais bossu,
c'est sür, si tu ne te tiens pas mieux que ca. 6266: Monsieur F. le meillcur
accompagnateur de tout le conservatoire, statt: M. F. meillcur accomp.
6267 : Je tiens de bonne source que le mariage de Mademoiselle S. aura
lieu, statt: ait lieu. 6271: Nous verrons lequel de nous est plus fort, statt:
qui de nous est le plus fort. 6365 : pour ce qui n'en vaut pas la pcine,
statt: p. ce qui ne vaut p. 1. p. 6379: la tete lui tourna de sorte quelle
cessa de valser, statt: de la sorte que etc. 6035: eile va chez sa mere lui
souhaiter une bonne fete, statt: lui souhaiter sa fete. 6050: Les Romains
soumiren*., ii leur domination tous les pays alors connus, statt: soumirent
tous les pays alors connus a leur domination.
Zweck dieser. Ausführungen ist indessen nicht, den Wert des Buches
herabzusetzen, sondern anzudeuten, wu bei einer neuen Auflage der Hebel
432 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
anzusetzen ist, um diesen unzweifelhaft vorhandenen Wert noch zu erhöhen.
Daher begnügen wir uns mit dem bisher Gesagten und überlassen es dem
iuifnierksanien Leser, etwaige kleine Versehen, die ihm noch hier und da
aufstofsen mögen, nach seinem eigenen Wissen und Können zu berichtigen.
Die französische Volksdichtung und Sage. Ein Beitrag zur
Geistes- und Sittengeschichte Frankreiche, von Dr. Wilhelm
Scheffler, Privatdocent für französ. Sprache und Litteratur
am königl. Polytechnikum zu Dresden. Leipzig, Bernhard
Schlicke, 1883.
Das Werk erscheint in Lieferungen ä 1 Mk. 80 Pf.; im ganzen soll es
deren fünf umfassen. Wenn diese auch noch nicht sämtlich erscliienen
sind, so gestattet doch das bis jetzt Vorliegende bereits ein Urteil über die
Art und Weise, wie der Verf. seiner Aufgabe gegenübersteht, zu bilden.
Sein Zweck ist, der in Deutschland weit verbreiteten Ansicht entgegen-
zuti'eten, als hätten die Franzosen keine wahre Volkspoesie, als fehlte ihnen
die Tiefe des Gemüts, welche sich in den deutschen Volksliedern ausspricht
und welche allein es möglich gemacht hat, dafs in allen Gauen unseres
weiten Vaterlandes der Quell des Volksliedes so reich und tief fliefst. Um
diese Meinung zu berichtigen, hätte es genügt, wenn der Verf. aus den
reichhaltigen, bereits in Frankreich erschienenen Sammlungen von Volks-
liedern der verschiedenen Landesteile, die er in dem zweiten Abschnitte der
Einleitung, in dem „Überblick über die Geschichte der französischen Volks-
dichtung" in grofser Fülle anführt, seinerseits eine Blütenlese zusammen-
gestellt hätte.
Sein Zweck ist aber noch ein anderer. Was von französ. Litteratur in
Deutschland am meisten gekannt wird und die weiteste \ erbreitung findet,
sind Theaterslücke, Operetten, Komane und illustrierte Witzblätter von tief-
stehender moralischer Tendenz. Die Folge ist, dafs man sich bei uns daran
gewöhnt hat, diese Richtung als die in der französ. I.,itteratur überwiegende
anzusehen und „französisch" und „schlüpfrig" in litterarischen Sachen bei-
nahe für gleichbedeutend zu halten. Dieses Vorurteil will der Verf. be-
seitigen; er will zeigen, dafs das Volk in seinem Singen und Sagen von der
Verderbnis der Klassen, für welche die oben angedeuteten ßomane, Ope-
retten etc. berechnet sind, unberührt geblieben ist ; dafs es in seinem
Empfinden und in dem dichterischen Ausdruck desselben ebenso wahr und
einfach, ebenso unschuldig und kindlich-fröhlich oder, je nach den Umstän-
den, wehmütig, ja tieftraurig ist, wie bei uns und überall. Und diese Wir-
kung zu erzielen, scheint für den Verf. beinahe die Hauptsache gewesen zu
sein. Denn während die Anzahl der von ihm mitgeteilten Lieder im Ver-
hältnis zu dem Umfange des bereits Erschienenen nicht allzu grofs genannt
werden kann, wird er nicht müde, uns immer von neuem wieder aufmerksam
zu machen, wie schön, wie rein, wie natürlich die ausgeiirückten Empfin-
dungen sind. Es hätten zu den von ihm behandelten Kategorien „Erwachen
der Liebe, Liebeslust, Liebesleid" jedenfalls mehr Beispiele beigebracht
werden können, wenn er sich bei der Besprechung der einzelnen Lieder
weniger lange aufhielte. So widmet er einem einzigen Liede , dem von
den drei Holzfällern, von p. 55 an, welches noch dazu kein eigentliches
Volkslied ist, da es nur in der von George Sand verfafsten Bearbeitung
vorliegt, fünf volle Seiten, und bespricht es nach Form und Inhalt mit sehr
grofser Ausführlichkeit.
Es entspricht dem Zwecke, den der Verf. im Auge hat, dafs er fast
nur solche Lieder mitteilt, die in Rücksicht der Moral nichts zu wünschen
übrig lassen. Auch wo er in dem Abschnitt „Liebesleid" von den aus den
„Altfranzös. Romanzen und Pastorellen" sattsam bekannten Verführungs-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 433
liedern handeln niufs, wählt er mit A'orliebe solche, in denen die Tugend
siegt, in denen das Mädchen mit Gewalt (wie in einem bezeichnenderweise
aus der Gascügne stammenden Liede p. 138), oder mit List, oder durch die
Dazwischenkunft himmlischer Mächte seine Onschuld wahrt.
Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, dafs chjrch
diese Ausscheidung des entschieden ebenfalls volkstiindichen Elements des
Derbsinnlichen diese Darstellung der französ. Volksdichtung und Sage dem,
was der Titel als ihren eigenilithen Zweck bezeichnet, nicht ganz genau
entspricht. Wir bekommen nicht, wie der Verf. verspricht, ein Bild von
allem, was der Volksgeist überhaupt hervorgebracht hat, sondern eine Ten-
denzschrift zu gunsten der französ. Sittlichkeit, oder, um es genauer zu be-
zeichnen, eine Abhandlung zu dem Zwecke, die in Deutschland über die
Moralität des französ. Volkes herrschenden Ansichten zu berichtigen und zu
verbessern.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es gestattet, näher auf den
Inhalt des Buches einzugehen.
In dem ersten Teile der Einleitung, einer vergleichenden Charakteristik
französischer und deutscher Volksdichtung, spricht der Verf. zunächst von
der in Deutschland wie in Frankreich herrschenden Unbekanntschaft mit
der französischen Volksdichtung. In Deutschland erklärt sich dieselbe da-
durch, dafs zunächst auf der Schule, wo der Grund zu unserer Kenntnis der
französischen Sprache und Litteratur gelegt wird, der Mangel an Zeit es
verbietet, andere als die Meisterwerke der prosaischen und poetischen Rhe-
torik zu behandeln. Im späteren Leben aber hält man es dann auch nicht
mehr für der Älühe wert, sich nach den bescheidenen Blümchen umzusehen,
die im Schatten des Waldes, am Rande der Quelle, an Zäunen und Hecken
wachsen und gedeihen. Für den gebildeten Franzosen aber sind diese
Naturprodukte, diese Erzeugnisse urwüchsiger Phantasien, die keinen Wert
darauf legen, in den für unerläfslich angesehenen Schnürstiefeln der über-
konmienen Kunstdichtung einherzuschreiten, ein Greuel. „Mais cela n'est pas
rime," damit ist das Urteil über alles, was speciell „populaire" ist, ge-
sprochen. Es ist selbstverständlich, dafs es bei einer solchen Scheidung
zwischen Volk im engeren Sinne und Gebildeten zu einer gegenseitigen
geistigen Befruchtung, zu einem gegenseitigen Austausch von Gedanken
und Formen, wie er in Deutschland stattgefunden hiit, in Frankreich nicht
hat kommen können. In dem Bewufstsein nun, dafs auch die Volksdich-
tung des eigenen Landes Schätze berge, deren Hebung sich der Mühe ver-
lohne, ging man gegen Ende der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts daran,
zu sammeln, was von alten Volksliedern und Sprüchen noch im Munde des
Volkes, und namentlich der alten Leute, lebendig war. Und es war hohe
Zeit; denn mit dem Eindringen städtischer Gewohnheiten in alle Schichten
der Bevölkerung, mit dem Absterben der alten Sitten und Gebräuche, die
teilweise sogar behördlich unterdrückt wurden, verschwinden auch die alten
Lieder mehr und mehr. Klagt doch sogar ein Liebhaber der Volkspoesie,
Theuriet, in einem Jahrzehnt werde überhaupt nichts mehr davon vorhanden
sein. Die er.'^te bedeutende Sammlung, die allen folgenden die Bahn nicht
nur öfliiete, sondern auch vorzeichnete, war die von Villemarcpie 1840 unter
dem Titel Barzas-Breiz in zwei Bänden veröllentlichte. In ihr, die in fünf
Jahren vierzehn Auflagen erlebte, findet sich ausschliefslich die Bretagne
vertreten. Es folgten Sammlungen aus der Champagne, Provence, Dau-
phinde, Normandie, Auvergne, Gascogne, Isle-de-France u. s. w., kurz aus
allen Landesteilen Frankreichs. Dabei kommt es denn nicht selten vor,
dafs dasselbe Lied, gewöhnlich mit einigen Abänderungen,^ sich in zwei,
drei, bis fünf verschiedenen Sammlungen findet, was für die Feststellung des
ursprünglichen Textes mitunter von Wichtigkeit ist.
Nach dieser iahaltreichen Einleitung wendet sich der Verf. scmem
eigentlichen StotTe, den Liedern selbst zu.
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. 28
434 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Ausgebontl von der Beobachtung, dafs bei allen Völkern Dichtung und
Gesang zunächst dazu gedient haben und noch dienen, Gefühle der Liebe
auszusprechen, beginnt er mit denen, welche sich auf Liebeslust und Liebes-
leid beziehen. Von dem ersten Erwachen der zarten Kegungen an, welches
nach dem Liede: „Mon pere, nia mere, mariez-moi ; Moi, je le veux, Je le
veux, moi; Rlon pere, ma mere, mariez-moi, Moi, je le venx ce soir," ziem-
lich stürmisch zu sein scheint, gelangen wir zu Werbeliedern, darunter be-
sonders das oben erwähnte von den drei Holzfällern, zu Klageliedern der'
mehr als dreifsig Jahre alt gewordenen Jungfrauen, die in ihrer Jugend zu
wählerisch gewesen waren, und nun trotz feiner Hüte und Schuhe, trotz
seidener Kleider und etwas Bargeld keine Freier mehr finden, ferner zu
denen, welche die Verherrlichung treu ausharrender Liebe zum Gegenstande
haben, endlich zu Zank- und Streitliedern, welche wie die von S. 101 an
aufgeführten ganz den Charakter unserer Schnadahüpfel tragen. Den Ab-
schlufs bildet ein längeres Lied aus Bourbonnais, welches das neckische Ent-
eilen des Mädchens und das einigermafsen tölpelhafte Nachsetzen des jungen
Burschen besingt.
In dem zweiten Teile dieses Abschnittes, „Liebesleid", flnden sich die
schönsten und empfindungsvollsten der in dem bis jetzt Erschienenen mit-
geteilten Lieder, so namentlich eines aus deniEIsafs: „Tu m'aimais, Je sais
cela; Tu ne nvaimais plus, Je sais cela. Mais roubli, l'oubli, Je ne sais
pas encore cela!" welches an rührender Einfachheit die berühmte, vom Verf
aber nicht zur Vergleichung herangezogene Strophe Bertauts: „Felicite
passee, Qui ne peux revenir, Tourment de ma pensee, Que n'ai-je, en te
perdant, perdu le souvenir!" noch übertrifft. Hier finden sich denn auch,
wenn gleich in geringer Anzahl, die Verführungslieder, von denen oben be-
reits die Rede war, namentlich aber auch solche, in denen der verlassene
Liebhaber seinen festen Entschlufs ausspricht, das ihm angethane Herzeleid
im Trünke zu ertränken.
Es erübrigt, von dem zu sprechen, was sich im einzelnen an dem Buche
aussetzen läfst. Eigentümlichkeiten der Ausdrucksweise, wie das dreimal
wiederkehrende: „Es ist eigen zu sehen, wie" u. s. w., „ungeheuer viel",
„ein ungeheurer Fortschritt", „die französische Litteratur, wie der franzö-
sische Charakter überhaupt, zeigt immer etwas mehr Auftrag, als ihm in
Wirklichkeit eigen ist", lassen sich wohl auf eine gewisse Hast bei der Ab-
fassung zurückführen, die sich auch sonst wahrnehmen läfst. So giebt der
Verf. in den Fufsnoten das Wort „caille" auf p. lOG und p. 133, also
zweimal, mit „Schwalbe" wieder, an Stellen, wo eine Verwechselung durch
den Text selbst ganz ausgeschlossen sein sollte (p. 106: Alors je me fais
caille, Courant les bles ; p. 133: J'ai vu la caille Parmi la paille; J'ai vu
la caille Dans le ble). P. 122 wird „Jour de raa vie ne lui mesfis" über-
setzt mit: „mein Lebtag mifs traut' ich ihr nicht." „J'aure mieux Tautre
annee" auf derselben Seite wird mit: „ich wünschte, wir schrieben erst
nächstes Jahr" wiedergegeben, während der Sinn : „Nächstes Jahr wird mir's
besser gehen" auf der Hand liegt. In „Je la fus veoir l'aultre sepmaine"
wird bemerkt: „Je la fus veoir ich sah sie; dem Volke sind Umschreibungen
eigentümlich, vergl. deutsch: ich thät arbeiten." „La serpette" wird, wenn
damit eine Rose geschnitten werden soll, nicht ein „^Vinzermesser", sondern
ein Gartenmesser bezeichnen. Was p. 50 mit „lien d'ozier" gemeint sei,
bekennt der Verf. durch die Note : lien d'ozier — Fragezeichen, nicht zu wissen.
Da auf den Einwand der Mutter: „Ma fiUe, nous n'avons pas d'anneau"
von dem heiratslustigen Mädchen, das ä tout prix noch ce soir einen Mann
haben will, erwidert wird „Mon Dieu, nn anneau; Helas! pauvre anneau,
Mariez-moi avec un lien d'ozier", so lag die Bedeutung „Band von Weide"
nahe genug. Eine kleine Änderung im Texte hätte ein ähnliches Frage-
zeichen auf p. 137 ersparen können. Es heifst da in der Zurückweisung
des verführerischen Ansinnens eines Chevalier: Je n'ai pas le cueur si
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 435
volaige, Quil vous semble, par mon serment, Car j'ai mon pastoreau lout
quis etc. Man lese: Car j'aim' mon pastoreau tous dis. — Der Hirt lockt
mit seinen weitbin ballenden Tönen die verirrten Lämmer im Gebirge wie
in der Ebene nicbt zur „Erde" (p. 135), sondern zur Hürde zurück, und
was dergleicben Kleinigkeiten raebr sind.
Bedenklicher als diese Flücbtigkeiten scheint das ganze System von
Fufsnoten, die der Verf. den mitgeteilten Liedern beigefügt hat. Man weifs
nicht recht, für wen sie bestimmt sind. Wenn der \'erf. glaubt, seinem
Publikum „je ne saurais" mit „ich kann nirbt", „brauche" mit „Zweig",
„rossignol" mit „Nachtigall" etc. verdeutschen zu müssen, so hätte er diese
Armen doch nicht durch Übersetzungen, Avie p. 61 : „Je les garde ä ma
maitresse Qui file en m'attendant" : „Mit Verlaub, hohe Frau, sie blühen
für mein Lieb, das seufzend meiner gedenkt" irre leiten sollen. Statt
dafs zu aulne die ganz beziehungslose Anmerkung gemacht wurde, p. 132:
„aulne Erle, vergl. Roi des Aunes", konnte bei dem Verse: A la claire fon-
taine Les mains me suis lave (sie!). A la feuille du ebene Me les suis
essuyees. Sur la plus haute brauche Le rossignol chantait an die Chanson
von Marlbrougb s'en va-t-en guerre erinnert werden.
Fielen diese Anmerkungen weg, so würde das Buch, das sich doch an
einen Kreis von gebildeten Lesern wendet und bei seiner Übersichtlichkeit,
dem angenehmen, fliefsenden Ton der Darstellung und der höchst anerken-
nenswerten und vortrefl'licb durchgeführten Tendenz, das deutsche Publikum
mit einer bisher gänzlich vernachlässigten Seite des französischen Volks-
charakters bekannt zu machen, einen solchen in hohem Grade verdient, ent-
schieden nur gewinnen.
Deutsch-Französisches Phraseologisches Wörterbuch von Adolf
Holtermann, Dr. phil. Dortmund 1882. VIIl u. 336 p.
Tn der französischen wie in der deutschen Sprache findet .«sich, nament-
lich in volkstümlicher Ausdrucksweise, die stark ausgesprochene Neigung,
Beziehungen abstrakter Natur durch konkrete Bilder auszudrücken, die auf
der Beobachtung natürlicher Vorgänge oder auf der Erfahrung des täglichen
Lebens beruhend dem einzelnen \'olke gerade so eigentümlich und für das-
selbe charakteristisch sind wie seine Sprichwörter, ja die oft geradezu als
Sprichwörter angesehen werden können. Die Verschiedenheit der Betrach-
tungsweise in den beiden Sprachen bringt es mit sich, dafs vielfach für das
in der einen von beiden gültige und allgemein verständliche Bild in der
anderen ein ganz abweichendes eingesetzt wird, sowie dafs die eine vielleicht
gar keinen bildlichen Ausdruck für eine Vorstellung kennt, wo der anderen
einer oder mehrere solche zu Gebote stehen. In dem vorliegenden Buche
nun findet sich eine aufserordentlicbe Menge dieser volkstümlichen Ausdrücke
zusammengestellt, und zwar in der Weise angeordnet, dafs das in der
jeweiligen deutschen Redensart den Hauptbestandteil bildende Wort als
Kopf an der Spitze des bezüglichen Artikels steht; der Artikel^ selbst be-
steht aus französischen Redewendungen, die den mit dem als Kopf voran-
gestellten Worte gebildeten deutschen entsprechen. Die Kopfwörter, inn
sie kurz zu bezeichnen, sind alphabetisch geordnet. In den meisten Fällen
läfst der Verf. die mitgeteilten französischen Redensarten ohne Ubersetzimg;
wo der deutsche Ausdruck weiter abliegt, oder nicht als allgemein bekannt
angenommen werden kann, fügt er ihn vollständig oder andeutungsweise hei.
Doch verfährt er dabei, wie sich das auch wohl kaum vermeiden liefs, nicht
ganz oleicbmäfsig. Denn während er zu leicht verständlichen Ausdiiicken
die Übersetzung giebt, wie zu „appeler un chat un chat" unter „Namen"
(die Dinge beim- rechten N. nennen); zu „mettre a la purte" unter „Aus"
(^zur Thür hinauswerfen) ; zu „lettre de döprdcation" unter „Abbitte" (scbrift-
28*
436 Beurteilungen und kurze Anzeigen
liehe Abbitte) u. s. w., läfst er andere unübersetzt, deren deutscher Reprä-
sentant weniger leicht zu finden ist, wie bei „C'est irrevocable" nnter „Ab-
beilsen", wo wohl nicht jeder ohne weiteres an „Davon beifst die Maus
keinen Faden ab" denkt, ebenso wenig wie bei „Donner un ojuf pour avoir
un bceuf" unter „Wurst" an „Die Wurst nach der Speckseite werfen". Doch
würde es zu weit führen, wenn alle Redensarten aufgeführt werden sollten,
bei denen die deutsche Ausdrucksweise fehlen oder hinzugefügt sein könnte.
Auch läfst sich in dieser Hinsicht gar keine bestimmte Grenze ziehen, da
das einem jeden von deutschen Redensarten Bekannte ein ganz schwanken-
des und je nach der Provinz, aus der er stammt, der Erziehung und dem
Umgange wechselnder Begriff ist. Bezüglich der französischen Redensarten
indessen, so zahlreich sie auch sind, wäre immerhin noch gröfsere Vollzäh-
ligkeit zu wünschen. So finden wir unter „Hose" nur: „C'est eile qui porte
la culotte" und „Son courage l'a abandonne"; andere, wie „C'est vert chou
et chou vert", oder „C'est bonnet blanc et blanc bonnet" fehlen; ebenso
unter „AVind" oder „Mantel": II est du bois dont on fait les flütes" u. s. w.
Andere Redensarten würden leichter verständlich sein, wenn sie unter einem
anderen Kopfworte stünden, wie: „C'est un homme sans pudeur", hierunter
„Abbeifsen", gehörte eher zu „Abbrühen", das nicht vorhanden ist; „Pro-
mettre et tenir sont deux" steht unter „Ander, anders, ändern", während
unter „Zweierlei" das entsprechende „Dire et faire sont deux" aufgeführt
ist. Manche Wendungen zeichnen sich durch überraschende Trivialität aus,
wie „Aller taire un tour dans l'autre monde" unter „Abfahren", oder „Etre
ä sec" unter „Abbrennen". Bei anderen liegen Fel)ler des deutschen oder
des französischen Ausdrucks vor, wie in „Payer q. sans deduction" unter
„Abbruch" (es würde unter „Abzug*^ gehören), und ebendaselbst „Payer q.
sans rabais," was wohl kaum so heifsen kann, da rabais = Rabatt der
Nutzen ist, den der Verkäufer dem Käufer gewährt.
Bei der grofsen Menge der angeführten Redensarten laufen denn auch
hier und da grammatische Ungenauigkeiten unter, wie bei „Abängsten":
„Etre en proie de l'anxiöte" statt: ii l'anxiete ; bei „Abbitte, abbitten":
„Faire ses exeuses ä q. pour qch." statt: de qch. Druckfehler, wie „Romper
un pont" statt: rompre, „Je demettre d'un emploi" statt: Se demettre; „II
est en löge lä" (davon lufst er sich nicht abbringen) statt: 11 en est löge
lä, lassen sich mit Leichtigkeit verbessern. Bedenklicher, wegen des bösen
Beispiels, ist unter „Abgabe" die Silbenteilung: „Veu-illez faire remettre
l'incluse ä son adresse" statt: veuil-lez.
Derartige kleine A'ersehen können indessen dem Werte des Buches
selbst keinen Abbruch thun, der darin besteht, dafs es gerade die volks-
tümlichen Redensarten, die von den gewöhnlich zur Lektüre dienenden
Schriftstellern entweder gar nicht oder höchst selten gebraucht weiden, in
grofser Menge zusammenträgt und somit auch denen vermittelt, die für ihre
Kenntnis der französischen Phraseologie auf eben jene Schriftsteller ange-
wiesen sind. Dr. Fritz Bischoff.
Friedrich Müller, Grundrifs der Sprachwissenschaft ; II. Band :
Die Sprachen der schlichthaarigen Rassen; I. Abteilung:
Die Sprachen der australischen, der hyperboreischen und
der amerikanischen Rasse. Wien 1882. X und 440 S.
Vergl. dies Archiv LIX, S. 457—459.
Friedrich Müllers schönes Werk, was der Adelung-\'aterschc Mithridates
seiner Zeit bot, jetzigen vermehrten und erhöhten Ansprüchen genügend
neu hinzustellen, rückt kräftig vor. Dem im ersten Bande vorgelegten und
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 437
in einem Anfiinge schon ausgeführten Plane entsprechend wird von den auf
niedrigster Bildungsstufe stehenden Sprachen zu den voHkommncren hin vor-
geschritten, und folgen auf die Sprachen der wollhaarigen Rassen, welche
des ersten Bandes zweite Abteilung behandelte, nun jene der si.'hlichthaarigen
Rassen. Der Inhalt vorliegender erster Abteilung des zweiten Bandes zer-
fällt, wie schon der Titel andeutet, in drei Abschnitte. Die Sprachen der
australischen Rasse, auf S. l — 98, werden in zehn Kapiteln — die Sprache
von Lake Macquarie, die Wiradurei-, die Kaniilarol-, die Turrubul-, die Dippil-
Sprache, die Sprache von Encounter-Bay, von Adelaide, die Parnkalla-Sprache.
die Sprache von West-Australien und die von Tasmanien — vorgeführt, und
stehen am Anfang und zum Schlufs noch das Ganze überschauende Be-
trachtungen. Die behandelten (soeben genannten) Sprachen gehören nament-
lich dem südlichen Teile des Kontinents an und gehören trotz starker Ab-
weichungen im Wortschatze eng untereinander zusammen. Hierzu drängt die
Übereinstimmung der Fronominalelemente, in Zahlenausdrücken und in
Wortbiidungselementen. Der Verf. schliefst hieraus auf eine Grundsprache
dieser Familie, „in welcher blofs die Keime für die notdürftigsten subjektiven
Anschauungen (der Person, des Raumes, der Zeit, der Zahl u. s. w.) vor-
handen waren". Ursprünglich also lauter Formwurzeln (v/ie ich mir die
Entstehung der Sprachen immer nur habe vorstellen können), ganz umge-
kehrt als das Chinesische, welches sich (vergl. dies Archiv LIX, S. 458)
nur mit Stoffwurzeln behilft, das Formale (Subjektive) durch Wortstellung
giebt. Einen Zusammenhang dieser Sprachen mit den dravidischen leugnet
der Verf. mit Entschiedenheit, weil die Vergleichungen, welche man ange-
stellt hat, auch mit noch anderen Sprachen geltend zu machen wären, und
weil gerade die räumlich den dravidischen Sprachen näher liegenden austra-
lischen sich am meisten von ihnen entfernen, und die östlichen australischen
Sprachen das an die Dravidasprachen Mahnende selbständig erzeugt haben,
so dafs ein tieferer Zusammenhang aller australischen Sprachen mit jenen
nicht anzunehmen ist. In dem zweiten der grofsen Abschnitte (S. 99 — ISO),
von den hyperboreischen Sprachen, werden in sechs Kapiteln behandelt die
der Jenissei-Ostjaken und der Kotten, die der Jukagiren, die der Tschuk-
tschen, die der Ainu, die der Aleuten und die der Innuit oder Eskimo. Die
Sprachen der Jenissei-Ostjaken und der Kotten sowie auch die der Aleuteu
haben manches an das uralische Sprachgeschlecht Erinnernde, doch fehlt
ihnen allen die \'okalharmonie; jene ersteren sind wesentlich nominal an-
gelegt, während die letztgenannte sich im Verbum „in mancher Hinsicht
mit dem reich entwickelten Türkischen messen kann". Die Sprache der
Eskimo geht darin noch über jene ersteren beiden hinaus, dafs ihr das
Verbum nichts ist als „ein mit Possessivelementen bekleideter Nominalaus-
druck". Sie ist auch insofern anziehend, als z. B. 1000 Jahre und darüber
von den Grönländern getrennt wohnende Eskimo in Labrador fast noch die-
selbe Sprache als jene haben. Das Grönländische und die im äufsersten
Westen Nordamerikas heimische Kadjak-Sprache stehen sich ganz nahe und
wenien hier häufig in Formen nebeneinander gestellt. Den grofsen hiernach
noch übrig bleibenden Raum des Buches nimmt der dritte Abschnitt, die
Behandlung der amerikanischen Sprachen, ein. In 36 Kapiteln wird eine
grofse Zahl derselben mehr oder weniger ausführlich beschrieben, und ein
Anhang bringt noch „Die Zahlenausdrücke in den Sprachen von neunund-
zwanzig Stämmen oder Völkern, die in der vorhergehenden Darstellung
nicht behandelt worden sind". Die Sprachen der „amerikanischen Hasse"
gehen nun freilich sehr auseinander, so dafs sich wenig diese ganze Gruppe
Betreffendes sagen liefs und der Verfasser seine den allgemeinen Charakter
dieser Sprachen betreffende Einleitung auf drei Seiten beschränken inufste
und einen Rückblick zu thun ganz unterliefs. Den meisten amerikanischen
Sprachen ist Verbales und Nominales so sehr einerlei, dafs z. B. in den
Algonkin-Sprachen mit dem Suffi.x ban nicht nur ein Imperfektum, sondern
438 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
auch AuS'lrücke wie „mein verstorbener Vater" hergestellt werden. Sub-
jektiv- und rossossivpronomina sind den meisten ein und dieselben. Wenigstens
die meisten amerikanischen Sprachen ferner haben die Eigentümlichkeit, das
Ohjekt in den N'erbalkörper aufnehmen zu können und in einem einzigen
Worte einen ganzen Satz zu geben. Die Chiquitos in Südamerika haben
gar keinen Sinn für Zahlen und stehen so hinter den niedrigsten Australiern
und den Buschmännern. Vigesimalsystem ist vornehmlich in Centralamerika,
sonst dekadische Zählung zu finden. An Versuchungen übrigens, Zusammen-
hang mit diesen ganz fernen, uns näher stehenden Sprachen zu erkennen,
fehlt es auch hier nicht. Wie nahe liegt es, bei jenem Imperfektsuffix bau
der Algonkin-Sprache an das bam der lateinischen Imperfekta zu denken.
Wie stark ist wiederum die Versuchung, in der Deklination der Inkasprache
an die magyarische zu denken: Akkusativzeichen im Ketschua ta (im Aimaza
fehlt es) und im Ungarischen t; Zeichen des Genitivs und des Dativs im
Ketschua pa, pak, im Aimara na, taki und im Ungarischen nak, bezw.
nek, für beides. Das Litterarische, die Sprachproben zu Ende der einzelnen
Kapitel, ist in diesem ganzen ersten Teile des zweiten Bandes bedeutend
spärlicher vertreten als in der zweiten Abteilung des ersten Bandes.
Fr. Müller, Grundrifs der Sprachwissenschaft; II. Band: Die
Sprachen der schlichthaarigen Rassen; IL Abteilung: Die
Sprachen der malayischen und der hochasiatischen (mongo-
lischen) Rasse. Wien 1882. X und 416 S.
Ohne AVidmung hat Fr. Müller die erste Abteilung des ersten Bandes
verößentlicht ; die zweite ist Dr. Reinhold Rost in London, die erste des
zweiten Bandes dem Andenken Wilhelm von Humboldts, diese vorliegende
zweite Abteilung des zweiten Bandes dem Andenken M. A. Castrens und
H. C. von der Gabelentz' gewidmet; daneben spricht es aber die Vorrede
noch aus, dafs der Verfasser unter den Lebenden hier viel verdanke
J. Budenz und dessen Magyar-Ugor összch.asonlitd szötär, Budapest 1873
bis 1881, und 0. Böhtlingk, dessen Werk: Über die Sprache der Jakuten,
St. Petersburg 1851, und zwar weitaus das meiste, was sich auf die Ver-
gleichung der uralischen und der altaischen Sprachen bezieht. Der reiche,
weite Inhalt ist in nur zwei grofse Abschnitte zerlegt. Der erstere: „Die
Sprachen der malayischen Rasse", zerfällt in die drei Kapitel: Die poly-
nesischen, die melanesischen, die malayischen Sprachen. Der zweite, „Die
Sprachen der hochasiatischen (mongolischen) Rasse", in zwei Unterabteilun-
gen; die erstere, „Die polysyllabischen Sprachen", hat die fünf Kapitel:
die Sprache der Samojeden, die Sprachen der uralischen Völker, die Sprachen
der altaischen Völker, die Spraclie der Japaner, die Sprache der Koreaner;
die zweite, „Die monosyllabischen Sprachen", hat die sechs Kapitel: die
Sprache der Tübeten, der Barmanen, der Siamesen, der Khasia, der Anna-
miten, der Chinesen. Der erstere der beiden grofsen Abschnitte, sieht man,
liängt geographisch mehr mit dem Anfange der ersten Abteilung dieses
Bandes zusammen als mit dem was folgt. Dementsprechend erklärt sich
der Verf zum Schlüsse desselben nach seinen Forschungen folgendermafsen
über die Stämme des fünften Weltteils und der Inseln des Indischen Archi-
pels. Erstens Australneger und Tasmanier. Zweitens Papuas (hierher neben
Neu-Guinea der Luisiaden-Archipel, Neu-Caledonien, Loyalitäts-Inseln —
diese und das Vorhergehende zog v. d. Gabelentz zu den melanesischen
Sprachen — , ferner die Negritos, Andomanen, Nicobaren), welche nicht
monoglottisch sind. Die Stellung des New-Britannia-Arcbipels ist noch un-
bekannt. Drittens Malayo-Polynesier, deren erste Abteilung die östlichste;
die Melanesier sind eine Vermischung mit den kraushaarigen Papuas, sind
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 439
jiinger als die citte Abteilung. Die Malayen im Westen der Palaos-Inseln,
die von Melanesiern, und Neu-Guineas, das von Pa[)uas bewohnt ist, müssen
sich im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis nach Mada^^askar ver-
breitet haben. Es bildet also der nialayo-polyuesische Sprachstaram eine
Stufenleiter fortschreitender Sprachentwickelung, auf deren unterster Stufe
die polvnesischen Partikel Sprachen stehen, deren höchste Entwickelun" die
auf umfassender Anwendung der Suffix- und Präfix- Bildung beruhc^ideu
malayischen Sprachen darstellen. Die Grundwörter dieser Sprachen sind
zweisilbig; ausnahmsweise vorkommende einsilbige scheinen durch Verkür-
zung zu erklären. Aus die.-en Grundwörtern bilden sich die Formen durch
^Viederholung und Reduplikation, durch Zusammensetzung und durch Prä-
figierung und Suffigierung „bestimmter Elemente-'. So wird z. B. das
Passivum in den polynesischen Sprachen durch Anfügung eines fia (man
inufs unwillkürlich an lateinisches fieri dabei ilenken), hia, kia und ähnliches
.gebildet: sila sehen, Pass. silaßa im Samoa; hinaaro lieben, Pass. hinaarohia.
Durch Vorsetzung eines faka, faa, haa und iihnl. (man mufs unwillkürlich
an lat facere, ital. fare denken) wird das Kausativ gebildet: ola leben,
faaola leben machen, erretten, heilen im Samoa; kite sehen, wakakite sehen
lassen, zeigen, im Maori; mate sterben, tot sein (arabischer Herkunft?),
haamate töten, im Tahiti. An Litteraturproben, zum Teil ganz originalen,
ist dieser ganze Abschnitt reich.
Die erste Hälfte der im zweiten Abschnitte behandelten Sprachen, die
polysyllabischen Sprachen der hochasiatischen oder mongolischen Rasse, o-e-
hören sämtlich zu den agglutinierenden Suffix-Sprachen und haben ei'-'en-
tümlich die sogenannte Vokalharmonie. Der niit dem Ungarischen oder
Türkischen Bekannte hat hier die Freude, eine Übersicht der ganzen grofsen
Verwandtschaft zu bekommen. Zu der Vokalharmonie, der Eigentümlich-
keit, Suffixe mit den Stammvokalen entsprechenden Vokalen anzusetzen,
habe ich schon einmal bemerkt, dafs sie wenigstens hin und wider sich auch
in indogermanischen Sprachen wahrnehmen läfst : rumänisch pomu oder pom
Apfel mit Artikel pomulu oder pomul, aber verme Wurm mit Artikel ver-
mele; ist dies nicht derselbe Fall, als wenn türkisch djän (spr. wie ital. giä
zu Anfang), Seele, im Plural djänlar, aber er. Mann, im Plural erler hat,
als wenn magyarisch värnak sie warten, kernek sie bitten, heifst? Erinnert
es nicht auch sehr an dieselbe, wenn lateinische Adjektiva mit einem i in
der vorletzten Silbe mit grofser Vorliebe auf is (lis, bis) ausgehen? Ein
schönes deutliches Bild wird besonders von den uralischen Sprachen (Fin-
nisch, Mordwinisch, Magyarisch) entworfen. Im Magyarischen hat mir
Vergnügen gemacht die Benutzung von Remeles Grammatik und mancher
Versuch, jede Silbe zu erklären (z. B. meg-kerdezni, ausfragen, meg-tudni,
dazu-wissen, doch taläl-tatik, sich findet, sollte heifsen finden macht, gefunden
wird, veszek ist nicht kaufte, sondern kaufe ich, akarok nicht wollte ich,
sondern will ich). Von den altaischen Sprachen stehen Mandzu und Mon-
golisch noch auf der Stufe der Isolierung; auf der zweiten Stufe aber, näm-
lich jener der Agglutination, „die in ihrer höchsten Entwickelung beinahe der
echten Flexion gleichkouiinl", Tungusisch, Burjatisch, Jakutisch, Türkisch.
Die japanische Sprache hat keine Vokalharmonie, steht übrigens etwa aid"
einer Stufe mit dem Mandzu und di-m Mongolischen. Den Plural bildet
man durch Wiederholung: kuni, Land, kuni-guni, Länder; jedes Zahlwort
bekommt, wenn es für sich stehen soll, die Silbe tsu d. i. „Stück Biunbus"
angehängt Das Japanische und auch das Koreanische hat eine zicndich
reiche Deklination, aber wenig Konjugation. Im Tübetischen ist Noujcn
und Verbum eins; Subjekt und Objekt weifs man nicht zu scheiden.
Diese ganze zweite Abteilung des zweiten Bandes ist reich an Litteratur-
proben, insbesondere sind die chinesischen Sprichwörter (aus v. d. Gabelcntz'
Chinesischer Grammatik) zum Schlüsse derselben recht anziehend.
440 BeiirLeilungeu mul kurzo Anzeigen.
Fr. Müller, Gruiulrifö der Sprachwisseuschaft; III. Baud: Die
Sprachen der lockenhaarigen Rassen; I. Abteilung: Die
Sprachen der Nuba- und der Dravida-Rasse. Wien 1884.
X und 246 S.
Mit Freuden begriifst man des weltumfassenden Müllerschcn Sprach-
werkes dritten Band in seiner ersten Abteilung und glaubt nun in die Be-
handlung der eigentlichen Kulturvölker einzutreten. Aber weit gefehlt: „die
Sprachen, deren Bearbeitung ich in dem vorliegenden Bande dem gen. Leser
vorführe," sagt die Vorrede, „wurden erst in der neuesten Zeit durch die Be-
mühungen einiger Missionäre und Sprachforscher uns zugänglich gemacht;
alles das, was zu Beginn dieses Jahrhunderts die Verfasser des Mithridates
von ihnen wufsten, ist sehr unbedeutend und kaum der Erwähnung wert."
Sie ist des Verfassers Hauptgläubiger auf diesem Gebiete, Robert N. Cust
in London gewidmet, diese Abteilung. Der Inhalt zerfällt in zwei Ab-
schnitte ; der erste behandelt die Sprachen der Nuba-Rasse, nämlich die der
Frd-be, der Nuba, der Kunama, der Barea, der S-umale (T-umale), der
Il-Oigob, der Sandeh (Nyam-nyam); der zweite die Sprachen der Dravida-
Rasse, nämlich die der Kolh-(Vindhya-)Stämme, der Sinhalesen und der
Dravidavölker. Eine eigentümliche Erscheinung bietet die Sprache der
Ffd-be, nämlich den Plural beim Nomen und beim Verbum in gewissen
Fällen durch Änderung des Anfangskonsonanten zu bilden. So kado, Sklave,
im Plural habe, kordo, Kebsweib, im PI. horde, gorko, Mann, im PI. worbe,
wuddu, Bauch, im PI. guddi. Dasselbe, mag der Verf. recht haben, mag
sich schwerlich anderwärts finden. Aber sehr Ähnliches weisen denn doch
einige Sprachen der wollhaarigen Rassen auf Man vergl. des Verfassers
Werk T, 2, 132, 138. Im Odschi hat man kuku, Topf, im Plural inkuku,
dua, Baum, im PI. n-nua, also eine Nasalierung des Anfangskonsonanten.
In der Efik-Sprache ete, Vater, im Plural m-ete, ofu, Sklave, im PI. n-fu.
Wichtiger und mehr noch der Hervorhebung wert wäre freilich in der Sprache
der Fül-be und ihr wohl ganz eigentümlich, dafs die Umbildung des An-
fangskonsonanten recht oft auch die zweite Silbe des Wortes betrifft. Man
vergleiche jenes „Mann" bedeutende Wort oder auch höru, Knie, im PI. köbi,
yodo, jemand, im PI. wöfe: doch ist dergleichen (auch in dritter, ja selbst
in vierter Silbe hat man solche Erscheinungen) nicht eine wirkliche Um-
bildung des blofsen Konsonanten, sondern gewifs ein Sichaufdrängen eines
Pluralsnffixes, einer Pronominalpluralform, da die Sprache auch solche
Pluralbildungen sehr wohl kennt, als hfiwo, Arbeiter, im PI. hfiwobe, put.su,
Pferd, im Pl. put.sundi. Die Sprache der Nuba, welche in drei Dialekte
zerfällt, nämlich den Kenus-, Mahas- und Dongola-Dialekt, ist wesentlich vom
Mahas-Dialekte aus, im Anschlüsse an L. Reinisch und R. Lepsius, be-
leuchtet. Das Nubische hat eigentümlich gewisse, die Frage bedeutende
Suffixe, nämlich e, ä, i, welche der Verf. durch „ob?" übersetzt. Ahnlich
besitzt die Sprache der Kunama ein anzuhängendes be (auch jbe und ebe),
welches, denk ich, doch sonderbar an lateinisches ne und auch an ungari-
sches e (z. B. ugy-e d. i. so denn? nicht wahr?) erinnert. Was dieses be
sein mag, darüber äufsert der Verf. keine Meinung. Beachtenswert ist, dafs
in beiden Sprachen, im Nubischen und im Kunama, diese Suffixe sich nur
an X'erbalformen fügen, während jene von mir verglichenen Formen sich
überall anhängen können. Das ungarische dürfte wohl ein „jenes?" sein,
das lateinische aber wohl trotz der Kürze ein „nicht?" Vergleichbar diesem
letzteren wäre die Art, in welcher die jetzige persische Sprache, welche
doch nicht einmal ein Fragezeichen zwischen die Schrift zu setzen besitzt,
wenn sie es für nötig hält, die Frage anzudeuten : man fügt nämlich zum
Schlüsse ein ja näh, „oder nicht" hinzu. Wenn die Sprache der Barea die
Pluralsuffixe ta, ka, a hat und für die Auswahl auf die Beschaffenheit des
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 441
Schlufslautes der zu verlängernden Form achtet, vergl. bo, Schildkröte,
bota; fe, Maus, feta; haboi, Affe, haboita; dzel, Straus, dzelka; ten, Koch-
topf, tenka; kafer, Korb (ist doch unserem — vergl. Kober — und dem
lateinischen Worte sehr ähnlich); deregem, Löwe, deregemka; ku, Mensch,
kua; tarbi, Wurzel, terba — freilich auch ker. Dorn, kera: so ist dies Ver-
fahren doch auch einigermafsen mit dem Gesetze der uralisch-altaischen
Vokalharmonie verwandt, indem ja in beiden Fällen das Nachfolgende sich
nach dem Vorhergehenden richten mufs. Die Sprache der Sumale hat als
Pluralzeichen die Präfixe s, h oder y, welche nach L. Tutschek ganz gleich-
bedeutend sind. „So lautet," sagt unser Verf.. „der Name des Volkes im
Singular Umale, im Plural S-umale, H-umale oder Y-umak" — von T-umale
verlautet hier nichts. In eben dieser Sprache erinnert recht an das latei-
nische Anhängepronomen ce (hice illunc) ein ebenso angehängtes ki: rc ki,
dieser da, ri ki, jener dort. Die Sprache der II Oigob ist mit jener der
Bari, wie Lepsius in seiner nubischen Grammatik bemerkt, nicht wenig ver-
wandt, und geht unser Verf. auch hierauf ein. Er löst diese wimderlichc
Verwandtschaft dieses Volkes mit jenem Negerstamm (vergl. seinen Grund-
rifs I, 2) so, dafs er in letzterem ein Mischvolk aus Dinkanegern und Oigob-
volke annimmt. Im zweiten Abschnitte des zweiten, „Die Sprachen der
Dravida-Rasse" betitelten Hanptteiles wird, wie oben erwähnt, das Sinha-
lesische behandelt. Doch soll trotzdem dieses nicht zu den Dravidasprachen
gehören, sondern für sich stehen, wenn auch ethnographisch dies Volk zur
Dravida-Rasse zu stellen sei : eine allerdings nicht ganz leicht fafsbare Ansicht.
Aufserst anziehend ist, dafs die Dravida-Spracben im engeren Sinne eine
nur etwas weniger ausgedehnte Vokalharmonie als die uralischen, altaischen
und samojedischen Sprachen, aber in umgekehrter Wirkung haben, nämlich
das Suffix wird nicht wie in jenen beeinflufst, sondern dasselbe wirkt auf
die vorhergehenden Silben : vergl. (Telugu) katti, Messer, Plural kattu-lu,
puli, Tiger, PI. pulu-lu, manisi, Mensch, PI. manusu-lu, kalugu-du-nu, ich
bin im stände, werde im stände sein, kaligi-t-ini, ich bin im stände gewesen.
VürtreHIich ; nur begreife ich nicht, wie der Verf. dies einen progressiven
Assimilationsprocess, jenen (z. B. des Magyarischen) einen retrograden
nennen kann und nicht umgekehrt; denn wenn (wie im Magyarischen) eine
Silbe bewirkt, dafs die in der Zeit ihr nachfolgende sich so und so ein-
richtet, dann ist das doch fortschreitend: wenn aber, wie hier, das Zukünf-
tige auf das Gegenwärtige oder der Gegenwart näher Liegende wirkt, so ist
das doch rückwirkend. Übrigens ist dieses Befolgen des Virgilischen Omnia
praBcepi atque auimo mecum ante peregi bekanntlich in den romanischen
Sprachen nicht selten: denaro danaro, mirabilia, meraviglia maraviglia. Ganz
wunderbar und der Erwähnung wert ist die Übereinstimmung der Deklination
von einer dieser Sprachen mit der ungarischen. Das Brahui hat im Nomi-
nativ /al, Stein, im Nom. PI. /aläk, urä, Haus, Nom. PI. uräk, Acc. PI.
;ijaläte, uräte. Reichtum und Ausbildung des Verbums ist hier erstaunlich.
Carlo Melori, Alphabetische Separatzusammenstellung sämtlicher
imregelmäfsigen Zeitwörter der italienischen Sprache mit
Hindeutung auf die unregelmäfsigen Formen nebst den von
denselben abgeleiteten Haupt- und Beiwörtern. Dazu ein
Anhang etlicher echt lateinischen (so), in die italienische
Sprache übergegangenen, doch jetzt meist veralteten Zeit-
wörter. München 1883. VIII und 128 S.
Carlo Melori, Professor der italienischen Sprache in München, hat sich
die Aufgabe gestellt, die unregelmäfsigen italienischen Zeitwörter, die wich-
tigen Formen derselben, die Bedeutungen, die Komposita, die von ihnen
442 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
herkommenden Nomina und Adverbia in einem besonderen Büehelcben zu-
sammengebracht zu geben. Die Aufgabe ist, wie man sieht, halb gram-
matischer, halb lexikalischer Art. Ohne Zweifel kann das Schriftchen den
Lernenden angenehm anregen, hier und da auch den Verl'asser eines Wörter-
buches fördern. Nicht freilich den einer Grammatik, denn dieser Teil läfst
viel zu wünschen. Man sehe z. B. dare (1 do, dai, 3 diedi desti, 11 dato)
— die Ziffern bedeuten Präsens, Perfektum, Participium prajsentis — so
fehlt uns da, Nebenform des Perfekts detti, Coni, Impf, dessi, von poetischen
und altertümlichen Formen, die hier überhaupt nicht berücksichtigt werden,
zu schweigen. Wir können deshalb in das Exegi nionumentum asre peren-
nius, welches der Verf. im Vorwort anstimmt, nicht mit einstimmen. Es
kann nicht fehlen, dafs oft auch eine wichtige Bedeutung zu einem Worte
nicht angeführt wird, und dafs auch das Wörterbuch durch diese Schrift
keineswegs unentbehrlich wird. So fehlt zu scriva, Schreiber, Abschreiber,
die in der Bibel, dem Neuen Testamente, häufige Verwendung für „Schrift-
gelehrter".
Germanischer Bücherschatz, herausgegeben von Alfred Holder,
Cornelii Taciti De origine et situ Germanorum liber edidit
Alfred Holder. Freiburg i. B. und Tübingen 1882. 22 S.
Germanischer Bücherschatz, hrsgb. von Alfred Holder,
Einhardi Vita Karoli Imperatoris edidit Alfred Holder.
Freiburg i. B. und Tübingen 1882. 33 S. Germanischer
Bücherschatz, hrsgb. von Alfred Holder. Jordanis De ori-
gine actibusque Getarum edidit Alfred Holder. Freiburg i. B.
und Tübingen 1882. 83 S.
Der Germanische Bücherschatz von Holder umfafst auch lateinische
Schriftsteller über Germanien. Wird mit der Germania des Tacitus die
Reihe eröffnet, so war es wohl mehr darauf abgesehen, einen würdigen
Anfang zu haben, so etwas Bedeutendes hier nicht zu entbehren, als dafs
ein sonderliches Bedürfnis vorgelegen hätte. Eher kann man dies wohl von
Einhards und von Jordanes Büchern sagen, und mancher wird mit Ver-
gnügen zu den hübschen, leicht erwerbbaren Ausgaben greifen. Zumal aber
.solche Schriften wohl wesentlich für mehr oder weniger selbst Denkende,
Prüfende und Forschende sind, vermerkt man es gewifs allgemein sehr übel,
dafs hier gar nichts von Nachrichten über die Art geboten wird, wie der
Text überliefert, woher der vorliegende genommen ist, wie sich der Heraus-
geber in den wichtigsten Fällen verhalten und entschieden hat. Sehr
empfehlenswert für die weiteren ähnlichen Bände dieser Sammlung scheint
es uns ferner, dafs von dem betreffenden Autor einige litterarische Nach-
richten, wann er gelebt u. s. w., und namentlich noch nach Art der alten
Klassikerausgaben eine Sammlung der wichtigsten alten Anführungen, Zeug-
nisse und Nachrichten gegeben werde. Die leichte Benutzung und Schmack-
haftigkeit dieser Ausgaben würde durch solche Mitgaben aufserordentlich
erhöht werden. Ein Anfang hierzu ist in dem Einhards Vita Karoli Imp.
enthaltenden Bändchen gemacht, indem zum Schlüsse des Textes GERVVAHDI
VERSVS und VVALAFRIDI PROLOGVS (p. 8, 9) abgedruckt sind.
Auch hat jedes dieser Bändchen einen Index nominum, zu Tacitus' Werk
umfafst derselbe zwei, zu Einhards fünf, zu Jordanes elf Seiten und findet
sich wenigstens zuweilen hier auch ein dem Lernenden willkommener Wink,
z. B. zu Einhard: Centum cella; ciuitas Etrurite [Civitä Vecchia] 17 (die
Stelle ist immer angegeben). Bekanntlich mufs man übrigens hierbei Civita
schreiben und sprechen und nicht Civitä. H. Buchholt z.
Beiirleilungen und kurze Anzeigen. 443
Lord Byrons Eiiiflufs uuf die europäischen Littcraturcn der
Gegenwart. Von Dr. F. II. Otto Weddigen. Hannover,
Arnold Weiclielt, 1884.
Irren wir nicht, so wurde aus der vorliegenden Schrift bereits eine
Probe im „Archiv" mitgeteilt. Diese erregte schon damals unser Interesse,
und sahen wir dem Ganzen mit Spannung entgegen.
üer Verfasser hat sich durch eine Reihe wertvoller litterarhistorischer
Schriflen bereits einen Namen erworben ; die obige Schrift macht ihm wei-
tere Ehre. Verfasser geht von dem Grundsatze aus, dafs die vergleichende
Litteraturwissenschaft sich in Deutschland noch in den Kindersclmhen be-
findet; seine Arbeit will hierzu einen neuen Beitrag liefern. Wir müssen
gestehen, dafs die Aufgabe, wie es bei dem Verfasser kaum anders zu er-
warten war, recht gut gelöst ist. Die Schrift bildet ein Supplement zu
jeder Byronbiographie, sie giebt Aufschlüsse, wie weit und wie tief die
Ideen Byrons sich in die Litteraturen der übrigen europäischen \ ölker ein-
gesenkt haben.
Wir können die obige Schrift bestens empfehlen. R. S.
Spanische Grammatik mit Berücksichtigung des gesellschaft-
lichen und geschäftlichen Verkehrs von J. Schilling. Leip-
zig, Glöckner, 1882.
Die Regeln sind im allgemeinen richtig und verständlich gefafst; und
der \'erf. hat auch die nötige Erfahrung in der heutigen Umgangssprache,
da er sich 15 Jahre in dem Lande selbst aufgehalten hat. Die Anordnung
ist nicht überall gut getroffen. So gehört z. ß. S. 130, § 5d cuäl im Aus-
rufe nicht unter die Relativa, sondern auf S. 123 zu den Interrogativen.
Und das Pronomen se == man und zur Passivumschreihuntr ist an einer und
derselben Stelle abzuhandeln. Auch die Vollständigkeit liifst noch zu wün-
schen übrig. Das über die Diphthonge Gesagte genügt nicht, und die Länge
der Vokale war genau zu bestimmen. S. 207 fehlt neben der Form plegue
die andere plega. S. 241 ist hinzuzufügen, dafs por — que auch mit
Substantiven, Participien, Ailverbien verbunden wird. Nach S. 243 fehlen
ganz die Regein von der \'erbindung zweier Präpositionen. Von Fehlern
notiere ich wenigstens einiges. S. 151 arrepicutate ! es reue dich, bereue
ea! angeführt als span. persönliches Verbum ; dann müfste es arrepicutete
heifsen. Sehr schlimm ist ilie Verwirrung in der Liste der Verbalailjektivc
und Participien auf S. 211 ff. Da stehen nebeneinander agudo und aguzado,
alerto und alertade; diferente und difercnciado, caliente u. calentado ; ja
sogar ciego u. cegado, Crespo u. crespado, desnudo u. desnudado, falso u.
falseado, ümpio u. limpiado, manco u. mancado, salvo u. salvado, seco u.
secado, vaci'o u. vaciado u. a. dcrgl. ! S. 226 begegnet uns „abgeleitete
Adverbien (devribados)" für derivados! Ein Druckfehler?? Schlimm ist
auch S. 256 die Erklärung un hcte, he aciui u. s. w., als voti haber her-
kommend. Das franz. voici, voilä wird verglichen ; vielleicht leitet der Verf.
auch diese Formen von avoir ab. In beiden Sprachen gehen die Inter-
jektionen auf den Imperativ von videre zurück. Dem Verf. fehlen ofienbar
sprachwissenschaftliche Studien; so etwas dürfte ihm nicht passieit sein.
Unnütz und falsch ist auch S. 262 die Erklärung der absoluten Participial-
konstruktion durch die .'Vnuidinie, man habe habiendo, siendo, cstandu zu
ergänzen. S. 302 wird brindis Toa.-t als eine Zusammensetzimg von brindar
und ? angegeben. Es fehlt dann auch an aller wis\senschaftlichi:n Begrün-
dung in der Formenlehre wie in der Synta.v; sie würde dem Verf. freilich,
444 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
nach den oben angeführten Beispielen zu urteilen, schwer geworden sein.
Manches erscheint dann allerdings als eigentümlich, was es im Grunde gar
nicht ist. Auch die grammatische Terminologie ist nicht gut gewählt. Da
wird für Fronomina der Ausdruck „adjetivos determinatives" eingeführt; die
relativen heifsen „beziehende Fürwörter", was für ein Deutsch! Die Verba
mit irgendwelcher gemeinschaftlicher Unregelmafsigkeit heifsen „Klassen-
verben", ein Ausdruck, bei dem man sich doch nichts denken kann. Die
Bezeichnungen endlich „Konditional des Indikativ, Imperfekt des Konjunktiv
und Konditional des Konjunktiv" verdienen durchaus keine Billigung, mögen
sie auch immer von der Spanischen Akademie, Franceson, Wiggers ange-
nommen sein, was übrigens in Bezug auf ^^'iggers nicht stimmt. Nur die
mittlere Bezeichnung ist beizubehalten: Conjunctivus Imperfecti oder Imper-
fectum Conjunctivi. Bei einem „Konditional des Konjunktiv" kann mau sich
nichts denken. Bei der Aussprache wird spau. c, p, t mit deutschem
gg, bb, dd bezeichnet. Auch dies ist zu verwerfen. Die span. Laute ent-
sprechen den deutschen k, p, t; aber allerdings ändern die Konsonanten
je nach ihrer Stellung zur Tonsilbe ihren Lautwert um ein weniges. Aufser-
dem waren Verbindungen jener mit anderen Konsonanten in Erwägung zu
ziehen. Die Beispiele sind zum grofsen Teile langweilig und ermüdend.
Besser ist es, sie an die Lesestücke anzulehnen und zusammenhängende
Stücke zu geben, was erst zuletzt geschieht. Ich könnte leicht noch mehr
anmerken, doch kann das Buch trotz seiner Mängel immerhin als brauch-
bares Hilfsmittel für das Spanische bezeichnet werden.
Paul Förster.
P r o g r a m m e n s e h a u.
Der deutsche Aufsatz im Gymnasium. Von Prof. Ehemann.
Programm des Gymnasiums zu Schwäbisch-Hall 1883.
29 S. 4.
Der Grundzug der Abhandlung ist die Beantwortung der Frape, ob der
deutsche Aufsatz auch von anderen Lehrern als den Deutschlehrern zu
pflegen sei ; und diese Frage wird verneint, weil das Wichtigste beim Auf-
satz die formale Seite sei, diese aber bei Zersplitterung leicht zu wenig be-
rücksichtigt werde. Über den grofsen Umfang bei der Wahl der Themata,
über die Fehler, welche zu vermeiden sind, bringt der Verfasser angemessene
Ansichten vor, ohne jedoch etwas Neues zu bieten ; dafs gar wunderliche
Themata in verbreiteten Themensammlungen vorkommen, ist wahr, aber
das wird wohl immer so bleiben. Eine etwas starke Vorliebe für die Chrie
zeigt der Verfasser. Eigentümlich ist, dafs derselbe empfiehlt, die Aufsatze
bis Obertertia in der Klasse anfertigen zu lassen.
Der Trochäus und die deutsche Sprache. Von Dr. Reinhold
Beciier. In der Festschrift des Gymnasiums zu Koblenz
1882. S. 17—21.
Die kurze Abhandlung bietet interessante Resultate. Bedeutende For-
scher haben gesagt, der Grundrhythmus der deutschen Sprache sei der
Trochäus; sie gehen nämlich davon aus, dafs der Hochton auf der Stamm-
silbe des Wortes ruht, diese aber in der Kegel die erste Silbe des Wortes
ist. Ist das auch richtig, so ist es doch nicht minder wahr, dafs anders
als in der Betonung des einzelnen Wortes die Verhältnisse im Satze liegen,
dafs bei uns der Satz gewöhnlich mit einem unbetonten Worte anfängt.
Daraus folgt, dafs die Sprache zum jambischen Rhythmus neigt, ^^'ährend
das nun im Althochdeutschen noch wenig hervortritt, fängt im JMittellioch-
deutschen jener an zu überwiegen. Verse ohne Auftakt, also mit trochüi-
schem Rhythmus, empfinden wir als eine stärkere Abweichung von der
prosaischen Rede als die mit Auftakt, jene machen also eiiun gehobenen
Eindruck. Unsere höfisclien Lyriker haben den Trochäus von den Fran-
zosen kennen gelernt, aber schon vorher finden wir ihn in altdeutschen
geistlichen Gedichten, da hat also der Rhythmus der lateinischen Verse ein-
gewirkt; besonders hat lleinricli von Veldegge den Trochäus geliebt, über-
haupt die rheinischen Dichter, welche also sich nach den Romanen richteten.
Seit dem Kreuzzuge von 118!), das heifst seit der Verbindung der (Ost-
deutschen mit deri Westdeutschen und den Franzosen, ist der Trochäus bei
den auf die Form achtsamen Dichtern vorherrscliend, sie wollen ihre Ab-
446 Programmenschau.
Weichling von dem Rhythmus der Umgangssprache bezeichnen. Und da ist
es merkwürdig, dals dieselben Dichter, wie Walther, welche im Liede dem
trochiiischen Rhythmus anhangen, im Spruch, bei dem es auf den Gedanken,
nicht auf die Form ankommt, den jambischen haben. Ist das nun auch im
Neuhochdeutschen anders geworden, überwiegt jetzt auch der Jambus, so
wäre die Folgerung daraus falsch, dafs der Trochäus der Rhythmus der
Prosa sei. Auch durch andere Mittel, besonders durch den Reim, kann die
Abweichung der dichterischen Sprache von der prosaischen erreicht werden.
Wie sehr unsere Sprache jetzt zum jambischen Rhythmus hinneigt, wie wir
unbewufst auch in längerer Rede oft jambisch sprechen, davon giebt der Ver-
fasser ein höchst ergötzliches Beispiel; nämlich der Anfang von Dümichens
Geschichte des alten Ägyptens ist lange Zeihen hindurch ganz jambisch. Und
hat OS denn bei Umwandlung der ersten prosaischen Bearbeitung der
Iphigenie durch Goethe grofser Änderungen bedurft? Wer Viehofi's \'or-
schule der Dichtkunst durch Praxis kennt, weifs, wie leicht sich die Schüler
in die jambischen Verse hineinfinden. Das deutsche Drama hat den Jambus
zu seinem Verse gewählt, weil es ein Abbild des Lebens sein will; charakte-
ristisch ist, dafs in der Braut von Messina in den meisten lyrischen Stellen
Schiller den Jambus mit dem Trochäus vertauscht hat.
Die Eose, eines der drei Wahrzeichen deutscher Dichtung.
Von R. Finetervi'aller. In der Festschrift des Gymnasiums
zu Koblenz 1882. S. 51—73.
Die drei Wahrzeichen oder Merkmale deutscher Dichtung sind die
Linde, Rose und Nachtigall, sie gehören unzertrennlich zusammen und
schallen die Welt zu einer Welt der Poesie. Über die Rose sind schon
ganze Bücher geschrieben, nicht blofs vom naturwissenschaftlichen, auch
vom ästhetischen Standpunkt. Sie spielt bei allen Völkern eine Rolle.
Auf die griechische Lyrik nimmt auch der Verfasser mehrfach Rücksicht,
doch vorzugsweise ist es die Rose iu der deutschen Dichtung, die fast zahl-
losen Bilder, zu denen sie Veranlassung giebt, besonders ihre Bedeutung
als Sinnbild der Schönheit, Anmut, Treue bei den Dichtern des Mittelalters,
womit sich die Abhandlung beschäftigt. Niemals ist das Lob der Rose
ausgesungen, auch die Dichtung der Neuzeit, welche hier nur sporadisch
berührt wird, würde dem Verfasser den reichsten Stoff gegeben haben. Auf
dem zugemessenen engen Raum hat der Verfasser viel zusammengedrängt,
und die sinnige Weise, in welcher der Stoff behandelt ist, berechtigt zu
dem Wunsche, dals er sein Thema noch ausführlicher durchführen möge.
Historia de Sancto Gregorio Papa. Eine Prosaerzählung nach
dem Gregorius Hartmanns von Aue. Nach einer Heidel-
berger Hs. des 15. Jahrb. herausg. von W. Martens. Pro-
gramm des Progymnasiums zu Tauberbischofsheim 1883.
14 S. 4.
Wir erhalten hier zunächst den L Teil, den Text; das Folgende wird
wahrscheinlich Näheres über die Handschrift, vielleicht Vermutungen über
den Schreiber u. a. bringen. Der gewählte lateinische Titel ist der Hand-
schrift entlehnt. Die Erzählung beginnt: „Es was ein richer edelmann zu
aquitania in dem welschen land der hat zwey kind by siner frauwa ein son
unnd ein tochter", und endigt, nach Erwähnung, wie Gregorius seinem
Vater und seiner Mutter von Gott das ewige Leben erworben: „Nun sollen
wir auch bitten den heiligen babst sanctum gregorium das er uns umb gott
ervverb recht ruwe gantz luter bicht unnd gnug thun hie in dieser zitt umb
Programmenschau. 447
unnszer sunde unnd ein besserung unnd fristung unnszers lebenn hie ulT ert-
rich unnd darnach das ewig lebenn das verlihe unnsz gott der vater unnd
gott der son unnd gott der heilig geist. Die heilige Dreivaltigkeit die da
ist ein warer gott unnd die werde hochgelopt junckfrauwc niaria amen. Kx-
plicit Deo gracias."
Einiges zu den Charakteren der Artussage von Joh. Alton.
Programm des Realgymnasiums im achten Bezirke Wiens.
Wien 1883. 93 S. gr. 8.
In der Nationalbibliothek zu Paris wird der Artusroraan Claris und
Laris aufbewahrt, aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, über 30 000
achtsilbige Verse. Der Verfasser hat denselben kopiert und giebt danach
hier, nach der Inhaltsangabe, eine Charakteristik der Personen, welche auch
eine Charakteristik der Personen der Artusromane überhaupt genannt werden
kann, indem er zu den einzelnen Sätzen die Citate aus unserem Koman
und ähnlichen in Fülle beibringt. Es hat den alten Erzählungen gegenüber
schon manche Änderung in der Auffassung der Persönlichkeiten stattge-
funden. Das Resultat ist etwa folgendes: Zunächst die Artusritter zeichnen
sich sämtlich aus durch Freigebigkeit, Höflichkeit, Tapferkeit gepaart mit
Besonnenheit, tiefes Gefühl für Gerechtigkeit; der tüchtigste ist Gauvain;
Gastfreundschaft ist die Folge der Freigebigkeit, offenes Auftreten auch dem
listigen Feinde gegenüber kennzeichnet die Artusritter, nur die den Frauen
schuldige Courtoisie erhält den Vorzug, wenn sie mit der üblichen Milde
gegen den besiegten Gegner in Konflikt kommt; religiöse Gesinnung, d. h.
äufserliche Beobachtung der kirchlichen Ceremonien, fleifsiger Besuch des
moustier ist Rittergesetz. Die Gegner der Artusritter zeichnen sich auch
durch Tapferkeit aus, aber meist für die schlechte Sache, manche sind dem
tapferen Ritter gegenüber auch feige, prahlerisch, hochmütig, verräterisch.
Von abstofsendem Äufseren erscheinen die Riesen (jaiants) und Zwerge
(nains), dem entspricht meist der Charakter. Zwischen Artus und den
Rittern der Tafelrunde herrscht die innigste Pietät, sie leben für ihn, er
für sie; sie sind untereinander durch Freundschaft verbunden; der Artushof
ist der Mittelpunkt für die wahre chevalerie und die Zufluchtstätte für die
Hilfsbedürftigen; Artus ist der oberste König, der oberste Richter, auch in
Herzensangelegenheiten. Die Züge, die er unternimmt, sind meist kleinere
Streifzüge, bei gröfseren Kämpfen zeigt er seine taktischen Kenntnisse. Er
ist natürlich persönlich tapfer, erscheint aber in der Regel als Zuschauer;
alle ritterlichen Tugenden im höchsten Grade werden ihm beigelegt. Der
vorliegende Roman ist der \erherrlichung der jungen Helden Claris und
Laris gewidmet; mit der Charakteristik derselben, dann des ritterlichen
Ideals Gauvain, des endlosen Prahlers und Spötters Reu.\ beschäftigt sich
schlielslich die Abhandlung.
Die Nibelungensage im deutschen Trauerspiel. II. Teil nebst
Anhang: Richard Wagners Dichtung „Der Ring des
Nibelungen". Von Dr. A. Stein. Programm der Gewerbe-
schule zu Mülhausen i. E. 1883. 44 S. 4.
Der zweite, ebenfalls umfangreiche Teil der schon erwähnten Abhand-
lung des Verfassers behandelt eben so sorgfaltig wie der erste die einschla-
genden Dichtungen, und zwar diejenigen, welche in der richtigen Erkenntnis,
dafs die ganze Nibelungensage sich nicht in ein einziges Trauerspiel^ zwän-
gen lasse, zwei Hauptfiguren für zwei Tragödien herauswäiilten. Für die
Zeit vor Sieo;frieds Tod war dies für die früheren Dichter Siegfried, für
448 Programmenschau.
die späteren Brunhild; diese Brunhilddramen haben mehr psychologischen
Gehalt. Brunhild aber konnte entweder als nordische Walküre oder als
Königin von Isenstein gefafst werden; die letztere lebt kräftiger im Be-
wufstsein der Gegenwart. Diejenigen, welclie (Jen Brunhildstoff" ausschliefs-
lich dem Nibelungenlied entnehmen, sind die ältesten und schwächsten, es
fehlt ihnen der dramatische Konflikt. Auch wo, wie bei Geibel, Brunhild
in einen seelischen Konflikt zwischen Liebe und Rachedurst gebracht ist,
erscheinen Stoß' und Charakter mangelhaft im Vergleich mit der Edda.
Der Bi'unhildstofl", wie er der ältesten Quelle entfliefst, ist für die Dramati-
sierung der geeignetste ; die eddische Überlieferung ist an psychologischem
Gehalt die reichste. Uhlands Skizze „Siegfrieds Tod" schliefst sich rein
episch an das Nibelungenlied an, aber vertieft und vermehrt die Motive; es
ist zu bedauern, dafs sie nicht ausgeführt ist. Die nun folgenden Brunhild-
dramen bespricht hierauf eingehend der Verfasser ; es genüge die Ergeb-
nisse anzuführen. Die Nibelungentrilogie von F. Rud. Hermann 1819 hat
eine gute Diktion; der zweite Teil, die Brunhild, schöpft aus dem Nibe-
lungenlied, aber auch aus der nordischen Überlieferung, bewegt sich in rein
epischem Schritt, ist von der Romantik nachteilig beeinflufst. Hinter Her-
mann steht weit zurück Aug. Zornack: „Siegfrieds Tod", Trauerspiel in
vier Aufzügen, 1826, in farbloser Diktion das Nibelungenlied wiedergebend.
Raupachs schlechter Nibelungenhort war Veranlassung zu Fr. Hebbels
Nibelungen in drei Abteilungen 1861, d. h. in dem Vorspiel „Der gehörnte
Siegfried" und zwei Tragödien. Die Sprache ist poesievoll, die Charaktere
scharf, gezeichnet, die Dichtung steht trotz der Mängel, die der Verfasser
darlegt, grofsartig da. Emanuel Geibels Brunhild 1857 gruppiert zum
erstenmal um eine einzelne Figur den ganzen StofT, die Heldin wird dra-
matisch, aber das Charakterbild erscheint getrübt, weil der Dichter die eddische
Quelle nicht in ihrer unverfälschten Reinheit benutzt hat ; trotz der vielen
Vorzüge hat die Handlung dadurch, dafs absichtlich alles Sagenhafte zurück-
gedrängt ist, an Würde verloren. — 1863 erschien die Brunhild von Robert
WaldmüUer. Die Dichtung zeugt von scharfsinnigem Nachdenken, aber
der Grundirrtum liegt darin, dafs der Dichter von Haus aus Siegfried und
Brunhild eine verschiedene Natur gegeben und so das innerste Wesen der
Sage vernichtet hat; der Stoff hat überhaupt eine rücksichtslose Umdichtung
erfahren. 1875 erschien Brynhilde von Reinhold Sigismund, an die Edda
sich anschliefsend, aber kein Drama, sondern ein dramatisiertes Epos.
Die zweite Klasse der Nibelungendramen bilden die Kriemhilddramen.
Der Stoff hat hier den Vorzug der Klarheit, sowie der Freiheit von allem
Übernatürlichen, aber entbehrt des Konflikts in der Seele der Hauptheldin;
der Dichter hat also diesen Kampf erst in dem Herzen der Heldin zu
schaffen, nämlich der Gattentreue (gegen Siegfried) gegen die Freundes-
treue (aller Angehörigen aufser Hagen), und, um den Charakter Kriem-
hildens nicht herabzusetzen, aus der Sage das Motiv der heifsen Sehnsucht
nach dem Nibelungenschatz zu entfernen. Uhlands Skizze „Chriemhildens
Rache" 1817 hält sich an das Nibelungenlied, einzelnes mildernd. F. R.
Hermanns Trauerspiel „Chriemhildens Rache", noch mehr „Chriemhild",
Tragödie in fünf Akten, von Aug. Kopisch 1856 schliefsen sich ebenfalls
eng an das Nibelungenlied, Kopisch hat Hagens Charakter nichts Gutes
gelassen. Der dritte Teil der Hebbelschen Trilogie ist schwächer als die
ersten. „Kriemhild", Trauerspiel in fünf Akten von Fr. Arnd 1875, schliefst
sich auch zu eng an das alte Lied, die Sprache ist edel. Das Trauerspiel
von J. W. Müller „Chriemhilds Rache" 1822, in drei Abteilungen, mit
Chor (aus burgundischen Jungfrauen), weicht stark von der Sage ab, ist zu
reich an Betrachtungen, öfters in holperiger Diktion, aber mit einem neuen,
nicht ungeschickten Motiv. Wilh. Hosäus' Trauerspiel „Kriemhild" 1866 bringt
in die Seele der Heldin den Kampf zwischen dem Rachetrieb und den Ge-
boten des Christentums; dies letztere Motiv aber pafst nicht in jene Zeit
Progranimenschau. * 449
und Hagens Charakter ist widerwärtig entstellt und widerspruchsvoll.
Sigismunds Krienihild, an die Brynhild sich anscbliefsend, bietet gerade
dadurch für den deutschen Leser nianclies Unverständliche, die Kriemhild
erscheint abstolsend, Hagen bemitleidenswert. So hat bis jetzt noch keine
Kriemhildtragödie dauernd Fufs gefalst, bald zeigt sich Unsicherheit
in der Auffassung des dramatischen Charakters gegenüber dem epischen,
bald Vernachlässigung des dramatischen Konfliktes. — Zum Schlufs be-
spricht der N'erfasser noch Rieh. Wagners „Ring des Nibelungen"; über
die Dichtung haben die Preuls. Jahrbücher so eingehend sich ausgelassen,
dafs wir nicht weiter hier dem Verf zu folgen haben. Der Bericht wird
aber dargelegt haben, wie sorgfältig der Verfasser seine Aufgabe aufgefafst
hat.
Über die Quellen zu Rudolfs von Ems „Alexander". Von
Prof. Dr. Adolf Ausfeld. Programm des Progymnasiums
zu Donaueschingen 1882. 24 8. 4.
Die aufserordentlich sorgfältige, von ungewöhnlichem Fleifse zeugende
Abhandlung ist als Vorläufer der bald erscheinenden Ausgabe des „Alexander"
zu betrachten ; sie ist reich an neuen Resultaten. In Kürze sei über den
Inhalt referiert. — Der Alexander ist das schwächste Werk des überhaupt
nicht hochbegabten Dichters ; aber er ist wichtig wegen der vielen Notizen
über gleichzeitige Dichter und wegen der eigentümlichen Behandlung der
Alexandersage. Welches waren nun seine Quellen? Er spricht sich selbst
darüber aus; seine Angabe ist genauer zu untersuchen. Die wichtigste
Quelle ist die Historia de preliis, d. i. die Übersetzung des Phenelon
Kallisthenes durch den Arcbipresbyter Leo, aber die zahlreichen Recensionen
des Leo sind untereinander so verschieden, dafs sie kaum von demselben
Verfasser herzurühren scheinen. Der Verfasser nimmt an, dafs die Bam-
berger Hs. (11. Jahrb.) vom ursprünglichen Texte Leos nicht bedeutend
abweicht; in den jüngsten Gestaltungen der Historie ist aber die Grimd-
form, besonders sprachlich, völlig umgewandelt. So schon in der Münche-
ner Hs. (12. Jahrb.). Dann begegnen uns immer stärker interpolierte
Recensionen; eine gröfsere Zahl hat der Verfasser untersucht und führt
die Abschnitte aui, für welche Leo die Grundlage Rudolfs bihlete, indem
er die verschiedenen Recensionen nach Gruppen sondert. Es stellt sich da
heraus, dafs Rudolf in vielen Stücken mit dem Baseler und Münchener Leo
übereinstimmt, aber auch in vielen mit Recensionen, welche von diesen ab-
weichen und offenbar andere, meistens nachweisbare Quellen hatten. Der
Text des Leo, welcher Rudolf vorlag, war also ein ganz besonderer; er hat
aber auch an diesem Texte geändert, weil er auch noch andere Autoren
als den Leo benutzte. Aus der erweiterten Form des Leo hat Rudolf ein
Drittel seines ganzes Werkes, etwa 700 Verse, entnommen. (Eben jetzt
[1884] bringt das Programm des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin
von R. Kinzel : Zwei Kecensionen der vita Alexandri Magni interprete Leon
archipresbytero Neapolitano. 33 S. 4.) Die llauptquelle Rudolfs aber ist
Curtius, er folgt ihm von Anfang des Curtius an, d. h. von Alexanders
Ankunft in Celänä, bis zur Gefangennahme des Bessus, der sein eigenes
Werk abbricht; nur weniges hat er ausgelassen. Es ist nachweisbar, dafs
Rudolfs Handschrift sich keiner der angenommenen Handschriften-Grui)])en
ausschliefslich zuweisen läfst: sie war eine interpolierte. Dafs Curtius Cur
Rudolf die Hauptquelle war, ist für den poetischen Wert seines Gedichtes
kein Glück gewesen. Rudolf aber bedurfte noch anderer (Quellen, soleher
nämlich, die seinen Helden mit der heiligen Überlieferung in Zusammen-
hang brachten. Daher beruft er sich auf Josephus, die Bibel, Hieronymus,
die Historia Scholastica und Methodius. Josephus hat ihm aber nicht un-
mittelbar vorgelegen, sondern die Historia Scholastica des Petrus Coinestor;
Archiv f. n. Sprachen. LXXI, 29
450 Programmeuschau.
wo er aber von Coraestor abweicht, hat er flen Leo in der ihm vorliegen-
den Fassung vor Augen gehabt. Auch die Bibel hat er benutzt ; aber
wo von dieser Comestor abweicht, schliefst er sich an diesen an. Den
Prophezeiungen des Methodius entlehnt er viel. So hat er sehr redselig
auf diesem geistlichen Gebiete, von dem heidnischen Altertum abweichend, ein
Repertorium der biblischen Geschichte geschmacklos eingezwängt. Den
aus den verschiedensten Quellen ihm zuströmenden Stoff zu einer Einheit
zu verbinden, hat ihm nicht gelingen wollen; Widersprüche, Abschweifungen
vom Thema, Mifsverständnisse der Vorlage, nicht selten komischer Art,
willkürliche Zusätze charakterisieren ihn, die Minne und Frömmigkeit der
Helden durften natürlich auch nicht fehlen. Er giebt aber nicht blofse
Erzählung, er redet gern über die ihn bewegenden Gedanken, als Nach-
ahmer Gottfrieds berührt er auch die gleichzeitigen Dichter. Die Massen-
haftigkeit des Stoffes hat ihn erdrückt, sein Gedicht hat seinerzeit wenig
Anklang gefunden, daher ist es nur in einer Handschrift überliefert. Er
verlor die Gesamtwirkung seiner Darstellung völlig aus den Augen; dies
selbst empfindend legte er sein Werk unvollendet beiseite.
Über die dramatische Dichtung Deutschlands im MittelaUer.
Von Dr. P. Häling. Programm des Gymnasiums zu Bens-
heim 1883. 22 S. 4.
Die Abhandlung ist ein Auszug aus den bekannten Werken von Vilmar,
Dcvrient, Mone u. a. und scheint für die Schüler zur Vervollständigung des
litteraturgeschichtlichen Unterrichts bestimmt zu sein.
Über die Gedichte des sogenannten Seifried Helbling. Von
Prof. Heintzeler. Programm der Realanstalt zu Reutlingen
1883. 29 S. 4.
Die zuerst von Karajan 1844 herausgegebenen fünfzehn didaktischen
Gedichte, welche den Namen Seifried Helblings von Karajan erhalten haben,
.sind von Gervinus, Koberstein u. a. als litterarisch unbedeutend, wenn auch
für die österreichische Geschichte wichtig bezeichnet. Dagegen tritt vor-
liegende Abhandlung auf. Verf. verwirft mit den neueren torschern die
Hypothese Karajans, dafs der Dichter Helbling heifse. Wir wissen nur, dafs
der Dichter nach 1238 geboren ist, dem Ritterstande angehörte, wohlhabend,
ziemlich gebildet war, nicht in Wien lebte, aber dort bekannt war. Die
Mehrzahl der Gedichte geht darauf aus, die Schäden Österreichs auf-
zudecken, um dadurch zur Besserung zu führen. Diese Klagen über den
Zerfall des Landes geben uns ein interessantes, deutliches Bild von den
Zeitverhältnissen. Besonders wird der überhandnehmende fremdländische
Einflufs in Tracht, Lebensweise, Politik bekämpft; an allen Ständen wer-
den Ausstellungen gemacht, interessante Aufschlüsse über die Verhältnisse
am Hofe geboten. Der Dichter ist den aufstrebenden Bauern abhold, frei-
mütig über die Gebrechen des Klerus, doch sonst ein guter Sohn der
Kirche; die späteren Gedichte sind religiös. — In Bezug auf den dichte-
rischen Wert hebt der Verfasser die meisterhafte Anwendung des Dialogs
hervor; bisweilen schweift er zu weit ab. Die Darstellung ist frisch, leben-
dig, realistisch, phantasievoll, die Schilderungen wahr, origineller als die
klassischen Ritterdichtungen. — Zeichen des Verfalls sind die mehrfachen
unreinen Reime, allerlei Reimkünste. Das älteste Gedicht setzt der Verf.
in 1283; über 1289 hinaus fehlen historische Haltpunkte. AustührHch be-
weist der Verf. die Einheit des Verfassers aller fünfzelin Gedichte mit
aus dem Inhalt und der Form entlehnten Gründen. Später fand Karajan
noch eine zweite Handschrift, welche Bruchstücke aus dem fünfzehnten
Programmenscbau. 45I
Gedicht und zwei kleinere Gedichte enthält; diese zwei Gedichte teilt der
Verfasser hier mit; einzelnes darin erinnert an den sogenannten Flelbling,
anderesist so abweichend, dafs der Verf. sich für einen anderen Verfasser
entscheidet als den Dichter der fünfzehn österreichischen Satiren.
Ein Beitrag zur Kenntnis des Sprachgebrauchs Klopstocks.
Von Christof Würfl. Programm des zweiten deutschen
Obergymnasiums zu Briinn 1883. 24 S. gr. 8.
Klopstocks Verdienste um die deutsche Sprache sind allgemein aner-
kannt. Über die Grundsätze, welche ihn in seiner sprachbildenden Thätig-
keit leiteten, hat er sich selbst ausgesprochen. Er wählt edle AVörter, er
macht die AVortfolge freier; aber er beutet auch das vorhandene Sprach-
material mehr aus als seine Vorgänger, er erweitert den Bedeutungsumfang
der Wörter, er vermehrt den \Vortreichtum, dafs er fast erstorbene W'örtir
neu belebt, er bildet durch Zusammensetzung neue Wörter. Die vorliegende,
mit Sorgfalt geschriebene Abhandlung stellt in alphabetischer Folge, und
zwar zunächst für die Buchstaben A bis F die Wörter zusammen, die von
Klopstock neu gebildet oder von ihm mit neuer Bedeutung versehen sind;
bei jedem ist die Stelle im Grimmschen Wörterbuch aufgeführt, wo das
Wort citiert ist; ob die Klopstocksche Stelle, wo das seltene Wort oder
die ungewöhnliche Bedeutung vorkommt, im Deutschen Wörterbuch an-
gegeben oder nicht angeführt ist, ist genau bemerkt. Die Abhandlung ist
somit auch als Ergänzung zu Grimms Wörterbuch anzusehen. Es sind
gröfstenteils zusammengesetzte Wörter, die hier aufgeführt, und es ist be-
kannt, dafs im \N'örterbuch nicht alle Komposita angegeben sind; es ist
aber die Frage, ob nicht die Schöpfungen Klopstocks eine Bevorzugung
verdient hätten. Es fehlen von A bis F folgende von Klopstock gebrauchte
Wörter: Adlerrfüs, Afterahmer, Ahndungsblick, ahndungsfrei, Apolona
(griechische Poesie), Auferwecker, Aufgangshaufen, banggerungen, bangzer-
rungen, B.ardale (Nachtigall), bechervoll, Befrager, Begiefser, Bejochungs-
krieg, Bepflanzer, Blumenseil, Blutbach, Blutweissagung, Brautlenzreise, Braut-
gesangestritt, brummisch, Cheruskawald, Cultiviererei, daherthauen, dahin-
beben, dahinzittern, Danien (Dänemark), dankweinend, die Dispute, P^hrever-
geudung, Ehreverschwendung, elendbeseligt, Elendstifter, emporwiehernd,
engumkreisend, Erdulder, erfindungsvoll, erntesinnend, Erobererschlacht,
F^robererschlachtfeld, feilbar, fernherweinend, Fesselgeklirr, feuriggeflügelt,
finsterverwachsen, fluchbelastet, fortbeben, das Freudausrulen, Friedezweig,
frühwegblühend, fürchterlichlachend. Bei manchen anderen ist der eigen-
tümliche Klopstocksche Gebrauch nicht angegeben, z. B. Anflug = Angrifl',
ähnlichen = ähnlich machen, ändern ^^ sich ändern u. a. Der Verfasser
hat die Fortsetzung seiner Arbeit zugesagt. Sie ist als wertvoller Zusatz
zu den Aufsätzen desselben im Archiv LXIV, 271—340; LX\', '251— 3-20
anzusehen.
Über Goethes Iphigenie. Von Dir. Dr. Fr. Th. Nölting. Pro-
gramm der Gi'ofsen Stadtschule zu Wismar 1883. 22 S. 4.
Es ist schwer etwas Neues über den (iegcnstand zu sagen; der Verf.
hat das auch wohl nicht beabsichtigt. Er hat offenbar ein gröfseres Publi-
kum als den Kreis der Fachgenossen vor Augen gehabt, und es ist ihm
wohl gelungen, den tiefen Unterschied des deutschen Dramas von dem
griechischen Vorbilde seinen Lesern auseinanderzusetzen, die Bewunderiuig,
mit welcher ihn Goethe erfüllt hat, auch den Lesern einzuflöfsen. Bei der
Erörterung der vielbesprochenen Heilung des Orestes (S. IG) scheint er auf
das Bekenntnis desselben doch zu wenig Gewicht zu legen; der Einwurf,
dafs Orest den Muttermord ja nicht heindich verübt und ihn vor der \Velt
29*
452 Programnienschau.
zu verbergen gesucht habe, die Mitteilung der unglückseHgen That also an
sich nicht eine erlösende AVirkung haben könne, trifft nicht, das
ist vielmehr der Hauptpunkt, dafs Orestes jetzt seiner Schwester die That
erzählen mufs, dafs der heftig erregten Seele der kleinste Moment der
schrecklichen Stunde entgegentritt, in der Erneuerung der Unglücksthat dies
Herz sich selbst zerfleischt; diese Selbstpeinigung ist der Beginn der Er-
lösung. — Der Verfasser gehört auch zu denjenigen, welche jedes Goethesche
Gedicht (ohne Ausnahme?) für den Ausdruck des eigenen Gemütslebens
des Dichters halten; inwiefern, fragt er daher, war unser Dichter selbst ein
Orest? wer war die erlösende Schwester? Die Qualen der Erinnerung an
Friedrike und Lili, antwortet er, drückten seinen Schaffensmut danieder,
tue erlösende Fee war Frau v. Stein. Die Antwort wird schwerlich jeden
Geschmack befriedigen.
Der Pantheismus in der poetischen Litteratur der Deutschen
im 18. und 19. Jahrh. Von Dr. Hermann Mensch. Pro-
gramm der Realschule zu Giefsen 1883. 14 S. 4.
Überschwengliche Darstellung. Der Pantheismus, sagt der Verfasser,
setzt ein erhabenes Gefühl voraus; er steckt an. Lessing war Spinozist,
seitdem liegt der Pantheismus in der Luft. Schon bei dem jungen Goethe
tritt er lebhaft vor, so im VVerther, vollends im Faust. Dann bei Hölderlin,
den Romantikern, Tieck, Novalis, Rückert, Schefer, Kinkel, G. Keller,
B. Auerbach, F. Dahn (Odhins Trost).
Herford. Hölscher.
Die Form- und Begriffsveränderung-en der französischen Fremd-
Wörter im Deutschen. Von Dr. Jos. Moers, Oberlehrer.
Prooramm der höheren Bürgerschule zu Bonn, Ostern 1884.
Vorstehendes Programm hat vor vielen — leider nur zu vielen — an-
deren den Vorzug, einen Gegenstand zu behandeln, welcher die Teilnahme
weiterer Kreise in Anspruch nimmt, ohne des wissenschaftlichen Ernstes zu
ermangeln. Verfasser stellt in gefälliger und anspruchsloser Weise die
Wandlungen dar, welche die französischen Fremdwörter durchgemacht haben,
bevor sie bei uns heimisch wurden. Er hat dabei die zahlreichen ein-
schlägigen Werke sorgfältig benutzt und häufig selbständige, zum Teil ge-
lungene Erklärungen versucht. Bei der Besprechung der in der Wortform
eingetretenen Wandlungen wird auch die jüngst in den Schulen eingeführte
Rechtschreibung gestreift und auf einzelne Folgewidrigkeiten derselben hin-
gewiesen. Ein ansprechendes Gebiet behandelt der folgende Abschnitt,
welcher auseinandersetzt, wie aus den einmal aufgenommenen Fremdwörtern
neue Formen gebildet oder neue Ausdrücke geschaffen werden, welche man
ihrem Klange und Gepräge nach leicht geneigt sein könnte für französische
zu halten. Für die so zahlreichen Änderungen des Geschlechts hält Ver-
fasser die Form des Wortes und insbesondere seine Endung in den weitüus
meisten Fällen für mafsgebend. Im letzten Abschnitt stellt er die wich-
tigsten Fremdwörter zusammen, welche wir in einer vom Französischen
mehr oder weniger abweichenden Bedeutung gebrauchen. Der Aufsatz
schliefst mit den Worten: „Wie wir in den französischen Fremdwörtern die
beschämenden Zeugen des tiefen Verfalls unseres Vaterlandes erblicken, so
mufs das seit der glorreichen Wiederherstellung des deutschen Kaiserreichs
sich mächtig entwickelnde Selbstbewufstsein ein Bürge dafür sein, dafs diese
kräftige nationale Strömung auch der Hebung und Reinigung unserer
Sprache zu gute kommt." Utinam ! Aber wenn z. B. in dem Reichstage,
Programmenscbau. 453
der ilocli eine Pflegestatte und ein Hort deutschen Wesens sein sollte und
so leicht sein könnte, die Peülionskommissinn dem l'lenwii vorschlägt, über
die Petition des Petenten X. zur Tagesordnung überzugehen, der Präsident
ein Amendement zur Debatte stellt, und der renommierte oder routinierte
Parlamentarier X. ein Separatcotitm motiviert, oder wenn d(!r berühmte Ge-
schichtsforscher V. Ranke, der doch sonst so geschmackvoll zu schreiben
versteht, seine Weltgeschichte mit Fremdwörtern unnützester Art (die
Siiccesse [!] Cäsars in Spanien) förmlich überladet, so kann man nicht
umhin, einen bescheidenen Zweifel an der Erfüllung dieses gewifs berech-
tigten Wunsches zu hegen. Gar nicht davon zu reden, dafs sogar das so
vortreffliche Generalstabswerk über den letzten Krieg nach so schönen An-
fängen — Iloclifliiche, durchschnittenes Gelände u. s. w. — nur zu häufi"
wieder in den alten Ton verfällt; denn da könnte man entgegnen: das sind
Kunstausdrücke, wozu die erst übersetzen? Und doch! was würde wohl
ein Franzose sagen, wenn er läse: „l'ennemi brach hervor du Engpafs et
grifl' an le Saum de la füret et les zu Pferd de la route staflelförmig auf-
gestellten troupes"? Es bleibt eben noch sehr viel zu Ihun, unser be-
rechtigter Stolz auf den wahren AVert unseres Volkes ist noch steigerungs-
fähig, und ganz besonders von denen, die berufen sind, die deutsche Sprache
zu lehren, könnte noch sehr vieles gethan werden, um dieselbe fähiw zu
machen, dem niafslos wuchernden Fremdwörterbacillus zu widerstehen, viel-
leicht ihn ganz auszustofsen. Schon zweimal fiel die Zeit der höchsten
Macht und des gröfsten Glanzes unseres Vaterlandes zusammen mit der
schlimmsten Verwelschung seiner Sprache.
Auf den reichen Inhalt der Abhandlung näher einzugehen, verbietet
leider die Beschränktheit des Raumes- Ich bemerke nur zu Abteilung \',
Wechsel der Bedeutung, a. v. :
civil. Man sagt auch en civil; civil in der Soldatensprache auch =
Civilist; sonst =: Civilstand.
Gardecorps. Auch les gardes, la garde.
Generalität, generalite — wenn auch veraltet — = Generalität
(Sachs).
Kadet. Auch cadet. Kadettencorps Corps des Cadets.
Kultusminister auch ministre (de l'instruction publique et) des cultes.
Militär, militaire = simple soldat im Gegensatz zum Offizier. Mr. X.
logera ... 1 officier et 4 militaires hiefs es z. B. oft auf den Quartier-
zetteln.
Parade abhalten = passer en revue oder — la revue de
Parade auch parade (rieht „fast nur revue"!) sonst inspection d'honueur;
revue de midi, passer la revue de midi.
Quartier, quartier = Kaserne bei der Kavallerie (in diesem Falle
nicht caserne I).
Spalier bilden auch = faire (\'erfasser nur border!) la haie.
Püttuiann.
M i s c e 1 1 e n.
Über Goethes Singspiel „Lila".
„Lila" behandelt in seinen beiden Bearbeitungen die Heilung eines
gemütskranken Menschen, in der älteren (1776—1777) des Barons Sternthal,
in der jüngeren (1788) aber dessen Gemahlin Lila; die Befreiung von dem
Seelenleiden wird durch geschicktes Eingehen auf die Irrgedanken des
kranken Gemütes herbeigeführt. So heifst es in der jüngeren Bearbeitung:
„Lila bat ihrem Kammermädchen, der Einzigen, zu der ihr Vertrauen auch
bei ihrem Wahnsinn geblieben ist, unter dem SIgel der gröfsten Verschwie-
genheit versichert, dafs sie wohl wisse, woran sie sei : Es sei ihr offenbaret
worden, ihr Stcrnthal [sei nicht tot, sondern] werde [nur] von feindseligen
Geistern gefangen gehalten, die auch ihr nach der Freiheit strebten, des-
wegen sie unerkannt und heimlich herumwandern müsse, bis sie Gelegenheit
und Mittel fände, ihn zu befreien. — Sie hat Netten noch eine weitläufige
Geschichte von Zauberern, Feeen, Ogern und Dämonen erzählt, und was sie
Alles auszustehen habe, bis sie ihn wider erlangen könne" — und auf dieser
Grundlage wird das Heilunternehmen durch N'orspiegelung und Vorspielung
einer Zauberwelt aufgebaut, um „Phantasie durch Phantasie zu curiren".
Ob Goethe dies auf solche Weise in das Stück verflochtene Märchenspiel
aus seiner eigenen Gedankenwelt oder sonst woher entnommen hat, ist
meines Wissens bislang noch von niemand untersucht worden. Wenn ich
hier in Kürze darauf einzugehen gedenke, erlaube ich mir, die Aufmerksam-
keit auf eine naheliegende reichhaltige Quelle zu lenken, auf unsere Puppen-
spiele, welchen Goethe, wie bekannt, stets eine bedeutende Würdigung
zuwandte. In der vor einigen Jahren erschienenen Sammlung der zugäng-
lich gewesenen „Deutschen Puppenkomödien", herausgegeben von Karl
Encel (Oldenburg, Schulzesche Buchhandl.), findet sich ein Stück, welches
leichtlich auf die Goethesche Quelle hinweisen könnte: ..Almanda, die wohl-
thätiwe Fee"; von demselben sagt der Herausgeber: „Über das ergötzliche
Zauberspiel , Almanda, die wohlthätige Fee' liefs sich nichts weiter ermitteln,
als dafs es vorzeiten auf einer stehenden Marionettenbühne zu Augsburg,
von woher auch die mir überkommene Abschrift stammt, ein sehr gern ge-
sehenes Repertoirstück gewesen sein soll." Der Gedankengang des lieb-
lichen Stückes ist folgender:
Ein böser Zauberer mit dem seltsamen Namen Zurpuzizuh hat sich in
Zaira, die Tochter Ibrahims, Beherrschers einer türkischen Insel (aber dabei
schnui-rigerweise Pascha von Balsora genannt), verliebt und will dieselbe
ehelichen, obwohl sie anstatt Liebe nur den heftigsten Abscheu gegen ihn
hat. Um trotzdem seinen Zweck zu erreichen, läTst der Zauberer den Pascha
Miscellen. 455
seine geheimnisvolle Macht fühlen, so dafs derselbe aus Besorgnis für sich
und sein Reich die Einwilligung giebt. Aber das Herz der schönen Zaini
bleibt unerweichlich, und sie ist von tiefer Bekümmernis ob ihres schreck-
lichen Schicksals erfüllt. Da fühlen die Götter iNlitleid mit dem armen
Mägdlein und vertrauen es der Obhut der gütigen Fee Almanda an. Diese
sinnt auf Rettang : Sie zeigt das liebliche Bild der Zaira einem deutschen
Kreuzfahrer, Namens Alexis, im Schlafe und entzündet dadurch denselben
so zur Leidenschaft, dafs er das Urbild seines Traumbildes aufzusuchen
trachtet; ebenso läfst die Fee der Jungfrau das Bild des Ritters erscheinen
und bewirkt bei ihr eine gleich heftige Leidenschaft. Die gütige Fee ist
dann fernerhin behilflich: sie führt Ale.xis an den Ort der Bestimmung,
und das glückliche Brautpaar entflieht zur Nachtzeit. Aber die Flucht wird
zu frühzeitig entdeckt. Der zornige Zurpuzizuh verstrickt die Fliehenden,
da sie noch nicht über die Grenzen seines Gebietes sind, durch seine Kunst
so in Irrwege, dafs Ibrahims Reiterei die Flüchtlinge zu erhaschen vermag;
Zaira wird dem Geliebten entrissen, und Alexis gefesselt in ein Verliefs ge-
worfen. Doch in der Stunde der höchsten Not, als er durch des Henkers
Hand sterben soll, wird er durch Almanda befreit und aus dem Kerker
geleitet. In solcher Weise wirken durch das ganze Stück hindurch Almanda
und der Zauberer sich entgegen, bis zuletzt gelingt, Zurpuzizuh den macht-
verleihenden Talisman zu entreifsen; da ist seine ganze Macht im Nu ver-
nichtet, und auf den Befehl der Fee Almanda versinkt er in die Erde. Das
von der holden Fee wieder zusammengeführte Liebespaar erhält die Zustim-
mung des Vaters Ibrahim zur F^he und Heimfahrt nach Deutschland.
Vergleichen wir diesen Gedankengang des Puppenspieles nun mit der
Zauberspielerei in Goethes „Lila", so finden wir wesentliche Berührungen ;
wir können, um kurz zu sein, folgende Gleichheiten aufsteilen: Zaira = Lila,
Alexis r= Sternthal, Zurpuzizuh = der Oger, Almanda ^= Almaide (wahr-
scheinlich aus Amanda, die Liebwerte, Verehrungswürdige, verderbt). Vor
allem ist es die Ähnlichkeit oder besser Gleichheit des Feennamens, welche
den Gedanken uns aufdrängt, dafs Goethe das beliebte Volksschauspiel ge-
kannt und benutzt habe, um es als Mittel zum Zwecke, in seiner Weise
verarbeitet, dem Singspiele „Lila" einzufügen. Vielleicht hatte Goethe das
Puppenspiel in einer anderen, noch näher liegenden Form kennen gelernt.
In der älteren Bearbeitung des Goetheschen Stückes spielt Lila selber
die wohlthätige Fee und bewirkt ganz vorzugsweise die Heilung des Gatten ;
in der jüngeren Bearbeitung, in welcher Lila als gemütskrank vorgeführt
wird, mufs dann die Schwägerin dieser die Rolle der Almaide übernehnien.
Selbstverständlich ist, dafs in Goethes Zauberspielerei die Wunderbarlich-
keiten des Puppenspieles einer etwas greifbareren Welt Raum geben
mufsten.
Der (Tedanke, die wirkliche Welt durch Vorspiegelung einer Zauber-
welt dem Sinne zu entrücken, bis das kranke Gemüt genügend vorbereitet
ist, jene wieder zu verstehen und zu fühlen, könnte Goethe durcli ein anderes
Puppenspiel vermittelt sein, welches uns gleichfalls durch Karl Engel über-
mittelt ist. Dasselbe führt die Überschrift „Das Reicl» der Toten" und
zeigt uns in äufserst fader Form, wie ein Liebespaar durch Vorgaukelung
einer Scheinwelt, des Totenreiches, die Zustimmung des hartherzigen N'aters
zum Eheschlusse erhält; es hat aber aufser diesem ganz äufserlichen Ge-
danken mit dem Goetheschen Singspiele nicht die mindeste Berührung,
weshalb wir nicht näher darauf eingehen wollen.
Adalbert Rudolf.
456 Miscellen.
Vortraj; über die in beigefügter Tabelle veranschaulichte Zu-
sammenstellung der französischen regehnäfsigen Zeitwörter,
gehalten von Guido Weicbold, Oberlehrer an der Realschule I. O. zu
Zittau, in der Sektion für neuere Sprachen bei der am 17. Mai 1883 in
Zittau stattgehabten Versammlung der sächsischen Realschulmänner zum
Zweck einer Besprechung dieser Formen.
Zur Veranschaulichung meiner Behandlung der französischen, zuvörderst
regehnäfsigen Zeitwörter habe ich dieses System in eine Tabelle gefafst,
die ich zum Zwecke dieser Besprechung mir Ihnen vorzulegen erlaube. —
Der erste Punkt, worauf ich die Aufmerksamkeit zu lenken wünsche, ist die
in dieser Tabelle ersichtliche Unter.>cheidung der zwei Arten von Modi,
nämlich unpersönliche und persönliche. Diese Unterscheidung ist
wohl ofienbar und bedürfte daher keiner Begründung; jedoch um falschen
Auffassungen vorzubeugen, kann ich nicht umhin, den Mifsbrauch des Wortes
„unpersönlich" in der Bezeichnung „unpersönliche Zeitwörter, verbes imper-
sonnels, verba impersonalia" zu erwähnen, der mit der Einteilung der Modi
in „unpersönliche und persönliche" in argen Zusammenstofs gerät. Da in
dem Wort „unpersönlich" der Begriff" liegt, dafs die Form des Zeitwortes
den Begriff" der grammatischen Person gar nicht kennzeichnet, aber in
den sogenannten unpersönlichen Zeitwörtern gerade eine Person, un<l
zwar die dritte, durch die Form des Zeitwortes gekennzeichnet wird, so
liegt auch in der Bezeichnung „unpersönliche Zeitwörter" Widerspruch. Es
ist daher diese Bezeichnung in einigen neueren französischen und englischen
Grammatiken, deren N'erfasser den in derselben liegenden AViderspruch auch
erkannt haben, durch die treff"endere Bezeichnung „einpersönliche Zeitwörter,
verbes unipersonnels, verba unipersonalia" ersetzt worden; jedoch herrscht
in dem Sprachunterricht, vornehndich beim Unterricht im Lateinischen und
Deutschen in den Schulen die falsche Bezeichnung „unpersönliche Zeit-
wörter" noch dermafsen vor, dafs es mir unmöglich gewesen ist, sie bei
meinem Unterricht auszurotten, um Begriff"sverwirrungen bei Einführung
meiner Einteilung der Aussageweisen der Zeitwörter vorzubeugen. Die Vor-
teile meiner Einteilung der Alodi in unpersönliche und persönliche treten
besonders in der Syntax hervor, auf die einzugehen die Zeit nicht erlaubt.
Ich will nur noch beiläufig erwähnen, dafs diese Unterscheidung auch dazu
dient, dieBegriff'e, die man bisher blofs mit den lateinischen Namen verbum
finitum und im Gegensatz dazu verbum infinitum bezeichnete, und wofür es
in der deutschen und französischen Grammatik keine Kennzeichnung gab,
zu kennzeichnen. Ich kann indessen nicht umhin, meiner Verwunderung hier
Ausdruck zu geben iiber den Mangel an Übereinstimmung in diesem Punkt
nicht nur in den Grammatiken der verschiedenen Sprachen, sondern sogar
in den von verschiedenen \'erfassern herausgegebenen Grammatiken der-
selben Sprache. In den Grammatiken der lateinischen und griechischen
Sprache werden Infinitiv und die Participien gar nicht als Modi des Zeit-
wortes angesehen, wenigstens sind sie nicht mit inbegriffen in dem Verzeich-
nis der Modi verbi, sondern machen eine eigene Gattung von Verbalformen,
die sogenannten Nominalformen, aus. Dafs sie Nominalformen sind, schliefst
aber nicht aus, dafs sie Modi verbi sind, denn sonst könnten sie nicht die
Funktionen eines Zeitwortes ausüben, d. h. eine Thätigkeit, einen Zustand
oder den Übergang eines Subjektes von einem Zustande oder Orte zu einem
anderen aussagen. Diese Formen unterscheiden sich nur insofern von den
anderen Aussageweisen, als sie unabhängig sind von der Person und deren Zahl.
An zweiter Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Zeiten
dieser unpersönlichen Aussageweisen lenken. Hier sehe ich mich genötigt,
um meine Zusammenstellung zu begründen und zu rechtfertigen, wieder auf
Unzuträglichkeiten in den bisherigen Bezeichnungen hinzuweisen.
Ich habe für den Infinitiv und die Participien die Zeitbezeichnungen :
Miscellen. 157
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, durch Anwendung einer Klammer
gemeinschaftlich gesetzt und will nun zeigen, dafs, wenn diese Formen ilic
Funktion des Zeitwortes haben, sie wirklich auch ohne Unterschied für
gegenwärtige Zeit sowohl, als auch für vergangene und zukünftige Zeit-
begriffe stehen und folglich die bisherigen Zeitbezeichnungen : ]u'esent de
l'indicatif, participe present und partiripe passe, unvollkommen und unter
Umständen unrichtig sind. Um dies für den inlinitif zu beweisen, braucht
man blofs unter Berücksichtigung der concordance des temps solche Neben-
sätze, in welchen eine Zusammenziehung des Subjektes mit dem verbum
linitum in den Infinitiv stattgefunden hat, in diese Bestandteile aufzulösen;
z. B. Je suis bien aise de vous voir, je fus bien aise de le voir, je serai
bien aise de revoir mes parcnts. In dem ersten Satze steht de vous voir
für de ce que je vous vois, also der infinitif mit dem ZeitbegrilV der Gegen-
wart; im zweiten Satze steht de le voir für de ce que je le vis, also der
infinitif mit dem Zeitbegriff" der Vergangenheit, und im dritten Satze steht
de revoir mes parents für de ce que je reverrai mes parent«, also der in-
finitif mit dem Zeithegriff' der Zukunft. Um ferner meinen Satz für die
Participien zu beweisen, mufs ich vorausschicken, dafs ich in meiner Zu-
sammenstellung, um arge Zusammenstöfse mit meiner Zeitbezeichnung zu
vermeiden, dasjenige Piirticipium, welches bisher den Namen participe present
trug, mit Jei' participe, und dasjenige, welches bisher den Namen participe
passe trug, mit II<^ participe bezeichnet habe. Der Beweis dafür, dafs dies
sogenannte participe passe nicht notwendigerweise den Begriff" vergangener
Zeit, den der Name aufdrängt, enthält, liegt schon off'enbar in der franzö-
sischen Umschreibung der leidenden Form eines thätigen Zeitwortes: les
aspirants sont admis, les aspirants furent admis, les aspirants seront admis.
Wenn in dem sogenannten participe passe wirklich der Begriff" vergangener
Zeit, wie ihn der Name aufdrängt, läge, so wäre auch Widerspruch in dieser
Umschreibung der Gegenwart und Zukunft des Passivs. Ist nun aber diese
Form unabhängig von dem Begriff" einer besonderen Zeit, so mufs offenbar
dieser Name participe passe zu Begriffsverwirrungen führen. Geeigneter
schon wäre der Name participe passif, den ich in einigen (Grammatiken ge-
funden habe. In ganz ähnlicher Weise lälst sich nachweisen, dafs auch das
sogenannte participe present nicht inmier blofs den Begriff" gegenwärtiger
Zeit, wie ihn der Name aufdrängt, sondern ebensowohl den vergangener
und zukünftiger Zeit bezeichnen kann. L'occasion e'tant favorahle, nous en
profitons, nous en profitämes, nous en profiterons. Im ersten Falle steht
l'occasion etant favorahle für puisque l'occasion est favonible, im^ zweiten
Ausdruck für comrae l'occasion etait ftivorable, und im dritten Salze tur
quand l'occasion sera favorahle. Aus diesen Beispielen ersieht man, dals
die Participien, wenn sie Verbalfunktion haben, gleiche Form haben für die
verschiedenen Zeiten. Der in einigen Grammatiken gebrauchte Name parti-
cipe actif ist jedenfalls geeigneter als participe present.
Der dritte Punkt, den ich zur Besprechung bringen möchte, ist das
Stief- und Schmerzenskind der französischen Grammatik, das sogenannte
„conditionnel, modus conditionalis, bedingende Aussageweise". Die Begriff.s-
verwirrung, welche hier herrscht, geht über alle Begriffe. Schon der Name
conditionnel kennzeichnet die eigentliche Beschaffenheit dieser Aussageweise
zu unvollkommen, denn conditionnel heifst bedingungsweise. Nun wu-d aber
in bedingungsweisen Aussagen nicht dieser Modus, sondern der Indikativ
und Konjunktiv gebraucht, z. B. Pourvu fiue vous fassiez votre devoir. vous
gagnerez l'estime de vos concitoyens. Je vous prete ce livrc ä condition
que vous me le rendiez demain etc. Es wird dieser Modus vielmehr ge-
braucht in Sätzen, die aus zwei Teilen bestehen, wovon der eine, ähnlich
wie bei Lehrsätzen in der Mathematik, eine Annahme, eine Voraussetzung
aufstellt und der andere eine Behauptung darauf gründet oder eine bolgo
davon ableitet, nur mit dem Unterschiede, dafs diese Annahme oder Vor-
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458
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Miscellen.
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Car. de genre
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Caract. de mode
Kennzeichen der
Aussageweise
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1 d. Gattung
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Futur— Zukunft
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Pres. — Gegenw.
Partie radicale
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_■ passe descriptif.
^Hat gleiche Form mit der
2 beschreibenden Ver-
~ gangenheit.
a —
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g Cd. mode
'S Kz. d.Asw
a> C.d.temps
^ Kz.d. Zeit
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Sing. — Einz. Flur. — RJz.
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Präsent — Gegenwart
Miscellcn.
■159
SinguHer — Einzahl
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Pluiiel — Mehrzahl
N'existe pas.
Ist nicht vorhanden.
N'existe pas.
Ist nicht vorhanden.
N'existe pas. ~
Ist nicht vorhanden. ri
N'existe pas.
Ist nicht vorhanden.
N'existe pas.
Ist nicht vorhanden.
1
S
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•u
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I -^
i
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-
A la uieme forme que le
passe descriptif de ce
niode.
Hat dieselbe Form wie
die beschreibende Ver-
gangenheit dieser Aus-
sageweise.
A la nieme forme quc K
«
=c
present de ce modo.
— < '^
^r^
.^
Hat gleiche Form mit der
Gegenwart dieser Aussage-
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CO
weise.
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Sing. — E
nz. Plur.
—
Mz.
Sing. — Einz. Plur. — Mz.
n
Sing. — Einz. IMur. — Mz.
—1 Cl
r t i
descriptif
CO •-! IM CO
e r a d i
— beschreibend
^ ri CO .-( (N CO
c a 1 e — S t a
narratif — erzählend
^ r» n ^ Ol n
m
Passe -
- Ver
gangen heit
F u 1 11 r — Z u k u n f t
460
Miscellen.
aiissetznng, folglich auch die daraus abgeleitete Folgerung nicht der Wirk-
lichkeit zu entsprechen braucht, in welchem Falle, wie dies eben bei mathe-
matischen Lehrsätzen stattfindet, der Indikativ anzuwenden ist. Beispiel:
„Si les angles opposes d'un quadrilatcre etaient supplementaires, le quadri-
latere serait inscriptible dans un cercle"; im Gegensatze zu: „Si" oder
„toutes les fbis que les angles opposes d'un quadrilatcre sont supplemen-
taires, le quadrilatcre scra inscriptible dans un cercle." In der ersten Form
werden die Voraussetzung und die darauf gegründete Folge blofs als der
Observations relatives aux
terminaisons per s o nn eil es.
lo- La terminaison s de la pre-
miere personne du singulier est sup-
primee: a) au present de l'indicatif
des verbes du Iß»' genre; h) au prä-
sent et au passe du subjonctif des
verbes de tous les quatre genres ;
eile se confond d'ailieurs avec la ca-
racteristique a en ai au passe narra-
tif de l'indicatif des verbes du Ie>-
genre et avec la caracteristique ra
en rai au futur de Tindicatif des
verbes de tous les quatre genres.
II«- La terminaison .<; de la deu-
xieme personne du singulier est sup-
primee ä l'impcratif des verbes du
jer genre.
IIIo. La terminaison / de la troi-
sieme personne du singulier est sup-
primee : o) au present de l'indicatif
des verbes du 1er genre et de ceux
du IVi«""«* genre dont la partie radi-
oale se termine par d ou t; b) au
present et passe du subjonctif ainsi
qu'au futur de l'indicatif des verbes
de tous les quatre genres ; c) au
passe narratif de Tindicatif des verbes
du ler genre.
IVo. Les terminaisons ons et ez
des deux premieres personnes du
pluriel sont remplacees par 7ncs et
tes au passe narratif des verbes de
tous les quatre genres.
VtJ- La terminaison ent de la troi-
sieme personne du pluriel est rem-
placee par ont au futur de l'indicatif
des verbes de tous les quatre genres.
Bemerkungen zu den Per-
sonal-Endungen.
L Die Endung s der ersten Person
der Einzahl fällt aus : a) in der
Gegenwart der unabhängigen Aus-
sageweise der Zeitwörter der ersten
Gattung; h) in der Gegenwart und
der Vergangenheit der abhängigen
Aussageweise der Zeitwörter aller
vier Gattungen; sie verscinnilzt aufser-
dem mit dem Kennzeichen a in ai
in der erzählenden Vergangenheit der
Zeitwörter der ersten Gattung und
mit dem Kennzeichen ra in rat in
der Zukunft der unabhängigen Aus-
sageweise der Zeitwörter aller vier
Gattungen.
IL Die Endung s der zweiten Per-
son der Einzahl fällt aus in der be-
fehlenden Aussageweise der Zeitwör-
ter der ersten Gattung.
III. Die Endung t der dritten Per-
son der Einzahl fällt aus : a) in der
Gegenwart der unabhängigen Aus-
sageweise der Zeitwörter der ersten
Gattung und derjenigen der vierten
Gattung, deren Stamm auf d oder t
ausgeht; b) in der Gegenwart und
der Vergangenheit der abhängigen
Aussageweise, sowie auch in der Zu-
kunft der unabhängigen Aussageweise
der Zeitwörter aller vier Gattungen ;
(•) in der erzählenden Vergangenheit
der unabhängigen Aussageweise der
Zeitwörter der ersten Gattung.
IV^. An Stelle der Endungen ons
und ez der ersten und zweiten Per-
son der Mehrzahl treten die Endungen
7)ics und tes in der erzählenden Ver-
gangenheit der unabhängigen Aus-
sageweise der Zeitwörter aller vier
Gattungen.
V. An Stelle der Endung efit der
dritten Person der Mehrzahl tritt die
Endung ont in der Zukunft der un-
abhängigen Aussageweise der Zeit-
wörter aller vier Gattungen.
Miscellen. 461
Zusammenhang von Ursache und Wirkung aufgefal'st, abgesehen davon, üb
diese Ursache jemals ihre Wirkung ausübt. In der zweiten Form hingegen
betrachtet man die Fälle, wo die Ursache ihre Wirkung ausübt. Die zwei
Teile dieser Aussage zerfallen syntaktisch in Hauptsatz und Nebensatz ; der
Hauptsatz heifst: Un quadrilatere serait inscripiible dans un cerole; der
Nebensatz ist: si ses angles opposees etaient supplementaires. Jedoch
logisch aufgefafst, ist derjenige Teil, welcher die Annahme aussagt, der
Hauptsatz, und der andere Teil, welcher die Folge dieser Annahme aussagt,
der Nebensatz. Ich würde anstatt „conditionnel" viel lieber die trellendere
Bezeichnung „raode hypothetique" angenommen haben, wenn ich nicht ge-
fürchtet hätte, dem bisherigen Gebrauch zu sehr Gewalt anzuthun. Die
deutsche Bezeichnung „Voraussetzende Aussageweise" trägt einigermafsen
diesem Sinne Rechnung. Es hat jedoch dieser Modus, aufser der eben er-
wähnten, noch eine andere Funktion; er wird nämlich in Objektsätzen an-
gewendet, welche von Zeitwörtern des Sagens und Denkens regiert werden,
wenn das regierende Zeitwort in einer vergangenen Zeit des Indikativs steht,
sowohl um den Begriff' der Nachzeitigkeit der Aussage des Objektsatzes
in Bezug auf die des regierenden Zeitwortes, als auch den des Überganges
von der geraden Rede zur ungeraden auszudrücken; z. B. 11 esperait qu'il
reussirait — 11 s'imaginait que ses amis le tireraient d'affaire. Die Zeit
erlaubt mir nicht, diesen wichtigen Punkt, wie ich es wünschte, ausführ-
licher zu besprechen. Ich gehe daher gleich über zu den Zeiten dieses
Modi.«. Hierin besteht die gröfste Begriffsverwirrung. Die Formen z. B.
je serais, j'aurais ete sind nach den Grammatiken die einzigen Zeiten dieses
Modus, und zwar gilt die erste als conditionnel present und die letzte als
conditionnel passe. Es sind dies wohl die einzigen von den Zeiten anderer
Aussageweisen wesentlich verschiedenen Formen, jedoch schliefst dies die
Möglichkeit nicht aus, dafs noch andere Zeiten dieses Modus mit denen
anderer Modi zusammenfallen, was wirklich der Fall ist, und wovon nian
sich überzeugen kann, wenn man die Sache logisch auffafst. In meinem
Beispiel: Si les angles opposes d'un quadrilatere etaient supplementaires, le
quadrilatere serait inscriptible dans un cercle, ist das Zeitwort des hypo-
thetischen Satzes „etaient". Wollte man dieses Zeitwort als das imi)arfait
de lindicatif auffassen, so würde das zu einer logischen Ungereimtheit führen,
insofern als das imparfait vergangene Zeit bezeichnet, in der Hypothese aber
keineswegs der Begriff" vergangener Zeit, sondern, wenn überhaupt der Be-
griff" einer besonderen Zeit zu Grunde liegt, es nur der der gegenwärtigen
sein kann ; wollte man in dem Folgesatze hingegen das Zeitwort seraient als
present auffassen, so müfsten Ursache und Wirkung der Zeit nach zusam-
menfallen, während doch die Wirkung als der Ursache nachzeitig aufzufassen
ist, folglich „seraient" nicht present du conditionnel, sondern hiernach nur
futur du conditionnel sein kann. Wollte man ferner in der hypothetischen
Aussage des Satzes: S'ils m'avaient compris, its auraient agi autrcment,
„avaient compris" als das plusqueparftut de l'indicatif ansehen, so mülste
die Aussage der Hypothese etwas vorzeitig "Vergangenes bezeichnen, d. h.
etwas weiter zurück in der Vergangenheit Liegendes als ein anderer Zeit-
punkt der \'ergangenheit, von welchem es abhängt. Da das in „s'ils m'a-
vaient compris" Ausgesagte nur im Bezug auf die Zeit der Aussage^ ver-
gangen ist, so kann es nur passe absolu, d. h. das parfait sein. Ls als
plusqueparfait anzusehen, hiefse soviel wie die Ursache abhänf;ig maclien
von der Wirkung; denn nur wenn „s'ils m'avaient compris" abhangig wäre
von „auraient agi", könnte es Vorvergangenheit bezeichnen. In \\ ahrheit
aber ist nur die Nachzeitigkeit des in „ils auraient agi" Ausgesagten in
Bezug anf „s'ils m'avaient compris" vorhanden; „ils auraient agi autreinenl"
ist daher auch nicht ein i)asse absolu, sondern ein pisse posterieur oder
futur relatif. Hiernach hat der modus conditionaiis vier Zeiten, nämlich:
1) Ein present, welches im Französischen gleiche Form mit dem sogen.
462 Miscellen.
imparfait de l'indicatif, im Deutschen aber gleiche Form mit dem Imper-
fektum des Konjunktivs bat.
2) Ein present posterieur oder futur, wofür in beiden Sprachen beson-
dere Formen vorhanden sind.
3) Ein passe, welches im Französischen gleiche Form mit dem plus-
queparfait de l'indicatif hat und als Nebenform mit dem plusqueparfait du
subjonctif; während es im Deutschen gleiche Form mit dem Plusquamper-
fektum des Konjunktivs hat.
4) Ein passe posterieur oder futur relatif, wofür in beiden Sprachen
besondere Formen vorhanden sind, im Französischen jedoch oft das plusque-
parfait du subjonctif und im Deutschen das Plusquamperfektum des Kon-
junktivs steht.
Die in der 49. Lektion der Schulgrammatik von Plötz gegebene Er-
klärung: „das conditionnel wird von vielen Grammatikern als ein eigener
Mqdus angesehen. Das conditionnel present ist aber nichts anderes als das
Imperfektum des Futurs, das conditionnel passe ist das Plusquamperfektum
des Futurs. Beide sind also Zeiten des indicatif" erweist sich hiernach ge-
radezu als Unsinn.
Ich komme nun nach dieser Begründung der von mir von dem bisherigen
Gebrauch abweichenden Bezeichnungen in meiner Zusammenstellung
der einfachen Formen der regelmäfsigen Zeitwörter zu dieser Zusammen-
stellung selbst.
Hier habe ich, um womöglich die sogenannten vier regelmäfsigen Kon-
jugationen in ein System zusammenzufassen, eine ganz neue Bezeichnung
gebraucht, nämlich „caracteristique = Kennzeichen", und zwar folgende
drei Arten derselben : 1) caracteristique de genre := Kennzeichen der Gat-
tung, 2) caracteristique de temps = Kennzeichen der Zeit, und 3) carac-
teristique de mode = Kennzeichen der Aussageweise.
Wie die Namen schon andeuten, sind diese Kennzeichen diejenigen Teile
des Zeitwortes, welche die Begriffe der, ursprünglich der Form nach, ver-
schiedenen Gattungen der Zeitwörter, der Zeiten und Aussageweisen kenn-
zeichnen und welche zwischen den unveränderlichen Teil des Zeitwortes,
den Stamm, welcher blofs den Grundbegrifl' des Zeitwortes, unabhängig von
den Begriffen der Zeit, der Aussageweise, der Person und der Zahl der
Personen kennzeichnet, und denjenigen veränderlichen Teil treten, wel-
cher die Begriffe der grammatischen Person und der Zahl derselben kenn-
zeichnet. Als Beispiel möge dies das Zeitwort „devoir" veranschaulichen.
Der infinitif, die Grundform „devoir" besteht aus den drei Teilen:
1) Stamm d, 2) Kennzeichen der Gattung eu-oi, 3) Kennzeichen des Modus r.
Das erste Particip „devant" besteht wieder aus den drei Teilen: 1) dem
Stamm </, 2) dem Kennzeichen der Gattung ev und demjenigen des Modus ant.
Das zweite participe besteht aus dem Stamm d und aus dem vereinigten
Kennzeichen der Gattung und des Modus ü.
Das present de l'indicatif besteht: 1) für alle Personen beider Zahl-
formen aus dem .Stamm f/, 2) in den drei Personen der Einzahl aus dem
Kennzeichen der Gattung oi, in den zwei ersten Personen der Mehrzahl aus
dem Kennzeichen der Gattung ev und in der dritten Person der Mehrzahl
aus dem Kennzeichen der Gattung oii\ 3) aus den Personal-Endungen .f, ä,
t, Otts, ez, ent. Besondere Kennzeichen der Zeit und des Modus giebt es
hier nicht: es wird also diese Zeit und dieser Modus durch die Abwesenheit
besonderer Kennzeichen der Zeit und des Modus gekennzeichnet.
Das passe narratif besteht zuvörderst wieder 1) aus dem Stamm d für
alle Personen beider Zahlformen, 2) aus den vereinigten Kennzeichen der
Galtung und der Zeit u für die drei Personen der Einzahl, für die beiden
ersten Personen der Mehrzahl aber ü und für die dritte Person der Mehr-
zahl ur, 3) aus den Personal- Endungen s, s, t für die drei Personen der
Einzahl, für die zwei ersten Personen der Mehrzahl aber mes^ tes und für
Miscellen. 463
die dritte Person der Mehrzahl ent. Der Modus ist durcli Abwesenheit eines
besonderen Kennzeichens gekennzeichnet.
Das passe descriptif besteht: 1) aus dem Stamm d, 2) aus dem Kenn-
zeichen der Gattung et-, 3) aus den Kennzeiciien der vergangenen Ztit al
für die drei Personen der Einzahl und die dritte Person der Mehrzahl, für
die ersten beiden Personen der Mehrzahl /, 4) aus den Personal-Endungen
.«, .s, /, ons, €z, ent. Ein besonderes Kennzeichen des Modus giebt es auch
hier nicht.
Das fütur de l'indicatif besteht: 1) aus dem Stamm d für alle Personen
beider Zahlen, 2) aus dem Kennzeichen der Gattung ev für alle Personen
beider Zahlformen, 3) aus den Kennzeichen der zukünftigen Zeit ra für die
drei Personen der Einzahl und r für die drei Personen der Mehrzahl, 4) aus
den Personal-Endungen i, s für die zwei ersten Personen der Einzahl und
ons, ez und ont für die drei Personen der Mehrzahl. Der Indikativ hat
überhaupt kein besonderes Kennzeichen.
Das present du subjonctif besteht: 1) aus dem Stamm d für alle Per-
sonen beider Zahlformen, 2) aus den Kennzeichen der Gattung oiv für
die drei Personen der Einzahl und die dritte Person der Mehrzahl und ev
für die ersten beiden Personen der Mehrzahl. 3) aus den Kennzeichen des
Modus e für die drei Personen der Einzahl und / für die ersten beiden Per-
sonen der Mehrzahl, — die dritte Person dieser Zahlform hat kein Kenn-
zeichen des Modus — , 4) aus den Personal-Endungen für die zweite Person
der Einzahl s und ons, ez, ent für die drei Personen der Mehrzahl. Das
present hat kein Kennzeichen der Zeit, wird also durch die Abwesenheit
eines solchen gekennzeichnet.
Das passe du subjonctif besteht: 1) aus dem Stamm d für alle Personen
beider Zahlformen, 2) aus den vereinigten Kennzeichen der Gattung und
der Zeit hss, 3) aus den Kennzeichen des Modus e für die drei Personen
der Einzahl und i für die zwei ersten Personen der Mehrzahl, 4) aus den
Personal-Endungen — , s, — , ons, ez, ent.
Das futur du conditionnel besteht: 1) aus dem Stamm d für alle Per-
sonen beider Zahlformen, 2) aus dem Kennzeichen der Gattung ev, 3) aus
dem Kennzeichen der zukünftigen Zeit 7a für die drei Personen der Einzahl
und die dritte Person der Mehrzahl und r für die ersten beiden Personen
der Mehrzahl, 4) aus dem Kennzeichen des modus conditionalis /, ö) aus
den Personal-Endungen s, s, t, ons, ez, ent.
Der imperatif besteht: 1) aus dem Stamm d, 2) aus den Kennzeichen
der Gattung oi für die zweite Person der Einzahl und ev für die zwei ersten
Personen der Mehrzahl, 3) aus den Personal-Endungen — , s, — , ons, ez, — .
Zeit und Modus sind hier nicht besonders gekennzeichnet.
Aus der Einrichtung meiner Tabelle ist nun ersichtlich: 1) Dafs die so-
genannten vier regelmälsigen Konjugationen sich im wesentlichen nur durch
die Kennzeichen der Gattung unterscheiden und dafs sie die Kennz(>ichcn
der Modi und Zeiten, sowie auch die Personal-Endungen gemeinsam haben.
2) Dafs die Personal-Endungen bis auf die in den Bemerkungen angeführten
Fälle nicht nur allen vier Konjugationen, sondern allen Zeiten d<'r pt.'rsün-
lichen Modi gemein sind. 3) Dafs die Kennzeichen der Modi im allgemeinen
allen Zeiten desselben Modus gemein sind. 4) Dafs die Kennzeichen der
Zeit, wenn keine Zusammenziehung derselben mit denen der Gattung statt-
gefunden hat, allen Modis gemein sind.
Es bietet diese Zusammenstellung aufser dem Vorteil, dafs die früheren
vier Konjugationen auf ein System zurückgeführt sind, welches .sich mit
melir oder minder unbeträchtlichen Abweichungen auch auf die unregel-
mäfsigen Zeitwörter ausdehnen lafst, den noch wirbligeren Vorteil, dafs iler
Lernende daraus eine klare Anschauung von den Funktionen eines jtnlen der
fiinf Teile, nämlich: 1) Stamm, 2) Kennzc-ichen der Gattung, 3) Kennzeichen
der Zeit, 4) Kennzeichen des Modus, 5) Personal-Endungen, bekommt, i. e.
464 Miscellen.
dafs ihm dadurch zum Bewufstsein kommt, dafs der Stamm blofs den Grund-
begrin des Zeitwortes, den Begriff einer Thätigkeit, eines Zustandes oder
des Überganges eines Subjektes von einem Zustande oder Orte zu einem
anderen bezeichnet, unabhängig von dem Begriff der verschiedenen Gattungen
von Formen zur Bezeichnung des Grundbegriffes, von den Begriffen von
Zeit, Aussageweise und Personen der Aussage, sowie auch der Zahl der-
selben, dafs das Kennzeichen der besonderen Gattung hingegen unabhängig
ist von dem Grundbegriff', und auch, wofern lieine Zusammenziehung statt-
gefunden hat, von den Begriffen der Zeit, der Aussageweise, der Personen
und der Zahl der Personen ; dafs ferner der Teil, welcher den Begriff der
Zeit kennzeichnet, im allgemeinen, d. h. wo keine Verschmelzung dieses
Teiles mit dem Kennzeichen der Gattung stattgefunden hat, unabhängig ist
von den übrigen Teilen etc.
Deutschlands Gröfse.
Gedicht-Bruchstücke und Entwurfgedanken von Schiller.
Fest auf seinem Wellengotte
Fuhrt der Britte seine Flotte
Durch die Wtlten siegb&Xawht,
Und den Königen zum Hohne
Mit der freien Bürgerkrone 5
Ziert der Franke sich das Haupt!
Deutschland aber bliihn nicht Siege
Aus dem tränenvollen Kriege —
Ach, es flucht der Zeit erfirimmt.
Wo der Franke, wo der Britte 10
Mit dem stolzen Siegerschritte
Herrscliend sein Geschick bestimmt!
Schweigend in der Ferne stehen
Und die Erde teilen sehen,
Sehn, wie Jeden Augenblick 15
Man es selber neu zerfleischet
Und den Beute-Anteil heischet,
Bas ist Deutschlands Hohngeschich!
Lächelnd naht der goldne Friede
üfid die IVqff'en ruhen müde — 20
Traurig mit gesenktem Blick
Steht der Deutsche: Seinem Sohne
Bringt er keine Freiheitskrom^
Keinen Lorbeer mit zurück. . . .
Deutschlands Majestät und Ehre 25
Ruhet — harte, bittre Lehre! —
Auf dem Haupt der Fürsten nicht:
Wo die Meinung Tugend präget,
Wo der Witz die Wahrheit wäget,
Blinkt nicht Deutschlands Hqffnungslicht. 30
Aiif der Macht des Bürgerstandes
Fufst das Heil des Vaterlandes —
Hoffend lajst die Fahnen wehn !
Stürzte auch in Kriegesflammen
Deutschlands Kaiserreich zusammen, 35
Deutschlands Gröfse bleibt bestebii !
Finster zwar und grau von Jahren,
Aus den Zeiten der Barbaren
Miscellen.
465
CO
65
Stammt der Deutschen altes Reich.
Doch lebendge Blumen grünen
Über gothischen Ruinen
Eivigschön und cwiggXeich.
Zu erobern mit den Flotten
Und durch trunkne Krietjerrotten
Obzusiegen mit dem Schwert, '
Das ist nicht des Deutschen Gröfse,
Ist nur eitles Prunkgetöse,
Mcht des Mühns und Ei/erns wert.
In das Geisterreich zu dringen
Und die Hölle zu bezwingen
Mit dem lichten Geisiesschwert,
Vorurteile zu besiegen,
Männlich mit dem Wahn zu kriegen,
Das ist seines Eifers wert!
Schwere Ketten drückten alle
Völker auf dem Erdeballe,
Als der Deutsche sie zerbrach,
Fehde bot dem Vaticane,
Krieg ankündigte dem Wahne,
Der die ganze Welt bestach.
Höhern Sieg hat Der errungen.
Der der Wahrheit Blitz geschwungen,
Der die Geister selbst befreit.
Freiheit der Vernunft erfechten,
Heifst für alle Völker rechten.
Gilt für alle ewge Zeit.
Ewge Schmach dem deutschen Sohne,
Der die angeborne Krone
Seines Menschenadels schmäht.
Der sich beugt vor fremden Götzen,
Nach des Britten todten Schätzen,
Fränkschem Glänze lüstern späht!
Jedes Volk hat Licht und Schatten,
Jugendfeu'r und Alt-ermaiten ;
Jedem Volk der Erde glänzt
Einst sein Tag in der Geschichte,
Wo es strahlt im höchsten Lichte
Und mit hohem Ruhm sich kränzt.
Doch des Deutschen Tag wird scheinen,
Wenn die Scharen sich vereinen
In der Menschheit schönes Bild,
Wird in ewgem Lichte glänzen
Und das Ideal ergänzen,
Wenn der Zeiten Kreis sich füllt!
Die mit gewöhnlicher Schrift gedruckten Worte sind von Schiller; das
kursiv Gedruckte ist ein kühnes Ergänzungswagnis des Unterzeichneten,
welches durchaus nicht den Anspruch erhebt, annähernd an die gohUnen'
Worte des unsterblichen Meisters zu reichen. Schiller bietet zn obigen»
Gedichte folgende Abweichungen und Bruchstückworte:
Vers 2: Steht der Britte,
Vers 3: Der die Stirne sich belaubt.
Vers 6: Schmückt der Franke etc.j
Vers 12: Über seinen Nacken tritt!
Vers 22 — 24: Keine freie BUrgerkrone
Archiv f. n. Sprachen. LXXI. <jq
80
4(36 Miscellen.
Bringt er nach Haus,
Wie der Franke seinem Sohne
Keinen Lorbeer etc.
Ohne Lorbeer, ohne
Und mit lorbeerleerem Haupt!
. Vers 26, 27: Ruhet nicht auf dem Haupt seiner Fürsten
Wohnt nicht auf dem Haupt der etc.
Vers 31, 32: Wohnt auf seiner Bürger Haupt.
Vers 35, 36: Deutsche
Nicht, wo Deutschland
Vers 68: Der die hohe Krone
Vers 70 — 72 : Kniet vor einem fremden Götzen,
Der des Britten todten Schätzen
Huldigt und des Franken Glanz.
In Vers 77 sollte man erwarten:
Wo es strahlt im schönsten Lichte,
weil das Eigenschaftswort „hoch" im nächsten Verse wiederkehrt.
Dafs das mit „Deutschlands Gröfse" zu bezeichnende Gedicht viel um-
fangreicher beabsichtigt war, geht aus dem bedeutenden Prosa -Entwürfe
hervor; er sei hier mit geringen Formänderungen, bezüglich der Satzfolge,
wiedergegeben :
„Darf der Deutsche in diesem Augenblicke, wo er ruhmlos aus seinem
thränenvollen Kriege geht, wo zwei übermütige Völker ihren Fufs auf seinen
Nacken setzen, und der Sieger sein Geschick bestimmt, — darf er sich
fühlen? darf er sein Haupt erheben und mit Selbstgefühl auftreten in der
Völker Reihe? Ja, er darf's! Er geht unglücklich aus dem Kampf; aber
Das, was seinen Wert ausmacht, hat er nicht verloren. Deutsches Reich
und Deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen
ruhte nie auf dem Haupt seiner Fürsten. Abgesondert von dem Politischen
hat der Deutsche sich einen eignen Wert gegründet; und wenn auch das
Imperium untergegangen, so bliebe die deutsche Würde unangefochten. Sie
ist eine sittliche Gröfse; sie wohnt in der Cultur und im Character der
Nation, die von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist. — Dieses Reich
blüht in Deutschland, es ist in vollem Wachsen, und mitten unter den gothi-
schen Ruinen einer alten barbarischen Verfassung bildet sich das Lebendige
aus, und indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer
fester und vollkommener gebildet. — Der Deutsche wohnt in einem alten
sturzdrohenden Haus; aber er selbst ist ein edler Bewohner. Er hat sich
längst (über) seinen politischen Zustand emporgehoben, und ein strebendes
Geschlecht wohnt in dem alten Gebäude. Ihm ist das Höchste bestimmt,
die Menschheit, die allgemeine in sich zu vollenden und das Schönste, was
bei allen Völkern blüht, in einem Kranz zu vereinen, und so wie er in der
Mitte von Europens Völkern sich befindet, so ist er der Kern der Mensch-
heit (die Frucht! A. H.)\ jene sind die Blüte und das Blatt. — Er verkehrt
mit dem Geist der Welten. Er ist erwählt vor {von? A.R.) dem Weltgeist,
nicht im Augenblicke zu glänzen und seine Rolle zu spielen, sondern den
grofsen Procefs der Zeit zu gewinnen, während des Zeitkampfs an dem
evvgen Bau der Menschenbildung zu arbeiten, zu bewahren, was die Zeit
bringt. Daher hat er bisher Fremdes sich angeeignet und es in sich be-
wahrt. Alles, was Schätzbares bei anderen Zeiten und Völkern aufkam,
mit der Zeit entstand und schwand — die Schätze von Jahrhunderten —
hat er aufbewahrt; es ist ihm unverloren. — Nach dem Höchsten soll er
streben (Die Natur und das Ideal). Jedes Volk hat seinen Tag in der Ge-
schichte; doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit —
wenn der Zeiten Kreis sich füllt ;
und des Deutschen Tag wird scheinen,
Miscellen. 4g 7
wenn die Scharen sich vereinen
in der Menschheit schönes Bild.
Dem, der den Geist bildet (beherrscht), mufs zuletzt die Herrschaft werden;
deen endlich, an dem Ziele der Zeit, — wenn anders die Welt einen Plan,
wenn des Menschen Leben irgend nur Bedeutung hat — endlich mufs die
Sitte und die Vernunft siegen,
die rohe Gewalt der Form erliegen,
und das langsamste Volk wird alle die schnellen, flüchtigen (Völker) ein-
holen. Die anderen Völker waren dann die Blume, die abfällt. Wenn die
Blume abgefallen, bleibt die goldne Frucht übrig, bildet sich, schwillt (die
Frucht) der Ernte zu.
Und im lochrigten Gefäfse
Kinnt
Keine Hauptstadt und kein Hof übte eine Tyrannei über den deutschen
Geschmack aus (Paris, London). So viele Länder und Ströme und Sitten,
so viele eigene Triebe und Arten {? So viele Länder und Ströme, so viele
eigene Triebe, Arten und Sittenl? A. R.). — Nicht aus dem Schofs des
Verderbens, nicht am feilen Hofe der Könige schöpft sich der Deutsche
eine trostlose Philosophie des Eigennutzes, einen traurigen Materialism,
nicht da,
wo die Meinung Tugend präget,
wo der Witz die Wahrheit wäget.
(Nicht Redner sind seine Weisen.) Darum blieb ihm das Heilige heilig.
Die Sprache ist der Spiegel einer Nation. Wenn wir in diesen Spiegel
schauen, so kommt uns ein grofses, treff"liches Bild von uns selbst daraus
entgegen. Das köstliche Gut der deutschen Sprache, die Alles ausdrückt,
das Tiefste und das Flüchtigste, den Geist, die Seele, die voll Sinn ist. Wir
können das Jugendlich -Griechische und das Modern- Ideelle ausdrücken.
Unsere Sprache wird die Welt beherrschen." —
Aufser diesem Gedankenreichtum bietet Schiller neben den obigen Ge-
dichtbruchstücken noch einige solche, welche den Sinn enthalten, dafs die
Engländer in falscher Eitelkeit manches Fremde sich aneignen, ohne dafs
sie, gleich dem Deutschen, in die Tiefe desselben einzudringen vermögen.
Ich setze dieselben, als gesondertes Gedicht, gleichfalls hierher und gebe
diesem die Überschrift :
Die Antiken zu London.
Mag der Britte die Gebeine
Alter Kunst, die edlen Steine
Und ein ganzes Herculan —
Gierig nach dem Kostbarn greifen
Und auf seiner Insel häufen, 5
Was ein Schiff nur laden kann —
Nimmer werden sie zum Leben
Auferstehn und sich erheben
Vom Gestelle: Stein hleibl Stein!
Ewig werden sie Verbannte 10
Bleiben an dem fremden Strande,
Werden nie dort heimisch sein.
Aiunt nicht nach die Thorheitacenen :
Denn der Witz hat mit dem Schönen,
Mit dem Hohen nichts gemein ! 15
3iög er sich auch niiüun, plagen ;
Schicksal wird es stets versagen:
Ewig bleibt der Stein dort Stein!
30*
468 Miscellen.
Der erste Entwurf der zweiten Strophe lautet: „Nimmer werden sie
leben, immer fremd und verbannt bleiben; sie werden nie auferstehn, nie
helmisch sein." Vers 12 bietet die Abweichung:
Nie zum Leben auferstehn.
Zu Vers 14, 15 sagt Schiller entwurfartig: „Der Witz hat nichts gemein
mit dem Schönen, mit dem Idealen."
Dem Gedichte „Die Antiken zu London" schliefst sich das „Die An-
tiken zu Paris" überschriebene vollständig, sowohl dem Gedankengange,
als dem Versmafse nach, an; die beiden zweiten Strophen stimmen zum
Teil wörtlich überein. Demnach ist als sieber anzunehmen, dafs auch das
Gedicht „Die Antiken zu Paris" ursprünglich der grofsen Dichtung „Deutsch-
lands Gröfse" angehören sollte und erst (1803 veröffentlicht) als selbständig
ausgesondert ward, als diese unvollendet beiseite geschoben worden war.
Dasselbe mufs man von dem (auch 1803 veröffentlichten) Gedichte „Die
deutsche Muse" behaupten; es ist gleichfalls genau in demselben Vers-
mafse geschrieben und spinnt den Gedanken weiter: „Die Majestät des
Deutschen ruhte nie auf dem Haupt seiner Fürsten"; so hat sich denn auch
die deutsche Kunst von selber entfaltet. Man sieht, wie umfänglich die
Dichtung „Deutschlands Gröfse" zu werden versprach. Aber eben daran
wird sie gescheitert sein : unter dem Reichtum der Bilder ward die Einheit
des Gedankens getrübt. Schiller, die Gefahr einsehend und von dem Ge-
fühle des künstlerischen ünbefriedigtseins ergriffen, nahm nur wenigen be-
nutzbaren Stoff" heraus und liefs das Übrige fernerhin unbeachtet liegen.
Fragt man nach der Zeit der Entstehung des Entwurfes und Bruch-
stückes „Deutschlands Gröfse", so kann man aus Schillers Angabe, dafs
„Die Antiken zu Paris" dem Jahre 1800 angehöre, unzweifelhaft schliefsen.
Das war die Zeit, da das politische Deutschland in der That ein „altes,
sturzdrohendes Haus" genannt werden mufste: Napoleon Bonaparte war
bereits Herrscher des Geschickes von Frankreich, die österreichischen Trup-
pen unterlagen auf dem blutgetränkten Schlachtfelde Marengos, und General
Moreaus Siege öffneten den Franzosen ganz Süddeutschland. Aussicht auf
Besserung der Verhältnisse war nicht vorhanden ; ein schmachvoller Friede
warf schon seine Schatten voraus, und der völlige Zusammensturz des
römisch-deutschen Reiches stand unvermeidlich bevor. Die Zeit läfst sich
sogar noch genauer festlegen; die Gedichtworte „Lächelnd naht der goldne
Friede" sprechen bestimmt für den letzten Monat des Jahres 1800, als nach
der Schlacht bei Hohenlinden ein Waffenstillstand den — wenn auch als
Friede im allgemeinen „golden" benannten — für das nationale Deutschland
äufserst schimpflichen, tief demütigenden Frieden von Luneville die Wege
bahnte. Man vergleiche das Gedicht „Der Antritt des neuen Jahr-
hunderts", welches der Stimmung nach ganz kurz auf „Deutschlands
„Gröfse" gefolgt sein mufs, noch dem Jahre 1800 angehörend:
Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden,
Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?
Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.
Und das Band der Länder ist gehoben,
Und die alten Formen stürzen ein etc.
Zwo gewaltge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz etc.
Das politische Mifsbehagen, welches der grofsen Seele Schillers sich
bemächtigt hatte, spricht lebhaft aus dem Gedichtbruchstücke von (Anfang ?)
1801, in welchem er, nach Amerika hinüberblickend, die Freiheit sucht:
Nach dem fernen Westen wollt ich steuern
Auf der Strafse, die Columbus fand,
Miscellen. 469
Die Columb mit seinem Wanderschiffe
(Und mit seinen Kähnen)
An die alte Erde band.
Hier liegt offenbar keine fertige Strophe vor; denn Schiller konnte nicht
meinen, dafs die „Strafse" an die alte Erde gebunden ward. Der Gedanke
scheint vorgeschwebt zu haben:
iVffc/j dem fernen Westen wollt ich steuern,
Wo Columbus neue Welten {Länder) fand,
Welche er mit seinem Wanderschiffe
An die alte Erde mächtig band.
Oder ähnlich. Allermindestens müfste geändert werden :
Den (nämlich : den fernen Westen) Columb mit seinem Wanderschiffe etc.
Eine andere Fassung der Strophe ist angedeutet:
Liegt sie (d. i. die Freiheil) jenseits dem Atlantermeere, (Atluiitenmeere?)
fand,
Die Columb mit wandernder Galeere
An die alte Erde band.
Dort vielleicht ist Freiheit
Ach, dort ist sie nicht
Flieh
Dies Bruchstück mufs ursprünglich — man vergleiche nur das \'ersmafs
— zu dem Gedichte „Der Antritt des neuen Jahrhunderts" bestimmt ge-
wesen sein ; dieses giebt auch die Antwort, wie sie dort in wenigen Worten
angedeutet ist:
Ach, umsonst auf allen Länderkarten
Spähst du nach dem seligen Gebiet,
Wo der Freiheit ewig grüner Garten,
Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.
In des Herzens heilig stille Räume
Mufst du fliehen aus des Lebens Drang!
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.
Als lose Anfüge folge die kurze Betrachtung eines im Jaiirc 1781 ohne
Nennung des Verfassers in Stuttgart erschienenen Gedichtes „Der \'cnus-
wagen", welches allgemein Schiller zuerkannt wird:
Klingklang! Klingklang! kommt von allen Winden!
Kommt und wimmelt schaarenweis!
Klingklang! Klingklang! Was ich will verkünden.
Höret Kinder Rrometheus'i
Man sieht, dafs das V^ersmafs dieses jüngeren Gedichtes fast genau das
von „Der Antritt des neuen Jahrhunderts" mit dem „Columbus-Bruchstück"
ist; die Übereinstimmung ist in den allermeisten Strophen sogar eine völlige.
Aber das allein ist nicht der Grund unserer Nachbetrachtung: Nachdem
das Gedicht sich durch fünf Dutzend Strophen mit zum Teil nicht ganz
würdiger Dichtersprache hindurchgearbeitet hat, erhebt es sich zum Schlüsse
zu einigen echt Schillerschon Versen höheren Schwunges, indem nach dem
geheimnisvollen Aufenthaltsorte des „Venusrichters", also wohl Gottes oder
doch eines guttahnlichen Wesens, geforscht wird ; und hier finden sich so
auffällige Anklänge an Schillers Suche nach der Frcüicit, dafs der (Jedankc
nahe liegt: diese Jugendverse haben dem Dichter 1800 bei Niederschreibung
seiner politischen Gedanken vorgelegen:
470 Miscellen.
Wo noch kein Europersegel brauste,
Kein Columb noch steuerte, noch kein
Cortez siegte, kein Pizarro hauste,
Wohnt auf einem Eiland — Er allein.
Man setze einmal versuchsweise für „Er" „sie" (die Freiheit) ein.
Dichter forschten lange nach dem Namen —
Vorgebirg des Wunsches nannten sie's ;
Die Gedanken, die bis dahin schwammen,
Nannten's — das verlorn^ Paradies.
Einsam schwimmt sie im Atlantschen Meere,
Manches Schiff begrüfste schon das Land;
Aber, ach! — die scheiternde Galeere
Liefs den Schifler tot am Strand.
Ad albert Rudolf.
Eine antideutsche Wacht am Rhein.
Wie Beckers bekanntes Rheinlied seiner Zeit eine scharfe Erwiderung
von Alfred de Musset erfuhr, so hat die in neuester Zeit aufserordentlich
gereizte Stimmung der Franzosen manche poetische Blüten zu Tage geför-
dert, die das Werk der Revanche fördern und den schlummernden Groll der
jungen Generation wach erhalten sollen. Wer kennt nicht den Präses der
Patriotenliga, den Schreier Paul Deroulede, dessen vaterländische Lieder
eine Auflagenzahl erlebten, wie sie s-eit Victor Hugos erstem Auftreten noch
nie dagewesen ist? Wem ist Th. de ßanville mit seinen Idylles prussiennes
unbekannt? Um diese beiden Häupter schart sich eine Gruppe wutschnau-
bender, deutschfressender Jünger mit poetischen Erzeugnissen zweifelhaften
Geschmacks. So haben sich einige selbst zur Parodie der deutschen Aus-
sprache verstiegen und ohne zu bedenken, dafs der Spott von drüben
hundertfach heimgezahlt werden könnte, in Tagesblätteru mit Expektora-
tionen folgender Art paradiert:
Che de tisais „che d'aime" et ta buche gruelle
N'a bu trufiFer bour moi gue le rire mogueur ...
Aux douze lois d'amür du de mondre repeile,
Brends carte, Ninetta, Tieu te fit planche et pelle,
Envant, sois ponne aussi; — lorsque l'amür t'abelle,
Rebond, z'est bur aimer que Tieu nous fit ein gueur.
Oilenbar durch Mussets Vorbild angeregt, hat nun ein Anonymus S. P.
folgende Wacht am Rhein erdacht und in sinnige Reimlein gebracht:
Veille au Rliin! Veille au Khin! O France, et prends bien garde:
Le loup germain, au fond de son obscur re'duit,
Semble s'etre endormi; mais il veille. ... Eegarde,
Son oeil ardent t'observe et dans l'ombre reluit . . .
Son plan est tout trac^ : que demain l'heure sonne,
Pour t'aider contre lui qu'il ne reste personne;
Alors il s'en viendra, noir, efflanque, hideux,
Sans qu'ils aient eu le temps, gräce k ta negligence,
Contre son brusque assaut de se mettre en defense,
6gorger tes enfants, surpris un contre deux.
Veille au Rhin! Veille au Rhin! Car c'est \h, que l'orage
Pour gronder contre toi de tout temps s'est forme.
Miscellen. 47 1
Regarde en ton histoire, il n'est pas une page
Oü 1 Allemand ne soit en eunemi nomnid ...
La paix ne fut jamais avee lui qu'une trcve,
II reposait son bras, il aiguisait son glaive,
Et puis il revenait t'assaillir de nouveau . . .
C'est a tes preniiers jours qu\i commencc sa haiue,
Et Clovis, avec lui descendu dans l'arfene,
Du laurier de Tolbiac couronua ton bcrceau.
Veille au Rhin! Veille au Rbin! Sur la terre africaiue,
Si ton sang chaque jour coule dans les conibats;
Contre quelques Bcdouins si ta puissance est vaine
S'il te taut a Tunis prodiguer tes soldats,
Pour vaincre ces pillards. dont tu punis l'audace,
Si l'Europe tout bas t'envie ou te menace
Et si le Chinois menie ose elever la voix,
France, ne cherche pas la cause du desordre ;
Eegarde vers Berlin: de Ik vient le mot d'ordre,
De lä sont tous partis les coups que tu re^ois.
Veille au Rhin! Veille au Rbin! quoique, parfois, Ton ose
Te dire: „Tout va bien, TÄllemagne est pour nous,
Sur tes lauriers, en paix, que ton front se repose,
Bisniark prend ta defense envers et contre tous! ..."
Bismark ton allie! Prepare ton epee,
0 France ! . . . Dans ton sang la sienne fut trempee ;
II en a soif encore, et s'il te tend la main,
C'est pour mieux te trahir ! Veille donc, 6 Patrie !
Veille, car les revers qui jadis t'ont meurtrie,
Si tu ne les previens, vont t'accabler demain !
Diese vier Strophen, auf vier Blättern gedruckt, wurden diesen Winter
in zahlreiclien Exemplaren auf den Strafsen und in den Kaffeehäusern von
Paris für zwei Sous verlcauft. Der grüne Umschlag stellt eine Frauengestalt
in Trauerkleidung dar, welche einen mit schmerzverzerrtem Antlitz zu
Hoden liegenden Soldaten aufhebt. Ihre Züge haben eine unverkennbare
Ähnlichkeit mit der Exkaiserin Eugenie. Wir werden also hinter dem Ano-
nymus S. P. irgend einen bonapartistischen Schreihals zu suchen haben.
Baden-Baden. Joseph Sarrazin.
Zu Segurs Histoire de Napoleon.
2.
Eine etwas auffällige Stelle findet sich 1. V, eh. 2, Abs. 5: L'empereur
demanda a son ministre sa pensee sur cette guerre: „Qu"elle n'est point
nationale, repliqua Daru; que l'introduction de quelques denrdes angfaises
en Russie, que meme Terection d'un royaunie de Pologne, ne sont pas des
raisons süffisantes pour une guerre si lointaine; que vos tioupes, cjue nous-
niemes, nous n'en concevons ni la necessitd, et que du moins tuut conseillc
de s'arreter ici." Scheinbar sind hier direkte und indirekte liedu mit-
einander vermengt. Dieser Ansicht ist denn auch Laiid)eck in seiner Aus-
gabe; er gitbt zu vos (roupes die Anmerkung: „So konstruiert, als wenn
baru sich an den Kaiser direkt wandte, während bis dahin die Rede
indirekt war. Man hat sich somit vor ,que vos troupes' etwa zu er-
gänzen: je vous dis." Auch llauschild scheint in .sein':.- Ausgabe durch den
Druck anzudeuten, dafs er die Stelle in ähnlicher Weise interpretiert
wissen wolle.
472 Miscellen.
Gepien die Auffassung jedoch, dafs die ersten Worte Darus (bis loin-
tainej indirekt angeführt seien, spricht dreierlei. Erstens die präsentische
Form derselben (est — sont). Da der übergeordnete Satz repliqua Daru
präteritisclie Form zeigt, und da der untergeordnete Satz nicht eine allge-
meine, oder zum mindesten für den Berichterstatter gültige Aussage ent-
hält,* müfste es bei hinzugefügtem que unbedingt heifsen : „qu'elle n'etait
pas nationale, que rinti-oduction . . . n'etaient pas etc." So sagt Segur
Abs. 12: Daru lui repondit: Que la guerre 4tait un jeu qu'il jouait bien,
oü il gagnait toujours, et qu'on pouvait en conclure qu'il la faisait
avec plaisir etc. So viele andere Stellen, namentlich im zweiten Buche,
das überreich an Beispielen hierfür ist.
Sodann erregt Bedenken, dafs der übergeordnete Satz repliqua Daru
als Schaltsatz in die mit que beginnende indirekte Rede eingeschoben
ist. Entweder mufs der Zwischensatz entfernt und die Worte repliqua Daru
der indirekten Rede vorangestellt werden (in welchem Falle allein die Hin-
zufügung von que berechtigt ist), oder aber es mufs, wenn die Worte re-
pliqua Daru in die Rede eingeschoben werden, que wegfallen. Für die
erstere Ausdrucksweise vergleiche man das oben angeführte Beispiel aus
Abs. 12. Für die letztere finden wir Belege u. a. in 1. II, 3, 17: L'empe-
reur russe etait, disait-il, le seul souverain qui pesät encore sur le sommet
de cet immense edifice etc. Oder IV, 5, 2: II apportait ä Napoleon des
paroles d'Alexandre : „II etait, disaient-elles (besagten sie), encore temps
de traiter" etc.
Dazu kommt schliefslich als drittes Bedenken die ganz unvermittelt
auftretenden direkten AVorte vos troupes und nous-memes, zu deren Er-
klärung Lambeck eine Ellipse zu Hilfe nimmt, wie je vous dis oder etwas
Ahnliches. Ich gestehe, diese Erklärung hat für mich etwas Gezwungenes.
Hätte Segur wirklich aus der indirekten in die direkte Rede übergehen
wollen, so hätte er sicher einfach gesagt: vos troupes etc., ohne que, wie
er dies so häufig thut, z. B. Abs. 8, wo nach einer längeren indirekten
Rede fortgefahren wird : Ainsi, continua-t-il, nous ne pouvons, ni vous me
faire vivre h Vitepsk etc. (Weitere Belege z. B. IV, 5, 5. 6.)
Aus dem Gesagten geht hervor, dafs wir es hier nicht mit einer in-
direkten Rede zu thun haben können ; die ganze Stelle mufs vielmehr
durchaus als direkte Rede aufgefafst werden. Wie ist dann aber das sechs-
malige que derselben zu erklären? Nicht durch ein zu supponierendes je
vous dis oder dergl, sondern durch eine aus dem Vorhergehenden zu
entnehmende Ergänzung, die sich wie von selbst darbietet. Unmittelbar
zuvor hat der Kaiser seinen Minister nach seinem Gedanken über den
Krieg gefragt; was ist da natürlicher und ungezwungener als zu Darus
Worten zu supplieren: Mein Gedanke ist, dafs der Krieg nicht volks-
tümlich ist — ma pensee, c'est que la guerre n'est pas nationale, oder:
que la guerre n'est pas nationale ...; voilä ma pensee, voilä ce que
je pense. Die, ich möchte fast sagen, etwas polternde Antwort Darus
stinmit ja auch ganz zu der Schilderung, die uns Segur kurz zuvor von
seinem Wesen giebt: Ce ministre est droit jusqu'ä la roideur, et ferme
jusqu'ä l'impassibilite.
* Für ein aus diesem Grunde gerechtfertigtes Präsens bildet weiter unten Abs. 10
der Satz: qu'a la guerre, la fortune est de moitie' dans tout ein instruktives Bei-
spiel, da im übrigen Präterita vorangehen und nachfolgen. Dafs, wenn der über-
geordnete Satz präsentische Form aufweist, auch im abhängigen gleiche Form auf-
tritt, ist selbstverständlich (II, 3, 6 : II r^pond au ministre: que c'est une guerre
toute politique). Ebenso dafs bei fehlendem que Präsentia angewendet sein können,
selbst wenn aufserhalb der indirekten Rede Tempora der Vergangenheit gebraucht
sind, da ja dann nicht das strenge Verhältnis der Über- und Unterordnung statt
hat (z. B. V, 2, 13. 14).
Miscellen. 173
Natürlich macht diese Erklärung des Passus eine weitere Motivierung
des vos und nous in: que vos troupes, que nous-memes etc. unnötig.
Zittau. R. Scherffig.
Im Anschlufs an den in Bd. LXIX, S. 47G des Archivs enthaltenen
französischen Brief möchte ich auf eine charakteristische Äufserung aufmerk-
sam machen, welche Brunetiere in der Revue des deux mondes (vom 1. August
1883) gelegentlich einer Besprechung der „llistoire de la litterature anglaise"
(von Filon) als Schlufswort zu geben sich gemüfsigt sah. Es heifst daselbst:
Ajoutons un dernier mot: c'est un lieu commun aux etrangers que de
nous reprocher de vivre dans une ignorance, assiirement fächeuse, de leur
langue et de leur litterature. Que vous ayons jadis, en des temps anciens,
quelque peu merite le reproche, il serait difticile d'en disconvenir, quoique,
pour prendre un exemple, je ne vois pas l'interct qu'eussent eu les Fran^ais
du XVIIö siecle ä se soucier d'Opitz, et voire de Grimmeishausen ou d'Hofi-
niannswaldau. Mais, avant de nous le faire aujourdliui, c'est-ii-dire depuis
tantot plus de quatre-vingts ans, Allemands comme Anglais feraient bicn eux-
memes de sonder les reins. Si la chose en valait vraiment la peine, il
serait aise' de montrer que ni les uns ni les autres ne connaissent toujours
notre langue aussi sürement, intimement, et profondement qu'ils le croient.
Et, quant ä notre litterature, pour beaucoup de raisons que Ton pourrait
deduire, si quelques-uns la connais.sent et la savent, bien peu la sentent.
Les preuves encore en abonderaient. Mais, sans entreprendre ce proces,
disons seulement qu'en ce qui touche TAUemagne, et surtout TAngleterre,
les Fran^ais y mettraient bien de la mauvaise volonte s'ils persistaient encore
dans cette legendaire ignorance. II n'est pas un de leurs grands ecrivains
sur qui nous n'ayons des travaux dont plusieurs sont de premier ordre ; il
y a beaucoup de leurs ecrivains secondaires qu'il ne depend que de nous de
connaitre aussi bien qu'ils connaissent les nötres ; j'ose affirmer qu'ils n'ont
pas d'histoire generale de la litterature fran9aise qui vaille celle de la litte-
rature anglaise, de M. Taine, et je ne crois pas enfin, dans des proportions
plus modestes, qu'ils eu aient beaucoup qui se puissent comparer ä celle de
M. Filon. Georg Stier.
Etymologisches.
Auf Seite 447 des 69. Bandes Ihrer geschätzten Zeitschrift bringt K.
Biltz unter seinen sehr verdienstlichen Beiträgen zum deutschen
^Vörterbuch auch einen Artikel über das Wort spargalzen. Die sehr
sorgfältige Untersuchung geht meines Erachtens nur darin irre, dafs sie zur
flrkliirung der ersten Silbe das deutsche sperren, frz. barrer heranzieht,
während doch das ahd. sparon = schonen viel näher liegt. Nicht nur
erklärt sich so die Vokalisierung von spargaltzen, sparapetto, spartille ohne
alle Schwierigkeit, sondern es tritt auch in der Bedeutung dieser hybriden
Wortbildungen: Fersen s ch oner, Brustschoner, Knöchel schon er
der Humor, der sie augenscheinlich becinllufste, viel deutlicher hervor. Ich kann
die Reihe der Beispiele noch um eines vermehren. Ratherius v. Verona
verfafste ad usum seines Schülers Röstagnus einen Auszug aus den wich-
tigsten Disciplinen, die er ihm beizubringen hatte, und nannte diese Regel-
sammlung mit dem scherzhaften Namen sparadorsum = Rücken schöner ,
womit er andeuten wollte, dafs der Jüngling durch sichere Einpriigung der
betr. Regeln seinen Rücken vor Rutenstreichen bewahren köiuie (cf. Albrecht
Vogel, Ratherius v. Verona), Dieser Vorgang deutet zugleich auf das
10. und 11. Jahrhundert als Entstehungszeit sämtlicher gleichartig gebil-
deter Worte.'
Zittau. Theodor Vogel.
474 Miscellen.
Erklärung.
Band LXXI, S. 122 dieser Zeitschrift behauptet Herr David Asher,
mir eine scharfe Zurückweisung auf meine in der Ztschr. f. nirz. Spr. u. L.
IV-, 2 lY. enthaltene Recension seiner Broschüre „Über den Unterricht in
<len neuereu Sprachen" erteilt und mich herausgefordert zu haben, seinen
an mich gerichteten, ebd. S. 160 abgedruckten Brief an mich zu veröffent-
lichen. Ob in dem fraglichen, persönlich-injuriösen Briefe wirklich eine
„Zurückweisung" meiner sachlichen Ausführungen enthalten ist, überlasse
ich dem Urteil eines jeden, der sich die Mühe nehmen will, meine Recension
und Herrn Ashers Brief zu lesen; entschieden bestreiten mufs ich aber, zu
der Publikation des letzteren von Herrn A. „herausgefordert" worden zu
sein. Ich habe den Brief, das einzige Schriftstück, das mir von Herrn A.
zuging, nur deshalb abdrucken lassen, weil er mir vorzüglich geeignet er-
schien, seinen Verfasser vor den Fachgenossen zu charakterisieren, und weil
mir alle meine Kollegen, denen ich ihn vorlas, auf das eindrinnlichste vor-
stellten, ich dürfe diesen ungewöhnlichen Herzensergufs der Öffentlichkeit
nicht vorenthalten.
Es freut mich, dafs Herr A. nunmehr anerkennt, sein Berichterstatter,
der ihm von Beschwerden meiner Zuhörer in Strafsburg erzählt hat, werde
sich wohl geirrt haben. Doch liegt kein geringerer Irrtum vor, wenn
Herr A. jetzt angiebt: „Es waren nicht seine (Koschwitz') Zuhörer an der
Strafsburger Universität, die sich über seine Unterrichtsmethode beschwerten,
sondern seine Schüler oder Schülerinnen (?) an einer dortigen Lehranstalt."
Die Schülerinnen bitte ich Herrn A. vollständig zu streichen; ich habe in
Strafsburg niemals weiblichen Personen Unterricht erteilt; dagegen räume
ich Herrn A. mit Vergnügen ein, dafs möglicherweise ein paar meiner
Strafsburger Real- oder Gymnasialschüler, die bei mir keine guten Geschäfte
gemacht haben, sich hinter meinem Rücken bei ihren lieben Eltern über mich
ob meiner Strenge beklagt haben. Ich habe aber auch davon nie etwas gehört,
und kann mit dem besten Willen, Herrn A. Konzessionen zu machen, immer
nur konstatieren, dals meine damaligen Kollegen und Direktoren mit mir
durchaus zufrieden waren, und dafs die letzteren mir sogar ihre Zufrieden-
heit schriftlich und mündlich vor versammeltem Lehrer- und Schülerpersonal
zu erkennen gegeben haben. Neue Unterrichtsmethoden habe ich schon
gar nicht eingeführt, sondern flott, wie mir befohlen, nach Plötz und Plate
unterrichtet und mich, um mein Gewissen rein zu halten, damit begnügt,
hier und da berichtigend einzuschreiten, wenn es diese Grammatiker einmal
gar zu schlimm gemacht hatten. Herr A, ist zu seiner neuen Version off"en-
bar durch den Realgymnasiallehrer Danker gekommen, den er 1. c.
in der Metamorphose eines Direktor Dunker citiert. Dieser Herr be-
richtet von mir, ich habe auf einer Strafsburger Realschule schlimme Er-
fahrungen machen müssen, und beruft sich, wie er mir schreibt, „keinerlei
Verantwortung für die Wahrheit" übernehmend, auf Herrn H. Löwe in
Bernburg, der schon anno 1879 dieselbe Behauptung aufstellte. Herr Löwe
beruft sich aber wiederum auf einen anderen, von ihm nicht genannten Ge-
währsmann, den ehemaligen Direktor Ludwig in Strafsburg, der mich
glücklicherweise selbst unterrichtet hat, wie Herr Löwe zu seiner Behaup-
tung gekommen ist. Bei Gelegenheit einer Philologenversanimlung wurde
er nämlich von Herrn Löwe ungefähr mit den Worten überfallen: „Kennen
Sie Dr. Koschwitz? Der Mann hat (in seiner Ztschr.) Schlimmes von den
Realschulen gesagt. Er mufs als Lehrer nichts getaugt haben." Einige
Worte aus der Erwiderung des verblüfften Ludwig glaubte alsdann Herr
Löwe zu gunsten seiner Schlufsfolgerung interpretieren zu können, und so
sind meine wiederholt publizierten Strafsburger „schlimmen Erfahrungen"
entstanden, deren Eltern einzig und allein der Wunsch und die Phantasie
der Herrn Dr. H. Löwe in ßernburg sind.
Miscellen. 475
Herr Danker hat in seiner Broschüre „Die Realgymnasien", S. 54,
einen neuen Mythus über mich erfunden: Er läfst sich dort versichern, dafs
ich des Engh'schen nur in sehr mangelhaftem Grade mächtig bin. Von mir
interpelliert, wem er diese Versicherungen verdanke, erölfnete er mir, ich
selber hätte bei meiner Berufung nach Greifswald gegen Strafsburger Be-
kannte geäufsert, ich werde mich hier schon mit meinem Englisch durch-
helfen. Das ist ebenso unwahr wie unmöglich, denn zur Zeit meiner Er-
nennung befand ich mich in Kiel und nicht in Strafsburg, und da ich als
Romanist hierher berufen wurde, hatte ich gar keine Gelegenheit, über mein
englisches Wissen zu sprechen. Auch diese Versicherung war also aus der
Luft gegriffen.
Wenn also die Herren Löwe, Danker und Asher mit allen ihren Äufse-
rungen über meine Person recht hätten, was wäre damit gewonnen? Es
wird immer für unpassend gelten, seinen Gegner mit Persönlichkeiten zu
bekämpfen, und diese Kampfesweise wird immer nur zum Nachteile derer
ausschlagen, die sich derselben bedienen. Ich bitte die genannten Herren
wohl zu bedenken, dafs auch sie es für gewissenlos halten würden, wenn
sie auf Grund von unverbürgtem Gerede persönlich angegriffen würden, und
dafs auch sie nicht anerkennen werden, ihre Sache sei schlecht, weil sie
selber nicht ganz vollkommen sind.
Greifswald, 2L März 1884. E. Koschwitz.
Emanuel Geibel ist tot!
Wer würde bei dieser Kunde nicht tief bewegt, dessen Herz für deutsche
Dichtung schlägt? Lange schon hatte man freilich einer solchen Trauer-
botschaft entgegengesehen. Der Dichter kränkelte seit Jahren. Immer
wieder hatte sich sein kräftiges Naturell aufgeraflt, doch seit ungefähr
einem Jahre hatte man die Hoffnung auf eine dauernde Genesung auf-
gegeben. So ist er in der Nacht vom 5. zum 6. April in seiner Vaterstadt
Lübeck, 69 Jahre alt, gestorben. Deutschland hat damit ohne Zweifel
seinen besten Lyriker verloren, den letzten Vertreter eines reinen Idealis-
mus und vornehmer Formschönheit. Von Geibel konnte man, wie von
Schiller sagen, dafs
Hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.
Am Abend seines Lebens hat der Dichter noch die Freude gehabt, eine
Sammlung seiner Werke vollenden zu dürfen. Man mag sie vom Anfang bis zum
Ende durchblättern, vergebens wird man nach etwas Niedrigem darin suchen.
Ebenmafs war es, was seiner Form den Stempel aufdrückte, Ebenmafs be-
wahrte er sich auch in seinem Denken und Empfinden. Er stieg nicht in
die Abgründe der Philosophie und Leidenschaft hinab, er weilte gern am
sonnigen Lichte, und wenn ihm vielleicht die letzten Tiefen doshalb ver-
schlossen blieben, so verlor er sich auch nie wie so mancher andere an die
dämonischen Gewalten des Abgrundes. Und deshalb war er ein Volks-
dichter im edelsten Sinne des Wortes. Er war populär, ohne sich jemals
populär zu machen, weil er mit seinem Worte das aflelte, was das Volk
trotz alledem als edelstes Teil seines Inneren erkennt : Liebe, Patriotismus,
Religion. Die Liebe Geibels war von jener deutschen Innigkeit und Keusch-
heit, die heutzutage den Dichtern immer mehr abhanden zu konunen scheint.
Er war kein Philosoph, sondern ein gläubiger Chri.st und hat diese Über-
zeugung allen Zweiflern gegenüber stets unerschrocken zum Ausdruck ge-
bracht. Von seiner Vaterlandsliebe endlich le(,'t eine Fülle der herrlichsten
Lieder Zeugnis ab. „Heroldsrufe" hat er eine Sammlung seiner patriotischen
Gedichte genannt, und fürwahr, er war der Herold unserer nationalen Eni-
476 Miscellen.
wickelunfij : Alle Schmerzen und Freuden der deutschen Nation hat er in
seinen Weisen verklärt. Und was nicht das Geringste : von Anfang wufste
er, was er wollte: das Reich, den Kaiser. Abseits stand er daher, als die
deutsche Idee im Schmutze der Revolution ihren Glanz zu verlieren schien,
ein Feind der Demagogen, aber doch mit keiner Faser ein Reaktionär. Seine
Lieder werden auf lange Zeit noch ein teures Besitztum unseres Volkes
bilden. Möge die Jugend immer wieder sich an ihnen erwärmen, vor allem
auch die weibliche, denn Deutschland braucht Frauengemüter, in denen
(jeibels Melodien nachhallen, und nur solche Jungfrauen können den rechten
deutschen JüngUng mit erziehen helfen und lieben lehren! Wehe dem,
welchem niemals die Welt in jenem idealen Schimmer erstrahlte, in dem sie
diesem Dichter erschienen ist ; sein Leben wird öde und nüchtern zu Ende
cjehen. Und so möge denn Geibels Andenken fortdauern, der Nation zum
Heil und zu immer neuer Heilung vom Drange des Tages und vom Fluche
der Gewöhnlichkeit! H. H.
Der Tod des am 11. April d. J. in Wiesbaden verstorbenen Dr. IL
Schweitzer, Redakteur des Moliere-Museum, beraubt die schwache Schar der
deutschen Molieristen ihres einigenden Mittelpunktes. Mit einer geistigen
Regsamkeit und idealen Hingabe, die bei einem mehr als 70jährigen Greise,
der bisher nur im praktischen Leben gestanden, selten sind, hat der Ver-
blichene mit grofsen Opfern sein „Museum" vier Jahre lang geleitet und
wenigstens sechs Hefte ins Leben gerufen. Sein Ideal, das ihn noch kurz
vor seinem Tode begeisterte, war die Gründung eines Moliere-Vereins, der
die Fortführung des „Museum" in die Hand nehmen sollte. Die Teilnahm-
losigkeit des gröfseren Pubhkums hat leider die Existenz eines Moliere-
Vereins unmöglich gemacht und das Fortleben des Museums in Frage ge-
stellt. — 1808 im Juh zu Breslau geboren, war Schweitzer über 30 Jahre
lang in Paris als praktischer Arzt thätijr, bis er im Jahre 1873 sich in Wies-
baden als Schriftsteller niederliefs. Von seiner Begeisterung für Moliere
legt schon eine Festschrift zu des Dichters 200jährigem Todestage Zeugnis
ab, welche zugleich eine sehr vorurteilsfreie Auffassung des ärztlichen Be-
rufes kundgiebt. (Moliere und die Ärzte, Wiesbaden 1873.) Wenngleich
der wissenschaftliche Wert seiner Aufsätze im „Moliere-Museum" kein allzu
hoher genannt werden darf, so ist er doch mit seinem feinfühligen Ver-
ständnis für Moliere und seiner selbstlosen, aufopfernden Hingebung für
dessen Kultus das Herz der deutschen Moliere-Forschung jahrelang ge-
wesen. H. p. a. ^^^^^^ R. Mahrenholtz.
Bekanntmachung.
Mit Höchster Genehmigung wird die 37. Versammlung Deutscher
Philologen und Schulmänner vom 1. bis 4. Oktober d. J. zu Dessau
stattfinden.
Indem wir unter Vorbehalt weiterer Mitteilungen uns beehren, zu der-
selben hiermit ganz ergebenst einzuladen, bitten wir um baldige vorläufige
Anzeige der von einzelnen Teilnehmern beabsichtigten Vorträge.
Dessau und Zerbst, den 1. Mai 1884.
Das Präsidium.
Dr. Krüser. G. Stier.
Bibliographischer Anzeiger.
Allgemeines.
L. Wiese, Pädagogische Ideale und Proteste. Ein Votum. (Berlin, Wie-
gandt & Grieben.) 2 Mk.
Klaus, Das psychologische Moment in der Sprache. Ein Vortrag. (Tü-
bingen, Fues.) 50 Pf.
H. Teweles, Der Kampf um die Sprache. Linguistische Plaudereien.
(Leipzig, Reifsner.) 2 Mk.
B. Delbrück, Einleitung in das Sprachstudium. 2. Auflage. (Leipzig,
Breitkopf & Härtel.) 3 Mk.
O. Ulbrich, Über die französische Lektüre an Realgymnasien. (Berlin,
Gärtner.) 1 Mk.
Afsfahl, Der Unterricht im Englischen in der Realschule. (Tübingen,
Fues.) 40 Pf.
Wie studiert man neuere Philologie und Germanistik? Von einem älteren
Fachgenossen. (Leipzig, Rofsberg.) 60 Pf.
Lexikographie.
J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch. G. Bd., 12 Lfrg., bearbeitet
von M. Heyne. (Leipzig, Hirzel.) 2 Mk.
A. Fels, Das W^örterbuch der franz. Akademie. Die erste Ausgabe. (Ham-
burg, Nolte.) 1 Mk. 50 Pf
F. Leiffholdt, Etymologische Figuren im Romanischen, nebst einem An-
hang: Wiederholungen betr. Steigerung und Erweiterung eines Begrills.
(Erlangen, Deichert.) 1 Mk. 80 Pf.
H. Lehmann, Der Bedeutungswandel im Französischen. (Erlangen, Deichert.)
V. Mach, Technisches Wörterbuch für Telegraphie und Post. Deutsch-
franz, und franz. -deutsch. (Berlin, Springer.) 3 Mk.
Grammatik.
Th. Haas, Die Plurale der Abstrakta im Französischen. Ein Beitran; zur
histor. Syntax. (P>langen, Deichert.) 1 Mk. SO Pf.
K. Knösel, Das altfranzös. Zahlwort. (Erlangen, Deichert.) 1 Mk. 50 Pf.
Th. Loos, Die Nominalflexien im Provencalischen. (Marburg, Elwert.)
1 Mk. 20 Pf.
K. Meyer, Die proven9alische Gestaltung der mit dem Perfoktstanuiie ge-
478 Bibliographischer Anzeiger.
bildeten Tempora des Lateinischen. Nach den Reimen der Trobadors.
(Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
O. Reifs er t, Die syntaktische Behandlung des zehnsilbigen Ver.ses im
Alexius- und Rolandsliede. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
M. Banner, Über den regelmäfsigen Wechsel männlicher und weiblicher
Reime in der altfranzösischen Dichtung. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
Carstens, Dr. Broder, Zur Dialektbestimmung des mittelengllschen Sir
Firumbras. Eine Lautuntersuchung. (Kiel, Lipsius & Fischer.) iMk. 20Pf.
H. Zi mmer, Keltische Studien. 2. Heft: Über altirische Betonung und Vers-
kunst. (Berlin, Weidmann.) 6 Mk.
Litteratur.
iEventyri, islendzk. Isländische Legenden, Novellen und Märchen, hrsgb.
von H. Gering. 2. Bd., Anmerkungen und Glossar. (Halle, Waisen-
haus.) 7 Mk. 60 Pf.
J. L. Runeberg. Fänrik Stäls Sägner. En samling sänger. Aus dem
Schwedischen im Versmafse übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen
versehen von Dr. Emil Peters. (Berlin, Gärtner.) 1 Mk.
A. Bieling, Die Reineke-Fuchs-Glosse, in ihrer Entstehung und Entwicke-
lung dargestellt. (Berlin, Gärtner.) 1 Mk.
Goethe- Jahrbuch. Hrsgb. von Ludw. Geiger. 5 Bde. (Frankfurt, Litt.
Anstalt.) 12 Mk.
Goethes Werke. Hrsgb. von L. Geiger. Illustrierte Ausgabe. 10 Bde.
(Berlin, Grote.) 30 Mk.
Christian v. Troyes' sämtliche Werke. Nach allen bekannten Handschriften
hrsgb. von Wendelin Förster. I. Bd.: Cliges. (Halle, Niemeyer.)
10 Mk.
L. Kraack, Über die Entstehung und die Dichter der Chanson de la
croisade contre les Albigeois. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
H. Schellenberg, Der altfranz. Roman Galien Rethore in seinem \'er-
hältnis zu den verschiedenen Fassungen der Rolands- und Roncevaux-
Sage. (Marburg, Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
J. Spiefs, Untersuchungen über A. Schelers Ti-ouveres beiges. (Marburg,
Elwert.) 1 Mk. 20 Pf.
Le roman de Raoul de Cambrai p.p. P. Meyer et A. Longnon. (Paris,
Didot.) 5 fr.
A. Tob 1er, Die Erzählung von dem echten Ringe; französische Dichtung
des 13. Jahrh. aus einer Pariser Handschrift zum erstenmal herausgegeben.
2. Auflage. (Leipzig, Hirzel.) 1 Mk. 60 Pf.
L'Heptameron des nouvelles de la reine de Navarre, ed. reimprimee d'apres
Celle de Claude Gruget. Notice par B. Pifteau. 3 vols. (Paris, Delarue.)
3 fr.
O. Richter, Die französische Litteratur am Hofe der Herzöge vpn Bur-
gund. (Halle, Diss.)
L. Desprez, L'evolution naturaliste (G. Flaubert, Les Goncourt, A. Daudet,
E. Zola, Les poetes, Les theatres). (Paris, Tresse.) 3 fr. 50 c.
E. Faguet, Essai sur la tragedie fran^aise au XV I" siecle (1550 — IGOO).
(These de doctorat. Paris.)
G. Merlet, Tableau de la litterature fran^. 1800—1815. 2 vols. (Paris,
Hachette.) 15 fr.
Cb. Joret, Des rapports intellectuels et litteraires de la France avec
l'Allemagne avant 1789. (Paris, Hachette.) 2 fr. 50 c.
R. Frage, Mohere et les Limousins. (Limoges, Ducourtieux.)
Bossuet, Oraisons funebres. Avec introd. et notes p. p. A. Gast^. (Paris,
Bibliophiles.) 3 fr.
Bossuet, Oraisons funebres p. p. A, Cahen. (Paris, Dupont.) 2 fr. 50 c.
Bibliographischer Anzeiger. 479
Moliere und seine Bühne. Hrsgb. von H. Schweitzer. 5. und 6. Heft.
(Leipzig. Thomas ) ä 3 Mk.
O. Weddigen, Lord Byrons Einflufs auf die europäischen Litteraturen der
Neuzeit. (Hannover, Weichelt.) 2 Mk.
Shakespeares Werke in englisch-deutscher Parallel-Ausgabe. Bevorwortet
und eingeleitet von K. Sachs. (Leipzig, Schäfer.) 8 Hefte ä CO Pf.
A. V. Weilen, Shakespeares Vorspiel zu „Der Widerspenstigen Zähmung".
Ein Beitrag zur vergl. Litteraturgeschichte. (Frankfurt a. M., Litterar.
Anstalt.) 2 Mk.
Carlo Goldoni, Meraorie per l'historia della sua vita e del .suo teatro.
(Leipzig, Siegismund & Volkening.) 1 Mk.
Baudouin de Courtenay, Übersicht der slavischen Sprachenwelt im
Zusammenhange mit den anderen ari-europäischen indogermanischen
Sprachen. (Leipzig, Weigel.) 60 Pf.
J. Turgenjews vier letzte Dichtungen. Übers, von C. Jürgens. (Mitau,
Felsko.) 3 Mk.
Hilfs buche r.
K. Melz, Orthographische Übungen in drei Stufen. (Schwerin, Schmale.)
1 Mk. 40 Pf.
K. Duden, Orthographisches Wörterbuch f. d. Schule. 2. umgearb. Ausg.
(Leipzig, Bibliogr. Institut.) 1 Mk. i>0 Pf.
M, Laue, Diktierstoff' für Bürgerschulen. (Langensalza, Schulbuchhandlung.)
60 Pf.
A. Krüger, Deutsches Lesebuch für Bürgerschulen. 2 Teile. (Königs-
berg, Bon.) 1 Mk. 80 Pf.
Hästers Deutsches Lesebuch für Mittelklassen. Ausgabe für israelitische
Schulen besorgt von Blumenfeld. (Essen, Büdeker.) 74 Pf.
H. St ahn, Lehrbuch der deutschen Poetik. (Leipzig, Teubner.) iMk. 60Pf.
C. Tumlirz, Deutsche Grammatik für Gymnasien. Mit einem Anhange,
enthaltend Hauptpunkte der Stilistik. (Prag, Dominicus.) 1 Mk. 68 Pf.
C. Seydel, Stoffe zu deutschen Aufsätzen. Für höhere Bürgerschulen.
(Langensalza, Schulbuchhdlg.) 1 Mk. SO Pf.
O. Stein brück, Der erste Unterricht im deutschen Aufsatz. Ausgeführte
Aufgaben. (Langensalza, Beyer.) 25 Pf.
E. Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen. Nebst Themen zu schrift-
lichen Aufsätzen u. s. w. (Leipzig, Brandstetter.) 3 Mk. r)0 Pf.
H. Glöde, Deutsche Grammatik. Nebst Aufgaben zur Übung. (Hamburg,
Meifsner.) 2 Mk.
F. Schmidt, An elementary german grammar and reading hook. (Wies-
baden, Bergmann) 2 Mk. 70 Pf.
Moliere, Le bourgeois gentilhonime. Avec introduction et notes p. A. Gastd.
(Paris, Belin.)
Lanfrey, Campagne de 1806 — 1807. Erklärt von J. Sarrazin. (Leipzig,
Renger.) 1 Mk. 50 Pf.
Moeurs et coutumes des croisades p. Michaud. Erklärt von F. Hummel.
(Leipzig, Renger.) 1 Mk. 25 Pf.
Quatre-vingt Fables de La Fontaine. Für Mittelklassen ausgcwiihlt und er-
läutert von H. A. Werner. (Berlin, Springer.) 1 Mk. 20 Pf.
Guizot, Washington. Etüde historique. Erklärt von y\. Haase. (Berlin,
Weidmann.) ^ 90 Pf.
V. Hugo, Eine chronologisch geordnete Auswahl seiner (iedichtc mit Ein-
leitung und Anmerkungen von A. M. Hartniann. 1. Heft. (Leipzig,
Teubner.) .. 1 Mk. 2() Pf.
A. Wieman.n, Materialien zum Übersetzen ins Französische. 2 Pündciicn.
Geschichte Frankreichs. (Gotha, Schiöfsmann.) h 60 Pf.
480 Bibliographischer Anzeiger.
A. Krefsner, Aufsätze technischen und historischen Inhalts zum Über-
setzen aus dem Deutschen ins Französische. (Baden-Baden, O. Sommer-
meyer.) 1 Mk. 20 Pf.
A. Baumgartner, Lehrbuch der englischen Sprache. 1. Teil. (Zürich,
Orell & Füfsli.) • 1 Mk. 80 Pf.
Ch. Dickens, The cricket on the hearth. Hrsgb. von A. Hoppe. 5. Auflage.
(Berlin, Langenscheidt.) 1 Mk. 50 Pf.
O'Clarus Hiebslac, Englische Sprachschnitzer. Gebrauch lächerlicher
u. s. w. Worte und Redensarten von selten englisch sprechender Deutscher.
(Strafsburg, Trübner.) 2 Mk.
E. G. Ravenstein, Englischer Sprachführer. (Leipzig, Bibliogr. Institut.)
2 Mk. .^0 Pf.
R. Kleinpaul, Italienischer Sprachführer. 2. verb. Aufl. (Leipzig, Bibl.
Institut.) 2 Mk. 50 Pf.
Biblioteca italiana. Zum Schul- und Hausgebrauch hrsgb. von A. Güth.
9. Heft enth.: Novelle di Enrico Castelnuovo. (Berlin, Simion.) 50 Pf.
Scherf, Der kleine Pole. (Berlin, Friedberg & Mode.) 1 Mk. 50 Pf.
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3
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Archiv für das Studium
der neueren Sprachen
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