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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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ARCHIV 


FÜR   DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND  LITTERATUREN. 


HERAUSGEGEBEN 


LUDWIG      HERRIG. 


XXXVIII.  JAHRGANG,  71.  BAND. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  GEOUGE  WESTERMANN. 
1884. 


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Inhalts -Verzeichnis  des  LXXI.  Bandes. 


A  bhandl  uuijen. 

°  Seite 

II  Cantare  di  Fioro  e  Biancifiore.     Von  Emil  Hausknecht 1 

Die     c'.ciit.-che     Lyrik    in     der     französischen     Übersetzungslitteratur.      Von 

Ottikcr  V.  Lejk 49 

Zur  Anordnung  der  Vokale.  II.     Von  G.  Michaelis 73 

Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft   für   das  Studium   der  neueren  Sprachen  97 

Über  Ursprung  und  Entwicklung  des  Beowulfliedes.  Von  Th.  Krüger  129 
Über  die  Sprache  und  Metrik  der  mittelenglischen  weltlichen  und  geistlichen 

lyrischen   Lieder  des  Ms.  Harl.   2253.     Von  A.  Schlüter     .     .     .     ,  153 

Die  Wortstellung  im  alt  französischen  direkten  Fragesatze.    Von  A.  Schulze  185 

Ben  Jonson  in  seineu  Anfängen.     Von  Th.  Vatke 241 

Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis.    Ein  Beitrag  zur  italienischen  Litteratur- 

geschichte  von  Oberlehrer  Dr.  J.  Wychgram 263 

Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Schubarth.     Von  Th.  Ebner    .     .     .     .  285 

Über  eine  Stelle  in  Goethes  Iphigenie.  Von  Friedr.  Theodor  Nölting  293 
Ein  Refurmationsschauspiel  im  Jahre  1540  in  Paris  aufgeführt.    Von  Dr.  phil. 

Georg  Buchwald 299 

Die   Wortstellung    im    altfranzösischen    direkten   Fragesatze.      Von   Alfred 

Schulze.     (Schlufs) 303 

Über  die  Sprache  und  Metrik  der  mittelenglischen  weltlichen  und  geistlichen 

lyrischen    Lieder   des   Ms.  Harl.  2253.     Von   Schlüter.     (Schlufs)     .  357 

Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft   für   das  Studium   der  neueren  Sprachen  389 

Beurteilungen    und   kurze   Anzeigen. 

Zur  Förderung  des  französischen  Unterrichts,  insbesondere  auf  Realgymnasien. 

Von  Dr.  W.  Münch 118 

Englische  Synonymik  für  Schulen,  sowie  zum  Selbststudium.  Von  Dr.  W.  Drescr  121 
Die  Hauptregeln  der  englischen  Formenlehre  und  Syntax.     Repetitionsgram- 

matik  von  Dr.  Otto  Ritter.    (G,  Wolpert) 121 


IV 

Seite 

Jahresbericht  über  die  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  germanischen 
riii!t>l()gie,  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  deutsche  l'hilulogie 
in  Herlin.    Vierter  Jahrg.,   1882.    Zweite  Abteilung.    (David  Asher)     121 

H.  Savonarola  und  M.  Luther  nach  ihrer  Entwickclung  und  geschichtlichen 

Stellung  betrachtet 123 

Hundert    deutsche    Texte    zur    Übersetzung    ins    Englische.      Von    Professor 

J.  II.  Schniick 124 

Die  Realgymnasien  bczw.  Realschulen  I.  0.  und  das  Studium  der  neueren 
Sprachen.  Mit  einem  Vorwort  an  alle  früheren  Schüler  der  Real- 
schulen I.  O.  und  Realgymnasien  und  einer  Besprechung  der  Schrift 
des  Prof.  Dr.  Körting  in  Münster:  „Gedanken  und  Bemerkungen  über 
das  Studium  der  neueren  Sprachen  auf  den  deutschen  Hochschulen", 
unter  Berücksichtigung  der  darüber  erschienenen  Beurteilungen  von 
Dr.  Otto  Danker.     (C.  Flebbe) 213 

Psalm  CIV  im  Urtext  mit  seiner  Übertragung  als  Specimen  einer  Psalter- 
Polyglotte.     Von  Oberlehrer  Dr.  H.  Lambeck.     (David  Asher)    .     .     217 

Das  Genus  der  französischen  Substantiva.  Eine  neue  Anleitung,  das  Genus 
aller  französischen  Substantiva  (über  40  000)  durch  Begriff  und  Form 
zu  bestimmen.  Für  Lehrer,  Schüler  und  überhaupt  alle  Freunde  der 
französischen  Sprache  hrsgb.  von  J.  Spelthahn      (Th.  Wohlfahrt)  .     419 

Thibaut,     Französisch -deutsches     und     deutsch  -  französisches     Wörterbuch. 

100.  Auflage 426 

Ciala,  Französische  Schulgrammatik.  Mittlere  Stufe.  2.  Auflage,  umge- 
arbeitet von  H.  Bihler.     (J.  Gutersohn) 427 

Etudes  sur  la  Conversation  fran9aise,  Manuel  de  Conversation  et  de  Voyage 

par  George  Storm 430 

Die   französische   Volksdichtung   und    Sage.     Ein    Beitrag   zur    Geistes-    und 

Sittengeschichte  Frankreichs,  von  Dr.  Wilhelm  Scheffler 432 

Deutbch-Französisches    Phraseologisches  Wörterbuch    von    Adolf  Holtcrmann. 

(Dr.  Fritz  Bischoff) 435 

Friedrich  Müller,  Grundrifs  der  Sprachwissenschaft;  II.  Band:  Die  Sprachen 
der  schlichthaarigen  Rassen;  I.  Abteilung:  Die  Sprachen  der  austra- 
lischen, der  hyperborcischen  und  der  amerikanischen  Rasse      ....      136 

Fr.  Müller,  Grundrifs  der  Sprachwissenschaft;  II.  Band:  Die  Sprachen  der 
schlichthaarigen  Rassen;  II.  Abteilung:  Die  Sprachen  der  nialayischen 
und  der  hochasiatischen  (mongolischen)  Rasse 438 

Fr.  Müller,  Grundrifs  der  Sprachwissenschaft;  III.  Band:  Die  Sprachen  der 
lockenhaarigen  Rassen;  I.  Abteilung:  Die  Sprachen  der  Nuba-  und  der 
Draviiia-Rasse 440 

Carlo  Mclori,  Alphabetische  Separatzusammenstellung  sämtlicher  unregcl- 
mälsigen  Zeitwörter  der  italienischen  Sprache  mit  Hindeutung  auf  die 
unregelmäfsigen  Formen  nebst  den  von  denselben  abgeleiteten  Haupt- 
und  Beiwörtern.     Dazu  ein  Anhang  etlicher   echt   lateinischen  (so),  in 


V 

Seite 
die   italienische    Sprache    übergegangenen,    doch   jetzt    meist   veralteten 
Zeitwörter 441 

Germanischer  Bücherschatz,  herausgegeben  von  Alfred  Holder,  Cornelii  Taciti 
De  origine  et  situ  Germanorum  libcr  edidit  Alfred  Holder.  —  Germa- 
nischer Bücherschatz,  hrsgb.  von  Alfred  Holder,  Einhaidi  Vita  Karoli 
Imperatoris  edidit  Alfred  Holder.  —  Germanischer  Bücherschatz,  hrsgb. 
von  Alfred  Holder,  Jordanis  de  origine  actibusnue  Gctarum  edidit 
Alfred  Holder.     (H.  Buchholtz) 442 

Lord  Byrons  Einflufs  auf  die  europäischen  Litteraturcn  der  Gegenwart.    Von 

Dr.  F.  H.  Otto  Weddigen.     (R.  S.) 443 

Spanische  Grammatik  mit  Berücksichtigung  des  geselljchaftlichcn  und  ge- 
schäftlichen Verkehrs  von  J.  Schilling.     (Paul  Förster) 443 

Pro  gram  mensch  au. 

Lehrplan  für  den  deutschen  Unterricht.     Vom  Lehrerkollegium  beraten  und 

festgesetzt.     Programm  des  Realgymnasiums  zu  Schalke 220 

Ein    Lehrplan    für    den    deutschen    Unterricht.      Von    Rektor    Dr.  Gronau. 

Trogramm  des  Progymnasiums  zu  Schweiz 220 

Der  Unterricht  im  Deutschen.  H.  Teil.  Von  Oberlehrer  Lconhard.  Pro- 
gramm des  Realgymnasiums  zu  Dortmund 221 

Zur  Methodik  des  deutschen  Unterrichts  in  der  Prima  der  Gymnasien.    Von 

Oberlehrer  Dr.  Bindseil.     Programm  des  Marien-GymnaMums  zu  Posen     222 

Über  den  Betrieb  der  deutschen  Metrik  auf  den  Gymnasien.  Von  Ober- 
lehrer Eggeling.     Programm  des    Gymnasiums  zu  Krotoscliin  ....     222 

Über  einige  Eigentümlichkeiten,  insbesondere  über  Pleonasmus  und  Tauto- 
logie in  der  deutschen  Wortzusammensetzung.  I.  Teil.  Von  Oberlehrer 
Dr.  Herm.  Mushacke.  Progiamm  des  Kaiser-Wilhelms-Gymnasiums  zu 
Hannover 223 

Der  Empfang  der  Gäste  im  Nibelungenliede,  ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts.  Von  Dr.  Emil  Kettner.  Programm  des 
Gymnasiums  zu  Mühlhausen  in  Th 224 

Wolframs    von  Eschenbach  Willehalm    und   seine   französische  Quelle.     Von 

Ord.  Lehrer  Saitzmann.     Programm    des  Realgymnasiums  zu  Pillau     .     225 

Friedrichs  von  Hausen  und  Heinrichs  von  Veldeke  Minnelieder,  verglichen 
mit  denen  ihrer  Vorgänger.  Von  Dr.  Otto.  Programm  des  Gymnasiums 
zu  Konitz 225 

Zur  Geschichte  der  deutschen  Spruchdichtung  im  Zeitalter  der  Minnesänger. 

Von  Hermann  Schlüter.    Programm  des  Progymnasiums  zu  Striegau     .     226 

Die  älteste  Herzebrocker  Heberolle.    Zweiter  Teil.    Von  Paul  Eickhoff.    Pro- 

granmi  des  Gymnasiums  zu  Wandsbeck 227 

Niederdeutsche  Passionsgeschichte  nach  dem  Evangelium  Johannis.  Mitgeteilt 

von  Dr.  Martens.    Programm  der  Realschule  in  der  Altstadt  zu  Bremen     227 


M 

Seite 

Über  llciixlis  Fiiiiiv   et   Kacheiis   lachiym;u   von    Andreas    Grypbius.     Nebst     . 
einigen  weiteren  Nacbriehten  über  den  Dichter  von  F.  W.  Jahn.    Pro- 
gramm des  Sladtgymnasiums  zu  Halle  a.  S 228 

Wichiiids  publicistischc  Thätigkeit.  Von  Oberlehrer  Hermann  Böhnke.  Pro- 
gramm des  Gvnmasiums    zu  Oldenburg 228 

Über  den  Einllufs  Ilolbergs    und    Destouchcs'    auf   Lessings   Jugcuddramen. 

Von  Dr.  Adolf  Schimberg.     Programm  des  Gymnasiums  zu  Görlitz       .     229 

Friedrich  Leopold  Graf  zu  Stolberg  und  Johann  Heinrich  Vofs.  II.  Von 
Ord.  Lehrer  Dr.  Otto  Ilellinghaus.  Programm  des  Realgymnasiums  zu 
Münster 229 

Schillers  Lied  von  der  Glocke.  Für  die  Zwecke  der  Schule  erläutert  von 
Oberlehrer  A.  von  Banden.  Programm  des  Progymnasiums  zu  Kempen, 
Kcgb.  Posen 230 

Die    dramatische    Idee    in    Schillers    Wilhelm    Teil.      Von    Gymnasiallehrer 

Wühlenbach,     Programm  des  Gymnasiums  zu  Ratibor 230 

Über  Schillers  Auffassung  und  Verwertung  des  antiken  Chors  in  der  Braut 
von  Messina.  Von  Oberlehrer  Dr.  Arnoldt.  Programm  des  Kncip- 
liüfischcn  Gymnasiums  zu  Königsberg 231 

Zur   Feier   deutscher    Dichter.     Dreizehnter    und    vierzehnter    Abend.      Von 

Direktor  K.  Strackerjan.     Programm  der  Realschule  zu  Oldenburg  .     .     232 

Briefe  von  Ernestine  Vofs  an  Rudolf  Abeken,  mit  erläuternden  Anmerkungen 
herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Fr.  Polle.  Zweite  Hälfte.  Programm  des 
Vitzthumschen  Gymnasiums  zu  Dresden.     (Hölscher) 232 

Der  deutsche  Aufsatz  im  Gymnasium.    Von  Prof.  Ehemann.    Programm  des 

Gymnasiums  zu  Schwäbisch-IIall 445 

Der  Trochäus  und  die  deutsche  Sprache.    Von  Dr.  Reinhold  Becker.    In  der 

Festschrift  des  Gymnasiums  zu  Koblenz 415 

Die  Kose,  eines  der  drei  Wahrzeichen  deutscher  Dichtung.  Von  R.  Finster- 
waller.    In  der  Festschrift  des  Gymnasiums  zu  Koblenz 416 

Historia  de  Säncto  Gregorio  Papa.  Eine  Prosaerzählung  nach  dem  Gregorius 
Ilartmanns  von  Aue.  Nach  einer  Heidelberger  Hs.  des  15.  Jahrh. 
brsgb.  von  W.  Martens.  Programm  des  Progymnasiums  zu  Tauber- 
bischofsheim     446 

Einiges  zu  den  Charakteren   der  Artussage  von  Job.  Alton.     Programm  des 

Realgymnasiums  im  achten  Bezirke  Wiens 447 

Die  Nibelungcnsage  im  deutschen  Trauerspiel.  II.  Teil  nebst  Anhang: 
Richard  Wagners  Dichtung  „Der  Ring  des  Nibelungen".  Von  Dr.  A.  Stein. 
Programm  der  Gewerbeschule  zu  Mülhausen  i.  E 447 

Über  die  Quellen  zu  Rudolfs  von  Ems  „Alexander".    Von  Prof.  Dr.  Ausfeld. 

Programm  des  Progymnasiums  zu  Donaueschingen 449 

Über  die  dramatische  Dichtung  Deutschlands  im  Mittelalter.  Von  Dr.  P.  Häling. 

Programm  des  Gymnasiums  zu  Pensheim " 450 


VII 

Seite 
Über  die  Gedichte  des  sogenannten  Seifried  Helbling.    Von  Prof.  Heintzeler. 

Programm  der  Realanstalt  zu  Reutlingen 450 

Ein    Beitrag   zur  Kenntnis   des   Sprachgebrauchs    Klopstocks.     Von  Christof 

Würfl.  Programm  des  zweiten  deutschen  Obergymnasinms  zu  Brunn  .  451 
Über   Goethes   Iphigenie.     Von   Dir.   Dr.  Fr.  Th.  Nölting.      Programm    der 

Grofsen  Stadtschule  zu  Wismar 451 

Der   Pantheismus   in    der   poetischen    Litteratur   der  Deutschen    im   18.  und 

19.  Jahrh.    Von  Dr.  Hermann  Mensch.     Programm  der  Realschule  zu 

Giefsen.     (Kölscher) 452 

Die  Form-  und  Begritisveränderungen  der  französischen  Fremdwörter  im 
Deutschen.  Von  Dr.  Jos.  Moers,  Oberlehrer.  Programm  der  höheren 
Bürgerschule  zu  Bonn.     (Püttmann) 452 

M  i  s  c  e  1 1  e  n. 

Seite  233—237.     454  —  476. 

Bibliographischer  Anzeiger. 
Seite  125—128.     238—240.     477  — 4S0. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 


Die  um  die  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts  in  Frankreich 
zuerst  in  der  abendländischen  Litteratur  auftretende  orientalisch- 
byzantinische Erzählung  von  Flore  und  Blancheflor  ist  in  Italien 
mehrfach  in  gebundener  und  ungebundener  Rede  behandelt 
worden.  Der  Hauptvertreter  der  ersten  Gattung  ist  das  in 
ottave  rime  abgefafste  Cantare  (auch  genannt  Inamoramento 
oder  Storia)  di  Fiorio  e  Biancifiore.  In  Prosa  hat  den- 
selben Stoff  Giovanni  Boccaccio  behandelt  in  seinem  recht  lang- 
weiligen —  um  1340  entstandenen  —  Romane  Filocolo,  von 
dem  G.  Körting  (Boccaccios  Leben  und  Werke,  S.  464 — 494, 
Leipzig  1880)  eine  ausführliche  Inhaltsangabe  bietet.  Über  die 
Beziehungen  beider  Gestaltungen  zueinander  hat  lange  Dunkel 
beherrscht  und  ist  neuerdings  viel  gestritten  worden.  Nach 
Crescinis  Untersuchungen  *  scheint  das  Verhältnis  beider  dahin 
klargestellt,  dafs  das  Cantare  als  die  ältere  der  beiden  Fassungen 
zu  betrachten  sei,  oder  auch  dafs  Cantare  und  Filocolo  auf  eine 
gemeinsame  Quelle  zurückgehen.  Irrig  ist  die  Meinung  der- 
jenigen, welche  sich  das  Cantare  aus  dem  Filocolo  hervorge- 
gangen denken. 

Der  Grund  dieser  späten  Einsicht  in  das  Verhältnis  der 
beiden  Gestaltung-en  zueinander  liesrt  zum  Teil  in  der  schweren 
Zugäno-lichkeit  des  Cantare,  besonders  aufserhalb  Italiens.  Da 
auch  der  spanische  Prosaroman  von  Flores  y  Biancaflor  aus 
einer  italienischen  Quelle  geflossen  ist   —   die   aber   trotz  Maz- 


'  Vincenzo  Crescini,  Due  Studi  riguardanti  Opere  Miuori  del  Boccaccio. 
Padova  1882.     (Auch  in  der  Riv.  Eiiropea,  vol.  XXVII.     Fase.  V,    1  marzo 

Arckiv  i'.  n.  Sprachen.  LXXl.  A  *-v^ 


2  II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

zucchettis  Angabe  (Scrittori  d'Italia,  vol.  V,  p.  1355,  Brescia 
1762)  keineswegs  der  Filocolo  sein  kann  — ,  da  ferner  das  grie- 
cliische  Gedicht  von  (DImqioc  xu)  TIXutUu  (DhÖQr,  ^  auf  das  Can- 
tare, -  vielleicht  auf  eine  etwas  abweichende  Gestalt  desselben 
zurückgeht,  so  scheint  eine  kritische  Ausgabe  der  oft  weit  aus- 
einandergehenden Handschriften  und  Drucke  dringend  geboten. 
Bei  der  weiten  Zerstreuung  des  betreffenden  Materials  dürfte 
die  Herstellung  einer  solchen  mit  Schwierigkeiten  verknüpft  sein 
und  daher  die  folgende  Veröffentlichung  des  Gedichtes  nach 
einem  alten  Drucke  und  zwei  bisher  wenig  bekannten  Hand- 
schriften als  Beitrag  zu  einer  endgültigen  Ausgabe  sowie  auch 
als  Stoff  für  den  Litterarhistoriker  erwünscht  sein. 

Der  im  folgenden  abgedruckte  Text  beruht  auf  einer  von 
Herrn  Dr.  Oswald  Cohn  ausgeführten  Abschrift  des  auf  der 
Pariser  Arsenalbibliothek  (B.  L.  4860  A.  4«)  aufbewahrten  alten 
Druckes,  den  Brunet,  Manuel  du  Libr.  H,  1300  erwähnt.  Aus- 
führlich beschrieben  war  dieses  Buch  schon  vorher  von  Tho.  Fr. 
Dibdin,  A  bibliographical,  antiquarian,  and  picturesque  tour  in 
France  and  Germany  (London  1821).  Dibdin  äufsert  sich  da- 
selbst (II,  331)  folgendermafsen :  [Library  of  the  Arsenal:] 
„Fiorio  e  Biancifiore.  ,La  Historia  di  Fiorio  e  Biancifiore.' 
This  impression  is  executed  in  double  columns,  in  a  small  black 
letter.  The  stanzas  are  in  eight  liues  each,  At  the  end  ,Im- 
pressa  ne  la  inclita  et  alma  citta  di  bologna  per  mi  Bazaliero 
de  Bazalieri  cittadino  bolog^nese.  Delanno  del  nostro  signore 
M.cccclxxx  adi  xxiiii  di  decembre.  Laus  Deo.'  Doubtless  this 
must  be  the  Prima  Edizione  of  this  long  populär  romance  — 
and  perhaps  the  present  may  be  a  unique  copy  of  it.  Caxton, 
as  you  may  remember,  published  an  English  prosaic  Version  of 
it  in  the  year  1485;  and  no  copy  of  that  version  is  known, 
save  the  one  in  the  cabinet  at  St.  James's  Place.  To  the  book 
before  me,  there  was  probably  never  any  title  prefixed;  but  at 
the  end  is  the  above  —  preceded  by  the  words  ,Que8ta  sie'.    The 


'  Herausgeg.  von  W.  Wagner,  Medleval  Greek  Texts,  London  (Pliilo- 
logical  Society)  1870. 

-  Vgl.  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  littdrature  grecque  moderne,  S.  231 
(Paris  186(j).  —  Rud.  Nicolai,  Geschichte  der  neugriechischen  Litteratnr, 
S.  75—78  (Leipzig  1876). 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  3 

edition  has  only  eight  leaves,  and  this  copy  happens  unluckily 
to  be   in  a  dreadfully  ehattered   and  tender  state.     At  th6  end: 

Finito  e  il  Hbro  del  fidelissimo  Amore 
Che  portorno  insierae  Fiorio  e  Biancifiore. 

Subjoined  to  the  copy  just  deacribed   is  another  work  (?),    thus 

entitled: 

,  Secreto  Solo  e  in  arma  ben  amaistrato 

Sia  qualunqua  uole  essere  inamoi'ato. 
Got  gebe  ir  eynen  guten  seligen  morgen. 

The  preceding  line  for  line,  is  printed  in  a  large  Gothic  type: 
the  rest  of  the  work  in  a  small  close  Gothic  letter."  — 

Dibdins  Angaben  sind  nicht  überall  ganz  zutreffend.  Be- 
sonders fraglich  erscheint,  was  er  mit  dem  angeblich  von  Caxton 
übersetzten,  „at  St.  James's  Place"  aufbewahrten  alten  Drucke 
gemeint  haben  mag.^  Übertrieben  ist  auch,  was  er  von  dem 
furchtbar  schlechten  Zustande  des  auf  dem  Arsenal  befindlichen 
Exemplares  sagt.  Zwar  haben  der  Zahn  der  Zeit  und  die 
Würmer  recht  tüchtig  daran  herumgenagt  und  hat  Feuchtigkeit 
ihm  auch  geschadet,  aber  verloren  gegangen  ist  doch  kaum 
mehr  als  hier  und  da  ein  ausgefressener  Buchstabe;  zu  lesen 
ist  so  ziemlich  alles. 

Die  dem  folgenden  Texte  untergesetzten  Varianten  sind 
zweien  auf  der  Pariser  Nationalbibliothek  befindlichen  Hand- 
schriften —  fonds  italien  1069  und  1095  —  entnommen,  welche 
von  Marsand,  I  Manoscritti  italiani  della  Reg.  Bibl.  Parigina, 
und  von  G.  Eaynaud,  Inventaire  des  Manuscrits  italiens  de  la 
Bibliotheque  Nationale,  p.  78,  Paris  1882  —  näher  beschrieben 
sind.  Die  eine  der  beiden  Handschriften,  fonds  italien  1069  — 
im  folgenden  mit  A  bezeichnet  —  ist  eine  im  16.  Jahrhundert 
ausgeführte  Papierhandschrift  in  Quart,  die  152  Blätter  enthält. 
Die  Istoria  de  Fiorio  e  Bianza  Fiorre  steht  fol.  113 — 136.  — 
Die  Handschrift  B,  fonds  italien  1095,  eine  Pergamenthandschrift 
des  15.  Jahrhunderts,  enthält  141  fol.  La  storia  di  Fiorio  e 
Bianchofiore  steht  fol.  15 — 34.  Zwischen  fol.  16  und  17  ist  ein 
Blatt  herausgerissen. 

i  Vielleicht  Hegt  eine  Verwechselung  vor  mit  der  englischen  —  aber 
nicht  von  Caxton  besorgten  —  Übersetzung  des  Filocolo.  Vgl.  Lowndes, 
The  Bibliographer's  Manual  of  Eng.  Lit.  I,  225. 


4  II  Cantare  di  Fiorio  e  Bianciöore. 

Zu   bemerken  ist,   dafs   orthographische  Abweichungen  der 

Handschriften    von  dem   Drucke,    wie  chi  eran   für  cheren,  ben 

für  bene,    chomo  für  como,    maiorissima    für    magiorissima,  con 

für  cum,   chaualieri   für  caualeri  u.  s.  w.,    unberücksichtigt  ge- 
blieben sind. 


Questa  sie  la  istoria  de  Fiorio  e  Bianciflore. 

OBona  jente  ve  voglio  pregare 
chel  mio  decto  sia  ben  ascoltato 
io  vi  contaro  vn  bei  cantare 
e  raaxiraamente  chi  e  inamorato 
^  che  li  piacera  in  tal  affare 
e  ciascaduno  ne  sia  pregato 

e  ve  dirone  del  nobel  fiorio  e  bianeifiore 
che  insieme  saleuarno  con  gran  araore. 

Un  chaualiero  di  roraa  anticamente 
10  hebi  per  raolie  vna  jentil  donjella 

la  quäl  era  molto  richa  e  possente 

doro  e  darjento  e  di  molte  castella 

e  non  potendo  hauere  figli  niente 

di  quella  ro5a  frescha  tenerella 
^^       a  sancto  iacobo  si  votarno  dandare 
se  la  donjella  potesse  ingrauedare. 

Dentro  da  roma  feron  la  promissione 
stando  al  palatio  con  gran  delicia 


'  voglio]     ß:  uogloue.  ' 

-  decto]     A:  ditto,  B:  dicto. 

^  io]     A:  e. 

^  B:  fiorio  e  bianclio  fiore  hauero  contato. 

•"'  B:  ...  como  insemi  se  ebbero  adamare. 

•^  B :  ...  questo  intenda  omne  horao  inamorato. 

'  B :  ...  e  come  nacque  fiorio  e  bianchofiore. 

*  A:  como  se  leuono  con  grande  amore,    B:  Et  insemj  se  alleuaro  con 
re. 

'■•  chaualiero]     A:  caualere,  B:  caualiero. 

'"  hebi]     A:  ebe,  B:  prese.     donjella]     B:  pol^ella. 

"  molto]  fehlt  A,  B  liest:  Multo  ricchissima  e  era  p. 

'-  doro  e  dargento]     e  fehlt  B. 

'•'  potendo]     B  poteua.     tigli]     B:  figlolo. 

''  frescha  tenerella]     A,  B:  f.  e  t. 

'■'  si  votarno]     B:  presero. 

"'  la  donjella]     B:  quella  donna. 

'"  Dentro  da  r.  f.]     B:  In  Roma  fecero. 

"*  al  palajo  c.  g.  d.]     B:  nel  palajo  del  militia. 


II  Cantarc  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

e  la  donjella  ingrauedo  nela  niasone 
20  e  tuta  la  corte  ne  facia  leticia 

el  cbeualier  se  mosse  in  quella  stasione 
per  andare  al  apostolo  de  galicia 

e  la  dona  col  chauali'er  intro  in  viajo 
e  tolsene  conpagnia  diuantajo. 

2"»  Lo  re  felice  se  mosse  di  spagna 
lo  saracino  cane  mescredente 
con  mille  chaualieri  in  conpagnia 
e  di  fanti  menaua  gran  jente 
e  al  passar  che  fece  duna  montagna 
30  a  lalba  de  lo  jorno  aparisciente 

guardando  ala  strada  per  li  camini 
subito  heben  veduti  i  deti  peregrini. 

Lo  re  comando  a  li  pagani 

e  a  li  saracini  che  eran  ben  arniati 

33  andate  a  vedere  se  sono  christiani 
e  si  son  christiani  siano  presi  e  taliati 
con  gran  furore  se  mosse  li  cani 
inuerso  quilli  christiani  batejati 
e  si  ne  taliorne  a  pejo  ben  dujenti 

*o       e  pcchine  canparo  cheran  treccnti. 

Preson  quella  christiana  bella 
e  lo  suo  marito  quiui  fu  morto 


'^  B:  la  donna  in  quella  astascione. 

^  B:  Tucta  la  gente  nebe  gran  letitia. 

2'  B:  Et  presero  la  scar,ella  e  lo  bordone. 

^■'  B:  La  donna  el  marito  intraro  i.  u. 

-^  B:  diuantajo]  A:  de  auentajo,  B:  Allora  se  scontraro  in  gran 
dannagio. 

26  B:  Ipso  con  falso  sarracino  descredente. 

-■  mille]     B:  raulti.    in  c]     B:  in  sua  c. 

28  B:  De  populo  menaua  una  gr.  g.  • 

^  B :  Quando  foro  ad  passare  una  m. 

^  B:  Vna  matina  lo  giorno  schiarente. 

3'  B:  Fece  guardare  le  strade  e  c. 

^  veduti]     A:  veduto,  B:  Sence  passauano  Romerj  o  pellegrinj. 

^  Lo  re  c]     B:  Lo  re  felice  c. 

^  e  ali  sar.]     B:  Ad  caualerj. 

■''•^  se  sono]     B :  se  quellj  son. 

^'  B:  Et  mantenente  siano  presi  e  legatj. 

•"  gran  furore]     B:  grande  furia.     mosse]     B :  mossero. 

^*  christiani]     A:  cani,  B:  Contra  alli  christiani. 

•'*'■'  du^enti]     A:  dugento,  B:  Et  preseroli  e  oeciserone  ben  ducento. 

'•'  canparo]  A:  scampano,  ß:  scamparo.  cheran  trecenti]  A:  cheren 
trecento,  B:  de  trecento. 

'^  preson]     A:   preseno,  B:  Et  presero  una  christiana  multo  b. 

"  B:  Dapoy  chcbbero  morto  lo  marito. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Blancifiore. 

ella  diceua  oime  lasso  tapinella 
or  chomo  son  conducta  a  mal  porto 
'*■"'  e  risguardando  quelli  la  poncella 

dissero  non  dubitare  che  harai  conforto 
poi  denanjo  al  re  che  la  presentaro 
e  lo  re  quello  präsente  tene  ben  caro. 

Lo  re  felice  vedendo  la  bellissima 
=•0  quella  christiana  di  terra  latina 
teneuala  caia  corao  la  maiorissiraa 
c  dela  in  guardia  a  la  regina 
nata  gliera  di  chasa  gentilissima 
e  la  regina  ne  fe  festa  la  niatina 
•»5       vedendo  quella  bella  Stella 

tenella  molto  cara  infra  se  Stella. 

La  christiana  staua  niolto  pensosa 
e  nel  viso  era  cambiata  di  colore 
e  diceua  oime  lassa  dolorosa 
*ö  perche  non  fomorta  col  mio  signore 
chio  non  fosse  riraasta  siangosciosa 
omi  tapina  chio  moro  di  dolore 
o  tu  apostolo  sancto  de  galicia 
or  como  ai  comportato  tanta  tristicia. 

65  La  regina  disse  non  ti  sgomentare 
e  per  lo  mio  aniore  non  te  sconfortare 


^^  ella]     B:  et  epsa.     oime  lasso]     B:  o  lassa. 

'''■*  B:  che  non  conducta  assai  amal  partito. 

''^  B:  Grande  alegreje  hauea  la  gente  fella. 

'"'  dissero]     A:  disse,  B:  Vedendo  lo  suo  uiso  colorito. 

^"  presentaro]     A:  presentano,  B:  De  nantj  allo  Re  lebbero  presentata. 

"**  tene  ben  caro]  A:  ben  caro  teneno,  B :  De  tal  presento  ben  la  comentato. 

''^  B:  Lo  Be  quando  la  uide  si  b. 

■■*  quella]     B:  la. 

^'  B:  Ben  la  tenea  per  Bosa  odorissima. 

•''-  e  dela  in  guardia]     A:  Et  ella  si  jjuarda,  B:  Feccla  prcsentare. 

^^  B:  Dicenno  danima  li^atra  e  grandissima. 

^  B  :  Ecco  chostei  che  tanto  pellegrina. 

^  B:  Et  quando  uide  si  bella  Stella  chiaro. 

^'  B:  Et  la  Regina  ben  la  tenea  cara. 

^''  staua]     B  :  era. 

•'^  B:  che  nel  suo  uiso  non  hauea  colore. 

■''■>  B:,Et  si  d.  o  lascia  d. 

•*  B :  Che  nomme  detti  una  lancia  alcore. 

•"•'  B:  Che  hauessa  morta  mi  la  suentorosa. 

•"^  B:  Quando  fo  morto  el  mio  gentil  signor. 

^  B:  Chemme  mossl  con  luv  con  gran  letitia. 

•^  B:  Per  andare  allo  apostolo  di  galitia. 

•^  B :  Et  la  Regina  dixe  domna  mea. 

**  A:  E  non  dubitare  de  nesuna  tosa  che  sia,  B  wie  der  Druck. 


11  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

e  pregoti  che  mi  dica  per  tua  cortesia 
se  tu  se  grauida  non  me  lo  negare 
chio  tiraprometo  per  la  fede  mia 
'^'^  chio  ti  faro  seruire  e  honorare 

or  ti  conforta  e  sta  alegramente 
che  mi  haremo  figli  insieraeraente. 

E  ciaschuna  di  loro  era  grauida 

cioe  la  christiana  e  la  saracina 
'->  e  ciaschuna  di  loro  era  ben  seruita 

la  christiana  bella  e  la  regina 

e  chiascuna  hauia  bona  guida 

e  plaque  a  dio  che  parturino  vna  niatina 
vn  filio  maschio  fece  la  regina 
80       e  la  christiana  fe  vna  bella  fantina. 


'^^  A :  E  per  lo  mio  amore  non  ti  scomfortare,  B :  Pregote  perla  toa 
gran  cortesia. 

*'**  negare]     B :  celare,  A  68  =  67  des  Druckes. 
^'^  chio  tirapr.]     A:  che  io  (B:  chio)  te  pr. 
™  che  io  ti  f.]     B:  Ben  te  farro. 
"'  e  sta]     B :  presto. 

'^  che  mi]  A :  che  noy,  B :  credo  che  hauerrimo  figlioli  insenijmente.  — 
Nach  72  hat  B  eine  Strophe  mehr,  die  nächsten  beiden  weichen  ebenfalls 
bedeutend  ab : 

La  christiana  hauea  nome  topatia 

La  sarracina  Regina  manire 

Stauano  como  doy  iiengano  Ingratia 

Et  la  Regina  sillj'pose  amore 

Vna  tela  che  uenne  da  dalmatia 

De  setha  e  doro"che  Rendea  splendore 

Deuante  alla  christiana  la  fece  essere 

Perche  quellj  lauorj   sapeiia  thessere. 

'^  Et  luna  8  laltra  era  gia  grauida 

La  christiana  colla  sarracina 
'^^  Et  partorero  In  una  riccha  camora 

De  maio  che  la'Rosa  esulla  spina 

La  christiana  fe  figlola  femina : 

Figlolo  maschio    fece  la  Regina 

La  christiana  frescha  e  colorita 
'"'  Morio  Impartoe  passe  de  questa  uita: 

^'  Le  balie  Incontinente  foro  trouate 

Chelli  fanciulii  douessero  ben  fornire 

Et  lebalie  ne  foro  multo  pregate 

Chelli   fanciullj   douessero  ben  seruire 
**■''  Et  luna  e  laltra  nel  primo  sacciate 

Ad  una  Insengha  li  fece  vestire 

Lo  maschio  con  la  femina  fo  nata 

Lo  primo  giorno  di  pasqua  Rosata. 

"^  ciaschuna]     A:  cisachauna. 
'•'■  ciaschurta]     A:  ciaschauna. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifioic. 

La  clinstiana  mori  in  quel  parto 
e  rimanenda  viua  la  fantina 
subitainente  le  baile  fono  trouato 
che  alouasse  il  fantino  e  la  fantina 
*^"'  e  cosi  insieme  hin  e  laltro  fn  aleiiato 
c  naquero  di  pasqua  rosata  la  raatina 
e  lo  re  nebe  granda  allegreja 
di  quello  parto  di  tanta  gentileja. 

Lo  re  li  portaua  grandissimo  araore 

^^  a  lo  fantino  pose  nome  Fiorio 

e  a  la  fantina  pose  nome  Biancifiore 
e  Inno  e  laltro  eran  politi  chomo  auorio 
e  ambe  dui  creseeua  di  valore 
e  lo  re  lo  fe  sapere  al  ducha  dl  niontorio 

^^       Inno  e  laltro  fu  bene  nutricato 
Fiorio  con  Biancifiore  fu  aleuato. 

Lo  re  disse  o  dolce  filio  mio 

io  te  Tolio  a  liegere  mandare 

e  Fiorio  disse  padre  questo  dico  io 
'•^"^  seuza  Biancifiore  non  volio  andare 

ma  se  farete  quello  che  saprete  comandare 
^^^       el  suo  padre  disse  ello  fara;,o 

ambe  dui  a  legere  vi  mandarajo. 

JOö  Fiorio  fu  aliegere  mandato 

e  biancifiore  con  lui  insiemementc 

lo  maestro  era  molto  pregato 

e  da  chaualieri  niolto  spessanicnte. 


*•  quel]     A:  quelo. 

*®  fono]     A:  fo. 

^'  aleuato]     A:  leuato. 

^  frranda]     A  :  graudissima. 

»•_<»  ß .  Lq  Hq  portaua  alloro  tanto  amore  |  Che  pose  nome  liorio  alle 
figlolo  I  Et  alia  gentil  poljella  biancboöore  |  Per  die  se  assiuiiglaua  al  fres- 
cho  giglo  I  Ciaschuno  hauea  nel  suo  viso  colore  |  Quanto  (a)  la  Rosa  color 
uermiglo  |  Tutti  doi  foro  cresciutj  duuo  paragio  |  Per  che  uotritj  non  foro 
de  auantagio. 

'■-  auorio]     A :  auio. 

Zwischen  96  und  97  hat  B  eine  Strophe  mehr:    Da  poy  che  foro  cres- 
chutj    et   alleuatj   ]  Et   dodici   annj    ciaschuno   de   loro   hauea  |  Erano   tanto 
Inscmj  In  amoratj   j   Ohe  Luno   sensa    laltro   stare   non   potea  1  Tanto  forte 
erano  bellj  et  delicatj  |  Che  Inquesto  mundo  parj  non  hauea  |  Lo  Re  foelicc 
forte  se  pregiaua  j  Che  luno  con  laltro  fortemente  se  aniana. 
-"^  B:  Lo  Re  foelice  dixe  figlolo  mio. 
'•'*  In  B  ein  Blatt  herausgerissen  (bis  155). 
«»  e  F.]     A:  F. 

'^'  A :  &la  se  farete  quelo  che  o  idesio. 

'"^  A :  Faro  quelo  che  saprete  comandare. 


II  Cantaie  ili  Fioiio  c  Biancifiorc. 

elHera  da  loro  spesso  visitato 
i'O  che  linsegnasse  veracemente 

e  lo  maestro  linsengnaua  voluntieri 
si  che  prestamente  imparato  isaltieri. 

Poi  lo  fece  legere  el  libro  de  lamorc 
che  legendo  di  facesse  imparare 

11''  e  spessamente  li  daua  ferite  al  core 
e  veramente  lifacia  suspirare 
e  fiorio  guardando  biancifiore 
mal  di  vederla  non  si  potea  saciaro 
onde  lo  maestro  si  sene  fo  acorto 

'20       e  si  nebbe  molfo  male  conforto. 

Sapendo  queslo  lo  re  disse  ala  regina 
gentil  madona  chi  ti  par  di  fare 
ino  tanto  dolia  che  mi  ruina 
se  fiorio  si  perde  per  tal  afFare 
'21  partir  lo  volio  da  questa  fantina 
e  in  altre  parte  lo  volio  mandare 
per  la  Ventura  gliuscira  de  la  mente 
perche  non  la  vedera  si  de  presente. 

Lo  re  felice  disse  al  filio  fiorio 
'30  dolce  filiolo  fa  lo  mio  comando 

iuolio  che  tu  vaga  liegere  a  montorio 
e  starai  col  duca  e  alui  taricomando 
e  lui  sie  del  nostro  parentorio 
e  con  lui  in  compagnia  tu  stando 
'35       tu  si  farai  lo  mio  comandamento 
e  faroti  acompagnar  di  valimento. 

Fiorio  rispose  al  padre  e  si  li  disse 
o  re  felice  el  tuo  parlare  e  vano 
se  biancifiore  mecho  non  venisse 
'**>  io  non  andarei  in  pasei  si  lontano 
innan^i  che  da  lei  io  rni  partisse 
da  quella  a  che  mio  cor  tiene  in  mano 


'"  voluntieri]     A  :  volenteri. 

"'•^  imparato]     A:   iniparo. 

"•'  de  lamore]     A:  de  amore. 

'"  si]  fehlt  A. 

*^'  sapendo]     A:  sapiendo.     lo  rej     A:  ci  re. 

'^  tanto]     A:  tanta. 

'^'  vaga  1.]     A :  uadi  a  leg. 

'■"^  duca  e  alui]     A  :  ducha  aluy. 

™  parentorio]     A  :  parentato. 

'^'  io]  fehlt  A. 


10  11  Cantare  di  Fiorio  e  Bianciüore. 

innanci  mi  lassarei  tuto  taliare 

cha  senza  biancifiore  volesse  andare. 

^*^  Lo  re  gli  rispuose  a  suo.  detto 

or  sapi  lilio  che  tua  madre  e  amala 
per  la  fede  chio  porto  a  machometo 
questa  notte  e  ancha  nonne  leua 
se  tu  non  crede  va  vede  a  letto 
'50  e  trouarai  fortemente  agraua 

lassa  Stare  biancifiore  in  sua  conpagnia 

e  chome  sara  guarita  la  raandaro  in  fede  mia. 

Fiorio  rispose  al  padre  lacrimando 
dicendo  padre  ruio  io  volio  andare 

'55  e  biancifiore  molto  vela  recomando 
e  quanto  el  mio  ochio  fa  la  giiardare 
e  biancifiore  preso  a  lacriraare 
e  prese  combiato  forte  suspirando 
e  disse  fiorio  mio  porta  questo  anelo 

^^^       che  de  dentro  vn  ^affiro  molto  hello. 

Lacrimando  biancifiore  dicia 
per  lomio  amore  questo  anelo  ferai 
e  di  me  nouelle  saperai  tuta  via 
per  ciaschun  ^orno  chelo  guardarai 
'^5  e  quando  chiaro  tu  lo  vedi  li  dicia 
de  la  mia  persona  securo  serai 
ma  quando  tu  lo  vedi  iscolorito 
sappi  chio  sarei  a  mal  partito. 


"^  a  suo  detto]     A :  al  suo  dito. 

^'^  amala]     A :  anialata. 

"*  leua]     A:  leuata. 

"^  va  vede]    A:  ua  e  uedi. 

'•■^  agraua]     A:  agrauata. 

'•^■^  B:  Et  bianchofiore  auoy  La  Recomando. 

'*  ochio]     A:  ogio,  B:  Quanto  che  locchi  niei  falla  g. 

'■'^'  A:  E  (B:  Da  lei)  prese  combiato  (B:  commiato)  forte  (fehU  B) 
suspirando. 

'"'*  A:  E  bianciüore  (B:  bianchofiore)  prese  alacrimare  (B:  allacbrimare). 

'■'■'  disse  fiorio  mio  p.]     B  :  dixe  a  f.  p. 

"*  de  dentro]     A:  ie  d.,  B:  che  dentro  ce  sta  uno  jaffino  m.  b. 

"''  dicia]     A :  dieiua,  B :  Et  lachr.  dicea. 

"^^^  terai]     A:  tenerai,  B:  Et  questo  anello  per  mio  amore  terrai. 

'^  B:  Che  de  mi  sitte  rencordi  tucta  via. 

'"  B:  Ciasche  uno  giorno  che  tu  lo  uederai. 

"^^  B  :   Se  chiaro  tu  lo  uederai  tucta  via. 

"*  De  la  mia]     B:  de  mia.     sichuro  seray]     ß:  securo  ne  starrai. 

"■'■  iscolorito]  A:  descolorito,  B:  Se  lo  colore  dello  anello  uederai 
cagniato. 

"*  B :  Pensa  che  io  serraio  amal  stato. 


II,  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  11 

Fiorio  lo  prese  uiolto  voluntieri 
^"^^  e  dal  padre  prese  combiato 

e  con  lui  andaua  baroni  e  scudieri 

e  da  molfa  jente  era  aconpagnato 

con  asturi  brachi  falconi  e  leüreri 

acio  chelo  andasse  piu  allegrato 
*73       e  spesse  volte  fiorio  indrieto  si  voltaua 
per  biancifiore  che  tanto  lamaua, 

Uno  messagio  al  ducha  fu  niandato 
che  venisse  incontra  a  farli  honore 
el  ducha  a  caualo  subito  fu  montato 
'^^  SU  vn  destrier  ainbiante  e  coridore 
da  molti  chaualieri  era  acompagnato 
da  conti  e  baroni  di  gx-ande  valore 

asti  con  penoni  e  bandieri  spiegando 

in  contra  a  fiorio  con  tronbe  sonando. 

185  Fiorio  non  prendea  alcun  solajo 

6  non  potea  nuUa  ralegrare 

e  gionto  a  montorio  al  bei  palajo 

e  quiui  era  ordinato  richo  man^are 

e  lo  ducha  silo  prese  per  lo  brajo 
1^0  e  disseli  fiolo  andiamo  a  disnare 


'^^  voluntieri]     A:  volenteri,  B:  Et  fiorio  li  respusc  uolempterj. 

'™  B:  Inmantinente  a  cauallo  fo  montato. 

"*  andaua]     A:  mandaua,  B:  Con  ipso  andauano  donjelli  et  caualerj. 

*'2  B:  De  bella  gente  ello  era  acc. 

"^  B:  Astorj  bracchi  falcunj  et  sparucrj. 

*'^  andasse]     A:  alandasse,  B:  Per  confortarlo  che  andasse  alcgrato. 

^"^  B:  Et  fiorio  puro  arreto  se  uoltaua. 

•"'''  Perla  soa  druda  che  tanto  forte  amaua. 

'"''  uno  mesagio]     B:  El  missagiero. 

'"^  che  venisse]     B:  chellj  uenesse. 

'■9  subito]  fehlt  B. 

'^  sun  uno  d.]     B;  Nel  palafreno. 

'81  era]     B:  fo. 

'**  e]  fehlt  A.     di  grande  (A:  grando)  v]     B:  per  suo  amore. 

1^  B:  Inuerso  fiorio  trombette  sonando. 

i*'  a]  fehlt  A.     B:  haste  et  bandiere  et  lancie  spejanno. 

1^^  prendea  alcun]  A :  prendiua  nisuno,  B :  Ogni  giorno  se  facca  quollo 
sollazo. 

'*'  non  potea]  A:  non  si  potia.  ralegr.]  A:  alegr.,  B:  Per  che  fiorio 
se  potesse  Realegrare. 

1**^  B :  Gionsero  aniontorio  al  palajjo. 

i**"  B:  Dove  era  facto  uno  riccho  disnare. 

'*•  prese]     A:  pre,  B:  El  duca  sillo  prese  p.  1.  braccio. 

'™  fiolo]  A:  fiorio.  andiamo],  A:  andemo,  B:  Et  dixe  figlolo  giamone 
amagnare. 


ij  11  Cantarc  di  Fioiio  c  liiancifiore. 

che  per  amoie  de  quisti  caualieri 
ben  doueristi  Stare  senja  pensieri. 

Or  ritornamo  a  lo  re  felice 
e  lassiarno  fiorio  inamorato 

i^">  e  ala  regina  sua  dona  imperatrice 

disse  el  filio  nostro  a  montorio  c  mandato 
e  biancifiore  la  falsa  meretrice 
ben  credo  che  labia  affaturato 
ma  se  de  lei  inomo  auendicarc 

•200       rnai  piu  Corona  in  testa  non  voi  portare. 

Lo  seniscalcho  suo  face  chiamare 
c  disse  or  giura  qui  e  fa  sacramento 
di  fare  quelo  chitaro  amanifestare 
e  che  lo  farai  senja  dimoramento 
203  quando  chisaro  a  tauola  a  disnare 
farai  tuto  quelo  chio  di  talento 
che  vna  galina  mimandi  atosicata 
e  biancifiore  dirai  me  labi  niandata. 

Lo  seniscalcho  falso  e  discredente 
210  disse  sagra  maiesta  tu  a  ben  pensato 
chuosere  la  faro  prestamente 
e  meteroiü  el  tosico  teniperato 
e  manderola  quando  visia  tuta  jente 
contecho  a  tauola  insieme  asentato 


^^'  B:  Ma  perlo  amore  de  questj  caualerj. 

'92  Stare]  fehlt  B. 

103  B;  Tornare  lo  uoglo  alle  Re  foelice. 

'**  lassiamo]     B :  laxarimo. 

''S  B:  Alk  R.  dixe  Imperatrice. 

'«■•  B:  Nostro  figlolo  a  M.  lo  ni. 

'9''  meretrice]     B:  tradetriee. 

'"*  che  labia)     B:  chenze  1. 

'*'  inomo  au.]     A:  inomay  au.,  B:  non  ne  fai  uendetta. 

-*"'  B:  Giammnv  Corona  non  portara  In  testa. 

™'  suo  fece]     ß:  tosto  fe. 

-^  disse]     B :  dice  iura  al  mio  commandamento. 

^"^  B:  De  quello  chette  uo  manifestare. 

^'  B:  Che  fatto  sia  senza  d. 

*'•'  chisaro]     B :  serraio  atauolo  amagnare. 

''"^  B:  Commandote  per  questo  sacramento. 

^'''  B:  Mandarai  una  galhna  ad  thossicata. 

^**  B :  Et  bianchofiore  ne  sia  ad  cascionata. 

^''■'  falso  ed.]     B:  dixe  alegramente. 

21"  sagra]     A:   sacra,  B:  Missere  uoi  bauete  ben  per  lato. 

-"  chuosere]     A:  cosere,  B:  Acconciare  la  farraio  Inmantinente. 

2'^  temperato]     B:  stemperato. 

^'^  quando  visia]  A  :  (juan  che  sia,  B :  Farro  chella  vedera  tucta  la  gente. 

^'''  B:  Quando  serrite  atauola  assettato. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  13 

21^       e  quando  diiai  chila  fata  venire 

faro  dire  biancifiore  la  presenta  caro  sire. 

Lo  re  con  soi  baroni  ando  a  disnare 
e  la  galina  li  fo  apresentala 
e  lo  giouenetto  che  Ihebe  aportare 
220  disse  che  biancifiore  Ihauia  mandata 
e  inmantinente  lo  re  la  fece  taliare 
e  vna  cossa  a  vno  braccho  hebbe  gitata 

el  braccho  cascho  morto  incontinente 

e  questo  vidi  lo  re  e  tuta  la  gente. 

223  Lo  re  felice  fe  sonare  parlamento 
e  li  principi  del  popolo  fe  adunare 
e  disse  o  belli  signori  io  me  lamento 
de  biancifiore  che  mha  voluto  atossigare 
e  ella  vdendo  si  gran  tradimento 
230  non  si  sapia  defendere  ne  scusare 

alhora  li  sauii  si  Ihebbeno  sentenciata 
che  biancifiore  fusse  subito  brusata. 

Contra  li  era  tutaquanta  la  jente 
credendo  hauesse  facta  tal  fallijone 
23S  lo  maluagio  seniscalcho  mescredente 
tosto  la  faceua  niettere  in  prexone 
e  fecela  ligare  aspramente 
acio  che  la  non  dicessa  la  sua  ragione 


^'^  B :  Ad  quello  chella  arrecha  farro  dire. 

-'^  dire  b.]     A:  dire  che  b.,  B:  Che  bianchofiore  tella  fa  uenire. 

^"  con  soi  b.]     B:  et  li  b.     ando  ad.]     B:  andaro  admagnare. 

^'^  B:  E  lo  ballecto  ad  cbl  la  fe  portare. 

■^  Ihauia]     A:  la  hebe,  B:  gella. 

^^  B :  Et  la  cossa  ad  uno  cane  fo  geptata. 

^^  B:  Et  lo  cane  cade  m.  inmantenente. 

^  re  e  tuta]   A:  re  uide  e  tuta,  B:  Denantj  ad  tucta  quella  bona  gente. 

'■^  B:  Lo  ße  fece  s.  ad  p. 

^^  B:  Tueto  lo  populo  fece  radunare. 

^''  belli  s.]     A:  bey  s.,  B:  nobili  baroni. 

^'^  ma  uoluto]     B:  me  uol.';e  ad  thossicai-e. 

'■^  B:  Et  epsa  odendo  si  grande  tr. 

"''*'  sapea  def.  nesc]     B:  sapeua  ne  potea  scusare. 

''^'  sentenciatiaj     A:  sententia,  B:  Li  iudici  si  lebero  iudicata. 

^~  B:  Cbe  epsa  fosse  ad  ardere  menata. 

^^  B:  Contra  li  daua  tucta  quella  gente. 

'■^  Per  che  non  sapeuano  la  accascione. 

^"  B :  Lo  seneschalcho  falso  discredente. 

^  faceuaj     A  :  feci,  B :  fece.     prexone]     A :  prcgione,  B :  prisone. 

^  aspramente]     B:  strittamente. 

'■"*  Accio  chella]     ella  fehlt  B.     la  sua  rascionej     ia  fehlt  B. 


14  II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancitiore. 

e  poi  la  fece  menare  a  la  iusticia 
'■'*•*       lo  seniscalcho  pieno  dogni  malicia. 

Ad  ardere  era  menata  la  donjella 
sen^a  fallijone  per  amor  di  fiorio 
et  ella  diceua  lassa  tapinella 
0  amor  mio  tu  sei  ora  a  montorio 
2*3  e  non  sai  de  questa  meschinella 
come  per  te  e  menata  al  martorio 

e  sera  morta  e  mai  tu  nomme  vederai 
e  la  tua  vita  contento  non  serai. 

E  si  diceua  oime  misera  dolente 
230  o  perche  son  io  ad  ardere  menata 
ora  non  ho  piu  amico  ne  parente 
che  maiuti  e  sonno  abandonata 
oime  lassa  11  mio  core  e  la  mente 
or  doue  se  trista  me  che  fui  nata 
•255       JQ  jjQu  jjQ  niessagio  chi  tel  venga  dire 
come  per  te  io  son  menata  a  morire. 

E  ritorniamo  a  fiorio  chauia  dormilo 
e  con  gran  paura  si  fo  isuegliato 
e  pose  mente  al  lanello  chauio  in  dito 
260  e  vite  lo  jaffiro  tuto  scambiato 
e  non  era  come  solea  colorito 
e  ricordosi  di  quello  chera  auisato 
di  biancifiore  disse  oime  lasso 
che  biancifiore  e  a  mal  passo. 


•■MO  (Jogni  m.]     B:  di  m. 

■■*'*'  era]     B:  fo. 

'■"-  falicione]     B:  accascione. 

^•3  Et  ella]     B:  Epsa. 

^  B:  O  drudo  mio  tu  stai  a  M. 

'^*  B:  Como  per  ti  receuo  gran  martyrio. 

*-"'  sera]     A:  sero,  B:  Et  non(o)  misso  che  tello  manadire  (vgl.  255). 

^*  E  la  tua]     A:  E  a  la  t.,  B:  Como  per  ti  son  menata  a  morire. 

^^  diceua]     A:  diciua,  B:  Et  poi  diceua  ha  m.  d. 

25'  ho]     B:  aio. 

^'^  B:  Chemme  consigle  che  io  so  aballonata. 

^'^^  B:  O  Lasso  lo  m.  c.  et  la  mia  m. 

^  se  trista]     se  fehlt  A.     B:  De  ti  me  doglio  fiorio  mal  nata. 

^^  venga  dire]     A:  venga  adire,  B:  Io  moreraio  e  nomme  vederai. 

^  B:  AUa  toa  uila  alegro  non  starrai. 

'^^^  B:  Et  fiorio  in  quella  hora  hauea  dormito. 

'■"*'  paura]    A:  pagura.     fo  isueghato]    A:  fu  resuegiato,  B:  e  reuiglato. 

'"^  B:  Quello  che  bianchofiore  li  hauea  dato. 

^'  B:  Vide  el  zaffiro  tucto  scolorito. 

^-  B:  Et  era  tucto  quanto  tracagnato. 

^  bianc.  disse]     A:  b.  e  d.,  B:  Allora  dixe  oyme  dogloso  e  laxo. 

'■*''  B:  Credo  che  bianchofiore  sia  amal  passo. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  15 

265  Fiorio  si  fu  leuato  inmantinente 
senja  dimoro  e  non  fece  tardanza 
e  ando  a  vno  chaualiero  suo  parente 
lärme  e  lo  cauallo  chiese  in  prestanja 
e  quello  gli  presto  vn  destrier  corrente 
^"^^  lo  sbergo  con  lo  scudo  e  la  lan^a 

e  vna  spada  bella  con  forte  tagliare 
che  ben  potia  securamente  andare. 

Fiorio  in  sul  cauallo  fu  montato 

e  conli  speroni  chello  richiedia 
275  in  verso  biancifiore  fu  andato 

perche  enera  intrato  in  jelosia 

e  si  tosto  come  fo  gionto  al  prato 

trouo  la  damisella  che  piangia 
et  era  apresso  al  fuocho  ardente 
280       e  a  vederla  era  ita  molta  jente. 

P'iorio  se  misse  in  quella  pressa 

doue  era  lo  focho  e  la  calura 

e  biancifiore  nel  cabanello  fo  messa 

e  gliera  quasi  morta  di  paura 
-^''  e  si  tosto  come  fiorio  giunsa  ad  essa 

disse  a  la  damisella  or  te  secura 

di  me  la  veritade  e  non  nie  lo  cielare 
per  che  cason  lo  re  tha  fatto  sentenciare. 


-''^  si  fo  leuato]     B:  se  leuo. 
-««  fece]     B:  fe  piu. 
^^  B :  Ad  uno  caualero  che  era  suo  p. 
'•**  chesse]     B :  prese. 
^«  e  quello  li]     B:  Egll  li. 

^™  con  lo  sc.  e  la  1.]     A :   e  lo  sc.  con  la  1.,    B :    Et  sbergo  et  elmo  et 
scudo  et  la  lancia. 

-■'  bella]  fehlt  B.     forte]     B:  dolce. 

-'"  securamente  andare]     B:  securo  caualchare. 

-^^  B:  Et  tiorio  ad  cau.  fo  m. 

-^^  B:  El  desperonj  ben  lo  rechiedeua. 

275  inverso  b.]     B:  in  verj  di  b.     fu  andato]     A,  B:  ne  fo  a. 

•116  Q.  Pero  che  ne  era  intanta  g. 

^''  E  si  tosto  como  fo]     B:  Incontinente  si  fo. 

^''^  era]     B:  staua. 

^^  B:  Et  per  uederla  staua  multa  g. 

^'  B:  Et  tiorio  per  la  prescia  si  fo  messa. 

'^^  B:  D.  e.  accesso  el  focho  et  a  caldura. 

^^  cabanello]     A:  gab.,  B:  Et  bianchofiore  si  staua  demessa. 

-^^  B:  Quando  lo  Caualerj  so  gionto  ad  epsa. 

^^  or  te  sec]     A:  ortasic,  B:  Et  egli  dixe  poljella  sta  secura. 

^^^  veritade]     A,  B:  verita.     la  celare]  B:  raentire. 

^^  cason]     A:  cagione,  B:  Per  che  el  Re  te  uole  fare  morire. 


IG  11  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

E  biancifiore  si  fu  alui  in^enocliiata 
'-'••o  e  si  li  dissc  tuto  el  conueniente 
la  seniscalcho  alo  re  mebbe  acusata 
chio  il  volse  atossicare  maluagiamente 
e  io  misera  a  torto  sonno  incolpata 
che  la  gatina  non  mandai  veramente 
295       o  chaualier  se  lu  poi  dami  aiutorio 
per  tua  cortesia  e  per  amor  de  fiorio. 

Fiorio  disse  non  hauer  teman^a 
la  guardia  de  lelrao  si  leuoe 
si  come  chaualiero  di  gran  possanja 
300  e  infra  tuto  el  populo  si  parloe 
io  voglio  che  si  riuoca  la  senten^a 
che  biancifiore  Io  tosico  non  mandoe 
anci  e  stato  Io  seniscalcho  traditore 
che  mando  Io  tosicho  e  non  biancifiore. 

303  Alhora  li  rectori  si  comandaro 
che  biancifiore  non  sia  brusata 
e  diu  a  caualo  presto  mandaro 
allo  re  felice  porta  lambasiata 
dicendo  signore  nostro  caro 


"^  B:  Missere  poy  chemme  hauito  domantata. 

~*  fehlt  A.     B :  Io  ue  dirro  tucto  el  comraenente. 

^'  mebe]     B:  mea. 

-'"^  B :  Chio  Io  uolea  atth.  maluasciamente. 

-•*^  misora  a  torto  son]     B:  missere  ne  so. 

^^  B :  Et  quelle  thossico  non  manday  niente. 

^^  se  tu  poi  dami  (A:  darmi)]     B:  se  poi  dämme. 

"^  tua]  fehlt  B. 

--"  temanja]     B:  temenja. 

^®  leuoe]    B:  leuone. 

^  possanjaj     A:  potentia,  B:  valenza.  i 

^°°  B:  De  nantj  atucta  gente  se  ualjone.  | 

^'  B:  Io  reuocaro  questa  s. 

*^  mandoe]     B  :  mandone. 

^"^  B:  Lo  senescalcho  falso  traditore. 

•^  che]  fehlt  B.  non  b.]  B:  non  fo  b.  —  B  hat  hier  noch  folgende 
Strophe:  Et  per  amore  di  fiorio  che  io  lamo  |  La  morte  et  mia  persona  uo 
diffidere  |  Questa  per  suo  amore  me  fa  rechiamo  |  Et  per  suo  amore  lauo 
dissobrigare  |  Dello  commattere  io  ho  uogia  et  bramo  j  Col  seneschalco  lauo 
Contrastare  |  Io  amo  fiorio  et  se  io  nonte  aiutasse  |  Credo  che  se  dirria  che 
nollo  amasse. 

*'■''  comandaro]     A:  comandano,   B:  Judici  et  notarj  commandaro. 

^'  sia  brusata]     B :  fosse  guardata. 

*'  e  dui  a  c.]  A:  E  doue  c.  mandaro]  A:  mandano,  B:  Et  de  nantj 
al  Re  se  appresentaro. 

**  porta]     A:  porto,  B:  Et  s.  Ui  annüptiaro  la  imbasciata. 

^■'  B:  Uno  amico  de  fiorio  multo  caro. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  17 

310  veniito  e  vn  chaiialiero  che  a  scusafa 
biancifiore  e  vol  da  ogni  persona 
a  ragion  defenderla  o  sacra  maesta  di  Corona. 

Ello  re  felice  disse  alle  ben  rasone 

disse  a  li  messaggi  presto  vi  partiti 
31^  ella  daniisella  metela  in  presone 

e  da  matina  da  me  vui  tornariti 

e  menati  el  caualiero  ala  magione 

e  honor  da  mia  parte  glie  fareti 
lui  elo  seniscalcho  conbateranno 
320       e  quäl  sia  de  lori  hara  il  mal  anno. 

Ello  siniscalcho  suo  che  chiamato 
e  disse  vn  caualiere  e  venuto 
che  appella  lo  iudicio  condennato 
e  a  biancefiore  si  vol  dar  aiuto 
32j  tosto  valentomo  e  caualier  presato 
fa  che  labati  morto  irrecreduto 

o  seniscalcho  or  te  injegna  farlo 

et  io  ti  donaro  lärme  el  caualo. 

E  lo  seniscalcho  disse  alliegramente 
330  de  la  bataia  li  mandaro  il  guanto 
e  da  matina  al  leuar  del  sole  lucente 
denanci  al  populo  tuto  quanto 


^^°  B :  Dice  che  bianchofiore  non  e  incolpata. 

^"  B:  La  soa  persona  amorte  me  uole  stare. 

^'-  Sacra]     A :  sagra,  B :  Et  per  bianchofiore  uole  contrastare. 

^'^  alle]     A:  ele,  B:  El  Re  poy  uide  che  era  rascione. 

^'''  B:  d.  alli  inissagerj  ora  ve  partite. 

^'■'  B ;  Et  bianchofiore  remenate  imprisone. 

^"^  (ia  me  vui]     A:  uoy  da  nii,  ß:  Et  poy  domatina  ame  retornarite. 

^'"  B:  El  caualiero  menate  alla  statione. 

^'^  B:  Honor  et  cortesia  li  farrite. 

^'^  B:  Poy  domatina  si  combatterando. 

^^  B:  Qual  sia  diloro  hauerra  molto  danno. 

^-'  B :  El  seneschalco  suo  ebbe  chiomato. 

^^  e  ven.J     B:  ce  v. 

^■^  che]     B:  el  quäle,     condemnato]     ß :  infiammato. 

^^  e]  fehlt  A,  B.     si]  fehlt  B. 

^"^  B :  Or  si  prodo  homo  caualiero  pregato. 

^^  labati  m.  irrecred.]  A:  lo  bata  m.  recred.,  ß:  De  farlo  n.orto  et 
anche  recred. 

^-''  farlo]     A:  a  farlo,  ß:  Per  lo  mio  amore  caualiero  fallo. 

^-*  danaro]     B  :  darro. 

^**  mandaro  il  g.]     ß:  dateme  lo  g. 

^'  ß:  Allo  leuare  dello  sole  resplfndente. 

33?_33e  ß.  £1  caualieri  chi  se  ha  dato  tal  auanto  |  lo  la  farro  morto  et 
descredente  |  De  nantj  acquisto  populo  tucto  quanto  |  Lärme  et  lo  cauallo 
io  me  farro  dare  |  Et  uoglo  domatina  ben  giustare. 

Archiv  f.  u.  Sprachen.    LXXI.  2 


Itj  11  Cantarc  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

io  labbaltero  morto  irrecredente 

lo  caiialiero  che  si  da  tal  vanto 

33-'»       lartne  e  lo  caualo  fatemi  trotiare 

che  da  matina  con  lui  nievo  proiiare. 

Quando  laltro  gioino  fii  apparuto 
fiorio  al  campo  venuto  fu  armato 
si  hello  caualiero  non  fu  veduto 
^^^  sopra  dun  cauallo  molto  apiesiato 
e  lo  seniscalcho  pessimo  e  arguto 
verso  lui  ando  como  drago  intiamato 
e  disse  o  caualier  che  voi  dire 
de  biancifiore  che  e  digna  de  morire. 

355  Fiorio  como  homo  sen^a  paura 
si  li  respose  molto  arditamente 
e  si  li  disse  o  seniscalcho  di  mala  natura 
como  traditore  maluagiamente 
incolpasti  biancifiore  nobil  creatura 
"^"'^  el  tossico  non  mando  mai  niente 

per  lei  son  qui  venuto  a  darli  aiuto 

or  prendi  del  campo  maluagio  recreduto. 


^•'  lärme]     A:  le  arme. 
^*  meuo]     A:  mi  uoy. 

B   hat  hier   zwei  Strophen  mehr:     El  Re  foelice  li  fece  apparecchiare 
In  mantinente  uno  riccho  destriero  |    In   questo   mundo   non   troiiaua   paro 
Cotanto  e  rogogloso  forto  e  fiero  |  Sette  annj  la  aiica  fatto  sogiornare  |  Chü 
montato  non  cera  caualiero  |  Et  le  soe  arme  li  dono  de  presente  |  Lo  sene- 
schalco  se  armo  alegramente. 

Da  poi   chello   seneschalco   fo   adobato  |  Sally  ad    cauallo    con  grande 
ardore   |  Et  su    nel   campo    sende   fo    andato  |  Piglo   la   lancia   con   grande 
furoro   I  Et  ad    alta  uoce  hauea  gridato  |   Doue   doue  questo   combattitore 
Che  uole  f'are  della  verita  torto  |  Ogi  lo  faccio  discredente  o  morto. 

^''  B:  Da  poi  chello  giorno  chiaro  fu  venuto. 

^^  venuto  fo  arm.]     A:  fo  arm.  venuto,  B:  Et  fiorio  nel  c.  fo  tornato. 

^**  fo  ued.]     B:  fo  may  u. 

^**°  B:  Cotanto  era  bellissimo  et  armato. 

=»'  E]  fehlt  B. 

*''-  verso  lui  ando]     B:  Si  corse  allui.     drago]     A:  un  dragi. 

•''"  oj  fehlt  B.     uoy  d.]     B :  uoy  tu  d. 

^'^  de  b.  che  dcgna]     B:  Che  b.  e  digna. 

^''■'  Fiorio]     B:  Et  f.     paura]     A:  pagura. 

^'•^  si  li  r.]     B:  Bene  li  respuse. 

^"  B :  O  seneschalco  tu  mentj  per  la  gola. 

*'■*  como]     B:  Si  como. 

3''-*  B:  Che  h.  lagentil  c. 

:m  ß.  p211a  quelle  thossico  n.  mando  n. 

^'  a  darli]     A:  per  d.,  B:  ü  caualerj  se  altro  non  uoy  dire. 

*^^  B :   Prendi  del  c.  chio  te  uengo  afferire. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  19 

Li  caualieri  si  furon  desfidati 

e  ciascuno  prende  del  campo  a  suo  desire 
3^^  e  como  dui  leoni  descatenati 

inuerso  lim  laltro  per  ferire 

e  con  le  lance  si  furno  scontrati 

denanci  al  populo  e  al  gran  sire 
e  fiorio  col  suo  destriere  che  vola 
^6'J       al  seniscalcho  de  e  ferilo  nela  gola. 

Lo  seniscalcho  malamente  ferito 
era  molto  forte  ispauentalo 
per  lo  colpo  che  Ihaiiia  isbegotito 
presso  che  non  fu  discaualcato 
36'  e  lo  seniscalcho  vedendosi  a  tal  partito 
misse  rnano  al  brando  chauia  de  lato 

6  sopra  di  fiorio  vn  gran  colpo  distese 

taglio  lo  scuto  quanto  ne  prese. 

Essendo  la  bataglia  inconminciata 
3'0  sicome  conta  el  libro  ela  istoria 
biancifiore  staua  injenochiata 
e  si  diceua  o  alto  dio  di  gloria 
tu  sai  che  a  torto  ison  incolpata 
al  mio  caualier  dona  vitoria 


^^^  Li  c]     B:  Ambedoy  li  c.     furon]     A:  fono,  B:  fon. 

^"  prende]     A:  prese.     desire]     B:  volere. 

^■'^  descatenati]     A:  incatenati,  ß:  scatenati. 

^''  altro  per]     A:  a.  vano  p.,  B:  Luno  guardauo  allaltro  ad  tal  manere. 

*"''  furno]     Ä:  fono,  ß:  foro.     scontrati]     A:  iscontr.,  B:  resc. 

^'*  B:  Dauantj  alle  p.  che  staua  auedere. 

^^  B:  Fiorio  per  la  soa  bona  uentura. 

^^  de  e  ferilo]     A:  lo  feri,  B:  Lo  primo  culpo  li  dette  n.  g. 

B  hat  hier  die  Strophe  (369  —  376):  La  campo  et  la  battaglia  cru 
comen^ata  |  Si  como  dice  el  libro  della  historia  |  Et  biancbofiore  staua  in 
geno  ohiata  |  Et  si  diceua  alto  dio  de  gloria  |  Tu  sai  signore  che  attorto  son 
incolpata  \  AUo  cavaliero  mio  duna  uictoria  j  Che  luy  non  sia  morto  ne  pre- 
sone  I  Signore  aiuta  chi  a  la  Rascione. 

^"*  B :  Et  seneschalco  ad  niorte  era  f. 

^-  B :  Ad  mala  guisa  era  In  nauarrato. 

*^  B  :  Del  male  culpo  che  hauea  receputo. 

^•^  B:  Egli  fo  tucto  quasi  schaualcato. 

^*^  B :  E 1  traditore  pessimo  et  arguto. 

^  B:  alla  spada.     de  lato]     A:  dallato,  B:  allato. 

^"  e  sopre  di  (fehlt  A)  f  ]     B :  et  s.  a  f.  gr.  c. 

^*  taglio]    A:  taglioH.     lo  scudo]    B:  lo  scudo  e  lelmo.     ne]  fehlt  B. 

In  B  hier  folgende  Strophe:  Fiorio  fortemente  se  sraariua  |  Sentendose 
nel  uiso  delicato  |  Et  biancbofiore  fortemente  temeua  |  Quardando  nel  uiso 
delicato  |  Et  biancbofiore  ad  tucte  lore  dicea  |  Confortate  como  homo  inna- 
morato  |  Fiorio  dice  al  seneschalco  orio  |  La  testa  tosto  te  tagliaro  io. 

3«9  Vgl.  B  nach  3G0. 

2"3  incolpata]     A :  colpata. 


20  11  C'iintaro  (ii  Fiorio  e   liiiiiiciliore. 

■^'^^'       che  non  sia  morte  nc  presone 
signor  mio  aiuta  chi  ha  rasone. 

Fiorio  che  hauia  imparato  ascriiuiie 
e  si  vn  colpo  riceuea  dui  ne  daua 
e  pur  a  la  goia  tornaua  a  ferire 
380  la  sua  spada  molto  ben  menaua 
dinan^e  al  populo  e  al  gran  sire 
vnaltro  colpo  nela  golagli  daua 
che  morto  lo  hatte  alla  pianura 
el  populo  cridaua  campata  e  biancifiora. 

385  Fiorio  subitamente  fo  drsmontato 
e  la  testa  del  bustogli  taglioe 
e  lo  re  vedendo  tal  merchato 
dali  balconi  piangendo  si  leuoe 
dicendo  oime  chio  mal  caualcato 
390  del  siniscalcho  che  perdiito  loe 
e  lacrimando  disse  ala  regina 
destruti  siami  per  questa  fantina. 

Biancifiore  diceua  al  caualiere 
o  caualier  con  fiorio  hauete  prode^a 
39^  in  verita  vi  dico  chomo  lui  sei  fiero 
e  anche  li  similiate  ala  fateja 
e  siete  in  verita  como  lui  altiero 
e  anchora  hauete  tanta  gentileja 


^^'  B :  Fioria  sapea  ben  del  scremire. 

^'^  E  si  un  colpo]  A:  E  se  un  colpa,  B:  Se  iino  colpo  rccepea  quattro 
ne  d. 

^^  B :  Puro  nella  g.  guardaua  di  f. 

^*  B :  CoUo  soa  spada  bene  lo  resopinaua. 

^*'  e]  fehlt  A.     B:  Denanti  al  populo  che  staua  auedere. 

^"^  B:  Gio  morto  del  cauallo  lo  giptaua. 

^^  B :  AUora  se  gipto  grida  et  romore. 

^'  biancifiora]    A:  la  fanjula,  B:  Scampata  e  la  poljella  bianchofiore. 

^**"  B :  Et  forio  de  cauallo  fu  sm. 

^^  B :  La  testa  al  seneschalco  si  taglaua. 

^  uedendo  tal]     A,  B:  u.  fare  tal. 

^  B :  Piangendo  dalli  balcunj  se  leuone. 

^^^  B :  Et  dixe  male  o  guadagnato. 

^■*  B  :  Chel  sen.  mio  perduto  arone. 

^-  siami]     A,  B:  siamo. 

•™  B :  Et  b.  dixe  a.  c. 

^•^  B :  Se  fiorio  hauesse  Lisi  fante  prodetje. 

•'*''  come  luy  se  fieroj     B:  volempterj. 

■''■'"  e  anche  li  s.]  A:  E  ancora  lo  som.,  B:  Che  auoy  Ic  simiglante  ao 
le  fatteze 

^  B:  Quando  ue  uigio  luy  me  pare  uedere. 

**  B:  Pero  che  hauite  del  soc  belleje. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  ßiancifiorc.  21 

poi  dinanci  a  liii  sinjenocliiaiia 
^f""       e  per  lalegre^a  li  sui  pecli  basaiia. 

Fiorio  alhora  la  prese  per  la  mano 
e  disse  sta  su  o  bella  damisella 
e  dinanci  alle  re  felice  per  certano 
in  sul  palajo  nando  con  ella 
*"•»  e  sili  disse  o  re  felice  e  soprano 
te  ricomando  questa  damisella 

guardala  bene  per  araore  de  Horiu 

chimi  diparlo  e  vo  a  lui  a  montorio. 

Fiorio  a  montorio  fo  ritornato 
*"^  e  lo  ducha  si  lo  prese  per  la  mano 
e  si  li  disse  figlio  or  doue  se  stato 
or  donde  ventu  de  si  lontano 
fiorio  disse  imi  sonno  solaciato 
in  vn  jardino  molto  soprano 


^■'^  B :  De  nantj  allo  caualiero  se  ingenoccliiana. 

'™  B:  Et  lachrimando  II  pedi  li  basaua. 

*'  Fiorio]     B :  Et  f .     alhora]  fehlt  B. 

^"^  B:  Et  dixe  Leuate  su  o  dam. 

^°-''  B :   Dinantj  al  Re  foelice  sende  andauano. 

'""  nando]     B:  sende  ando. 

'"^  soprano]     A:  sourano,  B:  Et  silli  dixe  omaluasclo  cstrano. 

^^  B:   Siate  recommandata  la  donjella. 

'*'  B:  Et  silla  reguarda  per  a.  d.  f. 

'"'*  B :  Cha  io  nie  parto  et  uaommene  amontorio. 

B  hat  hier  vier  Strophen  mehr:  Et  lo  Re  foelice  per  lo  mano  la  prese 
Con  alegra  faccia  lebbe  reccputo  |  Et  dixe  poy  che  non  ai  fatta  loffesa  |  Et 
questa  colpa  gia  non  ay  hauuta  |  Certo  multo  rae  dole  et  simnie  pesa  |  Della 
uergogna  che  ay  sostenuta  |  Pregote  caualiero    per  uiio  aniore  j  Non  lo  dirc 
ad  fiorio  che  hauerria  dolore. 

Et  fiorio  dallo  Re  se  departea  i  Et  prese  combiato  In  mantenente  |  De 
nantj  alla  Regina  sende  gia  |  Et  dice  bianchofiore  ^ue  presente  |  Et  poy  le 
dixe  recommandata  te  sia  |  Questa  pol^ella  madonna  piacente  1  Se  afiorio 
portate  grande  amore  |  Siaue  Recommandata  bianchofiore. 

Et  la  regina  bianchofiore  prendea  |  El  caualiero  ebbe  rengratiato  |  Quello 
cra  fiorio  et  nollo  cognoscea  |  Cotanto  er.^  uenuto  sfigurato  |  Et  fiorio  con 
pianto  se  partea  |  Et  bianchofiore  per  mano  la  piglato  |  Et  dixe  misser  se 
andate  amontorio  |  Dalla  mia  parte  salutate  fiorio. 

Et  fiorio  se  parteua  lachrimando  |  Intendendo  biancofiore  fauellare   j  Et 
duramente  andaua  sospirando  |   Per  bianchofiore  chellj  convene  laxare   |   Di- 
ceua  o  alto  ydio  tella  accommando  |  Che  bianchofiore  nie  debbia  guardare 
Solo  selecfo  senza  compagnia  |  Et  tosto  admonlorio  sende  geua. 

^™  B:  Da  poy  che  a<l  montorio  fo  tornato. 

'"'"  or]  fehlt  A.     B :  Et  dixe  fiorio  doue  tu  si  stato. 

'''-  de]  fehlt  A.     B:  Che  uenj  da  paese  si  1. 

"'  niolto  sourano]     B:  pretioso  e  sano. 


II  Ciintare  di  Fioiio  c  Biiincifiorc. 

*'■'       c  5-ta(o  sono  con  done  e  donjelle 

e  anchora  con  niolte  belle  damiselle. 

El  ducha  alhora  si  lo  fe  disarmare 

e  da  piu  scudleri  lo  fe  seruire 

0  dlsse  filio  andiame  a^disinare 
*20  per  niio  arnorc  non  te  isbegoiire 

fiorio  disse  imi  voglio  possare 

c  ho  gran  talento  di  dormire 

nc  manjare  ne  bere  or  non  fa  mestier 
e  per  bianoifiore  i  uiuo  in  gran  pensiero. 

*^''  Lo  ducha  due  donjelle  face  trouare 
che  eran  piu  belle  cha  persico  fiorito 
e  ciasehuna  era  pucella  da  maridare 
ambedue  il  ducha  de  questo  partito 
or  quäl  sera  divoi  il  faci  allegrare 
^30  gie  lo  daro  per  legitimo  marito 

luna  rispose  ilidaro  fal  conforto 
chel  farebe  resuscitar  sei  fusse  morto. 

Elle  donjelle  col  bei  viso  rosato 
andoro  nel  pala^o  precioso 
''^ä  e  trouono  fiorio  solanato 
e  lachrimando  star  pen  soso 
e  luna  disse  nulle  inamorato 
non  direbba  slar  si  doglioso 


""•^  sono]     ß:  sondü.     done  (B:  dammo)    e  donjelle  (B:  damiccile)]     A 
due  dauiicelle. 

■""  B :  Et  soljato  con  belle  donzelle. 

'*"  alhora  si  lo  fe]     B :  lo  faceua. 

''"^  B:  Et  ad  caualerj  lo  facea  s. 

'"'■'  B:  Et  dixe  afiorio  andamone  amagnare. 

420  -Q .  pgj,  (,|q  g]^(j  hauimo  nouelle  dagoderc. 

^'■'^  B;  Per  che  o  gran  uogla  de  d. 

''^  B:  De  bere  ne  magnare  io  non  cura. 

''^''  i  uiuo]     A,  B;  sto.     pensiero]     B:  paura. 

^2^  fece]     ß:  fe. 

'^'^'  chaj     A :  che,  B :  Piu  hello  chello  p.  f. 

'^^  B :  Ciascheuna  grande  dello  maritare. 

''-*  B:  El  duea  fece  alloro  questo  p. 

*''^  il]     A:  chel,  B:  Quella  de  uoy  chello  fiura  reallegrarc. 

''■■*  B :  Fiorio  li  darraio  per  m. 

*"  B:  Ciasehuna  dixe  lo  li  darro  conf. 

*^'^  ß:  FaroUo  resciuscitare  se  fosse  m. 

■«33  B:  Le  donue. 

'^'  B:  Salliero  su  lo  p. 

"3^  trouono]     A:  trouarono,  B:  Trouaro  f.  stare  solo  nato. 

*^'  Star  p.]     A:  st.  tuto  p.,  B:  staua  doloroso. 

*3'  B:  luna  si  dixe  o  houio  inam. 

'i.'w  (Jerebbe]     B:  douoristi.     si  dolioso]     B:  tanto  pensoso. 


11  Cantare  di  Fiorio  c  Bianciilore.  23 

anji  direbbe  ridere  e  solajare 
**o       de  per  nosd'o  amore  lieuati  a  danjare. 

Ciascuna  li  mostraua  el  bei  petto 
colle  blanche  e  preciose  mamille 
dicendo  fiorio  or  prendi  diletto 
di  nui  che  siamo  si  belle  damicolli 
**•'  e  fiorio  non  se  curaua  di  lor  detto 
ella  maiio  se  tenea  alle  maxella 

e  non  le  voleua  intendere  ne  vedere 

e  in  altra  parte  se  nando  a  sedere. 

E  luna  con  laltra  diceua  inueritade 
^'^^  io  credo  ben  che  haremo  fallato 

perche  non  cura  de  nostra  ami&tade 

ad  altra  dona  lo  siio  amore  ha  dato 

e  non  cura  niente  nostra  beltade 

anci  sta  chomo  homo  affatiirato 
^•'•5       tornaron  al  ducha  e  disseli  il  tenore 

e  disseno  fiorio  non  cura  nostro  amore. 


''""  derebbe]     B:  doueristi.     solacare]     B:  iocare. 
""  leuati  a  d.J     ß :  la  danja  inenare. 
'"'  el  belj     ß:  el  suo  b. 
■^''-  B :  Et  b.  et  pr.  le  mauielle. 
^'^"'  B:  d.  afiorio  prendite  <liIecto. 
**'  B :  Da  noi   che  sirao  b.  dammicelle. 

^'^  curaua  de  lor  d.]  A :  cura  de  lor  dileto,  B :  Fiorio  non  tenea  meute 
alloro  dicto. 

''*'  B:  La  mano  tenea  pure  alle  mascelle. 

""  B:  Et  nolle  uolse  i.  n.  u. 

^^^  B:  In  altro  locho  sende  ando  assedere. 

''"'^  B  :  Luna  diceua  all  altra  per  certanza. 

^^  ben  che  aremo]     B :  bene  labianio. 

'*''  B:  Che  non  se  cura  de  nostra  belleza. 

«2  loj  fehlt  B. 

'"^  nostra  b.]     A  .  de  n.  b.,  B:  Et  non  ponc  raente  ad  nostra  fatteza. 

''■'^  B:  Sta  proprio  como  fosse  aft'acturato. 

^■'^  tornaron]     A:  Torniamo,  B:  tornaro  al  d.  et  dixeroli  la  certeza. 

''^  B:  Egli  non  se  cura  de  nostra  belleza. 

B  hat  hier  zwei  Strophen  mehr :  El  duca  prese  adire  allora  afiorio  |  Caro 
figlolo  mio  questo  che  uole  dire:  |  Manchate  gioie  destrierj  ne  thesoro  |  Ne 
altra  cosa  chette  sia  impiacere  |  Fiorio  respuse  ( t  non  ce  dimoro  |  Et  Lachri- 
mando  comenso  adire  |  Manchame  bianchofiore  la  frescha  rosa  |  Quella  che 
amo  sopra  omne  altra  cosa. 

El  duca  si  respuse  inmantinente  |  Figlolo  mio  caro  de  cio  non  duui- 
tare :  |  Che  allo  tuo  patre  mandaro  de  presente  |  Che  bianchutiorc  te  dcbbia 
mandare  [  Per  lo  mio  amor  sta  securamente  |  Che  bianchofiore  non  po  in- 
dutiare  |  Faretella  venire  doue  tu  serrai  [  Si  che  ad  tucte  lore  uedere  la 
porray. 


]1  t'aiitaic  di  Kiorio  e  Biaiicilioio. 

l!^l  diicha  ullessc  vn  incssagio 

allo  re  felice  mando  a  dire 

del  flgliolo  tuo  iic  grau  danajo 
^'^o  se  vino  lo  voleti  manteniie 

c  si  lo  amate  de  buon  corajo 

biancifiore  fafequi  venire 

chio  vi  prometo  per  mia  leanja 

che  si  consunia  per  lei  chomo  sua  inaiija. 

*6S  Lo  re  felice  disse  ala  regina 
cl  nostro  figlio  morc  inamorato 
nouelle  na^o  hauto  questa  malina 
onde  el  mio  core  ne  forte  turbato 
che  biancifiore  la  falsa  fantina 
*^o  ben  credo  cieliebe  afaturato 

ma  si  di  lei  nomo  auendicarc 
Corona  in  testa  non  voi  portare. 

Lo  re  subito  la  volia  far  morire 

la  testa  li  volia  far  tagliare 
^'^  c  la  regina  disse  non  far  dolce  sire 

niagior  vendeta  ne  potrai  ben  fare 

alli  raerchadanti  la  vende  e  aran  a  gire 

in  soria  che  de  oltra  niare 

et  elli  non  la  menarauo  per  cita  nc  castclla 
*^*^       e  mai  fiorio  de  lei  non  sapera  nouella. 


^'"'^  allesse]     A:  alexe,  B;  El  de  fece  letterc  per  mess. 

'^  fei.  m.]     B :  fei.  sillo  m. 

^'^  B:  El  tuo  figlolo  misser  e  gian  dannagio. 

'"'*'  B:  Se  uoy  lo  uolite  reuedere. 

^'^^  B:  Piu  tosto  che  potite  sensa  oltraio. 

'''''-  B :  facciateli  u. 

*■'  per  mi  lian5a]     B:  in  fe  de  lianza. 

'''■^  B:  Clie  non  si  cura  de  niillall'  amansa. 

''''''  B:  Le  letterc  recepei  q.  m. 

4C8  ß.  "Pucto  lo  core  me  ando  inaurato. 

''•'■'  B:  Destruttj  simo  per  questa  fant. 

'''™  cieliebe]     A:  che  labi,  B:  che  lei  labbia. 

'"'  nomo]     A:  non  ho,  B:  non  faccio  uendetta. 

''-  testa  non  voi]  A:  t.  may  non  ho,  B:  Giamay  Corona  non  portara 
in  testa. 

^'_^  B:  Lo  Re  foeliee  la  uolea  oonquidere. 

"^^  uolia]     A :  uoliua  11,  B :  ad  bianchofiore  uoleua. 

'^''•'  non  far  de  s.]     B:  nolla  occidere. 

"^  potrai  b.  f]     B:  porrimo  f. 

'"_'  vende  e  arane  agire]     B:  porrimo  uendere. 

"■"  de  oltra  m.]  A:  che  oltra  il  m.,  B:  Ad  quell]  che  sondo  venutj  oltra 
mare. 

^"''  B :  Et  si  menarando  in  altra  terra. 

'"*'  B:  Giammay  de  ley  non  hauerrinio  nouella. 


11  Cantaro  di  Fiorio  c  Biancitiore. 

Lo  re  disse  o  dona  mia  de  valore 
tu  hai  parlato  molto  sauianiente 
de  la  pucella  maluagia  biancifiore 
e  vendere  la  voglio  in  niantinente 
*8^  alH  merchadanti  senja  limore 

per  che  noi  nabiamo  biasimo  dala  jente 
la  vendero  si  ciellatamente 
che  fiorio  non  sapera  mai  niente. 

Lo  re  fece  venire  [a]  se  dauanti 

190  dui  chaualieri  sauii  e  in^egnati 

e  disse  loro  andate  a  li  merchadanti 
che  al  nostro  porto  sono  ariuati 
e  doniandati  se  hauessino  bisanti 
o  altre  joie  che  siano  aiiantajati 

^9''       e  se  voleno  conprare  vna  donjella 

che  in  questo  mondo  non  e  vna  si  bella. 

Alhora  ichenalieri  presto  andoro 
et  a  li  loro  lojamenti  furon  presto  andati 
e  quiiü  molto  bene  saparechioro 
^00  e  poi  in  verso  el  porto  furon  ariuati 
e  quiui  imerchadanti  si  trouoro 
e  salutarli  chomo  homeni  pregiati 

c  quelli  receue  il  saluto  alliegramente 
si  chomo  conuenia  a  cotal  gente. 


•^^  mia]  fehlt  B, 

"^  molto]     B:  bene. 

'^^  pucella]     A :  poncella,  B :  Quella  gcntil  pol^.  b. 

"^•''  ß :  Et  sia  uenduta  senja  fa  rumore. 

''^  B:  Per  non  uenire  a  biasmo  <lel  gente. 

"'*"  vendero]  A:  uenderano,  B:  Vendere  la  uoglo  poy  che  lauen 
dicto. 

"^^  B :  Giammay  ad  tiorio  cio  non  sera  scripto. 

■'*•*  B:  Doy  caualerj  se  fe  uenire  de  nantj. 

**  B:  Che  era  bene  cortesi  et  ing. 

"'"  B:  Dixe  lo  Ke  and.  ad  m. 

^'■^  B  :  Quellj  che  allo  porto  sondo  a. 

'*'■''  auessenoj     B:  hauissero. 

'''•"  joie  eh.  s.  au.]  A :  joe  che  s.  uentejiati,  B :  giole  che  fossero  pre- 
giate. 

*'*  B:  Per  comprare  la  gentil  poljella. 

'*''*  non  e  una  si]     B :  fo  may  la  pin. 

■'''■'"  Diese  Strophe  fehlt  B.     ändoroj     A:  andano. 

*-'^  A:  Et  ali  alo^.  fono  lor  and. 

'''^  sap.]     A:  saparegiono. 

^  furon]     A:  fono. 

•'*"  trouoro]     A:  trouono. 

•*'■  cotal]     A:  tal. 


11  Ciinliire  di  Fiurio  e  liiancifiore, 

MOS  ]£^\\o  patlronc  de  la  naue  salutoro 
e  Uli  li  rcspose  con  allegra  fa^a 
e  cognobe  i  caualieri  sen^a  dimoro 
grande  alegreja  li  fa  e  si  la  braja 
e  disse  subitamente  a  costoro 
•''"*  hör  haiieresti  voi  gioia  checi  piaja 
11  caualieri  diceuano  inmantinente 
noi  velo  diremo  incontinente. 

Messagi  siamo  de  lo  re  felice 

che  vender  vol  una  don^ella 
•'''^  et  e  piu  bella  che  la  imperatriee 

e  piu  chiara  che  vna  Stella 

e  grande  hauere  ne  vol  secondo  dice 

perche  eile  verjene  e  pucella 

e  mandaui  adire  se  la  volete  comprare 
•^20       che  grande  auere  ne  potreti  aguadagnare. 

Allora  un  merchadante  si  fo  lieuato 
chera  richissimo  di  molto  havere 
e  disse  a  me  piace  a  far  questo  niercato 
ma  in  prima  la  vogliamo  vedere 


*^  B:  Lo  padrone  d.  n.  con  belli  salutj. 

^  e  lui  li]     A:  e  1.  si  1.,  B:  Et  bene  loro  li  rcspusero  alegramente. 
■"''  B:  Quellj  caualerj  lebe  cognosciutj. 
'•^^  B :  Gr.  alegreje  fecero  simelmente. 
^*^  B :  Et  dixero  per  che  site  cqui  uenutj. 
^'^  B ;  Encie  gioia  che  ue  sia  impaciere. 

•"'"  li  cau.  diceuano]  A :  li  c.  disse,  ß :  Uno  caualiero  respuse  alegra- 
mente. 

'''^  B :  Noy  uello  dirremo  tosto  de  prosente. 

'""  uol]     B  :  uolimo. 

■'^^  et  e  p.]     A:  Ede  p.,  B:  Ella  epiu. 

•■'"'  una]     B  :  nisciuna. 

^"  B:  Uno  grandissimo  thesoro  ipso  la  dice. 

•''■*  B :  Signorj  sella  uolite  c. 

•'*  potr.  ag.]     A:  poteren  g.,  B:  Uno  gr.  hau.  potite  g. 

B  hat  zwei  Strophen  mehr:  Sappiate  che  al  mundo  non  e  donna  ne- 
suna  I  Che  secho  porte  tante  genteleze  |  Trouare  non  porria  ne  biancba  ne 
bruno  |  Che  in  testa  porte  doy  si  bioude  triccie  I  Come  lo  sole  fa  spargere 
la  luna  |  Cosi  fa  bianchore  con  soe  belleze  |  Tante  bellizi  porta  nel  suo 
uiso  I  Che  pare  che  sia  nata  iniparadiso. 

Le  soe  belüge  non  se  porriano  mai  dire  |  Ne  lengua  de  homo  nollo 
porria  contare  |  Ma  questa  e  cosa  chesse  po  uedere  |  Se  uoy  la  uolite  com- 
pararc  |  Quello  che  dieo  potero  probare  |  Donjella  si  e  el  vergene  pura  | 
Delle  beiliji  ha  sensa  mesura. 

•''-'  B :  Uno  merchatante  impie  se  fo  leu. 
^-*^  B:  Et  dixe  alegramente  el  suo  uolere. 

•'^  E  disse]  fehlt  A.  a  f  J  A:  de  fare,  B:  Et  dixe  bene  me  p.  tal  mer- 
chato. 

•^^'  B:  Imprimo  noy  uoglamola  u. 


II  Cantarc  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

•^25  sele  si  bella  come  hauete  contato 
noi  ci  spenderemo  grande  liauere 
e  montoro  a  cauallo  li  merchadanti 
allo  re  felice  andaron  dauanti. 

Lo  re  felice  fe  adobar  la  donjella 
330  e  vestirla  fece  dun  richo  colore 
e  disse  biancifiore  or  ti  fa  bella 
e  qui  die  tornar  fiorio  tuo  amore 
quando  in  sala  fo  la  chiara  Stella 
per  tuto  il  palacio  rendia  splendorc 
330       e  vedendo  si  bella  quelli  merchadanti 
la  li  plaque  pin  cha  tutti  gliamanti. 

Eben  trenta  muli  doro  carohati 

li  fece  venire  inmantinente 

e  mille  sciidi  dajuro  lauorati 
3*^  ad  aquile  e  leoni  veracemente 

astuari  brachi  e  falconi  mutati 

e  vna  coppa  doro  molto  relucente 
che  era  tuta  ismaltata  da  le  bände 
affiguratoui  la  storia  di  troia  grande. 

•'^3  Biancifiore  vedendo  far  lo  pagamento 
in  terra  fu  caduta  per  gran  dolore 


^^  contato]     B:  perlato. 

•^^  B:  Ad  cauallo  montaro  li  merchatanti. 

^^  andaron]     A:  andono.     dauanti]     B:  de  nantj. 

■"■^  fe  adobar]     A:  fe  adornar,  B:  adobo. 

^-  die  tornar]     A:  de  trouar,    B:    Che  e  venuto  el  tuo  perfocto  amore. 

■'*■*  chiara]     A:  giara,  B:  Quando  apparse  la  chiarita  st. 

■'^''  rendia]     B  :  daua. 

•^5  uedendo]     A:  uedendola,  B;  Tanto  ella  piacque  allj  merchadantj. 

^^^  la  h]     A:  le,  B:  Che  non  ficero  rascione  de  bisanctj. 

^"  B:  Ma  trenta  m.  doro  carichati. 

^*  H  fece]     B :  fecero. 

■'*>  dajuro]     B:  doro. 

^°  B :  Daquile  et  de  leonj  certamente. 

^^  relucente]     B  :  splendente. 

^'"^  ismaltata]     A:  asmaltata,  B:  Lauorata  tucta  intorno  per  le  bände. 

'•^  B :  Tucta  la  historia  che  fo  de  trova  grande. 

B  hat  hier  noch  zwei  Strophen :  La  coppa  la  grande  historia  lauorata  ! 
Et  tucta  facta  astorie  nmlto  belle  ]  Et  tucta  intorno  era  attorniata  |  De  donne 
et  caualierj  e  de  don^elle  ]  Quando  la  coppa  era  rejerrata  |  Parea  chence 
cantassero  damicelle  |  Et  altre  gioie  chence  erano  de . .  ente  |  Pareano  chence 
andassero  veramente. 

Et  re  fcelice  poy  chella  ueduta  |  Piu  che  tuctj  li  altrj  so  contento  |  Et 
di.xe  questa  fa  che  sia  cara  tenuta  |  Sopre  ad  onine  altro  ornamento  |  Quando 
fiorio  farra  la  retornata  |  Sialj  donata  per  i.spassamento  |  Per  (juesta  coppa 
che  e  tanto  piacente  |  Et  bianchofiore  li  oscera  demente. 

•''^^  B:  Et  quando  uide  fare  el  pagamento. 

•''^®  B:  Quasi  che  cade  morta  de  doglia. 


28  II  C.intare  fli  Fiorlo  e  Biantifiore. 

e  pcrduto  hauia  quasi  lo  sentimento 
e  tuto  era  mossa  di  suo  colore 
diceua  o  ainor  rnio  per  te  mi  lamento 
"''>o  che  tu  non  vederai  piii  biancifiore 

e  saroe  menata  e  piu  non  te  vedero 
alla  mia  vila  content»  non  sero. 

Si  gran  pianto  facia  la  fantina 
e  dauasi  nel  peto  con  suo  mani 

•'"'•^''  che  ne  piangia  lo  re  ela  regina 
e  tuti  li  baroni  e  li  cortisani 
ella  diceua  oime  misera  tapina 
chio  andaro  in  paesi  lontani 

e  mai  piu  non  vedero  questo  paexe 

Ö60       oime  non  credete  venire  a  tal  imprexe. 

Lo  re  diceua  menatila  via 
poi  che  la  hauete  dami  comprata 
e  presto  vscite  dela  terra  mia 
nella  naue  incontinente  sia  leuata 
565  e  Ol-  ge  parteno  e  vano  in  soria 
c  menano  quella  rosa  inbalconata 
e  H  mercadanti  con  allegro  coraglio 
al^orno  le  vele  e  feron  lor  viagio. 


■''"  B :  Et  non  hauea  nulle  fermamento. 

•'''^  B:  Anche  tremaua  piu  che  nulla  foglia. 

M9  ß.  £(.  epsa  diceua  nel  suo  lamento. 

'•"^  B :  Venduta  so  ma  non  per  la  mia  uogla. 

■'"'  saroe]  A:  sarone.  vedero]  A:  vederay,  B:  Venduto  so  et  nomme 
trouaraj. 

'"''^  sero]     A:  seiay,  B:  O  dolce  drudo  mio  como  farray. 

•'•''•'*  si  gran  p.  faciua]     B:  sigrande  lamento  fecea. 

•'■"  suo]     A :  soe,  B :  Et  nello  pecto  se  feria  colle  mano. 

;.J5  ß .  Piangere  facea  el  Re  col  la  r. 

'•'^''  Et  tucti  quantj  quellj  chcnce  stauano. 

•''*"  B:  Et  si  diceua  m.  tap. 

''■*  paesil     A:  paresi,  B:  Venduto  sonno  al  maluascio  canc. 

^^'  B :  Chemme  nienara  in  stranie  terre. 

■'**'  B:  Giammay  de  mj  non  saperay  nouelle. 

•'*'  diciua]     ß:  si  dixe. 

^^  B:  Da  poy  che  uoi  lauite  comperata. 

■^  B:  Et  tosto  gessite  d.  t.  m. 

'''^''  B :  La  naue  inmantinente  sia  calata. 

•''"  e  er  se  parteno  e  vano]  A:  e  or  se  partereno  e  vanon,  B:  Ora  se 
parte  et  uasene. 

•'^'  e  men.  quella  r.]     B :  La  pretiosa  r. 

•''''  B:  Li  mercliatanti  con  alte  coragio. 

•''■^  ahjorno]     A :  Aljono,  B :  Calaro  1.  u.  et  ficero  loro  u. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  29 

Lo  re  felice  fe  far  un  monimento 
^"^^  fuor  del  pala^o  apresso  la  porta 

chera  lauorato  di  valimento 

e  de  tuta  sua  jente  fe  recolta 

6  disse  siaui  fato  comandainento 

se  fiorio  torna  dile  biancifiore  e  morla 
57j       e  ciascuno  quella  creatura 

morta  iace  in  quella  sepultura. 

In  quelle  tempo  fiorio  fu  ritornato 
lo  chaualiere  cortese  e  piacente 
e  innanci  chel  fossi  dismontato 
^^^  de  biancifiore  dimando  incontinente 
e  disse  doue  e  quella  dal  viso  rosato 
che  Bon  la  vejo  ora  qui  presente 

e  la  niadre  disse  oime  mia  vita 

che  biancifiore  e  morta  e  sopelita. 

583  Fiorio  oldendo  la  strana  nouella 

in  terra  fu  caduto  tramortito 

e  tuto  si  sqiiarcio  la  gonella 

la  giuppa  chera  di  panno  colorito 

e  disse  oime  amorosa  mia  pucella 
^^ö  o  anima  mia  che  alcuor  son  ferito 


■"'■•  Lo  re]  A:  Do  poy  lo  re.  fe  far]  B:  si  face  fare.  monimento] 
A  :  mulimento. 

^™  appresso  a  la  p.]     B:  denantj  alla  p. 

^^'  B :  E  tucto  facto  doro  et  dargento. 

"'^  B :  Et  tucta  la  gente  sinne  fece  acoorta. 

■'^^  B:  Se  fiorio  reuene  per  com. 

^"'^  B :  Ciaschuno  dica  che  bianchof.  e  m. 

^''^  B :  Ciaschuno  dica  q.  er. 

'"'^  m.  iace]     A:  Morta  e  iace,  ß:  Che  m.  iace  nella  sep. 

'■'  fo]     B :  e. 

"^^  corteso  e  piac]     B :  sauio  e  cognoscente. 

^■"'^  e  inn.  chel  f.]  A :  Inanji  che  fusse,  B :  Nantj  che  de  cauallo  fosse 
smont. 

^'°  B:  Egli  domando  della  rosa  olente. 

■'*'  E  disse]  fehlt  B.     B :  Doue  quella  che  a  el  u.  r. 

^-  vejo  ora  qui  pr.]     ß:  uigio  cqua  de  pr. 

''"^  E]  fehlt  B.     disse  oyme  m.J     B:   dixe  trista  la  m. 

5«  Che]  fehlt  B. 

^*''  oldendo]     A;  ohlando,  B:  Quando  intese  quella  mala  n. 

^'^  fu  c.  tram.]    A:  si  fo  c.  stram.,  B:  Si  cade  quasi  morlo  trangosciato. 

•''•"  quar^o  la]     B :  stracciaua  soa. 

"•^^  B:.La  robba  dello  pallio  rosato. 

•^^  B :  Et  si  diceua  amerosa  donjella. 

■'*  B :  Cor  del  mio  corpo  chi  mette  a  furata. 


30  11  Cantare  di  Tiorio  e  Bianciliore. 

se  tu  sei  morta  o  rosa  colorita 

ora  mucido  e  non  voglio  piu  la  vita. 

K  lo  padre  si  lo  credeua  consolare 

e  disse  figlio  or  ascolta  la  inia  doctrina 

395  piu  altamente  ti  voglio  allocare 
non  te  curare  di  questa  fantina 
che  vna  figlia  dun  re  ti  voglio  dare 
vna  gentil  pucella  saracina 

per  tua  mogliere  e  sera  pagana 

6ö0       e  non  ti  curare  di  quella  nata  cliristiana. 

Fiorio  col  padre  fu  corruciato 
e  sili  disse  or  nome  parlare 
da  poi  che  raai  si  strangosciato 
tu  no  mi  poteresti  mai  piu  allegrase 
♦»o^  tu  mai  tolto  quella  che  sempre  o  desiato 
or  me  credi  falsamente  lusengare 
tu  mai  morta  la  mia  biancifiore 
et  io  me  vcidero  per  gran  dolore. 

Da  poi  andaua  a  quella  sepultura 
^'^  e  piangendo  collemani  se  batia 

da  poi  abra^aua  e  basaua  quella  mana 
dicendo  o  biancifiore  anima  mia 
e  piangere  facia  ogni  creatura 
e  cossi  piangendo  forte  si  dicia 


•'■"  B :  Tu  si  morta  rosa  c. 

•"''■-  mucido]     A:  me  occido,  B:  Voglo  morire  e  non  u.  p.  u. 

•^'■'^  E]  fehlt  A,  B.     si  lo  credia]     B:  lo  uoleua. 

^'"  laj  fehlt  A.     B:  Diceua  figlolo  ben  si  cosa  vana. 

■"■'■''  alocare]     B  :  locare. 

''*  questa]     A :  quella,  B :  Et  non  te  sia  piu  cura  della  cane. 

^■^  saracina]     B :  che  e  pagana. 

^^  e]     A:  che,  B:  Per  mogle  te  darro  una  sarracina. 

"*  B:  Che  e  piu  frescha  che  rosa  di  spina. 

'*'  B:  Et  fiorio  fo  tucto  conturbato. 

*■-  parlare]     A :  parlati,  B :  Et  dice  alpatre  norame  ftiuellare. 

""  si]     A:  cosi,  B:  Da  poy  che  tu  muy  morto  e  nauarrato. 

"•"  B :  lo  non  te  uoglo  uedere  ne  parlare. 

"^'  B :  El  cor  del  corpo  mio  tu  may  leuato. 

*^'  luseng.]     A:  aloscng.,  B:  Tu  falso  chemme  credi  loseng. 

^'  B :  Per  bianchof.  poy  che  morta  lay. 

'***  uc]     A:  occid.,  B:  Voglo  morire  et  non  uiuero  may. 

'**'  B:  Piangendo  sende  ando  allo  monimento. 

'^'"  B:  Posese  a  piedj  della  sepoltara. 

''"  quelle]     A:  le,  B:  Epso  ne  facea  gran  lamento. 

'''"  B:  Piangere  facea  omne  creatura. 

"'^  B:  Et  dice  o  druda  mia  io  non  te  sento. 

*^''  sij  fehlt  A.     B:  Et  non  posso  uedere  la  toa  figura. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biaiicifiore.  31 

^'^       se  tu  sei  morta  io  voglio  morire 

e  tecbo  insierae  tni  voglio  sopelire. 

E  misse  mano  a  vn  suo  coltello 
che  si  voglia  dare  per  le  mamelle 
la  madre  tene  la  mano  del  don^ello 
620  Q  colle  mane  se  batia  le  maseile 
eli  disse  oime  amor  mio  belle 
or  non  voler  fare  tal  cose  feile 

de  per  mio  amore  or  (i  conforta 

che  biancifiore  e  viua  e  non  morta. 

623  Fiorio  disse  da  poi  che  lo  sapete 

or  me  la  in  signiate  inmantinente 

e  pregOLii  si  ben  mi  volete 

che  mi  diciate  tuto  li  connenienfe 

se  non  tosto  veidere  voi  mi  viderete 
630  denanci  a  tuta  questa  jente 


•"^  sei]     B:  si. 

''"*  uoglio]     A:  uoy,  B:  Allato  ad  ti  me  u.  sep. 

In  B  noch  folgende  drei  Strophen :  Et  pocho  uoglo  che  sia  la  mea 
uita  I  Poy  chessi  morta  nella  sepultura  I  Et  io  non  vigio  ia  toa  faccia  polita  j 
De  nullo  altro  dilecto  nomme  cura  |  Aio  perduta  ti  rosa  colorita  |  Altro  che 
morte  gia  nomme  secura  |  Si  grande  lamento  fiorio  dicea  |  Che  molta  gente 
piangere  facea. 

Et  diceua  como  poy  stare  tanto  celata  ]  Druda  mia  belissima  et  pia- 
cente  |  Quando  del  thossico  fostj  accascionata  |  Dallo  seneschaico  falso  dis- 
credente  |  Io  ce  fece  battaglia  iudicata  |  Qiiesto  uoglo  che  sappia  tucta 
gente  |  Col  seneschaico  Io  fecj  gran  baptagla  |  Et  durance  gran  pena  e  gran 
trauagla. 

Ora  si  morta  non  uoglo  plu  uiuere  |  In  nantj  uoglo  morire  in  nianti- 
nente  |  In  questo  giorno  lo  me  uoglo  occidere  |  Denantj  atucta  questa  bona 
gente  ]  Lo  Re  foelice  chette  fe  conquidere  |  De  mj  uoglo  che  sia  pocho 
gaudente  |  Nantj  uoglo  morire  et  teco  stare  |  Che  inquesto  mundo  uiuere  et 
penare. 

^"  B :  Et  fiorio  mese  m.  ad  u.  c. 

"'"  B:  Che  d.  se  uoleua  ad  una  mamella. 

''''■'  B:  La  matre  prese  lo  braccio  al  d. 

•^^  B:   Et  dauase  la  mano  alla  masc. 

''''  B:  Et  diceua  dolce  a.  m.  b. 

''"  B:  De  non  te  occidere  per  questa  don^ella. 

'^-■'  de]  fehlt  A.     B  :  Per  lo  m.   a.  sitte  conf. 

'^■^'*  non  m.]     B:  non  e  m. 

"^^  B:  Et  f.  dixe  se  uoy  la  sapite. 

'■*'  inm.J     B:  prestamente. 

•^-'  B:  Se  non  che  occidere  ben  me  vederete. 

^^  li]     A :  il,  B  :  De  nantj  ad  tucta  questa  bona  gente. 

'^-■'  B:  Et  pregoue  se  uoy  bene  me  uolite. 

•**"  B:  Chemme  dicate  tucto  lo  commente. 


3i  II  Ciintarc  di   Fiorio  c  Bianciliore. 

0  cliomo  voi  Ihaneto  (rabaldala 
la  frescha  rosa  bella  angielicata. 

La  madre  disse  poi  chel  voi  sapere 
o  charo  figliolo  nui  si  labiam  vendiita 

ß'^  che  bell  siami  degni  de  morire 
che  si  futilmente  labiamo  tradiita 
e  si  ne  receiiemo  gi'ande  hauere 
e  per  tiio  amore  ne  son  molto  pentuta 
e  li  merchadanti  che  la  compraro 

*'**'       in  verso  el  nostro  porto  senandaro. 

Fiorio  disse  or  vogh'o  andare 
e  meter  mi  voglio  ala  Ventura 
e  si  douesse  cercare  la  terra  el  mare 
e  tute  le  terre  ehe  hanno  le  mura 
^^•^  e  niai  a  voi  non  voglio  ritornare 
se  non  trouo  la  gientil  creatura 

e  meter  voglio  la  persona  e  lo  valore 
per  ritrouar  la  mia  biancifiore. 

Lo  re  disse  qnesta  tua  andata 
^^^  caro  figlio  mi  da  tanta  discordia 
oime  che  quesfa  fantina  vidi  nafa 
che  prima  in  tanta  concordia 
e  ben  credo  che  fusse  cosa  afaturala 
pregoti  che  haui  de  mi  misericordia 


633 


(i;5 


"■'"  H:  Et  como  uoy  lauite  mandata. 
-  B:  La  pretiosa  Rosa  inbalconata. 

poy  chel  uoy  s.]     B :  lo  teile  uoglo  dire. 

nui]     A:  noy,  B:  Caro  figlolo  uia  labiamo  mandata. 

B:  Et  noy  simo  puro  dignj  del  m. 
'^^  B:  Si  nialaraente  labiamo  tractata. 
"^  ft  si]     B:  Ma  noy. 

"^^  B:  ümne  per  questa  lo  ße  uia  lao  data. 
^■^  E]  fehlt  B.     comparo]     A:  comperano,  B:  comperaro. 
'^  andaro]     A:  andono,  B:  In  uerj  del  nostro  p.  caualcharo. 
•^"  Fiorio]     B:  E  f.     or]     B:  io  ce. 
•^2  a  lav.]     B:  Per  la  uia. 

"^  e  si  d.]     A:  e  se  io  d.,  B:  Ccrcliare  uoglo  la  t.  collo  m. 
**"  B:  Et  tucta  quanta  la  sarracinia. 
*^"  e  may  a]     B:  Giammai  ad.     ritorn.]     B:  tornare. 
""  B:  Se  io  non  trouo  la  speransa  mia. 
"'  B:  Giammay  a  uoy  non  Rctornaraio. 

•"*  ritrouar]     A:  ritornare,  B:  Se  io  non  trouo  quelle  caro  uisagio. 
"'"  B :  El  patre  di.xe  öglolo  la  toa  and. 
™  B:  Multo  me  dole  et  omne  gran  pensanja. 
'^y  B:  Questa  donjella  male  la  uidi  nata. 

''^-  prima  in]   A:  prima  era  in,  B:  Che  tucti  quantj  ce  mette  in  dadansa. 
'''^''  B :  Cio  che  ella  fo  uenduta  et  comparata. 
*"'  B:  Porta  con  teco  et  non  fare  demoransa. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  33 

6-^3       e  poi  che  voi  andare  figliol  caro 

porta  dal  hauere  e  non  sia  inai  auaro. 

E  la  madre  disse  figliolo  mio  bello 

se  questa  andata  non  po  remanere 

porta  techo  questo  bello  anello 
^^^  e  auisoti  che  lo  sapi  ben  tenere 

che  ha  questa  virtu  granda  il  joiello 

che  non  si  poteria  comprare  per  hauere 
che  chi  io  porta  adosso  se  dio  mi  vaglia 
non  po  morire  in  foche  ne  in  bataglia. 

665  Fiorio  prese  lo  anello  con  molti  haueri 
e  da  loro  prese  combiato 
e  con  lui  andauan  baroni  e  chaualieri 
et  era  nobilmente  acompagnato 
e  la  sera  alojando  a  vn  hostieri 
^^•^  e  chomo  fu  presto  discaualchato 

disse  la  moglier  del  albergatore 
mesier  voi  resomigliate  a  biancifiore. 

Fiorio  disse  gentil  dona  in  cortesia 
quel  che  vi  diro  non  vi  sia  grauanja 
^'^  or  quando  qui  albergo  laniraa  mia 
quella  che  voi  dite  la  gentil  manja 


I 


"^  e]     A:  da,  B:  A  toa  gente  dona  et  fa  alegreje. 
^'^  dal]     A:  del,  B:  Et  usa  cortesia  et  genteleja. 

B  bat  hier  noch  folgende  Strophe:  Lo  Re  fcelice  per  gioia  maioris- 
sima  I  Li  face  presentare  un  bono  destriero  |  De  seta  et  de  uelluto  coperto 
bellissima  |  Doro  fino  lo  freno  del  destriero  |  Et  una  sella  molto  realissimo  | 
Che  fo  dello  re  .  turo  imprimero  |  Et  trenta  mulj  doro  carichatj  |  Como  de 
bianchofiore  laueano  piglatj. 

'^^^  B:  La  m.  dixe  dolce  f.  m.  b. 

*^^  questa]     B:  toa. 

''■'^  teco]     B:  con  teco.     bello]     B:  mio. 

•^  B:  Che  un%ran  thesoro  te  porra  valere. 

•*'  il]     A:  al,  B:  Guardalo  ben  che  vale  piu  che  un  castello. 

'^^  B :  Da  poy  che  la  uerai  non  porra  morire. 

'^^  B :  Ne  in  foco  ne  in  acqua  ne  in  battagla. 

''^  B:  Or  va  che  machometto  sitte  vagla. 

065_672  ß.  £j  fioi-io  se  niese  per  la  via  ]  In  uerj  del  porto  si  fo  caual- 
chato  I  Con  ipso  menaua  multa  baronia  |  De  bella  gente  era  accompagnato  j 
La  sera  ionse  nella  albergaria  |  Nantj  che  rle  cauallo  fosse  smontato  |  Dixe 
la  mogle  dello  albergatore  |  Voy  nie  assiniiglate  a  bianchofiore. 

"'•■'  B:  Et  f  dixe  dolce  d.  mia. 

"''  B:  Quello  che  ue  dico  non  ue  sia  impensa. 

"'^  qui  alb.  lan.]     B:  ce  albergo  la  druda. 

""•^  B:  Bianchofiore  la  prima  mea  m. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.   LXXl.  3 


31  II  Cantare  di  Fiorlo  c  Biancifiore. 

e  lo  hostier  disse  i  tel  diro  per  corfesia 
pur  laltra  sera  per  mia  leanja 

piangei-  la  vidi  e  molto  suspirare. 
«80       e  per  vostro  amor  non  si  potia  allegrare. 

A  tauola  istaua  el  gentil  donjello 
e  pur  pensaua  doue  fusse  andata 
e  man^ando  piglio  lo  coltello 
e  la  coppa  del  vino  hebbi  fiochata 
683  e  Ihosto  disse  or  che  hai  fatto  damicello 
per  cortesia  la  coppa  hebbe  mandata 
e  fiorio  disse  io  faro  il  tuo  talento 
e  mandartela  voglio  tuta  darjento. 

E  laltro  giorno  caualcharo  piu  inanti 
^^0  in  fino  alporto  duro  la  giornata 
e  alo^oron  al  hostaria  de  bilisanti 
e  inanji  che  fusse  gionfa  la  brigata 
disse  fiorio  sarebe  qui  venuti  merchadanti 
con  vna  donjella  che  hano  conprata 
693       e  loste  disse  i  ue  giuro  per  la  fede  mia 
pur  laltro  jorno  andorno  via. 

Fiorio  gli  feci  allora  donamento 
e  si  li  dono  vna  richa  centura 


C79 
6S0 


B :  La  donna  dixe  o  syre  infede  mia. 

per  mia]     B  :  per  la  m. 

piang]     ß:  Et  p.     molto]  fehlt  B. 

E]  fehlt  B.     potia  alegr.]     B :  po  realegr. 

^*'  istava  el  gentil  d.]     B:  sedeua  lo  d. 

^^cB:  Et  si  magnaua  nella  caminata. 

'^  B:  In  mano  se  teneua  lo  c. 

''*'  B:  La  coppa  del  uetro  ebbe  spe§ata. 

"^^  B :  La  donna  dixe  dolce  amor  mio  hello. 

•'*'  B:  La  coppa  seue  place  sia  mendata. 

^^  B:  Fiorio  dixe  al  tuo  commandamento. 

•^^  mandar]     A:  mendar,  B:  Mendare  la  fece  presto  dargento. 

''^  caualcharo]     A:  caualco,  B:  caualcha. 

•^  duro  lo  g.]     B :  per  quella  jornata. 

''^'  B:  Ad  uno  hoste  che  hauea  nome  bei  sancte. 

''*'  B:  Et  fiorio  si  lebbe  domandata. 

*^^  B:  Quando  albergaro  cqui  li  merchatanti. 

'''^  ano  (B:  haueano)  conpr.]     A,  B:  comperata. 

^*^  B:  Et  bella  sancta  dixe  in  fede  mia. 

'^^  B:  Pur  laltra  sera  passarono  uia. 

In  B  noch  folgende  Strophe:  Cortesemente  li  parlo  lo  don-^ello  |  Per 
quäl  Camino  se  porria  andare  |  Et  bella  sancta  dixe  amico  mio  hello  |  Longo 
uagio  te  conuen  piglare  |  In  mano  prenderaj  questo  anello  |  In  babilonia  tc 
debbi  posare  |  Dirray  ad  Arrigo  dalla  parte  mia  |  De  questa  cosa  sette  nu^tte 
in  uia. 

"^  B:  Et  f.  ad  epsa  faceua  dun. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  35 

e  vna  coppa  doro  e  dargento 
"00  el  vno  iscarlato  e  annadura 

e  quando  vene  a  fare  partimento 
gli  disse  stati  con  la  bona  Ventura 

e  poi  andoion  drieto  a  li  tragiti 

drieto  a  li  raercadanti  andeuan  tuti. 

705  E  in  alesandria  che  furon  ariuati 
e  poi  caualcaron  senja  tardare 
in  babilonia  che  furon  ariuati 
e  al  albergo  de  dario  hebbeno  alogiare 
e  como  presto  furon  discaualcati 
■^'0  fiorio  domando  senja  indusiare 

or  dite  me  sarebe  qui  ariuato  vna  donjela 
con  certi  mercadanti  che  molto  bella. 

E  dario  disse  si  che  ci  albergorno 

e  li  merchadanti  lanno  venduta 
■^1^  e  tuto  illoro  hauere  redoppioro 

a  lalmiraglio  chele  tantö  piaciuta 

e  ala  messa  nella  torre  del  chioro 

e  in  quella  la  bellissima  e  tenuta 
accompagniata  da  ceuto  donjelle 
''20       e  biancifiore  e  sopra  tute  le  altre  belle. 

Fiorio  alhora  gli  fece  donamento 
eli  dono  dui  corsieri  ambianti 


^^  e  vna  c]     B:  et  tucta  facta. 

'"'  B:  Et  de  scarlatto  riccha  ad  mantatura. 

™'  B:  Ma  quando  uende  fare  lo  p. 

™-  stati]     B:  sta. 

™^  drieto]     A:  drito,  B:  Et  caualcharo  e  foro  in  terra  di  egypto. 

'•"  drieto]     A:  dreto,  B:  De  reto  a  merchatantj   tyra  ritto. 

"°"'  A:  E  in  li  sandria  che  fono  a.,  B:  Et  in  alix.  egii  foro  a. 

'^  B:  Fiorio  caualcha  senza  fare  dimoro. 

""''  furon]     A :  fono,  B :  In  b.  egli  fo  desmontato. 

™*  B:  In  un  palap  dun  riccho  albergatore. 

'^  B:  In  mantinente  como  fo  albergato. 

"**  s.  ind.]     B:  de  bianchofiore. 

'"  B:  Serria  albergata  cqiii  una  d. 

''^  B:  Con  merchatantj  assaj  cortese  e  bella. 

"^  B :  Et  Arrigo  dixe  si  che  ce  albergone. 

'"  B:  Li  m.  si  lando  u. 

"^  B:  Tucto  el  loro  h.  si  radoppione. 

;"^  le]     A,  B:  H  e.     che]  fehlt  B. 

'"  ala]     A:  della.     n.  t.  del  eh.]     B:  nel  alto  torione. 

'*''  B:  Loquale  e  fortissima  tenuta. 

'"'  B:  Et  fala  stare  con  c.  dammicelle. 

'^  B:  Et  epsa  sta  sopra  tucte  le  b. 

'^'  B:  Et  f.  ad  Arrigo  fe  dun. 

''•'*  B:  Et  dunolj  uno  palafreno  portante. 

3* 


36  II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

e  vna  copa  doro  e  darjento 
e  in  quella  coppa  eran  diamanti 
725  per  venire  al  suo  intendimento 
e  disse  a  vui  mi  manda  bilisanti 
che  voi  me  debiate  consiliare 
chomo  io  allei  potesse  fauellare. 

Disse  dario  o  gentil  chaualier 
730  quello  che  per  nii  se  potra  fare 
io  lo  faro  molto  volontieri 
ma  idio  questo  non  vi  so  consiliare 
ma  a  nissun  terrajano  o  forastieri 
queste  parole  non  manifestare 
735       che  se  venisse  a  spia  a  lalmiraglio 
tu  receueristi  grande  trauaglio. 

Ma  la  torre  doue  sta  la  beUissima 
contar  ti  voglio  chomo  e  adornata 
che  ben  trenta  passi  eile  altissima 
740  da  ogni  canto  eile  ben  guardata 
e  ducenti  passi  eile  largissiraa 
de  prede  preciose  eile  merlata 
e  ogni  note  mille  chaualieri 
la  guardano  con  mille  scudieri. 

7*3  Iq  sulla  turre  sie  vna  guardia 
e  vna  fontana  preciose  e  bella 


'^  coppa  doro  ed.]     B:  bella  coppa  darg. 

"■"  eran]     A:  era,  B:  Anella  doro  rubin  e  diamantj. 

"^  per]     B :  Et  per. 

"^  bilis.]     B:  bella  sancte. 

'^'  B :  Che  de  questo  me  d.  c. 

'28  io]  fehlt  B. 

'^  B :  En  Rigo  dixe  g.  c. 

"*'  B:  Cosa  che  p.  m.  s.  possa  (A :  potria)   f. 

''^'  B:  Io  ue  seruero  multo  uolemptorj. 

'^  idio]     A:  io  di,  B:  Ma  de  questo  non  te  so  bene  c. 

'^  a]  fehlt  A.     B :  Ne  ad  terrajano  ne  anche  a  forestiero. 

"**  B:  De  questa  cosa  nomme  man. 

'^^  spia  a]     A:  saper,  B:  Chesse  venesse  saputo  allo  am. 

730  p.  Tosto  porria  hauere  briga  e  trau. 

'^  B:  Ma  dire  te  uoglo  como  fo  murata. 

'^8  B:  La  torre  doue  sta  questa  poletissima. 

'^  B:  Da  onime  faccia  ella  e  bene  merolata. 

''*  B:  Bene  trecento  passy  ella  e  altissima. 

''"  B:  De  prete  pretiose  eila  e  murata. 

'**  prede]     A:  pietre,  B:  Et  ben  ducento  passi  ella  e  largissima. 

'**  cum  mile  sc]     B:  intorno  con  bonj  destrierj. 

'**  B:  De  sopra  della  t.  e  uno  giardino. 

''^  B:  Nel  quäle  giardino  e  una  fontanella. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  37 

e  sopra  alla  fönte  vn  alboie  fia 
che  sempre  sta  fiori  insua  ramella 
e  quäl  dona  vi  pasasse  in  fede  mia 
'ä*^  li  caderebe  li  fiori  adosso  se  pucella 

ma  se  mai  da  homo  fusse  tochata 

e  subita  quella  fönte  saria  turbata. 

Elha  in  guardia  vn  falso  castelano 

che  molto  richissimo  e  possente 
~^''  et  e  tanto  pessimo  e  viliano 

e  tanfo  maluagio  e  scognoscente 

chi  quella  torre  tochasse  cun  mano 

la  testa  gli  taglieria  inmantinente 

ma  del  hauere  e  del  giucare  e  copioso 
'60       se  potessi  giocare  con  lui  serai  gioioso. 

Fiorio  disse  e  sili  voglio  andare 
in  quella  parte  oue  la  dimora 
quella  che  mi  fa  tuto  consumare 
piu  che  non  fa  la  neue  alla  callura 
^6'  se  la  testa  mi  douesse  taliare 

per  suo  amore  abrajaro  quella  nnira 
e  sali  SU  vno  destrier  coridore 
e  tostamente  ando  verso  la  tore. 

El  castellano  quando  il  vite  venire 
770  sali  a  cauallo  e  in  contra  li  fu  andato 


"'*''  al]  feblt  A.    albore]  A:  albol,  B:  El  nel  giardino  e  uno  arboro  fino. 

'^^  fioi-i  in]     A :  fiorito,  B :  Che  s.  stanno  fiorite  soe  r. 

"^^  pasasse]     A:  pasesse,  B:  Laquale  donna  se  leua  lomatino. 

"^  se]     A:  se  e,  B:  Sopra  li  cade  el  fiore  se  e  polj. 

'*'  B :  Ma  se  ella  fosse  da  homo  adulterata. 

'*^  B:  Lacqua  incontinente  sarebe  tuibulata. 

'^  B :  Lo  giorno  sillo  guarda  un  c. 

'^  che]     A:  che  e,  B:  tanto  f.  et  feruente. 

''^  B :  Et  e  acosi  pess.  vill. 

'^  B:  Et  maluascio  falso  et  scogn. 

'"  B :  Quäle  homo  la  torre  tocc.  col  m. 

""*  tagliaria  inm.]     B:  farria  taghar  de  presente. 

■^'^  B:  jNIa  dello  hauere  e  tanto  goloso. 

'^  potessi]     B :  poy. 

""  e  sili]     A:  e  feil,  B:  lo  ce. 

'^^  B:  Et  uo  paxare  doue  ella  dim. 

"63  tuto]     B  :  si. 

""  B:  Piu  chella  neue  per  la  gran  caldurä. 

"**■'  se]     B:  Et  se.     taliare]     B:  andare. 

™  quella]     A:  quele,  B:  Per  lo  s.  a.  abbroccioro  Ic  m. 

"^'  A:  E  salto  suii  v.  destrero  c,  ß  :  Sally  ad  cauallo  ad  un  pahtfreno  che  corre. 

■t«  verso]     A:  sula,  B:  Et  ua  sende  ua  per  vedere  la  t. 

'"■'  il  uite|     B:  el  vide. 

""  B:  sally  ad  c.  e  non  fo  deuiovato. 


38  II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiorc. 

e  disse  or  cbomo  astu  tanfo  ardire 
(li  caualcare  sopra  a  questo  prato 
c  adosso  gli  andaua  per  ferire 
poi  lo  riguardo  chera  disarmato. 
77">       e  fiorio  disse  misere  in  cortesia 
o  castellano  nomi  far  villania. 

Fiorio  apie  de  la  torre  va  a  vederc 
e  quelle  mura  va  abrajando 
e  lo  castellano  fu  de  mal  volere 
'^"  e  si  cauaua  fora  lo  brando 

e  in  verso  fiorio  tornaua  per  ferire 
e  fiorio  humelniente  il  va  pregando 

e  diceua  or  mi  scolta  signier  per  cortesia 
che!  re  felice  ma  fato  venire  in  fede  mia. 

785  Lo  castellano  lo  prese  a  domandare 
setu  caualier  o  setu  donjello 
e  fiorio  disse  i  son  doltramare 
e  son  venuto  per  veder  questo  castello 
vn  cosi  fatto  il  rnio  signor  vol  fare 
790  pero  che  ha  inteso  che  questo  e  si  hello 
e  suso  vno  sparauier  micie  fugito 
or  se  voi  giucare  a  scachi  io  tinuito. 

Lo  castellano  lebbe  disarmato 
e  disse  lu  resomigli  a  biancifiorc 
79''  sapi  chi  tharei  tuto  tagliato 

ma  riguardato  tho  per  suo  amorc 


"■"  B:  Con  vna  spada  lo  corse  afferire. 

"^  B:  Ma  resguandolo  perclie  cra  desariualo. 

"3  B:  Et  dixe  conio  hauestj  tanto  ardire. 

"''  B:   Che  caualchastj  sopra  acquisto  prato. 

"^  misere]     B:  o  syre. 

"'''  castell.]     B:  cauaHero. 

'*'  scolta]     A:  ascolta. 

™*  Lo  c.  lo  pr.]     B:  El  c.  el  p. 

'**  B:  Sy  tu  c.  ouero  d. 

"**"  doltram.]     B:  ultra  el  ra. 

'^  B:  Et  vennj  per  v.  quisto  c. 

"^  il  mio  s.  volj     B:  ne  uorria  far  f. 

'*  B:  Pero  che  questo  me  pare  multo  p. 

™'  B :  Uno  sparvero  mence  se  f. 

'•'■•'  tinv.]     A:  te  inv.,  B:  Se  voHte  iochare  ascacchi  io  vendi  inuito. 

'■'^  dis.]     B:  assimiglato. 

""•*'  B:  Alla  gentil  pol:,ella  bianchofiore. 

''■'^'  chi  tharei]     A:  che  io  tarey,  B:  Et  dixe  ben  taueria. 

'■■*  tho]     A:  to,  B:  Ma  te  uolsi  guardare  per  lo  s.  a. 


11  Canlare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  39 

ma  poi  del  giocho  raai  inuitato 
ben  volio  veder  si  sei  bon  giocatore 
e  chiamo  el  faraio  e  fece  arechare 
800       lo  scachiere  colli  scachi  per  giucare. 

Fiorio  giucando  inmantinente 
liebbi  vinti  dua  milia  bisanti 
el  castellano  con  lui  era  perdente 
e  fu  curijato  e  tuto  li  guanfi 
803  e  fiorio  fu  sauio  e  intendente 
rendeli  li  suoi  e  donoli  altri  tanti 

el  castellano  sili  prese  voluntieri 

e  disse  i  ti  ringracio  gentil  caualieri. 

Fiorio  da  lui  prese  combiato 
810  o  castellano  io  mene  volio  andare 

e  in  verita  molto  me  giouato 

di  giucare  con  vui  e  di  solaciare 

el  castellan  si  lebbe  inuitato 

doraatina  vien  mecho  a  disnare 
si'i       e  fiorio  receuite  lo  inuito  voluntieri 

per  giocare  daltro  giocco  cha  di  scachieri. 

Fiorio  alhora  de  li  se  partia 
e  al  albergo  si  fu  ritornato 
e  dario  disse  orme  di  per  cortesia 
820  como  astu  facto  e  procurato 


''■"  poi  del]     A,  ß:  p.  che  del. 

™^  B:  ^  oglo  sapere  se  si  b.  joc. 

'■"  faniio  e  f.  ar.]   A:  familio  e  f.  ric.,_B:  Li  fantj  chiama  et  fece  venire. 

^  B:  El  joco  delli   scacchj  et  tauolerj. 

**'  B:  Et  f.  li  uense  inm. 

*"  B:  AI  primo  tracto  do  m.  bisanctj. 

*^  cum  luy]     B:  del  joco. 

'■'"  B:  Gitto  in  terra  li  scacchi  tuctj  quentj. 

*^  B:  Fiorio  como  s.  e  cognoscente. 

^'^  B:  Rendiuolj  soy  denarj  et  altre  t. 

*"'  B:  Lo  c.  li  prese  v. 

**  B:  Et  dixe  tu  si  el  fiore  de  tuctj  ^cau. 

*^  da  luv]     B:  allora  si. 

*'°  io  mene]     A:  emene,  B:  Dixe  misser  io  meude  u.  and. 

*"  B:  In  u.  che  multo  ameo  jocato. 

*'^  B:  De  sollajare  con  voy  e  de  jocare. 

»'^  si]  fehlt  B. 

''"  B:  Domäne  siamo  ensemj  ad  magnare. 

*'"''  receu.  1.  inu.  v.]     B:  accepta  uolempterj  lo  inuito. 

'*'^  di]     A:  che,  B:   Per  jocarlj  dun  altro  partito. 

**"  B:  Et  f.  dallo  c.  se  partea. 

•*'**  B:  Allo  palajo  de  Arrigo  fo  tornato. 

**'"  orme  di]     A:  or  di  me,  B:  Arrigo  dixe  dolce  uita  mia. 

*'-"  B:  Dimule  como  ogi  ay  tu  percaccaciato. 


10  11  Cuntarc  di  Fiorio  e  BiauciGore. 

c  fiorio  disse  io  te  giuro  in  fede  niia 
con  lo  castellano  ajo  assai  giocato 
a^o  speranja  senja  fallimenlo 
chio  hauerolo  lo  raio  intendimento. 

*^-5  Quando  laltro  giorno  fu  venuto 
fiorio  al  castellano  fu  ritornato 
alegramente  che  lebbe  receuuto 
e  vno  richo  disnare  hauia  aparechiato 
e  quando  hebbeno  manjati  e  beuuto 
'*■'''  e  fiorio  si  gliebbe  alhora  presentato 
e  al  castellano  pose  dauanti 
vna  copa  doro  piena  di  bisanti. 

El  castellano  fu  tuto  ismarito 
vedendosi  tal  dono  presentato 

*3-i  e  disse  o  Jentil  caualiere  inon  tajo  seruito 
che  cotal  dono  me  douessi  fare 
e  fiorio  disse  io  ho  ben  vdito 
che  voi  mene  potreti  ben  rimeritare 
o  castellano  semi  volete  seruire 

^'*<'       io  so  bene  che  mi  podete  guarire. 

El  castellano  disse  or  ini  coraandate 
cio  che  vi  place  caualier  sauio 
e  per  cortesia  non  me  lo  cielate 
che  allegramente  ve  seruiragio 


'^^  io  te  g.]     B:  certo. 

*^  B :  Io  col  c.  aio  joc. 

*^  B:  Et  credo  sensa  nullo  f. 

•■^  A:  che  io  hauero  lo  m.  i.,  B:  Deperuenire  al  m.  i. 

''^  Quando]     B:  Da  poy  che. 

^  rit]     B:  torn. 

^«  che  lebe]     B:  si  fo. 

®*  B:  Et  riccho  pranso  11  fo  apparecchiato. 

*^  e  quando  ebene]     B:  Et  poy  che  ebbero. 

*3o  alora]  fehlt  B. 

"^^  B:  Et  una  coppa  posse  denantj. 

'^^  B:  Tuota  era  piena  doro  e  de  bis. 

^^  presentato]     A:  presentare,  B:  Sentendose  tanto  oro  appresentare. 

f^  B:  Et  dixe  questo  non  te  ayo  s. 

*^  B :  Che  tal  presento  me  d.  f. 

83'  ho]     B:  laio. 

^  me]  fehlt  A.     B:  Che  uoy  mello  potite  merit. 

***  se  me  uoletl]     B:  se  tu  me  uoy. 

****  me  podeti]     B:  tu  me  poy. 

^^  or  mi  com.]     B :  dom. 

^^  jio  che  ui  p.]     B:  Arditamente  o. 

*'^  B:  Et  cio  che  uoy  udite  me  cbyelete  (?). 

**•  B :  Che  multo  uolemptery  uoy  s. 


11  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  U 

8*3  e  fiorio  disse  io  voglio  che  me  perdonate 
se  1*0  dicesse  cosa  vi  fusse  oltragio 
el  castellano  disse  alliegramente 
cio  che  vi  piace  dite  arditamente. 

Fiorio  disse  lasso  oime  suenturato 
8äö  tapino  oime  che  mai  senti  amore 

io  son  si  fortemente  inamorato 

de  la  gentil  pucella  biancifiore 

lanima  elcuor  tuto  Io  donato 

e  per  lei  viuo  in  gran  pene  e  dolore 
833       se  io  non  vedi  el  suo  bei  viso 

per  lei  di  questo  mondo  saro  diuiso. 

El  castellano  fn  tuto  ismarito 
vedendosi  tal  dono  domandare 
e  disse  o  chaualier  imi  tenge  schernito 
8^0  perche  si  sutilmente  ma  fato  giucare 
ma  po  chi  tho  promisso  Io  inuito 
a  biancifiore  tifaro  parlare 

se  io  douessi  ben  perdere  la  tes(a 

i  faro  che  larai  in  tua  podesta. 

863  Si  gran  cosa  mai  comandata 
di  farlo  molto  mi  preme  il  core 
e  la  porta  del  palajo  sta  serata 
e  le  chiaue  tiene  il  mio  signore 
e  non  le  fida  a  nissuna  anima  nata 
8'0  in  sulo  palajo  ista  biancifiore 

ma  io  ti  proraeto  per  Io  dio  degno 
chi  te  parlarajo  con  gran  injegno. 


*^"'  che]  fehlt  A.     B:  F.  dixe  ora  me  assecurate. 

^•"'  B:  De  pardonarmi  se  io  dicesse  oltraio. 

^''*  B:  Cio  che  uoy  adornando  ardit. 

^^  1.  oime  SU.]     B:  o  laso  inuenenato. 

^'*^  amore]     A:  damore,  B:  Rlisero  mi  che  may  uidi  lam. 

^■''  B:  Che  ma  si  f.  innauarato. 

852  de  le]     B:  quella. 

^^^  B:  El  cor  del  corpo  ella  ma  leuato. 

^'^  B:  Et  fame  staro  in  focho  et  in  ardore. 

**''  uejo]     B:  uigo.     bei]     B:  chiaro. 

'^^  B:  Certamente  io  son  morto  e  conquiso. 

*•'*  B :  Sentendose  tal  gioia  adom. 

^'^  tenge]     A:  tengo,  B:  Dixe  figlolo  tu  may  ben  tradito. 

^^^  B:  Et  sottilmente  may  facto  ioc. 

•*'  B:  Ma  da  poy  che  te  ayo  assecurato. 

*'^  douesse  ben]     B :  ne  douepse. 

*'''  B:  Egli  e  misero  che  labhi  ad  toa  potesta. 

*»  le]  A:  la.  —  ^  ista]  A:  sta.  —  "'  dio]  A:  idic— *'-  gran]  A:  grande. 


II  Cantare  di  Fioiio  e  Biancifiore. 

Domenica  sie  la  pascha  rosata 
et  e  la  fcsta  de  tuti  i  chaualieii 

87">  lo  re  fa  cogliere  per  questa  contrata 
le  rose  e  li  fiori  per  tuti  li  jardini 
prima  eglie  mestiero  che  vada 
a  lalniiraglio  con  fiori  li  scudieri 

e  di  ciaseuna  ciesta  prende  due  giuniele 

*^^^       e  le  altre  sapresenta  ale  damisele. 

Domenica  e  lo  giorno  de  la  festa 
che  si  conforta  ciascuno  amadore 
e  le  donjelle  stando  ala  fenestra 
ciaseuna  mostra  suo  bei  colore 
^8S  et  io  te  metero  in  vna  ciesta 
e  copriroti  fra  le  rose  e  li  fiori 
se  lalrairaglio  de  li  fiori  prendisse 
stati  quieto  che  non  ti  sentisse. 

Fiorio  intro  alora  in  vn  cestone 

890  in  fra  le  rose  coperto  e  nascoso 
e  fu  coperto  si  bene  e  con  rasone 
che  non  pareua  vi  fosse  lamoroso 
e  staua  chome  la  grua  sotto  il  falcone 
chusi  fiorio  staua  quieto  e  dubitoso 

^^•'       e  presentato  fu  a  lalmiraglio 

ben  si  misse  fiorio  a  gran  trauaglio. 


873 


d.  si  e  la]    B:  d.  sera. 
*■"  ed  e  la]     B:  che  e  la.     tutti  i]     B:  dellj. 
^'^  lo  re  fa]     B:  lo  ferro. 
*^;;  le]  fehlt  B.     j;ardini]     B:  uergerj. 
*"  B:  AI  amiraglo  e  mistero  che  uada. 
^"*  B:  In  permamente  le  rose  et  li  panierj. 
^^^  B:  De  ciascheuna  ne  prende  una  manella. 
^™  B:  Et  laltre  manda  ad  ciascheuna  donjella. 
**'  Dom.  e  lo]     B:  Quando  verra  el. 
*^  B:  Che  ciasche  aniatore  se  realegra  el  core. 
***  don',elle]     B:  pol.^elle.     stando]     A:  stano. 
^  bei]     B:  frescho. 

^''  B:  lo  te  metteraio  in  una  gran  canestra. 
^^  B:  Starray  coperto  de  rose  e  de  fiorj. 
**"  del  fior  prendessc]     B:  puro  ne  prendesse. 
***  B:  Starray  si  quito  che  non  te  sentesse. 
***  B:  In  uno  paniero  grande  e  gratioso. 
^'^  B:  Lo  quäle  fo  facto  per  quella  accascione. 
*'  B:  Dentro  fo  messo  fiorio  pretioso. 

^°^  non  p.]     A:  n.  ci  p.,  B:  CoUe  rose  coperto  ad  gran  rascionc. 
***  B:  Et  staua  fioria  quito  et  dobitoso. 
•***  B:  Como  el  fasane  che  sta  sotto  al  falcone. 
^'^  B :  l'oy  foro  presentatj  al  am. 
**  B:  Dico  che  fiorio  se  mesc  a  a;r.  t. 


II  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore.  43 

E  lalmiraglio  ne  prese  in  veritade 

di  quelle  rose  e  fiori  nouelli 

e  presene  per  gran  volunlade 
900  che  a  fiorio  quasi  tocho  li  capilli 

or  chi  vorebe  per  vna  citade 

essere  stato  aresigo  chomelli 
e  lalmiraglio  disse  per  aniore 
questa  cesta  vada  a  biancifiore. 
90^  La  cesta  dele  rose  fu  su  tirada 

insuT  palajo  duna  finestra 

e  vna  sechia  de  biancifiore  aparechiaua 

per  receuer  le  rose  fu  presta 

e  fiorio  penso  in  quella  fiata 
^i"  che  biancifiore  fusse  e  al^o  la  testa 
e  quella  donjella  hebe  gran  paura 
quando  vite  nele  rose  la  creatura. 

Si  gran  paura  hebe  la  donjella 

che  era  serua  di  biancifiore 
915  e  gran  strido  misse  la  damisella 

che  tute  lealtre  nebben  sentore 

e  corsene  dicendo  che  ai  sorella 

che  facesti  si  gran  rumore 
et  ella  disse  ele  vn  vcilleto 
920       chuscite  dele  rose  e  demi  nel  peto. 

Ella  Ihauia  molte  ben  recoperto 

perche  li  chiese  merce  e  pietade 


«•8  di  quelle]     B:  delle.     e  f.]     A:  e  de  (B:  delli)  f. 

''•'^  B:  Et  sinde  prese  per  tal  v. 

^  quasi  (fehlt  B)  tocho]     A:  tocho  quasi,  B:  tocchaua. 

^^  Or  che  u.]     B:  Gia  non  uorria. 

^*^  areschio  como  elli]     B:  como  staua  eglj. 

*"  B:  Questj  sianj  presentatj  a  b. 

■"'*  B:  Et  fiorio  alla  finestra  fo  calata. 

'•™  B:  Su  della  torre  in  vna  gran  canestra. 

■'°^  sechia]     A:  senia  (?),  B:  Gloritia  si  staua  apparecchiare. 

**  B:  Per  tollere  li  fiorj  et  quella  cesta, 

™^  B:  F.  pensa  che  fosse  la  soa  aniata. 

^'°  b.  {.]    A:  fosse  b.,  B:  Monstro  lo  uiso  colla  biancha  t. 

^'*  B:  Gloritia  quando  uide  la  creatura. 

^'^  B:  Si  grido  forte  et  ebbe  gran  paura. 

'•"'■  serua]     B:  seruitiale. 

"'^  B:  Si  grande  grido  fece  la  d. 

'""  B:  Che  tucte  se  rijj^arono  allo  romoro. 

^"  B:  Et  dixero  che  hauest]  tu  s. 

'"^  B:  Chette  accosi  cambiato  lo  colore. 

^'^  e  le]     A:  e  fu,   R:  Gloritia  dixe  io  uidj  uno  occellecto. 

^  B:  Oscierj  defiorj  e  diedettemi  n.  p. 

"^'  B:  (iloritia  si  lebbe  rec. 

'•'^^  B:  Et  si  chiese  merze  del  peccato. 


II  Cautare  di  Fiorio  e  Biauciliore. 

e  di  biancifiore  li  disse  de  ccrto 

csser  lo  amante  in  ueritade 
^2"'  e  biancifiore  era  sua  nianja  certo 

et  olla  per  sua  gran  bontade 
incontinenfe  corse  a  biancifiore 
e  disse  il  cie  venuto  il  tiio  ainatore. 

Biancifiore  impie  fu  leuata 

^•^ö  a  stolta  tu  me  vo  gabare 

elmio  amatore  nenne  in  questa  contrata 
e  nonne  vciello  che  possa  volare 
et  ella  disse  o  rosa  bella  inbalconata 
viene  mecho  ehi  telo  voglio  mostrai'e 

935       a  voi  raadonna  ilhebi  asomigliato 

giamai  non  vidi  si  bello  homo  nato. 

Biancifiore  si  mosse  ad  andare 

e  nella  sala  che  fu  venuta 

e  quando  ella  il  vide  il  corse  abrajare 
^'*o  e  per  lalegreja  fu  tuta  diuenuta 

e  fiorio  prese  alora  a  lacrimare 

e  disse  anima  mia  quanto  non  ta^o  veduta 
e  arabidoi  cadeno  quasi  tramortiti 
e  pocho  stetero  che  furon  risentiti. 

9*^  Et  abrajati  insieme  sise  leuoro 
tuti  quanti  di  lacrirai  bagnati 
e  dentro  dala  camara  nandoro 
ambi  doi  insieme  abrajafi 


n29 

030 


B:  A  b.  si  lauia  manifeste. 

lo  am.]     A:  il  suo  am.,  B:  Che  forio  fo  streite  sue  amato. 

B:  Gloritia  penso  in  quel  jorno  aperto. 

R:  Quello  che  b.  lauio  manifestato. 

B:  Adno  toste  et  dixe  a  b. 

B:  El  ce  venute  el  tue  perfecto  amere. 

fo  leuata]     B :  se  fo  1. 

vo  g.]     A:  uey  ag.,  B:  Et  dixe  niata  (?)  tu  nie  volj  ingannare. 
I«  B:  Gloritia  dixe  r.  inb. 
'■'*'  B :  Venj  con  nienlio  chio  te  u.  monstr. 
'■^^  illebi  asomigliato]     B:  laie  affigorato. 
•'■*  B :  Piu  belle  denjello  mav  non  uidi  nato. 
'««  che  fu  v.]     A :  che  la  fo  "v. 
;''^  il  v.]    A:  lo  v. 

••^  stetero  f.  r.]     A:  steno  forne  res. 

;«7_<«.i  ß.  Lup.j  don^ella  et  laltra  sende  gieua  |  Per  lo  palaje  multe  ale- 
gramente  |  Et  bianchofioro  alegra  se  faoea  |  Gloritia  abbraccie  multe  streeta- 
mente  |  Et  sylli  dixe  o  donj^ella  mia  |  Confortate  madonna  mia  piacente  [  Con 
alegre^e  la  poh^ella  gieua  |  Alla  oamora  date  fiorio  staeua  (?). 
'"■"'  leuoro]  A :  leuano.  —  ■'"  nandoro]  A :  nandeno. 
!>i.._'j52  ß.  gj.  quando  bianehofiore  lebbe  ueduto  |  Et  fortemente  prese 
allacbrimare  |  Da  longa  parte  lebbe  cognesciute  1  In  mantinente  lo  corse  ad 


11  Cantave  di  Florio  e  Biancifiore.  45 

e  insu  vn  richo  leto  si  possoro 
9^0  e  streti  insieme  furon  adormentati 
alhora  si  conmisse  el  fino  araore 
quello  di  fiorio  e  biancifiore. 

Lalmiraglio  alhora  fece  sapere 

che  a  biancifiore  voleiia  parlare 
^33  la  serua  disse  ella  sta  aiacere 

et  a  gran  male  e  non  si  puo  leuare 

e  lalmiraglio  disse  ila  voglio  vedere 

che  male  la  e  farola  gouernare 
e  sali  in  sulo  palajo  douera  ella 
^6ö       e  trouo  fiorio  insieme  con  la  damijella. 

Innudi  nati  che  gliebe  trouati 
e  qnando  gionse  li  lo  valoroso 
stretamente  stauano  abrajati 
in  SU  vn  richo  leto  precioso 
963  e  qnando  lalmiraglio  gliebe  trouati 
dentro  dal  core  fo  molto  doglioso 
e  misse  mano  ala  spada  forbita 
e  a  tuti  doi  penso  tuore  la  vita. 

Poi  si  ripenso  in  suo  coraglio 
^'^o  disse  non  voglio  vcidere  ne  disfare 

anci  feci  como  homo  saputo  e  sauio 

cheli  ricupersi  e  lassoli  stare 

e  contra  ibaroni  disse  como  faraglio 

quäle  di  voi  me  sapi  consigliare 

^■^3       de  biancifiore  chi  lajo  trouata 

con  vn  gioveneto  inuda  nata. 


abracciare  |  La  frescha  rosa  et  lo  giglo  fian  (?)  duto  j  Andaro  in  camora  in- 
semj  asollajare  |  Allora  se  conionse  el  dolce  amore  j  Intra  fiorio  e  la  bella 
bianchofiore. 

'"'*  possoro]     A:  possano. 

953_9so  ß .  j<^ijq  amiraglo  sigli  mando  adire  |  Che  bianchofiore  alhiy  douesse 
andiire  |  Gloritia  dixe  nonce  po  venire  |  Che  ella  niente  non  se  po  leuare  | 
Et  lamiraglo  sylli  mando  adire  |  lo  la  uoglo  uenire  ad  confortare  |  Monto  su 
la  torre  (loue  ella  era  |  Trouo  lo  giglo  coUa  dolce  sparuera. 

-'^  dal]     A:  da.  —   *^  tuore]     A:  atore. 

'■^^  Poi  si  respenso]     B:  Et  poy  si  penso.     coraglio]     A,  B:  coragio. 

'■'™  non  u.]     A  :  non  li  u.,  ß :  Do  uole  (?)  li  occidere  et  taglare. 

""'  B:  Et  si  come  signore  cortese  e  sauio. 

^'^  B:  Li  recoperse  et  sillj  laxo  stare. 

^'^  faraglio]     A:  fagio,  B:  Et  dixe  allj  soj  baronj  c.  farragio. 

*"*  säpi]     B :  saccia. 

'"^  che  lajo]     B:  che  io  lalo. 

^^^  inuda  n!]     A:  come  nuda  n.,  B:  Con  uno  donjello  stare  abbracciata. 


46  II  Cantare  di  Florlo  e  Riancifiore. 

Un  chaualiero  si  leiio  in  sua  presenja 

parlo  e  disse  il  suo  piacimento 

or  questa  e  stata  si  gran  fallanja 
980  e  parmi  vabi  fato  tal  falimento 

che  nol  doueria  patir  la  vostra  possanja 

che  niorir  dia  chia  fato  tradimento 
e  biancifiore  sia  presa  e  ligada 
e  con  quello  gioueneto  sia  brusada. 

985  Lalmiraglio  li  fe  Joso  calare 
in  terra  del  palajo  innuda  nati 
e  in  SU  la  piaja  li  fe  ligare 
e  si  gliebi  al  fuoco  senteneiati 
e  biancifiore  comincio  a  lacrimare 
990  dicendo  oime  lasso  mal  siamo  ariuati 

di  te  mi  doglio  fiorio  e  per  te  suspiro 
che  per  rai  sei  venuto  a  cotal  martiro. 

Fiorio  disse  oime  rocha  di  castello 
di  te  mi  dole  o  cara  mia  speran^a 
993  se  tu  scanpassi  o  dolce  amore  hello 
de  la  mia  morte  non  aria  dotan^a 
io  ho  vn  precioso  e  hello  anello 
tielo  teco  e  non  hauer  dubitanja 
e  tielo  bene  che  mentre  lauerai 
1000       in  ei  fuoco  mai  non  morirai. 

Et  el!a  disse  o  gentil  creatura 

se  tu  morissi  io  non  voglio  scampare 

la  vita  mi  saria  morte  dura 

e  mai  piu  non  mi  poteria  allegrare 

977_9»4  fehlen  B. 

8*  vabi]  A:  vn  che  abi.  —  »s'  la]  fehlt  A.  —  -'"^  ligada]  A:  ligata.  — 
***  brusada]     A:  brusata.  —  '^^  fe]     A:  feci. 

as5_y'j2  ß.  Et  lo  amiraglo  Io  fece  rnenare  |  Su  nella  Corte  ainbedoy  sol 
natj  I  Et  nel  palajo  li  fece  sententiare  |  Che  ipsi  fossero  ad  ardere  menatj  | 
Et  bianchofiore  comenso  ad  lachrimare  |  Et  dixe  lascio  che  mal  simo  arri- 
uatj  I  De  ti  me  doglo  che  per  raj  uenistj  ad  morire  |  Et  non  te  posso  scam- 
pare dolce  syre. 

*»  Fiorio]     B:  Et  f.     oyme]     B:  o. 

^*  dole  o  c.  m.  sp.]     B:  doglo  che  demj  non  aio  cura. 

^*  0  d.  am.  b.]     B:  dolce  a.  mio  b. 

^*  B:  Che  la  mia  m.  me  seria  dolciura. 

*^  B:  Io  te  darro  vno  pretioso  an. 

^  B:  Contecho  Io  tenj  et  non  hauer  pagura. 

"*'  B:  Guardalo  ben  da  poy  che  lauerray. 

1000  ß .  ]sjg  jjj  focho  ne  in  acqua  morire  non  porray. 

""'  B:  Dixe  bianchof.  la  g.  er. 

'""^  morissi]     B  :  morj. 

'""  la  u.]     B:  che  la  v.     molto]     B:  gia  troppo. 

"''*'  B :  Et  par  te  nomme  porria  may  realegrare. 


II  Cantare  di  P'iorio  e  Biancifiore.  47 

1005  se  [q  moro  per  te  io  saro  sicura 
in  paradiso  io  mi  credero  andare 
e  stauano  abraciati  lei  el  damicelo 
e  ciaschuno  di  loro  tenia  lanelo. 

Estretamente  stauano  abraciati 
1010  ambe  dui  nel  fuoco  ardente 

e  nel  fuocho  stauano  Hnnamorati 

e  del  fuoco  non  sentiua  niente 

la  viftu  del  anello  glia  scampati 

e  gran  picla  nauia  tnta  la  jente 
loi.'i       e  tuto  el  populo  leuosse  in  rumore 
raissere  perdonali  per  nostro  aniore. 

Uno  chaualiero  gentil  e  sauio 
al  almiralio  si  fu  injenochiato 
e  disse  dl  questo  gioueneto  e  danagio 
1020  che  aun  filio  dun  barone  Io  assimiliato 
e  credo  che  sia  de  nostro  liguagio 
che  per  chome  alui  affacionato 
e  fu  dimandato  lui  e  la  fantina 
si  erano  figlioli  di  re  o  di  regina. 

1025  Lalmiraglio  prese  adomandare 

secondo  che  la  storia  parla  e  dice 
or  me  di  scudieri  se  voi  scampare 
chome  venisti  a  questa  meretrice 


moro]     A:  morise,  B:  Ma  se  io  moro  per  uoy  son  sec. 
"*^'^  (B:  Che)  in  p.  io  me  (B:  simme)  credero  (A,  B:  credo). 
*'''  B:  Allora  se  abbraccia  Io  fiore  belle. 

B:  Et  ciaschuno  hauea  sopra  lanello. 

Estretamente]     B:  Et  ambedora. 

B :  Quando  foro  messj  nel  foco  ardente. 

B :  Et  la  uirtu  dello  anello  lascampatj. 
°'^  B:  Che  foco  alloro  non  nocea  niente. 
^  B:  Tanto  erano  bellj  e  delicatj. 
"*  ß :  Che  piangere  faceuana  tucta  la  gente. 
"  B:  El  populo  tucto  gridaua  per  amore. 
•^  B :  De  perdonare  alloro  per  uosto  honore. 
"  gent.  es.]     B :  che  era  cortese  e  saj^io. 
'^  B:  Dixe  misser  intendj  questa  nouella. 
'^  B:  De  quel  donjello  misser  e  gran  d. 
**  B:  In  bona  hora  nacque  con  quella  donzella. 
"  B :  Parono  che  siano  de  uostro  parentagio. 
'^  B:  Che  se  semiglano  alla  lucente  Stella. 
'^  e  fo  dim  1     B:  Or  domandate. 

erano      B:  sono. 
'■^  Lalm.J     A,  B:    E  lalm.     prese]     B:  li  pr. 
"^  parla  e]     B:  se. 
"  B :  Ora  me  di  figlolo  s.  u.  sc. 
'*  B:  Chomo  saIHsti  chi  chitente  mese. 


48  11  Cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore. 

e  fiorio  disse  non  lo  volio  celare 
i**'^^'  io  son  filiolo  de  lo  re  felice 

la  raia  madre  sa  de  le  sette  arte 

e  per  lo  suo  senno  veni  in  queste  parte. 

E  lalmiralio  prese  a  lacrimare 
e  reuestir  li  face  inmantinente 

1035  e  disse  filio  non  ti  isgomentare 
che  lo  re  felice  e  caro  mio  parente 
e  biancifiore  gli  fece  sposare 
dinanje  a  tuta  quella  gente 

e  poi  li  fece  vn  richo  donaraento 

1040       (joro  e  de  perle  con  molto  arjento. 

Fioi'io  se  misse  andare  per  mare 
e  ariuo  poi  nella  bella  toschana 
e  torno  in  spagna  e  fesi  batejare 
con  biancifiore  a  la  fede  christiana 
lo'ij  e  a  tuta  sua  ^ente  el  simile  fe  fare 
a  la  sancta  fede  catholica  roraana 
e  di  roraa  fu  electo  imperatore 
e  centi  anni  visse  con  Biancifiore. 

Finito*  e  il  libro  del  fidelissimo  Amore. 
Che  portono  insieme  Fiorio  e  Biancifiore. 

Secreto  solo  e  in  arma  ben  amaistato 
Sia  qualunqua  uole  essere  inamorato. 

Got  gebe  ir  eynen  guten  seligen  morgen. 


disse  non  lo  v.]     B :  si  dixe  io  non  te  v. 
sa  de  le  sette]     B :  che  sa  de  tucte  lartj . 
'"^■^  B:  CoUo  suo  s.  vendj  i  questi  partj. 
"'•''  B :  E  lo  amiraglo  lo  corse  abbracciare. 
"**  B:  Et  fecelo  vestire  inm. 
"^*  B:  Et  dixe  öglolo  Io  te  uoglo  scampare. 
°^  B :  Per  che  el  Re  foelice  e  nostro  p. 
"■■"*  B :  Denantj  ad  t.  q.  bona  g. 
"39  un  r.]     B:*  riebe. 

'  B:  Doi-o  et  de  altre  gioie  piu  de  trenta. 

'  B :   Et  fiorio  se  passe  decqua  dal  mare. 

-  ß :  Alla  soa  casa  iiolse  ritornare. 

'  B :  Et  lo  suo  patre  fece  baptijare. 
""^  B:  Et  la  soa  madre  che  erano  pagano, 
'*''^  B :  Et  tuota  laltra  gente  fece  retornare. 
""•^  e  la  8.  f]     A:  E  a  la  fede  s.,    B:  Alla  fe  catholica  delle  Christiane. 

"  e  di]     B:  Et  poy  de. 

*  cento]     B  :  assaj. 
*  Dieser  Schlufs  steht  weder  in  A,  noch  in  B. 

Berlin.  Emil   Hausknecht. 


Die  deutsche  Lyrik 

in    der   französischen   Übersetzuno-slitteratur. 


Die  nennenswerten  Leistungen  der  Franzosen  auf  dem 
Gebiete  lyrischer  Übersetzungskunst  sind  gar  bald  gezählt  und 
■würden,  was  im  besonderen  unsere  deutsche  Dichtung  betrifft, 
zusammengestellt  kaum  einen  ordentlichen  Band  füllen.  Selbst- 
verständlich  verstehen  wir  unter  Erzeugnissen  der  Übersetzungs- 
kunst nur  in  Gewand  und  Form  dem  Originale  sich  anschmie- 
gende Umdichtungen  der  französischen  Sprache  und  keineswegs 
jene  zwitterhaften  Absude,  die  den  Gedanken,  der  dichterischen 
Form  entkleidet,  in  Prosa  auflösen  und  von  sanglicher  Wirkung 
und  künstlerischer  Formvollendung  keinen  Begriff  mehr  zu 
geben  vermögen.  Jene  Übersetzungen  in  ungebundener  Rede- 
form,  etwas  zahlreicher,  wenn  auch  noch  keineswegs  reichhaltig, 
haben  die  Studierstube  der  Gelehrten  nie  überschritten  und  sind 
selbst  von  den  letzteren  allezeit  wenig  gelesen  worden,  wie  zur 
Genüge  aus  ihrem  äufserst  geringen  buchhändlerischen  Erfolge 

D  DO  O 

hervorgeht.  Diese  Übertragungen  mufsten  in  Frankreich  um  so 
wirkungsloser  bleiben,  je  gröfsere  Ansprüche  das  französische 
Publikum  an  vollendete  Form  zu  stellen  pflegt.  Ist  schon 
von  Haus  aus  der  Franzose  im  Vollgefühle  universeller  Über- 
legenheit wenig  geneigt,  fremdem  Schaffen  und  Dichten  sein 
Augenmerk  zu  leihen,  so  mufs  sein  Vorurteil  gegen  die  aus- 
ländische Litteratur  geradezu  bestärkt  werden  durch  die  Lektüre 
einzelner,  gerade  der  Haupteigenschaft  poetischer  Dichtung  ent- 
behrender Erzeugnisse,  welche  von  vornherein  einen  Vergleich 
mit  seinen  nationalen  Liedern   und  Gedichten  nicht  auszuhalten 

Archiv  f.  u.  Sprachen.  LXXI.  4 


.■>0        Die  deutsche  Lyrik  in  der  franzüsisclicn  Übersefzungslittcratui'. 

vermögen.  Man  stelle  eine  prosaische  Wiedergabe  des  Schön- 
sten, was  unsere  Dichtung  besitzt,  neben  noch  so  mittelmäfsige, 
aber  in  leidlicher  Form  abgef'afste  französische  Leistungen,  so 
wird  man  begreifen,  dafs  die  prosaischen  Übersetzungen  der 
Franzosen  litterarische  Totgeburten  sein  niufsten. 

Warum  aber  befassen  sich  in  Frankreich  nicht  wirklich 
poetisch  begabte  Naturen  mit  rhythmischen  Übersetzungen?  Die 
Frage  ist  nicht  ganz  leicht  zu  beantworten.  Die  geringe  Ver- 
breitung [der  deutschen  Sprache  in  französischen  Landen  hat 
natürlich  zur  Folge,  dafs  wenige  im  stände  sind,  sich  einer  der- 
artigen Aufgabe  zu  unterziehen.  Dann  schreckt  die  Apathie 
des  Publikums  vor  der  Mühe  ab.  Nur  ganz  aufserordentliche 
Verhältnisse  haben  zwei  hochbegabte  Dichter  zu  lyrischen 
Übertragungen  angeregt.  Nikiaus  Martin  verlebte  seine  Jugend- 
zeit in  Bonn;  Sohn  einer  deutschen  Mutter,  der  Schwester 
Simrocks,  hat  er  sich  später  gerne  der  Kinderjahre  erinnert 
und  nicht  nur  in  deutscher  Weise  vielfach  gedichtet,  sondern 
auch  zahlreiche  deutsche  Dichtungen  übertragen.  Volle  zwanzig 
Jahre  später  hat  der  Elsässer  Schure  in  seiner  Geschichte  des 
Liedes  eine  ansehnliche  Zahl  deutscher  Gedichte  in  die  franzö- 
sische Sprache  übertragen.  Schure  war  dazu  als  halber  Deut- 
scher ausnahmsweise  befähigt,  nicht  minder  ungewöhnlich  ist 
seine  Gewandtheit,  die  französische  Sprache  zu  handhaben,  die 
uns  trotz  der  grofsen  Reihe  hervorragender  französischer  Schrift- 
steller  aus  dem  Elsafs  und  Deutsch-Lothringen  staunen  macht. 
Ähnliche  kosmopolitische  Verhältnisse  haben  Marc  Monnier  und 
Alfr.  Michiels  zu  gewandten  Übersetzern  gemacht.  Beide  sind 
aufserhalb  Frankreich,  in  Italien,  geboren,  beide  haben  auf 
Reisen  in  Deutschland  sich  mit  deutschem  Denken  und  Singen 
vertraut  gemacht,  und  wenn  auch  ihr  dichterisches  Talent  einen 
Vergleich  nicht  aushält,  so  müssen  wir  sie  als  poetische  Über- 
setzer hier  nebeneinander  erwähnen.  Michiels,  wenn  wir  nicht 
irren,  vlämischer  Abkunft,  hat  keine  eigenen  Gedichte  veröffent- 
licht, dagegen  gab  er  in  einem  Buche  über  Deutschland  einige 
Proben  deutscher  Lyrik,  die  anstandslos  dem  Besten,  was  die 
französische  Übersetzungekunst  zu  Tage  gefördert,  also  selbst 
den  meisterhaften  Übertragungen  Schures  zur  Seite  gestellt 
werden  können.     Wir  haben  Marc  Monniers    erwähnt.     Dessen 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französiscliPii  Üborsetzungslitteratnr.        51 

Faust-Übersetzung  ist  rühmlichst  bekannt,  als  lyrischer  Über- 
setzer kann  er  indes  den  genannten  nicht  wohl  zur  Seite  ge- 
stellt werden,  da  er  aufser  den  Faust- Liedern  blofs  vier  deutsche 
Lieder  umgedichtet  hat,  die  allerdings  qualitativ  den  gröfseren 
Teil  der  französischen  Ubersetzungslitteratur  aufwiegen.  Sodann 
müssen  wir  noch  Emil  Deschamps'  gedenken,  des  Übersetzers 
des  Liedes  von  der  Glocke  und  Autor  einer  Reihe  anderer 
Nachdichtunojen  deutscher  und  sonstigfer  fremder  Lvrik.  Des- 
champs,  vielleicht  der  talentierteste  von  allen  den  genannten 
Dichtern,  Marc  Monnier  ausgenommen,  hat  jedoch  das  Wesen 
des  deutschen  Liedes  am  wenigsten  von  allen  verstanden.  Er 
hat  nicht  gefühlt,  wie  ein  berühmter  Kritiker  mit  Recht  bemerkt 
hat,  dafs  der  französische  Übersetzer  deutscher  Dichtung  vor 
allem  dem  rhetorischen  Wesen  der  französischen  Poesie  ent- 
gegenarbeiten müsse,  und  wenn  einzelne  seiner  Leistungen 
glücklich  gelungen  sind,  so  werden  diese  nur  allzu  sehr  auf- 
gewogen durch  eine  Reihe  von  —  wir  können  einen  treffen- 
deren  Ausdruck  nicht  finden  —  Verhunzungen  deutscher  Origi- 
nale. Dieser  letztere  Tadel  trifft  auch  Henri  de  Latouche, 
dessen  Bearbeitung  des  Erlkönigs  schon  Börne  gegeifselt  hat. 
Besser  hat  Xavier  Marmier  sich  in  deutsches  Sein  und  Dichten 
einzuleben  gewufst,  und  alle  seine  originalen  Schöpfungen  tragen 
ein  unverkennbares  germanisches  Gepräge;  vielleicht  etwas  ver- 
weichlicht im  sentimentalen  Empfindsamkeitsdusel,  nimmt  er  in 
der  französischen  Nationallitteratur  zwar  keine  sehr  hervor- 
ragende Stelle  ein,  trotz  seiner  Akademiker-Würde,  und  seine 
zahlreichen  Übersetzungen  deutscher  Klassiker  gehören  ins- 
gesamt der  färb-  und  kernlosen  prosaischen  Zersetzungsmanier 
an,  aber  in  seinen  beiden  Gedichtsammlungen,  welche  ihrer 
P^rscheinungszeit  nach  ein  Vierteljahrhundert  auseinander  liegen,* 
sind  einzelne  wenige  Übersetzungen  in  Vers  und  Reim  aus  dem 
Deutschen  enthalten,  die  wir  nicht  übergehen  dürfen. 

Damit  ist  die  Liste  französischer  Übersetzungsdichter  deut- 
scher Originale  schon  erschöpft.     Was    wir    von    anderen    noch 

*  Po^sies  d'un  voyageur.  1844.  —  Derni^res  glanes.  O.  D.  (1869).  Die 
letzteren  wurden  bloCs  in  hundert  Exemplaren  gedruckt  und  scheinen  blol's 
für  den  engeren  Freundeskreis  bestimmt  zu  sein.  Im  Buchhandel  sind  sie 
nicht  zu  haben. 


52         Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersetzungslittcratur. 

anzufiiliren  haben  werden,  ist  eo  wenig,  so  vereinzelt  und  zer- 
streut, dal's  wir  sie  nicht  als  Übersötzer  qualifizieren  können. 

Die  Kürze  dieser  Namenliste  läfst  vorausahnen,  dafs  das 
Verzeichnis  deutscher  Dichter,  welchen  die  seltene  Gunst  zu 
teil  ward,  ins  Französische  übertragen  zu  werden,  nicht  viel 
reichhaltiger  ausfallen  wird.  In  der  That  sind  die  Namen  dieser 
Glücklichen  bald  gezählt. 

In  mehrfachen  Leistungen  vertreten  sind  aufser  dem  eigent- 
lichen Volksliede  blofs  Goethe,  Schiller  und  Uhland;  Körner, 
Chamisso,  Platen,  Lenau,  Heine,  Simrock,  Anast.  Grün,  Freilig- 
rath,  Geibel,  Hebel  und  wenige  andere  bilden  den  Schlufs.  Auf 
den  ersten  Blick  möchte  es  scheinen,  dafs  gerade  Schillers 
Pathos  die  Franzosen  hätte  anregen  sollen.  Goethe  und  Uhland 
sind  so  urdeutsch,  dafs  man  fürchten  möchte,  Frankreich  hätte 
für  sie  am  wenigsten  Verständnis.  Ein  oberflächlicher  Blick  auf 
die  französische  Übersetzungslittcratur  belehrt  eines  anderen. 
Abgesehen  von  wenigen  gänzlich  mifslungenen  dramatischen  Nach- 
ahmungen Schillers  ist  dieser  vielleicht  derjenige  grofse  deutsche 
Dichter,  welcher  im  französischen  Publikum  am  wenigsten  Wür- 
difjunor  gefunden  hat.  Man  führt  wohl  seinen  Namen  im  Munde, 
wie  man  den  Klopstocks  oder  Miltons  nennt,  man  stellt  seine 
Werke  in  den  Bücherschrank  neben  die  Messiade  und  das  Ver- 
lorene Paradies,  aber  man  liest  sie  nicht.  Besser  ergeht  es  Goethe, 
dessen  tief  menschliche  Seite  von  den  Bewunderern  Victor  Hugos 
in  hohem  Mafse  gewürdigt  wird.  Goethes  Genie  wird  in  seiner 
Vielseitigkeit  von  den  Franzosen  besser  erfafst  als  der  dithyram- 
bische Idealismus  Schillers.  Faust  und  Werther  haben  ihn  derart 
populär  gemacht,  dafs  das  Interesse  der  Gebildeten  auch  für  seine 
übrigen  Schöpfungen  begreiflich  wird.  Goethe  ist  der  einzige 
deutsche  Dichter,  mit  dem  sich  die  französische  Kritik  eingehender 
befafst,  der  einzige,  dem  sie  eine  ganze  Reihe  zum  Teil  höchst 
bemerkenswerter  litterarischer  Erzeugnisse  gewidmet  hat.  Wenn 
er  im  allgemeinen  die  Aufmerksamkeit  der  Franzosen  bleibend 
zu  fesseln  vermocht  hat,  so  kann  das  jedoch  nicht  im  selben 
Mafse  von  seiner  besonderen  Stellung  als  Lyriker  gesagt  werden. 
Da  ist  Uhland  viel  besser  bekannt,  und  von  keinem  deutschen 
Dichter  sind  so  viele  Gedichte  übersetzt  worden  als  gerade  von 
dem  schwäbischen  Sänger. 


Die  deutsche  Ljrik  in  der  f'ranzösischeu  Übersetzungslitteratur.         53 

I. 

Uhland. 

In  Deutschland  dürfte  man  sich  Uhland  nicht  leicht  in 
französischem  Gewände  vorstellen.  Seine  schlichte,  tief  gemüt- 
liche Sangesweise  kontrastiert  doch  gar  zu  sehr  mit  dem  prunk- 
vollen Hofstaat  der  welschen  Dichtart,  und  die  wuchtige  Sprache 
der  germanischen  Ballade  scheint  unverträglich  mit  dem  zier- 
lichen Idiom  der  Chanson.  Gewifs  wird  der  deutsche  Leser 
seine  Lieben  in  der  fremden  Tracht  nicht  immer  gleich  wieder 
erkennen,  aber  die  Übertragungen  sind  schliefslich  nicht  für 
Deutsche  gedichtet,  die  kein  unbefangenes  Urteil  haben  können, 
weil  die  Nachdichtung  ihnen  immer  fremd  scheinen  wird.  Sie 
werden  ängstlich  jeden  Ausdruck  vergleichen  und  abwägen, 
jede  Abweichung  wird  ihnen  wie  eine  Versündigung  erscheinen 
am  Original,  und  über  der  Musterung  des  einzelnen  wird  ihnen 
nur  allzu  leicht  die  Geeamtwirkung  aus  den  Augen  schwinden. 
Sie  vergessen  dabei,  dafs  die  Fremden  von  den  deutschen  Über- 
setzungen ausländischer  Litteratur  denselben  Eindruck  erhalten 
könnten.  Um  aber  gerade  die  ängstliche  Silbenrechnerei  zu 
vermeiden,  haben  wir  der  Wiedergabe  der  Übersetzungsproben 
die  Originale  nicht  zur  Seite  gestellt.  Freilich  sind  die  meisten 
der  angeführten  Gedichte  so  allgemein  bekannt,  dafs  dies  über- 
flüssiof  gewesen  wäre,  und  der  Leser  wird  nichtsdestoweniger 
Zeile  um  Zeile  zu  vergleichen  unwillkürlich  sich  versucht  fühlen. 
Es  mag  ihm  deshalb  einige  Überwindung  kosten,  sich  auf  den 
Standpunkt  des  Franzosen  zu  stellen,  von  dem  aus  allein  diese 
Nachdichtungen  beurteilt  sein  wollen. 

In  Frankreich  hat  das  Lied  wenigstens  in  den  bürgerlichen 
Kreisen  und  in  den  Städten  der  nationalen  Chanson  weichen 
müssen.  Aufser  von  selten  der  Philologen  ist  das  Volkslied 
vom  bücherlesenden  Publikum  vergessen,  und  nur  ganz  verein- 
zelt begegnen  wir  dichterischen  Schöpfungen,  welche  durch  die 
alten  Weisen  des  Volkes  angeregt  worden  wären.  Die  Ro- 
mantiker haben  zwar  einen  Anlauf  gemacht,  das  einfache  trau- 
liche Lied  wieder  aufzubringen,  und  die  Gedichtsammlungen  der 
modernen  Dichter  seit  Victor  Hugo  weisen  eine  Reihe  duftiger 
und  lieblicher  Liedertexte  auf,  aber  im  allgemeinen  ist  die  fran- 


il         Die  dciit.sclie  Lyiik  in  dur  riiiiizüjisch(.'ii  t'bcrsLlzungslhteratur. 

züsisclie  Dichtung-  geblieben,  was  sie  seit  dreihundert  Jahren 
ist :  Kunstdiclitung,  welche  auf  die  Bedürfnisse  des  Volkes  keine 
Ivücksicht  nimmt  und  keine  Anregung  aus  ihm  schöpft.  Die 
Form  blieb  nach  wie  vor  die  Kunstforra,  der  Inhalt  behielt  die- 
selbe dithyrambische,  deklamatorische,  philosophierende  Rich- 
tung. So  volkstümlich  selbst  der  Alexandriner  als  episches 
Maf's  gelten  mag,  so  ist  er  gewifs  zu  breit  und  weitschweifig 
für  das  allgemein  sangbare  Lied,  und  doch  ist  er  noch  immer 
das  bevorzugte  Mafs  aller  französischen  Dichtungsarten.  Kommt 
er  in  der  Ballade  und  der  Epopöe  der  Nibelungenstrophe  nahe, 
eo  wirkt  er  schleppend  im  einfachen  Liede.  Xavier  Marmier 
hat  den  Fehler  begangen,  selbst  ganz  schlichte  Motive,  wie 
das  JAed  vom  guten  Kameraden  in  dieses  weite  Gewand  zu 
kleiden.     ISIan  höre  nur: 

J'avais  im  caniarade  ardent  brave  et  fidele, 
Sans  egal  au  bivouae,  comme  dans  les  combats. 
La  troinpelte  a  sonnö,  le  tanibonr  nous  appclle, 
Nous  niarchons  h  la  fois  tous  deux  du  menie  pas. 

Nous  entendons  siffler  la  balle  nieurtrierc; 
A  qui  s'adresse-t-elle  ?     Est-ce  a  nous?  est-ce  a  toi? 
Helas!  eile  a  frappe  mon  compagnon,  nion  fröre, 
Qui  s'affaiblit,  chancele  et  tombe  devant  moi. 

II  veut  sener  la  main  et  je  la  lui  prcsente; 
Mais  fälble,  helas  !  il  tente  en  vain  de  la  tenir. 
Adieu  donc!  me  dit-il  d'une  voix  defaillante; 
Reste  mon  compagnon  dans  la  vie  ä  venir! 

Abgesehen  von  der  ungerechtfertigten  Änderung  des  Sinnes 
der  Schlufsstrophe  vermiftt  man  in  dieser  Übersetzung  den 
frischen  kriegslustigen  Ton,  der  aus  dem  Liede  wie  Schlacht- 
getrommel  schallt,  das  Ganze  sinkt  von  der  Höhe  eines  wir- 
kungsvollen Marsches  zum  sentimentalen  Genrebilde  herab.  Der 
Übersetzer  sollte  nicht  mehr  bieten  wollen  als  das  Original, 
denn  oewöhnlich  verlieren  beide  dabei.  Es  gilt  das  sowohl 
vom  Inhalt  als  von  der  Form,  und  die  Übersetzung  einer  ein- 
fachen prunklosen  Weise  soll  nicht  nach  Reichtum  an  Reim 
und  künstlerischer  Form  jagen. 

In  geradezu  meisterhafter  Weise  haben  Schure  und  Monnier, 
der  erstere  den  Hirtenknaben,  dieser  die  Einkehr  wiedergegeben, 


Die  dcülscliu  Lyrik  iu  der  i'ranzö^ischen  Übersei zimgslitteiatur.         55 

zwei  Lieder,  die  auf  den  ei'sten  Blick  fast  unübersetzbar  scheinen 
könnten,  wenn  es  überhaupt  in  der  Dichtung  etwas  Unüber- 
setzbares gäbe. 

Le   fils   de   la  montagne. 

Je  suis  le  pätre,  enfant  des  monts! 
A  mes  pieds  les  plus  fiers  donjons; 
Je  vois  du  jour  le  premier  feu, 
Je  re(jois  son  dernier  adieu ; 
Je  suis  le  fils  de  la  montagne. 

Au  berceau  du  torrent  d'azur, 
Dans  le  roc  je  bois  son  flot  pur. 
II  s'elance  et  mugit  plus  bas, 
Je  cours  le  saisir  dans  nies  bras; 
Je  suis  le  fils  de  la  montagne. 

Ma  maison  forte  est  ce  rocher. 
L'orage  ne  peut  l'arracher, 
Qu'il  hurle  du  nord  au  midi, 
Plus  haut  ma  chanson  retentit; 
Je  suis  le  fils  de  la  montagne. 

Gronde  a  mes  pieds,  nuage  en  feu ! 
Je  suis  debout  dans  le  ciel  bleu. 
Silfle  ouragan !  je  te  connais, 
Passe  et  laisse  mon  tröne  en  paix ; 
Je  suis  le  fils  de  la  montagne. 

Quand  pour  la  guerre  le  tocsin 
^levera  son  cri  d'airain, 
Lä-bas,  je  serai  dans  mon  rang 
Pour  brandir  mon  glaive  en  chantant: 
Je  suis  le  fils  de  la  montagne! 

Liefse    sich    eine    ungezwungenere    und    den  ganzen    hin- 

rei (senden    Ton     des    Originals     besser     treffende  Umdicht uug 

denken,  die  sicii  zugleich  enger  an  das  Vorbild  anschmiegen 
würde?     Und  nun  das  andere: 

L'Höte. 

L'höte  chez  qui  je  m'endormis 
Etait  un  galant  homme: 
Sur  une  perche  il  avait  mis 
Pour  enseigne  une  pommo. 

C'est  le  bon  poinmier  dont  l'abri 
M'accueillit  k  la  brume: 


jf)         iJic  deutscLc  J>}rik  in  der  franzosisclien  libcl^•ct7AIngsli(te1atu^. 

D'un  doux  repas  il  m'a  nourri 
Et  d'une  fraiche  ecume. 

Dans  son  palais  tout  verdoyant 
Une  foule  empluraee, 
Sautant  ä  l'aise  et  festoyant, 
Chanta  sous  la  ramee. 

J'eus  un  bon  lit  bien  doux  et  vert 
Aussitöt  qu'il  fit  sombre; 
Fraichement  fhöte  m'a  couvert 
Lui-nierne  avec  son  ombre. 

Au  depart :  que  vous  dois-je?  —  Rien, 
Dit-il  branlant  la  tete. 
Beni  soit  Thöte  qui  si  bien 
M'a  fait  accueil  et  fete. 

Nach  diesen  beiden  Proben  bedarf  es  wohl  des  Beweises 
nicht  mehr,  dafs  selbst  die  deutschesten  aller  deutschen  Lieder 
Gehalt  und  Effekt  unbeschadet  in  romanisches  Kleid  gebracht 
werden  können.  Freilich  bedarf  es  dazu  Dichter  ersten  Ranges, 
da  es  nicht  allein  gilt,  der  Sprache  ungewohnte  Bilder,  Ge- 
danken und  Empfindungen  anzuvertrauen,  sondern  ihrem  eigenen 
rhetorischen  Flusse  zu  widerstehen.  Marmier  hat  sich  an 
jenes  andere  Uhlandsche  Gedicht  gewagt,  das  Volksgut  ge- 
worden ist,  der  Wirtin  Töchterlein.  Auch  da  hat  er  wieder 
dem  Geist  des  Liedes  gerade  zuwider  den  Alexandriner  zur 
Versform  gewählt  und  einzelne  Stellen  wie  die  dritte  Strophe 
sind  derart  platt  ausgefallen,  dafs  sie  die  Wirkung  des  Ganzen 
noch  mehr  verderben.     Nichtsdestoweniger  ist  es  lesbar. 

La  fille  de  l'aubergiste. 

Trois  voyageurs  errant  le  long  des  bords  du  RLin, 
Sur  le  seuil  d'un  hötel  s'arretent  en  cheniin. 

Ici,  la  biere  est  fraiche  et  le  bon  vin  petille; 
Mais  notre  hötesse,  oü  donc  est  votre  jeune  fille  ? 

Ma  biere  est  bien  choisie  et  raes  vins  sont  connues ;  (!) 
Quant  ä  ma  jeune  fille,  helas!  eile  n'est  plus.  (!) 

Les  voyageurs  alors  s'en  vont  chercher  dans  l'ombre, 
Et  decouvrent  la  morte  avec  son  volle  sombre. 

L'un  d'eux  lui  degageant  la  tete  du  linceul 

Et  sur  eile  arretant  un  triste  et  long  coup  d'ceil : 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersetzungslittcratur.         57 

Que  ne  puis-je,  dit-il,  rauimer  ce  corps  blenie, 
Enfant,  et  je  voudrais  t'ainier  a  i'instant  meme. 

Le  second  repla^a  ce  voile  de  douleiirs 

Et  s'en  alla  dehors  les  yeux  baignes  de  pleurs. 

Ah!  cria-t-il,  pourquoi  quittes-tu  cette  terre  ? 
Combien  voilä  deja  de  temps  que  tu  m'es  cherc! 

L'autre  la  decouvrant  pour  la  voir  reposer, 
Et  sur  sa  bouche  pale  imprimant  un  baiser: 

Je  t'aimais,  lui  dit-i],  je  te  restais  fidele, 

Et  je  t'aime,  k  present,  pour  la  vie  eternelle. 

Geschmackloser  liefsen  sich  die  Strophen  drei  und  acht 
nicht  leicht  wiedergeben.  Besser  als  Marmier,  von  dem  wir 
übrigens  noch  bessere  Leistungen  kennen  lernen  werden,  ver- 
stand es  Martin,  der  Neffe  Simrocks,  Uhland  in  seiner  ganzen 
Frische  und  Anmut  zu  übertragen,  wiewohl  ihm  nicht  alles  in 
derselben  Weise  glückte.  Schade,  dafs  er  sich  in  den  beiden 
Strophen  vom  Schmied  nicht  treuer  an  den   Sinn  des  Originals 

hielt: 

Ich  hör  meinen  Schatz, 
Den  Hammer  er  schwinget, 
Das  rauschet,  das  klinget, 
Das  dringt  in  die  Weite 
Wie  Glockengeläute 
Durch  Gassen  und  Platz. 

Am  schwarzen  Kamin 
Da  sitzet  mein  Lieber, 
Doch  geh  ich  vorüber. 
Die  Balge  dann  sausen, 
Die  Flammen  aufbrausen 
Und  lodern  um  ihn. 

Martin  übersetzt: 

Le   forgeron. 

Droit  pres  de  l'enclume 
II  mouille,  il  allume 
Le  charbon  qui  furae 
Au  vent  du  soufflet. 

II  pense  ä  sa  belle  .  .  . 
L'ardente  etincelle 
Rient(5t  lui  rappelle 
Que  le  fer  est  pret. 


1)8         Die  ileiitschc  Lyrik  in  der  lr;inzüsisclicn  Übcrsctzungülitteratur. 

Soll  oeil  iioir  scintille, 
Car  le  metal  brillc, 
Rugit  et  petille 
Hors  du  feil  qui  liiit. 

Son  loiird  marteau  broie 
La  barre  qui  ploie; 
L'etincelle  ondoie 
Rouge  autonr  de  lui. 

Das  Ständchen  der  Sterbeklänge  hat  zu  gleicher  Zeit  Älartin 
und  Marinier  angeregt.  Der  letztere  hat  diesmal  den  franzö- 
sischen Hexameter  nicht  angewandt,  beide  suchten  sich  dem 
Versmafs  des  Originals  zu  nähern  und  wir  sind  in  Verlegen- 
heit, zwischen  beiden  zu  wählen.  Wir  lassen  sie  daher  beide 
Iblgen,  bemerken  indes  noch,  dafs,  wenn  einer  der  Übersetzer 
Kenntnis  von  der  Nachdichtung  des  anderen  hatte,  dies  Marmier 
sein  müfste,  dessen  Poesies  d'un  voyageur,  denen  wir  die  Über- 
tragung entnehmen,  1844  erschienen  sind,  während  die  Wieder- 
gabe Martins  schon  1837  in  einer  Gedichtsammlung  unter  dem 
schwerfälligen  Titel  „Fragmente  aus  dem  Buche  der  Harmonien 
der  Familie  und  der  Menschheit"  in  Lille  erschienen  ist.  Es 
möoe  daher  der  Entstehunsfszeit  nach  die  Übersetzunsj  Martins 

O  O  O 

vorausgehen : 

L'en  fallt  mourant. 

0  inere,  ecoute  ces  accords : 
Qu'ils  sont  doux  au  coeur,  a  l'oreille, 
Qu'ils  sont  doux,  ö  niere  ...  et  tu  dors ! 
Moi,  cctte  musique  m'cveille. 

J'ecoute  .  .  .  ecoute  et  n'entends  rien. 
Oh,  dors,  mon  pauvre  enfant  malade; 
Dors :  le  repos  te  fera  bien ; 
Dors:  ce  n'est  pas  la  Serenade. 

Non,  ce  chant  qui  me  rejouit 
Ne  vient  pas  d'une  voix  mortelle, 
C'est  un  choeur  d'anges  qui  m'appelle, 
Adieu,  nia  niere,  bonne  nuit. 

Rejouit  :  nuit  läfst  allerdings  als  Reim  zu  wünschen  übrig. 
Marmiers  Übersetzung  lautet: 

L  e   s  0  m  m  e  i  1. 
Quels  doux  chants,  quelle  voix  legere 
Soudain  m'cmpechent  de  dormir, 


Die  dcutsclic  Lyrik  in  der  iVanzot-isclieu  Übersetzungslitteratur  59 

Ecoute,  regarcle,  uiu  niere, 

Qui  donc  si  tard  peiit  nous  venir? 

Je  ne  puis  rien  voir,  rien  entendre, 
Oh,  par  pitie,  repose-toi. 
Helas!  qui  poiirn'ons-nous  attendre? 
Mon  pauvre  enfant,  dors  pres  de  moi. 

Ce  n'est  pas  une  voix  mortelle 
Dont  j'ai  cru  distinguer  le  bruit, 
C'est  Tange  des  cieux  qui  m'appellc, 
Adieu,  ma  inere,  bonne  nuit. 

Marmlers  tief  tVouimer  und  etwas  sentimental  angelegter 
Natur  gelingt  in  der  That  der  weiche  schmerzliche  Ton  besser 
als  das  frische  kecke  Lied.  Man  urteile  nach  dem  folgenden 
(es  sind  wieder  Alexandriner!): 

Le  vallon   du  repos. 
Lorsqu'aux  rayons  du  soir,  au-dessus  des  colcaux, 
Je  regarde  ä  travers  les  Celestes  campagnes, 
Les  nuages  pareils  a  de  hautes  niontagnes, 
Oh !  je  me  dis,  songeant  alors  ä  tous  mes  niaux, 
Est-ce  la  qu'est  pour  moi  le  vallon  du  repos? 

Jenes  unvergängliche  fromme  Sonntagslied:  Das  ist  der 
Tag  des  Herrn!  niufste  Marmier  ansprechen,  und  wirklich  hat 
er  eine  Nachahmung  desselben  (wieder  in  Alexandrinern)  ge- 
liefert, die  zu  seinen  besten  Leistungen  gehört.  Trotz  der  un- 
geschickt gewählten  Versform  ziehen  wir  diese  seine  Über- 
setzung der  Schures  vor,  obwohl  diese  letztere  dem  Metrum 
des  Originals  angepafst  ist. 

L  e  D  i  m  a  n  c  h  e  du  B  e  r  g  e  r. 

C'est  le  jour  du  seigneur.    La  cloche  dans  les  airs 

Chante  l'hymne  d'amour  et  l'hymne  d'esperance. 

Puis  ä  ces  sons  pieux  succede  un  long  silence. 

L'eglise  est  toute  pleine  et  les  champs  sont  deseits. 

Aupres  de  mon  troupeau  dans  la  vaste  prairie, 
Je  me  raets  ä  genoux,  et  je  prie  avec  foi. 
Dans  le  monde  bien  loin,  ainsi  qu'autour  de  moi, 
En  ce  meme  moment  tout  se  reoueille  et  prie. 

Quel  calme  dans  ces  lieux!  quelle  paix  en  mon  cccur! 
L'horizon  est  si  pur  et  la  terre  est  si  belle ! 
On  dirait  ä  cctte  heure  auguste  et  solennclle, 
Que  le  ciel  va  s'ouvrir.     C'est  le  jour  du  seigneur. 


CO        nie  ili'utscbc  Lyrik  in  der  französischen  ÜbersetzungsHtteratur. 

Schure  giebf  dieses  Lied  in  folgender  Weise  >Yieder: 
Chant  de  Dimanche  du  Berger. 
C'est  le  jonr  du  seigneur! 
Restons  sur  la  prairie  immense, 
Un  son  de  cloche  —  puis  silence  — 
Au  loin  paix  et  bonheur. 

Je  m'agenouille,  ö  roi !   (sie) 
Terreurs  suaves,  indicibles, 
Des  milliers  d'ämes  invisibles 

Prient  tont  autour  de  moi. 

Ciel  pur,  ciel  de  splendeur! 
II  semble  en  son  profond  mystere 
Qu'il  va  s'ouvrir  a  ma  priere  .  .  . 

C'est  le  jour  du  seigneur! 

Leichter  wird  die  Aufgabe  des  französischen  Übersetzers, 
wenn  das  Original  in  romanischem  Kleide  auftritt.  Selbst  die 
komplizierte  Form  des  Sonetts  scheint  den  Übersetzer  über  die 
Schwierigkeiten  hinwegzuführen,  welche  in  der  kürzeren  Strophe 
sich  fühlbar  machen.  Martin  hat  eine  ganze  Reihe  von  Uhland- 
schen  Sonetten  übertragen,  sogar  jenes  an  den  Altmeister  Goethe, 
das  da  beginnt: 

Der  du  noch  jüngst  von  deinem  krit'schen  Stuhle 
Uns  arme  Sonettisten  abgehudelt, 
Der  du  von  Gift  und  Galle  recht  gesprudelt 
Und  uns  verflucht  zum  tiefsten  Höllenpfuhle  etc. 

Sie  sind  ihm  nicht  alle  gleich  gelungen,  wie  der  Leser 
aus  den  folgenden  vier  Proben  ersehen  mag: 

La  conversion  au  sonnet. 
Toi  qu'on  vit  recemment  de  ton  fauteuil  critique 
Sur  nos  pauvres  sonnets  deverser  ä  longs  flots 
—  Raffinement  cruel  —  le  sei  de  ces  bons  mots 
Qui  penetrant  au  vif  par  leur  mordant  attique ; 

O  blanc  cygne,  venu  du  pur  olympe  antique ! 
Pourquoi  sur  ton  vermine,  autrefois  sans  defauts, 
Cette  täche  aujourd'hui  de  nos  boui'beuses  eaux? 
Te  serais-tu  souille  d'un  sonnet  roraantique? 

As-tu  donc  oublie  tant  de  derisions  ? 

Et  du  vieux  raaitre  Voss  les  declamations 

CJu'envenimaient  Tinjure  et  les  cris  d'anatheme? 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Cbersetzungslitteratur.        61 

Ah !  tu  me  fais  penser  au  preceptenr  grondant, 
Pour  des  fruits  derobes,  son  eleve  imprudent, 
Et  qui  s'eloigne  apres  pour  les  iiianger  lui-meme. 

Unser  Leser  wird  vielleicht  finden,  derlei  Gelegenheits- 
gedichte seien  der  Übersetzung  nicht  würdig,  solange  so  viel 
Schönes  und  Grofses  von  unserem  poetischen  Hausschatze  noch 
der  Übertragung  harrt.  —  Im  Sonette  „Die  zwo  Jungfrauen" 
hat  Martin  sich  eine  kleine  Abweichung  erlaubt,  w'elche  die 
Pointe  des  Gedichtes  in  störendem  Mafse  abschwächt. 
Les   deux  jeunes    vierges. 

Deux  jeunes  vierges  sont  la-haut  sur  la  colline, 

Pareilles  par  la  gräce  et  la  freie  beaute ; 

Leurs  yeux  plongent  en  bas  vers  le  lac  argente, 

Leur  col  parait  un  col  de  cygne  qui  s'incline.  (!) 

Puis  l'une  etend  sa  main  blanche  sur  la  cavine. 
Pour  indiquer  au  lein  le  torrent  irrite ; 
L'autre  arrondit,  un  bras  sur  son  front  veloute, 
Pour  soutenir  l'eclat  du  soleil  qui  decline. 

Jugez,  si  dans  mon  sein  dut  eclore  un  desir! 
Aussi  mon  coeur  emlt  ce  voeu  par  un  soupir: 
Oh!  si  j'etais  assis  sur  la  raontagne  entre  elles! 

Mais  contemplant  encor  le  couple  harraonieux, 
Cet  autre  cri  sortit  de  mon  cceur  envieux: 
Non,  ce  serait  un  crime,  elles  sont  lä  si  belies ! 

Der  Hals,  der  sich  beugt  wie  ein  Schwanenhals,  ist  nicht 
gerade  ein  angenehm  berührendes  Bild  weiblicher  Schönheit.  — 
Jugez  klingt  hier  prosaisch  und  nüchtern.  —  Der  Eindruck  des 
Schlusses  ist  schlecht  und  das  Ganze  hält  einen  Vergleich  mit 
dem  Originale  nicht  aus.  Glücklicherweise  entschädigen  die 
beiden  Übersetzungen  le  Bois  (der  Wald)  und  le  Bouquet  (der 
ßlumenstraufs)  für  die  mitgeteilten. 

Le   Bois. 
Ce  qui  parfois  calma  mon  esprit  et  mon  coeur, 
La  verdure  au  printemps,  la  rosee  ä  l'aurore, 
Un  reve  cette  nuit  vint  me  le  rendre  encore, 
Car  j'errais  dans  un  bois  embaume  de  fraicheur. 
Et  vous  dont  m'enivra  souvent  la  douce  odeur, 
Boutons  mi-clos,  j'ai  cru  vous  respirer  encore 
—  Plus  doux,  car  au  sentier  soudain  je  vis  eclore 
Chasseresse  legere  et  de  ce  bois  la  fleur. 


C>-2        Die  elciitsclic  Lyrik-  in  der  französischon  Übersetzungslitteratur. 

Elle  i'iiit  —  suppliant  je  poiirsuis  la  rebelle: 
Doja  je  tends  los  bras,  et  je  vais  la  touchcr  .  .  . 
Lorsque  s'evanouit  mon  bean  reve  infidele. 

Pas  meme  en  songe,  helas !  ne  puis-je  t'approclier, 
Bonheur?  Non  seulement  a  disparu  la  belle, 
Mais  le  bois  oü  mes  pas  auraient  pu  la  cbercher. 

L  e   B  0  u  q  u  e  t. 
Puisque  l'herbe  et  les  fleurs  parlent  mienx  que  les  niots, 
Puisqu'un  aveu  d'amoiir  s'exhale  de  la  rose, 
Que  le  Vergiss-mein-nicht  de  Souvenir  s'arrose, 
Que  le  laurier  dit :  gloire,  et  le  cypres:  sanglots; 

Si  pour  le  coeur  epris  de  symboles  nouveaux, 
Un  sens  naif  encor  sur  les  couleurs  se  pose, 
Si  l'envie  ou  l'orgueil  dans  le  jaune  repose, 
Et  si  l'espoir  voltige  entre  les  verts  rameaux ; 

J'ai  bien  fait  de  cueilllr  les  fleurs  de  toute  sorte 

Et  de  toute  couleur  que  tremblant  je  t'apporte 

Dans  ce  bouquet  sans  art  d'oü  plus  d'un  parfum  sorf; 

Car  ä  toi  j'ai  voue  ma  joie  et  ma  soutfrance, 
Mon  amour  envieux,  ma  foi,  mon  esperance, 
A  toi  ma  gloire,  a  toi  ma  vie,  a  toi  ma  mort ! 

Diese  zwei  Sonette  gehören  zu  jenen  Nachdichtungen,  an 
denen  man  die  edle  Sprache,  den  poetischen  Hauch,  den  Geist 
und  die  Treue  nach  dem  Orio^inale  in  gleichem  Mafse  bewun- 
dern  mufs.  —  Auch  die  Sinno^edichte  Uhlands  haben  unsere 
Übersetzer  angeregt. 

Wandrer,  es  ziemet  dir  wohl  in  der  Burg  Ruinen  zu  schlummern. 
Träumend  baust  du  vielleicht  herrlich  sie  wieder  dir  auf. 

Voyageur  endors-toi  sous  ces  debris  des  temps 

Dont  l'antique  splendeur  dore  encor  la  memoire: 

Peut-etre  qu'a  leurs  pieds  des  reves  eclatants 

Te  les  reconstruiront  dans  leur  premiere  gloire.       (Martin.) 

Blicke  zum  Himmel,  mein  Kind,  dort  wohnt  dir  ein  seliger  Bruder, 
Weil  er  mich  nimmer  betrübt,  führten  die  Engel  ihn  hin. 
Dafs  kein  Engel  mich  je  von  der  liebenden  Brust  dir  entführe, 
Mutter,  so  sage  du  mir,  wie  ich  betrüben  dich  kann. 

Si  les  anges  au  ciel  ont  enleve  ton  frere, 

C'est  qu'il  n'avait  jamais  fait  de  peine  ä  sa  raere. 

De  crainte  que  Tun  d'eux  ne  vienne  m'emporter, 

Mere,  apprends-moi,  comment  je  puis  te  tourmenter.   (Michiels.) 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  i'bersetzungslitteratur.         G?> 

Wir  haben  schon  im  Liede  von  der  Wirtin  Töchterlein 
die  Baliade  gestreift.  Allezeit  haben  die  Franzosen  in  der 
deutschen  Dichtung  die  Ballade  bewundert,  und  ihre  Dichter 
haben  darin  nicht  nur  Anregung  zu  Übertragungen,  sondern 
noch  weit  öfter  zu  selbständiger  Behandlung;  von  Balladenstoffen 
in  deutscher  Manier  gefunden.  Der  heute  wenig  mehr  gelesene 
Crosnard  hat  in  seiner  Ballade  L'orage  du  Nord  so  recht  den 
deutschen  Ton  getroffen.  Deschamps  und  de  Latouche  dagegen 
haben  dieselbe  derart  manieriert  und  verfranzöselt,  dafs  der 
ganze  Reiz  der  Originale  verschwunden  ist.  Von  Uhland 
haben  die  Balladen:  Des  Goldschmieds  Töchterlein,  Des  Sängers 
Fluch,  Die  Vätergruft,  Die  Nonne,  Die  iMähderin  u.  a.  teilweise 
meisterhafte  Interpretation  gefunden.  Michiels  schlägt  in  „La 
fille  du  bijoutier"  einen  glücklichen  Ton  an,  wenn  er  dichtet : 

Le  bijoutier  parlait  ä  sa  fille  cherie. 

Ils  etaient  seuls,  pres  d'eux  rayonnaient  cent  joyaux: 

Helene,  lui  dit-il,  ces  diamants  sont  beaux, 

Mais  aucun  ne  t'egale  ö  perle  qu'on  m'envie! 

ün  Chevalier  entra :  Bonjour  !  eher  bijoutier, 
Bonjour,  charmante  enfant  que  la  gräce  environne, 
Je  voudrais  qu'on  nie  fit  une  riebe  couronne, 
Une  couronne  d'or.    Je  vais  nie  niarier. 

Lorsque  digne  d'un  roi  la  commande  fut  prete, 
Helene,  tonte  pale  et  des  pleurs  dans  les  yeux, 
Suspendant  ä  son  bras  I'ornement  precieux, 
Disait  en  inclinant  sa  gracieuse  tele: 

Heureuse  mille  fois  celle  qui  doit  porter 
Ce  diademe  au  front  le  jour  de  l'hymenee! 
Si  de  fleurs  seulement  tu  m'avais  couronnee, 
Quelle  serait  ma  joie,  ö  mon  beau  Chevalier! 

Le  Chevalier  revint,  admira  la  couronne: 
Je  voudrais  maintenant  que  mon  eher  bijoutier 
Me  fit  un  riebe  anneau.     Je  vais  me  marier. 
Adieu,  charmante  enfant,  le  bonheur  t'environne. 

Digne  d'un  roi  puissant  quand  la  bague  fut  prete, 
Helene,  toute  pale  et  des  pleurs  dans  les  yeux, 
Y  passant  ä  moitie  son  doigt  capricieux, 
Disait  en  inclinant  sa  gracieuse  tete: 

Heureuse  mille  fois  celle  qui  doit  porter 
Ce  present  de  l'amour  durant  son  hymenee! 


Gl        Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersetzungslitteratur. 

Un  seiil  de  tcs  cheveux,  moi,  pauvre  abandonnee, 
M'eAt  fait  niourir  de  joie,  6  mon  beau  Chevalier ! 

Le  Chevalier  revint:  la  main  d'oeuvre  est  parfaite, 
Et  la  topaze  aiissi,  dit-il  au  bijoutier. 
Gräce  a  toi,  maintenant,  je  puis  ine  marier. 
Si  tu  me  veux  du  bien,  tu  seras  de  la  fete. 

Mais  pour  mieux  voir  l'effet  que  ce  don  produira, 
Permets  que  je  l'essaie  ä  ta  fille,  eile  est  belle 
Comme  ma  fiancee,  eile  est  blonde  comme  eile, 
Et  la  meme  parure  ä  toutes  deux  ira. 

C'etait  par  un  beau  jour  le  matin  d'un  Dimanche, 
Helene  avait  pris  soin  de  se  bien  habiller; 
Des  pieds  jusqu'ä  la  tete  eile  ctait  tonte  blanche, 
Et,  reveuse,  eile  allait  ä  l'eglise  prier. 

Soudain  eile  aper9ut,  vermeille,  embarrassee 
Le  Chevalier  pres  d'elle.    II  lui  mit  doucement 
Sur  le  front  la  couronne,   au   doigt  l'anneau  brillant, 
II  la  prit  par  la  main,  l'heureuse  fiancee: 

Femme  Selon  mon  coeur,  je  cesse  un  jeu  crnel; 
Pardon,  je  me  repens:  c'est  toi  seule  que  j'aime, 
Ton  pere  pour  toi  seule  ornait  ce  diademe 
Et  cette  bague  d'or.     Viens,  marchons  ä  l'autel. 

Metaux  et  diamants,  tont  ce  que  l'oeil  admire, 
Des  la  premiere  enfance  autour  de  toi  brillait. 
Ce  presage  etait  sur,  Helene,  il  annon9ait 
Qu'un  jour  vers  les  honneurs  je  devais  te  conduire. 

Deschamps  hat  dieselbe  Ballade  gleichfalls  bearbeitet.  Wir 
zweifeln,  ob  Uhland  sein  Stiefkind  wieder  erkannt  hätte.  Wir 
geben  den  Schlufs  seines  Gedichtes  wieder: 

Nella,  Nella,  dit-il,  tenant  sa  main  pressee, 
Ne  vois-tu  pas?    II  faut  parier  raison  enfin. 
Garde  sur  ton  front  pur  la  couronne  d'or  fin ; 
Que  la  bague  d'eclairs  reste  ä  ton  doigt  passee, 
Car  c'est  toi,  c'est  bien  toi,  ma  douce  fiancee. 
Humble  au  milieu  de  l'or  qui  roule  en  ta  maison, 
Noble  de  ccßvn  avec  ton  nom  de  bourgeoisie, 
C'est  toi  que  mon  amour  pour  epouse  a  choisie. 
Düt  mon  oncle  de  rage  ecraser  son  blason, 
Et  sa  fille  secher  deux  fois  de  Jalousie! 
Nella  Maubert  devint  baronne  de  Beaujeu 
A  la  chapelle  de  Mario. 


Die  ileutsche  Lyrik  in  der  französischen  Cbersetzungslitteratur.        65 

Les  dames  se  pin9aient  les  levres  quelque  peu, 
Les  hommes  chuchotaient;  le  monde  est  moquerie; 
Mais  c'est  pour  soi  qu'on  se  niarie, 
Mais  tout  orage  passe  et  le  ciel  reste  bleu ! 

Kann  es  etwas  Lacherlicheres  geben  als  dieses  triviale  An- 
hängsel und  die  banale  Schlufsmoral  ? 

Nicht  weniger  glücklich  war  N.  Martin  in  der  Umdichtung 
einiger  Uhlandschen  Balladen.  Man  lese  folgende  Übertragun"; 
der  Nonne. 

La   n  onn  e. 

Une  nonne  pale  et  sereine 

Dans  les  jardins  du  cloitre  errait; 

La  lune  Teclairait  ä  peine 

Au  bord  de  ces  longs  cils  d'ebene 

Une  larnie  d'amour  tremblait. 

Cher  fiance,  qu'ä  ton  aurore 
La  mort,  helas !  vint  reclamer, 
J'oserai  donc  t'aimer  encore! 
Tu  deviens  l'ange  qu'on  iraplore, 
Et  l'ange  on  peut  oser  l'airaer! 

Au  pied  de  la  sainte  patronne 
S'arreta  son  pas  chancelant; 
Un  doux  regard  de  la  madonne, 
S'y  posant  comme  une  couronne 
Fit  rayonner  ton  beau  front  blanc. 

La,  s'agenouillant  en  priere, 
Calme  et  Celeste,  eile  fixa 
Ses  yeux  sur  la  sainte  de  pierre... 
Puis  la  mort  fernia  sa  paupiere 
Et  son  long  voile  s'abaissa. 

Die  Vätergruft  gab  derselbe  Übersetzer  als  „tonibeau 
des  ancetree"  in  der  folgenden  AVeise  wieder: 

Au  fond  d'une  foret  obscure 
Un  Chevalier  vieux  et  sans  peur 
Entra,  vetu  de  son  armure, 
Dans  la  chapelle  au  sombre  choeur. 

L:i,  les  froids  tombeaux  de  ses  peres 
Etaient  ranges  avec  splendeur, 
Un  concert  de  chants  funeraires 
•  S'exhala  de  leur  profondeur. 

Avcblv  f.  u.  Sprachen.  LXXl.  5 


GC       Die  (leutpclic  Lyrik  in  der  französischen  Übersetzungslitteratur. 

Esprits  dont  la  voix  me  designe, 
Votre  appel  rejouit  mon  coeur, 
Car  il  m'apprend  qui  je  suis  digne 
De  clore  ce  rang  de  l'honneur. 

II  se  trouvait  lä  dans  l'encelnte 
Une  tombe  sans  chevalier ; 
II  la  choisit  pour  couche  sainte, 
Son  chevet  fut  son  bouclier. 

II  croisa  les  mains  sur  son  glaive, 
Puis  s'assoupit  avec  lenteur, 
Et  depuis  nul  chant  ne  s'eleve 
Des  froids  tombeaux  du  sombre  choeur. 

Des  Originals  würdig  Ist  auch  die  I^bersctzung  jener  frischen 
ländlichen  Idylle  der  Mähderin  mit  ihrem  tragischen  Ausgange. 
Marie   la   faucheuse. 
Bonjour,  Marie,  aux  champs  la  premiere  toujours ! 
Tu  me  rappelle  Ruth,  la  moissonneuse  antique: 
Si  tu  fauches  le  pre,  de  cette  heure  en  trois  jours, 
Je  te  veux  pour  (ipoux  donner  mon  fils  unique. 

Le  fermier  orgueilleux  et  riebe  l'a  promls; 
Marie,  oh,  comme  bat  son  coeur  plein  d'allegresse ! 
Ses  yeux  sont  plus  brillants,  ses  bras  mieux  affermis, 
Comme  bruit  sa  faulx!  Comme  l'herbe  s'abaisse ! 

Midi  brüle ;  l'epi  s'incline  dans  le  champs ; 
La  soif  cherche  la  source  et  le  sommeil  l'ombrage; 
L'abeille  seule  encor  butine  en  bourdonnant ; 
Marie  est  sa  rivale  et  poursuit  son  ouvrage. 

Le  soleil  fuit,  la  cloche  eveille  les  echos ; 
En  vain  le  voisin  crie:  Assez  pour  la  journee! 
En  vain  partent  faucheurs,  et  patres,  et  troupeaux ; 
Marie  aiguise  encor  sa  faucille  obstinee. 

Et  voici  la  rosee,  et  l'etoile  reluit; 
L'herbe  funie,  on  entend  le  rossignol  qui  chante, 
Marie  est  insensible  au  barde  de  la  nuit; 
Elle  agite  toujours  la  faucille  tranchante. 

Ainsi  du  soir  a  l'aube  et  de  i'aurore  au  soir, 
Se  nourrissant  d'amour  en  douce  confiance. 
Le  troisieme  soleil  se  It^ve:  —  Oh!  venez  voir, 
Marie  heureuse  enlin  et  pleurant  d'esperance ! 

Bonjour,  Marie,  eh  quoi!  tout  fauche!  noble  ardeur! 
Ah !  je  veux  te  payer  dignement,  sur  mon  äme ; 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersetzungslitteratur.        67 

Quant  a  mon  fils  —  tu  pris  pour  grave  un  mot  rienr: 
Insenses  et  naifs  les  coeurs  qu'amour  enflamme! 

II  dit  et  passe  ....  Helas !  pauvre  Marie!  Alors 
Ton  ca3iir  brülant  se  glace  et  ton  beaii  corps  chancelle: 
Sans  voix  et  ton  esprit  brise  dans  ses  ressorts, 
On  te  trouva  sur  l'herbe,  ö  fancheuse  fidele! 

Pins  d'iine  annee  encor,  innette  et  sans  raison, 

Elle  vecut  de  miel  et  d'eaux,  la  malheureuse  .  . . 

Ah!  creusez  son  tombeau  sous  le  plus  vert  gazon : 

On  ne  rencontre  plus  tant  aimante  fancheuse.     (Marl in.) 

Freilich  an  die  gröfseren  Balladen,  die  sich  da  schon  dem 
grofs  angelegten  Epos  nähern,  haben  sich  weder  Marniier  noch 
Martin  getraut  (ausgenommen  eine  Ballade  von  Simrock).  Der 
letztere  überfrus;  wohl  das  Schlofd  am  jNIeere,  da2:e<2:en  schien 
ihm  des  Sängers  Fluch,  dessen  er  in  einigen  Zeilen  s^edachte, 
abgeschreckt  zu  haben. 

L  e   c  h  a  t  e  a  u   an   b  o  r  d   de  1  a   m  e  r. 
As-tu  confemple  le  manoir, 
Le  vieux  manoir  sur  le  rivage? 
Rose  et  dore,  plus  d'un  nuage 
Passe  au-dessus  de  son  front  noir. 

II  projette  une  ombre  inquiete 
Dans  les  flots  bleus  en  s'y  penchant, 
Vers  la  fournaise  du  couchant 
II  eleve  son  large  faite. 

Oui,  j'ai  contemple  le  manoir, 
Le  vieux  manoir  sur  le  rivage, 
La  lune  sortant  d'un  nuage 
Illuminait  son  faite  noir. 

Les  vents  de  la  mer  et  les  ondes 
Exhalaient-ils  un  son  per^ant? 
Un  chant  de  fete,  un  jojeux  chant 
Venait-il  des  salles  profondes  ? 

Les  vents  de  la  mer  et  les  flots 
üorniaient  dans  un  morne  silence, 
J'entendis  dans  la  salle  immense 
Un  chant  de  plainte  et  des  sanglots. 

Vis-tu  sur  les  degriis  du  trone 
S'avancer  un  couple  royal  ? 
Sur  le  rouge  manteau  ducal 
•  Vis-tu  rayonner  la  couronne? 

5* 


Ü8        Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersctzungslitteratur. 

Vis-tu  folafrer  .iiitour  d'eiix, 

Vive  etoile  de  la  famille, 

Unc  charmante  jeune  fille 

Au  doux  regard,  aux  blonds  cheveux? 

Olli,  j'ai  vu  le  couplc  du  tröne, 
Mais  en  grand  deuil  et  la  couronne 
Sur  aiicun  fiont  n'etincela, 
Car  la  vierge  n'etait  plus  la. 

Abgesehen  von  exhaler  un  son  per^ant,  das  nicht 
gerade  eine  edle  Ausdrucksweise  für  klar  und  hell  tönendes 
Windessausen  und  Wellengebraus  ist  (besser  nahm  sich  in  dem 
Gedicht  Vätero;ruf't  der  nämliche  Ausdruck  aus,  wo  von  ^feister- 
haften    Grabchören    die    Rede    ist    und    exhaler    seine    Berecli- 

tiffunu;  hat : 

Un  concert  de  chants  funeraires, 

S'exhala  de  leur  profondeur), 
abgesehen  also  von  jenem  Ausdrucke,  ist  die  Nachdichtung 
wohl  als  gelungen  zu  bezeichnen.  Aber  besser  als  alle  anderen 
französischen  Übersetzer  verstand  es  Michiels,  der  Uhlandschen 
Ballade  in  französischem  Gewände  gerecht  zu  werden.  Wir 
haben  bereits  des  Goldschmieds  Töchterlein  mitgeteilt.  Seine 
Übertragung  von  des  Sängers  Fluch  übertrifft  womöglich  die 
des  letzteren  noch.  Bekanntlich  hat  schon  Börne  jenes  Gedicht 
den  Franzosen  empfohlen  und  eine  in  ihrer  Art  anerkennens- 
werte Übersetzung  (in  Prosa)  davon  gegeben.  Ein  metrischer 
Übersetzer  ist  beim  Nibelungenmafs  immer  in  etwelcher  Schwie- 
rigkeit. Michiels  griff  diesmal  zur  fünfzeiligen  Alexandriner- 
strophe mit  zvvangsloser,  das  heifst  abwechselnder  Reimordnung 
und  wufste  eine  Wirkung  zu  erzielen,  welche  in  hohem  Grade 
das  Verständnis  des  ernsten  Schwunges  des  Urtextes  vermittelt. 
Trotz   ihrer   Länge   geben    wir   auch    diese   Ballade   in   extenso 

wieder. 

La   malediction   du   chanteur. 

Autrefois  un  ehäteau  couronnait  ces  hauteurs: 

II  dominait  la  tcrre,  il  dominait  les  vagues; 

Des  jardins  embaumes  l'environnaient  de  fleurs 

Et  le  chant  des  oiseaux  .s'y  melait  aux  bruits  vagues 

Des  sources  oü  le  ciel  refletait  ses  couleurs, 

Victorieux  et  fier  de  ses  vastes  domaines, 

Un  monarque  habitnit  ces  murailles  hautaines. 


Die  deutsche  Lyrik  in  der  französischen  Übersetziingslittoratur.        69 

L'epouvante  siegeait  snr  son  front  tenebreux : 
Ses  regards  etaient  pleins  de  sentences  prochaines, 
Ses  paroles  de  sang  et  de  meurtres  ses  jeux. 

Deux  menestrels  voulant  flechir  ce  cocur  sauvage, 
Se  mirent  en  chemin.    L'un  d'eux,  blanchi  par  Tage, 
Et  le  luth  sous  le  bras,  pressait  un  noir  coursier. 
De  blonds  cheveux  de  l'autre  entouraient  le  visage, 
Et,  quoique  sans  monture,  il  suivait  le  premier. 

Mon  fils,  dit  le  vieillard,  il  y  va  de  la  gloire; 
Implore  ton  patron,  cherche  dans  ta  memoire 
Les  plus  beaux  de  nos  chants ;  mon  fils,  prepare-toi. 
Nos  noms  des  ans  lointains  braveraient  l'ombre  noire, 
Si  jamais  nous  pouvons  toucher  l'ombre  du  roi. 

La  foule  se  pressait  dans  la  salle  eclatante. 
Au  milieu  des  vapeurs  que  repand  le  sandal, 
Sombre  comme  les  feux  du  pole  boreal, 
Le  monarque  trönait.    Pres  de  lui,  bienveillante, 
La  reine  avait  l'eclat  de  la  lune  naissante. 

Le  vieillard  preluda,     Sous  ses  doigts  assures 
Les  notes  s'epanchaient  en  rythmes  inspires. 
A  ces  graves  accords,  a  ces  flots  d'harmonie, 
Comme  l'ange  du  soir  aux  cantiques  sacres, 
Le  disciple  melait  sa  voix  jeune  et  hardic. 

Pale  d'emotion,  il  chantait  tour  a  tour 

L'äge  d'or,  le  printemps,  les  gräces  de  la  femme, 

II  chantait  la  vertu,  la  dignite  de  l'äme, 

Tout  ce  qui  fait  du  coeur  brüler  la  saintc  flamme, 

Tout  ce  qui  dans  l'esprit  allurae  un  noble  ainour. 

Le  courtisan  cessa  de  railler,  de  sourire; 
Le  guerrier  insolent  courba  son  front  hautain 
Devant  le  Dieu  du  ciel.    Pour  la  reine,  un  delire 
De  joie  et  de  douleurs  l'oppressait,  et  sa  main 
Aux  deux  chanteurs  jeta  la  rose  de  son  sein. 

Vous  seduisez  ma  femme  et  ce  peuple  imbecille, 
Dit  le  roi  furieux  tremblant  de  tout  son  corps; 
Et  son  glaive  soudain  fendit  l'air  trop  docile. 
Le  jeune  homme  tomba.     De  sa  poitrine  habile 
Le  sang  jaillit  au  Heu  de  Celestes  accords. 

Et  le  morne  auditoire  en  voyant  apparaitre 
L'orage  inattendu  s'enfuit  comme  un  troupeau. 
Le  jeune  homme  expira  dans  les  bras  de  son  maitre. 
Le  vieillard  l'entoura  des  plis  de  son  manteau, 
Le  mit  sur  son  cheval  et  quitta  le  chateau. 


70        Die  deiils^cho  Lyrik  in  der  irauzösi^chen  Übersctzungslitt  eiatur. 

Mais  quand  il  fut  devant  la  porte  exterieure, 
Ils  s'arreta,  saisit  son  divin  Instrument, 
La  harpe  sans  egale  et  la  brisa  sur  l'heure 
Aux  angles  d'un  pilier;  puis  d'un  air  mena^ant 
II  etendit  le  bras  vers  l'antre  du  tyran: 

Malheur  a  toi!  dit-il,  caverne  impitoyable ! 
Qu'une  douce  chanson  ne  te  charme  jamais ; 
Que  tout  bruit  dans  tes  nuirs  devienne  lamentable; 
Sois  le  sejour  des  pleurs  et  des  cris,  6  palais! 
Jusqu'un  jour  oii  le  temps  couchera  dans  le  sable. 

Tes  infames  crenaux,  sur  lesquels  planera 
L'esprit  de  la  vengeance.    Et  vous,  brillants  parterres, 
L'aspect  de  ce  cadavre  aux  livides  paupieres, 
Dessechera  vos  fleurs  et  vos  eaux  salutaires 
Et  le  desert  sur  vous  peu  ä  peu  s'etendra. 

Malheur  ä  toi,  surtout,  meurtrier  du  poete! 

Que  la  gloire  jamais  ne  couronne  ta  tete ! 

Que  la  haine  se  leve  et  s'attache  ä  tes  pas! 

Sois  mauditi  que  ton  nom  ne  te  survive  pas! 

Qu'il  ressemble  auxvains  bruits  qu'emporte  la  tempete! 

II  se  tut  et  le  ciel  chätia  l'assassin. 
Le  palais  maintenant  n'a  plus  pierre  sur  pierre; 
Comme  pour  attester  sa  richesse  premiere, 
Une  colonne  encor  se  dresse  tout  entiere; 
Mais  eile  croulera  peut-etre  avant  demain. 

Les  jardins  ont  fait  place  ä  des  lan Jes  arides ; 
Nul  arbre  n'y  repand  son  ombre;  les  ruisseaux 
Ont  suspendu  le  cours  de  leurs  oiides  limpides. 
Et  banni  des  vieux  lais  qui  chantent  les  heros, 
Le  nom  du  roi  maudit  n'a  pas  trouve  d'echos. 

Nach  diesen  mito:eteilten  Proben  verbleibt  nur  noch  eine 
Dichtlingsart  Uhlands,  die  Romanze,  der  wir  nicht  gedacht 
hätten.  Freilich  konnte  kein  französischer  Übersetzer  es  wagen, 
auch  die  Form  der  assonierenden  Romanze  nachzubilden.  Die 
moderne  französische  Poesie  verlangt  den  Reim,  und  wenn  auch 
das  Volkslied  der  Franzosen  sich  in  freieren  Gesetzen  bewegt 
und  wie  die  deutsche  Dichtung  zuweilen  nur  mit  einem  Reim- 
paar auf  vier  oder  gar  fünf  Verse  vorlieb  nimmt,  sich  auch 
nicht  selten  mit  dem  blofsen  vokalischen  Gleichklang  begnügt, 
so  sind  diese  Freiheiten  dem  Kunstdichter  (und  als  Kunst- 
dichtunjr  ist  eben  in  Frankreich  alle  moderne,  auf  das  gebildete 


Die  deutsche  Lyrik  in  eler  französischen  Übersetzungslitteratur.         71 

Volk  berechnete  Poesie  anzusehen)  nicht  gestattet.  Gegen  die 
Assonanz  würde  die  Kritik  gewifs  gerade  so  aufschreien,  wie 
sie  den  ungereimten  BL^nkvers  verpönt.  Michiels  hat  in  seiner 
Umdichtuno:  des  nächtlichen  Ritters  nicht  einmal  die  Trochäen 
beizubehalten  gesucht,  sondern  den  fünffüfeigen  jambischen 
Doppel  zeiler  gewählt,  wodurch  das  Gedicht  seinen  Charakter 
ids  romanische  Romanze  ganz  eingebüfst  hat.  —  Wie  wenig 
übrigens  die  heutige  französische  Sprache  sich  zur  assonierenden 
Dichtung  eignet,  mag  der  Leser  aus  folgender  Probe  erkennen: 

Dans  la  noire  et  sombre  nuit 
II  se  tint  sous  la  terrasse, 
Chantant  d'une  voix  Celeste 
Aux  accords  de  la  guitarre. 

In  der  mondlos  stillen  Nacht 
Stand  er  unter  dem  Altane, 
Sang  mit  himmlisch  süfser  Stimme 
Minnelieder  zur  Guitarre. 

Michiels  Übersetzung  lautet: 

Le  Chevalier  nocturne. 
Par  une  nuit  silencieuse  et  sombre 
Sous  mon  balcon  il  vint  chanter  dans  l'ombre. 

La,  j'entendis  sa  harpe  soupirer 

De  ces  doux  airs  qui  fönt  presque  pleurer. 

Voyant  vcnir  ses  rivaux,  de  son  glaive 
II  les  frappa  sans  leur  laisser  de  treve. 

Tons  les  echos  h  ce  bruit  s'eveillaient, 
Et  mille  eclairs  autour  de  lui  brillaient. 

Or  c'est  ainsi  que  Ton  doit  ä  sa  belle 
Prouver  le  feu  dont  on  briile  pour  eile. 

Aussi  mon  coeur,  par  sa  vaillance  emu, 
Cherit  bientöt  cet  amant  inconnu. 

A  peine  l'aube  etait-elle  apparue, 
Que  j'allai  voir  du  balcon  dans  la  rue. 

Mais  je  revins  toute  pale  d'effroi, 

O  vierge  sainte !  il  etait  mort  pour  moi  I 

Doch  genug  nun  der  Übersetzungsproben  Uhlands.  Wir 
haben  damit  nicht  nur  alle  dessen  Dichtungsarten  erschöpft, 
sondern  auch  so  ziemlich  alles  Beachtenswerte,  was  die  franzö- 


7-         Die  dcuti^clie  Lyrik  in  der  franzÜMsehcn  Übcrf^ttzungslitteratur. 

siachc  Übersetzungskunst  überhaupt  von  diesem  Dichter  zu  Tage 
gefördert  hat.  Ist  es  ein  wenig  mehr,  als  man  vielleicht  in 
deutschen  Landen  erwartet  hat,  so  ist  es  immerhin  wenig  genug, 
aber  das  Wenige  leistet  wohl  den  vollgültigen  Beweis,  dafs  die 
französische  Sprache  und  die  französische  Dichtung  sich  deut- 
schen Vorbildern  würdijj  anzuschmiegen  befähigt  sind.  Es  läfst 
aber  auch  bedauern,  dafs  diese  Leistungen  nicht  zahlreicher 
und  namentlich,  dafs  das  Interesse  für  sie  und  dafs  ihre  Wir- 
kung nicht  bedeutender  sind. 

Die  Entstehungszeit  der  Mehrzahl  dieser  Übertragungen 
fällt  in  eine  Zeit,  die  in  jeder  Hinsicht  als  überwunden  be- 
trachtet wird.  Wie  die  politischen,  philosophischen  und  religiösen 
i\.nschauungen  andere  geworden  sind,  so  hat  auch  die  nationale 
Litteratur,  nationales  Dichten  und  Singen  andere  Bahnen  ein- 
geschlagen, Bahnen,  die  sie  weniger  als  je  dazu  führen,  die 
Leistungen  des  Auslandes  zu  studieren  und  auf  sich  einwirken 
zu  lassen.  Was  Deutschland  anlangt,  mag  Goethe  eine  Aus- 
nahme machen,  aber  man  darf  die  Beachtung,  deren  er  in 
Frankreich  geniefst,  und  die  Tragweite  des  Interesses,  das  er 
in  gewissen  Kreisen  findet,  nicht  überschätzen.  Gewifs  ist  diese 
Gleichgültigkeit  tadelnswert,  sie  entspringt  aber  dem  nationalen 
Bewufstsein  der  eigenen  Kraft,  einem  Bewufstsein,  das  die  Aus- 
länder in  seiner  schroffen  Wirkung  unangenehm  berühren  mufs, 
ihrem  Denken  aber  und  dichterischen  Schaffen  jene  grofse 
Originalität  bewahrt. 

Paris.  0 1 1  i  k  e  r  v.  L  e  y  k. 


Zur  Anordnung  der  Vokale. 
II. 

Von  G.  Michaelis. 


Kurz  nach  dem  Erfcheinen  von  E.  Sievers'  Phonetik  (zweite 
Auflage  feiner  Lautphyfiologie)  am  26.  April  1881  habe  ich  in  der 
Berliner  Gefellfchaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  einen 
Vortrag  über  difes  Werk  gehalten,  befonders  mit  Rückficht  auf  das 
Verhältnis  der  neueren  englifchen  Vokaltheorie  von  A.  Mel  ville  Bell 
und  Henry  Sw^eet  zu  der  älteren  deutfchen  Vokaltheorie.  (Vergl. 
meine  Schrift  über  die  Anordnung  der  Vokale,  Archiv  Bd.  LXV  u.  LXVI, 
befonders  erfchinen  1882.)  Zunächst  möchte  ich  hier  einen  kleinen  Irrtum 
berichtigen.  Ich  hatte  dort  angegeben,  dass  Moriz  Rapp  1878  ge- 
ftorben  fei.  Rapp  hat  1878  feine  Vorlefungen  an  der  Tübinger  Uni- 
verfität  eingeftellt,  ist  aber  erst  1883  geftorben. 

Bald  nach  meinem  Vortrage  erfchin  eine  andere  Befprechung  des 
Sieversfchen  Werkes  von  Moriz  Traut  mann  in  der  Anglia  Bd.  IV, 
welche  mir  den  Anlass  zu  den  nachfolgenden  Bemerkungen  gibt.  Auch 
Traut  mann  befpricht  vorzugsweife  den  Abfchnitt  des  Sieversfchen 
Werkes,  welcher  fich  auf  die  Bell-Sweetfche  Vokaltheorie  bezieht.  Er 
nimmt  aber  gegen  dife  eine  von  der  meinen  verfchidene  Stellung  ein. 
Wärend  ich  eine  Vermittelung  zwifchen  dem  englifchen  Viereck  und 
dem  deutfchen  Dreieck  verfucht  habe,  verwirft  Trautmann  die 
Bellfohe  Theorie  ganz  und  gibt  an  deren  Stelle  eine  auf  andern  Prin- 
zipien beruhende  neue  Accord- Theorie  und  eine  neue  Anordnung. 

Schon  1803  hatte  der  Naturforfcher  H.  G.  Flörke  nachzuweifen 
verfucht,  dass  in  der  Vokalreihe  gewisse  Accordverhältnisse  obwalten, 
doch  wxirde  difer  Gedanke  nicht  weiter  verfolgt,  da  die  exacten  Unter- 


71  Zur  Anun-liiiiiig  der  Vokale. 

I'uchungen  der  neueren  Forfcher  über  die  Klänge  der  Vokale  ihn  nicht 
hinreichend  bel'tätigten. 

Traut  mann  hat  nun  eine  vil  weiter  gehende  Accord-Theorie 
aufgcftelU.  Er  erklärt  es  für  ein  Na  t  arge  fetz,  dass  die  Vokale 
Accorde  bilden,  und  zwar  feilen  die  Vokale: 

u,,  o,  0,  a,  e,  e,  i 
nach  den  Grundtönen  irer  Refonanz,   die   man  iich  am  leichtesten  beim 
Flüstern  zum  Gehör  bringt  (die  Obertöne  find  dabei   überall  von  vorn 
herein    außer   Betracht    gelassen),    zwei    Ok(aven    mit    f-dur-Accorden 
bilden  : 

1)  u,  6,  b,  a  =  Grundton,  Terz,  Quinte,  Oktave; 

")    ^:    ^}    ^5    *      — -  «  ??  ??  V 

und  zwar:  ("  a"  c'"  ('"  (oder  es'")  —  f"  a'"  c""  i""  (oder  es""). 

Dife  Angaben  weichen  indes  zimlich  weit  von  den  Beobachtungen 
der  neueren  Phyfiologen  und  Akustiker  ab.  Traut  m  a  n  n  fagt  darüber: 
„Wären  die  betreffenden  Gelerten  mer  Sprachforfcher  gewefen,  fo 
würden  lie  bemerkt  haben,  dass  gewisse  Vokale  vor  allen  andern  häufig 
vorkommen,  dass  dife  verbreitetsten  Vokale  nicht  überall  und  bei  jedem 
vollkommen  gleiche  Färbung  haben  und  dass  lie,  wenn  lie  auf  gewisse 
Weife  hervorgebracht  werden,  ganz  befonders  klar  lauten  und  ganz  be- 
fonders  diejenige  Färbung  haben,  die  de  zu  allen  andern  in  deutlichen 
Gegenfatz  ftellt.  Hätten  Donders,  Merkel,  König,  Helm- 
holtz  u.  f.  w.  nicht  ire  eigenen,  fondern  jene  verbreitetsten  und  eigen- 
artigsten Vokale  auf  ire  Halle  unterfucht,  l'o  wären  fie,  fofern  inen 
nicht  wirkliche  Irrtümer  untergelaufen  wären,  unfelbar  zu  denfelben 
Ergebnissen  gekommen,  die  ich  in  Anglia  I,  590  nidergelegt  habe." 

Indes  möchten  dadurch  fchwerlich  die  Bedenken  gehoben  fein  ; 
kein  Phyfiologe  wird  es  heute  von  vorn  herein  als  ein  Naturgefetz 
anerkennen,  dass  die  Vokale,  welche  das  meufchliche  Sprachorgan  er- 
zeugt, eo  ipso  Accorde  bilden.  Es  handelt  lieh  hier  um  eine  Frage,  die 
der  Sprachforfcher  ftellt,  die  aber  nur  der  Naturforfcher  mit  feinen 
experimentellen  Hilfsmitteln  beantworten  kann.  Das  menfchliche 
Sprachorgan  ist  nicht  ein  Inftrument  mit  fester  Stimmung,  wie  ein 
Ciavier,  welches  man  vor  dem  Spilen  ftimmt,  fondern  ein  Inftrument 
mit  veränderlicher  Stimmung,  das  man  erst  im  Momente  des  Spils  auf 
den  jedesmaligen  augenblicklichen  Ton  einftellt;  und  jedem  einzelnen 
Vokale  kommt  feine  eigene  felbftändige  Einftellung  zu,  und  damit  fein 
eigentümlicher  Klang,   one  dass  zwifchen   den   einzelnen  Vokalen  eine 


Zur  AiiorJnuiig  der  Vokale.  75 

folche  Abhängigkeit   von   einander  beftände,    wie  fie  Trautmann  von 
vorn  herein  annimmt. 

Traut  mann  dent  feine  Accord-Theorie  auch  auf  die  von  a 
nach  ü  gehende  Zwifchenreihe: 

0,  b,  ü 
aus.  Dife  verbinden,  wie  allgemein  anerkannt  wird,  die  Lippenftellung 
der  ;i- Reihe  mit  der  Zungenftellung  der  z-Reihe.  Nach  Trautmann 
Folien  dife  denfelben  Accord  bilden  wie  a  e  e\  d.  h.  i'",  a'",  c'"  (Grund- 
ton des  o,  Terz,  Quinte).  Es  foU  danach,  wenn  wir  von  a  zu  o  über- 
gehen, die  durch  die  Zungenhebung  entftehende  Erhöhung  des  Grund- 
tons gerade  kompenfirt  werden  durch  die  aus  der  Zufammenziehung 
der  Lipperf  entfpringende  Vertiefung  desfelben,  fo  dass  dadurch  o  die- 
felbe  Höhe  des  Grundtons  behält,  welche  a  hat,  und  änlich  foll  o  die 
Tonhöhe  von  e,  und  weiter  ü  die  von  e  erhallen. 

Dabei  bleibt  aber  Traut  mann  nicht  ftehen.  R.  Lepsius  hat 
im  Anhange  zu  feiner  akademifchen  Abhandlung  über  die  arabifchen 
Sprachlaute  1861  (vergl.  /Standard  Alphabet,  2.  ed.  1863,  p.  53  ff.) 
noch  eine  andere  mittlere  Vokalreihc  aufgeftellt,  welche  die  Zungen- 
ftellung der  z<-Reihe  mit  der  Lippenftellung  der  z'-Reihe  verbindet. 
Lepsius  fürt  zwei  dahin  gehörende  Vokale  auf,  feine 

i  und   e. 

i  foll  die  Zungenftellung  von  u  mit  der  Lippenftellung  von  i  ver- 
binden. Standard  Alpli.  p.  57  heißt  es:  „In  forming  the  i,  the  middle 
tongiie  is  lifted  itp  to  the  palatal  point  in  the  middle  of  the  hard  roof  of 
the  palate;  from  this  point  forivard  it  slopes  doion  almost  perpendicxdarhj  so 
as  to  leave  a  cavity  hetioeen  this  point  and  the  teeth.'-'- 

Difes  i  kommt  nach  Lepsius  einer  großen  Zal  von  Sprachen  zu; 
er  erkennt  es  im  russil'chen  jery  Li  und  im  polnifchen  y,  namentlich 
aber  in  den  tartarifchen  Sprachen  (Mantfchu,  Mongolifch,  Kalmückifch, 
Türkifch,  Tartarifch,  Jakutifch,  Ungarifch,  Finnifch),  und  findet  es 
auch  in  Spuren  in  den  verwandten  dravidifchen  Sprachen  Indiens. 

e  (Zungenftellung  von  6  und  Lippenftellung  von  (')  kommt  nach 
Lepsius  nur  im  Rumänifchon  (Walach ifchen)  vor. 

Das  englil'che  ü  ftellt  Lepsius  nicht  in  dife  neue  Reihe,  fondern 
in  die  obige  Reihe  a  o  6  ü.  Standard  Alph.  p.  50  heißt  es:  „On  the 
same  degree  of  the  scale  as  the  sounds  «e  and  a"  we  find  a  short  soimd 
in  the  middle  column  ivhich  leads  from  a  to  ö  and  ü,  viz.  the  vowel  in  but, 
cid,  son,  does,  hlood,  a  sound  still  more  peculiar  to  the  Englishlanguage.''^ 


;  (!  Zur  Anuiiliiung  der  Vokiile. 

Die  Tlieorio  der  Lepsiusfchen  zweiten  Mittelreihe  ist  imles  keines- 
wegs allgemein  angenommen.  E.  Brücke  fiht  die  betreffenden  Laute 
als  unvollkommen  (mit  dumpfer  Refonanz)  gebildete  an.  Er 
ftellt  auf: 

poln.  y  =:  unvollkommen  gebildetes  u\ 
engl.  0  (iiot,  non,  cough")  =  unvollkommen  gebildetes  o, 
engl,  li  (stin,  son,  done)   =   unvollkommen    (mit   nicht    hinreichend 
verengter  Mundöflfnung)  gebildetes  o". 

Auch  Sievers  tritt  in  feiner  Phonetik  der  Lepsiusfchen  Theorie 
entgegen.  Er  lagt  S.  71  :  „In  der  ersten  Auflage  difes  Buches  waren 
fälfchlich  das  russifche  jery  und  einige  verwandte  Laute  zu  einer 
zweiten  Reihe  von  Vermittelungsvokalen  zufammengeftellt,  da  ich  früher 
nach  Lepsius  annam,  dass  dife  durch  Kombination  der  Zungenartiku- 
lation des  u  mit  der  Lippenartikulation  des  /  etc.  gebildet  würden.  Ich 
bemerke  ausdrücklich,  dass  ich  dife  Analyfe  jezt  durchaus  verwerfe." 
Er  fubftituirt  dann  der  Lepsiusfchen  zweiten  Mittclreihe  die  Bell-Sweet- 
fchen  viived  voivels. 

Darin  ftimmen  indes  die  genannten  Forfcher  überein,  dass  beim 
englifchen  ü  die  Lippen   nicht  die  Kontraktion   der   u-Reihe   annemen. 

T  rau  t  m  an  n  ftellt  lieh  wider  auf  Lepsius'  Seite  und  fügt  zu  dessen 
i,  e  einen  dritten  Laut  mit  der  Zungenftellung  von  ö  und  der  Lippert- 
l'tellung  von  e;  dis  l'oll  nach  ihm  der  der  englifchen  Worte  rough,  coine, 
up  fein.  Vergleichen  wir  Trautmanns  Beftimmung  des  engl,  u  mit  der 
Bell-Sweetfchen,  fo  finden  wir  beide  zimlich  nahe  übereinftimmend ; 
in  der  leztern  ift  il  mid-haclc. 

A.  Melville  Bell  in  feiner  neuen  Bearbeitung:  Sounds  and 
their  relations,  London  1882  fagt  darüber:  „This  is  the  regulär  sound 
of  'short  U'  in  English  as  in  up,  turn,  come  etc.  Those  who  find 
a  difficulty  in  pronouncing  the  vowel  by  itself  will  obtain  it  unconsciously 
by  endeavouring   to  form  the  sound  of  'long  0'  withoiit  using  the  lips.^^ 

Nach  Trautmann  hat  engl,  ü  die  Zungenftellung  von  ö,  was 
der  Bellfchen  Beftimmung  fer  nahe  kommt.  In  bezug  auf  die  Lippen- 
ftellung  ist  die  Beftimmung  von  Bell-Sweet  einfach  als  unround,  wärend 
lie  nach  Trautmann  fchärfer  beftimmt  die  von  e  ist.  Wärend  das  Bell- 
Sweetfche  System  in  bezug  auf  die  Zungenftellungen  große  Genauig- 
keit erftrebt,  lässt  es  für  die  fchärfere  Beftimmung  der  Lippenftellungen 
noch  manches  zu  wünfchen  übrig. 

Trautmann   legt   dann    feiner    fo  entftehenden  Reihe  e,  e,  i   wider 


Zur  Anordnung  der  X'okale.  77 

diefelben  Halle  bei   wie  der  Reihe  Ö,  o,  ü,  fo  dass  er  nach   der  Hi)he 
der  Grundtöne  folgendes  Schema  erhält: 


ii 

e 

1 

o 

e 

e 

ö 

a 

(«) 
6 

ö 

u 

e 

Der  Grundton  von  engl,  u  würde  danach  mit  dem  unferes  a 
(Vater)  gleich  fein.  Dass  der  Grundton  des  engl,  u  dem  unferes  a  fer 
nahe  ftehf,  lässt  fich  nicht  läugnen;  dass  dife  aber  (abgefehen  von  den 
Obertönen)  fo  vollkommen  zufammenfallen  wie  es  Trautmann  behauptet, 
fcheint  doch  fraglich. 

Traut  mann  unterfcheidet  dann  die  Vokale  noch  nach  dem 
Kieferwinkel,     und   das    fürt    ihn    zum    Hellwag-Chladni-Brückefchen 

Vokaldreieck  zurück  : 

a 

e         Ö  e         ö 

e  b  e  ö 

i  ü  1  u 

Er  fügt  dann  hinzu:  „Villeicht  ließe  fich  eine  Anordnung  finden, 
in  welcher  Hall  und  Mundftellung  gleichmäßig  zum  Ausdruck  ge- 
langten, und  eine  folche  wäre  durchaus  nicht  one  Wert."  —  Ich  folhe 
meinen,  dass  difes  Postulat  einfach  dadurch  erreicht  wird,  dass  man 
das  Dreieck  fo  ftellt,  dass  i  oben  und  u  unten  zu  ftehen  kommt.  Man 
begreift  in  der  Tat  nicht,  wie  Trautmann,  der  in  allen  feinen  fonstigen 
Anordnungen  das  i  oben  und  das  u  unten  hinftelll,  nicht  auch  bei  dem 
Dreieck  auf  dife  fo  naturgemäße  Anordnung  gekommen,  ist,  zu  deren 
Herbeifürung  fchon  1812  F.  H.  Du  Bois-Reymond  den  ersten 
Anftoß  gegeben  hat.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  Brücke  und  Lepsius 
nicht  zu  difer  Stellung  des  Dreiecks  gelangt  find.  Der  Kieferwinkel 
kommt  wefentHch  auch  in  Betracht  für  das  Verhältnis  der  offenen 
(langen)  und  der  gefchlossenen  (kurzen)  Vokale;  i  e  ä  d  a"  o  ö  u  ü- 
werden  mit  größerem  Kieferwinkel  gefprochen  als  f  e  a  a  a"  o  ü  ii  ü  . 
Die  Zungenartikulation  dagegen  ist  bei  den  ersteren  eng  (narrow),  bei 
den  letzteren  weit  (wide).  Bei  den  kurzen  Vokalen  werden  eben  alle 
Bewegungen,   die  Mundöffnung  wie  die  Zungenartikulationen,    weniger 


78  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

prägnant  ausgefürt  und  die  Zunge  mer  zurückgezogen.  Darin  müssen 
wir  Trautmann  recht  geben,  „dass  bei  der  Lere  von  den  Vokalen  niolit 
die  Mundliellungen  allein,  und  auch  nicht  die  Halle  allein,  I'ondern 
beide  in  Ketracht  gezogen  werden  müssen". 

Um  dann  noch  Zwifchenvokale  einfchieben  zu  können,  fiellt  Traut- 
mann feine  vier  obigen  Accordreihen  in  ein  ftehendes  Kreuz  und  be- 
merkt, dass  wir  zwifchen  je  zwei  Vokale  difer  Reihen  einen  Zwifchen- 
laut  und  zwifchen  die  vier  Hauptreihen  noch  Zwifchenreihen  einfchieben 
können,  deren  Stellung  er  durch  Punkte  andeutet.  Er  erhält  fo  einen 
Stern  mit  acht  Stralen,  die  alle  von  a  ausgehen : 

i 


u 

Schließlich  wird  noch  der  zwifchen  a  und  b  ligende  Vokal  mit 
der  Tonhöhe  es'"  als  den  Sprung  von  der  Quinte  zur  Oktave  ver- 
mittelnd, mit  dem  Zeichen  a  als  befonders  hervorzuhebender  14.  Grund- 
vokal  angefetzt. 

Dass  zwifchen  dem  Trautmannfchen  System  und  feinen  Vor- 
gängern mannigfache  Berürungen  ftattfinden,  ist  natürlich,  und  auch 
von  den  Grundlagen  des  Bell-Sweetfchen  Systems  ist  er  keineswegs  fo 
fern,  wie  man  es  etwa  nach  feiner  fcharfen  Polemik  gegen  diJ'es  glauben 
könnte.  Ein  volles  Urteil  über  feine  Theorie  werden  wir  uns  aller- 
dings vorbehalten  müssen,  bis  das  von  ihm  verheißene  größere  Werk 
über  die  Sprachlaiite  crfchinen  fein  wird. 

K.  Deutschbein,  über  die  Refultate  der  Sprachphyfiologie 
(Herrigs  Archiv  Bd.  LXX,  Heft  1),  lässt  aus  dem  von  mir  auf- 
geftellten  vollftändigen  Dreieck  änlich  wie  Kräuter,  Fleay  u.  a. 
(vgl.  meine  Schrift  über  die  Anordnung  der  Vokale)  die  beiden  mixed- 
Hexaden  weg  und  rednzirt  meine  Spitze  des  Vokaldreiecks  (entfprechend 
der  Bell-Sweetfchen  imround-hacl'^l^&\\\e)  auf  die  drei  Vokale: 


Zur  Anordnung  der  Vokale.  79 

«1  (hell) 
,1 


a*  (dumpf) 

wo  a^  =  a  in  deutfch  Vater,  a^  (hell)  =  deutfch  Katze,  a^  (dumpf) 
=  engl,  up  ist. 

Bei  ihm  ist  daher  das  engl,  li"  in  die  von  a  nach  zi  (engl,  oo) 
gehende  Reihe  als  erstes  an  a  angrenzendes  Glid  geftellt. 

Man  siht,  dass  in  bezug  auf  die  Stellung  des  engl.  ?r  im  VokalCystem 
von  den  angefiirten  Forfchern  noch  nicht  zwei  vollftändig  überein- 
ftimmen.  Es  erklärt  fich  dis  daraus,  dass  die  Bildung  des  Lautes  felbst 
in  England  noch  nicht  eine  vollkommen  übereinftimmende  ist.  Sollte 
es  indes  möglich  fein,  dass  die  englifchen  Phonetiker  bei  erneuter 
möglichst  vilfeitiger  Prüfuns:  fich  darüber  einigten,  welche  Bildung  des 

D  0  3  O  7  o 

Lautes  mit  beftimmt  definirter  Stellung  fowol  der  Zunge  wie  der 
Lippen,  und  mit  akustifch  festgeftelltem  Klange,  als  die  normale  und 
dem  Unterricht  allgemein  zu  gründe  zu  legende  zu  betrachten  fei,  l'o 
würde  das  den  Lerern  des  Englifchen  gewiss  willkommen  fein. 

A.  M.  Bell  unterfchid  zwifchen  primary  und  luide  vowels.  Er 
fagte  hierüber  1867:  „Primary  vowels  are  those  which  are  most  allied 
lo  consonant'^,  the  voice  Channel  being  expanded  only  so  far  as  to 
remove  all  'fricative'  quality.  The  same  organic  adjustments  form 
''ivide  vowels  when  the  resonance-cavity  is  enlarged  behind  the  con- 
figurative  aperture;  ...  the  physical  cause  of  'wide'  quality  being  re- 
traction  of  the  soft  palate,  and  expansion  of  the  pharynx."  In  dem 
neuen  Werke  (1882)  heißt  es  darüber  etwas  kürzer:  „Primary  and 
wide  vowels  have  nearly  the  same  formation,  but  the  wide  vowels  have 
an  additional  expansion  of  the  soft  palate,  enlarging  the  back  cavity 
of  the  mouth.  The  phonetic  resemblances  and  characteristic  differences 
will  be  perceived  in  pronouncing  the  following  pairs  of  words: 

Primary:     eel,  end,  zts,    all,  pool, 

Wide:         ill,   and^  ask,  on,  pulU' 

Di fe  Theorie  hat  indes  das  grotJe  Bedenken,  dass  man  fchwer  ein- 
fiht,  woher  bei  den  im  allgemeinen  den  kurzen  (gefchärften)  Vokalen 
entfprechenden  wide  vowels  trotz  der  zurückgezogeneren  Lage  der  Zunge 
die  größere  Erweiterung  der  hinteren  Mundhöle  entftehen  foll.  Es  ist 
fer  zu  bedauern,  dass    Bell    feinen  Lefern   auch   in   dem   neuen  Werke 


80  '^iir  Anordnung  der  Vokale. 

nicht  durch  genügende  genaue  Zeichnungen  der  Organftellungen  zuhilfe 
kommt. 

Sweet  letzte  daher  an  die  Stelle  des  Bellfchen  Begriffes  jyrimari/ 
lein  befonders  auf  Spannung  und  kräftige  Artikulation  der  Zunge  be- 
ruhendes narroiv,   was   von  vilen  Seiten  her  Zuftimmüng  gefunden  hat. 

Ten  Brink,  Dauer  und  Klang^  Straßburg  1879,  ftellte  über  die 
Entwicklung  der  Vokalquantität  im  Romanifchen  das  Gefetz  auf: 
,.Sämtliche  Tonfilben  in  merfilbigen  Wörtern  und  fämtliche  betonte 
einlllbige  Wörter,  die  bis  dahin  kurz  gewefen  waren,  wurden  lang. 
Kurze  Vokale  im  Silbenauslaut  oder  in  Monofyllaben  vor  kurzer 
Konfonanz  erfuren  daher  Verlängerung.  Lange  Vokale  in  derfelben 
Stellung  behielten  ire  Quantität.  Ebenfo  bliben  kurze  Vokale  in  Silben, 
die  auf  lange  oder  merfache  Konfonanz  auslauteten,  kurz."  Vgl.  Zeit- 
fchrift  für  romanifche  Philologie  III,  135  ff. 

Ch.  Thurot,  de  la  prononciation  franqaise  depids  le  commencement 
du  XVI  siede,  Tome  I,  1881,  p.  1  fürte  dagegen  für  die  franzölifchen  Vo- 
kale dtn  Gegenfatz  von  aigu  und  grave  durch:  „L'a  et  Yo  etaient  et  sont 
encore,  quant  a  la  qualite,  susceptibles  de  deux  modifications :  ils  sont 
aigus  :  ^^»aKe,  hotte,  ou  graves  :  päte,  höie.  \Jeu  peut  etre  egalement 
aigu,  comme  dans  peiir ;  grave,  comme  äans  gouttetuv.  On  sait  qu'il  y  a 
trois  e,  Ve  ouvert,  Ve  ferme  et  l'e  qu'on  appelle  muet,  et  que  nous  ap- 
pellerons  feminin.  L'a  et  l'o  aigus  etaient  generalement  brefs,  Va  et  l'o 
graves  etaient  generalement  longs.  Cette  connesion  entre  la  qualite  et 
la  quantite  des  deux  voyelles  me  fait  preferer  les  denominations  d!aigu 
et  de  grave  ä  Celles  A'ouvert  et  de  ferme,  que  Dangeau  employait  dejä 
(1694),  et  que  des  grammairiens  preferent  aujourd'hui.  L'e  ouvert  et 
Ve  ferme  me  paraissent  sensiblement  distincts  en  qualite,  le  premier, 
de  Va  et  de  l'o  aigus,  le  second,  de  Vä  et  de  l'tJ  graves;  et  la  quantite 
n'est  nullement  liee  ä  la  qualite  pour  l'e,  comme  eile  l'est  pour  l'a,  l'o 
et  l'ez«." 

Als  die  beste  Autorität  für  die  heutige  franz.  Ausfprache  erkennt 
Thurot  das  Werk  von  Feline,  Dictionnaire  de  la  prononciation  1851 
an :  „Son  ouvrage  est  le  guide  le  plus  sür  que  je  connaisse  pour  la 
prononciation  de  notre  temps." 

Eine  eingehende  Betrachtung  der  franzößfchen  Vokale  mit  An- 
ordnung nach  dem  Bell-Sweetfchen  System  ist  nun  nach  Sweets  Vor- 
gange verfucht  in  der  Schrift:  Der  vokalifche  Laiitßand  in  der  franzö- 
ßfchen Sprache  des  16.  Jahrhunderts,  von  Dr.  August  Lange,  1883. 


Zur  Anordnung  der  Vokale.  81 

liier  heißt  es  S.  7:  „Wenn  man  in  dem  ten  Brinkfchen  Gefetz, 
wie  es  fich  z.  B.  von  Suchier,  Zeitfchr.  III,  136  forraulirt  findet, 
ftatt  lang  und  kurz  die  neue  Unterfcheidung  eng  und  weit,  die 
unftreitig  die  bedeutendste  Entdeckung  der  englifchen  phonetifchen  Schule 
ist,  einfetzte,  fo  dürfte  fich  villeieht  auch  die  (Böhmerfche)  Antiquanti-» 
tätspartei  befridigt  finden.  Erinnern  wir  uns  doch  zur  Parallele  unferer 
Verhältnisse  im  Nhd.  Hier  ist  jeder  Vokal  in  offener  Silbe,  wie 
ten  Brink  fagen  würde,  lang,  wie  wir  fagen,  eng  geworden,  in  ge- 
fchlossener  Silbe  dagegen  fast  ausnamslos  erweitert  und  oft  ganz  er- 
heblich getrübt.  Änlich  denke  ich  mir  die  Sache  im  Vulgärlatein  und 
im  Altfranzöfifchen." 

„An  fich  kann  jede  Vokalnuance  beliebig  lang  ausgehalten  werden. 
Nun  gibt  es  aber  Sprachen,  wie  das  Englifche  und  das  Norddeutfche, 
in  welchen  man  wenigstens  in  der  Terminologie  übereingekommen  ist 
Vokallänge  Lauten  beizulegen,  welche  von  den  entfp  rechen  den  fogen. 
kurzen  qualitativ  ganz  verfchiden  find,  fo  dass  hier  dem  Anfcheioe  nach 
der  quantitative  Unterfchid  zugleich  auch  immer  einen  qualitativen  be- 
dingt. Mag  dife  Bezeichnung  immerhin  eine  gewisse  historifche  Be- 
rechtigung haben,  phonetifch  ist  fie  entfchiden  ungenau.  Im  Englifchen 
z.  B.  wird  das  ,kurze'  a  in  man,  bad,  obwol  qualitativ  identifch  mit 
dem  a  in  hat,  gewönlich  länger  gefprochen  als  das  lange  a  in  hate,  base.^^ 

S.  8:  „Das  wefentliche  ist  immer  die  Qualität;  die  Quantität 
kommt,  fo  lange  man  damit  wirklich  einen  Unterfchid  der  Dauer  one 
Veränderung  des  Klanges  bezeichnet,  erst  in  zweiter  Reihe." 

„Im  Franzöfifchen  bleibt  die  Qualität  eines  Vokals  auch  bei  Ver- 
änderung der  Quantität  durchaus  konftant."  Schon  Th.  Beza  (1584) 
fagte:  „Prior  fyllaba  in  maijtre  et  media  in  permettre,  non  fono  fed 
fola  quantitate  difFerunt."  Das  können  wir  als  den  allgemeinen  Cha- 
rakter der  franz.  Vokale  im  Gegenfatz  zu  den  deutfchen  und  englifchen 
fer  wol  gelten  lassen,  wenn  auch  bereits  für  a  ein  qualitativer  Unter- 
fchid anerkannt  wird,  und  wenn  auch  genaue  Unterfuchungen  für  die 
übrigen  Vokale  immer  noch  feine  Abftufungen  der  Organftellung  und 
des  Klanges  ergeben  werden. 

S.  9 :  „Wenn  fich  auch  in  dem  modernen  Franzöfifch  eine  ent- 
fchidene  Vorliebe  für  Kürze  der  Vokale  nicht  verkennen  lässt,  fo  ist 
doch  die  Quantität  im  ganzen  zimlich  unbeftimmt  und  je  nach  der  Stil- 
gattung und  der  Intention  des  Sprechenden  veränderlich."  (Vgl.  Sweet 
59  f.,  125.) 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  6 


82 


Zur  Anordnuno;  der  Vokale. 


Länge  des  Vokals  ist  im  Franzöfifchen  liauptfächlich  durch  zwei 
Uriachen  bedingt :  regressiver  Einfluss  gewisser  lauter  Konfonanten, 
befonders  r,  z,  z,  v  (Sweet  125),  und  Erfatzdenung  vor  verftummten 
Konfonanten,  befonders  vor  s. 

Sweets  Schema  der  franz.  Vokale  nach  Sievers'  bequemerer  Be- 
zeichnung is  : 

back         niixed         front  back         mlxed        front 

high 

mid 

low 

high 

mid 

bnck 


i'; 

ßni 

e':  que? 

ei 

:   ete 

a-:  chat 

e2:  dette 

je': 

pere 

u':  sou 

y': 

lune 

o': chaud 

8': 

peu 

0-:  son 

62: 
homme 

venvage 

oe': 

peur 

narrow 
Dis  rcducirt  Lange  auf: 

A'  B>  Ci 

I 

II 
III 

1 
2 
3 


A2 


wide 


R2 


C2 


i 

ä 

e 

a 

e 

u 

ü 

ö 

6 

6 

o 

SUtt. 


palat. 


Dabei  find  die  famtlichen  palatalen  durch  vorgefetztes  ^  als  outev 
voivels,  die  famtlichen  round  vowels  durch  unfergefetztes  °  als  ftark  ge- 
rundet bezeichnet.  Statt  Sweets  back-voivels  find  dabei  mixed-vowels 
und  ftatt  der  wide-vowds  nur  narrow-vowels  aufgeftcllt.    Slatt  Sweet?  a- 


Zur  Anordnung  der  X'okale.  83 

(chat)  haben  wir  ä  =  ?««/,  i^aUe  (hell)  und  ä  =  male,  päte  (dunkel); 
Sweets  e2  {dette)  lässt  Lange  zufammenfallen  mit  k^  (pt're),  o^  (son) 
mit  6  (encore),  6-  (homme)  mit  o^  (chaiid),  e^  (^'we)  und  a^  (yeuvage) 
mit  CE^  {peiü'). 

Für  den  allgemeinen  Unterricht  wird  man  mit  Langes  Vokalfchema 
wol  villeicht  ausreichen.  Chladnis  10  Vokale  {Tratte  iVAcoustique, 
1809)  lind  durch  die  Spaltung  von  a  in  ä  und  ä  (änlich  wie  fie  auch 
l'chon  von  Humperdinck  gemacht  ist)  zu  11  geworden,  und  auch 
Lange  hat,  verglichen  mit  dem  Chladnifchen  Dreieck,  wider: 

1)  die  a-Spitze,  gefpalten  in  ä  und  u; 

2)  die  i-Reihe:  e,  e,  i; 

3)  die  ü-Reihe:  o,  Ö,  ü; 

4)  die  u-Reihe:  ö,  6,  u. 

Mit  dem  tonlofen  e  erhalten  wir  dann  12  Vokale,  auf  welche  Zal 
auch  fchon  INIaloet  1757  gekommen  war.  So  kommen  wir  immer 
Avider  zu  dcnfelben  Entwicklungsreihen,  mögen  wir  Anhänger  des 
deutfchen  Dreiecks  oder  des  englifchen  Vierecks  fein,  und  unfere  Ver- 
ehrung für  Hell  wag  und  Chladni  erleidet  auch  durch  die  neueren 
Theorien  keinerlei  Abfchwächung. 

Allgemeine  Merkmale  der  franz.  Vokale  find  nach  Lange:  a)  alle 
Vokale  find  eng;  b)  beide  Vokalreihen,  die  gutturale  und  die  palatale, 
lind  vordere;  c)  die  Rundung  der  u-  und  ü-Reihen  ist  ftark  ausgeprägt 
(mit  vorgeftülpten  Lippen). 

S.  15  heißt  es:  „Das  Prinzip  der  Konftanz  der  Qualität  ist  eine 
notwendige  Folge  der  fteten  Engheit." 

Den  franz.  Nafalvokalen  legt  Lange  folgende  Merkmale 
zu :  a)  der  Vokal  finkt  bis  auf  die  tiefste  Stufe  feiner  Reihe  [ä  wird 
zu  ä,  i  und  e  zu  e,  u  und  6  zu  o,  i'i  nnd  o  zu  oj ;  b)  der  Vokal  wird 
aus  der  vorderen  (fei  es  gutturalen  oder  palatalen)  Stellung  in  die  hin- 
tere gezogen  [ä,  ö  in  die  A-Reihe;  e,  ö  in  die  B-Reihe] ;  c)  der  enge 
Vokal  wird  zum  weiten. 

Es  hangen  dife  Eigenfchaften  damit  zufammen,  dass  der  nafale 
Vokal  urfprünglich  ftets  einer  durch  einen  Nafalkonfonanten  gefchlosse- 
nen  Silbe  angehört. 

In  bezug  auf  die  Entftehung  der  franzöfifchen  Nafalvokalc  hatte 
0.  IJlbrig  (Zeitfchr.  II.  547;  III,  392  f.)  die  Hypothefe  aufgeftellt, 
dass  zunächst  ein  Übergang  des  n  in  gutturales  ?/  ftattgefunden  habe. 
Dagegen  bemerkt  Storm  (37),   dass  wenn  //  wirklich  festen  Fuß   ge- 

6* 


84  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

fasst  hätte,  der  weitere  Übergang  zum  Nafalvokale  fchwerlich  ftatt- 
gefunden  haben  würde.  (Vgl.  auch  Lütgenan,  Jean  Palsgrave  und 
feine  Ausfpj'ciclie,  S5.^  Lange  fügt  dem  hinzu:  „befonders  aber  fcheint 
mir  der  Umftand  gegen  Ulbrigs  Theorie  zu  fprechen,  dass  ja  auch  ?« 
ebenfo  behandelt  wurde.  Wenn  auch  die  Zuriickverlegung  des  dentalen 
refp.  palatalen  Nafals  bis  zum  gutturalen  natürlich  erfcheint,  fo  dürfte 
der  Sprung  von  der  labialen  Verfchlussftelle  zur  gutturalen  der  Er- 
klärung doch  große  Schwirigkeiten  bieten." 

Auch  mir  fcheint  der  Durchgang  durch  7]  das  weniger  warfchein- 
liche  zu  fein.  Gegen  folchen  fprechen  auch  die  portugiefifchen  Nafalen. 
Über  dife  fagt  Rei  nhardstoe  ttner ,  Gramm,  der  portug.  Sprache 
S.  103:  „Das  portug.  ni  hat  auslautend  die  Eigentümlichkeit,  die  Aus- 
fprache  des  vorhergehenden  Vokales  nafal  zu  machen,  eine  Nafalität, 
welche  indessen  von  der  franzöfifchen  völlig  verfchiden  ist,  weil  der 
Vokal  feine  Geltung  beibehält  und  auch  das  w  hörbar  bleibt.  Difes  m 
blib  vom  Lateinifchen  wie  in  tarn,  quem,  oder  trat  für  n  ein  wie  in 
gram  (grandis),  bem  (bene),  ßni  (finem),  bom  (bonum),  tim  (unus). 
Dagegen  trat  vor  auslautendem  s  wider  n  ein:  bens,  fins,  bons.  Audi 
im  Inlaute  macht  folgendes  m  oder  ?i  den  vorhergehenden  Vokal  zum 
Teil  (Braga,  Gramm.  III,  19:  o  voz  emitte-se  em  parte  pelo  nariz  e  cid 
d  vogal  esse  caracter)  nafal,  z.B.amparo,  emplastro,  improprio,  itmbroso; 
ainda,  doente,  onde,  uncgäo,  wofern  nicht  der  Vokal  zur  anderen  Silbe 
gehört,  wie  in  a-vien^  for-tu-na,  li-7na.''^ 

Urfprünglich  wird  die  m  und  ji  gleich  behandelnde  franzöfifche 
Nafalirung  doch  wol  eher  difer  portugiefifchen  Nafalirung  änlich  ge- 
wefen  fein  wie  dem  fogenannten  gutturalen  ng.  Die  Nafalirung  der 
Vokale  beruht  wefentlich  auf  einer  Anticipation  der  Senkung  dos 
Gaumenfegeis,  welche  eine  Lockerung  des  konfonantifchen  Verfchlussps 
im  Gefolge  hatte.  So  heißt  es  bei  Beza  (30):  m  ..  fyllabam  autem 
finiens  five  intra  ipfam  dictionem,  five  in  ultima  vocabulorum,  perinde 
prorsus  pronuntiatur  ut  n  . .  .  ita  videlicet  ut  non  modo  labia  non 
occludantur,  fed  etiam  lingute  mucro  dentium  radicem  non  feriat."  Das 
hat  mit  einer  folchen  Hebung  der  Hinterzunge,  wie  fie  beim  fogen. 
gutturalen  ?ig  und  nk  ftattfindet,  an  fich  nichts  zu  fchafFen.  Ich  kann 
daher  auch  nicht  mit  Storm  einverftanden  fein,  wenn  er  fagt:  „Der 
Gutturalnafal  tj  könnte  im  Afr.  die  erste  Modifikation  des  n  gewefen 
fein,  wie  das  venez.  ving  den  Übergang  zum  lorabardifchen  vf,  frz.  ve~ 
bildet." 


Zur  Anordnung  der  Vokale.  85 

Wenn  fich  auch  im  Afr.  die  Schreibung  ng  vilfach  findet  {ung, 
bong,  üing  etc.),  fo  find  wir  dadurch  noch  keineswegs  berechtigt,  die 
Ausfprache  unferes  ng  dafür  anzunemen.  Es  war  das  dort  eine  kon- 
ventionelle Bezeichnung  für  den  fich  bildenden  Nafalvokal,  wärend  es 
bei  uns  zur  konventionellen  Bezeichnung  des  fegen,  gutturalen  Nafal- 
konfonanten  geworden  ist.  Hier  wie  überall  fürte  die  große  Befchränkl- 
heit  des  lat.  Alphabets  zu  fch wankenden  Surrogaten.  Rambaud 
(1578)  fuchte  ein  befonderes  Zeichen  zur  Bildung  von  Nafalvokalen 
einzufüren,  aber  allen  derartigen  Bemühungen  traten  zu  jeder  Zeit 
taufend  Hindernisse  entgegen.  Wärend  ä  und  o  fchon  lange  vor  dem 
16.  Jarh.  ausgebildet  waren,  foheinen  e  und  5~  erst  im  Laufe  desfelben 
entftanden  zu  fein,  a  wurde  fchon  deshalb  leichter  nafalirt  wie  die 
übrigen  Vokale,  weil  bei  ihm  der  Nafenverfchluss  lockerer  ist  als  bei 
difen,  in  der  Reihenfolge  a,  e,  o,  u,  i.  Man  vergleiche  darüber 
Merkel,  Phyfiologie  der  menfchlichen  Sprache  S.  62  f. 

„Bei  der  Bindung  blib  der  Nafalvokal,  wie  noch  heute  in  forg- 
fältiger  Ausfprache,  unbeeinträchtigt." 

An  Diphthongen  befaß  das  Afr.  auch  fallende  in  zimlicher 
Anzal,  z.B.  öi.  Dife  wurden  dann  zum  teil  bereits  vor  dem  16.  Jarh., 
zum  teil  wärend  desfelben  entweder  monophthongifch  oder  mit  Ver- 
rückung des  Accents  fteigend  ;  der  erste  Vokal  nara  feiner  Silbenfunction 
nach  konfonantifche  Geltung  an,  blib  aber  feinem  Laute  nach  durchaus 
vokahfch  ( i,  u,  ü  nach  Sievers  Bezeichnung).  Die  Anfichten  hierüber 
haben  fer  gefchwankt. 

Schon  Harduin,  Remarques  diverses  sur  la  prononctation  et  sur 
Vorthographe.  Arras  1757  fagte :  LV,  Vii  et  \^ou  sont  toüjours  de  vraies 
voyelles,  meme  lorsqu'ils  sont  suivis  d'une  autre  voyelle  dans  la  nieme 
syllabe,  corame  dans  aieux,  fiacre^  huile,  fuir,  oid,  fouir.  Quoique  la 
conformation  des  organes  ne  soit  point  alors  exactement  la  meme  que 
quand  on  s'arrete  sur  les  sons  z,  u,  ou,  I'action  de  ces  organes  ne  varie 
pas  essen tiellement.  Toute  la  difference  vient  de  ce  que  cette  action 
est  moins  forte  et  moins  complette  dans  le  premier  cas  que  dans  le 
second.  Adopter  le  Systeme  de  Wallis,  auquel  est  lie  celui  du  P.  Buffier, 
sur  la  nature  de  I',;'  trenia^  c'est  aneantir  toutes  les  vraies  diphthon- 
gues." 

Thurot  (282)  fagt  über  die  heutige  Ausfprache:  „Aujourd'hui 
il  est  ccrtain  que  IV,  Vou  et  Vu,  dans  les  sons  que  nous  continuons  ä 
appeler  diphthongues,  ne  sont  plus  de  veritables  voyelles,  mais  des  con- 


HO  Zur  AiiDnlmmj;  d(;r  Voluilc. 

soniics  (lonl  Ir.  son  c«t  bien  lÜHliiict  de  coliii  (Ins  voyoUos  ?,  o»,  u  iluiis 
lo  ('nin(,':ui,s  pai/s  (pe-yi),  le  latin  tonuiis  cl,  ä  In  fruiK^uisc,  Inas,  commc 
rAiii^ldis  Wiilli.s  011  11  fall  lii  reiimniiio." 

Lang«  (iigl  darüber:  „Mag  inaii  das  wa.s  Diiclo.s  d(!ii  {<i>ii  ininaÜKirc^ 
Tlnirol  diu  voi/eUe  failde,  Sweet  den  gh'de-voioel  nomit,  imincrliiti  uiich 
iiiil  Sievfi's  als  Halbvokal  bozüiclinen,  die  Haupt  fache  ist,  das.s  diwTelbc! 
bei  den  (bgcMi.  eigenilichcn  DipliUiongon  cbeiiiogut  vorkommt  (Sicvers 
123)  mir  mit  dem  Untcrfchide,  dass  er  einmal  als  zweites  Element,  das 
andere  mal  dagegen  als  erstes  fungirt,  was  eben  den  Unterlchid  zwilehcn 
fallenden  und  Ctcigenden  Diplilliongen  ausmaclit  (vgl.  HwüqIh  fore-ffiiilc 
mul  aflcr-ijlidc-ilipldJioivjs,  08),  Dil'o  AiiHdrückc  lind  daher  phonetil'ch 
w(»l  begründet." 

Fallender  Diphlhong  ist  heute  wol  nur  noch  etwa  in  dtsr  crhlen 
Silbe  von  Winleni  wie  roi/al,  loijnly  iiioyen,  anziieikeniien. 

Was  die  Art  der  Vokalein-  und  -ablÜtze  betrid't,  lo  kennt 
das  moderne  Franz(")lireh  nur  den  fogen.  leiten  Vokalein-  und  -aldat/, 
(Si((vers  110).  (iber  das  fogen.  h  aspircc  l'ucht  Lange  die  Anliclit 
T  ra  11 1  nia  n  US  /,u  widerlegen,  dass  es  dem  dcuUclicn  festen  Ein l'jitz 
entfpieehe;  das  richtig!!  hien'iher  finde  (ich  /..  1>.  in  Schmitz,  Franz. 
Elemcntarbuch,  wo  Ineinanderfclileifung  der  beiden  betrellendcn  Vokale 
gelert  werde  (?).  Auf  der  Büno  werde  noch  heute  ein  ftärkcr  aspirirfer 
ICinfatz,  äiilich  unferm  h,  gc[)(legt.  Die  endgiltige  Entfcheidiing  iib(!r  die 
Auslprachedes  haspirco  wird  vom  Kelkoiillpiegel  erwartet  werden  müssen. 

Die  l<]ngheit  der  famllichen  franz.  Vokale  (mit  Ausnamo  der 
Niilalvokalc)  iiat  noch  weitere  Folgen.  S.  15  heißt  vs  bei  Lange: 
„Frwiigt  man,  dass  auch  die  franz.  Kunronanten  l';imt]icli  eng  lind 
(Sweet  12'i),  lo  folgt  aus  difer  fletigen  Gleiciimilßigkeit  der  Artikulation 
ein  gewisser  Mangel  an  fester  Silben-  und  VV  o  r  t  gl  i  d  e  r  ii  n  g 
(Swectl'iC))  und  hierauf  beruht  wiilcr  die  Schwäche  des  Accents 
(Sweet  93). 

„Der  Accent  war  im  klassifehen  Tjalein,  wie  im  (Jriechifehen 
und  Indogermanifchen  übeihaupt,  ein  i'rcier,  chromalifeher.  Im  Vnlgär- 
liitein  entwickelte  licii  aber  ebenl'o  wie  im  (»eniuinifchcn  ein  fester, 
l'lark  exspiratorifcher  Wurtaccent,  welcher  diiiiii  im  I''riinz.  den  Schwund 
der  postlonifchen  Vokah^  zur  Folge  iiatte.  Inneriialb  des  Franz.  aber 
wurde  der  Accent  allmähli{!h  widcM- zum  mulikalil'chen,  und  neben  dil'eui 
gewinnt  in  der  neuesten  Zeit  der  oratoril'cho  eine  (blchc  Stärke,  und 
in  ein/.elneii   I'^ällen   fogar  eine  (blclie  Kegelmäßigkeit,  dass  die  Anuanie 


Zur  Anor»5nung  der  Vokale.  87 

nicht  unberechtigt  eifcheint,  derfelbe  werde  (ich  fchh'eßh'ch  wider  zum 
cxsjiiratorifchen  entwickeln." 

Der  Wortaccent  ligt  im  Franz.  auf  der  letzten  fonoren  Silbe. 
Davon  weicht  allerdings  Sweet  ab,  welcher  darüber  fagt :  „The  word- 
Ptress  is  generally  on  the  first  syllable.  This  view  of  Frcnch  accen- 
tuation  was  first  advanced  by  Kapp  in  bis  .Physiologie  der  Sprache' 
so  far  back  as  1840  and  again  by  a  Frenchraan,  Prof.  C.  Cassal,  in 
the  Transactions  of  the  Philolog.  Soc.  1873/4.  It  is,  however,  not  ad- 
mittcd  by  the  niojority  of  French  philologist."  Dagegen  hat  bereits 
Storm  (77)  die  allgemeine  Anficht  aufrecht  zu  erhalten  gefucht. 

Sound  Notation  p.  58  fagt  darauf  Sweet:  The  true  Solution  of 
the  difficulty  probably  is  that  the  French  accentuation  is  in  a  period 
of  transition :  the  tradition  of  the  older  endstress  still  exists,  but  a  gene- 
ral  levelling  of  stress  has  taken  place,  so  that  the  normal  pronunciation 
of  such  a  word  as  Paris  is  probably  (p  •  ar  •  i),  which  is  heard  as  (p :  ar'  i). 
This  is  a  natural  tendency  of  the  ear,  nothing  being  more  difficult  to 
identify  ihan  perfectly  level  stress.  ...  Out  of  this  level  monotony  of 
French  stress  is»slo\vly  emerging  the  principle  of  fore-stress.  Storm 
allows  such  a  stress,  but  calls  it  'rhetorical',  which  does  not  get  rid 
of  the  fact  of  its  existence. 

In  dem  leifen  Vokaleinfatz  findet  Lange  (nach  Brücke  12)  mit 
Recht  wider  die  phyfiologifche  ürfache  der  liaisoii.  So  geftaltet  lieh 
in  der  franz.  Rede  alles  wie  aus  einem  Gusse. 

Die  wefentlichen  Grundlagen  zur  heutigen  franz.  Ausfprache  find 
in  den  meisten  Beziehungen,  w^ie  das  Lange  im  einzelnen  an  den  Gram- 
matikern jener  Zeit  nachweist,   fchon  im  16.  Jarh.  vorhanden  gewefen, 


Ich  knüpfe  hieran  noch  eine  kurze  i\Iitteilung  über  ein  par  Ar- 
beiten früherer  franzöfifcher  Lautforfcher,  welche  zur  Ergänzung  meiner 
früheren  Darftellung  dienen  mögen. 

Nicolas  Boindin  (geb.  zu  Paris  1G76,  feit  170G  Mitglid  der 
Akademie,  f  1751)  Remarques  sur  les  sons  de  la  Langue  um  1709 
(OEuvres,  1753,  II)  ftellte  mit  großer  Feinhörigkeit  eine  eigentümliche 
Einteilung  der  Vokale  in  grundcs  voyelles  und  petites  voijelles  auf. 

Pour  donner  un  hon  Alphabet  (beginnt  er  feine  Remarques),  il  faut 
connoitre  tous  les  sons  de  la  Langue,  et  ce  n'est  pas  une  cliose  aussi  aisee 
quon  se  l'imagine,   car  il  y  cn  a  plusieurs  sur  lesquels  on  est  partage. 


88  Zur  Anordnung  der  Vokale. ' 

II  y  eu  a  (juelques-uns  dont  la  prononciation  n'est  pas  bien  deter- 
minee,  tels  que  le  son  moycn  entre  l'c'  ferme  et  17'  oiivcrt  des  mots 
dilferer,  succe'der,  remedier,  qu'on  pourroit  marquer  d'un  accent  perpen- 
diciilaire;  le  son  nioyen  entre  l'o  et  You  de  la  prämiere  voyelle  des  dif- 
tongues  loi,  J'ois,  voix;  et  le  son  moyen  entre  l'e  ouvert  long  et  1'«  ouvert 
long  de  la  derniere  voycllc  des  diftongues  lois,  mois,  noiv;  et  il  y  en 
a  d'autres  dont  la  difference  est  assez  sensible  a  l'oreille,  mais  qu'on 
nc  laisse  pas  de  confondre,  faute  de  caracteres  pour  les  distinguer  aux 
yeux,  commc  les  deux  differens  a  de  chasse  et  chasse;  les  deux  diffe- 
rens  e  de  princesse  et  sans  cesse;  les  deux  differens  o  de  cote  et  cote; 
et  les  deux  differens  eu  de  jeune  et  jeune. 

Outre  les  sons  communs  a  toutes  les  Provinces,  chaque  Provinoe 
en  a  qui  lui  sont  particuliers,  tels  que  1'/  pur  nazal,  et  You  pur  nazal 
de  Norraandie;  l'e  ferme  nazal  et  Vu  pur  nazal  de  Languedoc  etc. 

Toutes  nos  voyelles  au  reste  ne  sont  pas  de  nieme  nature,  II  y 
en  a  4  qui  outre  les  inflexions  qu'elles  re9oivent  des  differentes  consonnes 
auxquelles  elles  s'unissent,  et  independamment  de  la  quantite,  sont  par 
elles-memes  susceptibles  de  trois  differentes  modificati^ns ;  savoir  d'une 
modification  aigiic,  d'une  modification  grave  et  d'unc  modification  nazale^ 
et  qui  sont  par  consequent  12  voyelles  differentes: 

a,  ä,  an,      des  mots  tache,  täche,  tauche ; 

e,  e,  en,         „       „     tette,  tele,  teinte; 

eu,  eü,  eun,   „       „     jeune,  jeune,  jeun ; 

0,  0,  on,  „  „  cotte,  cote,  conte; 
et  6  autres  qui  ne  re9oivent  point  ces  differentes  modifications,  quoique 
susceptibles  de  differente  quantite;  savoir  e,  i,  u,  ou,  des  mots  7ie,  si, 
tu,  cou,  et  les  deux  e  muets  de  fais-je  et  je  fais,  qui  ne  se  prononcent 
certainement  pas  de  niemc,  et  qui  ne  sont  ä  proprenient  parier,  que  le 
son  de  la  voyelle  eu,  plus  ou  moins  affoibli,  soit  qu'il  s'ecrive  par  e, 
par  es,  ou  par  ent. 

Ainsi  nous  avons  au  moins  18  voyelles,  savoir.  12  gmndes  et 
6  petites;  les  premieres  susceptibles  non  seulement  de  differente  quan- 
tite, mais  encore  de  modification  aigue,  grave  et  nazale;  et  les  autres 
susceptibles  seulement  de  differente  quantite. 

Mais  ces  dernieres  ont  encore  une  propriete  assez  singuliere;  c'est  que 
des  deux  voyelles  dont  nos  vraies  diftongues  sont  composees,  la  pre- 
miere  est  toujours  une  de  ces  petites  voyelles,  comme  dans  ciel,  otii, 
nuit;   et   cette  propriete  Icur  est  si  essentielle  que  toutes  les  fois  qu'on 


Zur  Anordnung  der  \'okaIe.  89 

prononce  dans  un  mot,  deux  voyelles  de  suite,  dont  la  preniiere  se 
trouve  une  des  grandes,  on  ne  nianque  point  d'en  faire  deux  syllabes, 
coinnie  dans  hah',  Goä,  Saül;  ou  bien  l'on  est  oblige,  pour  en  faire  une 
diftongue,  de  convertir  la  premiere  en  une  des  petites,  et  la  derniere  en 
une  des  grandes,  comme  dans  loi^  voiv,  noiv,  qu'on  prononce  lou-est, 
vou-ais,  nou-as,  en  changeant  Vo  qui  est  une  des  grandes  voyelles,  en 
ou  qui  est  une  des  petites,  et  IV  qui  est  une  des  petites  en  e,  en  e,  ou 
en  a,  qui  sont  des  grandes. 

p.  26.    II  y  a  des  gens   qui   pretendent   que   les  5  petites  voyelles 

ipeuvent  aussi  devenir  nazales;   et  c'est   un   üiit   que  je   ne  veux  point 

Icontester.    La  chose  n'est  peut-etre  pas  physiqueraent  impossible.    Mais  il 

BSt  siir  qu'elle  n'est  point  en  usage  dans  notre  langue;   et  l'on  en  pcut 

lonner  plusieurs  raisons. 

1°.  Le  son  de  ces  petites  voyelles  est  si  foible  et  si  sourd  qu'il 
pesserait  d'etre  sensible  en  devenant  nazal.  Ainsi  ce  seroit  prendre  une 
'peine  inutile,  de  leur  vouloir'donner  cette  modification. 

2°.  II  faudroit  pour  cela,  froncer  le  nez  d'une  maniere  rüde  et 
desagreable;  et  notre  langue  n'admet  point  de  teile  Operation;  car  eile 
est  sur-tout  ennemie  de  la  rudesse. 

Boindins  grandes  voyelles  entfprechen  im  ganzen  den  mittleren 
Vokalen,  d.  i.  der  a-Spitze  des  Chladnifchen  Dreiecks  und  den  difer 
am  nächsten  ligenden  Vokalen,  die  petites  voyelles  dagegen  entfprechen 
den  Endvokalen,  d.  i.  der  fich  dem  Konfonantismus  mer  nähernden 
i-u-Reihe  (der  Baus  des  Chladnifchen  Dreiecks)  mit  den  nächst  an- 
ligenden  Vokalen.  Sehen  wir  davon  ab,  dass  die  Benennungen  grandes 
und  petites  voyelles  wol  nicht  ganz  glücklich  gewält  find,  und  dass  auch 
Boindins  Erklärung  der  Nafalvokale  wol  nicht  als  ganz  ausreichend 
betrachtet  werden  kann,  fo  müssen  wir  im  übrigen  vor  feiner  fiebern 
und  feinen  Lautauffassung  die  größte  Achtung  haben. 

An  B  0  i  n  d  i  n  fchloss  fich  im  allgemeinen  D  u  c  1  o  s  ,  Remarques 
sur  la  Graminaire  generale  de  Port-Eoyal,  1754  an  (vgl.  Thurot  LXXXI), 
und  die  Vokalfysteme  fast  aller  fpäteren  franzöfifchen  Phonetiker  bis  zu 
Domergue  und  F  e  1  i  n  e  hin  weichen  von  Boindins  System  im  ganzen 
nur  wenig  ab. 

Von  anderer  Seite,  der  phyfikalifchen,  doch  im  ganzen  weniger 
glücklich  als  Boindin,  griff  der  auch  durch  verfchidene  historifche 
Schriften  bekannte  Charles  de  Brosses  (geb.  zu  Dijon  1709,  geft. 
als  President  au  Parlement  de  Dijon  1777)  in  feinem   Tratte  de  la  for- 


^0  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

iinilion  »icchanique  des  langues  et  des  principes  de  t Etymologie.  Paris 
1765.  2  Bände,  die  Sache  an.  Bei  ihm  heißt  es  I,  108:  La  voyelle 
en  gencral  n'est  antre  chose  que  la  voix,  cest-ä-dire  que  le  son  simple 
et  permanent  de  la  bouche  que  l'on  peut  faire  diirer,  sans  aucim  nou- 
veau  mouvement  des  organes  aussi  long-temps  que  la  poitrine  peut 
fournir  l'air  .  . . 

L'instrument  general  de  la  voix  doit  etre  considere  comme  un 
tuyau  long  qui  s'etend  depuis  le  fond  de  la  gorge  jusqu'au  bord  ex- 
terieur  des  levres.  Ce  tuyau  est  susceptible  d'etre  resserre  selon  un 
diametre  pkis  grand  ou  moindre,  d'etre  etendu  ou  racourci  Selon  une 
longueiir  plus  grande  ou  moindre.  Ainsi  le  simple  son  qui  en  sort  re- 
presente  ä  l'oreille  l'etat  oü  on  a  tenu  le  tuyau  en  y  poussant  l'air  .  .  . 
On  remarque  communement  7  divisions  plus  marquees  du  son  simple, 
ou  7  etats  du  tuyau  qu'on  appelle  voyelles:  a,  ?/,  e,  i,  o,  6',  u.  Mais 
il  est  clair  qu'une  ligne  ayant  autant  de  parties  qu'il  y  a  de  points  in- 
divisibles  qui  la  composent  dans  toute  sa  longueur,  il  y  a  autant  de 
voyelles  qu'il  peut  y  avoir  de  divisions  intermediaires  entre  les  7  ci- 
dessus;  d'ou  il  suit  qu'il  y  en  a  une  infinite.  On  remarque  facilement 
en  effet  qu'une  nation  ne  divise  pas  preciseraent  comme  une  autre  le 
diapason  ou  echelle  de  sa  voix,  et  que  les  voyelles  des  Anglois,  par 
exemple,  ne  sont  pas  Celles  des  Fran^ois. 

p.  112.  La  chose  ne  sera  pas  moins  sensible  si  nous  comparons 
la  voix,  ou  le  son  simple  de  la  voyelle,  ä  celui  que  rend  une  corde 
tendue  sur  un  instrument  ou  les  divisions  sont  marquees  par  des  touches 
dans  toute  sa  longueur.  II  n'y  a  personne  qui  ne  se  soit  apper^u  que 
pour  former  dans  leur  ordre  les  5  voyelles  vulgaires,  on  ne  fait  qu'ac- 
courcir  successivement  la  corde.  a  est  la  voix  pleine  et  entiere,  ou  la 
corde  tenue  dans  toute  la  longueur  depuis  la  gorge  aux  levres.  i  est 
la  corde  raccourci  de  moitie,  tenue  du  palais  aux  levres.  Ö  est  le  bout 
de  la  corde  ä  l'extremite  des  levres.  Nous  allongeons  les  levres  en 
dehors,  et  tirons,  pour  ainsi  dire,  le  bout  d'en-haut  de  cette  corde  pour 
faire  sonner  dessus  u  . . . 

Au  reste  ce  n'est  que  pour  une  intcUigence  plus  facile  que  j'ai 
compare  la  voyelle  a  une  simple  ligne  etendue,  divisible  dans  sa  lon- 
gueur. La  veritable  image  de  la  voix,  conforme  a  celle  de  la  bouche 
ouverte,  est  un  entonnoir  flexible  dont  on  diminue  a  volonte  les  deux 
diametres  pour  degrader  le  son  voyal:  en  sorte  que  A  est  le  plus 
grand  entonnoir,  et  U  est  le  plus  petit. 


Zur  Anordnung  der  Vokale, 


91 


p.  116.  Le  nez  doit  etre  regarde  comme  un  second  liiyau  ä  l'in- 
struraent.  Car  ainsi  qu'on  pousse  l'air  du  fond  de  la  gorge  ä  l'extie- 
niite  des  levres,  on  peiit  le  pousser  du  fond  de  la  gorge  ä  l'extremite 
des  narines.  Cet  organe  a  sa  consonne ;  il  a  meme  sa  voyelle  an,  in, 
on  etc.  ou  son  simple  qui  lui  est  propre. 

Dass  bei  iV  der  Luftftrom  durch  die  Nafe  geht,  hat  de  Brosses 
erkannt.  Er  lässt  ihn  aber  auch  beim  S  in  die  Nafe  gehen,  p.  128; 
Son  siflement  ou  lettre  nazale  Se  est  par-tout  d'un  tres-grand  usage, 
par  l'habitude  qne  l'on  prend  de  pousser  le  son  de  la  bouche  au  nez, 
ou  de  le  ramener  du  nez  ä  la  bouche.  Ce  qui  fait  que  le  nez  n'ayant 
pas  le  pouvoir  de  varier  par  lui-meme  sa  lettre  moyenne,  parvient  a  la 
rendre  douce,  ou  rüde  en  s'aidant  d'un  autre  organe.  Elle  est  douce, 
si  l'air  passe  du  nez  ä  la  bouche.  Ex.  JV  des  Grecs;  eile  est  rüde  si 
l'aif  passe  de  la  bouche  au  nez.  Ex.  TSe  (tsade)  des  Hebreux.  Si  on 
la  rend  fort  rüde,  ramenant  une  scconde  fois  l'air  le  long  du  palais  apres 
l'avoir  pousse  de  la  gorge  aux  narines,  c'est  TSCH  des  langues  barbares. 

Über  dife  fonderbare  Theorie  hat  fchon  W.  v.  Kempelen  (336) 
mit  Recht  fein  Erftaunen  ausgefprochen. 

Sweet,  Ilanclhooh  of  Phoneties  §  139,  140  fagt:  jn  (front-nasal- 
open-voice)  often  occurs  in  careless  French  pronuncration  as  a  Substi- 
tute for  (N).  —  Other  nasalised  consonants  may  be  formed  at  pleasure, 
such  as  (rrz),  (sn),  but  the  nasalised  consonants  are  little  used  in  lan- 
guage,  on  account  of  the  great  expenditure  of  breath  they  involve." 

Das  ist  doch  etwas  anderes  als  was  de  Brosses  aufftelU.  Ein 
Boifpil  von  nafalirtem  r  gibt  Buchholtz,  Ilerrigs  Arch.  LXVI,  108. 
(Vergl.  Techmer,  Phonetik  I,  168.) 


92  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

Diiss  der  gelerte  Historiker  trotz  luanclier  guten  Gedanken  bei 
manchen  Willkürlichkeiten  und  Verkertheiten  in  feinen  phyfikalifchen 
Theorien,  bei  denen  die  Unterfuchungen  von  Dodart  und  F  errein 
über  den  Kelkopf  nicht  die  genügende  Berückfichligung  gefunden  haben, 
nicht  an  Boindins  feine  Lautanalyfc  hinanreichte,  wird  man  wol  allge- 
mein zugeben. 

In  betreff  der  p  or  t  ij  giefif  chen  Nafal  vokale  ist  auch  Diez 
(Gramm.  1^,  382)  der  Anficht,  dass  diefelben  außer  dem  vokalifchen 
noch  ein  konfonantifches  Element  enthalten.  Er  fagt :  M  erfüllt  noch 
einen  befonderen  Beruf:  es  macht  am  Ende  des  Wortes  den  ihm  un- 
mittelbar vorausgehenden  Vokallaut  nafal,  indem  es  feine  eigene  Arti- 
kulation als  Lippenbuchftabe  einbüßt,  wobei  jedoch  nicht,  wie  im  Fran- 
zöfifohen,  das  Wefen  des  Vokals  geändert,  e  wie  a,  i  wie  e,  u  wie  ö 
hervorgebracht  wird:  tarn,  bem,  rzäm,  tom,  algum.  An  difem  Berufe 
nimmt  auch  n  teil,  infofern  es  vor  auslautendem  s  in  allen  Fällen  den 
Dienst  des  m  verfiht,  alfo  tem  (lat.  tenet),  tens  (tenes).  Auch  im  Innern 
mancher  Wörter,  am  Ende  einer  Silbe,  hört  man  difen  Nafallaut  l'owol 
vor  m  wie  vor  n,  z.  B.  in  tambejn,  emplastro,  emfadoso,  ainda,  andar, 
doente^  hontem,  monte  . . .  Dass  übrigens  die  port.  Nafalvokale,  wie 
man  fie  zu  nennen  pflegt,  keine  eigentlichen  Vokale  find,  fondern  kon- 
fonantifches Element  enthalten,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  fie  fich 
nicht  mit  dem  Vokallaut  eines  folgenden  Wortes  metrifch  zu  einer  Silbe 
verbinden." 

Man  hat  dife  Auslassung  verfchiden  verftanden.  Die  einen  meinen, 
dass  Diez  unter  dem  konfonantifchen  Element  ein  fogen.  gutturales, 
änlich  dem  7ig  verftanden  habe ;  die  andern  nemen  dagegen  an,  dass 
darunter  ein  Rest  der  labialen  Affection  des  7n,  refp.  der  dentalen  des  ii 
zu  verftehen  fei,  änlich  wie  z.  B.  Lepsius  (Arab.  Sprachlaute  100) 
annimmt,  dass  in  dem  franz.  1  mouille  neben  dem  j-Laut  noch  etwas  von 
der  Artikulation  des  1  in  einer  leichten  Bewegung  der  Zunge  vorhanden  fei. 

Sollte  die  erstere  Anficht  die  richtige  fein,  fo  würde  fie  fich  wol 
dadurch  erklären,  .dass  die  Hinterzunge  unwillkürlich,  um  den  Luft- 
ftrom  leichter  in  die  Nafe  zu  leiten,  eine  gewisse  Hebung  nach  hinten 
erhält,  was  dann  immer  einen  gewissen  Einfluss  auf  den  Klang  des  Vokals 
ausüben  muss.     Doch  fcheint  die  zweite  Anficht  die  richtigere  zu  fein. 

Johannes  Müller,  Handbuch  der  Phyfiologie  des  Menfchen  II 
(1837),  S.  232,  fagt  über  die  Nafalvokale:  „An  die  reinen  Vokale 
fchließen   fich  die  tiefen  Vokale  mit  Nafentimbre  an :   a,  ö,  o,  ti,  z.  B. 


Zur  Anordnung  der  Vokale.  93 

in  den  Worten  sang,  singulier^  ombre  .  ..;  dife  Modifikationen  entftehen 
bloß  durch  Verengerung  des  Gaumenbogens  und  Erbebung  des  Kel- 
kopfes."  Die  Öffnung  der  Choanen  ist  dabei  ftillfchweigend  vorausgefetzt. 
S.  238:  „Charakteristifch  ist  für  die  franz.  Sprache  der  häufige 
Gebrauch  der  Nafenlaute  m,  n,  ng,  und  noch  bedeutfamer,  dass  fie 
bloß  die  Verbindungen  des  Konfonanten  ng  mit  a,  o,  ü  namentlich  mit 
den  Nafenvokalen  hat,  wärend  ir  die  klangreichen  Verbindungen  mit 
e,  i,  u  abgehen  .  .  .  Auch  da  wo  die  franz.  Schriftfprache  die  Verbin- 
dungen em,  2??^  hat,  treten  in  der  Mundfprache  zuweilen  andere  Vokale 
ein,  wie  in  emperein\  singulier.  Von  difer  Armut  in  der  Anwendung 
der  verfchidenen  möglichen  Nafenlaute  und  von  desto  häufigerer  An- 
wendung gewisser  Nafenlaute  mit  den  Nafenvokalen  a,  ä,  o  ist  eine  Art 
von  nafaler  Monotonie  abzuleiten,  wärend  die  frz.  Sprache  fich  in  anderer 
Hinficht,  nämlich  durch  den  Reichtum  an  intonirten  weichen  Konfonanten 
fofchön  auszeichnet.  Befonders  auffallend  ist  der  große  Gebrauch  des  Tons 
ang,  in  den  vilen  Bezeichnungen  difes  Lautes  in  temps,  sang,  evidemment 
u.  a."  —  Der  Süddeutfche  wirft  leicht  feierhaft  ä  mit  ang  zufammen. 
Brücke^  66  tritt  der  Anficht  Segonds  bei,  dass  das  franz. 
n  nasale  kein  konfonantifches  Element  habe,  und  bemerkt,  dass  der 
Nafenton  in  ftreng  phonetifcher  Schreibweife  durch  ein  Hilfszeichen  an 
den  Vokalen  angedeutet  werden  müsse. 

Sievers^SO  fagt:  „Streng  genommen  kann  jede  Vokalnüance 
mit  dem  Nafenton  gebildet  werden.  Dabei  find  verfchidene  Stärke- 
grade der  Nafalirung  zu  beobachten,  je  nachdem  fich  das  Gaumenfegel 
mer  oder  weniger  von  der  hinteren  Rachenwand  abhebt  und  fich  der 
Zunge  nähert  .  .  .  Die  Nafalirung  der  franz.  Nafalvokale  ist  auf  jeden 
Fall  ftärker  als  die  der  meisten  deutfchen  Mundarten,  welche  die  Nafa- 
lirung überhaupt  kennen.  Es  ist  aber  noch  zweifelhaft,  ob  dife  ftärkere 
Nafalirung  bloß  durch  ftärkere  Senkung  des  Gaumenfegeis  oder  durch 
eine  befondere  gutturale  Engenbildung  zwifchen  Zungenrücken  und 
Gaumenfegel  bedingt  wird."  (Vgl.  Lücking,  über  den  Lautwert 
des  franz.  an,  in,  on,  un.  Zeitfchr.  für  Sten.  u.  Orth.XIX,  S.  138  —  160). 
A.  Grabow,  Über  Nafalirung  und  Brechung  der  Vokale  vii 
Franzöß/chen,  Herrigs  Archiv  LXII,  93  ff.  bemerkt  über  die  Nafalir- 
barkeit  des  i  und  u ;  verfuche  man  ein  nafales  i  hervorzubringen,  fo 
werde  die  hintere  Mundpartie  zu  eng,  um  eine  raühelofe  Hervorbringung 
des  Lautes  zu  geftatten ;  es  müsse  noch  Platz  für  diezur  Nafe  gehende 
Luft  gefchaffen  werden,  und  das  gelinge  nur  unter  zerrender  Spannung 


91  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

m 

(lor  Sprcchorganc,  dio  lieh  auch  für  das  Auge  durch  Hinaufziehen  der 
Nafenfliigel  bemerkbar  mache.  Dasfelbe  finde  bei  Hervorbringung  des 
?i-Nafals  ftatf.  —  Wolle  man  dem  ti  die  nafale  Klangfarbe  verleihen, 
fo  ncmen  die  Sprechorgane  fast  die  Stellung  des  o  an,  fo  dass  es  nur 
mit  großer  Mühe  gelinge,  noch  allenfalls  einen  leidlichen  ?i-Nafal  her- 
vorzubringen. —  Das  port.  7'inm  laute  alfo  wol  nicht  wie  ?'?a~,  fondern 
wie  ru'ing. 

V.  Grützner,  Phyßologie  der  Stimme  und  Sprache  1G8,  gibt 
über  die  Schwirigkeit  i  nnd  u  zu  nafaliren  eine  andere  Erklärung: 
„Die  verfchidenen  Vokale  lassen  fich  verfchiden  gut  nafaliren. 
Am  besten  wird  nafalirt  das  O,  A,  A,  E,  weniger  gut  das  I,  und  fo 
gut  wie  gar  nicht  das  U.  Das  ligt  nicht  fowol  in  der  Schwirigkeit  der 
Bildung;  denn  es  ist  für  uns  kaum  fchwerer  die  Gaumenklappe  offen 
zu  halten,  wenn  wir  U,  als  wenn  wir  O  fagen ;  die  Schwirigkeit  ist 
eine  rein  akustifche.  Wenn  wir  U  mit  offener  Gaumenklappe 
fprechen,  fo  find  zwei  Fälle  möglich:  entweder  wir  verfetzen  die  Luft 
in  den  Nafenhölen  in  ftarke  Refonanz,  wie  beim  genäfelten  M :  dann 
verliert  das  U  feinen  eigentümlichen  Vokalklang  und  wird  einem  O 
änlich,  —  oder  wir  verfetzen  fie  in  geringere  Refonanz,  wie  wir  dis 
bei  der  Bildung  des  gewönlichen  M,  beim  Brummen  mit  gefchlossenem 
Munde  tun:  dann  bleibt  das  U  ein  gewönliches  U  und  hat  fo  wenig 
wie  das  M  einen  nafalen  Beiklang.  Anliches,  nur  in  umgekertem  Sinne, 
gilt  vom  I.  Sprechen  wir  difes  bei  offener  Gaumenklappe,  fo  wird  dem 
I-Klang  durch  die  Refonanz  in  der  Nafenhöle  eine  Reihe  von  Ober- 
tönen beigemifcht,  die  das  I  einem  A  nähern,  und  dis  deshalb,  weil  die 
Nafenhölen  zu  groß  find,  um  die  für  ein  fpitzes  I  charakteristifchen 
hohen  Obertöne  zur  Entwicklung  zu  bringen." 

Den  Portugiefen  macht  es  indes  keine  Schwirigkeit  auch  i  und  u 
zu  nafaliren,  und  zwar  one  Gutturalifation :  ruiin,  lindo;  um,  mundo. 

A.  R.  Gon^alves  Vi  an  na,  Essai  de  Phonetique  Portugaise,  d'cifres 
le  dialect  achtel  de  Lisbonne,  Romania  XII,  No.  45,  p.  29  ff.,  gibt  fol- 
gende Tafel  der  port.  Vokale: 

Voyolles  nasales. 


Voye 

les 

orales. 

ä 

e 

o« 

0 

e 

— 

6 

i 

0^ 

u 

U) 

(n) 

Zur  Anordnung  <]er  Vokale.  95 

„L'acccnt  circonflexe  '  sert  ä  designer  en  portiigais  les  voyclles 
fermees,  c'est-ä-dire  pour  e,  6  les  sons  des  lettres  fran^aises  e,  6. 
L'accent  aigu  '  marque  les  voyelles  ouvertes;  je  le  remplace  toutefois 
par  le  grave  \  l'aigu  m'etant  necessaire  pour  indiquer  la  voyelle  tonique 
du  mot  . . .  Du  petit  circle  souscrit  je  fais  usage  pour  designer  les 
voyelles  neutres  ^a  et  „e  ou  J,.  Les  notations  suivantes  sont  egaleraent 
conventionnelles:  z/,  p  representant  un  u  (ou  fran9ais  tres  brcf  et 
presque  etouffe,  tantöt  ecrit  par  u  tantot  par  o,  dans  l'orthograplie 
usuelle;  J,  e  designant  l'attenuation  en  i  brevissime  de  e  ou  /;  ii",  o° 
pour  la  semi-voyelle  labiale,  i°,  e"  pour  la  semi-voyelle  palatale,  lorsque 
ees  lettres  atones  se  trouvent  devant  une  autre  voyelle,  ou  fönt  partie 
d'nne  diphthongue  comme  subjonctives  reduites. 

On  doit  etablir  deux  divisions  speciales  pour  les  voyelles  portu- 
gaises.  * 

a)  Voyelles  ouvertes  ä  e  b 
Voyelles  fermees  ä  e  6 
Voyelles  indifferentes               ^e          i,    i     ?/,    n 

b)  Voyelles  pleines  ä  e  e       i  o  6  n 
Voyelles  reduites          „a        „e  („?)     i  („e)       ii. 

Die  erste  difer  beiden  Spezialeinteilungen  erinnert  im  ganzen  uidc;- 
an  Boindin. 

p.  35:  „La  nasalite  en  portugais  est  bien  difFerente  de  la  nasali- 
sation  des  voyelles  fran^aises:  d'abord  parce  qu'elle  n'est  point  accom- 
pagnee  de  gutturalisation,  et  puis  parce  que  le  timbre  de  la  voyelle  ne 
change  pas.  En  effet,  il  n'y  a  point  en  francjais  de  voyelles  orales 
dont  le  timbre  soit  parfaitement  egal  ä  celui  de  ces  voyelles  nasales : 
an^  in,  on ;  ä  peine  si  l'on  reconnait  la  voyelle  oe  (eii)  dans  la  nasale 
nn,  tandis  qu'en  portugais  les  nasales  a,  e~,  i,  o,  ti  ne  differcnt  qiie 
par  leur  nasalite  des  voyelles  orales  <,«>  ^>  h  o,  «•" 

Die  nafalen  Diphthongen  find  nach  Vianna :  ai°  (avec  un  „a  nasa- 
llse:  mae,  bem,  bens),  oi°  (poes),  iii°  {mui\to'\,  ce  seul  mot),  du"  (avec 
un  „a  nasalise:  mdo,  tarn). 

„II  ne  faut  pas  oublier  que  pour  toutes  ces  diphthongues  la  nasa- 
lisation  embrasse  les  deux  elements,  la  subjonctive  aussi  bien  qiie  la 
prepositive,  et  que  toutefois  celle-ci  doit  etre,  autant  que  possible,  re- 
duite,  attenuee.  La  vraie  transcription  de  ces  sons  devrait  donc  etre 
jii",  jm'\  öl",  en  surmontant  chaque  paire  de  voyelles  d'un  signe  de 
nasalite  qui  les  cmbrasserait  toutes  les  deux." 


96  Zur  Anordnung  der  Vokale. 

II.  Svvect,  Spoken  Porttigeze,  Transact.  of  the  Phil.  Soc.  1882/3 
p.  203  fr,  letzt  als  port.  Nafalvokale  an :  \n  (sim),  cn  (tem  =  ten'in}, 
PH  (venfo),  an  (irmä),  on  (bom),  vm  (um)  —  ä?u'?i  (ma"e),  änun  (irmjio), 
onhi  (po~e).  —  7i  bedeutet  dabei  nur  die  Senkung  des  Gaumenfegeis, 
und  zwar  eine  geringere  als  bei  den  franzöfifchen  Nafalen. 

Damit  ftimmt  im  wefentlichen  auch  Prinz  Louis  Lucian  Bona- 
parte überein. 

Wenn  alfo  auch  früher  noch  ein  konfonantifches  Element  in  den 
portugiefifchen  Nafalvokalen  enthalten  war,  w^oran  nicht  zu  zweifeln  ist, 
fo  werden  wir  nach  den  Unterfuchungen  der  neueren  Phonetiker  doch 
zu  der  Anname  gefürt,  dass  difes  allmählich  gefchwunden  fei.  Wenn 
es  uns  fchwer  gelingt  ein  portugiefifches  T  und  u~  hervorzubringen,  fo 
dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  uns  Muskelactionen,  die  wir  in  der 
Jugend  nicht  auszufüren  gelernt  haben,  fpäter  überall  fchwer  gelingen, 
und  dass  auch  das  Gehör  dabei  oft  genug  feine  Dienste  verfagt. 

Über  die  polnifchen  Nafalvokale  bemerkt  Vianna,  nach 
der  Ausfprache  Pawinskis:  „Pour  mon  oreille  a^  sonne  toujours  comme 
un  0  ouvert  nasalise  sans  gutturalisation,  et  par  consequent,  il  n'est  pas 
le  on  franQais;  e   me  fait  l'impression  tantüt  de  i',  tan  tot  de  „a  nasalise." 

Zu  einem  vollen  Abfchlusse  fcheint  übrigens  die  Theorie  der 
Nafalvokale  noch  nicht  gekommen  zu  fein. 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


Sitzung  vom   25.  September   1883. 

Herr  Michaelis  sprach  über  die  Lehre  Trautmanns,  nach  welcher 
die  Vokale  Accoide  sind  (Anglia  IV,  1881).  Der  Vortragende  hält 
derselben  gegenüber  an  Helmholtz'  Lehre  fest,  ist  auch  der  Meinung, 
dafs  Trautmann  im  Vokaldreieck  i  oben  und  u  unten  hätte  stellen  müssen. 

Herr  Buchholtz  besprach  die  italienischen  Maskulina  auf  o, 
welche  im  Plural  auf  a  endigend  zu  Femininen  werden.  In  Diez' 
Erklärung  dieses  Falles  stöfst  der  Vortragende  nirgends  an,  bekräftigt 
jenes  Schlufssatz  „man  vergafs  le  prata  in  le  prate  zu  verwandeln" 
durch  das  Beispiel  des  Rumänischen,  wo  diese  Pluralfeminina  das  a 
des  lateinischen  Neutrum  pluralis  aufgegeben  haben :  capetele  =  capita 
illa.  Die  neuere  Erklärung,  le  membra  Plural  zu  einem  la  meinbra, 
vergl.  altertümliches  la  donna,  le  donna,  hat  gegen  sich,  dafs  die 
meisten  solcher  italienischen  Wörter  ihre  entsprechenden  lateinischen 
Neutra  haben.  Die  Diezsche  Erklärung  wird  von  dem  Vortragenden 
tiefer  begründet.  Wenn  es  nämlich  wahr  ist,  dafs  die  lateinischen 
Pluralformen  der  Deklination  jüngeren  Ursprungs  sind,  so  dürfte  das 
Neutrum  pluralis  nichts  anderes  sein  als  das  in  neuer  Weise,  nämlich 
kollektiv  und  pluralisch,  verwendete  Femininum  singularis.  In  der 
Form  können  beide  nicht  voneinander  loskommen.  Auch  im  Griechischen 
ist  dieser  Zusammenhang  wahrscheinlich,  wenn  auch  nicht  so  klar  und 
einfach.  Die  Satzlehre  zeigt  hier  und  da  Erinnerungen  an  das  Ur- 
sprüngliche; nicht  zwar  im  Lateinischen,  wohl  aber  in  dem  Alt- 
griechischen (Neutrum  pluralis  mit  Verbum  singularis  konstruiert,  nicht 
so  im  Neugriechischen)  und  iui  Italienischen  (umgekehrt:  keine  Erinne- 
rung an  den  ursprünglichen  Singular,  wohl  aber  an  das  Femininum). 
Das  Rumänische  (vgl.  oben)  bildet  einen  Seitenzweig  zum  Italienischen. 
Beide  Erinnerungen  aber,  nämlich  des  Altgriechischen  und  des  Italieni- 
schen, vereinigt  das  Rbätoromanische ;  es  hat  den  ursprünglichen  Zu- 
stand völlig  gewahrt.     II  bratsch,   der  Arm,    hat   dem  Sinne   nach   als 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXl.  7 


9fi  Sitzungen  der  Berliner  GesellFchaft 

Plural  la  bratscha;  grammatisch  aber  ist  es  ein  Femininum  singularis 
—  etwa  ,.dic  Armscliaft".      Ebenso  il  member,  la  mcmbra  u.  a. 

Herr  Bisch  off  machte  aufmerksam  auf  Adolf  Holtermanns 
Phraseologisches  deutsch-französisches  Wörterbuch.  Dasselbe  ist  treff- 
lich, wenn  auch  Unbequemlichkeiten,  zuweilen  auch  grammatische 
Fehler  mit  unterlaufen.  Der  Verf.  berücksichtigt  ausschliefslich  das 
Leben,  nicht  die;  Schriftsteller. 

Herr  Werner  machte  Mitteilimgen  aus  Pedro  Caroline,  English 
as  she  is  spoke,  James  Millington  London.  Das  Schriftchen  wimmelt 
von  Fehlern  gröbster  Art  und  mag  wohl  nur  zum  Scherz  geschrieben  sein. 

Sitzung   vom    16.  Oktober   1883. 

Herr  Ul  brich  bespricht  Schoetensack,  Beiträge  zu  einer  wissen- 
schaftlichen Grundlage  der  französischen  Etymologie.  Unbekannt  mit 
der  gesamten  französischen  Sprachforschung,  mit  den  einfachsten  Laut- 
gesetzen, unternimmt  es  der  Verf.  mit  Hilfe  des  Glossariums  von 
Du  Gange,  des  Vokalismus  v^on  Schuchardt  und  eines  etymologischen 
Wörterbuchs  die  Entstehung  der  französischen  Sprache,  die  für  ihn 
nur  aus  Buchstaben,  nicht  aus  Lauten  besteht,  durch  völlig  willkür- 
liche und  sinnlose  Vertauschung  oder  Umstellung  der  lateinischen  Buch- 
staben zu  erklären.  Obwohl  er  in  seinem  Wörterbuch  gewöhnlich  das 
richtige  Etymon  gefunden  hat,  sind  doch  alle  für  dessen  Umgestaltung 
gegebenen  Erklärungen  falsch;  obwohl  er,  an  tausend  Beispielen  immer 
dieselben  Vorgänge  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  wird  doch  kein 
einziges  Lautgesetz  von  ihm  entdeckt.  Die  Plurale  auf  aux  werden 
durch  die  Bemerkung  erklärt,  dafs  man  an  den  grofsen  Diphthongen 
au  auch  einen  grofsen,  zusammengesetzten  Konsonanten  x  statt  des 
einfachen  s  habe  anhängen  wollen.  Die  Deminutivendung  eau  sei  von 
ella  abzuleiten  und  beruhe  daher  auf  einer  Vokalurastellung,  da  latei- 
nisches 1  im  Fi'anzösischen  u  werde,  mithin  aus  ella  sich  die  Buch- 
stabengruppe eua  ergebe,  aus  der  man  aus  irgend  welchem  Grunde  eau 
gemacht  habe.  In  recueillir  sei  u  der  Vertreter  des  lateinischen  o;  das 
darauf  folgende  e  sei  das  erste  e  der  Infinitivendung  ere;  das  i  hinter 
demselben  sei  wie  gewöhnlich  vor  11  eingeschoben  worden,  cell  will 
er  Avegen  der  altfranzösischen  Form  oel,  die  er  für  zweisilbig  hält,  von 
ocellus  herleiten,  worin  nur  das  c  ausgefallen  und  vor  dem  doppelten  1, 
wie  gewöhnlich,  ein  i  eingeschoben  sei.  Wenn  schon  da,  wo  das  i'ich- 
tige  Stammwort  gegeben  war,  die  Erklärung  der  franz.  Wortbildung 
als  ganz  irrig  zu  betrachten  ist,  so  ist  es  natürlich,  dafs  die  vom  Verf. 
selbst  erfundenen  Etymologien,  wie  äge  von  sevum,  saoul  vom  deutschen 
swal,  craindre  von  chrimphan,  aux  abois  von  ze  bile,  ebenso  ver- 
kehrt sind. 

Herr  Vatke  schilderte  ein  Zimmer  und  Zimmereinrichtung 
der  englischen  Renaissance,  besonders  nach  Shakespeare  und  den  Elisa- 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  99 

bcthanischen  Schriftstellern,  Durch  Inigo  Jones,  den  Baumeister 
Karls  I.,  war  die  italienische  Bauart  in  England  besonders  zur  Geltung 
gekommen.  Die  Zimmer  empfingen  von  der  Strafse  her  ihr  Licht  durch 
kleine  in  Blei  gefal'ste  Scheiben,  in  welchen  sich  meist  das  buntfarbige 
Wappen  des  gentleman-Eigentümers  befand,  während  die  Wohnräume 
nach  dem  Hofe  zu  sich  auf  den  von  aufsen  offenen  Gang  (die  lobby, 
laubia  [schon  sajc.  10],  loggia,  la  löge)  öffneten.  Die  lobby  ist  der 
hellste  Teil  der  Wohnung,  daher  Hamlet  dort  zu  lesen  liebt.  —  Die 
Zimmerdecken  sind  entweder  Stuck  (wie  z.  B.  in  der  Villa  des  Antonio 
Barbaro  bei  Venedig,  erbaut  von  Palladio,  dem  Vorbilde  des  Inigo 
Jones),  oder  es  ist  die  ältere  Form  der  Holztäfelung  (der  ceilings)  bei- 
behalten: der  Sonderling  im  Silent  Woman  des  Ben  Jonson  wünscht 
doppelte  ceilings  in  seiner  Wohnung,  damit  jedes  Geräusch  unhörbar 
werde.  —  Von  der  Decke  hängt  der  eherne  Kronleuchter  (candlestick) 
herab :  die  Strafse  Lothbury  in  London,  wo  dieselben  verfertigt  wurden, 
war  ihres  Lärmes  wegen  berüchtigt  (vgl.  Ben  Jonson,  Gipsies  etc.  in 
Nares  Glossaryj.  Eine  eingehendere  Schilderung  eines  solchen  candle- 
stick (die  modernen  Ausdrücke  für  Kronleuchter,  lustre  und  chandeleer 
finden  sich  nicht  in  jenem  Zeitalter)  finden  wir  im  Kenilworth  Inven- 
tory  A.  D.  1584,  bei  Walter  Scott.  Die  Wandbekleidung  sind  die 
lose  hängenden  Tapeten  (hangings  oder  arras) :  Hamlet  ersticht  den 
Polonius  behind  the  arras.  Dafs  der  Raum  zAvischen  Wand  (wall) 
und  Tapete  gern  zu  Rendezvous  benutzt  wurde,  illustriert  Massinger 
im  Duke  of  Milan  (eine  Stelle,  die  bei  Nares,  s.  v.  arras  fehlt).  Bei 
iRabelais  wird  derselbe  Raum  bezeichnet  mit  darriere  la  tapisserie 
(von  Regis  übersetzt:  „hinterm  Umhang",  wo  „Umhang"  dieselbe 
Sache  bezeichnet).  —  Der  Fufsboden  des  Zimmers  ist  entweder  Mosaik 
oder  Holzdiele,  die  mit  rushes  (Binsen)  belegt  sind.  Doch  finden  sich 
in  vornehmen  Häusern,  wie  z.  B.  in  Kenilworth  Castle  auch  Fufs- 
teppiche,  besonders  türkische.  So  brauchte  man  to  tickle  tlie  rushes  für 
tanzen  (Romeo  und  Julia),  man  sagte  to  take  something  from  the 
|rushes,  etwas  vom  Boden  aufheben.  —  An  den  Wänden  der  Zimmer 
laufen  in  Manneshöhe  die  shelves  (Tragebretter,  Simse)  entlang: 
dort  stellte  man  Hausgerät,  wie  Majoliken  oder  venetianische  Gläser 
auf  (das  englische  Hartglas  kommt  erst  später  auf) ;  auch  Porzellan 
mochte  sich  finden  (die  china-shops  werden  aber  bei  Ben  Jonson  als 
verrufen  bezeichnet).  Hamlet  III,  4  nennt  den  König  A  cutpurse 
That  from  the  shelf  the  precious  diadem  stole.  —  Die  Gemälde 
(die  älteren  aus  Hans  Holbeins  Schule,  sonst  italienische  oder  hollän- 
dische) befanden  sich  hinter  Vorhängen :  „Pictures  chiefly  described  as 
having  curtains"  sagt  W.  Scott  im  Kenilworth  Inventory,  Avährend 
nach  DeHus'  Anm.  zu  What  you  will  I,  3  es  sclieinen  könnte,  dafs 
doi't  nur  Mistress  Mall's  Picture  als  das  einer  übel  berüchtigten  Person 
hinter  dem  Vorhang  sich  befand.  —  An  den  Wänden  laufen  auch  die 
Bänke   entlang,,  die  mit  Kissen   (cushions),   ebenso   wie  die  Schemel 


100  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

(stools)  belegt  waren.  Statt  der  Sofa  finden  wir  wohl  (wie  in  Richard  III.) 
die  day-beds  (Lofterbetten).  So  heilst  es  bei  Beaumont  and  Fletcher, 
Rnie  a,  Wife  III,  1:  (Are)  day-beds  in  all  iny  Chambers?  —  Die 
so  oft  erwähnten  conopies,  Kanapees,  bedeuten  ebenso  wie  bei  Rabelais 
Bett-  und  Baldachin-Vorhänge  (entre  les  conopees,  Rab.).  —  Sehr 
gliinzcnde  Spiegel  (besonders  von  Murano  bei  Venedig)  Averden  er- 
Avähnt:  so  schildert  der  Deutsche  Paul  Hentzner  einen  solchen  (1598), 
im  Besitz  eines  Schneiders,  der  mit  Samraet  und  Perlen  eingefafst  war. 
„Mighthy  looking-glasses"  erwähnt  auch  J.  Shirley.  —  In  Bezug  auf 
Tische  wurde  erwähnt  Romeo  I,  5:  turn  the  tables  up  (wo 
Dell  US  sagt:  „Um  mehr  Platz  für  die  Tänzer  zu  gewinnen,  sollten 
die  Tischplatten  von  den  Tischgestellen  abgehoben  werden"),  doch 
turn  up  ist  in  die  Höhe  heben;  die  Tischplatte  ward  also  der  Wand 
parallel  gestellt,  etwa  folding  tables,  wie  solche  in  Kenilworth  Inven- 
tory  erwähnt  werden.     (Möbel,  cf.  trunks,  virginals,  cabinets.) 

Herr  Kühne  besprach  C.  Villatte,  Parisismen,  alphabetisch  ge- 
ordnete Sammlung  der  eigenartigen  Ausdrucksweisen  des  Pariser  Angot. 
Berlin,  Langenscheidt.  4  Mk.,  geb.  4,60  Mk.  Der  Umstand,  dafs  das 
Angot  heutzutage  so  massenhafte  Verwendung  in  der  französischen 
Litteratur  und  Tagespresse  findet,  macht  das  vorliegende  Buch  sehr 
wertvoll.  Die  Werke  eines  Zola  nicht  blofs,  sondern  auch  von  Schrift- 
stellern wie  Augier,  Sardou,  Dumas  fils,  Zeitungen  wie  Journal  Amü- 
sant, Petit  Journal,  Figaro,  Gaulois  werden  uns  mehr  oder  weniger 
mit  Hilfe  des  Villatteschen  Werkes  erst  verständlich.  —  Der  Vor- 
tragende betrachtet  das  Angot  vom  pathologischen  und  philologischen 
Standpunkt.  Das  massenhafte  Eindringen  in  die  Schriftsprache  ist 
so  gut  eine  Krankheit  in  sprachlicher  Beziehung  wie  die  Richtung  der 
Naturalisten  in  ästhetischer. 

Das  Interesse  des  Philologen  erregt  die  Untersuchung  des  Angot s 
hinsichtlich  seiner  Bestandfeile;  teils  sind  es  veraltete  Wörter,  teils 
solche,  die  dem  Lateinischen,  Deutschen,  Englischen  u.  s.  w.  direkt 
entnommen  sind.  Was  Villatte  über  veraltete  und  dem  Lateinischen 
entnommene  Wörter  sagt,  ist  zu  korrigieren:  pecum,  cadene,  abccher 
(abi''quer)  dürfen  nicht  als  altfrz.  Wörter  bezeichnet  werden;  das  Latei- 
nische wird  von  Villatte  als  romanische  Sprache  angeführt.  —  Weiter 
entsteht  Angot  durch  Aphärese  oder  Apokope  (-cipal  =  municipal, 
denioc  =  democrate).  Zu  vergleichen  im  Englischen:  bus  =  omnibus, 
exani  =  examination.  Der  durch  sprachliche  Kalauer  gebildeten 
Angotismen  hätte  Villatte  nicht  mit  so  ernsthaften  Worten  Erwähnung 
thun  sollen. 

Der  Ausdruck  „Parisismen"  ist  zu  eng.  Der  Verfasser  bringt 
viele  Ausdrücke,  die  bei  weitem  nicht  nur  in  Paris  bekannt  sind  (z.  B. 
vivre  de  l'air  du  temps,  abouler,  amour  d'homme,  aplatir  comme  une 
punaise,  arsouillc).  Dem  Zweck  des  Buches  ist  mit  dieser  Erweiterung 
freilich  nur  gedient.      Einzelne  Ausdrücke  sind  von  Villatte  angeführt, 


für  iJas  Studium  der  neueren  Sprachen.  101 

die  nicht  zum  Angot  gerechnet  werden  können  (sc  livrer  ä  la  boissoii, 
autenr  de  ses  jours,  architecte  de  l'univers).  —  Die  Ausstattung  ist  vor- 
züglich. 

Sitzung   vom    30.   Oktober   18  8  3. 

Herr  Kühne  liefert  einen  kurzen  Nachtrag  zu  dem  im  vorigen 
Winter  besprochenen  Thema:  Maisire  Elies  altfrz.  Bearbeitung  der  ars 
amatoria  des  Ovid  ;  er  spricht  jetzt  speciell  über  den  Verfasser.  Mit 
Elie  von  Winchester  kann  dieser  Elie,  wie  de  la  Rue  früher  angedeutet 
liat,  nichts  gemein  haben.  Der  Name  Elie  scheint  überhaupt  zweifel- 
haft. Die  ersten  vier  Zeilen,  wo  dieser  Name  sich  findet,  sind  bedenk- 
lich, da  hier  zweimal  derselbe  Reim  steht,  was  altfrz.  verpönt  ist. 
Dazu  kommt  das  plötzliche  Abbrechen  am  Schlufs,  so  dafs  es  scheint, 
als  oh  hier  ursprünglich  der  eigentliche  Name  gestanden  habe.  Der 
Vortragende  vermutet,  dafs  wir  es  mit  der  in  mittelalterlichen  Dich- 
tungen öfters  konstatierten  Thatsache  zu  thun  haben,  dafs  ein  Schreiber 
hier  seinen  Namen  an  Stelle  des  Namens  des  Dichters  eingeführt  hat. 
Vielleicht  haben  wir  es  hier  mit  Chretien  von  Troyes'  verlorener  Be- 
arbeitung zu  thun,  von  der  er  im  Cliget  spricht.  Die  Gründe  dafür 
sind:  erstens  die  Ähnlichkeit  des  Stils;  zweitens  der  viel  gewichtigere 
Umstand,  dafs  der  Dialekt  derselbe;  drittens  die  Flexions-,  speciell 
die  Deklinationsverhältnisse  sind  die  gleichen;  viertens,  unsere  Be- 
arbeitung der  ars  amatoria  fällt  vor  diejenige  des  Jaques  d'Amiens,  der 
im  Anfang  des  13.  Jahrh.  dichtete;  fünftens  der  Name  Loradin  = 
Nur-Eddin  wird  darin  erwähnt  als  der  eines  Lebenden  (Nur-Eddin  f  1 174). 
Schliefslich  wird  noch  auf  einige  auffallende  Analogien  zwischen  dem 
vorliegenden  Gedichte  und  dem  Chevalier  au  Lion  hingewiesen.  Alles 
zusammengenommen,  meint  der  Vortragende,  sei  wohl  gewichtig  genug, 
um  eine  nähere  Untersuchung  der  Sache  zu  rechtfertigen. 

Herr  Vatke  sprach  über  Kleidung  und  Kleiderluxus 
des  Engländers  in  Shakespeares  Zeit  und  zwar  über  die  männ- 
liche Kleidung.  Das  Eindringen  der  französischen  Mode  war  schon 
im  14.  Jahrh.  in  England  durch  drei  Verordnungen  Eduards  III.  be- 
kämpft worden.  Die  Kopfbedeckung  wird  selten  (Ben  Jonsons 
Magnetic  Lady  V,  6)  mit  hood  bezeichnet,  dieselbe  ist  beim  Citizen 
und  dem  niederen  Volke  cap;  die  flat-caps,  die  ungebildeten  Bürger 
sind  auch  bei  Shakespeare  Gegenstand  des  Hohnes;  die  woollen  caps 
mufsten  nach  Elizabeths  ftatute  13  von  1571  von  allen  (nicht  adeligen) 
Personen  von  mehr  als  sechs  Jahren  an  Feiertagen  getragen  werden 
(cf.  statute-caps,  L.  L.  L.  V,  1,  Sh.).  - —  Leathercaps,  in  Ben 
Jonsons  Bartholomew  Fair  geradezu  Name  eines  Hausierers,  gehören 
dem  niederen  Bürger  an.  —  Der  Hut  des  gentleman  —  hat  —  ist 
ein  hoher  zuckerhutförmiger  oder  auch  niedriger  Filzhut  mit  breiter 
Krempe,  auf  die  z.  B.  König  Karl  L  (auf  Van  Dyks  Bild)  die  aus- 
gebreitete Hand  legen  kann :  daher  sagt  Ben  J.  (The  Devil  is  an  Ass, 


102  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

1616):  a  hat  like  a  penthouse  (Haus  mit  überhangendem  Giebel). 
Dieser  hohe  Hut  des  feinen  Mannes  wird  auch  erwähnt  Shakesp. 
Taming  Shrew  V,  1:  „Oh  fine  villain!  A  silken  doublet!  a  velvet 
hose!  a  scarlet  cloak !  and  a  copatain  hat."  —  Gern  trug  man  eine 
Feder  an  demselben:  A  Plume  of  Feathers  ist  in  Shakesp.  L.  L.  L. 
IV,  1  ^Bezeichnung  des  beau,  des  Stutzers,  —  Abzeichen  von  nobility 
und  gentry  am  Hut  war,  nach  Dilkes  Anm.  zu  J.  Marstons  „Antonio 
and  Melida"  II,  1  (1602),  das  hatband.  Man  schlug  wohl  auch 
eine  Krempe  des  Huts,  durch  silberne  Spange  festgehalten,  in  die 
Hohe.  „His  hat  turn'd  up  With  a  silverclasp  on  his  leer  side." 
(Ben  J.  Tale  of  a  Tub  II,  1.)*  —  Als  Barttracht  wird  der  sti- 
letto  beard,  sharp  beard  (Nares,  Glossary)  als  foreign  lefinement 
verfolgt.  —  Der  Hemdkragen  ist  entweder  der  breite  gestickte 
oder  der  hochstehende  collar:  der  Piccadel  („It  seems,"  sagt  Nares 
von  Piccadilly  Street,  „agreed,  that  this  street  was  named  from  the 
above  adornment);  Blount  (1630)  sagt,  dafs  diese  piccadils  „in  the 
last  age  much  in  fashion"  waren,  also  damals  nicht  mehr.  Der  „Stand- 
ing pickadell"  wird  1612  erwähnt;  „patience  is  as  good  as  a  Fronch 
pickadel"  sagen  Beaumont  u.  Fletcher.  Das  Wort  Pickadille- 
kens  wird  als  Dutch  bezeichnet.  Der  Vice-Kanzler  von  Cambridge 
erliefs  1615  ein  Verbot  against  wearing  pickadels.  • —  Als  kost- 
barste Stickerei  auf  dem  Hemdkragen  wird  Coventry  blue  er- 
wähnt: „'twas  better  than  gold,  Right  Coventry  blue"  (George  a 
Greene).  —  Die  Haare  trug  man  gern  gekräuselt:  Cur  wealthy 
curled  darlings  of  the  nation  (Othello  I,  1);  Peter,  der  Diener  Walter 
Raleighs,  took  an  hour  to  dress  his  master's  curling  hair.  — 
Für  die  Beinkleider  machen  die  Worte  hose  und  stockings 
sachliche  Schwierigkeiten,  da  beide  Worte  für  Beinkleid  auch  (wohl 
Upper  stockings)  und  Strumpf  (nether  stockings)  gesetzt  Averden.  Bei 
Chaucer  sind  hosen  (cf.  Wife  of  Bath)  noch  ein  Strumpf  und  Bein- 
kleid umfassendes,  einheitliches  Kleidungsstück.  —  Gegen  die  weiten 
Hosen,  die  auch  in  Deutschland  von  Musculus,  „Hos  en  t  eu  f  e  1", 
im  16.  Jahrh.  angefeindet  werden,  ruft  Roger  Asch  am  im  School- 
master  (1563)  die  Obrigkeit  an;  auch  Shakespsare  macht  die 
huge  hos  es  in  Romeo  and  Julia  als  französische  Narrheit  lächer- 
lich. —  Das  Wams  des  gentleman  ist  der  doublet  (franz.  double, 
gefüttert;  schon  im  Promtor.  Parvulor.  ist  Diplois  explained  duplex 
vestis  et  est  vestis  militaris):  man  hat  silken  double ts  (der  Citizen 
beneidet  den  courtier  gern  deshalb),  aber  auch  leather  doublets 
(auch  jerki  n  s)  genannt.)    Die  Fütterung  des  doublet  ist  Baumwolle  — 


*  Ais  vorüberg  eil  pn  fl  c  Mode,  denn  nur  wars  nnd  lechery  sind  nach 
Troilus  V,  1  nicht  der  Mode  unterworfen,  werden  die  Zahnstocher 
(toothpicks)  an  den  Hüten  iiwjihnt.  ferner  auch  Spiegel,  mirrors,  die 
von  Damen  wohl  im  Fächer  irefjihrt  wurilen. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  103 

bombast.       So    spricht    Stubbs    (Anatomy    of    Abuses)    von    den 
doublets  „of  (heir  being  stufFed  with  four,  five  or   six  pounde  of  bom- 
bast at  least".    Aber  nicht  gern  geht  der  gentleman  auf  die  Strafse  in 
his  doublet  and  hose:    das   nannte   man  spanisch  (da  auch  nach  Falke, 
Kostiimgeschichte  S.  295,  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
die  spanische  Mode  in  Europa  die  herrschende  war)  in  querpo 
sein  (in  corpore):  „Boy,  my  cloak  and  rapier;   it   fits  not  a  gentleman 
of  my  rank  to  walk  the  streets  in  querpo"  (Beaumont  and  Fletcher, 
Love's  Cure  II,  1).   Hemden,  die  20,  40  sh.,  ja   5  Pfd.  St.   kosten, 
erwähnt  Stubbs:  dieselben  sind  gern  mit  Stickereien,   bes.  Bibel- 
sprüchen   bedeckt.      Shirt,     wrought,    or    historical    (Nares) : 
„I  wonder  he  speaks  not  of  his  wrought   shirt   (Ben  Jons.  Ev.  man 
out  of  h.  h.  IV,  6).    In  Maines  City  Match  fürchtet  jemand,  dafs  seine 
mit   aufgestickten   Bibelsprüchen   gezierten   Hemdärmel    einmal   in    der 
Predigt   eines    Puritaners  (some   pure   instructor)   citiert  würden.     Die 
Ärmel    des   doublets    waren    nämlich   meist    geschlitzt    (slashed), 
so  dafs  man  die  Hemdärmel  sehen  konnte;    ferner  waren  die  sleeves 
(die  schon  im  13.  Jahrh.  in  England  als  Zeichen  des  Stolzes  [pride]  be- 
zeichnet werden)  oft  an  den  coat  angenestelt  (durch  points  befestigt). 
Die  points.  Nestelschnüre  (bei  Rabelais  aiguilettes)  treten  auch 
auf  Gemälden   des   Caravaggio   (Landsknechte   beim  Kartenspiel) 
als    Ärmelbefestigungen    auf,    ferner    bei    Rubens    (Porträt    seiner 
zwei  Söhne):    diese  Schnüre,   die   besonders  die  Beinkleider  mit 
dem    Wams    verbinden    (z.  B.   nach   Rabelais  I,  8:    Lors  com- 
menfia  le  monde  attacher  les  chausses  au  pour  poinct   [doublet], 
et  non  le  pourpoinct  aux  chausses),  liefen  in  Spitzen  (points) 
aus:  his  points  broke,  down  feil  his  hose,  sagt  Shakesp.  Henry  IV 
(Rabelais  1,  8:  la  point  e  de  leur  aguille  estoit  r  ompue).  —  Noch 
^wird  bemerkt,  dafs  das  Stärken  des  Kragens  (auch  ruffs  genannt) 
ne  der  Manschetten  (cuffs)  im  16.  Jahrh.  sehr  allgemein  wurde.    „Car- 
len  Are   got   into   the    yellow   starch."     Ben   Jons.   Devil   is   an 
Lss  (1616)  1,  1.     Auch  der  Kärrner,  der  aquavit  trinkt,   färbt   seinen 
Tragen  gelb.    Dieser  Gebrauch  von  starch  wird  von  Puritanern  sowohl 
ils  von  den  denselben  sonst  so  schroff  gegenüberstehenden  Dramatikern 
und   Satirikern   als  Zeichen   des   Hochmuts   bekämpft.      Die    stockings 
trägt  nur  der  Geringe  aus  Wolle:    „Gute  Fähigkeiten   gelten  heute  so 
wenig  als  ein  gutes  Bein  in  einem  wollenen  Strumpf."    (The  Saw  has 
lost  her  pearl.)  —  Die  Fufsbekleidung   sind   meist  shoes,    die   durch 
shoeroses,  oft  sechzig  Pfund  an  Wert  (Ben  Jons.  Devil  is  an  Ass), 
oder  shoe-ties   geziert  sind.    Die  letzteren  gelten  zumal  als  Zeichen 
des  gereisten  Mannes  (travellers):  master  Shoetye,  the  great  traveller 
(Meas.   for   Meas.  IV,  3).     Ben  Jons,   sagt,   Cynthia's  Revels  (1603): 
From  wearing  .  .  .  shoe-ties  God  Mercury   defend   us.  —  Als   ärm- 
lich, und  bezeichnend  für  den  citizf-n  werden  die   shining   shoes  ge- 
nannt, wohl  gewichste  Schuhe;   so  sagt  Kitely,    der  Typus  des  Citizen 


104  Sitzungen  der  Berliner  Gescllscliaft 

in  IJen  Jons.  Every  man  in  li.  h.  —  Sehr  beliebt  waren  aufser  den 
shoes  auch  boots,  Stiefel,  und  zwar  mit  Sporen.  Gondomar,  der 
spanische  Gesandte  unter  Elisabeth  und  Jakob,  meldete  nach  Hause, 
dafs  alle  Bürger  von  London  gestiefelt  wären.  Im  letzten  Parlamente 
unter  Elisabeth  wies  der  Sprecher  die  Gemeinen  an  to  come  (o  the 
housc  without  spurs.  —  Als  Zubehör  der  männlichen  wie  der  weib- 
lichen Kleidung  ist  noch  scarf,  die  Schärpe  (French  scarf)  zu  er- 
wähnen, die  ja  als  grellfarbige  Feld  bin  de  auf  den  Kriegsbildcrn  der 
Zeit  eine  so  grofse  Rolle  spielt  (vergl.  die  rote  Schärpe  deutscher 
Landsknechte).  „Lady,  your  scarf's  fallen  down.  You  may  wear  it, 
an  you  please."  Beaum.  Fl.  Wit  at  sev.  und  im  Loyal  Subj.  1,  5 
derselben  Autoren.  A.  A  favour  for  your  soldier.  O  give  him  this,  wench. 
Thns  I  tie  on  victory.  —  Die  Geldbörse  (purse)  wurde  an  Riemen  oder 
Bändern  getragen  (cf.  cut-purse),  die  Taschenuhr  in  der  Hosentasche. 
Statt  des  long  sword  des  16.  Jahrb.  trug  man  gern  kleinere  Dolche 
(dagger,  poniard,  stiletto).  Über  diese  Änderung  klagen  Beaum. 
and  Fl.  (Custom  of  Country  II,  1):  A  dagger  „Out  with  your  bod- 
k  i  n ,  Your  pocket  dagger,  your  stiletto  ...  You  made  all 
manly  weapons  out  of  fashions:  You  carry  poniard  s  to  murder 
men,  Yet  dare  not  wear  a  sword  to  guard  your  honour." 

Herr  Wetzel  bespricht  das  erste  Heft  der  für  den  Schulgebrauch 
bequemen  Sammlung  von  Rauchs  English  Readings.  Befremdend  ist, 
dafs  gerade  als  erstes  Heft  Sheridans  School  for  Scandal  gewählt  ist, 
ein  Stück,  das  auch  von  Hoppe  als  für  die  Schule  nicht  verwendbar 
bezeichnet  ist.  Die  Anmerkungen  sind  knapp,  doch  allenfalls  aus- 
reichend und  meist  angemessen.  116,  3  ist  im  Ausdruck  zu  ändern. 
36,  5  und  48,  3  geben  Falsches.  Das  Wörterverzeichnis  ist  ausführ- 
lich, doch  möfste  öfters,  wenn  auch  nur  durch  einen  Accent  (relation  — 
relative,  significant  —  to  signify)  die  Aussprache  angegeben  werden. 

Sitzung   vom    13.  November   1883. 

Herr  Vatke  sprach  über  K  leider luxus  der  Englände- 
rinnen in  Shakespeares  Zeit.  Über  den  damaligen  Kopfputz 
äufsert  Falstaff  zur  Wirtin:  thou  hast  the  right  arched  beauty  of  the 
brow,  that  beconies  the  ship-tire,  the  tire-valiant,  or  any  tire  of 
Venetian  admittance.  Man  sieht,  wie  die  venetianische  Tracht,  die 
freilich  ihrerseits  durch  französische  Mode  beherrscht  wurde,  der  eng- 
lischen Bürgersfrau  als  das  Höchste  vorschwebte.  Zu  dem  mög- 
lichst hohen  Kopfputz,  der  bei  Chaucers  Wife  of  Bath  ten  pound 
wog,  während  im  Townely  Myster  „luditium"  gesagt  wird:  „Das 
Fräulein  ist  gehörnt  wie  eine  Kuh  .  .  .  ihr  Haupt  ist  so  hoch  wie  eine 
Wolke"  —  zu  dieser  Tracht  gehört  eine  möglichst  hohe  Stirn,  die  auf 
den  Porträts  von  Rubens  durch  schrirfstes  Zurückkämmen  der  unge- 
scheitelten    Haare   und    von    der  von  Ohr  zu  Ohr   reichenden    cap    er- 


für  das  Sliidiiim  der  neueren  Sprachen.  105 

zwangen  wird.     Eine  solche  zeigt  auch  Königin  Elisabeth  auf  den  be- 
kannten  Bildern.      Die   von   FalstafF  gerühmte  „gewölbte  Stirn"    wird 
von  J.  Burckhardt  (Kultur  der  Renaissance  in  Italien)  als  das  speoiell 
mittelalterliche    Ideal    bezeichnet,    während    Boccaccio   im   Ameto   die 
ebene  Stirn  als  die  schönste  bezeichnet.     Doch   rühmt  auch  Chaucer 
an  der  Nonne  die  ,.fast  eine  Spanne  breite  Stirn";  Alanus  ab  Insulis 
preist  an   der   Dame  Natur   die   Frons   in   amplam   evagata  planitiem. 
Ebenso  wnrd  in  Fierabras  (V.  2213)   le  front  bei  et  plane  der  schönen 
Floripas  erwähnt.    Das  falsche,  rote  Haar,   das  auch  Elisabeth   trug, 
ist  auf  die  allgemeine  Mode  der  Zeit  zurückzuführen.    In  Ch.  Yriarle, 
La  Vie  d'un  Patricien  de  Venise  (Paris  1874)  spricht  Vecellio  (1590) 
du  soin  que  mettaient  les  patriciennes  ä  se  blondir  les  cheveux,  qu'elles 
tcignaient  d'une  substance.     Es  wird  die  Solana  erwähnt,  jener  Stroh- 
hut  ohne   Deckel,    unter   welchem    die  Venelianorinnen    ihr   Haar   der 
Sonne  aussetzten.  —  Gegen  das  falsche  Haar  der  Engländerinnen  eifert 
auch  Shakespeare  in  den  Sonetten.     Son.  GS:  Before  the  bastard  signs 
of  fair  were  worn,    Before  the   golden   tresses   of  the   dead  —  were 
shi>rn  away.    Im  Merch.  of  Venice  III,  2:  So  are  those  crisped  snaky 
golden  locks  Upon  supposed  fairness  often  known.*   Als  Kopfschmuck 
trugen  Damen   wohl   eine  Rose,   so  Elisabeth   auf  der  dünnen  Silber- 
münze   three   farthings   (cf.  King  John  1    u.   die  Note  von   Dyce).  — 
Als   Kopfbedeckung   der   Bürgei-sfrau    wird    um    1605    bei   der  älteren 
Generation  die  cap  als  allgemein  bezeichnet,  während  die  jüngere  nach 
dem  breiten  French  hood  strebt,   den    schon   die  Jungfrau   INIaria  (nach 
dem  Interlude  der  Four  P's)  an  sonnigen  Tagen  wählte:  diesen  Mode- 
wandel bezeugt  das  Drama  ,,The  London  Prodigal"  (1605)  Akt  III,  1. 
Dort  sagt  der  Liebhaber  von  Frances :  „I'll  have  thee  go  like  a  Citizen, 
in  a  guarded  gown  (d.  i.  besetzt  mit  einem  Saum)  and  a  French  hood. 
i'rances.     That  will  be  excellent  indeed.     Aber  Delia  rät  dem  Bruder, 
sein  Weib  seinem  Vermögen  entsprechend  zu  kleiden,  einfach,    wie  iin- 
Vater  und  Mutter  es  gethan.     Da   kommt   er   aber   übel   an    bei  Civet. 
„So   as   my   father  and   my   mother   went!"     Der   Scherz   wäre   nicht 
schlecht!  „that's  ajest  indeed.    Why,  she  went  in  a  fringed  (frangen- 
besetztem)   gown,    a   single  ruff   (einfache,   nicht  mehrfaltige   Hals- 
krause), and  a  white  cap  (cf.  Rubens)".  —  Die  erwähnten  guarded 
gowns  werden  übrigens   als  specitische  Sonntagstracht  des  Citizen  be- 
zeichnet.     AI.  Schmidt,    „Sacherklärende   Anm.    zu    Shak."    p.   30    be- 
merkt zu  King  Henry  IV.  111,3:  „Ein  Sammetsaum  auf  den  Kleidern 
war    zu    Shakespeares   Zeit   die   Mode   der  Londoner  Bürger   und  wird 
deshalb    häufig  zur  Bezeichnung  von  Spiefsbürgern  gebraucht.     So   im 
Histriomastix,  1610: 

*  Cf.  Timon  v.  Athen  IV',  3.  Die  Frauen -Perücken  wurden  nach 
Stowe,  Survey  of  London  1598,  um  die  Zeit  der  Pariser  Hluthochzeit  in 
England  eingeführt.  In  A  mad  World  my  Mastcr's  (1C08)  heifst  es 
„Perücken   aus  fremden  Haaren  zu  tragen,  ist  das  nicht  gegen  die  Natur?" 


lOti  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Nein,  ich  will  mich  mit  Hofes  Anstand  tragfn; 
Fort  mit  Sammetborten,  schwarzbetrefsten  Armein, 
Der  rapps<;hen  Mode,  der  ich  Narr  gefolgt! 

Morrison  (Reisebeschreibung  1617,  S.  179)  sagt:  „An  öffent- 
lichen Orten  tragen  die  Aldermänner  von  London  Scharlachmäntel  und 
ihre  Frauen  einen  eng  an  sohl  i  efsend  en  Scharlachmantel  mit  einem 
Besatz  von  schwarzem  Sammet."  —  Die  eng  anschliefsende 
Kleidung  der  Bfirgersfrau  im  Gegensatz  zu  den  weiten  Roben  der 
lady,  besonders  des  Hofes,  tritt  öfters  hervor.  So  Ben  J.  Poetaster 
IV,  1,  wo  Chloe  fragt:  am  I  well  enongh  attired  for  the  court? 
Cytheris.  Well  enough!  tliis  s  t  r  ai  ght-bod  i  ed  city  attire  will 
stir  a  courtier's  blood  more  than  the  finest  loose  sacks  the  ladies 
use  to  be  put  in;  ...  your  ruff  and  linen  is  much  more  pure  than 
theirs  ...  Give  nie  my  muff  and  my  dog  —  my  fan  and  niy  mask 
too.  Immer  mehr  aber  gleicht  sich  die  Kleidung  der  Stände 
aus;  im  Jahre  1654  wird  in  „Witts  Recreation"  bitter  darüber  geklagt: 

Louisa,  who  scorns  all  other  imitations, 
Cannot  abide  to  be  outgone  in  fiishions ; 
She  says  she  cannot  have  a  hat  er  r  u  f f . 
A  gown,  a  petticoat,  a  band,  or  cuff, 
But  that  these  Citizens  (whom  she  doth  hate) 
Will  go  into't,  at  ne'er  so  dear  a  rate. 

Der  begehrteste  Stoff  für  das  Damen-Prachtkleid  ist  Brokat, 
tissue  (brocart),  auch  intertissued,  interwoven,  mit  welchem  Shakespeare 
auch  seine  Cleopatra  bekleidet  (gegen  Phitarch,  der  nur  den  gold- 
durchwirkten Baldachin  derselben  erwähnt).  In  The  Devil  is  an  Ass 
klagt  Bei^  Jonson  (161G)  darüber,  dafs  tissue,  früher  Zeichen  der 
true  nobility,  jetzt  ein  solches  der  lechery  sei.  Eine  meisterhafte  male- 
rische Darstellung  hat  der  Brokat  (tissue)  auf  den  Porträts  der  Madame 
de  Montespan  (Maitresse  von  Louis  XIV)  von  Caspar  Netscher  (1639 
bis  1684)  gefunden  (Galerie  zu  Dresden).  —  Unerläfslich  für  den 
weiblichen  Staat  ist  der  Reifrock  (farthingale),  der  auf  dem  Porträt 
der  Pfalzgräfin  Elisabeth,  der  Tochter  Jakobs  I.,  bereits  enormen  Um- 
fang genommen  hat.  Über  das  Wort  farthingale  bemerkt  Müller 
im  Etym,  Wtbch.:  „altengl.  verdingale;  gilt  als  entstellung  aus  dem 
franz.  vertugadin,  was  selbst  aus  vertu-garde,  od.  vertn-gardien  erklärt, 
eigentlich  den  tugendhüter  bedeute" ;  Scheler  336:  „vertugadin,  dim. 
du  vieux  mot  vertugade,  bourrelet  que  l'on  explique  par  vertu  en  garde. 
Les  Espagnols  appellent  la  meme  chose  aussi  guardainfante  (vergl. 
span.  verdugo,  frisches  Reis,  gerte)."  —  Jak.  Falke,  Kostüm - 
geschichte  S.  304  sagt,  der  Reifrock  erscheine  zuerst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  wo  die  spanische  Mode  die  herrschende 
gewesen  sei.  Falke  sagt  dort:  „Als  Sancha  Pansa  (Don  Quixote)  zum 
Statthalter  ernannt  worden,  ist  seine  Gattin  bedacht,  sich  des  hohen 
Amtes  würdig  zu  kleiden.     ,Herr  Pfarrer,'    sagt   sie   zum    Geistlichen, 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  107 

, forscht  mir  doch  aus,  ob  es  hier  nicht  einen  giebt,  der  nach  Madrid 
geht  oder  nach  Toledo,  dafs  er  mir  einen  runden  Reifrock  kauft,  recht 
und  gerecht,  nach  der  Mode  und  so  schön  man  ihn  nur  haben  kann, 
denn  meiner  Seel,  ich  will  der  Statthalterschaft  meines  Mannes,  soviel 
ich  nur  immer  kann,  Ehre  machen.' "  —  Falke  führt  weiter  aus,  wie 
erst  im  17.  Jahrhundert  und  zumal  in  Frankreich  der  Reifrock  die  be- 
kannten ungeheuerlichen  Dimensionen  annahm.  —  Wie  sich  nnn  in 
London  eine  Handwerkersfrau  (um  1605),  da  ihr  Gatte  alderman  ge- 
worden, ähnlich  wie  Sancho  Pansas  Gattin  umkostümiert,  zeigt  sehr 
anschaulich  The  Shoemaker's  Holyday  ("von  Thom.  Dekker  und 
Rnb.  Wilson),  ed.  v.  H.  Fritsche,  Thorn  1862.  Scene  10:  Zunächst 
wünscht  die  Schuhmacherfrau:  let  me  have  a  pair  of  shoes  made;  cork, 
wooden  heels  too.  Damit  sind  die  hohen  Korkschuhe  gemeint,  die 
Marston.  Dutch  courtezan  4,  erwähnt:  „Dost  not  Avear  high  cork 
shoes:  chopines"  (cf.  Stelzschnhe,  Götzinger,  Reallexikon). 

Wenn  al.«o  Hamlet  (II,  2)  zu  dem  jungen,  im  Frauenrock  auf- 
tretenden Schauspieler  sagt :  your  ladyship  is  nearer  to  heaven  than 
when  I  saw  you  last,  by  the  altitude  of  a  c  h  i  o  p  p  i  n  e  —  so  heifst 
das:  Sie  sind  bedeutend  gewachsen.  Yriarte** führt  p.  53  seines 
Werkes  über  Venedig  an,  dafs  noch  heute  im  Musee  municipal  zu 
Venedig  sich  ein  Paar  solcher  Schuhe  vom  Jahre"  1500  befindet.  Die 
Höhe  derselben  wurde  durch  die  Luxusgesetze  der  Proveditori  alle  Pompe 
A'on  1511  wesentlich  ermäfsigt,  doch  konnten  die  Venetianerinnen  * 
darin  nur  mühsam,  auf  ihre  Begleiterinnen  gestützt,  sich  bewegen.  — 
Unsere  Schuhmacherfrau  nun  fährt  fort:  „Art  thou  acquainted  Avith 
never  a  fardingale-maker,  nor  a  f  r  ench -hood  -  maker  ?  I  must 
enlarge  my  bura,  ha,  ha,  ha!  (vergl.  Nares,  über  die  bum-rolls,  die  von 
den  niederen  Klassen  der  Engländerinnen  statt  der  Reifröcke  getragen 
wurden).  How  shall  I  look  in  a  hood,  I  wonder!"  Roger:  „As  a  cat 
out  of  a  pillory  ;  very  well"  (man  denke  hierbei  daran,  dafs  Ben  Jon.son 
erwähnt,  die  French  hoods  bedeckten  auch  die  Schultern).  Die  Frau 
fährt  fort :  „canst  thou  teil,  where  I  may  buy  a  good  hair  ?"  Der  Schalk 
Roger  mifsversteht  hare,  Hase  statt  Haar,  und  sagt:  „Yes,  at  the  poul- 
terer's  in  Gracious-street."  „Thou  art  an  ungracious  wag,"  erwidert 
sie,  „I  mean  a  false  haire  for  my  periwig. "    Roger:    „Why,    the  next 


*  J.  Evelyn  beschreibt  1645  gleichfalls  diese  choppines:  Biirger- 
frauen  untl  die  (nach  Evel\n  30000)  courtezans' durften j dieselben  nicht 
tragen.  Coryat,  Cruilities  (Rei-'iebetichr.)  „describes  them  as  made  of  wood 
covered  with  coloured  leather,  and  sometimes' coi|n'ha|lf  a^yard^high. 
their  altitude  1)eing  proportioned  to  the  rang  of  the  lady."  —  Ben  Jons. 
Devil's  an  Ass  (III,  4)  bezeichnot  diese  cioppinos  als  'spanische  Mode: 
Von  jemand,  der  als  Spanish  lady  verkleidet  ist,  sagt  er:  he  wears  cioppi- 
nos, and  they  do  so  in  Spain.  —  Evelyn  sagt:  one  being  asked  how  he 
liked  the  Venotian  dames,  replied,  that  they  were  mezzo  earne,  mezzo  Hgno, 
half  flesh,  lialf  wood.  —  Die  Orthographie  bei  choppino  schwankt. 


108  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

linie  I  cii(  niy  beard,  you  shall  have  the  shavings  of  it ;  but  mine  are 
all  tnie  hair."  Wife:  „It  is  very  hot,  I  must  get  me  a  f'a  n  or  eise 
a  111  ask."  Der  Fächer,  der  anderswo  weatherbeaten  heifst,  von  dem 
ferner  gesagt  wird,  pcacock  feathers  grow  in  it  —  ersetzte  wohl  auch 
den  Regenschirm,  wenigstens  scheint  umbrella  in  der  Shakespeareschen 
Zeit  nicht  häufig  gewesen  zu  sein  in  England.  John  Evelyn  bemerkt 
im  Diary  bei  Schilderung  seiner  Reisen  in  Frankreich  und  Italien, 
den  7.  Okt.  1644:  Here  (in  Marseilles)  we  bought  umbrellas  against 
the  heats  (flat  spread  as  an  umbrella,  Ben  Jons.  Devil  Ass  IV,  1). 

Erwähnen  wollen  wir  die  hohen  sogen.  M  ü  hls  te  i  u  kragen  (bei 
Rubens  so  häufig).  Diese  ruffs  waren  a  fernale  neck-ornament, 
made  of  plaited  law^n,  or  other  inaterial,  fornierly  used  by  both 
sexes.    Beaum.  and  Fletscher  mokieren  sich  darüber  Nice  Valour  III,  1: 

For  how  ridiculous  wert  to  have  death  conie 
And  take  a  fellow  pinned  up  like  a  mistress ! 
About  bis  neck  a  ruff,  like  a  pinch'd  lanthoru, 
Whicli  schoolboys  make  in  winter. 

iSchliefslich  erwähnen  wir  noch  die  Scarfs,  Schärpen,  die  der 
männlichen  und  weiblichen  Kleidung  gemeinsam  waren.  Die  Hand- 
schuhe waren  gern  nach  spanischer  Weise  parfümiert.  Auto- 
lycus  bietet  in  Winter's  Tale  IV,  3  aus: 

Lawn,  as  white  as  driven  snow ; 
Cyprus  black  as  e'er  was  crow; 
Gloves,  as  sweet  as  dam  ask  roscs; 
j,  Bugle-bracelet,  necklace-amber 
Perfume  for  a  lady's  Chamber: 
Golden  quoifs  and  stomaehers, 
For  my  lads  to  give  their  dears. 

Diese  golden  quoifs  waren  wohl  ähnliche  mit  Golddraht 
durchzogene  Kappen  oder  Hauben,  wie  eine  solche  in  Eger  in  Böhmen 
aus  dem  Nachlafs  der  Gemahlin  Wallensteins  zu  sehen  ist. 

Über  cyprus  vergl.  Schorers  Familienblatt  (1883,  Heft  23), 
wo  gesprochen  wird  über  die  wiederentdeckte  Kunst  der  cyprischen 
Goldfäden  (golddurchwirkte  Stoffe  und  Teppiche).  Nach  Schoi'cr  a.  a.  O. 
wurden  vor  dem  10.  Jahrb.  Stoffe  mit  Golddraht  gestickt,  nachher 
kamen  verwebbare  Goldfäden  auf.  Jene  Goldfäden  kamen  von 
Cypern  nach  Italien.  Italienische  Schriftsteller  sprechen  von  dem 
Geheimnis  der  Goldfäden.  Dr.  W.  v.  Müller  und  Dr.  Harz  in  München 
haben  ein  Reichspatent  für  Anfertigung  der  (wiederentdeckten)  Gold- 
fäden erworben. 

Herr  Wetzel  bespricht  mit  kurzen  Worten  einige» weitere  Hefte 
der  Rauchschen  English  Readings. 

Herr  Förster  macht  aufmerksam  auf  eine  Biografia  Autentica 
von  Martin  Lutero  aus  der  Galeria  da,  Reforniadores.  Das  Werk  ist  ohne 
geschichtliche   Kritik   geschrieben,    empfiehlt    sich    aber    durch    die    ge- 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  109 

wandte  Sprache.  Eine  hübsche  Übersetzung  von  „Ein  feste  Burg" 
teilte  Ref.  mit. 

Derselbe  bespricht  Schilling,  Spanische  Grammatik  mit  Berück- 
sichtigung des  gesellschaftlichen  und  geschäftlichen  Verkehrs.  Die 
Regeln  sind  richtig  und  verständlich,  doch  ist  die  Ausdrucksweise  öfters 
nicht  korrekt.  Einzelne  wichtigere  Punkte  sind  übergangen,  auch  finden 
sich  Fehler,  da  die  sprachliche --Auffassung  nicht  sehr  tief  ist.  Die  An- 
gaben über  die  Aussprache  sind  unzureichend;  die  eigentümlichen  An- 
gaben über  die  Aussprache  des  p,  t,  k  haben  nach  Ansicht  des  Ref. 
darin  eine  gewisse  Berechtigung,  dafs  auch  die  Aussprache  der  Konso- 
nanten durch  die  Nähe  oder  Ferne  der  Tonsilbe  modifiziert  wird. 

Herr  Bischoff  bespricht  Scheff'ier,  Die  französische  Dichtung 
und  Sage,  der  zeigen  will,  dafs  die  Franzosen  ein  Volkslied  haben,  in 
welchem  das  Volk  moralischer  erscheint,  als  wir  es  nach  dem  Journal 
Amüsant,  Zola  und  OfFenbach  zu  beurteilen  geneigt  sind.  Eine  Aus- 
wahl aus  den  vorhandenen  Sammlungen  ohne  die  sehr  genaue  Be- 
sprechung und  die  Fufsnoten  hätte  dazu  genügt, 

Sitzung   vom   2  7.  November   1883. 

Herr  Vatke  sprach  über  Bewaffnung  und  Kriegswesen 
im  Shakespear eschen  England.  Aus  dem  frühesten  Mittel- 
alter stammt  bei  Germanen  wie  Romanen  Europas  die  Sitte,  dafs  der 
frei  geborene  Mann  bewaffnet  einhergeht.  Und  selbst  Frauen  tragen 
(nach  Falckes  Kostümgeschichte)  noch  im  15.  Jahrh.  den  Dolch  in 
der  Scheide,  der  dann  durch  den  Fächer  ersetzt  wurde.  Neben  der 
harten,  eisernen  Gewandung  des  Mannes  aber  geht  seit  ältesten 
Zeiten  das  weiche  seidene  oder  gewebte  Kleid  des  Ritters  einher,  auf 
welches  die  Frauen  am  Königshofe  selbst,  wie  z.  B.  dem  jungen  Sieg- 
fried, die  kostbarsten  Edelsteine  aufnähen.  Und  noch  immer  läfst  sich 
auch  im  Shakespeareschen  England  dieser  altherkömmliche  Zwiespalt 
des  äufseren  Erscheinens  bei  der  Männerwelt  erkennen  :  man  wandte 
ungleich  mehr  Geld  und  Zeit  auf  kostbare  Kleidung  als  heutzutage, 
dieselbe  aber  hängt  trotz  aller  Tyrannei  der  Mode  noch  immer  von  der 
individuellen  Geschmacksrichtung  des  einzelnen  ab:  for  the  apparel  oft 
proclaims  the  man,  sagt  der  Hofmann  Polonius.  Und  der  Engländer 
jener  Zeit,  der  durchgängig  bewaffnet  einhergeht,  ist  sich  jenes  Gegen- 
satzes wohl  bewufst,  der  sich  auch  ausprägt  in  dem  unvermittelten 
Übergange  von  rauhen  Kriegsfahrten  zu  leichtbeschuhtem  Tanze  und 
von  der  Laute  umtönter  Buhlschaft:  man  denke  an  den  Anfang  von  King 
Richard  HI.  bei  Shakespeare.  Am  schroffsten  aber  treten  diese  Gegen- 
sätze hervor  beim  Ritter  und  Hofmann,  der  in  Seide  prangt,  während 
die  Hofordnung  der  Königin  Elisabeth  die  Länge  seines  Degens  be- 
stimmt. Der  einfachere  Bürger  aber,  der  Citizen,  der  im  übrigen  sich 
selbst  in  seiner  Nachäffung  der  höheren  Stände  leider   fast  ebenso  sehr 


110  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

verachtet  nls  er  von  diesen  verachtet  wird,  er  verhöhnt  diese  silken 
fellovvs,  deren  Leibwäsche  oft  von  zweifelhafter  Reinheit  sei  (The 
8hocmaker's  Holyday),  und  der  gottselige  Puritaner  ruft  den  Zorn  des 
Himmels  auf  die  200  in  Samniet  und  Seide  einherstolzierenden  Schau- 
spieler Londons  herab,  die  doch  die  Waffen  wohl  zu  führen  und  wie 
Ben  Jonson  den  Gegner  im  Duell  zu  töten  wissen.  Jedermann  also 
trägt  Waffen.  Schon  der  kleine  Knabe,  noch  unbreeched,  führt  den 
wenn  auch  oft  harmlosen  wooden  dagger.  Leontes  in  Winter's  Tale 
sieht  sich  in  der  Erinnerung  noch  unbreeched  „In  my  green  velvet 
coat;  my  dagger  muzzled,  Lest  it  should  bite  its  master  (wie  der  Hund 
ohne  Maulkorb).  Bei  Ben  Jonson,  in  A  Tale  of  a  Tub  II,  1  sagt 
Hilts  (der  booted  and  spurred  eintritt) :  I  may  answer  with  my 
school-daggger.     (Vergl.  auch  Herrick,  On  Paget  a  Schoolboy.) 

Die  typische  Waffe  der  Handwerkslehr-  und  Laden- 
burschen  sind  die  clubs  (Knüttel).  Man  kennt  den  Ruf:  clubs  for 
prentices!  nur  allzu  gut  in  Shakespeares  London.  Ein  vollständiges 
Arsenal  aber  hat  der  Friedensrichter  in  seiner  Hall.  So  sagt 
Friedensrichter  Clement  (Every  man  in  his  humour  V,  1),  als  man  ihm 
den  Captain  Bobadill  meldet:  A  soldier!  Take  down  my  armour, 
my  sword  quickly  .  .  .  Come  on,  come  on  (arms  himself).  Hold  my 
cap  there,  so;  give  me  my  gorget,  my  sword.  —  Wie  des  Friedens- 
richters „Hall"  geradezu  typisch  für  die  Waffenkammer  ist,  zeigt  Ben 
Jonsons  Silent  Woman  IV,  2:  „He  has  got  somebody's  old  two- 
hand  sword  ...  he  is  so  hung  with  pikes,  halberds,  petro- 
nels,  calivers  and  muskets,  that  he  looks  like  a  justice  of 
peace's  hall."  —  Gegen  diese  allgemeine  Sitte  der  Engländer,  be- 
waffnet zu  gehen,  schrieb  Sir  E.  Coke  (f  1634)  in  den  Institutes 
Teil  III,  S.  162  (vergl.  Büchmann,  Gefl.  Worte  220)  „Gegen  das 
Bewaffnetgehen":  „Es  darf  jemand  Freund  und  Nachbarn  ver- 
sammeln, um  sein  Haus  gegen  diejenigen  zu  verteidigen,  welche  ihn 
berauben  oder  toten  oder  ihm  darin  Gewalt  anthun  wollen."  For 
a  man's  house  is  his  Castle.  Er  sagt  in  „Semayne's  Gase", 
5  Report  91:  „Das  Haus  eines  Jeglichen  ist  ihm  gleich  wie  seine  Burg 
und  seine  Feste,  sowohl  zu  seiner  Verteidigung  gegen  Beleidigung  und 
Gewalt  wie  zu  seiner  Ruhe."  —  Welches  üble  Licht  wirft  dies  auf  die 
öffentliche  Sicherheit  der  Zeit  und  des  Zeitalters,  für  deren  Erhaltung  sich 
bekanntlich  im  16.  Jahrb.  in  Spanien  eine  besondere  Brüderschaft,  die 
Santa  hermandad,  gebildet  hatte.  —  Um  nun  aus  dieser  allgemeinen 
Bewaffnung  der  Engländer  einen  einzelnen  Punkt  herauszugreifen,  der 
durch  eine  Verfügung  König  Jakobs  I.  eine  grelle  Beleuchtung  erfährt, 
nennen  wir  die  Pistolen.  Wir  berufen  uns  auf  Walter  Scott,  der  in 
den  Anmerkungen  zu  seinen  „Nigel's  Fortunes"  sagt :  „In  1612  there 
was  a  rumour  abroad  that  a  ship-load  of  pocket-pistols  had 
been  exported  from  Spain  with  a  view  of  a  general  massacre  of 
the  Protestants.     Proclamations   were   in   consequence   sent  forth    pro- 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  1 1 1 

hibiting    all    persons    from    carrying    pistols    under   a   foot    long   in 
the  barrel," 

Eine  stehende  Armee  kannte  ja  das  damalige  England  be- 
kanntlich  nicht.  Macaiilay,  der  hervorhebt,  dafs  eine  solche  stets 
unpopulär  in  England  gewesen  sei,  bemerkt,  dafs  Charles  II.  im 
Jahre  1662  die  gentlemen  of  the  Guard  (Life  Guard)  gründete,  the 
nucleus  ofa  Standing  army.  So  haben  sich  ja  auch  im  übrigen 
Europa  die  stehenden  Heere  aus  der  Leibwache  der  Fürsten  ent- 
wickelt. Und  doch  waren  marschierende  Soldaten  dem  Londoner  ein 
sehr  gewohnter  und  beliebter  Anblick;  er  verehrte  in  der  Bürger-Miliz 
—  den  train  bands  —  seine  wohlgenährten  Brüder  und  Vettern.  Mag 
man  spotten  über  die  mangelhaft  „gedrillten"  Garden  von  Mile-End, 
Macaulay  hat  dargethan,  was  diese  faustkräftigen  Dreinschläger  in 
der  Affaire  z.  B.  des  Moninouth  bewiesen  haben.  Die  Dramatiker 
mögen  sich  lustig  machen  über  die  schärpenbehangenen  ale-Trinker, 
und  ihr  —  sogenannten  Schönen  —  eilt  nur  immer  an  die  Fenster  in 
Choapside  und  Cornhill,  wie  Ben  Jonson  euch  darstellt,  und  werft  den 
Mitbürgern  Schärpen  und  Liebesblicke  zu  —  das  letztere  hat  euch  noch 
niemand  verübelt  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Wir  wi.'^sen  ja,  dafs 
der  Kapitänsrang  ebenso  käuflich  ist  wie  Federhut  und  Schärpe,  womit 
sich  der  ehrsame  Bürger  schmückt,  ebenso  stolz  über  seine  militärische 
Tracht  als  erfreut  über  sein  friedliches  England.  Wieder  hat  Ben  J. 
das  Wort  in  The  Devil  is  an  Ass  III,  1  : 

Buy  him  a  captain's  place,  for  shanie;  and  let  him 

Into  the  World  early,  and  witli  bis  plume 

And  scarfs  mar  eh  through  Cheapside,  or  along  Cornhili, 

And  by  the  virtue  of  those,  ilravv  down  a  wife 

There  from  a  window,  worth  ten  thousand  pounds! 

Get  him  the  posture-book  and's  leadt-n  men 

To  set  upon  a  table,  'gainst  bis  mistress 

Chance  to  come  by  that  he  may  draw  her  in, 

And  show  her  Finsbury  battles. 

Eine  Hauptschilderung  der  train-bands  in  Mile-end  findet  sich 
übrigens  am  Ende  von  Beaumont  und  Fletchers  Knight  of  the  Burning 
Pestle. 

Die  bunte  Tracht  des  Soldaten  lockte  nun  auch  den  geplagten 
Bauersmann  vom  Pfluge.  Hören  wir  darüber  die  inhaltvollen 
Worte  des  bishop  Hall,  Satires  IV,  6  (vom  Jahre  1597): 

The  sturdy  plowman  doth  the  soldier  see 
All  scarfed  with  py'd  colours  to  the  knee, 
Whom  Indian  pillage  hath  made  fortunate; 
And  now  he  'gins  to  loathe  bis  former  State. 
Now  doth  he  inly  scorne  bis  K  endall   greene. 

Ken  dal  1  liegt  in  Westm  ore  la  n  d.  —  Was  nun  die  Waffen 
im  einzelnen  betrifft,  so  ist  die  allgemeinste  z.  B.  noch  bei  den  Polizei- 
soldaten Cromwells  die  Partisane.     Auch  der  Bürger  führt  dieselbe. 


]12  Sitzungen  der  Berliner  Gescllschütt 

And  made  Verona's  ancient  Citizens 

To  wield  old  partizaus,  in  hands  as  old, 

Canker'd  with  peace.       (Romeo  and  Julia  I,  1.) 

Die  Namen  derFeuerwaffen  wurden  vielfach  von  Raubtieren 
liergenommen,  vergl.  saker,  eine  Falkenart,  Falkonet,  serpent.  Über 
Musket,  Muskete,  sagt  Nares  (Glossary):  „Musket  the  male  young 
of  the  sparrow-hawk",  le  mousquet,  vom  ital.  moschetto  (Sperber). 
„As  the  invention  of  fire-arms  took  place  at  a  time  when  hawking 
was  in  high  fashion,  some  of  Ihe  new  weapons  were  named  after 
those  birds  probably  from  their  fetching  their  pi'ey  from  on 
high.  A  saker  was  also  a  species  of  a  cannon."  (Übrigens  weist 
Burckhardt,  Gesch.  der  Renaissance  in  Italien,  nach,  wie  verbalst  die 
Feuerwaffen  im  15.  Jahrb.  in  Italien  waren,  wie  gewisse  condottieri 
den  Feinden,  welche  sich  derselben  bedient  hatten,  keinen  Pardon 
gaben.)  Das  Wort  soldado  ist  spanisch  und  italienisch.  Man  sah 
die  spanischen  Soldaten  damals  wohl  allgemein  als  die  besten  an.  Man 
höre  Ben  Jonson  (der  den  Feldzug  in  Flandern  von  1592  — 1593  mit- 
machte) in  The  New  Inn  (III,  1): 

1  like  the  plot  of  your  militia  well. 

It  iKS  a  fine  militia,  and  well  order'd, 

And  the  divisions  neat!  'twill  be  desired 

Only,  the  expressions  were  a  little  more  Spanish; 

For  there's  the  best  militia  ofthe  world. 

Und  J.  Mars  ton  (geb.  1592)  sagt  (On  bis  Pygm  p.  134): 

Which  like  soldados  of  our  warlike  age, 
March  rieh  bedight  in  warlike  equipage. 

In  Shirley,  Doubtful  Heir  IV: 

A.  We  were  told  by  the  cheating  captain, 

That  we  should  want  men  to  teil  our  raoney. 
L.  This  'tis  to  deal  with  soldados. 

Aus  dem  Spanischen  wurde  auch  die  Bezeichnung  für  „Oberst", 
Colone  1,  altengl.  coronel,  span.  ebenso  coronel,  genommen. 

Soldaten  wurden  geprefst  und  ausgehoben.  Der  wer- 
bende Kapitän  (in  Locrine  II,  3)  tritt  bei  den  singenden  Schustern  ein : 
But  when  he  sees  that  needs  he  must  be  pressed  He'll  burn  his  note. 
Has  your  king  any  commission  to  take  any  man  against  his  will? 
Ebenso  wird  das  Pressen  zum  Soldaten  erwähnt  in  The  Shoemaker's 
Holyday. 

Offiziere  aufser  Diensten  bewegten  sich  gern  im  Middle  Aisle  of 
St.  Paul's.  So  wird  auch  Kapitän  Bobadill  genannt  a  Paul's  man. 
„The  visitants  (in  Paul's  walk)  are  stale  knights  and  captains  out  of 
Service,  men  of  long  rapiers  and  breeches"  (long  breeches 
hiefsen  trowsers  und  wurden  von  den  Soldaten  gern  enganliegend  in 
den  slashed   boots  getragen).    Der  Friedenssoldat  aber   wird   als 


für  das  Stiuli'um  der  neueren  Sprachen.  113 

eine  Last  für  das  Land  angesehen  „A  soldier  is  in  peace  a  mockery, 
a  very  lown-bull  for  langhter"  (J.  Ford,  Lady's  Trial  V,  1  vom 
Jahre  1639). 

Das  Zeitalter  des  dreifsigj  ährigen  Krieges  aber 
konnte  auch  in  England  nur  einen  kriegerischen  Charakter  haben. 
Ben  Jonson  sagt  in  den  Epigrams : 

as  soon  it  grew  to  be 
The  city-question,  whether  Tilly  er  he 
Were  now  the  greater  captain?  for  they  saw 
The  Berghen  siege,  and  taking  in  B  r  e  d  a  u  , 
So  acted  to  the  life,  as  Maurice  might, 
And  Spinola  have  blushed  at  the  sight. 

Derselbe  in  den  Underwoods   p.  698: 

Wake,  friend,  from  forth  thy  lethargy!  the  drum 
Beats  brave  and  loud  in  Europe,  and  bids  come 
All  tbat  dare  rouse. 

Der  Krieg  ist  Stadtgespräch.  Im  Staple  of  New^s  III,  2  sagt 
Lickfinger  in  der  Redaktion  (von  Mr.  Butters  Zeitung): 

Something  of  Bethlen  Gabor, 
And  then  I  am  gone. 

We  hear  he  has  devised 

A  drum,  to  fill  all  Cbristendom  with  the  sound: 
But  that  he  cannot  draw  bis  forces  near  it, 
To  march  yet,  for  the  violence  of  the  noise. 

Lickf.  A  little  of  the  Duke  of  Bavier,  and  then  — 
He  has  taken  a  grey  habit,  and  is  turn'd 
The  church'  milier,  grinds  the  catholick  grist 
With  every  wind:  and  Tilly  takes  the  toll. 

Kein  Zweig  des  Kriegshandwerks  aber  wird  von  den  Schriftstellern 
der  Zeit  mit  gröfserer  Vorliebe  behandelt  als  die  Ingenieur-Kunst. 
Hören  wir  den  rachebrütenden  Hamlet  (III,  4): 

Let  it  work; 
For  'tis  the  sport,  to  have  the  engineer 
Holst  with  bis  own  petar,  and  it  shall  go  hard, 
But  I  will  delve  one  yard  below  their  mines, 
And  blow  them  at  the  moon.     ü!  'tis  most  sweet, 
When  in  one  line  two  crafts  directly  meet. 

(Vergl,  die  Belagerungen  von  Schweidnitz  und  Sebastopol.)  So 
spricht  der  in  der  Süfsigkeit  und  Sicherheit  der  Rache  schwelgende 
Hamlet. — Ben  Jonson  nennt  im  Staple  ofNews  (wohl  die  älteste 
Schilderung  einer  Zeitungsredaktion)  die  Jesuiten  the  only  engineers  of 
Christendom : 

I  have  heard  ...  Don  Spinola  made  general  of  the 
Jesuit s!    A  priest!    O,  no,  he  is  dispens'd  withal  — 
And  the  whole  society,  who  do  now  appear 
The  only   engineers   of  Christendom. 
Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  g 


114  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Sogar  als  Back  werk  und  Pastete  liebte  man  Belage  riingen 
nachzubilden  und  wie  bei  dem  Friedensmahle  /u  Niirnberg  bei  uns 
nach  dem  dreiCsigjiihrigen  Kriege  auf  die  Tafel  zu  setzen.  Wir  er- 
wähnen Ben  Jons,  in  Neptune's  Triumph  (1624)^  der  von  einem  Koch 
rühmt: 

he  builds,  he  fortifies 

Makes  oitadels  of  curious  fowl  and  fish, 

Some  by  dry-ditches,  some  niotes  round  which  brotbs, 

Mounts  niarrow-bones;  cuis  fifty-angled  custarls; 

Rears  bulwark  pies;  and  for  his  outer  works, 

He  raiseth  ramparts  of  imraortal  crust ; 

And  teacheth  all  the  tactics  at  one  dinner: 

What  rank,  what  files,  to  put  the  dishes  in, 

The  whole  art  military. 

So  bei  Massinger,  A  New  Way  to  pay  old  Debts  I,  1  (1633, 
London) : 

raise  fortifications  in  the  pastry, 
Such  as  might  serve  for  modeis  in  the  Low  Countries, 
Which,  if  they  had  been  practised  at  Breda, 
Spinola  luight  have  thrown  his  cap  at  it, 
and  ne'er  took  it  — 

wozu  Gifford  bemerkt:  fortifications  in  the  pastry  —  then 
a  common  mode  of  ornamenting  pastry.  The  siege  of  Breda  was 
one  of  the  most  celebrated  of  the  time.  Spinola  sat  down  before 
the  town,  August  26,  1624,  and  it  did  not  surrender  until  the  Ist 
of  July  following.  —  Sehr  populär  war  auch  und  in  der  Dichtung  oft 
erwähnt  die  Belagerung  von  Gent  1584:  Mary  Ambree,  das 
Mädchen  von  Gent,  welche  sich  dabei  so  rühmlich  auszeichnete,  wird 
bei  Ben  Jons,  häufig,  z.  B.  Silent  Woman  III,  5  L  erwähnt. 

Auch  in  die  Konversation  des  täglichen  Lebens 
sind  militärische  Ausdrücke  und  Anspielungen  auf  das 
Wa  f  f  e  n  han  d  w  erk  übergegangen.  So  nimmt  John  Marston, 
Antonio  and  Meilida  (1602)  II,  1  von  Lunte  und  Ladestock  ein  Bild 
der  Leidenschaften:  „The  match  of  fury  is  lighted,  fastend  to  the 
1  in  stock  of  rage,  and  will  presently  set  fire  to  the  touch-hole  of 
intemperance,  discharging  the  double  culverin  of  my  incensement  in 
the  face  of  thy  opprobrious  speech."  —  Wir  führen  ferner  an:  „Sweet 
virgin,  Faces  about,  to  some  other  discourse"  (Antiquary,  0.  P.  X,  50). 
Und  zu  Bobadill,  der  nicht  aufhören  kann  zu  prahlen,  heifst  es  Every 
man  in  h.  h.  III,  1 : 

Good  captain,  faces  about,  —  to  some  other  discourse. 

Or  when  my  muster-master 

Talks  of  his  tactics,  and  his  ranks  and  files, 

His  bringers-up,  his  leaders-on:  and  cries, 

„Faces  about,  to  the  right  band",  „the  left", 

New,  „as  you  were".       (Ben  Jons.,  Staple  of  News  IV,  4.) 

„Faces  about"  ist  das  Kommando  „Kehrt".  Auch  Shake- 
speare spielt   nicht   ungern   auf  das  Waffenhandwerk  an,  z.  B.  wie 


für  das  StutJium  der  neueren  Sprachen.  115 

der  ungeschickte  Soldat  bei  Handhaben  der  Lunte  leicht  sich  verbrennen 
konnte: 

Like  powder  in  a  skill-less  soldier's  flask 

Is  set  afire  by  thine  own  ignorance, 

And  thoii  disraenibered  with  thine  own  defence. 

(Romeo  and  Julia  III,  3.) 

Die  hölzerne  Pulverflasche  trug  man  am  Gürtel,  und  es  wird  er- 
wähnt, dafs  der  Soldat,  der  nicht  recht  Bescheid  wufste,  sich  leicht 
nach  Anlegen  der  Lunle  den  Bart  verbrannte.  Vergl.  „exhort  your 
soldiers  to  be  merry  and  wise,  and  to  keep  their  beards  from  burn- 
ing'",  Ralph.  (Beaum.  and  Fl.,  Knight  of  the  B.  Pestle).  Für  den 
plötzlich  Erschreckten  hat  Shakespeare  den  Vergleich:  as  the  sleeping 
soldiers  in  th'alarm,  Your  bedded  hair  .  .  .  Starts  up  (Haml.  III,  4). 

Herr  Tanger  sprach  liber  die  in  Nr.  45  des  Litter.  Centralblattes 
erschienene,  R.  W.  unterzeichnete  Anzeige  von  Elzes  Old  Spelling 
Hamlet.  R.  W.  beurteilt  Elzes  Ausgabe  sehr  günstig  und  billigt  be- 
sonders auch  die  neue  kritische  Methode  Elzes,  nach  welcher  im  allge- 
meinen eine  Schreibung  oder  Lesart  aufgenommen  wird,  wenn  sie  in 
zwei  der  drei  alten,  für  den  Text  des  Hamlet  in  erster  Linie  in  Betracht 
kommenden  Ausgaben  (Quarto  A  [1603],  Quarto  B  [1604]  und  Folio  A 
[1623])  steht. 

Herr  Tanger  wies  darauf  hin,  dafs  es  den  Anschein  habe,  als  ob 
R.  W.  von  den  neuesten  Hamletforschungen,  die  in  der  Anglia  IV, 
1  u.  8,  V,  2  und  Transactions  of  the  New  Shak.  Soc.  1880—1882, 
Part.  I  erschienen  sind,  ebenso  wenig  Notiz  genommen  habe,  wie  von 
der  ausführlichen  Abhandlung  über  Elzes  neue  Ausgabe,  die  im  neuesten 
Bande  des  Shak. -Jahrb.  veröffentlicht  ist.  Herr  Tanger  beschränkte  sich 
deshalb  darauf,  seine  in  der  letzterwähnten  Abhandlung  erhobenen  Ein- 
wendungen gegen  Elzes  Hamlet  auch  gegen  R.  W.  geltend  zu  machen. 

Er  erinnert  an  gewisse  Widersprüche  in  Elzes  Einleitung,  über 
die  R.  W.  mit  Stillschweigen  hinweggegangen  sei.  Wenn  es  auf 
p.  VIII  der  Introduktion  heifse :  „Elizabethan  spelling  was  altogether 
in  a  State  of  fluctuation,  not  to  say  anarchy ;  inconsistency  and  capri- 
ciousness  were  its  chief  characteristics,  not  only  in  the  hands  of  the 
illiterate,  but  no  less  in  the  highest  walks  of  Society",  und  ferner  ib. : 
„Shakespeare,  like  his  contemporaries,  was  a  latitudinarian  in  matters 
of  orthography  and  was  not  restrained  by  strict  rules  or  a  fixed  usage, 
but  indulged  in  all  sorts  of  anomalies,  so  that  it  is  incumbent  on  an 
editor  of  his  works  in  old  spelling  to  preserve  this  wavering  irregu- 
larity";  wenn  dann  auf  p.  VI  gesagt  werde:  „The  question,  what  share 
in  the  formation  of  the  spelling  is  to  be  ascribed  to  the  copyists  and 
editors,  may  fairly  be  left  out  of  consideration,  since  their  spelling  can 
no  more  be  identified  with  that  of  the  poet  than  the  spelling  of  the 
compositors",  und  dann  doch  p.  XI  als  der  Zweck  der  Ausgabe  die 
Reproduktion  von  Shakespeares  Original-Manuskript,    soweit   sie   mög- 

8* 


116  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

lieh,  bezeichnet  wird,  so  sei  darin  ein  Widerspruch  enthalten,  den  R.  W. 
nicht  hätte  übersehen  dürfen. 

Was  nun  die  oben  erwähnte  neue  Methode  Elzes  bei  der  Her- 
stellung des  Textes  betrifft,  so  hob  Herr  Tanger  hervor,  dafs  ein  solches 
Verfahren  nur  dann  gerechtfertigt  wäre,  wenn  alle  drei  alten  Ausgaben 
in  demselben  Abstamniungsverhältnis  zu  Shakesp.  Orig.-Ms.  ständen 
und  an  sich  gleich  zuverlässig  wären,  was  doch,  wie  allgemein  bekannt 
und  anerkannt,  bei  Hamlet  nicht  der  Fall  sei.  Er  teilte  das  Resultat 
seiner  Hamlet- Untersuchungen  mit,  wie  er  es  im  Sh. -Jahrb.  p.  25  f. 
formuliert  hat,  nebst  den  Normen,  die  sich  daraus  für  die  kritische  Be- 
handlung des  Hamlet-Textes  ergeben. 

Auf  die  frühere,  ganz  richtige  Methode  Elzes  hinweisend,  wie  sie 
in  der  Einleitung  zu  dessen  erster  Hamlet-Ausgabe  p.  XXIX  kurz 
dargelegt  sei,  bedauert  Herr  Tanger,  dafs  Elze  von  dem  alten  richtigen 
"Wen^e  abseeangen  sei  und  sich  einer  so  unkritischen  Methode  zuge- 
wandt  habe,  spricht  aber  zugleich  sein  Befremden  darüber  aus,  dafs 
R.  W.  an  derselben  keinen  Anstofs  genommen  habe. 

Im  Anschlufs  daran  regt  Herr  Tanger  wieder  die  Fi'age  an,  ob 
solche  „revised  editions  in  old  spelling"  von  Shakespeares  Stücken 
überhaupt  notwendig  seien.  Nach  dem,  was  Elze  (siehe  obige  Citate) 
über  den  Zustand  der  Elisabethanischen  und  speciell  Shakespeareschen 
Orthographie  bemerkt,  könne  man  im  besten  Falle  eine  „annähernd" 
richtio'e  alte  Orthographie  zu  stände  bringen,  denn  wenn  auch  alle  ein- 
zelnen Schreibungen  einer  solchen  Ausgabe  historisch  zu  belegen  seien, 
so  sei  doch  die  Gesamtheit  derselben  als  solche  zum  Teil  ein  modernes 
Produkt,  da  oft  genug  der  Herausgeber  bei  der  Aufnahme  gewisser 
Schreibungen  seinem  individuellen  Geschmack  folgen  müsse.  Den  An- 
forderungen strenger  Wissenschaftlichkeit  können  solche  Ausgaben  also 
nicht  gerecht  werden.  Die  Gelehrten,  und  nur  für  solche  können  der- 
artige Ausgaben  bestimmt  sein,  werden  zur  Untersuchung  und  Ent- 
scheidung von  Streitfragen  nur  auf  die  Quellen  zurückgreifen  dürfen, 
die  ja  überdies  durch  die  vortreflflichen  Griggs-Furnivallschen  und  an- 
dere Faksimiles  leichter  zugänglich  gemacht  worden  seien.  Herr  Tanger 
hält  also  solche  Ausgaben  Shakespearescher  Stücke  neben  den  Faksi- 
miles für  entbehrlich. 

Herr  Z  u  p  i  t  z  a  erklärt,  dafs  er  solche  Old  Spelling  Editions  für 
wichtig  und  wünschenswert  halte. 

Herr  Förster  spricht  im  Anschlufs  daran  über  Vining,  das  Ge- 
heimnis des  Hamlet,  der  nachweisen  will,  dafs  Hamlet  im  Gegensatz 
zu  Lady  Macbeth  ein  weiblicher  Charakter  sei.  Die  Unentschlossen- 
heit,  die  Sucht  die  Entscheidung  hinauszuschieben,  könnte  man  wohl 
weiblich  nennen,  aber  Vining  macht  den  Hamlet  zur  Frau  und  meint, 
Shakespeare  habe  dazu  geneigt,  den  Charakter  so  herauszubilden,  eine 
Phantasie,  die  besonders  noch  von  Herrn  Zupitza  nachdrücklichst 
zurückgewiesen  wurde. 


A 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  117 

Derselbe  bespricht  Michaelis,  Lessings  Minna  von  Barnhelm  und 
Cervantes'  Don  Quixote.  Frappante  Übereinstimmungen  sind  allerdings 
nachgewiesen  worden,  aber  in  untergeordneten  Dingen,  so  dafs  die 
Kraft  der  Beweisführung  für  eine  Beeinflussung  Lessings  gering  zu 
sein  scheint. 

Derselbe  bespricht  drei  Lehrbücher  für  das  Spanische:  1)  Horrwitz, 
Praktischer  Lehrgang  der  spanischen  Sprache.  Das  Buch  ist  dürft!"- 
und  voll  grober  Fehler,  so  gleich  bei  der  Aussprache.  Das  Pronomen 
coniunctum  ist  ganz  übergangen.  —  2)  Sauer,  Spanische  Gespräche. 
Das  Buch  ist  besonders  in  den  späteren  Teilen,  wo  es  mehr  an  kon- 
krete Gegenstände  anknüpft,  zu  empfehlen.  —  3)  Stromer,  Viaje  por 
Espaöa,  ein  gutes  Buch,  das  keine  inhaltlosen  Gespräche,  sondern 
Vokabularien  giebt. 

Zum  Schlüsse  trug  Herr  Bourgeois  eine  Scene  aus  dem  Tar- 
luffe  vor; 

Sitzung  vom    IL  Dezember   1883. 

Herr  Zupitza  bespricht  die  erste  Nummer  der  neuerdings  in 
Newyork  erscheinenden  Zeitschrift  Shakesperiana,  die  einen  Mittelpunkt 
für  den  Ideenaustausch  über  Shakespeare- Fragen  bilden  will.  Sie  bringt 
auch  kleinere  Mitteilungen,  Notes  and  Queries,  Nachrichten  von  Über- 
setzungen und  Aufführungen  Shakespearescher  Stücke.  Das  Gesamt- 
urteil des  Referenten  geht  dahin,  dafs  die  Nummer  zAvar  hervorragende 
wissenschaftliche  Leistungen  nicht  biete,  dafs  aber  fast  alles  darin  Ent- 
haltene interessant  und  für  weitere  Kreise  lesenswert  sei. 

Herr  Tanger  spricht  darauf  über  englische  Weihnachtsgebräuche, 
besonders  in  älterer  Zeit.  Nach  Stowe  dauerte  die  Festzeit  vom  I.No- 
vember bis  zum  3.  Februar.  Der  Puritanismus  machte  dem  frohen 
Leben  ein  Ende,  liefs  aber  die  herzliche  Gastfreundschaft  bestehen. 
Dieselbe  wurde  besonders  nach  W.  Irving  geschildert  und  auch  auf  die 
Einleitung  zum  sechsten  Gesänge  des  Marmion,  die  eine  Zusammen- 
stellung der  Weihnachtsgebräuche  giebt,  hingewiesen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Zur  Förderung  des  französischen  Unterrichts,  insbesondere  auf 
Realgymnasien.  Von  Dr.  W.  Münch,  Direktor  des  Real- 
gymnasiums zu  Barmen.     Heilbronn,  Ilenninger,  1883. 

Man  darf  es  gewifs  als  ein  erfreuliches  Zeichen  begrüfsen,  dafs  sich 
auf  dem  Gebiete  des  Sprachunterrichtes  ein  immer  wachsendes  Streben  kund 
giebt,  durch  Verbesserung  der  Methode  die  Wege  zu  ebnen  und  befrie- 
digendere Erfolge  zu  erzielen.  Daher  die  zahlreichen  Veröffentlichungen  der 
letzten  Jahre  über  Art  und  Weise  des  Betriebs  dieser  Fächer.  Unter  ihnen 
gebührt  dem  Münchschen  Büchlein  weitaus  der  Vorrang,  denn  es  verbindet 
miteinander  die  \'orzüge  der  Bündigkeit,  der  gröfsten  Gewissenhaftigkeit 
und  Scharfsinnigkeit  bei  der  Untersuchung  der  einzelnen  Fragen  und  der 
ausgesprochenen  Objektivität;  so  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dafs  diese 
Aufsätze  des  erfahrenen,  schon  durch  seine  Bemerkungen  über  die  fran- 
zösische und  englische  Lektüre  bekannten  Verfassers  eine  solche  Fülle  des 
Belehrenden  und  Anregenden  enthalten,  dafs  sie  selbst  der  tüchtigste  Lehrer 
mit  Nutzen  lesen  wird.  Es  würde  zu  weit  gehen,  wollten  wir  das  Buch  in 
seinen  einzelnen  Teilen  so  eingehend  besprechen,  als  es  dies  verdient ;  wir 
beschränken  uns  deshalb  auf  Hervorhebung  des  Wesentlichsten  und  raten 
jedem  P^achmann,  dem  daran  gelegen  ist  sich  fortzubilden,  dringend,  es  sorg- 
fältig zu  lesen;  es  wird  zu  seinem  und  seiner  Schüler  Vorteil  sein. 

Münch  hat  sich  in  weiser  Beschränkung  einen  engen  Kreis  für  seine 
Erörterungen  gezogen  und  selbst  innerhalb  des  engen  Kahmens  viele  neben- 
sächliche Punkte  nur  gestreift,  dafür  aber  die  wichtigeren  Fragen  um  so 
gründlicher  erörtert.  Den  Inhalt  seines  ßuciies  teilt  er  in  acht  Abschnitte, 
deren  erster  „Allgemeine  Principienfragen"  überschrieben  ist.  Der  Frage 
der  Überbürdung  nahe  tretend,  erklärt  er  von  vornherein,  dafs  eine  Ent- 
lastung der  Schüler  lediglich  „durch  organische  Umgestaltung  der  Methode" 
erreichbar  sei,  und  giebt  somit  die  Notwendigkeit  einer  Reform  zu.  I^s 
bandelt  sich  also  nur  um  das  „Wie?"  Indem  er  die  grofsen  Verdienste  der 
Perthesschen  Methode  für  den  Unterricht  im  Lateinischen  hervorhebt,  geht 
er  zu  den  Anforderungen  der  Reformmänner  über,  unter  welchen  er  beson- 
ders Kühn  und  „Quousque  Tandem"  nennt.  Zu  den  meisten  Grundsätzen 
<lieser  beiden  bekennt  er  sich  gerne,  doch  übersieht  er  keineswegs,  dafs  sie 
in  einzelnen  Dingen  zu  weit  gehen,  dafs  iJie  von  ihnen  verlangte  Umkelir 
nur  innerhalb  gewisser  Schrnnken  statthaben  könne,  solle  nicht  die  neue 
Methode  auf  höchst  verderbliche  Abwege  fühien;  und  so  stellt  er  sich  denn 
die  Aufgabe,  den  Vermittler  zu  machen,  ein  Unternehmen,   welches  ihm,    so 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  119 

gewagt  es  ist,  recht  gut  glückte.  Er  wünscht  Induktion  und  Deduk- 
tion geschickt  miteinander  vereinigt,  so  dafs  jener  die  vorbereitende, 
dieser  die  durchführende  Rolle  zufalle ;  dabei  macht  er,  sehr  mit  Recht,  zwei 
Forderungen  geltend:  erstens  solle  und  dürfe  man  nicht  ängstlich  vor  Ge- 
dächtnisübungen zurückschrecken  und  dann  müsse  die  schriftliche  Arbeit 
immerhin  etwas  schwerer  wiegen  als  die  mündliche.  Im  zweiten  Abschnitt 
..Der  Lehrgang"  giebt  Münch  einen  wohldurchdachten  Plan,  wie  derUnter- 
lichtsstoft"  im  Französischen  auf  die  verschiedenen  Klassen  zu  verteilen  sei ; 
hierbei  halt  er  sich  sachgemäfs  an  die  z.  Z.  in  Preufsen  bestehende  Orga- 
nisation, nach  welcher  unser  Gegenstand  im  zweiten  Jahre,  d.  h.  in  Quinta 
begonnen  wird.  Doch  kann  er  nicht  umhin,  auf  die  Unzweckmäfsigkeit 
dieser  Einrichtung  hinzuweisen,  und  wünscht  im  Interesse  des  Lateinischen 
wie  des  Französischen  letzteres  nach  Quarta  verschoben.  Das  erste  Jahr 
soll  nach  Münch  ein  propädeutisches  sein  mit  sorgfältigster  Beachtung  der 
Aussprache  unter  Zugrundelegung  einer  geeigneten,  kurzen  Lautlehre. 
In  Quarta  beginne  der  planmäfsige  grammatische  Unterricht,  der  in  diesem 
und  den  beiden  folgenden  Jahren  durch  Formenlehre  und  Syntax  hindurch 
zu  einem  vorläufigen  Abschlufs  zu  gelangen  hat,  d.  h.  unter  möglichster 
Beschränkung  auf  die  wichtigeren  Regeln.  Untersekunda  soll  durch  einen 
Übergangs-  oder  Repetitionskurs  ausgefüllt  werden,  der  zur  Festigung  des 
bis  dahin  Gelernten  diene,  so  dafs  der  Schüler  gut  gesattelt  in  den  letzten, 
das  Frühere  ergänzenden  Kurs  einträte,  dessen  Aufgabe  während  der  drei 
letzten  Schuljahre  (IIa  — la)  einzig  und  allein  die  Förderung  allge- 
meiner Geistesbildung  sein  kann.  Die  „Aussprache"  hält  der  Ver- 
iasser  für  wichtig  genug,  um  ihr  ein  eigenes  Kapitel  (III.)  zu  widmen, 
welches  gleich  dem  vorangehenden  voll  von  trefflichen  Äufserungen  ist  Das 
erste  Erfordernis  zu  einer  guten  Aussprache  bildet  die  leider  nur  gar  zu 
oft  vermifste  und  zuweilen  von  Lehrern  an  sich  selbst  vernachlässigte  gute 
deutsche  Aussprache;  man  glaube  nicht  verächtlich  auf  das  Sprechen 
herabsehen  zu  dürfen,  denn  „eine  Art  bescheidener  Kunstleistung  ist  gutes 
Sprechen  ja  doch  immerhin".  Auf  der  anderen  Seite  hüte  man  sich  aber 
auch  gar  zu  pedantisch  zu  sein.  Neben  der  guten  Anleitung  wird  dtis  Haupt- 
iiiittel  gutes  Vorbild  sein.  ,.Nachahmung,  Übung,  Gewöhnung  gilt  es." 
Sehr  grofses  Gewicht  wird  auf  zusammenhängendes,  verständnisvolles  Lesen 
gelegt,  das  von  Anbeginn  zu  üben  ist;  freie  Schülervorträge,  die  doch  nur 
zur  Unvollkommenheit  führen,  werden  verpönt.  S.  42  wird  verlangt,  dafs 
das  laute  Lesen  nicht  dem  Übersetzen  vorangehe,  sondern  folge;  wo  und 
solange  der  Lehrer  selber  zuerst  das  zu  übersetzende  Stück  vorliest,  wird 
es  zweckmäfsig  sein,  den  Schüler  nach  erfolgter  Übersetzung  lesen  zu  lassen, 
später  sollte,  meinen  wir,  in  der  Regel  das  Lesen  vorhergehen.  Auch  das 
„Sprechen"  als  solches  befürwortet  der  Verfasser  im  folgenden  vierten 
Kapitel,  da  unleugbar  ein  leiser  Fluch  der  Lächerlichkeit  daran  hafte,  wenn 
man  lange  Jahre  eine  neuere  Sprache  studiere  ohne  das  Ergebnis  des 
Sprechenkönnens.  Die  vielerlei  grofsen  Schwierigkeiten,  mit  denen  der 
Lehrer  gerade  in  diesem  Punkte  zu  kämpfen  hat,  verkennt  Herr  Münch 
keineswegs,  aber  er  hält  sie  nicht  für  unüberwindlich ;  nur  mufs  man  von 
vornherein  seine  Aufmerksamkeit  diesem  Teil  des  Unterrichts  zuwenden, 
dann  wird  man  auch  ohne  irgend  welche  Schädigung  der  sonstigen  Leistungen 
ganz  anständige  Erfolge  erzielen,  allerdings  nur  in  gewissen,  bescheidenen 
Grenzen.  Wer  die  Möglichkeit  dies  zu  erreichen  bezweifelt,  mache  nur 
einmal  nach  des  Verfassers  Anleitung  den  Versuch,  und  er  wird  sich  über- 
zeugen ;  freilich  bedarf  es,  um  endgültig  urteilen  zu  können,  einiger  Jahre, 
bis  die  betreffenden  Schüler  in  die  oberen  Küste  geführt  worden  sind ;  und 
noch  etwas:  hier  wird  sich  der  Lehrer  noch  viel  mehr  als  son.st  anstrengen 
müssen,  denn  wie  überhaupt  so  gilt  ganz  bestimmt  hier  die  Münchsche 
Parole:  „freieres  .AV alten  des  persönlichen  und  weniger  Absolutismus  des 
papiernen  Lehrers."     Weg   mit  dem   Vokabular    und   mit  Phraseologie   als 


120  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Mittel  zum  Sprechen!  ersteres  ist  nur  in  den  letzten  Klassen  zur  Repetition 
der  in  den  früheren  Jahren  gelernten  Wörter  zu  gebrauchen;  an  seine  Stelle 
trete  ein  passendes  Lesebuch  mit  leichten,  kurzen,  zu  Sprechübungen  in 
l)ialogl"orm  geeigneten  Lesestikken,  Dem  grammatischen  und  erklärenden 
Unterricht  hat  das  Sprechen  unbedingt  fern  zu  bleiben;  nur  sofern  dadurch 
die  Tiefe  und  Gründlichkeit  keine  Einbufse  erleidet,  kann  man  gelegentlicli 
hier  eine  Übung  anknüpfen.  Im  fünften  Abschnitt  „Das  Schreiben"  wird 
der  Wert  der  in  der  Schule  und  über  Haus  zu  fertigenden  schriftlichen 
Arbeiten  besprochen.  Wie  wir  schon  oben  sahen,  steht  Münch  nicht  auf 
Seite  des  „Quousque  Tandern",  welcher  Übersetzungen  ganz  beseitigt  wissen 
will,  nur  haben  auch  hierin  wesentliche  Modifikationen  des  jetzigen  Ge- 
brauches einzutreten.  Von  Retroversionen  hält  er  nicht  gar  viel,  eine  hohe 
Meinung  aber  hat  er  vom  freien  Aufsatz,  dessen  allmähliche  Vorbereitung 
er  denn  auch  ausführlichst  behandelt.  Ref.  ist  wie  sonst  im  ganzen  völlig 
mit  dem  Gesagten  einverstanden,  nur,  glaubt  er,  sollte  man  auf  den  freien 
Aufsatz  nicht  gar  soviel  Zeit  verwenden,  da  man  doch  etwas  Selbständiges 
in  der  Regel  nicht  vom  Schüler  verlangen  kann ;  ferner  haben  wir  gar  nichts 
dagegen,  wenn  ein  grofser  Teil  des  Übersetzungsstoff'es  in  die  fremde 
Sprache  aus  dieser  selbst  herüber  genommen  wird,  aber  es  lassen  sich  un- 
bestreitbar auch  in  unserer  guten  deutschen  Litteratur  einfachere  Abschnitte 
finden,  welche  von  den  Schülern  der  oberen  Klassen  sehr  wohl  ohne  zu 
grofse  Schwierigkeit  gut  übertragen  werden  können.  Die  freie  Übung  in 
Briefform  empfiehlt  Münch  mit  Recht  sehr.  Beachtenswert  sind  die  in  diesem 
.Kapitel  gegebenen  Andeutungen  über  Art  und  Weise  der  Korrektur. 

Die  wichtigste  Frage  innerhalb  des  französischen  Unterrichts  scheint 
dem  Verfasser  die  nach  der  „Auswahl  der  Lektüre"  (Kap.  VI.)  zu  sein,  bei 
welcher  der  Mafsstab  der  geistig  erziehlichen  Bedeutung  der  wich- 
tigste und  in  letzter  Instanz  ausschlaggebende  sein  sollte ;  ein  Kanon  sei 
angezeigt,  der  zuletzt  veröffentlichte  (Hemme  gelegentlich  der  hannov. 
Direktorenkonferenz  von  1882)  wird  gebilligt.  Als  ausgezeicluieten  Schul- 
mann zeigt  sich  Münch  in  seinen  höchst  belehrenden  Bemerkungen  übei- 
„Die  Behandlung  der  Lektüre"  im  siebenten  Abschnitt  seines  Buches,  unter 
denen  wir  nur  einige  der  treffendsten  herausheben  können.  „Vor  allem  habe 
(der  Lehrer)  Geist.  Geist  ist,  an  die  zu  erziehende  Jugend  gewandt,  nicht 
verschwendet;  leider  betrachten  nicht  wenige  Leute  von  Geist  ihre  Lehrer- 
funktionen, namentlich  wenn  sie  nicht  den  obersten  Klassen  gelten,  als  einen 
bedauerlichen  Abzug  von  ihrer  eigentlichen  geistigen  Mission."  Auf  häus- 
liche Geistesarbeit  der  Schüler  verzichten  wir  nicht,  „nur  dem  Mifsbrauch 
sei  der  Krieg  erklärt."  Man  begnüge  sich  nicht  mit  einer  anständigen 
Übertragung  ins  Deutsche,  man  fordere  eine  gute.  „Nicht,  dafs  der  Lek- 
türe eine  gröfsere  Bedeutung  zudekretiert  werde,  kann  uns  helfen,  sondern 
dafs  sie  durch  Wahl  und  Behandlung  die  volle  Bedeutung  erhalte,  die  sie 
gewinnen  kann."  „Die  Anmerkungen  unserer  Schulautoren  dürfen  uns  zu 
denken  geben",  denn  „die  allgemeine  Beschaffenheit  unserer  franz.  (und, 
sagen  wir,  englischen)  Schulausgaben  erwirbt  uns  bei  den  Altphilologen  wenig 
Vertrauen,  und  doch  hätten  wir  deren  Anerkennung  sehr  zu  schätzen." 
„Die  gesamte  Produktion  von  Hilfsbüchern  könnte  erheblich  zusammen- 
schrumpfen, Würde  und  Gewicht  des  Lehrers  kann  nur  steigen",  das  ist  der 
leitende  Gedanke  des  letzten  Kapitels  (VIII.)  „Hilfsdisciplin  und  Hilfs- 
bücher". „Resignation"  ruft  Münch  den  Lehrern  zu;  quälet  nicht  die 
Schüler  mit  eignen  Büchern  über  Synonymik,  Phraseologie,  Litteratur  u.  s.  f. 
„Die  Hauptsache  sei  die  Bethätigung,  nicht  vielerlei  Wissen,  welches 
schon  in  wenig  Monden  arg  verwittert  und  zerbröckelt  ist.  Man  vernach- 
lässige diese  Dinge  nicht,  aber  verlange  nicht  mehr,  als  was  ohne  viel  Reden 
und  Zeitaufwand  im  Anschlufs  an  den  sonstigen  Unterricht  geboten  werden 
kann.  Zum  Schlüsse  befürwortet  der  Verfasser  noch  den  Gebrauch  eines 
passenden  Lesebuches  neben  der  eigentlichen  Lektüre,  um  den  Gesichtskreis 


1 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  121 

der  Schüler  etwas  zu  erweitern.  —  Möge  diese  spärliche  Auslese  aus  dem 
reichhaltigen  Werkchen  recht  viele  der  Herren  F'achkollegen  zu  dessen  auf- 
merksamem Studium  veranlassen,  dann  wird  der  vom  verdienstvollen  Ver- 
fasser geliegte  Wunsch,  zu  einem  günstigen  Umschwung  im  Betrieb  des 
französischen  Unterrichts  beigetragen  zu  haben,  nicht  nur  für  diese  Sprache, 
sondern  auch  für  das  Englische  erfüllt  werden. 

Englische  Synonymik  für  Schulen,  sowie  zum  Selbststudium. 
Von  Dr!  W.  Dreser.     Wolfenbüttel,  Zwifsler,  1883. 

Wir  haben  nachgerade  keinen  Mangel  mehr  an  synonymischen  Hilfs- 
büchern für  die  Schule,  ja  sogar  einen  grofsen  Überflufs,  wenn  man  wie 
Ref.  der  Anschauung  huldigt,  dafs  man  in  der  Schule  gar  nicht  die  Zeit 
dazu  habe,  eine  eigene  Synonymik  mit  den  Schülern  durchzugehen.  Sehen 
wir  aber  von  dieser  N'orfrage  ab  und  fragen  blofs  nach  der  Brauchbarkeit 
des  Dreserschen  Buches,  so  mufs  man  ihm  entschiedenes  Lob  spenden,  denn 
es  gehört  zu  den  besten  seiner  Art,  wovon  sieh  jedermann  durch  einen  Ver- 
gleich mit  den  als  gut  anerkannten,  z.  B.  Schmitz  oder  Klöpper,  überzeugen 
kann,  nur  sehr  selten  steht  es  ihnen  an  Schärfe  der  Bestimmung  und  Voll- 
ständigkeit nach,  oft  übertrifft  es  sie.  Das  Aufsuchen  wird  dadurch  sehr 
erleichtert,  dafs  die  deutschen  Stichwörter  in  alphabetischer  Reihenfolge 
über  den  einzelnen  Artikeln,  die  englischen  in  einem  Register  am'  Ende  des 
Buches  stehen. 

Die  Hauptregeln  der  englischen  Formenlehre  und  Syntax. 
Repetitionsgrammatik  von  Dr.  Otto  Ritter,  Oberlehrer. 
Berlin,  Simion,  1883. 

Die  Stärke  des  Büchleins  liegt  in  der  Syntax,  welche  in  kurzen,  klaren 
Regeln  alles  giebt,  was  dem  Schüler  unserer  Mittelschulen  zu  wissen  nötig 
ist:  jede  Regel  wird  durch  einen  oder  einige  passende  Sätze  veranschaulicht. 
Wenn  wir  etwas  an  ihnen  auszusetzen  haben,  so  ist  es  der  Mangel  eines 
Hinweises  auf  verwandte  dem  Schüler  bekannte  Sprachen  an  manchem 
Orte,  wo  er  angezeigt  wäre,  so  z.  B.  Reg.  318  und  319  bei  Imperf.  und 
Perfekt  auf  das  Französische.  In  der  Formenlehre  finden  sich  verschiedene 
Lücken,  doch  macht  der  Verf.  hier  selbst  nicht  auf  Vollständigkeit  Anspruch. 

•Augsburg.  G.  Wolpert. 


Jahresbericht  über  die  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  ger- 
manischen Philologie,  herausgegeben  von  der  Gesellschaft 
für  deutsche  Philologie  in  Berlin,  Vierter  Jahrgang,  1882. 
Zweite  Abteilung.     Leipzig,  Karl  Reifsner,  1883. 

Uber;<lie  Nützlichkeit  dieses  Jahresberichts  kann  wohl  nur  eine  Mei- 
nung herrschen.  Lücken  sind  dabei  fast  unvermeidHch,  doch  glaube  ich 
kaum,  dafs  irgend  etwas  Wesentliches  hier  vermifst  werden  wird.  Was 
mich  überhaupt  zur  Anzeige  des  Buches  bestimmt,  ist  nicht  sowohl  auf  das- 
selbe aufmerksam  zu  machen  —  dessen  bedarf  es  nicht  — ,  sondern  viel- 
mehr um  nochmals  ein  Wort  hier  pro  domo  zu  sagen.  Seite  158  dieses 
Buches  sind  nämlich  die  über  meine  Broschüre  „Über  den  Unterricht  in 
den  neueren  Sprachen"  erschienenen  Recensionen  angeführt  und  heifst  es 
dabei :  „noch  schärfer  zurückweisend  ist  die  Recension  von  E.  Koschwif  z" 
etc.  und  weiterhin   wird   auf  mein   „Offenes  Schreiben   an  den  Herausgeber 


122  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

des  Archivs"  (Archiv  LXVII,  355  f.)  hingewiesen,  wobei  es  heifst:  „worin 
ein  paar  dem  Verf.  beistimmende  Zeilen  Alex.  Schmidts  abgedruckt  werden." 
Teil  nuifs  nun  hierzu  bemerken,  dafs  meinem  und  anderer  Dafürhalten  nach 
Koscliwitz  eine  schärfere  Zurückweisung  meinerseits  erhalten  hat  (er  hat  es, 
da  ich  ihn  dazu  herausgefordert,  für  gut  befunden,  sie  sogar  in  seiner  Zeit- 
schrift zu  veröffentlichen)  als  ich  von  ihm.  Beiläufig  verlangt  es  die  Ehr- 
lichkeit, dafs  ich  ihm  hier  das  darin  enthaltene  Unverständliche  für  ihn  auf- 
kläre. Es  scheint  nämlich,  mein  Berichterstatter  hatte  sich  geirrt.  Es  waren 
nicht  seine  (Koschwitz')  Zuhörer  an  der  Strafsburger  Universität,  die  sich 
über  seine  Unterrichtsmethode  beschwerten,  sondern  seine  Schüler  oder 
Schülerinnen  (?)  an  einer  dortigen  Ijchranstalt.  Was  ich  aber  hauptsäch- 
lich betonen  möchte,  ist,  dafs  die  „paar  Zeilen'-  eines  Alex.  Schmidt  ganze 
Seiten  eines  Koschwitz  und  anderer  aufwiegen.  Übrigens  habe  ich  auch, 
wie  bereits  früher  im  Archiv  erwähnt,  von  vielen  anderen  gewichtigen  Seiten 
ähnliche  Zustimmung  erhalten  und  hebe  hier  nur  T.  Merkels  Programm 
„Über  die  deutsch-französische  Aussprache",  Freihurg  Im  Br.  1881  und  1882, 
sowie  H.  Isaacs  Abhandlung  „Sprachwissenschaft  oder  Sprachwi«sen"  im 
„Central-Organ  für  die  Interessen  des  Realschulwesens,  Oktober  1883"  aus 
vielen  anderen  privaten  Zuschriften  hervor.*  Ich  will  aber  den  Streitpunkt 
zwischen  mir  und  den  Gegnern,  die,  wie  ich  voraussah,  meine  Broschüre 
mir  schaffen  würde,  hier  nochmals,  und  ich  hoffe  zum  letztenmale  präcisieren. 
Ich  ging  bei  meinem  Angriffe  gegen  das  herrschende  System  von  den  mir 
damals  vorliegenden  neuenglischen  Leistungen  der  danach  (beschulten 
aus,  und  nachdem  ich  sie  einer  Prüfung  unterworfen,  fand  ich,  dafs  sie  voll- 
ständig ungenügend  seien.  Nun  ist  aber  doch  anzunehmen,  dafs  wenn  Leute 
in  dieser  Sprache  etwas  veröffentlichen  und  diese  Veröffentlichung  von  der 
zuständigen  Behörde  genehmigt  wird,  beide  Teile  der  Meinung  gewesen 
sein  müssen,  sie  seien  kompetent,  der  eine,  die  betr.  Arbeit  zu  leisten,  der 
andere,  sie  zu  begutachten.  Das  Ergebnis  meiner  Prüfung  aber  hat,  wie 
jeder  ehrliche  und  unpartensche  Leser  zugestehen  wird  und  zugestanden  hat, 
klar  erwiesen,  dals  sie  es  nicht  seien.  Anzunehmen,  dafs  diejenigen,  denen 
die  Prüfung  oblag,  zwar  eingesehen,  dafs  die  Leistung  ungenügend,  ja  in 
manchen  Fällen  unter  aller  Kritik  sei  und  sie  dennoch  hätten  durchgehen 
lassen,  würde  sie  zu  unehrlichen  Männern  machen,  was  ich  nicht  glauben 
wollte  und  nicht  glauben  mag.  Es  bleibt  also  nichts  übrig,  als  sie  für  in- 
kompetent zu  erklären.  Nun  liegt  aber  doch  wiederum  in  der  Thatsache, 
dafs  die  betr.  Abhandlungen  in  neuengl.  Sprache  verfafst  sind,  das  Zu- 
geständnis einerseits,  dafs  die  ^'erfasser  vorgeben  und  glauben,  an  der 
Universität  Neu  englisch  gelernt  zu  haben,  und  andererseits,  dafs  die  betr. 
Docenten  oder  Professoren  diese  Sprache  lehren  und  der  Ansicht  sind, 
etwas  in  derselben  Geschriebenes  zu  beurteilen  zu  verstehen.  Hat  es  sich 
aber  erwiesen,  dafs  das  Geleistete  äufserst  mangelhaft  ist,  ja  von  Fehlern 
aller  Art  wimmelt,  so  darf  doch  wohl  der  Schlufs  gezogen  werden  —  und 
es  ist  der  mildeste  und  günstigste  für  die  letzteren  — ,  dafs  Ihre  Methode 
eine  schlechte  und  verkehrte  und  sie  Neuenglisch  nicht  verstehen,  und  dies 
auszusprechen  war  der  Zweck  meiner  Broschüre,  die  also  ein  blofses  q.  e.  d. 
auf  die  vorausgegangenen  Prämissen  bildet.  Ich  mag  dabei  etwas  zu  schroff 
über  das,  was  statt  des  Richtigen  gelehrt  wird,  geurteilt  und  mich  etwas 
drastisch  über  das,  was  jene  für  das  Notwendigere  halten,  ausgedrückt 
haben:  wer  etwas  Falsches  bekämpfen  will,  der  wird  stets  zu  Extremen  hin- 
gerissen, und  um  die  richtige  Mitte  zu  erreichen,  dürfte  es  auch  wirklich 
nötig  sein,    von   dem    einen  Extrem  zum    anderen  überzugreifen;   jedenfalls 


*  Seitdem  ich  obiges  geschrieben,  ist  mir  die  weitere  Genugthuung  geworden, 
dnfs  Dir.  Dunker  in  seiner  eben  erschienenen  Schrift:  „Die  Realgymnasien  und 
das  Studium  der  neueren  Sprachen"  sich  besonders  auf  die  meinige  als  Stütze  beruft. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  123 

aber  habe  ich  die  Wahrheit  gesprochen,  und  wer  diese  offen  und  kühn 
ausspricht,  der  wird,  wie  die  Geschichte  und  alle  Erfahrung  lehrt,  stets  ver- 
femt werden.  Die  Niclitinteresslerten  und  Einsichtsvollen  indessen  habe 
ich  auf  meiner  Seite,  und  diese  scheuen  sich  nicht,  wie  z.  B.  der  bereits  er- 
wähnte Isaac  in  seinem  angeführten  Artikel,  einzugestehen,  dafs  Sprach- 
wissenschaft nicht  zum  Sprachwissen  führe.  Letzteres  aber  wird  ja  in  erster 
Linie  in  den  Schulen  verlangt.  Was  nützt  der  Mittel-  und  höheren  Schule 
ein  Lehrer,  der  zwar  im  Altenglischen  recht  fest  sein  mag  —  angenommen 
nämlich,  er  wäre  es,  was  immerhin  angezweifelt  werden  diirf,  wenn  man 
sieht,  wie  schwer  es  ist,  sich  einer  lebenden  Sprache  zu  bemächtigen,  die 
ja  viel  näher  liegt  und  zu  deren  Studium  und  Gebrauch  so  viel  mehr  Ge- 
legenheit geboten  wird  — ,  im  Neuenglischen  aber  nicht  im  stände  ist,  einen 
Satz  richtig  zu  stilisieren  oder  sich  idiomatisch  darin  auszudrücken?  Frei- 
lich ist  man  auch  schon  hier  und  da,  namentlich  an  der  Berliner  Universität,  zur 
Einsicht  gelangt  und  hat  neben  dem  Professor  der  englischen  Philologie 
einen  Lektor  für  Neuenglisch  angestellt.  Hierin  liegt  also  das  Zugeständnis 
für  mich,  dafs  mein  Angriff  ein  berechtigter  war,  und  so  gehe  ich  mich  der 
Hoffnung  hin,  dafs  diese  Einrichtung  auch  an  allen  anderen  deutschen 
Hochschulen  Nachahmung  finden  und  man  zur  Einsicht  kommen  werde,  dafs 
ebenso  wie  Körting  mit  vollem  Rechte  Trennung  des  Französischen  vom 
Englischen  für  den  Professor  dieser  Sprache  verlangt,  man  auch  Altenglisch 
und  Altfranzösisch  sohliefslich  von  Neuenglisch  und  Neufranzösisch  trennen 
und  für  jede  dieser  Disciplinen  besondei-e  Lehrstühle  schaffen  werde. 
Leipzig,  im  November  1883.  David  As  her. 


H.    Savonarola   und    M.  Luther   nach    ihrer    Entwickelung    und 
o'eschichtlichen  Stelluncy  betrachtet 

ist  der  Titel  einer  kirchengeschichtliehen  Monographie,  welche  Dr.  Wil- 
helm Zimmermann,  Reallehrer  in  Darmstadt,  als  „Beilage  zu  dem  Pro- 
gramm der  Grofsherzoglichen  Realschule  zu  Darmstadt"  im  Herbst  1883 
veröffentlicht  hat,  einer  Schrift,  die  es  reichlich  verdient,  über  die  nächsten, 
einer  Programmschrift  offenstehenden  Kreise  hinaus  bekannt  zu  werden. 
Gewifs  wird  gerade  in  dem  Jubiläumsjahr  unseres  grofsen  Reformators 
mancher  gerne  zu  einer  solchen  vergleichenden  Betrachtung  greifen  und 
dessen  innere  Entwickelung  und  grofse  geschichtliche  Stellung  in  dem  Lichte 
.  erglänzen  sehen,  das  hierbei  auf  den  deutschen  Glaubenshelden  fällt.  Nach 
einer  prägnant  gehaltenen  Einleituncr,  welche  in  die  Zeit  des  Auftretens 
Savonarolas  einführt,  gebt  der  N'erfasser  zu  seinem  Thema  über  und  be- 
zeichnet kurz  und  treftend  die  Grenzen,  innerhalb  derer  beide  Männer  mit- 
einander verglichen  werden  können.  Zunächst  werden  dann  die  Eindrücke 
geschildert,  welche  beide  in  ihrer  Jugendzeit  auf  dem  Naturboden  empfingen, 
dem  sie  entstammten,  und  die  \'erhältnisse,  unter  denen  sie  aufwuchsen. 
Sodann  wird  ihr  Eintritt  in  das  Kloster  nach  seinen  Motiven  und  Folgen 
betrachtet  und  verglichen.  Höchst  interessant  ist  hier  der  Abschnitt  über 
die  Predigtweise  des  Florentiner  Mönchs  nebst  den  beigefügten  Proben  aus 
dessen  Predigten.  Besonders  tritt  in  diesem  Abschnitte  die  Stellung  Luthers 
zur  Heiligen  Schrift  und  zur  Tradition  ins  rechte  Licht  und  bildet  den  Über- 
gang zu  der  Hauptfrage,  wie  beide  Männer  zu  der  Lehre  von  der  Recht- 
fertigung des  Menschen  vor  Gott  standen.  Sodann  folgt  das  reforniatorische 
Auftreten  Savonarolas  in  seinem  Kloster  und  auf  dem  staatlichen  Gebiete 
als  Ratgeber  der  florentinischen  Republik.  Im  Gegensatz  zu  dieser  engen 
Verknüpfung  des  politischen  und  religiösen  I^ebens  geht  l.,uther  auf  die 
altchri'tliche  Ansch.Tuung  des  Verhältnisses  zwischen  weltlicher  und  geist- 
licher Macht  zurück.     Der  Abschnitt  über  Luthers  Stellung   zu  dem  Staate 


12 1  Beurteilungen   und  kurze  Anzeigen, 

und  der  monschliclien  Gesellschaft  ist  besonders  beachtenswert.  Der  folgende 
Teil  der  Abhandlung  fafst  Savonarolas  Thätigkeit  als  Sittenverbesserer  ins 
Auge  und  zeijit  hierbei  den  tiefgehenden  Unterschied  der  evangelischen  An- 
schauung Luthers  und  was  es  dem  florentinischen  Bufsprediger  unmöglich 
machte,  auf  die  Höhe  der  evangelischen  Geisteskraft  emporzusteigen.  Diese 
Betrachtung  leitet  geschickt  über  zu  der  Behandlung  der  Stellung  Savona- 
rolas und  Luthers  zu  dem  Papst  und  dem  Konzil  und  zu  dem  Untergang 
des  ersteren,  sowie  zu  der  Frage,  welcher  bleibende  Segen  aus  seinem  Werke 
erwachsen  sei.  Der  Verfasser  kommt  am  Schlufs  zu  der  Überzeugung,  dafs 
Savonarola,  der  für  eine  Reform  der  verderbten  Kirche  gearbeitet  und  sein 
Leben  eingesetzt  hat,  ein  gewaltiger  Prophet  der  Reformation  genannt  zu 
werden  verdient  und  „ein  Bahnbrecher  Luthers,  zu  dessen  Füfsen  auf  dem 
Denkmal  zu  Worms  ihm  deshalb  ein  Platz  mit  vollem  Rechte  angewiesen 
worden  ist," 


Hundert    deutsche  Texte    zur  Übersetzung  ins  Englische.     Von 
Prof.  J.  H.  Schmick.     Köln,  Du  Mont- Schauberg. 

Vorliegendes  Werk  verdient  Fachlehrern  aufs  wärmste  empfohlen  zu 
werden.  Dasselbe  enthält  33  biographische  Skizzen,  teils  aus  der  Welt- 
geschichte, teils  aus  der  englischen  Litteratur,  teilsaus  der  Kulturgeschichte, 
dann  60  geschichtliche,  geographische,  naturwissenschaftliche  Skizzen,  end- 
lich 6  Skizzen  über  Kunst,  Technik  u.  s.  w.  Da  die  100  Skizzen  nur 
120  Seiten  ausfüllen,  so  beträgt  jede  durchschnittlich  eine  Seite  und  kann 
also  in  einer  Stunde  verarbeitet  werden.  Dieselben  sind  stofflich  im  höch- 
sten Grade  interessant  und  belehrend  und  vom  Herausgeber  so  verarbeitet, 
dafs  die  Übersetzung  den  Primanern  keine  grofse  Schwierigkeiten  bietet. 
Zahlreiche  englische  idiomatische  Ausdrücke  und  Wendungen  im  Texte, 
sowie  ein  angehängtes  Wörterbuch,  worin  die  wichtigsten  Synonyma,  soweit 
sie  bei  der  Übersetzung  der  100  Texte  in  Betracht  kommen,  berücksichtigt 
sind,  ermöglichen  dem  Schüler  eine  gute,  echt  englische  Übersetzung.  Wenn 
wöchentlich  für  Übungen  dieser  Art  eine  Stunde  angesetzt  wird,  so  kann  in 
den  beiden  Jahren  der  Prima  die  Mehrzahl  der  Stücke  verarbeitet  werden, 
und  wenn  die  Schüler  sich  die  copia  verborum  der  hundert  Texte  wirklich 
angeeignet  haben,  werden  sie  sich  auch  leicht  über  andere,  inhaltlich  ver- 
wandte Stoffe  englisch  ausdrücken  können. 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Allgemeines. 

Encyklopädie  und  Methodologie  der  romanischen  Philologie  von  G.  Körting. 
1.  Teil.     (Paderborn,  Schöningh.)  4  Mk. 

Die  praktische  Spracherlernung  auf  Grund  der  Psychologie  und  Physiologie. 
(Paderborn,  Schöningh.)  60  Pf. 

W.  Münch,  Zur  Förderung  des  franz.  Unterrichts,  insbesondere  auf  Real- 
gymnasien.    (Heilbronn,   Henninger.)  2  Mk. 

O.  Danker,  Die  Realgymnasien  und  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 
(Kassel,  Kefsler.)  "  1  Mk. 

Grammatik. 

M.  Rödiger,  Paradigmata  zur  altsächsiscben  Grammatik  im  Anschlüsse  an 

Müllenhofis  Paradigmata.     (Berlin,  Weidmann.)  :^0  Pf. 

Joh.    Franck,    Mittelniederländische    Grammatik    nebst    Lesestücken    und 

Glossar.     (Leipzig,  Weigel.)  7  Mk. 

F.  Masing,  Lautgesetz  und  Analogie  in  der  Methode   der   vergleichenden 

Sprachforschung.     (Petersburg,  Akad.  d.  Wissensch.) 
P.  Schneider,    Die  Flexion   der  Substantive    in    den    ältesten    metrischen 

Denkmälern  des  Französischen  und  im  Charlemapne.     (Marburg,  Diss.) 
E.   Etienne,    De   diminutivis,    intentivis,    coUectivis    et    in    malam    partem 

abeuntibus  in  francogallico   sermone   nominibus   disputavit  E.  E.     (Nancy, 

Dissertation.) 
A.  M  ussafia.  Zur  Präsenzbildung  im  Romanischen.  (Wien,  Gerold.)   1  Mk. 
Dickhuth,    Form  und  Gebrauch  der   Präpositionen  in    den   ältesten   franz. 

Sprachdenkmälern.     (Münster,  Diss.)  1  Mk. 

A.   Haase,    Syntaktische   Untersuchungen    zu    Villehardouin    und  Joinville. 

(Oppeln,  Franck.)  1   Mk. 

E.  Schenker,  Über  die  Perfektbildung  im  Proven9alischen.  (Zürich,  Diss.) 
A.  Lange,  Der  vokalische  Lautstand  in  der  franz.  Sprache  des  IG.  Jahrh. 

(Elbing,  Meifsner.)  ..  1   Mk.  80  Pf. 

0.  Priese,    Die   Sprache   der  Gesetze   Alfreds   des  Grofsen.     (Strafsburg, 

Dissertation.) 
H.  Ziegler,  Der  poetische  Sprachgebrauch  der  sogen.  Cffidmonschen  Dich- 
tungen.    (Münster,  Coppenrath.)  1  Mk.  50  Pf. 
A.  Lummert,    Die   Orthographie    der    ersten    Folio- Ausgabe    der    Shake- 

speareschen  Dramen.     (Halle,  Niemeyer.)  1  Mk.  60  Pf. 

M.  Gottschalk,  Über  den  Gebrauch  des  Artikels  in  Miltons  Paradise  lost 

(Halle,  Diss.) 


1'2C  Bibliograpliischer  Anzeiger. 

Tli.     (i  artner.     Rätoromanische     Granimatiic.       (Heilbronn,     Ilenninger.) 

«  Mk.  50  Pf. 
M.  Schuster,   Der  bestimmte  Artikel  im  Rumänischen  und  Albanesischen. 

(Programm  des  Gymnasiums  zu  Hermannstadt.) 

G.   Meyer,    Albanische  Studien.     Die   Pluralbildung   der   albanes.  Nomina. 

^  (Wien,  Gerold.)  1  Mk.  60  Pf. 

F.  Miklosich,  Geschichte  der  Lautbezeichnung  im  Bulgarischen.     (Wien, 

Gerold.)  2  Mk.  40  Pf. 

Lexikographie. 

D.  Sanders,    Ergänzungs- Wörterbuch    der    deutschen    Sprache.      33.   und 
34.  Lfrg.     (Berlin,  Abenheim.)  k  1  Mk.  25  Pf. 

F.  Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.    (Strafsburg, 

Triibner.)  3  Mk. 

C.  W.  M.  Grein,  Kleines  angelsächsisches  Wörterbuch.     (Kassel,  Wigand.) 

5  Mk. 

F.  Brächet,   Dictionnaire  du  patois   savoyard    tel    qu'il   est    parle   dans  le 
canton  d'Albertville.     (Albertville,  Hodoyer.)  2  fr. 

L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

K.  Püning,  Die  Handschriften  des  Heliand.     (Programm    des   Gymnasiums 

zu  Recklinghausen.) 
K.  Meyer,  Der  Parzival  Wolframs  von  Eschenbach.  (Basel,  Schwabe.)  80  Pf. 
A.  Otto,   Friedrichs   von  Hausen   und  Heinrichs   von  Veldeke  Minnelieder, 

verglichen  mit  denen  ihrer  Vorgänger.     (Progr.  des  Gymn.  zu  Konitz.) 
A.  Strack,   Zur   Geschichte   des  Gedichtes   vom  Wartburgkriege.     (Halle, 

Niemeyer.)  1  Mk.  50  Pf. 

E.  Brenning,     Geschichte    der    deutschen    Litteratur.      3.    Lfrg.      (Lahr, 
Schauenburg.)  1  Mk. 

A.  Stern,   Geschichte    der    neueren  Litteratur.      Von    der   Frührenaissance 

bis  auf  die  Gegenwart.     4.  Lfrg.     (Leipzig,  Bibliogr.  Institut.)      50  Pf. 
Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  und  des  geistigen  Lebens 

in  Osterreich.    Hrsg.  von  Minor,  Sauer  und  Werner.   4.  Heft.    (Wien, 

Konegen.)  6  Mk. 

Deutsche  Lyriker   seit    1850.     Mit   litterarhistorischer  Einleitung   und   biogr. 

krit.  Notizen.     Hrsg.   von  E.  Kneschke.     Fünfte   neu   bearbeitete  Aufl. 

(Leipzig,  Lincke.) 
W.  Seh  er  er,  Geschichte   der  deutschen  Litteratur.     Schlufsheft.     (Berlin, 

Weidmann.)  1   Mk. 

J.  Minor,    Die    Schicksalstragödie    in    ihren    Hauptvertretern.      (Frankfurt 

a.  M.,  Rütten  &  Löning.)  4  Mk. 

E.    Stolle,   Metrische   Studien   über  das   deutsche  Volkslied.     (Progr.   des 

Realgymnasiums  zu  Krefeld.) 
H.  Bölirke,    Wielands  publicistische  Thätigkeit.     (Progr.  des  Gymnasiums 

zu  Oldenburg.) 
Lessing    im   Urteile    seiner  Zeitgenossen.     Hrsg.   von   W.   Braun.     (Berlin, 

Stahn.)  "  9  Mk. 

J.  Ch.  Schumann,  G.  E.  Lessings  Schuljahre.  (Triest,  Stephanus.)    1  Mk. 
E.  Schmidt,  Lessing.  Geschichte  seines  Lebensund  seiner  Schriften.  1.  Bd. 

(Berlin,  Weidmann.)  7  Mk. 

Goethes  Torquato  Tasso.     Beiträge  zur  Erklärung  des  Dramas  von  Franz 

Kern.     (Berlin,  Nicolai.)  3  Mk. 

Goethes  Eintritt  in  Weimar  von  H.  Düntzer.    (Leipzig,  Wartig.)    6  Mk. 

G.  llatteck,    Arnold   Böcklins    Gefilde   der   Seligen   und   Goethes    Faust. 
(Berlin,  Springer.) 

Robert  Tornow,  Goethe  in  Heines  Werken.   (Berlin,  Weitling.)    2  Mk. 


BibÜographiscber  Anzeiger.  127 

H.   Henkel,    Das  Goetbesche  Gleichnis.     (Programm    des   Gymnasiums    zu 

Seehausen.) 
E.  Belling,  Die  Metrik  Schillers.     (Breslau,  Köbner.)  8  Mk. 

Briefe    des    Herzogs   Karl   August   an   Knebel   und  Herder.      Hrsg.    von   H. 

Düntzer.     (Leipzig,  \A' artig.)  4  Mk. 

E.  Bob  er  tag,  Geschichte  des  Romans  und  der  ihm  verwandten  Dichtungs- 
gattungen in  Deutschhind.     1.  Abteilung.     (Berlin,  Simion.)  5  Mk. 

F.  Bodenstedt,  11  canzionere  di  Mirza-Saffi.  Traduzione  di  G.  ßossi. 
(Berlin,  Stuhr.)  1  Mk.  50  Pf. 

E.  Kelchner,  Friedrich  Hölderlin  in  seinen  Beziehungen  zu  Homburg 
vor  der  Höhe.     (Homburg,  Taunusbote.)  1   Mk.  50  Pf^ 

F.  Lotheifsen,  Geschichte  der  franz.  Litteratur  im  17.  Jahrh.   (Schlufs.) 

9  Mk. 
A.  Borsert,   La  litterature  du  moyen-äge  et  les  origines   de  l'epopee  ger- 

mauique.     (Paris,  Hachette.)  a  fr.   50  c. 

L.   \oigt,  Die  Mirakel  der  Pariser  Hs.  819,   welche   epische  Stoffe  behan- 
deln, auf  ihre  Quellen  untersucht.     (Halle,  Niemeyer.)         1   Mk.  50  Pf. 
F.    Ziller,  Der   epische   Stil    des   altfranz.   Rolandsliedes.     (Programm  des 

Realgymnasiums  zu  Magdeburg.) 
Wagner,  Aucassin  et  Nicolete  comme  Imitation  de  Floire  et  Blanchefleur  et 

comme  modele  de  Treue  um  Treue.    (Progr.  des  Gymnasiums  zu  Arnstadt.) 
£.  L  e  V  y  ,  Der  Troubadour  Bertulome  Zurzi.  (Halle,  Niemeyer.)  2  Mk.  40  Pf. 
Fr.   Diez,  Die  Poesie    der  Troubadours.     2.  AuÜ.     Hrsg.  von  K.  Bartsch. 

(Leipzig,  Barth.) 
O.  Schultz,  Die  Lebensverhältnisse  der  ital.  Trobadors.     (Berlin.  Diss.) 
A.  Mahn,    Die  epische  Poesie  der  Proven9alen.     1.  Lfrg.     Girartz  de  Ros- 

silho.     (Berlin,  Dümmler.)  1   Mk.  50  Pf. 

L.  Erling,  Li  lais  de  Lanval,  Altfranz.  Gediclit  der  Marie  de  France,  nebst 

Th.  Chestres  Launfall.     (Programm  des  Gymnasiums  zu  Kempten.) 
P.  Sebillot,    Gargantua    dans    les   traditions   populaires.     (Paris,   Maison- 

neuve.)  7  fr.  öO  c. 

E.  Etienne,  La  vie  de  saint  Thomas  le  martyr,  poeme  historiqiie  du  XHe 
siecle,  compose  par  Garnier  de  Pont-Sainte-Maxence;  etude  historique, 
lltteraire  et  pliilologique.     (Nancy,  Pierson.) 

F.  Godefroy,  Morceau.x  choisis  des  poetes  et  prosateurs  fraiKjals  du  IXe 
au  XVIe  siecle  coniprenant  des  extraits  particulierement  developpes  de  la 
Chanson  de  Roland  et  des  memoires  de  Joinville.  (Paris,  Gaume.)  3  fr.  75  c. 

L.  Knaake,  „Le  Lutrin  de  Boileau"  et  „the  Rape  of  the  Lock"  de  Pope. 
(Programm  des  Realgymnasiums  zu  Nordhausen.)  1   Mk. 

K.  Adolph,  Voltaire  et  le  theätre  de  Shakespeare.  (Programm  des  Gym- 
nasiums zu  Sorau.)  1  Mk. 

A.  Seidl.  Andre  Chenier.  Eine  Studie  aus  der  franz.  Litteraturgeschichte. 
(Tübingen,  Diss.) 

J.  Lemaitre,  La  comedie  apres  Voltaire  et  le  tbeätre  de  Dancourt.  (Paris, 
Hachette.)  _  3  fr.  50  c. 

G.  Renard,  Vie  de  Voltaire.     (Paris,  Charavay.)  1  fr.  75  c. 
K.  Holtermann,   Über  Sprache,    Poetik   und  Stil   der   altengl.  Gregorius- 

legende  des  Auchinleck-Ms.     (Münster,  Diss.) 

J.  Klette,  W.  Wycherleys  Leben  und  Werke.  Mit  besonderer  Berück- 
sichtigung von  ^^  ycherley  als  Plagiator  Molieres.    (Münster,  Coppenrath.) 

1   Mk. 

E.  Engel,  Geschichte  der  engl.  Litteratur  von  ihren  Anfängen  bis  auf  die 
neueste  Zeit.     Schlnfslieferung.     (Leipzig,  Friedrich.) 

G.  E.  Mac-Lean,  iElfric's  anglo-saxon  Version  of  Alcuini  intcrrogationes 
Sigenulli  presbyterii  in  (jenesin.     (Leipzig,  Stauffer.)  1   Mk.  50  Pf. 

Cynewulfs  Elene.  Mit  einem  Glossar  herausgegeben  von  J.  Zupitza. 
2.  Aufl.     (Berlin,  Weidmann.)  1  Mk.  60  Pf. 


128  Bibliographischer  Anzeiger. 

G.  Jansen,  Beiträge  zur  Synonymik  und  Poftik  der  allgemeinen  als  echt 
anerkannten  Dichtungen  Cynewulfs.     (Münster,  Diss.) 

J.  Kohler,  Shakespeare  vor  dem  Forum  der  Jurisprudenz.  1.  Lieferung. 
(VVürzburg,  Stahel.)  2  Mk.  CO  Pf. 

Wilken,  An  histor.  and  metrical  introduction  into  the  study  of  Shakespeare's 
works  with  particular  regard  to  his  Julius  Caesar.  (Programm  des  Real- 
gymnasiums zu  Biedenkopf.) 

E.  Engel,   Geschichte  der  Litteratur  Nordamerikas.     (Leipzig,  Friedrich.) 

.  .  .}  ^^K-  ^^  ,P^- 

A.  Filou,  Histoire  de  la  litterature  anglaise  depuis  ses  origines  jusqu'a  nos 

jours.     (Paris,  Hachette.)  4  fr. 

L.   Hasberg,  James   Sheridan   Knowles'   Leben   und    dramatische   Werke. 

(Münster,  Diss.) 
Perry,  English  literature  in  the  XVIII  Century.     (New- York,  Harper.) 
Dante  Alighieris  Hölle,  übersetzt  und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Jul. 

Francke.     (Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel.)  5  Mk. 

Hilfs  buch  er. 

W.  Donner,  Elementarkursus  der  deutschen  Grammatik.  1.  und  2.  Stufe. 
(Riga,  Mellin.)  1  Mk. 

O.  Steiubrück,  Der  erste  Unterricht  im  deutschen  Aufsatz.  Ausg.  A. 
Erste  Reihe.     (Langensalza,  Bayer.)  40  Pf. 

Leimbach,  Die  deutschen  Dichter  der  Neuzeit  und  Gegenwart.  I.  Band, 
1.  Lfrg.     (Kassel,  Kay.)  1  Mk.  50  Pf. 

Ausgewählte  Gedichte  und  Dramen  von  Schiller  mit  erläuternden  Anmer- 
kungen versehen  von  Hentschel  u.  Linke.    (Leipzig,  Peter.)     3  Mk. 

Schillers  Gedichte,  erläutert  v.  E.  P  u  ts  c  h  e.  (Leipzig,  Wartig.)    2  Mk.  40  Pf. 

E.  Weyhe,  Musterstücke  zum  Übersetzen  ins  Französische  für  die  oberen 
Klasst-n  höherer  Lehranstalten.     (Bonn,   Weber.)  1  Mk. 

S.  Öpke,  Englisches  Lesebuch.    3.  Teil.  Oberstufe.    (Goslar,  Kocli.)   4  Mk. 

E.  ^lann,  A  short  sketch  of  english  literature  frora  Chaucer  to  the  present 
time.     (Bonn,  Weber.)  3  Mk. 


über 

Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes. 


Die  Frage  nach  der  Genesis  und  der  Komposition  des 
ßeowulf  ist  bereits  mehrfach  ventiliert  und  zum  Gegenstande 
der  Erörterung  seitens  der  höheren  Kritik  gemacht  worden. 
Schon  die  äheren  Herausgeber  und  Übersetzer  haben  gelegent- 
lich ihrer  Editionen  und  Versionen  des  ßeowulf  ihre  Ansichten 
und  V^ermutungen  über  das  Nationale  und  den  Stoff  des  Ge- 
dichtes aufgestellt  —  so: 

J.  Thorkelin  (veranstaltete  die  erste  Beowulfausgabe : 
De  Danorum  rebus  gestis  secul.  III  et  IV  poema  Danicum  dia- 
lecto  Anglosaxonica  etc.,  Havnige  1815), 

S.  Grundtvig  (gab  eine  freie  dänische  Umdichtung:  Bjo- 
wulfs  Drape,  et  Gotisk  Helte-Digt  etc.,  Kjöbenhavn  1820^, 
1865-,  und  den  Text  des  Gedichtes  heraus:  Beowulfes  Beorh 
eller  Bjowulfs   Drapen  etc.,  Kjöbenhavn  und  London  1861), 

M.  Kemble  (von  ihm  erschien  eine  Ausgabe:  The  Anglo- 
Saxon  Poems  of  Beowulf,  the  Traveller's  Song  and  the  Battle 
of  Finnesburh  etc.,  London  1833S  1835-,  ferner:  A  Trans- 
lation of  the  Anglo-Saxon  Poem  of  Beowulf  etc.,  eb.  1837), 

B.  Thorpe  (seine  Ausgabe  führt  den  Titel:  The  Anglo- 
Saxon  Poems  of  Beowulf,  the  Scop  or  Gleemans  tale  and  the 
Fight  at  Finnesburg  etc.,  Oxford  18551,  1875  2). 

Hieran  reihen  sich  Specialuntersuchungen  Älterer  und 
Neuerer  —  so: 

Archiv  f.  n.  Sprachen.   LXXI.  9 


130  Über  Ursprung  und   Eiitwickttlun^  des  Beowulfliedes. 

H.  Leo:  ßeowulf,  das  älteste  deutsche  in  ags.  Mundart 
erhaltene  Heldengedicht  nach  seinem  Inhalte  und  nach  seinen 
historischen  und  mythologischen  Beziehungen  betrachtet  (Plnlle 
1839), 

K.  Müllen  hoff:  Sceaf  und  seine  Nachkommen,  bei  Haupt, 
Zeitschrift  VH,  S.  410  ff.  (Leipzig  1849),  —  Der  Mythus  von 
Beowulf,  eb.  S.  419  ff., 

M.  Grein;  Die  historischen  Verhältnisse  des  Beowulf- 
liedes,  bei  Ebert,  Jahrb.  IV,  S.  260  ff.  (Berlin  1862), 

L.  Botkine:  ßeowulf,  analyse  historique  et  geographique 
(Paris  1876), 

H.  Dederich:  Historische  und  geographische  Studien 
zum  ags.   Beowulf  Hede  (Köln   1877); 

ferner  gelegentliche  Ausführungen   von: 

K,  Simrock  in:  Beowulf,  das  älteste  deutsche  Epos,  über- 
setzt und  erläutert  (Stuttgart  und  Augsburg  1859), 

K.  Müllen  hoff:  Die  austrasische  Dietrichssage,  bei  Haupt, 
Ztschr.  VI,  S.  437  (Leipzig  1848),  —  Zeugnisse  und  Exkurse 
zur  deutschen  Heldensage,  eb.  XII,  S.  260  f.,  282  ff.,  287  ff., 
302  ff.  (Berlin  1865),  —  Recension  des  oben  genannten  Buches 
von   H.   Dederich,  eb.  XXI,  Anz.  S.    172  ff.  (Berlin   1877), 

K.  Körner:  Recension  ebendesselben  Buches,  bei  Kölbing, 
Engl.   Studien   I,  S.  483  ff.  (Heilbronn   1877). 

Aus  der  Reihe  der  anderen  gelegentlich  auf  die  historischen 
oder  mythologischen  Verhältnisse  des  Beowulf  Bezug  nehmenden 
Schriften  mögen  hier  nur  noch  Grimms  „Geschichte  der  deut- 
schen Sprache"  sowie  seine  „Deutsche  Mythologie",  Kembles 
„The  Saxons  in  England",  Simrocks  „Handbuch  der  deutschen 
Mythologie"  und  „The  Anglo-Saxon  Sagas"  von  Haigh  kurz 
Erwähnung  finden. 

Höhere  Kritik  im  engeren  Sinne  des  Wortes  geübt  haben 
eigentlich  nur: 

L.  P]ttraüller  in:  Beowulf,  Heldengedicht  des  achten 
Jahrhunderts,  zum  erstenmal  aus  dem  Ags.  in  das  Nhd.  stab- 
reimend übersetzt  etc.  (Zürich  1840),  —  Carmen  de  Beovulfi 
(lautarum  regis  rebus  praeclare  gestis  atque  interitu,  quäle  fuerit 
antequaui  in  manus  interpolatoris,  monachi  Vestsaxonici,  incide- 
rat  (Univeraitätsprogramm  Turici  1875), 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des   Beovvulflifdes.  131 

K.  Müllen  hoff:  Die  innere  Geschichte  des  Beowulfs, 
bei  Haupt,  Ztschr.  XIV,  S.  193  ff.  (Berlin  1869), 

A.  Köhler:  Die  Einleitung  des  Beowulfliedes,  bei  Höpfner 
lind  Zacher,  Zeitschr.  II,  S.  305  ff.  (Halle  1870),  —  Die  beiden 
Episoden  von  Heremod  im   Beowulfliede,  eb.  S.  314  ff., 

Hornburg:  Die  Komposition  des  Beowulf  (Jahresbericht 
des  Kaiserl.  Lyceums  in  Metz  1877), 

F.  ßönning:    Beovulfs-Kvadet   (Diss.  Kjöbnhaven  1883), 

H.  Möller:  Das  altenglische  Volksepos  in  der  ursprüng- 
lichen  strophischen  Form   (Kiel  1883). 

Mehr  gelegentlich  und  im  Vorübergehen  streifen  das  (jiebiet 
der  höheren  Kritik : 

M.  Grein  in  der  vorerwähnten  Abhandlung,  bei  Ebert, 
Jahrb.  IV,  S.  263  (Berlin  1862), 

H.  Schubert:  De  Anglosaxonum  arte  metrica,  S.  7,  52 
(Berolini  1870), 

M.  Rieger:  Zum  Beowulf,  bei  Höpfner  und  Zacher,  Zeit- 
schr. III,  S.  386  f.,  389,  406  u.  a.  (Halle  1871), 

S.  Bugge:  Zum  Beowulf,  eb.  IV,  S.  199  ff.,  203  u.  a. 
(Halle  1873), 

A.  Lichtenheld:  Das  schv/ache  Adjektiv  im  Ags.,  bei 
Haupt,  Ztschr.  XVI,  S.  339,  342  f.,  370  ff.  (Berlin  1873), 

Th.  Arnold:  Beowulf,  a  heroic  poem  of  the  eighth  Cen- 
tury; Avith  a  translation,  notes,  and  appendix,  S.  XXVI  ff. 
(London  1876), 

A.  Schönbach:  Anzeige  von  EttmüUers  oben  angeführ- 
teni  „Carmen  de  Beovulfi  etc.",  bei  Haupt,  Ztschr.  XXI,  Anz. 
S.  43  ff.  (ßerhn   1877), 

B.  ten  Brink:  Geschichte  der  englischen  Litteratur,  S.  33 
bis  35  (Berlin   1877), 

K.  Sehe  mann:  Die  Synonyma  im  Beowulfliede,  mit 
Rücksicht  auf  Komposition  und  Poetik,   S.  99  f.  (Hagen  1882). 


Es  liegt  mir  fern,  zu  den  bereits  bestehenden  Theorien  eine 
neue  hinzufügen  oder  negieren  zu  wollen,  was  in  überzeugender 
Weise,  soweit  dies  eben  bei  der  in  Rede  stehenden  Frage  mög- 
lich   ist,    bereits    von    anderen    über    diesen    Gegenstand    nach- 

9* 


l:V2  Über  Ursprung  un<l  pjntwickelung  des  Beowulfliedes. 

gewiesen  worden  ist.  Meine  Absicht  ist  es,  auf  Grund  der 
eben  namhaft  gemachten  Specialuntersuchungen  und  unter  um- 
fangreichster Benutzuno^  der  bisherigen,  zerstreut  liegenden 
Forschungsergebnisse,  soweit  sie  sich  in  den  Rahmen  meiner 
Anschauungen  fügten  —  manches,  was  eine  ganz  besonders 
glücklich  gewählte,  unübertreffliche  Fassung  zeigte,  habe  ich 
sogar,  ohne  diese  Form  anzutasten,  meiner  Darstellung  einver- 
leiben zu  sollen  geglaubt  —  ferner  aber  unter  Berücksichtigung 
der  zu  gleicher  Zeit  sich  abspielenden  Zeitereignisse,  sowie  unter 
Einflechtung  der  von  mir  neu  ins  Auge  gefafsten  Momente  ein 
vollständiges,  übersichtliches  und  historisch  klares  Gesamtbild 
zu  entwerfen,  wie  es,  nachdem  ich  mich  lange  mit  dieser  Frage 
beschäftigt  und  nachdem  ich  die  verschiedenen  Ansichten  aufs 
sorgfältigste  geprüft  und  gegeneinander  abgew^ogen  habe,  nun- 
mehr in  meiner  Vorstellung  über  den  Ursprung  und  die  Ent- 
uickelung  des  Beowulfliedes  sich  endgültig  gestaltet  hat. 

Denselben  Gesichtspunkt  hat  offenbar  zwar  bereits  ten  Brink 
in  seiner  englischen  Litteraturgeschichte  §  1 — 111  verfolgt ;  jedoch 
vermifst  man,  abgesehen  davon,  dafs  das  Ziel  der  Vollständig- 
keit und  Übersichtlichkeit  —  wie  mich  dünkt  —  doch  noch 
nicht  vollständig  erreicht  worden  ist,  in  seiner  im  übrigen  höchst 
schätzenswerten  und  genialen  Darstellung  den  sogenannten  litte- 
rarischen Apparat,  die  Angaben  über  seine  Bezugnahme  auf 
das  vor  ihm  von  anderen  auf  diesem  Gebiete  Geleistete  voll- 
ständig: was,  namentlich  von  Jüngern  der  Wissenschaft,  von 
Studierenden,  als  ein  erheblicher  Übelstand  empfunden  werden 
mufs.  Auch  auf  diesen  Punkt,  auf  genaue  Angabe  der  be- 
treffenden Quellen  für  eingehenderes  Studium,  ist  im  folgenden 
ein  ganz  besonderes  Gewicht  gelegt  worden. 

Den  Inhalt  des  Gedichtes  in  allen  seinen  Einzelheiten  hier 
zu  zergliedern,  ist  überflüssig,  da  derselbe  als  hinlänglich  be- 
kannt vorausgesetzt  werden  kann.  Ich  erinnere  nur  zur  leich- 
teren Orientierung  über  das  Folgende  in  Kürze  an  die  Haupt- 
momente im  Gange  der  Handlung  und  an  die  Episoden,  mit 
denen  das  Gedicht  so  reichlich  ausgestattet,  ja  förmlich  über- 
laden ist : 

„Von  Scyld  Scefing,  der  auf  geheimnisvolle  Weise  bei  den 
Dänen  (ihr  Reich  anfangs  auf  Seeland  und  den  anderen   Inseln 


über  Urspnujg  und  Eiitwickelung  des  Beowulfliedes.  133 

Östlich  vom  Grofsen  Belt,  später  auch  auf  Schonen  sowie  auf 
den  Inseln  westlich  vom  Grofsen  Belt  und  auf  Jütland*)  landet 
und  deren  König  wird,  entstammt  der  Scylding  Beowulf,  von 
diesem  Healfdene  und  von  letzterem  Hrodgär,  welcher  bei  seiner 
Königsburg  (wahrscheinlich  auf  Seeland**)  eine  prachtvolle  Met- 
halle, Heorot  genannt,  erbauen  läfst.  —  Grendel  aber,  ein 
Menschenfresser,  ein  Sumpfungeheuer,  dringt  nachts  in  die  Halle 
ein  und  verübt  Mordübel  an  den  dort  schlafenden  Dänenmannen 
(V^  1—193).*** 

Jahrelang  schon  währt  der  Hafs  und  die  Feindschaft  Gren- 
dels, ohne  dafs  die  Dänen  im  stände  sind,  sich  seiner  zu  er- 
wehren: da  dringt  Kunde  hiervon  zu  Beowulf,  dem  Sohne 
EcgI)eows,  dem  Gefolgsmann  und  Verwandten  Hygeläce,  des 
Königs  der  Geaten  (im  nördlich  von  Schonen  gelegenen  Teile 
Südschwedens  etwa  bis  an  die  grofsen  Seenf);  und  dieser 
unternimmt  eine  Fahrt  nach  dem  Lande  der  Dänen,  um  den 
König  Hrodgär  von  der  Grendelplage  zu  befreien  (V.  194 — 498). 
Beowulf,  der  Geate  —  der  in  früherer  Zeit  bereits  mit  Breca, 
dem  Fürsten  der  Brondinge,  ein  Wettschwimmen  bestanden  hat 
(V.  499 — 581)  —  findet  freundliche  Aufnahme  seitens  Hrödgärs 
und  seiner  Gemahlin  Wealpeow  und  überwältigt  Grendel  im 
Faustkampfe,  so  dafs  der  Unhold  sich  todwund  in  seine  Moor- 
wohnung  zurückziehen  mufs  (V.  581 — 837). 
jf.  Nun  herrscht  grofse  Freude  bei  den  Dänen,  und  reichliche 

Gabenspenden  werden  Beowulf  zu  teil  (V.  838 — 1251).  Aber 
Grendels  Matter  machte  sich  alsbald  auf,  ihren  Sohn  zu  rächen, 
und  erneut  den  nächtlichen,  feindseligen  Besuch  der  Halle,  wird 
jedoch  von  Beowulf  in  ihrer  eigenen  Meereswohnung  aufgesucht 
und  mit  einem  dort  aufgefundenen  alten  ßiesenschwerte  erlegt. 
Auch  dem  dort  regungslos  daliegenden  Grendel  schlägt  er  das 
Haupt  ab  (V.  1252—1629). 

Neue    Beschenkung    Beowulfa,    der    nun    wieder   nach    dem 
Lande  der  Geaten  zurückkehrt  (V.  1630—2200). 


*  Vgl.  Grimm,  Geschichte  d.  dtsch.  Spr.-^  511.  —  Grein  bei  Ebert  IV, 
261  f. 

**  Grein  a.  a.  O.  262. 

***  Verszählung  nach  Heyne. 

t  Grimm  a.'a.  ü.  514.  —  Grein  a.  a.  O.  262. 


134  Über  Urnpniii^  un<l  Kntwickelung  des  Boowult'liedes. 

Ilygelfic  fällt  auf  einem  Zuge  gegen  die  Franken,  Hetware, 
Friesen  und  liugen  (nach  den  Rheinmündungsgegenden);  er 
hinterläfüit  einen  noch  unmündigen  Sohn,  Namens  Heardred. 
Beowulf,  vvelciier  seinen  Herrn  und  Verwandten  auf  jenem  Zuge 
begleitet  hatte,  war,  nachdem  er  sich  mit  grofser  Kühnheit  durch 
Schwimmen  gerettet,  wieder  nach  Hause  zurückgekehrt,  wo  ihm 
Hygd,  Hygeläcs  verwitwete  Gemahlin,  den  Königsthron  anbietet. 
Er  schlägt  ihn  aus  und  steht  als  Vormund  dem  jungen  Hear- 
dred mit  Rat  und  That  zur  Seite. 

König  Heardred  wird  später  in  eine  Fehde  mit  den  Schweden 
(nördlich  von  den  Geäten*)  verwickelt,  die  ihm  das  Leben 
kostet;  worauf  dann   Beowulf  selbst  den  Thron  besteigt. 

Beowulf  unternimmt  im  hohen  Alter  nach  langer,  segens- 
reicher Herrschaft  noch  einen  Kampf  mit  einem  schatzhütenden 
Drachen,  der  sein  Land  verwüstete.  Es  gelingt  ihm,  vermittels 
seines  Hüftmessers  dem  Wurm  den  Garaus  zu  bereiten,  gleich- 
zeitig aber  wird  er  selber  zum  Tode  verwundet  und  stirbt. 
Vor  seinem  Hinscheiden  übergiebt  er  dem  AVtegmunding  Wiglaf, 
der  ihm  allein  beim  Drachenkampfe  treu  zur  Seite  gestanden  hat, 
mit  seinem  letzten  Auftrage  zugleich  seinen  Helm,  seine  Brünne 
und  seinen  Halsring.  Dann  wird  seine  Leiche  verbrannt  und 
seine  Asche  nebst  dem  Drachenhorte  in  einem  hohen,  weithin 
sichtbaren  Grabhügel  beigesetzt  (V.  2201 — 3184)." 

Mehreres    hiervon    —    und    manches    liefs    sich    gar   nicht 
anders  behandeln  —  ist  jedoch    nur  episodisch  der  Haupthand- 
lung  einverleibt  worden ;  es  sind  dies  die  Erzähluno;en 
von  Beowulfs  und  Brecas  Schwimmfahrt  (V.  506 — 586), 
von    Hygeläcs    Tod     gelegentlich     seines     Raubzuges     gegen 
Franken,  Hetware,  Friesen  und  Hugen  (V,  1203 — 1215, 
2355—2360   und  2911—2922);    von^Beowulfs  Anteil   an 
diesem    Kampfe   (V.   2498 — 2509),    seiner    Selbstrettung 
vermittels  Schwiramens    und    seiner  Rückkehr   nach   dem 
Lande  der  Geaten  (V.  2360-2380), 
von  Heardreds  Regierung  und  Ermordung  durch  den  schwe- 
dischen  König  Onela   (V.  2203—2207  und  2380—2389) 


*  Grimm  a.  a.  O.  516.  —  Grein  a.  a.   0.  272. 


I 


über  Ursprung  iimi   Entwickeliing  des  Beowiilflicles.  135 

und     von    dem    Fall    des    Schweden    Eanniund,    Onelas 
Neffen,  durch  den  Waegmunding  Weohstän  (V.  2612   bis 
2626), 
von    Beowulfs    Nachfolge    auf   dem    «jeatischen    Könio-sthrone 

O  C5  O 

und    seinem  Verhältnis    zu   den    Schweden    (V.  2390  bis 
2397).* 

Dazu  kommen   vveiter  noch  die  Episoden : 

von  Ecgpeows,  des  Vaters  Beowulfs,  Flucht  zu  den  Dänen 
(V.  459—472), 

von  dem  grausamen  Dänenkönig  Heremod  (V.  902 — 914  und 
1710—1723),** 

von  Finn,  seiner  Gemahlin  Hildeburg,  von  Hnäf  und  Hengest, 
Güdläf  und  Osläf  und  dem  Kampfe  der  Dänen  und 
Friesen  (auf  Finnsburg)  im  Lande  der  Friesen  (V.  1064 
bis  1160),*** 

von  J>rydo,  der  unmilden  Gemahlin  des  (anglischen)  Königs 
Offa  (V.  1932— 1963), t 

von  den  Kämpfen  der  Headobearden  und  Dänen,  und  der 
Vermählung  Ingelds,  des  Sohnes  des  gefallenen  Heado- 
beardenfürsten,  mit  Freaware,  der  Tochter  des  Dänen- 
königs Hrödgär  (V.  2033-2070), 

von  dem  Geatenkönig  HrMel  und  seinen  Söhnen  Herebeald, 
Hädcyn  und  liygeläc  (V.  2426—2471), 

von  den  Kämpfen  des  Königs  Hädcyn  und  seines  Bruders 
Hygeläc  mit  dem  Schwedenkönige  Ongenfeow,  von  dem 
Fall  Hädcyns  durch  Ongenpcow,  Ongenjjeows  durch  Eofor 
(V.  2472—2490  und  2923—2999), 

von  Sigmunds  Drachenkampf  und  von  seinem  Neffen  Fitela 
(V.  876-901),.tt 


*  Für   die  schwierigen    schwedischen  Verhältnisse    etc    vgl.   Grein    bei 
Ebert  IV,  274  fi'.;  MüUenhoff'  bei  Haupt  XIV.  226  flf.,  XXI,  Anz.   176  f. 

**  Grein  a.  a.  O.  264;  MüUenhoti"  a.  a.  O.  XIV,  202,  XXI,  Anz,   182; 
Köhler  bei  Höpfner  u.  Zach.  II,  314  ff'. 

***  Grein  a.  a.  O.  269  f.;  Rieger  bei  Höpfner  u.  Zach.  III,  396  ß". 
f  Ich.  folge   nicht   Körner  bei  Kölbing  I,  489  ff.,    sondern  Suchier  bei 
Paul  u.  Braune  IV,  500  ff". 

tt  loh  verweise  hierfür  iiuf  W.  Grimm,  Heldens.2  14  ff". 


136  Über  llrspiung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes. 

von    Eormenric,    Häma    und    der    Entwendung    des    Brosinga 
mene  (V.  1199—1202).* 

Aus  dem  bisher  über  den  Inhalt  des  Beowulfliedes  Gesagten 
erhellt  leicht,  dafs  demselben  zweierlei  Bestandteile,  nämlich 
nicht  blofs  historische,  sondern  auch  mythische**  zu  Grunde 
liegen,  von  denen  wenigstens  die  letzteren,  die  mythischen,  noch 
auf  die  alte  Heimat  der  Angeln  und  Sachsen,  auf  hohes  germa- 
nisches Altertum,  vielleicht  auf  ingävonische  Saggemeinschaft 
zurückzuweisen  scheinen. 

Daneben  sind  aber  noch  allerlei  christlich-religiöse  Betrach- 
tungen in  das  Gedicht  eingestreut  worden,  wie  z.   B. 
das  Lied  von  der  Schöpfung  der  Welt  (V.  90 — 98), 
Abstammung    Grendels    und    der    anderen    Unholde    von    dem 
Brudermörder  Kain  (V.  105—114) 
und  viele  andere  von  kürzerem  Umfange. 

Wahrscheinlich  verhält  sich  die  Sache  folgendermafsen : 

Bei  den  Angeln  und  Sachsen,  als  sie  noch  in  ihren  alten 
Wohnsitzen  auf  dem  germanischen  Festlande,  im  heutigen 
Schleswig  und  Holstein,  sich  befanden,  blühte  der  Mythus  von 
einem  göttlichen  Heros  und  seinen  siegreichen  Kämpfen  mit  feind- 
seligen Ungeheuern,*'"*  vornehndich  einem  Meerriesen,  Namens 
Breca,  einem  Wasserungetüm,  Namens  Grendel,  und  einem 
giftigen,  schatzhütenden  Drachen ;  auch  Grendels  Mutter,  die  in 
der  Meerestiefe  hausende  Seewölfin,  wird  in  der  Sage  von  jenem 
göttlichen  Heros  bereits  eine  Rolle  gespielt  haben.  Und  zwar 
war  es  —  soviel  wir  aus  unserem  Liede  entnehmen  können  — 
ein  Wettschwimmen,  ein  Schwimmkampf,  worin  sich  seine  Über- 
legenheit über  Breca  offenbarte,  ein  Faustkampf,  in  dem  er  den 
Grendel  bezwang,  während  er  Grendels  Mutter  mit  einem  alten 
Riesenschwerte,  dem  Drachen  mit  seinem  Hüftmesser  die  Todes- 
wunde   versetzte.    —    Dieser  göttliche  Held    führte  in    den    be- 


•    \'gl.   W.  Grimm   a.  a.  O.  7 ;    J.   Grimm,    Myth.^   283    f.;    Simrock, 
Myth.3  376  ff".;    Müllenhoff"  bei  Haupt  XU,  303  tl". 

**  Über  diese  zu  vergl.  (aufser  den  Bemerk.  Grimms  in  der  Myth.  und 
Simrocks  in  dt-r  Myth.  und  seinen  Erläut.  zu  der  Beowulf-Übers.)  besonders 
die  beiden  Abb.  iMüllenhoffs  bei  Haupt  VII,  410  ff".  419  iY. 

***  Vgl.  MüUenhoff"  bei  Haupt  XII,  282  fin.,  284  init.;  ten  Brink,  Engl. 
Litt.  3  f. 


I 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes.  137 

treffenden  Sagen  vermutlich  den  Namen  Beaw  oder  in  schwacher 
Form  Beawa  oder  Beowa.* 

Der  Mythus  von  Beowa  aber  wird  sich  nicht  auf  die  Angeln 
und  Sachsen  allein  beschränkt  haben  :  auch  unter  den  benach- 
barten Stämmen,  die  später  mit  und  nach  ihnen  über  das  Meer 
hinübersetzten,  besonders  den  Juten  und  Friesen,  wird  jener 
Mythus  verbreitet  gewesen  sein  ;  ja  er  war  vielleicht  einst  Ge- 
meingut der  sogenannten  ingävonischen  Völkerschaften  über- 
haupt ;  und  wenn  man  bedenkt,  und  es  wirklich  von  Bedeutung 
ist,  dafs,  worauf  Körner  bei  Kölbing,  Engl.  Studien  I,  S.  485, 
aufmerksam  gemacht  hat,  nicht  nur  in  Hamburg  ein  Stadtteil 
des  iS'amens  Grindel,  sondern  auch  in  Bayern  ein  Beowan  häm, 
ein  Immenstadt,  sich  befindet  —  ich  erinnere  bei  dieser  Ge- 
legenheit noch  an  Grindelwald  in  der  Schweiz  —  so  dürfte  man 
am  Ende  gar  berechtigt  sein,  ihm  eine  noch  weitere  Verbreitung 
nach  Süden,  unter  obergermanischen  Völkerschaften  zuzuer- 
kennen. 

Ob  diese  Mythen  auch  schon  in  der  alten  Heimat  Gegen- 
stand des  Liedes  gewesen  seien  —  wir  wissen  es  nicht;  aber 
es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dafs  dies  der  Fall  gewesen  ist:  da 
ja  Sagbildung  und  dichterische  Gestaltung  Hand  in  Hand  gehen. 
In  Hymnen,  die  ausschliefslich  für  gesanglichen  mit  der  Harfe 
zu  begleitenden  Vortrag  berechnet  waren  und  den  Zweck  hatten, 
bei  Gelegenheitsfeiern  aller  Art  angestimmt  zu  werden,  pflanzten 
sich  diese  Mythen,  unaufgezeichnet  wie  sie  waren,  im  Munde 
des  Volkes  von  Generation  zu  Generation  fort.** 

Es  läfst  sich  annehmen,  dafs  aufserdem  aber  auch  man- 
cherlei Stammessagen,  z.  B.  bei  den  Angeln  die  vom  alten 
König  Offa  (4.  Jahrhundert  n,  Chr.)  und  seinem  Geschlechte,  in 
Liedern  jener  Zeit  erklungen  sein  werden. 

Diese  Sagen  bez.  Lieder  wanderten,  als  die  Völkerbewegung, 
welche  fast  alle  deutschen  Stämme  mit  sich  fortrifs,  auch  jene 
nordgermanischen  Bewohner,  die  Angeln,  Sachsen,  Juten,  Frie- 
sen u.  8.  w.  ergriflf,    und  der  Teil  von  Britannien,    der  nachher 


*  Vo;l.  die  ags.  Stammtafeln;  bei  Grimm,  Myth.^  Anbang  S.  386  ft".  - 
MüUenhoff"  bei  Haupt  VII,  419;  XII,   283. 
**  Vgl.  ten  Brink  a.  a.  O.  18  f. 


13S  Über  Ursprung  mul   Kiilwii-kfluiig  des  Boowolfliedes. 

den  Namen  England    fuhrt,    von  diesen  Stämmen    allmählich    in 
Besitz  genommen  wurde,  selbstverständlich  in  die  neuen  Wohn- 
orte   mit  hinüber,    um  dort   auf  einem  schöneren,    geräumigeren 
Boden,    wo   sich  die  neuen  Ankömmlinge   in  jeder  Hinsicht  be- 
haglicher  fühlen    mufsten    als  in  ihrer   alten,    engen    und   armen 
Heimat,    wo    ferner    ein    weltbeherrschendes    \'olk    die    Spuren 
seines    Wirkens    zurückgelassen    hatte,*    sich    fest-    und    fortzu- 
setzen.   Örtlichkeiten  der  neuen  Heimat,  Hügel  und  Seen,  deren 
Lage  und  Umgebung  mythische  Erinnerung  weckte,  wurden  nach 
den    herübergebrachten  Mythen   benannt,    Grendels    und   Beowas 
Namen  ihnen  beigelegt.**    In  Yorkshire,  im  nördlichen  Teil  von 
England,    liegt    ein    Grindleton    (Grendelstadt),    wie   Körner    bei 
Kölbing,  Engl.  Studien  I,   S.  4^5,  mitteilt,  und  in  mehreren  von 
Kerable    in    dem    Werke    „Codex    diplomaticus    asvi    Saxonici" 
(6  Bde.,    London   1839—1848)   unter   Nr.  353,    436,   570,    972, 
app.    vol.    IH,    nr.    59    angeführten    angelsächsischen    Urkunden 
werden    ein    Beowan   hamm   (Beowas  Höhe)    neben  einem    nahe 
gelegenen  Grendles    mere    (Grendels    See,    Teich    oder  Sumpf), 
sowie  ferner  ein  Grindles  bec  (Grendels  Bach)  und  ein  Grindles 
pytt   (Grendels    Brunnen    oder   (jraben)    im    südwestlichen    Teil 
von  England,  in  Wiltshire  und  Worcestershire,  namhaft  gemacht ; 
worauf   zuerst    Leo,    Rectitudines,  S.  5,  32  (Halle  1842),    dann 
Grimm,  Mythologie,^  S.  222,    Kemble  selber  in  The  Saxons  in 
England  (London  1849,  deutsch   von   Brandes,  Leipzig  1853)  1, 
S.  416  bez.  343,  und  MüllenhofF  in  Haupts  Ztschr.  X[[,  S.  2^2, 
aufmerksam  gemacht  haben. 

Nach  der  Historia  ecclesiastica  gentis  Angloruni  des  Beda 
und  der  Sachsenchronik  war  es  Wortigern,  der  König  der 
(keltischen)  Briten,***  welcher  —  angeblich  im  Jahre  449  — 
Angeln  und  Sachsen  zu  seiner  Hilfe  gegen  die  Pikten  und 
Skoten,  die  nach  dem  Abzüge  der  Römer  (409)  die  Briten  lange 
und  heftig  bedrängten,  aus  Deutschland  herbeirief.  Hengist  und 
Horsa  sollen  mit  einem  Heere  hinübergegangen  sein,  die  Feinde 


*  Müllenhoff  bei  Haupt  XXI,  Anz.   174;  ten  Brink  a.  a.   O.  21. 
**  ten  Brink  a.  a.  O.  31. 
***  Für  die  politische  Geschichte  vgl.  Lappenberg,  Geschichte  von  Eng- 
land,  Bd    1. 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  lieowulf liedes.  131) 

der  Briten  geschlagen,  sich  dann  aber  in  England  festgesetzt 
und  wohnlich  eingerichtet  haben. 

Bald  langten  neue  Scharen  von  Stammesgenossen  und  Nach- 
barvölkern  in  England  an,  die  Briten  ihrerseits  wurden  nun 
aber  immer  weiter  zurückgedrängt,  und  eigene  Reiche  von  den 
germanischen  Eindringlingen  gestiftet,  die  aber  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  sich  wiederum  untereinander  zu  befehden  began- 
nen, bis  es  827  dem  Westsachsenkönig  Egbert  gelang,  alle 
sieben  Reiche  zu  einem  einzigen  Staate  zu  vereinigen. 

Dafs  der  Bericht,  die  Germanen  hätten  erst  infolge  einer 
Einladung  im  Jahre  449  den  Anfang  mit  der  Übersiedelung 
nach  Britannien  gemacht,  in  den  Bereich  der  Sage  zu  verweisen 
ist,  darüber  herrscht  v/ohl  gegenwärtig  kein  Zweifel  mehr.  Dafs 
vielmehr  wahrscheinlich  schon  im  dritten  Jahrhundert,  noch  zur 
Zeit  der  Römerherrschaft  in  Britannien  Sachsen  und  andere 
nordgermanische  Völkerschaften  Raubzüge  nach  jenem  Lande 
unternommen,  ja  Niederlassungen  dort  besessen  haben  werden, 
geht  daraus  hervor,  dafs  im  vierten  Jahrhundert  ein  Küsten- 
strich  des  östlichen  Britanniens,  das  spätere  Norfolk,  bereits 
litus  Saxonicum  genannt  wurde.  Es  war  hier  wie  in  Gallien 
für  die  deutschen  Seeräuber  der  Reiz  zur  Plünderung  mächtiger 
als  die  Eurcht  vor  dem  römischen  Namen.*  Dem  fünften  und 
sechsten  Jahrhundert  blieb  dann  die  weitere  Bevölkerung  Eng- 
lands durch  germanische  Elemente  vorbehalten.  —  Es  liegt  auf 
der  Hand,  dafs  die  Besitzergreifung  Englands  nur  Schritt  vor 
Schritt  und  mit  dem  Schwerte  sich  vollziehen  konnte  und  dafs 
England  infolge  des  Eindringens  der  germanischen  Scharen  sich 
auf  Jahrhunderte  lang  zum  Schauplatz  blutiger  und  hartnäckiger 
Kämpfe  gestalten  mufste.** 

In  dieselbe  Zeit,  wo  die  angelsächsischen  Heerführer  sich 
in  England  Reiche  eroberten,  fällt  aber  auch  die  Begründung 
des  dänischen  Reiches  auf  Seeland  und  den  anderen  Inseln, 
sowie  seine  allmähliche  Ausdehnung  nach  Osten  und  Westen. 
Nach  Westen,  nach  der  cimbrischen  Halbinsel,  konnte  die  Aus- 


*  ten  Brink  a.  a.  O.  5. 
**  Vgl.  ten  Brink  a.  a.  O.  6. 


1  10  über  Ursprung  und  Entwickehing  des  Beowulf liedes. 

(lehnung  der  Dänenherrschaft  sogar  ziemlich  widerstandslos  von 
statten  gehen,  seitdem  die  jütische  und  anglische  Bevölkerung 
sich  daselbst  zu  lockern  angefangen  hatte.  Aber  auch  andere, 
skandinavische  Völker,  die  Geaten  und  Schweden,  erscheinen  in 
dieser  Zeit  auf  jenem  nördlichen  Schauplatz  der  Begebenheiten 
und  in  Beziehung  nicht  nur  unter  sich,  sondern  auch  zu  anderen 
um-  und  anwohnenden  Völkerschaften,   besonders  den  Dänen. 

Diese  gegenseitige  Berührung  jener  nördlich-germanischen 
Völkerschaften  vollzog  sich  gewifs  oft  auf  dem  \^'^ege  und  zum 
Zwecke  friedlichen  Schiffsverkehrs.*  Nicht  selten  gab  auch 
die  Blutsfeindschaft  (ags.  faehd,  auch  f^hdo.  F.)  dazu  Veran- 
lassung, indem  sie  den  Schuldbeladenen  die  Notwendigkeit  auf- 
erlegte, die  alte  Heimat  zu  verlassen  und  bei  einem  anderen 
Stamme  eine  Zufluchtsstätte  aufzusuchen.**  Weit  häufiger  aber 
bildeten,  wie  in  späteren  Jahrhunderten,  so  gewifs  auch  damals 
schon  feindselige  Absichten  die  Veranlassung  zur  Begegnung 
der  Völker  untereinander.  Schon  die  an  Schutzflehende  gewährte 
gastliche  Aufnahme  wurde  oft  die  Ursache  kriegerischer  Ver- 
wickelungen;*** weit  öfter  jedoch  war  es  der  Eroberungstrieb, 
der  die  Völker  bewog,  das  Schwert  gegeneinander  zu  ziehen, 
Plünderungs-  und  Raubsucht,  welche  sie  verlockte,  sich  gegen- 
seitior  an  den  Grenzmarken  verheerend  heimzusuchen.! 

Leider  werden  wir  in  Bezug  auf  diese  Epoche  der  Ge- 
schichte jener  Reiche  bei  dem  Mangel  an  historisch  beglaubigten 
Berichten  arg  im  Dunklen  gelassen.  Das  angelsächsische  Beo- 
wulfepos  vorzugsweise  ist  es  jedoch,  welches  uns  in  den  Stand 
setzt,  einige  Schlüsse  zu  ziehen  auf  die  welthistorischen  Ereig- 
nisse und  Heldenthaten,  die  sich  in  jener  vielbewegten  Zeit  im 
Norden  Europas  abspielten. 

So  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  hinter  dem 
Bau  der  Prachthalle  Heorot  ein  geschichtliches  Faktum,  das 
Faktum    der    Begründung    des    Reiches    Dänemark   stecke,    wie 


*  Üher  die  Schiffahrt  der  Germanen  handelt  Wackernagels  Aufsatz  bei 
Haupt  IX,  571   ff". 

**  Vgl.  Beow.  459  ff. 
"•  Vgl.  Beow.  2380  fi. 
t  Vgl.  Beow.  2923  ff.,  2472  ff. 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes.  141 

bereits  Müllenhoff  bei  Haupt  XXI,  Anz.  S.  179  behauptet  hat. 
So  liegen  ferner  dem  Umstände,  dafs  unser  Lied  den  Schau- 
platz des  durch  den  Geaten  Beowulf  vollführten  Grendelkampfes 
an  den  Herrschersitz  des  dänischen  Königs  Hrödgär  verlegt, 
sicherlich  wirkliche  historische  Beziehungen  zwischen  den  Gedten 
und  Dänen  zu  Grunde,  wie  auch  ten  Brink  in  seiner  Engl. 
Litteraturgeschichte  S.  31  A.  vermutet  hat.  Ganz  besonders 
aber  sind  in  dieser  Hinsicht  auch  mehrere  der  in  den  Beowulf 
hineingearbeiteten  Episoden  von  Wichtigkeit :  insofern  sie  ohne 
Frage  als  der  Wiederhall  eines  guten  Teiles  der  Vorgänge  und 
Kämpfe  aus  der  Zeit  jener  Völkerbewegung  angesehen  werden 
müssen.* 

Kurz,  es  ist  dies  das  Zeitalter,  wo  Kraft  und  Mannes- 
tüchtigkeit ihre  gröfsten  Triumphe  feiern,  Heldengestalten  allent- 
halben auf  dem  Schauplatz  der  Begebenheiten  auftauchen,  Thaten 
verrichtend,  welche  Bewunderung  bei  den  Zeitgenossen  erregten, 
Ruhm  bei  der  Nachwelt  ernteten ;  Thaten,  welche  zugleich  die 
dichterische  Phantasie  befruchteten  und  zur  Produktivität  begei- 
sterten. Es  war  mithin  nur  zu  natürlich,  dafs  jener  Heldenzeit 
eine  Heldendichtung,  eine  Blüte  volksmäfsiger,  epischer  Poesie 
auf  dem  Fufse  folgte.  Leider  stehen  wir  auch  diesen  Helden- 
liedern mehr  ahnend  als  wissend  srewenüber.  Sie  haben  mit  ihren 
Geschwistern,  den  Heldengesängen  der  süddeutschen  Stämme 
aus  dem  Zeitalter  der  Völkerwanderung,  ein  gleiches  Schicksal 
gehabt,  welche  ja  ebenfalls  im  Schofse  der  Jahrhunderte  begraben 
worden  sind.  Das  wenige,  was  wir  von  der  alten  englischen 
Epik  besitzen,  gehört  späterer  Zeit  an.  Und  doch  —  nehmen 
wir  blofs  diese  wenigen  Überreste,  den  Beowulf,  den  Widsid, 
das  Fragment  vom  Kampfe  zu  Finnsburg,  die  zwei  Bruchstücke 
von  Waldere  —  wie  reich  darf  sich  in  dieser  Beziehung  die 
englische  Litteratur  nennen,  wenn  man  sie  mit  der  althochdeut- 
schen vergleicht!** 

Merkwürdigerweise  werden  ein  paar  den  Sagenkreisen  dieser 
südlicheren  deutschen  Stämme  angehörige  Namen  und  Berichte 
auch  in  dem  ags.  Beowulfepos  angetroffen;    so  ist    in  einer  der 


*  Vgl.  MüUenhoft  bei  Haupt  XXI,  Anz.  179. 
**  ten  Brink  a.  a.  O.  40. 


142  Über  Ursprung  um!  Entwickcluno-  des  Beowulfliedes. 

Episoden  von  Sigemund,  den  wir  aus  der  fränkischen  Sage  her 
als  Vater  Sigefrits  kennen,  die  Rede,  und  diesem  ein  Drachen- 
kanipt"  und  eine  Schatzgewinnung  zugeschrieben:  eine  That,  die 
sonst  seinem  Sohne  beigelegt  wird.  So  wird  zweitens  auf  den 
gotischen  Sagenkreis  angespielt  in  einer  P^pisode,  die  von  Egr- 
uicnric  und  Häma  und  der  Entwendung  kostbarer  Schatzgegen- 
stände handelt. 

Vor  allem  aber  mufs  ein  Ereignis  jener  Zeit  ein  ganz  be- 
sonderes und  gewaltiges  Aufsehen  erregt  haben:  ein  Plünderungs- 
zug des  Geätenkönigs  Hygeläc  in  das  Gebiet  des  unteren  Rheins. 
Und  dieses  Ereignis  nun  ist  es,  über  welches  uns  glücklicher- 
weise historisch  beglaubigte  Berichte  vorliegen. 

Ohne  Zweifel  ist  nämlich  —  worauf  Grundtvig  (Danevirke 
1817,  Bd.  II,  S.  284  flf.)  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat  — 
der  Hygelac  unseres  Gedichtes,  der  König  der  Geaten,  der  Oheim 
Beowulfs,  identisch  mit  dem  Chochilaicus  oder  Chochilagus,  der 
nach  den  Berichten  der  Historia  Francorum  des  Gregor  von 
Tours  III,  3  und  der  Gesta  regum  Francorum  c.  19  im  zAveiten 
Decennium  des  sechsten  Jahrhunderts  an  den  unteren  Rhein 
(in  den  Gau  der  fränkis(;hen  Hattuarier)  einen  Raubzug  unter- 
nahm, jene  Gegenden  verwüstete  und  mit  reicher  Beute  wieder 
den  Rückweg  antreten  wollte,  als  Theudebert,  der  Sohn  des 
fränkischen  Königs  Theuderich  (des  Sohnes  Chlodovechs)  mit 
einem  —  wahrscheinlich  aus  Franken  und  Friesen  (Hetvvare, 
Hugen)  bestehenden  —  Heere  heranrückte.  Es  entbrannte  ein 
heifser  Kampf,  der  auf  beiden  Seiten  zahlreiche  Opfer  forderte. 
Theudebert  siegte ;  Chochilaic  fiel,  sein  Heer  w'urde  zu  Lande 
und  zu  Wasser  aufgerieben  und  die  schon  auf  seinen  Schiffen 
befindliche  Beute  von  den  Feinden  zurückgewonnen.*  —  Zwar 
erscheint  nach  jenen  Berichten  Chochilaic  als  ein  König  der 
Dänen,  aber  jedenfalls  nahmen  es  die  fränkischen  Chronisten 
nicht  so  genau  mit  der  Unterscheidung  jener  nördlichen  Stämme, 
sondern  sie  liefsen  sie  wohl  sämtlich  in  den  Namen  der  Dänen 
zusammenfliefsen.** 


♦  Vgl.  Miillenhofi"  hei  Haupt  VI,  437;  Grimm,  Gesch.  d.  d.  Spr.^  410. 
**  Grein  bei  Ebert  IV,  274:    Dederich,  Histor.  u.  geogr.  Stuiiion  zum 
ags.  Beow.   160. 


l 


über  Ursprung  und  Entwickelting  iles  Beowulfliedes.  143 

Ein  anderweitiger  Bericht,  der  uns  in  einer  wahrscheinlich 
von  einem  fränkischen  Verfasser  und  spätestens  aus  dem  achten 
Jahrhundert  stammenden,  von  M.  Haupt  als  „Liber  monstrorum 
de  diversis  generibus"  im  Index  lect.  der  Berliner  Universität 
(Sommersemester  1863)  herausgegebenen  Schrift,  S.  6  erhalten 
ist,*  kennt  sogar,  übereinstimmend  mit  unserem  Epos,  einen 
Getarum  rex  Huiglaucus  d.  i.  Hugilaicus,  welcher  von  den 
Franken  getötet  worden  wäre.  Von  diesem  König  heifst  es 
dort:  ..quem  equus  a  duodecimo  astatis  anno  portare  non  potuit, 
cujus  ossa  in  Rheni  fluminis  insula  ubi  in  Oceanum  prorumpit 
reservata  sunt  et  de  longinco  venientibus  pro  miraculo  osten- 
duntur."  Das  ist  nun  zwar  eine  sagenhafte  Erzählung,  die  sich 
vielleicht  an  einige  Walfischknochen  knüpfte,**  immerhin  aber 
ein  Beweis  dafür,  dafs  Hygeläcs  ganze  Persönlichkeit  eine  ge- 
waltige, imponierende  gewesen  sein  mufs. 

Das  kühne  Unternehmen  Hygeläcs,  welches  ihm  freilich  das 
Leben  kostete,  bot  auch  —  wenn  wir  nun  weiter  aus  unserem 
Gedichte  liückschlüsse  auf  die  Historie  ziehen  —  einem  Gefolgs- 
mann und  Verwandten  Hygeläcs  Gelegenheit,  seine  riesige 
Körperkraft  und  Tapferkeit  sowie  seine  Verwegenheit  und  Tüch- 
tigkeit im  Schwimmen,  der  er  schliefslich  beim  Rückzuge  seine 
Rettung  zu  verdanken  hatte,  an  den  Tag  zu  legen.***  Und  eben 
dieser  Zug  des  Geatenkönigs,  bei  dem  die  Heldenkraft  seines 
Neffen  sich  in  einem  so  glänzenden  Lichte  zeigen  konnte,  wurde, 
indem  er  die  Einbildungskraft  der  Meeranwohner  mächtig  ergriff, 
nun  auch  die  Veranlassung  zur  Bildung  der  epischen  Sage,  der 
Anstofs  zur  epischen  Verherrlichung  des  Geatenkönigs  und 
mehr  noch  seines  kühnen  Neffen. 

Denn  weit  und  breit  hatte  sich  die  Kunde  von  jenen 
Kampfesereignissen  verbreitet,  und  überall  in  jenen  nordgerma- 
nischen Gauen  erscholl  alsbald  der  Ruhm  des  tapferen  Degen : 
seine  Kraft  und  sein  Mut,  die  vor  keinem  Wagnis,  vor  keiner 
Gefahr  zurückgeschreckt,  die  Kühnheit,  mit  der  er  sich  beute- 
beladen   den    Fluten    des    Meeres    anvertraut    hatte,    wurden    in 


*  Vgl.  auch  Hiuipt  in  seiner  Zeitschrift  V.  10. 
**  MüUenhof  bei  Haupt  XII,  287. 
**'  Beow.  V.  2502  ff.,  2360  fl". 


144  Über  Ursprung  und  Entvvickelung  des  Beowulflledes. 

Liedern  gefeiert,*  später  wohl  auch  seine  Königsherrschaft  über 
die  Gedten,  sein  Tod  und  seine  Bestattung  besungen.  Und  am 
allerwenigsten  vermochte  die  angelsächsische  Zunge  der 
Heldengestalt  eines  solchen  riesenhaften  Kämpen  und  vorzüg- 
lichen Schwimmers  gegenüber  sich  schweigsam  zu  verhalten. 

Aber  die  Heldengestalt  gewann  nach  und  nach  sagenhafte 
Proportionen;  der  ursprünglich  historische  Held  trat  bei  den 
Ano;elsachsen  schliefslich  in  das  Erbe  eines  göttlichen  Heroen 
ein;  und  dieser  göttliche  Heros  war  kein  anderer  als  eben  jener 
Beowa,  von  dem  wir  oben  bereits  gehandelt  haben:  der  Töter 
Grendels  und  dessen  Mutter,  der  Bezwinger  des  Drachen,  der 
Gegner  Brecas  in  einem  Schvvimmkampfe.** 

Eine  solche  Saa^enkombination  wurde  schon  durch  die  Ahn- 
lichkeit  der  Namen  beider  Helden  stark  begünstigt,  wenn  nicht 
vielleicht  jjar  in  erster  Linie  veranlafet.  Ob  nun  freilich  der 
Name  des  historischen  Helden  ursprünglich  bereits  so  gelautet 
habe,  wie  ihn  unser  Epos  bietet :  Beowulf,  oder  ob  die  Form  seines 
Namens  eine  andere,  aber  natürlich  gleichfalls  mit  der  Namensform 
des  mythischen  Heros  Beowa  sich  berührende  gewesen  sein  mag, 
mufs  dahingestellt  bleiben.  Ich  bin  geneigt,  das  letztere  zu  ver- 
muten: zu  vermuten,  dafs  die  Form  Beowulf  eine  epische  Neu- 
bildung involviere,  die  den  Zweck  hatte,  beim  Zusammenfliefsen- 
lassen  der  mythischen  und  der  auf  historischer  Grundlage 
beruhenden  Sage  die  ähnlichen  Namen  der  beiden  Sagenträger 
durch  eine  dritte  Namensform  zu  vermitteln,  derart,  dafs  dieser 
neuen  Namensform  zugleich  die  Bedeutung  innewohnte,  den  so 
Benannten,  ohne  die  Erinnerung  an  die  beiden  ursprünglichen 
Namen,  den  historischen  einerseits,  den  mythologischen  anderer- 
seits, zu  verwischen,  doch  nicht  als  Beowa  geradezu,  sondern 
nur  als  einen  Helden  im  Geiste  und  von  der  Art,  dem  Sinne*** 
und  vor  allem  von  der  Stärke  des  Beowa  zu  bezeichnen.  So 
wurde  unter  den  Angelsachsen  in  England  der  Sohn  EcgI)eow8, 
der  Neffe  Hygeläcs,  der  infolge  des  Geatenzuges  gegen  die 
Franken  aus  der  Zeit  zwischen  512  und  520  berühmt  gre wordene 


*  ten  Brink  a.  a.  O.  30;  MüllenholT  a.  a.  O.   174  fin.,  175  init. 
**  Vgl.  Müllenlioff"  bei  Haupt  VII,  419;  XII,  282;  ten  Brink  30  unten  f. 
***  MüUenhoff  a.  a.  O.  XII,  284. 


über  Ursprung  un<l  Entwickulung  des  Beowulfliedes.  145 

historische  Held,  unter  dem  Namen  Beowulf,  als  Wettschwimmer 
mit  Breca,  als  Besieger  Grendels  und  seiner  Mutter,  als  Käm- 
pfer mit  dem  Drachen,  also  als  Vollbringer  von  Thaten  gefeiert, 
die  ursprünglich  von  dem  mythischen  Beowa  gesungen  worden 
waren. 

Aber  trotz  seiner  Entrückung  in  die  mythische  Sphäre 
geriet  seine  Beziehung  zur  Geschichte  nicht  in  Vergessenheit. 
Die  Erinnerung  an  seine  Abstammung  von  Ecgpeow,  an  sein 
Verhältnis  zu  Hygeläc  zieht  sich  wie  ein  roter  Faden  durch  das 
ganze  uns  vorliegende  Beowulfepos  hindurch.  Man  denke  nur 
an  die  immer  wiederkehrenden  Epitheta:  bearn  Ecgpeöwes,  sunu 
Ecgl)eöwes,  Hygelaces  rajeg,  Hygeläces  pegn,  und  an  deren 
Varianten:  maga  Ecgpeövves,  Hygeläces  m^g  and  mago-pegn, 
lind-gestealla,  geselda  u.  a.* 

Nachdem  wir  die  fundamentalen  Elemente  des  Beowulf  so- 
weit kennen  gelernt  und  betrachtet  haben,  scheint  es  hier  der 
geeignetste  Ort  zu  sein  zur  Entscheidung  zweier  sich  uns  nun- 
mehr noch  aufdrängender  Fragen,  nämlich  erstens:  wie  hat  sich 
auf  und  aus  jenen  Elementen  das  Epos  bis  zu  seiner  endgül- 
tigen, einheitlichen  Gestalt  aufgebaut,  und  zweitens:  wann  ist 
dieser  letzte  Ausbau  vor  eich  gegangen? 

Um  zunächst  die  zweite  Frage  zu  beantworten,  so  ergiebt 
sich  —  alle  zeitbestimmenden  Momente,  auf  die  bereits  oben 
zum  Teil  aufmerksam  gemacht  worden  ist,  zum  Teil  noch  weiter 
unten  im  Verlauf  der  Auseinandersetzung  hingewiesen  werden 
wird,  ins  Auge  sefafst  —  als  wahrscheinlich,  dafs  diese  Ab- 
fassung  des  Beowulf  etwa  in  der  Mitte,  spätestens  aber  in  der 
zweiten  Hälfte  des  siebenten  Jahrhunderts  stattgefunden  habe.** 
Was  aber  die  andere  Frage  anbetrifft,  die  Frage  nach  der  Art 
und  Weise  der  endgültigen  Bearbeitung  des  Stoffes  und  Zu- 
sammensetzung des  Beowulfepos,  so  findet  diese,  wie  mich  dünkt, 
eine  vollkommen  befriedigende  Erledigung  durch  die  in  Haupts 
Zeitschr.  XIV,  S.  193—244  (Berlin  1869)  erschienene  Abhand- 
lung von  Müllenhoff:  „Die  innere  Geschichte  des  Beowulfs." 


*  Gesammelt   nebst   Angabe   der  Belegstellen    und    besprochen    finden 
sich  dieselben  bei  Schemann,  Synonyma  im  Beow.,  S.  12  f.,  60. 
**  Vgl.  Grimm,  Heldens.'-  13. 
Arcliiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  1" 


14i;  Über  Ursprung  und  Entwickelung  des   Beowulfliedes. 

Nach  MüIlenhofF  ist  unser  Beowulf  sechs,  der  Sprache  und 
Zeit  nach  nicht  merkHch  einander  fernstehenden  Verfassern  zu- 
zuschreiben: 

1)  Zuerst  entstand  die  Stelle,  welche  jetzt  die  Verse  194 
bis  837  umfefst,  von  Beowulfs  Kampf  mit  Grendel  handelnd 
(Lied  I). 

2)  Gleich  alt,  doch  von  einem  anderen  Verfasser  ist  V.  2201 
bis  3184,  d.  h.  die  Schilderung  von  Beowulfs  Kampf  mit  dem 
Drachen  und  von  seinem  Tode  (Lied  IV). 

3)  Bald  erhielt  das  Lied  von  Beowulfs  Kampf  mit  Grendel 
durch  einen  dritten  Dichter  eine  Fortsetzung:  Beowulfs  Kampf 
mit  Grendels  Mutter,  V.  838—1629  (Lied  II). 

4)  Darauf  wurde  von  vierter  Hand  V.  1 — 193,  über  die 
Genealogie  der  Scyldinge  von  Scyld  Scefing  bis  Hrödgär,  dessen 
Prachtbau  und  Bedrängung  durch  Grendel  handelnd,  dem  übrigen 
vorgesetzt  (Einleitung). 

5)  Darauf  legte  ein  fünfter  Dichter  Hand  an  das  Werk, 
indem  er 

a)  eine  neue  Fortsetzung,  V.  1630—2200,  d.  h.  die  Er- 
zählung von  Beowulfs  Heimkehr  ins  Geatenland  hinzufügte 
(Lied  III); 

b)  Zusätze  in  die  Lieder  I  und  besonders  II  einschaltete 
(Interpolator  A). 

6)  Der  sechste  V^erfasser,  der  letzte  Bearbeiter  und  eigent- 
liche Interpolator  des  Gedichtes,  endlich  —  vielleicht  ein  Geist- 
licher an  irgend  einem  der  angelsächsischen  Höfe  —  verband 
das  zweite  alte  Lied  vom  Drachenkampf  etc.  (Lied  IV)  mit  dem 
von  A  bis  V^.  2200  fortgeführten  Werk  und  versah  alle  bis- 
herigen Teile  mit  Einschiebseln ;  ihm  kam  es  auf  keinen  Grund, 
sondern  nur  auf  die  Gelegenheit  an,  um  seine  Weisheit  und 
seine  Einfälle  anzubringen;  ihm  gehören  nach  Müllenhoff  von 
der  Einleitung  67  Verse,  121  von  Lied  I,  265  von  II,  172 
von  III,  544  von  IV  an.  Er  ist  der  Autor  der  vielen  theologi- 
sierenden  Zusätze  und  der  meisten  wohl  oder  übel  angebrachten, 
nebenherlaufenden  Reminiscerzen  und  ausführlicheren  Abschnitte 
aus  Volks-  und  Stammsagen  (Interpolator  B).* 


*  Müllenhoft'a.  a.  O.  XIV,  193,  242  f.,  214  Z.  30,  217  Z.  7,  219  Z.  17  u.  a. 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes.  147 

Mitten  in  die  Entwickelung  des  Beowulf,  welche  —  wie 
oben  gezeigt  —  in  ihren  ersten  Anfängen  bis  gegen  die  Mitte 
des  sechsten  Jahrhunderts  hinaufreicht,  fallen  jedoch  noch  zwei 
Ereignisse,  die  auch  für  die  Gestaltuno;  des  angelsächsischen 
Epos  nicht  ohne  Einfluls  bleiben  konnten.  Dies  war  einmal  die 
Einführung  des  Schrifttums. 

Die  neu  auftauchende  Schrift  stand  zunächst  ganz  im 
Dienste  einer  lateinischen  Litteratur  und  war  eben  auch  keine 
andere  als  die  lateinische  Schrift  mit  einigen  der  alten  nationalen 
Schrift  entlehnten  Änderungen.  Es  hatte  nämlich  auch  in  älterer 
Zeit  bereits  eine  Art  von  freilich  gleichfalls  nicht  eigentlich 
nationaler,  sondern  importierter  Schrift,  nämlich  alte  phönizisch- 
europäische  Lautzeichen,  die  sogenannten  Runen  gegeben,  aber 
deren  Verwendung  war  eine  sehr  beschränkte  gewesen :  nur  zu 
Sprüchen  oder  zu  Inschriften  auf  allerlei  Gegenständen,  wie 
VV^affen,  Schmucksachen,  Trinkgefäfsen,  Steinen  u.  dergl.  hatte 
die  Kunenechrift  gedient,  oder  sie  war,  auf  Stäbe  oder  Scheite 
geritzt  oder  eingeschnitten,  beim  Loswerfen  oder  als  Zauber- 
formeln zur  Anwendung  gekommen  ;  zu  gröfseren  Niederschrei- 
bungen war  dieselbe  nie  benutzt  worden.* 

Jetzt,  nachdem  die  lateinische  Schrift  Eingang  gefunden, 
wurden  bald  auch  Versuche  mit  der  Aufzeichnung  landessprach- 
licher Produkte  gemacht.  Auch  die  volkstümlichen  Gesänge, 
die  bis  dahin  nur  durch  den  Strom  des  epischen  Gesanges  in 
'mündlicher  Überlieferung  getragen  worden  waren,  begann  man 
jetzt  aufzuzeichnen.  So  wurde  nun,  was  von  Beowulf  überliefert 
worden  war,  niedergeschrieben,**  und  nach  MüllenhofF  hätten 
die  älteren  Textteile  nicht  allein  B,  sondern  auch  schon  A  in 
schriftlicher  Aufzeichnung  vorgelegen  ;  man  könnte  dies  daraus 
schliefsen,  dafs  ihre  Einschaltungen  bis  auf  wenige  geringe  Aus- 
nahmen  den  älteren  Text  mit  Änderungen  verschonten.  Ja,  ohne 
Zweifel    wäre    mit   der    schriftlichen  Aufzeichnung    des  Beowulf 


•  Vgl.  Weinhold,  Altn.  Leben,  S.  407—416  (Berlin  1856),  woselbst 
auch  die  entsprechenden  Bezugnahmen  auf  Liliencron,  Zur  Runenlehre 
(Halle  1852)  zu  finden  sind. 

**  ten  Brink  a.  a.  0.  33,  34. 

10* 


148  Über  Ursprung  und  Entwickeliing  des  Beowulfliedes. 

der  Anfang  gemacht  worden  oder  bereits  gemacht  gewesen,  als 
die  Einleitung  zu  1  und  II  hinzukam.* 

Aber  die  Einführung  des  Schrifttums  war  nur  das  Ergeb- 
nis eines  anderen  bedeutsamen  Ereignisses :  der  Verbreitung  des 
Christentums. 

Die  Briten  waren  schon  vor  dem  Eindringen  der  Germanen 
in  England  Christen ;  aber  ein  christianisierender  Einflufs  ihrer- 
seits auf  die  Angelsachsen  hatte  sich  nicht  geltend  gemacht. 
Erst  gegen  Ende  des  sechsten  Jahrhunderts  begann  die  christ- 
liche Lehre  infolge  des  rastlosen  Eifers  Gregors  des  Grofsen 
unter  den  Angelsachsen  Wurzel  zu  fassen.  König  Ädelberht 
von  Kent,  der  mit  Bertha,  einer  christlichen  Prinzessin,  der 
Tochter  des  Frankenkönigs  Charibert  I.,  vermählt  war,  liefs 
sich  im  Jahre  597  taufen,  und  seinem  Beispiele  folgten  bald  die 
meisten  seiner  Unterthanen.  Im  Verlauf  des  siebenten  Jahr- 
hunderts wurden  auch  die  anderen  angelsächsischen  Staaten  zum 
Christentum  bekehrt. 

Die  verhältnismäfsig  rasche  Ausbreitung  der  neuen  Lehre 
unter  den  kriegerischen  Stämmen  der  Angelsachsen,  ohne  die 
Gewalt  fremder  Waffen,  blofs  mit  Hilfe  einheimischer  Volks- 
könige durch  einige  Missionäre,  ist  hauptsächlich  dem  milden, 
freundlichen  Wesen  dieser  römischen  Glaubensboten  und  der 
verständigen  Art,  mit  der  sie  bei  ihrer  schwierigen  Aufgabe  zu 
Werke  gingen,  zuzuschreiben.  Dui'ch  Rücksichtnahme  auf  die 
Sitten  und  die  Anschauungen,  die  sie  vorfanden,  Schonung  der 
nationalen  Sprache  und  Gesänge  trugen  sie  selber  nicht  wenig 
dazu  bei,  die  Herzen  des  Volkes  für  sich  und  ihre  Predigt  zu 
gewinnen.  Die  fremden  Elemente  machten  sich  zunächst  nur 
in  Kirche,  Kloster  und  Schule  geltend;  in  der  Methalle  konnten 
die  alten  Lieder  nach  wie  vor  von  den  Sängern  im  Kreise  der 
lauschenden  Helden  vor  dem  Hochsitz  des  Königs  unbeanstandet 
vorgetragen  werden.  So  ging  auch  Beovvulf  und  seine  Thaten 
im  Gesänge  nicht  unter.**    Freilich  ganz  unberührt  und  unbeein- 


*  MüUenhoff'  bei  Haupt  Xl\  ,  S.  194. 
**  ten   Brink  a.  a.   O.  34. 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulf  liedes.  149 

flufst  konnte  sich  der  neuen  Lehre  gegenüber  das  ags.  Epos 
doch  selbstverständlich  nicht  erhalten.  Denn  wenn  auch  die 
Haltung  des  Ganzen  —  um  mit  ten  Brink  zu  reden  —  keine 
Änderung  erfuhr,  den  epischen  Helden  kein  christliches  Gewand 
übergeworfen  wurde,  Ton  und  Inhalt  im  ganzen  ihr  ursprüng- 
liches Kolorit  bewahrten,  so  wird  doch  gewifs  manches,  was 
unmittelbar  an  das  Heidentum  erinnerte,  allmählich  getilgt,  man- 
ches in  Sitte  und  Ausdruck  gemildert  worden  sein;  ja  es  mufste 
sich  unser  Lied  andererseits  sog^ar  creradezu  Zusätze  in  christ- 
lieh  -  theologischem  Sinne  gefallen  lassen.  Am  stärksten  litt 
das  Epos  in  dieser  Beziehung,  M'ie  wir  oben  gesehen,  unter 
der  Hand  des  Dichters,  den  MüllenhofF  als  den  Interpolator  B 
bezeichnet:  desselben,  dem  wir  auf  der  anderen  Seite  auch 
die  Einschaltung  der  zahlreichen  historischen  Episoden  ver- 
danken. 

Ohne  das  Christentum  wäre  dem  Beowulfepos  vielleicht  noch 
ein  weiterer  Schritt  heidnisch-nationaler  Entwickelung  beschieden 
gewesen.  Nun  aber  wurde  der  lebendige  Zusammenhang  der 
mythischen  Überlieferung  unterbrochen,  die  Triebkraft  der  epi- 
schen Dichtung  zerstört,  so  dafs  wir  —  wie  ten  Brink,  Engl. 
Litt.,  S.  35  dies  in  sehr  charakteristischer  Weise  bezeichnet  — 
im  Beowulf  ein  halbfertiges,  gleichsam  mitten  in  der  Entwicke- 
lung erstarrtes  Epos  vor  uns  haben.  Immerhin  aber  mufs  es 
als  ein  unschätzbares  Glück  betrachtet  werden,  dafs  das  Epos 
wenigstens  doch  in  dieser  Gestalt  der  Nachwelt  erhalten  geblie- 
ben ist. 

Dies  hat,  abgesehen  davon,  dafs  —  wie  bereits  gesagt  — 
seine  Existenz  nicht  durch  einen  übertriebenen  Glaubenseifer 
seitens  der  christlichen  Missionäre  und  Geistlichen  bedroht 
wurde,  zum  nicht  geringen  Teile  aber  wohl  auch  darin  seinen 
Grund,  dafs  seine  Verbreitung,  Beliebtheit  und  Bedeutung  bei 
den  Angelsachsen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  doch  eine  ziem- 
lich grofse  gewesen  sein  wird.  Und  ich  mufs  in  dieser  Be- 
ziehung durchaus  der  Ansicht  R,  Merbots  entgegentreten,  die 
dieser  in  seiner  Schrift  „Ästhetische  Studien  zur  ags.  Poesie, 
Breslau  1883"  S.  33  verlauten  läfst,  dahin  sich  äufsernd,  „dafs 
es  hiefse,  auf  Wolken  wandeln,   wenn  man  eine  grofse  Bekannt- 


150  Über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes. 

Schaft  des  Beowulfliedes  oder  gar  ein  hohes  Alter  desselben 
annehmen  wollte.  —  Die  alten  Lieder  hätten  wohl,  wenn  über- 
haupt, Beowulf  nicht  als  grofsen  Helden  gekannt.  Höchstens 
könnte  er  eine  untergeordnete  Rolle  in  dena  Sagenkreise  irgend 
eines  angelsächsischen  Stammes  gespielt  haben"  u.  s.  w.  Wer 
sich  je  ernstlich  in  den  Inhalt  des  Beowulf  und  in  die  Frage 
nach  seiner  Entstehung  vertieft  und  sich  bemüht  hat,  zu  einer 
naturgemäfsen  Beantwortung  derselben  zu  gelangen,  der 
kann  unmöglich  auf  solche  Schlüsse  verfallen,  wie  sie  sich  uns 
bei  Merbot  a.  a.  O.  präsentieren. 

P^twas  anderes  ist  es  nun  freilich,  unter  welchem  der  ags. 
Stämme:  ob  unter  dem  anglischen  Teile  der  Bevölkerung,  wie 
einige  meinen,*  oder  unter  dem  sächsischen,  wie  andere  ver- 
muten,** —  in  welchem  der  ags.  Dialekte:  deren  uns  vier,  der 
nordhumbrische  im  Norden,  der  mercische  in  der  Mitte,  der 
westsächsische  im  Südwesten,  der  kentische  im  Südosten,  mehr 
oder  weniger  bekannt  sind,  die  Entstehung  des  Beowulfepos  zu 
suchen  sei;  welchen  Weg  der  Verbreitung  und  Bekanntwerdung 
unter  anderen  ags.  Stämmen  es  nachher  etwa  eingeschlagen 
habe.  Zur  Beantwortung  dieser  Fragen  fehlt  uns  zur  Zeit  leider 
noch  jeglicher  sichere  Anhalt. 

Die  sprachliche  Form,  in  der  uns  das  Lied  vorliegt,  verrät 
im  ganzen  den  Charakter  des  Jahrhunderts,  aus  dem  die  Hand- 
schrift zu  stammen  scheint  (die  einzige,  die  wir  von  dem  Ge- 
dichte besitzen,  der  Codex  Cottonianus,  im  British  Museum  zu 
London  befindlich):  des  zehnten  Jahrhunderts,  speciell  den  Dia- 
lekt, der  infolge  der  Vereinigung  der  ags.  Reiche  unter  der 
westöächsischen  Dynastie  (827)  zur  allgemeinen  litterarischen 
Sprache  erhoben  wurde  und  in  den  manche  ursprünglich  in 
einem  anderen  Dialekt  abgefafste  Denkmäler  umgeschrieben 
worden  sind:***  den  westsächsischen;  wobei  jedoch  zu  berück- 
sichtigen ist,   was  E.  vSievers  in  seiner  „Angelsächsischen  Gram- 


*  Z.  B.  ten  Brink  a.  a.  O.  85;  Möller,  Das  altengl.  Volksepos,  S.  127. 
\'gl.  autli  Rönning,  Beov.-Kvadtt,  S.   107. 

**  Z.   B.  Dederich,   Hist.  u.  geogr.  Studien,    ö.  19,   auf  Grund   der  Bi;- 
noerkungen  Müllenlioirs  bei  Haupt  XIV,  243. 

***  Fiedler,  Wisseuschaftl.  Grammatik    der  englischen  Sprache  ^  I,  S.  27 
(Leipzig  1877). 


über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulf liedes.  151 

matik,  Halle  1882"  Seite  2  bemerkt,  dafs  näailich  die  Hand- 
schriften der  poetischen  Denkmäler,  meist  aus  dem  zehnten  bis 
elften  Jahrhundert  stammend,  keinen  reinen  Dialekt  aufwiesen, 
sondern  Mischung  zeigten  einmal  älterer  und  jüngerer  Formen, 
andererseits  gelegentlich  auch  solcher,  die  anderen  Dialekten 
angehörten. 

Setzen  wir,  wie  oben  geschehen,  die  endgültige  Konstituie- 
rung des  Beowulfepos  noch  in  den  Ausgang  des  siebenten  Jahr- 
hunderts, so  würde  zwischen  seiner  ursprünglichen  Fassung  und 
der  Gestalt,  in  der  wir  das  Gedicht  kennen,  eine  Zwischenzeit 
von  mehr  als  zwei  Jahrhunderten  anzunehmen  sein.  Aber  gerade 
diese  Zwischenzeit,  wo  soeben  das  Christentum  und  zwar  durch 
direkten  römischen  Einflufs  festen  Fufs  gefafst  und  allgemeine 
Verbreitung  gefunden,  wo  Egbert  durch  Vereinigung  der  ags. 
Reiche  gröfsere  Ruhe  und  Ordnung  gestiftet,  des  grofsen,  selbst 
litterarisch  thätigen  Alfreds  Regierung  (871 — 901)  segensreich 
gewirkt  hatte,  so  dafs  sich  das  Land  von  den  Plünderungen 
und  Brandschatzungen,  die  es  mittlerweile  von  den  Dänen  hatte 
erleiden  müssen,  und  denen  auch  eine  Menge  von  Klöstern  mit 
ihren  Büchersammlungen  zum  Opfer  gefallen  war,*  wiederum 
Erholung  schöpfen,  ja  zu  seiner  höchsten  staatlichen  Blüte  sich 
emporschwingen  konnte  —  ich  sage,  gerade  diese  Zwischenzeit 
konnte  nicht  vorübergehen,  ohne  dafs  nicht  zugleich  auch  die 
Sprache  der  Angelsachsen  zu  ihrer  weiteren  Entwickelung  und 
Fortbildung  hätte  Gelegenheit  finden  sollen. 

Bei  alledem  aber  zeigt  doch,  wenigstens  was  die  Syntax 
und  die  Ausdrucksweise  anbelangt,  die  um  mehrere  Jahrhun- 
derte von  der  Redigierung  des  Epos  entfernt  liegende  Hand- 
schrift —  die  kurzen,  abgerissenen,  oft  unverbunden  und  un- 
vermittelt sich  folgenden  Sätze,  der  sparsame  Gebrauch  der 
Mittel,  deren  die  Alfredsche  Sj)rache  sich  zu  logisch  genauerem 
Ausdrucke  bedient,  wie  Artikel,  Pronomen,  Präposition  und 
Konjunktion  —  uns  den  Beowulf  im  wesentlichen  in  seinem 
archaistischen  Gepräge.  Nur  die  lautliche,  die  etymologisch- 
grammatische Gestalt  und  die  Orthographie  bildeten  bei  späterer 


*  ten  Brink  a.   a.  O.   87. 


152  Über  Ursprung  und  Entwickelung  des  Beowulfliedes. 

Abschreibung  des  Gedichtes  den  Gegenstand  der  Überarbeitung 
und  Modernisierung.*  Leider  konnte  es  dabei  naturgemäfs  nicht 
ausbleiben,  dafs  hier  und  da,  statt  Textverbesserungen,  Text- 
korruptionen sich  mit  einschlichen.** 


*  Vgl.  Koch,  Histor.  Grammatik  der  englischen  Sprache  I,  S.  8. 

**  Schliefslich  sei  noch  bemerkt,  dafs  die  von  Vigfüsson  entdeckten  und 
danach  von  Gering  in  Anglia  III,  S.  74  ff.  (Halle  1880)  mitgeteilten  Ähn- 
lichkeiten zwischen  dem  Beow.  und  der  isländ.  Sage  von  Grettir  (f  IO;il) 
—  so  lange  nichts  weiteres  darüber  ermittelt  ist  —  für  die  Kompositions- 
frage des  Beow.  bedeutungslos  zu  sein  scheinen.  Vielleicht  ist  einfach  an 
Imitation  zu  denken. 

Bromberg  1883.  Th.  Krüger. 


über  die  Sprache  und  Metrik 

der  mittelenglisclieii  weltlichen  und  geistlichen  lyrischen  Lieder 
des  Ms.  Harl.  2253. 


Das  Ms.  Harl.  2253  ist  für  die  Kenntnis  der  mengl.  Lyrik  von  der 
gröfsten  Bedeutung,  denn  es  ist  die  einzige  Handschrift,  welche  einen 
vollen  Einblick  in  dieselbe  gewährt.  Die  englischen  Gedichte  dieser 
Handschrift  sind  von  Wright  herausgegeben  als  „Specimens  of  Lyric 
Poetry".  Kürzlich  sind  sie  neu  ediert  von  Böddeker  unter  dem 
Titel:  „Altengl.  Dichtungen  des  Ms.  Harl.  2253."  —  Wir  wollen 
im  folgenden  die  Sprache  und  Metrik  der  weltlichen  und  geistlichen 
Lieder  jener  Sammlung  (Böddeker  p.  144 — 232)  näher  untersuchen 
und  zum  Schlufs  die  wörtlichen  Anklänge  zwischen  den  einzelnen  Liedern 
zusammenstellen. 

I.    Die  Sprache. 

Wright  hat  nachgewiesen,  dafs  das  Ms.  Harl.  2253  in  Hereford- 
shire  im  Anfang  des  14.  Jahrh.  geschrieben  ist.  Der  Schreiber  des 
Ms.  schrieb  im  allgemeinen  alle  Gedichte  in  demselben  Dialekt  nieder, 
in  dem  des  südwestlichen  Englands.  Aber  in  vielen  Gedichten  finden 
sich  auch  einzelne  Formen,  die  zu  diesem  Dialekte  nicht  stimmen.  Diese 
Lieder  hat  also  der  Schreiber  aus  einem  anderen  Dialekte  übertragen. 
Wir  wollen  untersuchen,  wie  weit  es  möglich  ist,  den  ursprünglichen 
Dialekt  jedes  Liedes  festzustellen. 

ten  Brink  in  seiner  Litteraturgeschichte  Band  I,  Buch  HI, 
Kap.  7  bezeichnet  den  Dialekt  verschiedener  Lieder.  Nach  ihm 
hat  Böddeker  in  der  Einleitung,  die  er  jedem  Gedichte  vorausschickt, 
versucht,  den  Dialekt  desselben  festzustellen.  Böddeker  stützt  sich 
in  seiner  Untersuchung  indessen   nur   auf  die  Flexion  der  Verba   und 


154  Über  dii',  ISprache  und  Metrik 

ein  j)aar  Formen  der  Pronomina  als  Kriteria.  Zuweilen  bezeichnet  er 
den  Dialekt  eines  Gedichtes,  ohne  überhaupt  einen  Grund  für  seine 
Behauptung  anzugeben.  Auch  geben  solche  Verbal-  und  Pronominal- 
fornien  durchaus  keine  absolute  Sicherheit  über  den  Dialekt  des  Ori- 
ginals, da  sie,  wenn  sie  nicht  durch  den  Reim  gesichert  sind,  sehr  leicht 
von  irgend  einem  Schreiber  herrühren  können,  um  ein  sicheres  Re- 
sultat zu  erlangen,  mufs  man  der  Untersuchung,  soweit  es  bei  so  wenig 
umfangreichen  Texten  überhaupt  möglich  ist,  eine  breitere  Grundlage 
geben.  Das  wichtigste  Kriterium,  welches  Böddeker  gar  nicht  beachtet 
hat,  ist  die  Phonologie  der  Gedichte,  besonders  die  Laulverhiiltnisse, 
wie  sie  im  Reim  sich  zeigen.  Daneben  müssen  wir  uns  auf  die  Flexion 
und  den  Wortschatz  stützen. 

Aber  neben  der  grammatischen  Untersuchung  zeigt  sich  noch  ein 
anderer  und  direkterer  Weg,  den  Dialekt  der  Gedichte  zu  bestimmen. 
Wir  treffen  nämlich  glücklicherweise  in  mehreren  Liedern  (WL.  I,  V, 
IX,  XII,  GL.  XII)  geographische  Namen  an,  die  uns  einen  Wink 
geben  über  die  Gegend,  wo  sie  verfafst  worden  sind. 

Der  Dichter  von  WL.  I  enthüllt  seinen  Namen  John  (v.  50) 
und  sagt  von  seiner  Geliebten  (v.  27):  from  Weye  he  is  wisist  into 
Wyrhale.  W^right  wies  zuerst  auf  diese  Stelle  hin,  welche  beweist, 
dafs  der  Dichter  in  dem  Teile  des  westlichen  Englands  lebte,  welcher 
von  dem  Irischen  See  und  dem  Wye,  einem  Nebenflusse  des  Severn, 
begrenzt  wird. 

Derselben  Gegend  gehört  der  Dichter  von  WL.  V  an,  welcher 
sein  Lied  mit  den  Worten  beginnt :  Mosti  riden  by  Ribbesdale. 

In  WL.  IX,  30  haben  wir  eine  andere  Anspielung.  Der  Dichter 
dieses  Liedes  warnt  vor  der  Treulosigkeit  der  Männer  und  sagt,  dafs  man 
treulose  Männer  finden  könne:  from  Leycestre  to  Lounde,  Nach  dieser 
Stelle  scheint  der  Dichter  in  der  Gegend  von  Leicester  gelebt  zu  haben. 

Der  Dichter  von  WL.  XII  macht  eine  ähnliche  Anspielung.  Er 
behauptet  v.  17,  dafs  seine  Geliebte  die  schönste  sei:  bitwene  Lyncolne 
and  Lyndeseye,  Norhamptoun  and  Lounde.  Die  Heimat  dieses  Dichters 
wird  daher  im  östlichen  Mittelland  zu  suchen  sein. 

Der  Dichter  von  GL.  XII  erzählt  v.  11,  wie  er  über  seine  Sünden 
nachdaclilp,  als  er  einst  auf  die  Jagd  ritt:  from  Petrehbourli.  Dieser 
Dichter  hat  demnach  in  Peterborough  in  Northamptonshire  gewohnt. 

Aus  den  geographischen  Anspielungen  haben  wir  also  geschlossen, 
dafs  alle  diese  fünf  Gedichte  dem  Mittellande  angehören,  WL.  I  und  V 


der  mittelengliscben  lyrischen  Lieder  des  Ms.   Harl.  2253.  155 

dem  westlichen,  WL.  IX,  XII  und  GL.  XII  dem  östlichen.  Auf  diese 
Gedichte,  deren  Dialekt  festgestellt  ist,  können  wir  uns  bei  der  weiteren 
Untersuchung  stützen. 

Für  die  grammatische  Untersuchung  schlagen  wir  folgendes  Ver- 
fahren ein.  Zuerst  suchen  wir  die  Gedichte  nach  den  charakteristischen 
Unterschieden  des  nördlichen,  südlichen  und  mittleren  Dialektes  zu 
gruppieren.  Die  gewöhnlichen  Kriteria  hierfür  sind  der  Laut  des  ae.  y 
und  y,  des  ae.  ä  und  des  ti  vor  m  und  n,  ferner  die  Flexion  der  Verba 
im  Präs.  und  der  Wortschatz.  Ein  anderes  Kriterium,  dessen  Wich- 
tigkeit Prof.  ten  Brink  hervorgehoben  hat,  ist  der  Laut  des  mengl.  e, 
nämlich,  wie  weit  es  ee  und  wie  weit  ee  ist.  8chliefslich  wollen  wir 
die  Phonologie  in  allen  anderen  Punkten  prüfen,  um  eine  klare  Über- 
sicht über  die  Sprache  der  Gedichte  zu  erhalten  und  auch  dabei  ihre 
Übereinstimmung  oder  Nichtübereinstimmung  hervorzuheben. 

y- 

Die  Geschichte  des  ae.  y,  des  Umlautes  von  u,  im  Mengl.  ist  von 
grofser  Wichtigkeit  für  die  Dialektforschung.  In  den  nördlichen  und 
südlichen  Dialekten  wird  ae.  y  im  Mengl.  als  y  oder  i  geschrieben  und 
hat  den  Laut  i;  im  südöstlichen  England,  besonders  in  Kent  ist  es  e 
geworden;  und  in  den  südwestlichen  Dialekten  hat  es  den  ae.  Laut  u' 
bewahrt,  der  indessen  nach  Analogie  des  Lautes  des  frz.  ü  seil  dem 
12.  Jahrh.  u  geschrieben  wird.  Die  Entwickelung  des  ae.  y  ist  daher  ein 
wichtiges  Kriterium,  um  den  Dialekt  eines  mengl.  Denkmals  zu  fixieren. 

Da  Ms.  Harl,  2253  im  westlichen  England  geschrieben  ist,  so 
gebraucht  es  gewöhnlich  u,  um  ae.  y  darzustellen.  In  den  Gedichten, 
die  der  Schreiber  aus  einem  anderen  Dialekte  umschrieb,  konnte  er 
immer  ae.  y  als  u  darstellen  im  Inneren  der  Verse  oder  wenn  es  nur 
mit  ae.  y  reimte.  Wenn  es  aber  mit  i  oder  e  reimte,  so  waren  solche 
Reime  in  seinem  Dialekt  nicht  kojrekt,  und  dann  bewahrte  er  gewöhn- 
lich die  Formen  des  Originals. 

Beispiele,  dafs  ae.  y  u  geschrieben  ist  und  nur  mit  ae.  y  reimt, 
sind  nicht  häufig:  GL.  III,  3  miinne  (-:  ae.  mynian)  :  sunne  (=  ae. 
synn)  :  punne  (=  ae.  ]iynne)  :  wunne  (=r  ae.  wynn).  Ähnliche  Reime 
sind  GL.  XVIII,  31,  WL.  VI,  38,  45. 

In  verschiedenen  Liedern  reimt  aber  ae.  y  mit  i;  ihre  Originale 
müssen  daher  in  einem  mittlerisn  oder  nördlichen  Dialekte  verfafst 
sein:   WL.  XI,  17    blynne  (=:  i)    :   kynne   (=i   y)    :   synne  (=   y)  : 


156  Über  die  Sprache  und  Metrik 

wynne  (=  i).  —  GL.  XIII,  5  byginne  (=  i)  :  wynne  (=  i)  :  blynne 
(=  i)  :  synne  {=  y).*  —  GL.  X,  22  synne  {=  y)  :  blynne  (=  i). 
Ebenso  GL.  VIII,  54,  IX,  8,  XIV,  24. 

Zuweilen  hat  der  Schreiber  ungenaue  Reime,  indem  er  u  =  ae.  y 
schreibt,  trotzdem  es  mit  i  reimt:  WL.  XIV,  10  munne  (=  y)  :  knnne 
(=  y)  :  sunne  (:=  y)  :  ywynne  (=  ae.  winnan).  —  WL.  VII,  25 
y wisse  (=  i)  :  blisse  (=r  i)  :  eusse  (ae.  cyssan)  :  his  (=  i). 

Alle  diese  Gedichte,  WL.  VII,  XI,  XIV,  GL.  VIII,  IX,  X, 
XIII,  XIV,  welche  ae.  y  mit  i  reimen,  stimmen  nicht  zu  dem  Dialekle 
des  Schreibers,  sie  gehören  einem  mehr  nördlichen  Dialekte  an. 

In  ein  paar  Reimen  ist  ae.  y  durch  y  dargestellt,  obgleich  es  nicht 
mit  i  reimt:  WL.  VI,  14  wynne  (=  y)  :  synne  (=  y)  :  J)ynne  (=  y)  : 
mynne  (=  y).  Ebenso  GL.  IX,  34,  XI,  58.  Innerhalb  des  Verses 
ist  ae.  y  nur  an  folgenden  Stellen  y  geschrieben:  WL.  VII,  38  lystne 
(=  ae.  hlystan);  GL.  I,  50  un wynne;  GL.  VIII,  40  myne  (=  ae. 
mynian);  GL.  X,  26  IiynkeJ);  GL.  X,  18  synnes  (plur.);  GL.  XII,  22 
synne.  Hierhin  gehört  auch  die  Form  WL.  XI,  15  mykel  =  ae.  micel, 
wo  aber  das  i  zu  y  geworden  sein  mufs  (cfr.  i). 

In  mehreren  dieser  Lieder  ist  der  Laut  i  für  ae.  y  schon  durch 
den  Reim  gesichert,  nämlich  in  WL.  VII,  XI,  GL.  VIII,  IX,  X. 
Für  die  übrigen,  WL.  VI,  GL.  I,  XI,  XII,  ist  wenigstens  anzunehmen, 
dafs  die  Vorlage  des  Schreibers  den  mittelländischen  oder  nördlichen 
Dialekt  zeigte. 

In  dem  subst.  kyng  =  ae.  cyning  ist  das  ae.  y  in  allen  Dialekten 
zu  i  geworden.     GL.  VIII,  169,  WL.  IX,  14  etc. 

Wir  haben  keinen  Grund,  für  irgend  ein  Gedicht  ein  Original 
von  südöstlichem  Dialekt  anzunehmen.  Der  Reim  GL.  IX,  13  deye 
(=  anord.  deyja)  :  beye  {=z  ae.  bycgan)  beweist  nicht,  dafs  der  Umlaut 
von  u  den  Laut  e  angenommen  hat ;  in  demselben  Gedichte  ist  ae.  y 
mehrmals  y  geschrieben  und  reimt  mitae.  i.  —  Das  Particip  des  ae.  J^yr- 
lian,  welches  GL.  VII,  13  als  Jiurled  erscheint,  wird  GL.  XII,  10 
ftcrled  geschrieben.  Indessen  ist  diese  Form  mit  e  nicht  auf  den  süd- 
östlichen Teil  Englands  beschränkt ;  wie  wir  schon  ans  einer  geo- 
graphischen Anspielung  ersehen  haben,  gehört  GL.  XII  dem  östlichen 
Mittellande  an;  auch  zeigt  es  v.  22  synne  (=  ae.  y), 

*  Derselbe  Reim  findet  sich  auch  in  der  Version  des  Ms.  Eprerton  613, 
und  dies  spricht  gegen  BöJdekers  Ansicht  über  das  Verhältnis  der  beiden 
Versionen. 


der  mittelenglischen  Ijiisclien  Lieder  des  Ms.   Harl.  2253.  157 

y- 

Ae.  y,  der  Umlaut  des  ü,  hat  dieselbe  Ent Wickelung  im  Mengl. 
genommen  wie  ae.  y.  Es  ist  demnach  in  unserem  Ms.  gew.  u  ge- 
schrieben: WL.  III,  35  prüde  :=:  ae.  pryta;  GL.  II,  25  hure  3=  ae. 
hyr.  Im  Reim  findet  sich  diese  Schreibweise  nur  einmal  WL.  VI,  44 
luppe  (=  ae.  hlyp)  :  cluppe  {=  ae.  clyppan)  :  asluppe  (=:  *ae. 
äslyppan,  von  ae.  äslüpan)  :  huppe  (niederd.).  In  diesem  Reim  sehen 
wir  aber  das  ae.  y  kurz  geworden. 

In  zwei  Gedichten  reimt  ae.  y  mit  i.  Diese  Lieder  müssen  des- 
halb einem  mittelländischen  oder  nördlichen  Dialekte  angehören  :  WL. 
XI,  21  kype  (:=  ae.  cydan,  Inf.)  :  blyjie  (::=  i)  :  syj)e  (=  i)  :  mythe 
(=  ^),  und  GL.  III,  60  fyle  (zu  ae.  fylan)  :  while  {=  ae.  hwil). 

Unser  Ms.  zeigt  auch  y  für  ae.  y,  obgleich  es  nicht  mit  i  reimt, 
WL.  VII,  53  bryd  (=  ae.  bryd)  :  hyd  (Particip  von  ae.  hydan).  — 
Im  Inneren  der  Verse  findet  sich  ae.  y  als  y  oder  i  nur  GL.  XIV,  5 
lyl)e  (=  anord.  hlyda),  GL.  XVII,  59  fyl  (zu  ae.  fylan) ;  WL.  IV,  40 
und  X,  17  brid  (=  ae.  bryd).* 

Alle  diese  Formen,  in  denen  y  oder  i  einem  ae.  y  entspricht, 
werden  Reste  einer  mittelländischen  oder  nördlichen  Vorlage  sein,  die 
unser  Schreiber  kopierte. 

In  dem  Instrumentalis  ae.  \)y  und  hwy  ist  das  y  in  allen  Dia- 
lekten i  geworden :  WL.  II,  23  forjji,  WL.  VI,  25  why,  GL.  III,  50  whi. 

Reste  eines  südöstlichen  Dialektes  finden  sich  in  keinem  Gedichte 
vor.  Hede  reimt  freilich  mit  e  in  GL.  XVI,  33,  WL.  I,  48,  V,  42, 
aber  schon  im  Ae.  giebt  es  hedan  neben  hydan.  —  GL.  XIV,  35 
pestru  (:=  ae.  {)ystru,  peöstru)  ist  ebenso  aufzufassen. 

a. 

Ae,  ä  ist  öö  geworden  im  südlichen  England  und  im  gröfsten 
Teile  des  Mittellandes,  im  nördlichen  England  ist  ä  erhalten.  In  dem 
Ms.  Harl.  2253  entspricht  dem  ae.  d  fast  immer  ein  o.  Dies  öö  = 
ae.  ä  reimt  gewöhnlich  nur  unter  sich,  so  WL.  XI,  29,  GL.  I,  68, 
II,  49.  Alle  die  Gedichte,  welche  dies  o  =  ae.  ä  mit  unveränder- 
lichem o  reimen,  müssen  in  einem  südlichen  oder  mittelländischen  Dia- 
lekte verfafst  sein,  und  es  finden  sich  viele  Beispiele  solcher  Reime: 

o  =  ae.  ä  reimt  mit  ae.  Ö,  welches  in  offener  Silbe  lang  geworden 

*  Das  letzte  Beispiel  zeigt,  dafs  doch,  wenn  auch  selten,  der  Buch- 
stabe i  für  ae.  y  vorkommt,  was   Böddeker  S.  9  u.  bestreitet. 


158  Über  die  Sprache  und  Metrik 

ist  und  den  Laut  öö  hat,  in  GL.  I,  XV,  XVIII:  I,  52  sore  (:=  ä)  : 
namore  (=  ä)  :  lore  {=  a)  :  fröre  (=  Particip  froren)  :  jore  (=  ae. 
geara).  XV,  33  sore  (=  ä)  :  forlore  (Particip)  ;  ybore  (Particip). 
XVIII,  10  more  (=:  ä)  :  fore  (=  for)  :  sore  (=  a)  :  ore  (=  ä). 

o  =  ae.  a  reimt  mit  frz.  oder  Wallis.  5  in  GL.  IX,  XII,  XIII: 
IX,  9  non  (=  ä)  :  Symeon.  XII,  37  sor  (=:  ä)  :  tresor  (frz.). 
XIII,  33  gost  (=  ä)  :  wost  (■=  a)  :  most  (=3e)  :  bost  (=  waU.  böst). 

Das  unbestimmte  Pronomen  nobt  (=  ae.  ne  äwiht,  näht)  reimt 
sehr  häufig  mit  ae.  o  oder  6 :  GL.  XVI,  9  boht  (=  ae.  boht,  Particip 
von  bycgan)  :  wroht  (j=:  ae.  worht,  Part,  von  wyrcan)  :  noht  :  soht 
(=  ae.  söht,  Part,  von  secan).  Solche  Reime  finden  sich  in  WL.  IV, 
V,  VII,  IX,  GL.  III,  VI,  VII,  VIII,  IX,  XVI,  XVII. 

In  GL.  V,  VIII,  XVII  ist  o  =  ae.  ä  im  Auslaut  öö  geworden, 
denn  es  reimt  mit  o  =  ae.  ö,  welches  den  Laut  öö  hat:  V,  25  so 
(=  ae.  swä)  :  to  (=  ae.  tö) ;  VIII,  77  so  (=  ae.  swä)  :  do  (=  ae. 
don)  :  wo  (=  ae.  wä)  :  fro  (=  ae.  främ).  XVII,  49  tuo  (=  ae.  twä)  : 
do  {=  ae.  don). 

Auch  einige  andere  Beispiele  finden  sich,  wo  o  =  ae.  ä  mit  o  = 
ae.  ö  reimt:  WL.  I,  37  grone  (=  ä)  :  done  (Part,  don);  WL.  IV,  25 
wot  (=  ä,  Präs.  V.  witan)  :  lot  (=  anord.  lät)  :  raot  (=z  ä)  :  blöd 
(=  ö) :  GL.  II,  25  nome  (=  ae.  nämon,  Prät.  von  niman)  :  come 
(Prät.  V.  ae.  cuman)  :  lome  (=  ae.  löma). 

In  ein  paar  Gedichten  entspricht  dem  ae.  ä  ein  a,  diese  müssen 
also  einem  mehr  nördlichen  Dialekte  angehören.  Der  Schreiber  war 
genötigt,  solche  Formen  zu  bewahren,  wenn  sie  durch  Reim  mit  un- 
wandelbarem a  geschützt  waren;  Diese  Lieder  sind  GL.  VI,  XIV, 
XVI.  VI,  1  care  (=:  ae.  cearu)  :  bare  {=  ae.  baer)  :  sare  (=  ae. 
sär);  XIV,  43  mawen  (=  ae.  mägon)  :  dawen  (=  ä)  :  slawen  (=  li, 
Part.)  :  haven  (Inf.);  XVI,  26  drawe  (=  ae.  dragan)  :  hawe  (=  ae. 
heäb,  afries.  hach?)  :  knowe  (=  ä)  :  lowe  (=  anord.  lägr).  Ein 
korrekter  Reim  verlangt  hier  die  Formen  knawe  und  lawe,  die  Böddeker 
auch  in  den  Text  wieder  eingesetzt  hat.  Die  Form  gale  WL.  I,  26 
ist  nicht  mit  Böddeker  von  ae.  gäl,  sondern  von  ae.  galan  abzuleiten, 
cfr.  Stratmann  Dict. 

In  den  drei  Liedern  GL.  VI,  XIV,  XVI  entspricht  sonst  immer 
ein  o  dem  ae.  ä,  in  VI  und  XVI  sogar  im  Reim  mit  ae.  6,  VI,  4  noht 
(=  ae.  näht)  :  poht;  XVI,  13  noht  (=  ae.  näht)  :  soht.  Diese  beiden 
Gedidile   werden   woh!   dem    nördlichen  Mittellande  angehören,  da  sie 


(Jer  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  159 

ae.  ä  mit  unwandelbarem  a  und  mit  unwandelbarem  o  reimen.  In 
GL.  XIV  reimt  ae.  ä  nur  noch  mit  ae.  ä:  v.  46  bon  :  non.  Wenn 
diese  Formen  dem  Original  angehören,  so  ist  auch  dies  Lied  dem  nörd- 
lichen Mittellande  zuzuweisen. 

Im  Inneren  der  Verse  ist  a  r=  ae.  ä  selten.  Die  Form  GL.  IX,  35 
naht  (:=:  ae.  näht)  ist  nicht  auf  Northumbrien  beschränkt,  da  in  diesem 
Worte  das  ae.  ä  in  manchen  Dialekten  wegen  der  folgenden  Doppel- 
konsonanz gekürzt  wurde  (cfr.  PL.  VI,  170  naht  :  ylaht,  Böddeker 
p.  131).  Wenn  diese  Form  dem  Original  von  GL.  IX  angehört,  so 
wird  wohl  der  Dialekt  dieses  Gedichtes  verschieden  sein  von  dem  der 
anderen  Gedichte,  welche  die  Form  noht  durch  den  Reim  gesichert  haben. 
Die  im  Cod.  Digby  86  enthaltene  Version  von  GL.  IX  ist  an  der  ent- 
sprechenden Stelle  verderbt.  Cfr.  Anglia  II,  p.  254,  v.  29.  —  Von 
keiner  Wichtigkeit  ist  GL.  VIII,  73  saule  (=  ae.  säwle) ;  soule  findet 
sich  GL.  VIII,  23,  87,  96,  auch  VIII,  148  blac  =  ae.  bläc.  Wir 
haben  schon  gesehen,  dafs  in  beiden  Gedichten  GL.  IX,  9  und  VTII,  77 
das  o  =  ae.  ä  mit  unwandelbarem  o  reimt. 

Die  Untersuchung  des  ae.  ä  ergiebt,  dafs  kein  einziges  Gedicht 
unbedingt  nach  Northumbrien  zu  weisen  ist;  GL.  VI,  XIV,  XVI 
werden  wahrscheinlich  dem  nördlichen  Mittellande  angehören. 

a. 

Vor  den  Konsonanten  m  und  n  wird  ä  im  Aengl.  häufisr  zu  o. 
Dasselbe  Schwanken  zeigt  sich  im  Mengl.  Einige  Dialekte  bewahren 
a,  andere,  besonders  die  südlichen  und  westlichen,  ziehen  o  vor.  Ms. 
Harl.  2253  zeigt  fast  immer  o. 

Abgesehen  von  der  Konjunktion  ant  finden  wir  stets  o,  wenn 
auf  m  oder  n  noch  ein  anderer  Konsonant  folgt.  GL.  IX,  4  stonde 
(=  ae.  standan)  :  honde  (=  ae.  band).  GL.  VII,  35  strenge  :  longe; 
WL.  VI,  18  ponke  (=  ae.  panc). 

Auch  vor  einfachem  m  oder  n  ist  gewöhnlich  o  geschrieben:  GL. 
XVIII,  1  mon  :  ron  (Prät.),  XVII,  4  con  :  mon  etc. 

Mehrmals  reimt  ae.  a  vor  Nasalen  mit  o  ■=  ae.  ä:  GL.  XI,  47 
mon  :  gon  (=  ae.  gän),  ebenso  WL.  XIV,  16  mon  :  anon  (^  an  an)  etc. 

In  einigen  Gedichten  ist  zuweilen  das  ursprüngliche  a  vor  m  und  n 
erhalten.  Dem  Schreiber  waren  solche  Formen  nicht  geläufig.  Er 
mufste  sie  jedoch  gebrauchen,  wenn  ein  Reim  mit  unwandelbarem  a 
ihre  Umänderung  verhinderte.     Dies  ist  der  Fall  in  WL.  XI,  13  man  : 


160  Über  die  Spracht-  und  Metrik 

am  (=  ae.  eoin)  :  sham  :  lemman ;  GL.  XIII,  9  wan  :  man  :  am 
(=  ae.  eom)  :  can  ;  X,  45  shame  :  blame  (frz.).  —  Mehreremal  sind 
im  Reim  Formen  mit  a  bewahrt,  obgleich  ihre  Umänderung  in  den 
Dialekt  des  Schreibers  möglich  ist:  GL,  VIII,  85  name  :  shame  : 
frame  :  tarne;  XIV,  25  wynman  :  cam  :  man;  XIV,  49  wymman  : 
cam  :  nam. 

Selten  findet  sich  a  vor  Nasalen  im  Inneren  der  Verse:  WL.  XI,  11, 
GL.  X,  22,  XV,  3  shame;  WL.  V,  43  swannes;  GL.  VIII,  25  lem- 
man, Vin,  54  mankynde ;  X,  27  man;  X,  7  ran  (Prät.  v.  rinnan). 
Dies  sind  die  einzigen  Beispiele;  sie  kommen  meist  in  Gedichten  vor, 
die  a  auch  in  Reimsilben  zeigen. 

Resultat:  germ.  a  vor  m  und  n  ist  als  a  bewahrt  in  WL.  XI. 
GL.  X,  XIII;  ferner  in  WL.  V,  GL.  VIII,  XIV,  XV.  Diese  Ge- 
dichte sind  also  wahrscheinlich  in  einem  mittelländischen  resp.  nörd- 
lichen Dialekte  verfafst,  obgleich  eine  absolute  Sicherheit  durch  dies 
Kriterium  nicht  erlangt  werden  kann,  da  Formen  mit  a  zuweilen  auch 
in  südlichen  Denkmälern  erscheinen. 

Me.  e. 

Das  rae.  e   ist  aus  verschiedenen   ae.  Vokalen    entstanden.     Hin- 
sichtlich des  Ursprungs  und  der  Aussprache  sind  im  Mengl.  drei  Arten 
von  e  zu  unterscheiden  (cfr.  ten  Brink  in  Anglia  I,  527): 
Klasse  a)  1)  ae.  sb  =  germ.  ai ;  2)  ae.  eä  =  germ.  au. 
ß)  1)  ae.  £6  =  germ.  ä;  2)  ae.  »  =  germ.  ai  :  i. 
y)   1)  ae.  e  :=  germ.  ä  :  i,  ö  :  i,  au  :  i;  2)  ae.  eö  =  germ.  eu. 

Die  Aussprache  von  Klasse  y  unterliegt  keinem  Zweifel,  es  ist 
der  geschlossene  Laut  ee.  Die  regelrechte  Aussprache  der  Klasse  a 
ist  der  offene  Laut  ee.  Die  Klasse  ß  aber  hat  in  den  sächsischen  Teilen 
Englands  den  Laut  ee,  in  den  mercischen  Dialekten  den  Laut  ee. 
Aufserdem  können  wir  der  Klasse  a  noch  ein  anderes  ee  hinzufügen, 
welches  durch  Verlängerung  des  ae.  e  in  offener  Silbe  entstanden  ist 
(beeren  =  ae.  heran)  oder  durch  Verlängerung  des  ae.  se  vor  bestimmten 
Konsonanten,  z.  B.  GL.  II,  42  wees  (=  ae.  wajs)  :  lees  (=  ae.  leäs). 
Der  Laut  der  Klasse  ß  ist  von  grofser  Wichtigkeit,  denn  die  Gedichte, 
welche  ß  mit  a  reimen,  gehören  dem  südlichen  England,  die,  welche  ß 
mit  y  reimen,  dem  nördlichen  oder  mittleren  England  an. 

Wir  werden  eine  vollständige  Tabelle  der  Wörter  der  Klasse  ß 
geben,  welche  mit  Kla.^se  a  oder  y  reimen: 


11 


I 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  161 

ßl  reimt  mit  7  (ee) :  speche  WL.  XII,  9,  leche  WL.  XII,  12, 
ded  (=  ae.  dged)  WL.  I,  45,  GL.  I,  8,  III,  104,  XVI,  37,  XVIH,  24; 
grede  (=  ae.  gra;dan)  GL.  IX,  47,  drede  GL.  I,  6,  brede  WL.  I,  47  ; 
wede  WL.  I,  43,  GL.  I,  10,  HI,  31,  jere  WL.  IX,  21,  were  (Impf, 
von  wesan)  WL.  V,  81,  VI,  6,  VII,  28,  IX,  15,  XIII,  17.  wete 
WL.  IV,  26,  XIV,  33,  GL.  IV,  20,  XI,  8,  35.  (un)sete  WL.  IV,  30; 
XIV,  35,  GL.  I,  15,  II,  51,  III,  74,  XII,  40;  mete  GL.  I,  17,  XI,  9. 

ßl  reimt  mit  «  (ee) :  read  WL.  IX,  16,  GL.  IV,  57,  X,  36, 
XVII,  85;  rees  GL.  XVI,  42,  mep  GL.  XVII,  46. 

^l  reimt  mit  y  und  «:  leten  hat  ee  in  GL.  II,  60,  III,  68,  77, 
IV,  18,  VII,  45,  XI,  6,  XII,  38.  Nur  einmal  reimt  lete  mit  «: 
GL.  VIII,  68. 

8  2  reimt  mit  y  (ee):  ene  GL.  VI,  12,  mene  WL.  XI,  4;  lere 
GL.  XIII,  17;   mit   a  (ee):    bileved    GL.  VII,  16. 

Wir  sehen  aus  dieser  Tabelle,  dafs  die  Klasse  ß  den  Laut  ee  in 
den  meisten  Gedichten  hat,  denn   sie  reimt  mit  der  Klasse  y  in  WL.  I, 

IV,  V,  VI,  VII,  IX,  XI,  XII,  xm,  XIV,  gl.  i,  ii,  iii,  iv,  vi, 

IX,  XI,  XII,  XIII,  XVIII. 

Reime  mit  der  Klasse  «  (ee)  kommen  nur  vor:  GL.  VIII,  68 
leten  :  ybeten  (^=  ae.  beäten)  :  sueten  (:=.  ae.  swjfetan)  :  gredyn  (=  se), 
und  GL.  XVII,  46  mej)  :  dej)  (=  ae.  deäd).  Das  Subst.  red  =  ae. 
rajd  hat  immer  ee  in  den  Gedichten;  diese  Form  wird  wohl  auch  in 
mittelländischen  Dialekten  gebraucht  sein,  um  ein  Zusammenwerfen 
mit  rede  =:  ae.  redan,  got.  rödjan  zu  verhindern.  Reime  der  Klasse  ß 
mit  «  und  y  finden  sich  in  GL.  VII  und  XVI:  ee  VII,  45  lete  (=  ae. 
Iffitan)  :  bete  (=  ae.  betan),  aber  ee  VII,  16  bileved  (^=  ae.  bilsefan, 
got.  bilaibjan)  :  heved  (=:  ae.  heäfod).  GL.  XVI,  37  ee:  dede  (=  ae. 
diBd)  :  blede  (=  ae.  bledan),  aber  ee  XVI,  42  rees  (ae.  rses)  :  chees 
(=  ae.  ceas)  :  lees  (=  ae.  leäs)  :  pees  (=r  frz.  pais). 

Es  ist  noch  zu  bemerken,  dafs  immer  ee  ist  in  nede  (  =  ae.  neäd, 
iieöd)  WL.  IV,  58,  GL.  II,  47,  XVI,  35,  auch  in  eke  (=  ae.  eäc, 
ec)  WL.  V,  35.  Vor  j  oder  h  scheint  das  e  ebenfalls  immer  ee  zu 
s6in:  GL.  III,  30  heh  (^  ae.  heäh)  :  feh  (=  ae.  feöh)  :  seh  (=  ae. 
scäh),  WL.  V,  15  seje  (=  ae.  ssego,  Prät.  v.  seön)  :  bre^e  (z—  ae. 
breaw)  :  heje  (=  ae.  hetih)  :  dreyje  (=  ae.  dreöge).  Cfr.  auch  GL. 
II,  13,  XI,  45  etc. 

Sehr  wichtig  ist  es,  dafs  in  einigen  Gedichten  Klasse  «  mit  y 
reimt.     Der  Reim   GL.  XVII,  58  heep  (=  ae.  heäp)  :  keep   (Subst.) 

Archiv  f.  a.  Sprachen.  LXXt.  1 1 


162  Über  die  Sprache  und  Metrik 

läfst  sich  verschieden  auffassen.  Der  Reimvokal  ist  wohl  ee,  also 
heep  :  keep;  diese  Annahme  wird  durch  die  heutige  Aussprache  von 
heap  gestützt ;  doch  läfst  sich  vielleicht  auch  heep  :  keep  lesen,  da  in 
demselben  Liede  Klasse  ß  mit  «  reimt  -  v.  46  mep  (=  ä)  :  dep 
(=  eä)  —  und  da  auch  Chaucer  keep  mit  ee  und  ee  gebraucht  (cfr. 
ton  Brink  a.  a.  O.).  Der  Reim  GL.  IX,  IG  dede  (=  ae.  deap)  :  rede 
ist  zweifelliaft,  Böddeker  fafst  rede  =  ae.  redan,  Inf.,  aber  Zupitza 
=  ae.  ra;d,  Subst.  Es  ist  aber  sicherlich  ee  in  GL.  IX,  21  ded  (=  ae. 
deäp)  :  fet  {=  e) ;  ferner  GL.  I,  21  prete  (=  ae.  preälian)  : 
swete  (=:  e). 

Noch  auffallender  ist  es,  dafs  wir  die  Klasse  y  (ee)  im  Reim  mit 
ae.  6  finden,  das  in  offener  Silbe  lang  geworden  ist.  Der  Reim  GL. 
VIII,  1  8  bere  (=:  heran)  :  dere  (=  ae.  deör)  mag  verderbt  sein,  denn 
die  Version  des  Ms.  Egorton  613  hat  steore  statt  bere.  Aber  es  läfst 
sich  nichts  einwenden  gegen  die  Reime  WL  IV,  28  chete  (=  ae. 
cete)  :  fete  (=  e):  WL.  VI,  4  gere  (=  ae.  gearwe)  :  here  (=  ae. 
heran).  Dazu  auch  WL.  XIII,  17  were  (=  ae.  wsere)  :  frere  (frz.)  : 
heie  (=  ae.  her)  :  brere  (=  e).  Hier  reimen  die  Wörter  chete,  gere, 
frere  mit  dem  geschlossenen  Laute  ee. 

Das  Resultat,  welches  die  Prüfung  des  me.  e  ergiebt,  ist  kein  ent- 
schieden festes,  denn  es  würde  gewagt  sein  zu  behaupten,  dafs  alle 
Gedichte,  welche  ee  in  Wörtern  der  Klasse  ß  haben,  zweifellos  dem 
Mittellande  oder  Norden  angehören,  oder  anderseits,  dafs  die  Gedichte, 
welche  ee  in  Wörtern  der  Klasse  ß  haben,  dem  sächsischen  England 
angehören.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dafs  in  manchen  Wörtern  die 
Formen  mit  ee  und  in  anderen  die  Formen  mit  ee  von  allen  Dialekten 
vorgezogen  wurden,  wie  wir  dies  ja  in  betreff  des  Subst.  red  (=  ae. 
rsed)  konstatiert  haben.  Das  rae.  e  ist  aber  noch  nicht  hinlänglich 
untersucht,   so  dafs  wir  keine  sicheren  Schlüsse  daraus  ziehen  können. 

Die  Flexion. 
Die  Flexion  des  Präs.  Ind.  ist  in  den  Dialekten  verschieden.  Es 
sind  folgende  Unterscheidungsmerkmale  festgestellt.  Die  Endung  des 
Plurals  Präs.  Ind.  ist  in  den  südlichen  Dialekten  ej),  in  den  mittel- 
ländischen en,  in  den  nördh'chen  es.  Die  Endung  des  Singulars  ist  im 
Süden:  1.  Pers.  e,  2.  Pers.  est,  3.  Pers.  eJ) ;  aber  im  westlichen  Mittel- 
land und  Northumbrien  endet  die  2.  und  3.  Pers.  auf  es ;  im  östlichen 
Mittelland  werden  im  Sing,  gewöhnlich  die  südlichen  Formen  gebraucht. 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  -2253.  163 

Ms.  Harl.  2253  zeigt  im  allgemeinen  die  südliche  Flexion,  welche 
dem  Dialekt  des  Schreibers  entspricht,  aber  nur  einmal  durch  den  Reim 
gesichert  ist:  GL.  III,  42  atgoht  :  loht  {=z  ae.  lad).  In  sehr  vielen 
Gedichten  finden  sich  indessen  neben  der  südlichen  auch  Reste  einer 
anderen  Flexion.     Solche  Formen  kommen  vor  in  WL.  I,  IV,  V,  VI, 

VIII,  IX,  X,  XII,  XIV,  GL.  I,  V,  X,  XI,  XII,  XIII,  XVII,  XVIIL 
Wir  können  diese  Gedichte  in  verschiedene  Gruppen  teilen : 

1)  Nördliche  Formen  —  Plural  auf  es  —  kommen  nur  vor  in 
WL.  VIII,  IX,  XII.  IX,  5  wowes  (v.  ae.  wögian)  :  bovines  (Plural 
V.  Subst.).  VIII,  19  wowes;  XII,  2  springes,  XII,  14  says.  In  den- 
selben Gedichten  finden  wir  auch  den  Plural  auf  en :  VIII,  15  waxen, 
XII,  1    waxen.      Der    Singular    endet    auf   es:    WL.   VIII,    24    likes, 

IX,  1  dawes,  XII,  1  singes,  XII,  4  drinkes ;  hierhin  auch  WL.  XII,  11 
mihtes  (Impf.  2.  Pers.  Sing.).  Wenn  diese  Formen  vom  Original  her- 
stammen, so  werden  diese  drei  Gedichte  dem  nördlichen  Mittellande 
angehören,  da  sie  northumbrische  neben  mittelländischen  Formen  zeigen. 
WL.  IX  und  XII  haben  wir  schon  wegen  der  geographischen  Anspie- 
lungen dem  östlichen  Mittellande  zugewiesen. 

2)  Eine  zweite  Gruppe  wird  von  den  Gedichten  gebildet,  welche 
in  der  2.  und  3.  Pers.  Sing,  die  Endung  es  zeigen:  WL.  I,  18  sys 
(2.  Pers.  V.  seön)  :  rys  :  ys  :  pris;  WL.  V,  27  ledes  (3.  Pers.)  : 
spredes  (3.  Per.s.)  :  bredes  (3.  Pers.)  :  redes  (3.  Pers.).  WL.  X,  23 
lumes;  WL.  XIV,  13  haves;  GL.  V,  18  bohtes  (Impf.  2.  Pers.  Sing.)  : 
sohtest;  GL.  X,  12  overwerpes  (3.  Pers.)  :  Werkes  (Subst.),  v.  16 
I)enkes,  v.  27  gos.  GL.  XII,  59  honoures  (2.  Pers.)  :  boures  (Subst.), 
V.  53  weldes.  Diese  Formen  weisen  jedoch  nicht  mit  Sicherheit  auf 
das  westliche  Mittelland  hin,  denn  sie  waren  auch  dem  östlichen 
Mittelland  nicht  völlig  unbekannt.  Das  Gedicht  GL.  XII,  wo  die 
Form  auf  es  durch  den  Reim  gesichert  ist,  gehört  ohne  Zweifel  dem 
östlichen  Mittelland  an,  wie  eine  geographische  Anspielung  bewies. 

3)  Die  mittelländische  Pluralendung  en  findet  sich  in  folgenden 
Gedichten;  WL.  IV,  27  liven,  v.  40  beyen ;  WL.  VI,  17  have ;  GL. 
I,  21  prete  :  suete  (Adj.),  v.  74  blowe  :  knowe  (Inf.);  GL.  XI,  8 
waxen,  v.  9  wepen;  GL.  XIII,  30  buen ;  GL.  XVII,  17  i)uen  : 
ysuen  (Inf.),  v.  132  buen  (im  Ms.).*    GL.  XVIII,  13  han. 


*  An  der  letztgenannten  Stelle   setzt   böddeker  in   seinen  Text   weren 
ein,  dijch  ist  wohl' buen  zu  halten,  da  dies  auch  im  Ms.  Laud   108  steht. 

11  * 


1C4  Über  die  Sprache  und  Metrik 

Alle    diese    mittelländischen    Formen    werden    sich    schon    in   der 

Vorlage   befunden   haben,   die   der   Schreiber  des  Ms.  Ilarl.   abschrieb. 

Bei  den  Liedein,   die  sie  durch  den  Reim  gesichert  haben  —  WL.  IX ; 

WL.  I,  GL.  X,  XII;   GL.  I,  XVII   —   gehören    sie    zweifellos   dem 

Original  an. 

Der   Wortschatz. 

Der  Wortschatz  ist  von  weit  geringerer  Bedeutung.  Er  kann 
indessen  zuweilen  unsere  Hypothesen  betreffs  des  Dialektes  unter- 
stützen. Die  3.  Pers.  Plur.  des  Personalpronomens  hat  in  unserem  Ms. 
die  Form  he  oder  hy,  welche  den  südlichen  Dialekten  eigen  ist.  Die 
Form  J)ei,  welche  in  Northumbrien  und  dem  nördlichen  Mittellande  ge- 
braucht wurde  und  dem  Dialekte  unseres  Schreibers  durchaus  fremd 
war,  findet  sich  nur  WL.  XI,  19  und  GL.  XI,  9.  Beide  Lieder  sind 
schon  aus  anderen  Gründen  dem  Mittellande  zugewiesen.  Es  kommen 
noch  einige  andere  Wörter  vor,  die  in  den  südlichen  Dialekten  nicht 
gebraucht  wurden:  WL.  IV,  3  til,  WL.  VI,  36  cleugen  (Mätz.  Wtb.), 
GL.  XI,  17  clyngen  (Hall.  Dict.),  GL.  XIV,  5  lyl)en.  Solche  Wörter 
sind  aber  nur  von  sekundärer  Wichtigkeit. 

Wir  wollen  nun  unsere  bisherigen  Resultate  resümieren: 
ae.   y  ist  y   (i)    in    WL.  VII,  XI,  XIV,  GL.  VIII,  IX,  X,  XIII, 

XIV  im  Reim,  aufserdem  in  WL.  VI,  GL.  I,  XI,  XII. 
ae.   y   ist  y   (i)  in    WL.  XI,  GL.  III  im  Reim,  aufserdem  in  WL. 

IV,  VII,  X,  GL.  XIV,  XVII. 
ae.   ä   ist  ä   und  ö   in    GL.  VI,  XIV,  XVI  im  Reim, 
ae.    a    vor    n,    ra    ist    a    in   WL.   XI,   GL.  X,  XIII   im    Reim, 

aufserdem  in  WL.  V,  GL.  VIII,  XIV,  XV. 
me.   e/?  ist   ee   in   WL.  I,  IV,  V,  VI,  VII,  IX,  XI,  XII,  XIII, 

•     XIV,  GL.  I,  II,  III,  IV,  VI,  IX,  XI,  XII,  XIII,  XVIII. 
me.   e/y   ist   ee   in   GL.  VIII,  XVII. 
me.    e. ß   reimt   mit  e«    und   ey   in    GL.  VII,  XVI. 
me.  e«   reimt    mit   ey   in   GL.  I,  IX,  XVII,  WL.  IV,  VI,  XIIL 
Flexion    südlich:   Plural  auf  ep:  GL,  III. 

Flexion  mittelländisch:  1)  Plural  auf  es:  WL.  IX;  —  WL. 
VIII,  XIL  2)  Singular  auf  es:  WL.  I,  X,  XII ;  —  WL.  V, 
X,  XIV,  GL.  V.  3)  Plural  auf  en  :  GL.  I,  XVII;  —  WL. 
IV,  VI,  GL.  XI,  XIII,  XVIIL 
Der  Wortschatz  spricht  gegen  den  Süden:  WL.  IV,  VI,  XI, 
GL.  XI,  XIV. 


der  niittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  165 

Wir  werden  jetzt  die  Laute,  soweit  es  noch  nicht  geschehen  ist, 
untersuchen,  um  eine  noch  genauere  Kenntnis  der  Sprache  der  Ge- 
dichte zu  erlangen. 

1.    Vokale. 
a. 

Ae.  a,  wenn  es  nicht  vor  m  oder  n  steht,  ist  im  Mengl.  als  a  er- 
halten, aber  es  ist  in  offener  Silbe  lang  geworden  und  reimt  mit  ä, 
z.  B.  GL.  XIV,  43  mawen  (=  ae.  mägon)  :  dawen  (=  ae.  dagian)  ; 
Slawen  (=  ae.  slagen)  :  haven  {=.  ae.  habban). 

Ae.  a  ist  o  geworden  unter  Einwirkung  eines  \  orhergehenden  w 
in  wosshe  (=  ae.  wascan)  GL.  VIII,  72,  IX,  20. 

8B.       , 

Ae.  cE  vor  einem  einfachen  Konsonanten  ist  in  unserem  Ms.  ge- 
wöhnlich wieder  a  geworden:  GL.  XVII,  151  staf  (:=  ae.  staef)  :  jaf 
(^=r-  ae.  geaf,  Prät.  v.  gifan);  WL.  V,  40  whal  (=  ae.  hwael)  :  al 
(=  ae.  eal);  ferner  ajjel  WL.  IV,  67,  XIV,  24;  blak  WL.  II,  14, 
GL.  VIII,  19;  fat  GL.  XVII,  80.  —  ae.  ws&s  hat  aber  gewöhnlich  die 
Form  wes,  die  meisten  Lieder  /.eigen  nie  die  Form  was.  was  findet  sich 
WL.  XI,  22,  GL.  XII,  10,  XV,  45,  XVII,  153,  aber  im  Reim  nur 
WL.  IV,  24  :  glas.  Die  Form  wes  kommt  im  Reim  vor  WL.  X,  36,  58, 
GL.  II,  42,  III,  53.  In  WL.  IV  kommt  auch  wes  (v.  23)  vor,  und  in 
GL.  II,  wo  wes  durch  den  Reim  gesichert  ist,  finden  wir  auch  was 
(v.  22).  Es  scheint  demnach,  dafs  der  Schreiber  beide  Formen  kannte, 
aber  wes  vorzog.  —  In  ähnlicher  Weise  ist  für  ae.  hwaet  meistens 
whet  geschrieben,  z.  B.  WL.  VII,  44,  XI,  8,  28,  XHI,  8,  aber  auch 
what  GL.  IX,  16,  X,  17,  XVIII,  10.  —  ae.  p«t  erscheint  immer  in 
der  Form  pat. 

Auch  im  Präter.  der  starken  Verba  finden  wir  a  neben  e  für  ae,  ae, 
z.  B.  GL.  XVII,  152  j^af  (=  ae.  geaf,  Prät.  v.  gifan)  :  staf,  aber  GL. 
XVII,  154  jef.  GL.  II,  55  ^ef :  bref  (frz.).  ber  (=  ae.  bser,  Prät.  v.  heran) 
GL.  V.  14,  XII,  2.  Das  Präteritum  von  ae.  biddan  ist  bad,  im  Reime 
WL.  III,  9,  VII,  8,  GL.  I,  5,  II,  20. 

Ae.  se  vor  Doppelkonsonanz  kehrt  zu  a  zurück  z.  B.  faste  (=z  as)  : 
caste  (=  anord.  a).  WL.  VI,  19,  XI,  5,  GL.  XVIU,  30.  —  GL. 
IV,  51  after,  WL.  V,  59  apples  etc.  Sehr  selten  ist  es  e  geworden: 
WL.  III,  40  gest  (=  ae.  gaist)  :  best.     Der   Schreiber   scheint    solche 


166  Über  die  Sprache  und  Metrik 

Formen  mit  e  nicht  gern  gebraucht  zu  haben,  wir  finden  sogar,  daf.s 
er  lieber  imgenauen  Reim  schrieb:  GL.  III,  20  beste  (=  ae.  heähostj  : 
leste  (=  as)  :  beste  (=  e)  :  faste  (=  aj).  Der  Reim  verlangt  hier  die 
Form  feste,  welche  daher  sicherlich  die  des  Originals  ist.  Hieraus 
können  wir  schliefsen,  dafs  in  demselben  Liede  GL.  III,  48  faste  (=  sn)  : 
laste  (=  sd)  im  Original  auch  ein  e  Reim  gewesen  ist.  In  vielen 
anderen  Gedicliten,  wo  ae.  ae  weder  mit  unveränderlichem  a  noch  mit 
unveränderlichem  e  reimt,  sondern  nur  mit  ae.  ae  oder  ^,  können  wir 
nicht  wissen,  ob  die  Formen  mit  a  aus  dem  Original  oder  vom  Schreiber 
des  Ms.  herrühren.  Es  ist  stets  e  in  der  Konjunktion  lest  (=  ae.  laes  |)e) 
WL.  II,  33,  XIII,  4.  Der  Komparativ  ae.  laessa  hat  die  Form  lasse 
GL.  III,  22;  der  Superlativ  ae.  lassest,  laest  erscheint  als  leste  GL,III,  23. 
Zu  bemerken  ist  noch,  dafs  vor  gewissen  Konsonanten,  besonders 
vor  s,  das  e  oder  a  (=  ae.  ae)  lang  geworden  ist.  Die  Form  wes 
(j=z  ae.  wfes)  reimt  mehrmals  mit  Wörtern,  die  langen  Vokal  haben : 
GL.  II,  39  pees  (frz.)  :  wees  (=  ae.  waes)  :  lees  (=  ae.  leäs) ;  GL. 
III,  52  lees  :  wes. 

Ae.  ea. 

Ae.  ea  vor  1  oder  11  ist  immer  zu  a  zurückgekehrt:  GL.  XVIII,  17 
falle  :  alle  :  calle;  WL.  V,  61,  73  al  :  sraal;  WL.  I,  21  bale  :  tale. 
Ebenso  vor  It  und  Iw:  GL.  III,  36  halten  =  ae.  healtian;  GL.  III,  90 
falewen  =.  ae.  fealwian. 

Vor  Id  kehrte  ae.  ea  auch  zu  a  zurück,  das  aber  vor  der  Konso- 
nanz Id  lang  wurde  und  dann  dieselbe  Wandlung  erlitt  wie  ae.  ä, 
nämlich  in  den  meisten  Dialekten  zu  öö  wurde.  Dies  o  =  ae.  ea 
reimt  mit  ursprünglichem  o:  WL.  IV,  50  wolde  (=  o)  :  colde  (=  ae. 
ceald)  ;  holde  (=  ae.  healde).    Ähnlich  WL.  V,  3,  X,  27. 

Selten  ist  ea  zu  e  geworden  vor  Id:  ae.  fealdan  ist  GL.  III,  40 
felde  :  beide  (=z  ae.  heldan)  :  gelde  (anord.)  :  elde  (=  ae.  eldo) ;  aber 
in  demselben  Gedicht  finden  wir  auch  v.  21  die  Form  folde  :  wolde 
(=  anord.  wald)  :  bolde  (=  ea)  :  ytolde  (=  ea).  In  GL.  III  sind 
also  beide  Formen  im  Reim.  Dasselbe  ist  in  GL.  I  der  Fall:  I,  37 
beide  (=  ae.  bealdian)  :  weide  (=  e)  :  felde  (=  e)  :  gelde  (anord.); 
aber  abgesehen  von  diesem  Beispiele  findet  sich  in  GL.  I  immer  o  für 
ae.  ea,  auch  im  Reim  auf  ae.  o:  v.  46  holde  (-^  ea)  :  tolde  (=  ea)  : 
wolde  (=  o)  :  bolde  (=  ea)  :  colde  (=  ea).  —  e  für  ae.  ea  ist  ferner 
WL.  VI,  11  kelde  (=  ae.  cealdu)  :  beide  (=  ae.  held).  —  Ae.  eald 
ist  immer  old,  nur  einmal  GL.  XIV,  22  elde  (Flur.). 


der  mitlelenglischen  lyrisclien  Lieiler  des  Ms.  Harl.  2253.  167 

Ae.  ea  erscheint  als  a  in  baldore  (Komparativ  von  ae.  beald) 
WL.  I,  44,  weil  die  folgende  Silbe  auf  Liquida  endet  und  daher  das  a 
nicht  lang  geworden  ist. 

Vor  r  kehrt  das  ae.  ea  gewöhnlich  zu  a  zurück:  GL.  XVII,  115 
hard  (=  ea)  :  forward  (=  ea),  GL.  IX,  43  kare  (=z  ea)  :  fare  (^=  a). 
In  ein  paar  Wörtern  ist  ae.  ea  zu  e  geworden :  ae,  gearwe  ist  gere 
WL.  VI,  4:  were  (=  ae.  wa3re) ;  ae.  bearn  ist  bern  GL.  I,  26,  IX,  19. 
Ae.  ea  ist  o  geworden  in  GL.  II,  2  wynjord  (=r  ae,  geard). 

Vor  h  ist  ea  zu  a  zurückgekehrt,  z,  B,  ae.  weaxen  ist  immer 
waxen  WL.  II,  23,  III,  2,  VIII,  15,  32;  aber  ea  ist  e  in  seh  (=  ae. 
seah)  GL.  III,  33  :  feh  (=  ae.  feoh),  GL.  II,  14  :  neh  (=  ae.  neah). 

e. 

Ae.  e,  der  Umlaut  von  a,  ist  als  e  erhalten,  aber  reimt  jetzt  mit 
allen  anderen  Arten  von  e:  WL.  X,  67  bende  :  ende;  WL.  III,  33 
rest  :  best  :  gest  (=  ae);  GL.  IX,  31  teile  :  helle.  —  Rückumlaut 
ist  regelmäfsig  eingetreten  in  den  kontrahierten  Verbformen  vor  Id  wie 
im  Ae. :  GL.  I,  48  tolde  (Prät.  v.  tellan)  :  wolde  (=  o).  GL.  XVI,  38 
told  (Part.).  Das  Part.  Perf.  von  bisteden  ist  bistad  GL.  11,  19,  WL. 
Vn,  9.  Ein  paar  Verben  zeigen  Rückumlaut  in  allen  Formen : 
ae.  merran  =  got.  marjjan  hat  die  Form  marren  WL.  III,  3,  VII,  20 ; 
ae.  feccan  ist  vachen  in  WL.  VI,  31  ;  ae.  fellan  ist  fallen  GL.  I,  72 
und  wird  so  zusammengeworfen  mit  ae.  feallan,  von  dem  es  das  Faktitiv 
ist.  —  Das  Subst.  ae.  bend  ist  WL.  X,  67  bende  (Plural)  :  ende,  aber 
durch  Einflufs  der  altnordischen  und  deutschen  Form  band  zeigt  sich 
auch  die  Form  bonde  :  londe  WL.  III,  12,  GL.  IV,  24. 

Eine  andere  Änderung  hat  stattgefunden  in  ae.  recenian,  das 
GL.  VIII,  15  als  rykenen  erscheint,  auch  WL.  IV,  62  rykenin»-. 
Ae.  stede,  styde  ist  stude  GL.  V,  6,  XVII,  22.  Ae.  sellan,  syllan 
(=  got.  saljau)  ist  gewöhnlich  seilen  GL.  XI,  57,  aber  auch  sullen 
und  einmal  sylle  GL.  XVI,  18  im  Reim  auf  i  :  ylle  :  stille  :  wille. 

Was  die  Quantität  anbetrifft,  so  reimt  ae.  e  jetzt  mit  e  vor  st: 
GL,  XIV,  19  mest  (=  ae.  msfest)  :  rest  :  best;  WL.  X,  84  beste  : 
beste  (=  ae.  heähost).  Es  ist  auffallend,  dafs  auch  ae.  tellan  mit  e 
reimt:  WL.  IV,  35  tele  (sie!)  :  feole  (=:  ae.  feole). 

e. 

Ae.  e  ist  erhalten.  In  offener  Silbe  ist  es  lang  geworden:  GL. 
XIII,  18   bere   (=  ae.  bcran)   :   lere  (=  ae.  leeran).     Es   kommt   nur 


168  Über  die  Sprache  und  Metrik 

eine  unregelmäfsige  Foim  vor  WL.  V,  1  2  fyld  (=  ae.  ft-ld) ;  die  regel- 
mäfsige  Form  feld  kommt  GL.  XVII,  123  vor. 

eo. 

Statt  eo  steht  häufig  e  oder  i  im  Ae.  In  unseren  Gedichten  ist  eo 
immer  i  geworden  vor  h,  was  schon  im  Ae.  das  Gewöhnliche  war  (vide  i). 

Vor  r  ist  eo  zu  e  zurückgekehrt,  obgleich  es  im  Ae.  schon  häufig 
y  geworden  war.  GL.  X,  12  overwerpes  (Präs.  von  ae.  weorpan)  : 
Werkes  (v.  ae.  weorc).  GL.  IX,  22  werne  (=  ae.  wyrnan)  :  erne 
(=:  ae.  yrnan);  GL.  XI,  49  herte  (=  ae.  heorte)  :  smerte  (nddsch.); 
GL.  IX,  11  suert  (=  ae.  sweord);  WL,  XIII,  34  cherl  (=:  ae.  ceorl), 
GL.  IV,  45  bern  (=:  ae.  beorn). 

Zuweilen  ist  ae.  eo  noch  eo  und  zuweilen  ue  geschrieben:  GL. 
VIII,  60  heorte,  VIII,  64  huerte.  Man  dürfte  in  solchen  Fällen  viel- 
leicht an  eine  eigentömliclie  dialektische  Aussprache  denken,  doch 
finden  wir  auch  eo  und  ue  ungenaueiweise  manchmal  für  ae.  e  ge- 
schriel)en:  GL.  XVII,  46  buere  (:=  ae.  heran);  WL.  VI,  14  weore 
(=  ae.  werian),  cfr.  auch  eö. 

Selten  ist  eo  nicht  wieder  e,  sondern  i  geworden:  GL.  XIV,  36 
hirde  (=  ae.  heorde,  hirde);  ae.  goornian  ist  jernen  WL.  VI,  27,  aber 
^yrnen  WL.  II,  34,   GL.  II,  58,   VIII,  116,   III,  95. 

In  einigen  Wörtern  ist  eo  nach  einem  w  zu  u  oder  o  geworden : 
ae.  weord,  wyrd  ist  wurf)e  WL.  VI,  22,  wozu  das  Adjektiv  worpi 
GL.  VIII,  84,  143;  ae.  weordlic  ist  worly  WL.  VII,  13,  wurhlich 
WL.  X,  9;  WL.  V,  71  worden  (=  ae.  weorpan);  WL.  IV,  14,  VI,  5 
World  (=  ae.  weorold). 

Vor  anderen  Konsonanten  ist  ae.  eo  auch  gewöhnlich  zu  e  zurück- 
gekehrt:  WL.  I,  2  selver  (=  ae.  seolfer,  silver) ;  GL.  III,  25  evel 
(=  ae  eofel,  yfel) ;  GL.  XVII,  104  selve  (=  ae.  seif,  sylf),  eine 
Form  sylf  kommt  nie  vor;  GL.  XIII,  11  heven  {=  ae.  heoven).  — 
Selten  ist  eo  zu  i  geworden :  WL.  V,  76  sylk  (ae.  seolc)  :  mylk.  Das 
Subst.  ae.  sceld,  scild  ist  sheld  GL.  IX,  60,  aber  das  Verb  hat  i:  GL. 
VI,  14,  XII,  19  shild  (Imper.).  —  eo  ist  einem  vorangehenden  w 
assimiliert  in  GL.  I,  12  sotel  (=  ae.  sweotol,  sutol);  GL.  I,  11  sotelen 
(:=  ae.  sweotulian). 

i. 

Ae.  i  ist  im  Me.  erhalten,  aber  oft  y  geschrieben.  Das  Ms.  Harl. 
2253  gebraucht    zur  Darstellung   des  i-Lautes   die  Buchstaben  i  und  y 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.   Harl.  2253.  169 

ohne  Unterschied,  zieht  aber  y  vor:  WL.  XI,  33  stille  :  grylle  :  wille ; 
WL.  II,  1  averil  (frz.)  :  wyl  (=  ae.  will).  Das  ae.  Suffix  ing,  ung 
hat  jetzt  stets  den  i-Laut:  GL.  IV,  56  endyng  (=  ae.  endung)  :  long- 
ing  :  J)ing;  GL.  XV,  41  tydynge  :  brynge. 

Nach  dem  Konsonanten  w  ist  ae.  i  in  einigen  Wörtern  u  oder  o 
geworden:  ae.  willan  erscheint  als  wille  oder  wile  GL.  I,  16,  X,  18, 
19,  36,  aber  wulle  WL  II,  19;  die  gebräuchlichste  Form  des  Ms.  ist 
jedoch  wolle  oder  wole  GL.  XVII,  2,  WL.  XII,  20  etc.  Ebenso  er- 
scheint ae.  wiste  als  wiste  WL.  VII,  15  oder  als  wüste.  —  In  GL. 
X,  18  for  my  sunnes  y  wil  wete  :  forlete  ist  schwerlich  mit  Böddeker 
wete  =  ae.  witan  zu  fassen ;  vielleicht  ist  es  in  bete  zu  emendieren, 
oder  in  grete  (=:  ae.  greetan),  wie  Zupitza  in  seiner  Recension  vor- 
schlägt. 

Nach  j  schwanken  die  meisten  Ms.  jener  Zeit  zwischen  e  und  i. 
In  unseren  Gedichten  ist  e  geschrieben:  GL.  VIII,  27  jelden  (==  ae. 
gildan) ;  GL.  V,  2  jef  (Imper.  von  ae.  gifan).  Die  Konjunktion  ae.  gif 
ist  jef  GL.  I,  24,  WL.  VI,  6,  aber  ^yf  GL.  X,  36.  Dies  ist  das  ein- 
zige  Beispiel,  dafs  ae.  i  nicht  nach  J  zu  e  geworden  ist. 

Ae.  liggen  hat  gewöhnlich  die  regelmäfsige  Form  liggen,  aber 
einmal  WL.  V,  83  leje  :  seje  (=  ae.  ssege.  Impf.  v.  seön),  es  ist 
wohl  konfundiert  mit  ae.  lecgan.  (WL.  V  gehört  dem  westlichen 
Mittellande  an.)  Ae.  siddan,  seoddan  erscheint  als  se|)j5e  WL.  IV,  24, 
GL,  I,  15,  aber  als  sype  GL.  I,  55.  Letztere  Form  ist  in  den  sud- 
lichen Dialekten  nicht  gebrätichlich,  findet  sich  aber  im  Haveloc,  Gen. 
Exod.  etc. 

Vor  gewissen  Konsonanten  reimt  ae.  i  jetzt  mit  i,  so  1)  vor  s  : 
GL.  II,  37  ywis  (ae.  gewis)  :  his  :  unwis  (==  ae.  wis)  :  ys  (=  is). 
WL.  III,  31  is  :  rys  (=:  ae.  hris)  :  wys  (=  ae.  wis)  :  pris  (frz.)  :  bys 
(frz.)  :  his;  —  2)  vor  n  :  WL.  V,  70  yn  (=^  in)  :  wyn  (=  ae.  win).  — 
3)  vor  ht :  GL.  XVII,  37  ryht  (=  ae.  riht)  :  lyht  (=  ae.  liht,  Adj.). 

Übergang  zu  u  (z=  u')  hat  stattgefunden  im  Imperf.  von  ae.  dön, 
welches  indessen  ?chon  im  Ae.  häufig  y  zeigte,  ae.  dide  oder  dyde,  in 
unseren  Gedichten  stets  dude  GL.  VIII,  65,  XII,  51.  Derselbe  Über- 
gang findet  in  ae.  niicel  statt,  welches  in  unseren  Gedichten  gewöhn- 
lich die  Form  muchel  hat  WL.  V,  19,  XI,  29,  GL.  I,  17,  aber  einmal 
raykel  WL.  XI,  15  (cfr.  y). 

Im  Ae.  giebt  es  noch  ein  anderes  i,  welches  nicht  einem  ursprüng- 
lichen i,  sondern  einem  germ.  o  oder  a  nach  h  -j-  Kons,  entspricht: 


170  UbiT  die  Sprache  und  Metrik 

1)  Ae.  i  =  germ.  e  ist  stets  i  in  unseren  Liedern:  WL.  III,  24 
ryht  (=  ae.  rillt)  :  diht  (Part,  von  ac.  dihfan).  Auch  die  Wörter, 
die  im  Ae.  noch  eo  hatten,  zeigen  jetzt  i:  GL.  XVII,  103  wiht  :  briht 
(=  ae.  beorht);  WL.  IV,  61  riht  :  miht  :  cniht  (=  ae.  cneoht,  cniht); 
GL.  XVII,  34  ariht  :  fyht  (=  ae.  feoht). 

2)  Ae.  i  :=  germ.  a  ist  meistens  i  geblieben,  aber  zuweilen 
wieder  a  geworden.  Das  Imperfekt  von  ae.  *raagan,  ae.  mihte  oder 
meahte  erscheint  als  mihte  in  WL.  VII,  27,  XII,  11.  Die  2,.  Pers. 
bing.  Präs.  ae.  miht  oder  raeaht  erscheint  als  miht  GL.  IX,  37,  aber 
als  mäht  WL.  XI,  20  (WL.  XI  gehört  dem  östlichen  Mittellande  an). 
Die  beiden  Subst.  ae.  miht  oder  meaht  und  niht  bewahren  gewöhnlich 
die  Formen  mit  i,  die  durch  den  Reim  gesichert  sind  in  WL.  I,  8, 
IV,  63,  VI,  22,  GL.  IV,  6,  V,  19,  VIII,  35.  Aber  in  ein  paar 
Gedichten  sind  sie  zu  dem  ursprünglichen  germ.  a  zurückgekehrt: 
WL.  V,  19  mäht  :  naht;  WL.  VI,  32  naht  :  atraht  (kontr.  Part,  von 
ae.  rjecan).  Es  scheint,  dafs  Formen  mit  i  und  a  in  manchen  Dia- 
lekten nebeneinander  existierten,  denn  wir  finden  in  demselben  Ge- 
dichte WL.  VI  durch  den  Reim  gesichert  v.  22  miht  neben  v.  32  naht. 

11. 

Ae.  u  ist  vor  gevrissen  Konsonanzen  lang  geworden  und  ou  ge- 
schrieben, so  vor  nd :  GL.  XVII,  135  houndes  :  stoundes,  GL.  IX,  52 
founden  (:=  ae.  fundian)  :  wounden  (Plur.  v.  ae.  wund).  Zuweilen 
ist  noch  0  statt  ou  geschrieben:  GL.  X,  32  wondes  ;  stoundes;  auch 
GL.  X,  10,  XI,  48  wondes.  In  den  Wörtern,  in  denen  die  folgende 
Silbe  auf  Liquida  schliefst,  hat  ae.  u  nur  mittlere  Länge  erhalten:  ae. 
wunder  ist  stets  wonder  geschrieben  WL.  V,  81,  XIII,  3,  GL.  IX,  30. 
Ae.  kurzes  u  ist  erhalten  in  hundred,  da  es  vor  dreifacher  Konsonanz  steht. 

Auch  vor  einigen  anderen  Konsonanzen  ist  ae.  ü  lang  geworden: 
ae.  raurnan  ist  stets  mournen  geschrieben:  WL.  II,  36,  X,  85,  GL. 
XI,  38.  —  Ae.  I)urh  erscheint  als  |)ourh  WL.  V,  9,  als  Jiorh  oder 
I)urh  GL.  XII,  30,  XIV,  10. 

Vor  anderen  Konsonanten  hat  ae.  u  seinen  Laut  bewahrt,  aber 
ist  gewöhnlich  o  geschrieben,  da  der  Buchstabe  u  gebraucht  wurde, 
um  den  Laut  des  ae.  y  zu  bezeichnen. 

In  offener  Silbe  ist  ae.  u  nicht  lang  geworden,  denn  es  reimt  nie 
mit  ü,  aber  es  wird  mittlere  Länge  erhalten  haben,  denn  ohne  Aus- 
nahme wird  es  stets  o  geschrieben:  GL.  XIV,  40  sone  (=;  ae.  sunu)  : 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  RIs.  Harl.  2253.  171 

corne  (Part.  v.  cuman) ;  WL.  VIII,  13,   GL.  XVII,  123  rode  (=  ae. 
rudu)  :  wode  (=:  ae.  wudu).* 

In  geschlossener  Silbe  ist  ae.  u  meist  auch  o  geschrieben,  z.  B. 
GL.  X,  42  ystODge  (Part.)  :  yswonge  (Part.),  zuweilen  aber  auch  u: 
ae.  füll  erscheint  als  ful  GL.  III,  41,  X,  15;  fol  WL.  V,  32.  Im 
Pron.  sum  ist  das  u  bewahrt  WL.  XIII,  23  sumwher,  aber  der  Plural 
zeigt  o:  GL.  I,  39  some;  II,  31  somme.  u  und  o  finden  sich  in 
lussum  (von  ae.  Infe  oder  nach  Zupitza  von  ae.  lust)  WL.  V,  17,  X,  12: 
aber  lossom  WL.  I,  12,  VIII,  17. 

Es  ist  nur  eine  graphische  Änderung,  dal's  ae.  u  zu  o  geworden 
ist  (cfr.  ten  Brink  in  Haupts  Z.  n.  F.  VIF,  p.  214),  es  wird  doch  u 
gesprochen,  denn  die  Reime  von  o  =  ae.  u  und  o  =  ae.  o  sind  streng 
geschieden.  Eine  Ausnahme  macht  das  Subst.  ae.  duru,  welches  aller- 
dings mit  ae.  o  reimt:  WL.  XIII,  14  doren  (Plural)  :  foren  (=  ae. 
foran)  :  yboren  (Part.)  :  yloren  (Part.).  Aber  dies  Wort  hat  auch  im 
Ne.  eine  unregelmäfsige  Aussprache,  und  wir  müssen  annehmen,  dafs 
es  schon  im  Me.  in  einigen  Dialekten  den  Laut  o  angenommen  hat; 
auch  wird  es  in  den  Town.  Myst.  (Mätzner  Sprachpr.  V.  283)  doore 
(=  ö)  geschrieben.  —  In  der  Phrase  alle  ant  some  reimt  das  Wort 
some  mit  ö  (=  ae.  ä  und  ö)  in  GL.  II,  28:  nome  (Prät.  Plur.  von 
niman)  :  come  (Prät.  Plur.  v.  cuman)  :  lome  {=  ae.  löma).  Aber 
dies  some  hat  vielleicht  nicht  das  Pronomen  sum  als  Etymon,  sondern 
etwa  ae.  samne. 

0. 

Ae.  o  ist  gewöhnlich  erhalten  :  WL.  IV,  50  wolde  (=  ae.  wolde)  : 
colde  (=  ae.  ceald^;  WL.  IX,  40  bore  {=  ae.  boren)  :  bifore  (=  ae. 
biforan).  In  offener  Silbe  ist  o  lang  geworden  (öö)  und  reimt  mit  o  = 
ae.  ä.  Auch  vor  gewissen  Konsonanzen  finden  wir  ae.  Ö  mit  ö  reimen: 
1)  vor  ft:  GL.  VII,  23  ofte  (=  ae.  oft)  :  softe  (z=  ae.  soft).  2)  vor 
ht:  WL.  V,  80  wroht  (=  ae.  worht)  :  noht  (=  ae.  näht). 

In  einigen  Wörtern  findet  sich  zuweilen  u  statt  o :  ae.  borgian 
erscheint  als  borewen  GL.  I,  73,  aber  als  burewen  GL.  I,  37.  Das 
Imperf.  des  Hilfsverbs  shulen,  ae.  scolde,  ist  jetzt  sholde,  aber  häufiger 
shulde  GL.  IX,  4,  XIV,  27.  Ebenso  finden  wir  WL.  IV,  16,  26 
durste  (::=   ae.  dorste,   Imperf.    v.   durran).     Ae.    geong   erscheint   als 


*  In  WL.  Vlir,  13  ist  des  Reimes  wegen  ge<;en  Wülcker  und  Kölbing 
an  der  Auffassung  Böddekers  festzuhalten,  der  rode  =  ae.  rudu  ^=  die  Röte 
fafst,  während  K.  und   W.  es  für  ae.  rod  =  der  Stengel  halten. 


172  Über  die  Spraclie  und  Metrik 

jung  oder  jong,  aber  GL.  XIV,  22  jynge  :  mynge  (=  ae,  myngian) ; 
wir  haben  GL.  XIV  dem  nördlichen  Mittellande  zugewiesen.  Ae.  {)ro8tIe, 
prystle  konnit  vor  als  prustle  WL.  I,  23,  I)restle  WL.  VII,  51,  VIII,  7. 
Das  Particip  von  ae.  wyrcan  hat  gewöhnlich  die  Form  wroht  (=  ae. 
worht),  die  durch  den  Keim  gesichert  ist  in  WL.  IV,  11,  59,  V,  80, 
VII,  13,  IX,  32,  GL.  n,  2,  III,  76,  101,  VIII,  43,  96,  XIL  20, 
XVI,  11.  Aber  es  ist  wraht  GL.  II,  35:  unsaht  (=  ae.  saht)  : 
bytaht  (Part,  von  tsecan)  :  raht  (Part,  von  r«ean).  Hiernach  scheint 
der  Dialekt  von  GL.  II  verschieden  zu  sein  von  dem  der  oben  aufge- 
zählten Gedichte.  In  GL.  II  finden  wir  auch  v.  4  raarewe  {=  ae. 
morgen).  Es  steht  die  Form  ywraht  auch  WL.  X,  34  und  ywarpe 
(=  ae.  woipen,  Part.)  in  GL.  I,  65.  Dies  sind  in  unseren  Liedern 
die  einzigen  Beispiele  dieses  Übergangs  von  o  zu  a,  der  in  anderen 
Mss.,  z.  B.  den  Town.  Myst.,  viel  häufiger  ist. 

Ae.  o  ist  zuweilen  e  geworden  in  ae.  sorge,  für  welches  die  For- 
men sorewe  und  serewe  oft  in  demselben  Gedicht  vorkommen:  sorewe 
WL.  X,  60,  XI,  5,  GL.  I,  56,  aber  serewe  WL.  X,  67,  XI,  7, 
GL.  I,  55.  —  Das  Verb  ae.  sorgian  ist  serewen  GL.  III,  96,  XIII,  7. 
Derselbe  Übergang  zeigt  sich  in  WL.  XIV,  34  welken  (::=  ae.  woicen); 
WL.  V,  28  neose  (=  ae.  nosu). 

y- 

In  Bezug  auf  ae.  y  ist  noch  zu  bemerken,  dafs  häufig  Röckumlaut 
und  Übergang  zu  o  eingetreten  ist :  ae.  lyft  ist  loft  wohl  unter  Einflufs 
der  anord.  Form  lopt  WL.  XIV,  30  loft  :  oft;  WL.  V,  46  come 
{=  ae.  cyme)  :  Rome,  auch  hier  ist  der  Reim  mit  o  auffallend  und 
wohl  durch  Form  Übertragung  zu  erklären.  WL.  VI,  12,  VII,  27 
comely  (=  ae.  cymlic);  WL.I,  45  dohly  (=  ae.  dyhtig);  WL.  VI,  33 
hongren  (=;  ae.  hyngrian) ;  GL.  XVI,  18  for|)ren  (=  ae.  fyrdrian). 

ä. 

Einige  Wörter,  welche  im  Ae.  ä  haben,  zeigen  in  unseren  Liedern 
neben  den  regelrechten  Formen  mit  o  für  ae.  ä  auch  solche  mit  e,  die 
also  von  ae.  Formen  mit  ^  abzuleiten  sind  :  ae.  cläpian  ist  GL.  XVII,  79 
clopen,  aber  WL.  VI,  12  clepe  (im  Reim).  Der  Plural  des  pron.  dem. 
ae.  J)ä  ist  po  WL.  VIII,  23  (im  Reim),  ferner  WL.  X,  61,  GL.  IX,  47, 
aber  {)eo  GL.  I,  27  (im  Reim). 

In  einigen  Wörtern  ist  ae.  ä  zum  ursprünglichen  germ.  ai  zurück- 


der  mittelenglischen  lyrischen   Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  178 

gekehrt  —  sicherlich  durch  Einwirkung  des  Anord.,  welches  diesen 
Laut  bewahrt  hatte:  die  ae.  Phrase  wä  la  wa  ist  wey  la  way 
GL.  XI,  20:  may  :  day  :  clay  ;  aber  auch  regelrecht  wolawo  GL. 
VIII,  163:  go  :  wo.  —  Derselbe  (Jbergang  hat  stattgefunden  in  cayser 
(■==  ae.  cäsere,  ahd.  kaiser,  anord.  keisari)  WL.  I,  7,  IV,  43.  — 
Ae.  ä  (=  anord.  ei)  erscheint  als  oo  und  ay  in  demselben  Gedichte 
GL.  XVI,  2  oo  :  foo  :  fro  :  go,  aber  GL.  XVI,  7  ay  :  may  :  day  :  lay. 
Beide  Formen  kommen  sogar  in  demselben  Verse  vor  GL.  XVII,  143: 
longe  is  ay  ant  longe  ys  o. 

Ae.  ä  ist  kurz  geworden  vor  Doppelkonsonanz  in  GL.  XVII,  118 
asken  (=  ae.  äskian).  Ebenso  vor  einfachem  Konsonanten  in  WL. 
III,  2  mad  (:=  ae.  mad,  mged)  :  lad  (=  schw.  Part,  von  ae.  hladan)  : 
glad  {=:  se)  :  sad  (=:ae);  aber  das  ä  ist  nicht  gekürzt  in  diesem  Worte 
und  daher  zu  ö  geworden  in  WL.  IV,  29  mot  (=:  mad)  :  blöd  (=^  ae. 
blöd).  Die  letztere  Form  mit  o  mag  begünstigt  sein  durch  die  anord. 
Form  mödr. 

86. 

Ae.  ^  ist  im  Me.  zu  e  geworden,  aber  in  einigen  Wörtern  ist  es 
schon  im  Ae.  zu  ä  zurückgekehrt.  Daher  sind  auch  im  Me.  Doppel- 
formen mit  6  und  e;  diese  sind  zum  Teil  auch  auf  Einwirken  anderer 
gerra.  Sprachen  zurückzuführen:  ae.  miest  (=  got.  maists)  ist  GL. 
XIV,  19  mest  :  rest  :  best,  aber  GL.  XIII,  35  most  :  gost  (=  ä)  : 
wost  (=  ä)  :  bost  (=  gäl.  böst).  —  Die  3.  Pers.  Sing.  Präs.  von 
ae.  gän,  g^p,  ist  GL.  VI,  5  gep,  VI,  9  go{) ;  die  2.  Pers.  ae.  gabst 
ist  gost  GL.  IX,  32.  Ae.  m^nan  ist  menen  im  Reim  WL.  XI,  4, 
GL.  III,  66,  aber  mone  WL.  XII,  20.  Das  Substantiv  ist  immer 
mone  GL.  I,  17,  XI,  42.  Ae.  blse  (anord.  blär)  ist  blo  GL.  VIII,  19, 
XI,  24,  Ae.  wser  ist  wore  WL.  II,  32;  ae.  grseg  (=  anord.  grär) 
ist  gray  WL.  V,  16,  VII,  24,  grey  XIII,  19,  aber  gro  I,  16.  — 
Ae.  ge£ir  (=  got.  jer)  wird  regelrecht  ger  WL.  XII,  5,  aber  der  Gen. 
Plur.  als  Adverb,  ae.  geära,  wird  ^ore,  und  daher  müssen  wir  schon 
die  ae.  Aussprache  yara  annehmen;  WL.  VI,  27:  lore  (=r  ae.  lär); 
WL.  II,  34:  sore  (:=  ae.  sär). 

Häufig  wird  ae.  sb  kurz  und  kehrt  zu  a  zurück,  zuweilen  .«elbst 
vor  einfachem  Konsonanten:  ae.  l^bstan  ist  lesten  WL.  III,  30,  XIV,  5, 
aber  XI,  6  laste  :  faste  :  caste.  WL.  VI,  17  unwraste  (vom  ae. 
wrseste)  :  caste  :  laste  :  faste.  —  GL.  II,  48  wra[){)elees  (vom  ae. 
wrwJde);  —  WL.  X,  49  clannesse  (=  ae.  dsenness).  —  Ae.  hlaefdige 


174  Über  die  Sprache  und  Metrik 

ist  gewöhnlich  levedy  oder  ledy,  nur  einmal  finden  wir  lady  WL. 
XI,   21. 

Vor  ht  wird  ae.  &  zu  a.:  WL.  IX,  42  ahte  (=  ae.  ajht)  :  tahte 
(Prät.  V.  t«can)  :  Iahte  (Prät.  v.  laeccan)  :  sahte  (=  ae.  saht);  — 
GL.  II,  33  raht  (=  ae.  rieht,  Part.  v.  rifecan).  —  In  kontrahierten 
Vorbformen  findet  sich  meistens  n,  selten  e  für  ae.  sb  :  WL.  III,  8 
rad  (Part.  v.  ae.  ra^dan);  GL.  II,  22  byrad  (Part.);  GL.  X,  9  spradde 
(Prät.  V.  sprajdan);  das  Part,  von  ae.  l^dan  ist  lad  GL.  III,  69,  ylad 
GL.  XVII,  128,  aber  auch  led  GL.  XII,  24  (im  Reim);  das  Prät. 
ist  lad  GL.  II,  23.  —  Das  Part,  von  ae.  ondr^dan  ist  adi-ed  WL. 
Xin.  20,  GL.  XII,  21;  —  WL.  VII,  11  ybrad  (Part,  von  ae. 
bruedan).* 

Es  ist  seltsam,  dafs  ae.  !b  auch  a  geworden  ist  in  pral  (=  ae. 
pr«l)  GL.  XII,  44  :  al  :  shal  :  smal.  In  diesem  Worte  wird  a  wohl 
durch  falsche  Analogie  entstanden  sein.  —  Ae.  t^can  ist  regelrecht 
techen,  aber  GL.  VIII,  70  tachen ;  der  Imper.  von  ae.  l^tan  ist  GL. 
IX,  13  let,  aber  IX,  18  lat.  —  Ae.  jfenig  ist  gewöhnlich  eny,  doch 
GL.  XVIII,  1  any.  —  Ae.  hwajr  ist  where  oder  whare,  ae.  paar  ist 
pere  oder  pare,  beide  Formen  mit  e  und  a  ohne  Unterschied  oft  in  dem- 
selben Gedicht. 

Ein  anderer  Übergang  hat  stattgefunden  in  ae.  flsesc  (=  germ. 
flaisc),  welches  in  unseren  Liedern  stets  erscheint  als  fleish  WL.  IV,  31, 
GL.  I,  30,  VIII,  103,  XII,  7. 

ö. 

Ae.  6  ist  erhalten,  zuweilen  oo  geschrieben;  GL.  III,  1  bone 
(=  ae.  bön)  :  mone  (=  ae.  möna)  :  trone  (frz.)  :  sone  (=  ae.  söna). 
GL.  XI,  55  wode  (^=  ae.  wöd,  Böddeker  giebt  fälschlich  ae.  wäd  als 
Etymon  an)  :  rode  {=  ae.  rod).      GL.  XVIII,  9  blöd  :  good. 

Auffallend  ist  ein  Beispiel,  w^o  ae.  ö  wohl  durch  Forraübertraguwg 
zu  u  geworden  ist:  WL.  IX,  14  shup  (=  ae.  sceöp,  Prät.  v.  sceppan). 

g. 

Ae.  e  als  Umlaut  von  6  hat  häufig  Rückumlaut  erfahren :  ae.  swete 
hat  in  unseren  Gedichten  gewöhnlich  die  Form  swete  GL.  VII,  41  : 
grete   {=   ae.   gretan);    GL.  XI,  35:    wete   (=r  ae.   w£et)   etc.,   aber 


*  Böddeker  fafst  diese  Form  im  Glossar  etwas  anders  auf,  doch  cfr.  v.  40. 


(ier  mitfelenglisphcn  lyrischen  [Jeder  des  Ms.  Harl.  2253.  175 

WL.  X,  75  swote  :  fote  (=  ae.  fot)  :  böte  (=  ae.  b6t).  Es  ist 
eigentiiinlich,  dafs  es  an  der  citierten  Stelle  unmittelbar  verbunden  ist 
mit  der  gewöhnlichen  Form  als  „swete  ant  swote".  Auch  GL.  IV,  11 
swote  :  böte  (=  ö),  aber  in  demselben  Gedichte  GL.  IV  beginnt  jede 
Strophe  mit  der  Phrase  „suete  Jesu",  und  die  Form  suete  findet  sich 
auch  im  Reim  GL.  IV,  17  suete  :  lete  (=  ae.  Itetan)  :  grete  (=r  ae. 
gretan)  :  wete  (=  ae.  wjet).  Solche  Formen  müssen  daher  in  dem- 
selben Dialekt  nebeneinander  bestanden  haben. 

Das  Subst.  ae.  bene  ist  bene  WL.  XII,  13,  aber  bone  VVL.  I,  35, 
GL.  IIT,  1 ;  letzteres  wird  durch  die  anord.  Form  bön  begünstigt  sein. 
Beide  Formen  finden  sich  in  GL.  IV,  42  bene,  IV,  44  bone.  — 
Ae.  fet  (Plural  v.  föt)  ist  jetzt  fot  oder  fet  infolge  von  Assimilation  in 
allen  Kasus  des  Plurals. 

Die  2.  und  3.  Pers.  Sing.  Präs.  von  ae.  dön  zeigte  im  Ae.  den 
Umlaut  e,  jetzt  e  oder  ö,  beide  Formen  oft  in  demselben  Gedicht: 
GL.  I,  19  dej),  I,  8  dop. 

Ae.  e  erscheint  einmal  als  y:  GL.  XI,  3  wyping  (v.  ae.  wepan), 
aber  in  demselben  Gedicht  kommt  die  regelmäfsige  Form  mit  e  vor: 
GL.  XI,  9  wepen  (Präs.  Plur.);  GL.  XI,  29  wepep  (Präs.  Sing.). 

1. 

Ae.  i  bleibt  unverändert:  WL.  IX,  46  lyn  (=  i)  :  myn  (=  i); 
GL.  XI,  41  sike  (=  i)  :  like  (=  i);  WL.  IV,  13  wif  (=  i)  :  ryf 
(=  i)  :  stryf  (=  frz.  estrif)  :  lyf  (=  i). 

Ae.  i  wird  kurz  in  ae.  blids,  bliss  und  in  ae.  wisian:  GL.  XIII,  1 
blisse  (:=:  ae.  blids)  :  mildenesse  :  wysse  (Präs.  v.  ae.  wisian)  :  misse 
(Präs.  V.  missan). 

Ae.  wifman  hat  die  Form  wymman  WL.  II,  11,  III,  34,  aber 
das  i  ist  durch  Einwirkung  des  vorhergehenden  w  zu  o  geworden  in 
VVL.  III,  37  wommon. 

Ü. 

Ae.  u  ist  erhalten,  aber  analog  der  frz.  Schreibweise  durch  ou 
dargestellt:  WL.  VIII,  1  toune  (=  ü)  :  roune  (=  ö),  WL.  XIV,  23 
toiir  (frz.)  :  bour  (=  ü).  Am  Ende  der  Wörter  wird  zuweilen  ow 
statt  ou  geschrieben:  ae.  nu  ist  nou  WL.  IV,  49,  GL.  XVII,  37, 
aber  now  GL.  IX,  31. 

In  einigen  Wörtern  ist  ae.  ü  zuweilen  kurz  geworden.  Das  Pro- 
nomen  ae.  üs,   das  auch  bei  Orm   gekürzt   erscheint,    wird   geschrieben 


17G  Über  die  Spniche  uiui   Metrik 

ous  (=  fi)  GL.  m,  83,  IV,  58,  aber  us  (=  li)  WL.  IV,  14,  GL. 
I,  5,  VIII,  122.  -  Ae.  nre  ist  oiire  GL.  VIII,  20,  72,  WL.  IX,  14, 
ure  odei'  iir  GL.  I,  25,  71,  III,  101.  Es  schwankt  also  in  denselben 
Gedichten.  Ae.  butan  ist  boute  WL.  VI,  15,  aber  mit  mittlerem  u: 
böte  GL.  VI,  9,  XI,  38. 

WL.  IV,  62  ron  :  mon  :  con  ist  nicht,  wie  Böddeker  will,  von 
ae.  rün  abzuleiten,  sondern  von  gäl.  ron  =  Gesang  (cfr.  Stratm.  Dict.). 

eä. 

Ae.  ea  ist  e  geworden,  wenige  Wörter  ausgenommen:  ae.  sleän 
ist  immer  slo  WL.  III,  16,  XI,  20;  diese  Form  ist  von  einem  nörd- 
lichen ae.  slahan,  slän  abzuleiten.  —  Ae.  breäw,  brii  erscheint  wie  im 
Ae.  in  Doppelform:  WL.  V,  18  breje;  WL.  IV,  39,  VIT,  26  browe. 
Anomal  ist  in  dem  dem  nördlichen  Mittellande  zugewiesenen  Gedichte 
GL.  XVI,  28  die  Form  hawe  =  ae.  heäh,  fries.  häch ;  doch  läfst 
sich  die  Stelle  auch  anders  erklären,  Zupitza  fafst  das  Wort  =  awe, 
Furcht. 

Zuweilen  ist  ae,  eä  gekürzt  und  a  geworden,  so  in  den  kontrahierten 
Verbformen:  WL.  IV,  15  rafte  (Frät.  v.  reäfian),  WL.  X,  65  I)rat 
(Prät.  V.  preätian).  —  Auch  die  Konjunktion  ae.  peäh  ist  pah,  einmal 
GL.  IX,  45  l)ou. 

eä  ist  i  geworden  WL.  I,  5  hyht  (^=  ae.  heähdo)  :  ryht  :  miht. 
WL.  VI,  32  nyje  ist  wohl  nicht  =  ae.  neäh,  sondern  nach  Zupitza 
=  ae.  nigon  zu  fassen. 

Sehr  selten  ist  noch  die  archaistische  Schreibweise  ea  für  ae.  eä 
bewahrt:  WL.  VIII,  28  deawes  (Flur.  v.  ae.  deäw). 

eö. 

Ae.  eö  ist  e  geworden,  aber  die  archaistische  Schreibweise  eo  ist 
vielfach  bewahrt,  in  manchen  Gedichten  z.  B.  WL.  V  fast  ohne  Aus- 
nahme. Dies  beweist,  dafs  der  Diphthong  eo  länger  erhalten  blieb 
als  eä,  aber  in  keinem  Gedichte  scheint  eö  noch  den  alten  Diphthong- 
laut zu  bedeuten  :  WL.  V,  51  beo  (=  ae.  beön)  :  bleo  (==  ae.  bleö)  : 
me  (=  ae.  me)  :  seo  (=  ae.  seö).  Oft  wird  auch  ue  statt  ae.  eö  ge- 
schrieben, wie  wir  es  auch  für  ae.  eo  gefunden  haben:  GL.  XVII,  153 
luef  (=  eö)  :  puef  (=  eö). 

In  einigen  Gedichten  ist  ausnahmsweise  u  für  ae.  eö  geschrieben: 
WL.  X,  23   Iure   (=  ae.  hleör);    WL.  X,  23    lumes    (=  eö);    GL. 


der  mittclenglischeu  lyriscLen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  177 

III,  75  huld  (=  ae.  heöld,  Prilt.  v.  ae.  healdan).  Schon  im  Ae.  war 
in  einigen  Wörtern  f  neben  eö. 

Ae.  eö  ist  £  geworden  vor  ht  in  WL.  I,  3  lyht  (=  ae.  leöht).  — 
In  manchen  Wörtern  ist  eö,  besonders  vor  w,  zu  o  geworden:  trowe 
(=z  ae.  treöwian)  WL.  IX,  38,  XIII,  9;  trowe  (=  ae.  treöw,  Subst.) 
GL.  XVI,  27.  Einmal  finden  wir  sogar  —  sicherlich  durch  Einflufs 
anderer  germ.  Sprachen  —  in  einem  Gedichte  des  nördlichen  Mittel- 
landes GL.  XVI,  51  fro  (=  ae.  freö)  :  ro  (=  ae.  röw)  :  to  :  do 
(=z  döu).  —  Ae.  treöwpe  ist  treuj)e  WL.  IX,  31,  III,  28,  aber 
troupe  WL.  IX,  22.  Ähnlich  roupe  (zu  ae.  hreöw)  WL.  III,  8, 
GL.  III,  14.  Das  Pronomen  ae.  eöw  ist  ou  WL.  V,  60;  ae.  eöwer 
ist  er  WL.  VI,  17,  18.   Das  Zahlwort  ae.  feörda  ist  furpe  GL.  XIV,  43. 

2.  Konsonanten. 
a)  Liquidse. 
Die  Liquidje  bleiben  unverändert.  1  ist  ausgestofsen  in  den  Pro- 
nomen WL.I,  15  such  (=ae.  swylc);  WL.IX,42  whuch  (=:  ae.  hwylc) ; 
GL.  II,  38  uch  (^  ae.  «ghwylc).  Ae.  ealswä  ist  gewöhnlich  ase  oder  as 
WL.  I,  1,  GL.  XIV,  1,  selten  mit  1:  alse  GL.  IH,  84  oder  also 
GL.  VI,  7,  VIII,  146.  —  Das  Präs.  von  ae.  willan  wird  meist  mit  11 
geschrieben,  aber  zuweilen  auch,  wie  schon  im  Ae.,  mit  einfachem  1: 
GL.  XIII,  5  wile,  I,  27  wole.  —  Ae.  smael  erscheint  GL.  XVI,  10 
smalle  (Plur.)  :  galle  :  falle  :  alle;  diese  Form  mit  11  ist  ohne  Zweifel 
durch  Augleichung  an  die  vielen  Wörter  auf  all  entstanden.  Ganz 
ebenso  WL.  VII,  1  whalles  (Gen.  v.  ae,  hwsel).  —  Auslautendes  1 
ist  oft   abgefallen   in  ae.  lytel  und  micel  :  WL.  V,  23  muchel,    WL. 

VII,  28  muche,  GL.  X,  30  lutel,  WL.  IX,  19  lut. 

m  und  n:  ae.  mynian,  mynnan  ist  gewöhnlich  munne,  aber  GL. 

VIII,  40  myne.  Ae.  innan  ist  GL.  VIII,  190  yne.  Der  Plural  von 
ae.  sum  ist  some  GL.  I,  39,  aber  mit  doppeltem  m  somme  GL.  11,  31 ; 
ae.  pening  hat  das  Suffix  geändert  und  lautet  peny  GL.  II,  27. 

r  ist  ausgestofsen,  wie  oft  schon  im  Ae.,  in  speken  WL.  XI,  33 
{=z  ae.  sprecan,  specan).  Metathesis  des  r  ist  in  unseren  Ms.  nicht 
sehr  gebräuchlich,  z.  B.  finden  wir  stets  gras  {=  ae.  grres)  etc. 
Ae.  bryd  zeigt  gewöhnlich  keine  Metathesis:  brid  WL.  IV,  40,  X,  17, 
bryd  VII,  53,  brude  IV,  39,  aber  auch  bürde  WL.  I,  1,  IH,  36.  — 
Ae.  rinnan  ist  GL.  IX,  23  erne  :  werne  (=  ae.  wyrnan).  Das  Prät. 
von  rinnan  is-t  GL.  X,  7   ran,  IV,  39  orn. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXI.  12 


178  Über  die  Sprache  und  Metrik 

b)  Mutae. 

b  und  p  bleiben  unverändert.  Ein  p  ist  eingeschoben  in  WL. 
I,  29  nempnen  (=  ae.  nemnan),  aber  wir  finden  auch  WL.  IV,  5G 
nemnen.  —  Ae.  bb,  durch  Assimilation  aus  bj  entstanden,  wird  jetzt 
gewöhnlich  v  geschrieben:  ae.  libban  ist  live  WL.  II,  19,  XI,  10, 
GL.  I,  18;  libbe  WL.  II,  5.  Ae.  habban  ist  have  WL.  V,  56,  doch 
ist  das  bb  auch  wohl  ausgefallen:  WL.  IV,  3,  5  ha  (Präs.  Sing. 
1.  Pers.);  WL.  III,  18  han  (Präs.  Plur.). 

t  ist  eingeschoben  in  WL.  VI,  3  glistnian  (=•  ae.  glisnian). 
t  statt  tt  findet  sich  GL.  IV,  10  sete  (Präs.  Konj.  v.  ae.  settan).  Der 
Komparativ  ae.  betera  ist  WL.  XI,  28  betere,  aber  WL.  XI,  12 
bettere.  Ae.  t  ist  d  geworden,  schon  bei  Layamon,  in  prüde  {=  ae. 
pryta)  WL.  IH,  35;  proud  (=  ae.  pröt)  GL.  XVII,  80. 

Ae.  d  ist  noch  nicht  zu  J)  geworden  in  hider,  pider,  whider,  fader, 
moder,  weder.  Auslautendes  d  ist  oft  t  geschrieben,  besonders  nach  n 
und  r:  ae.  and  ist  fast  immer  ant  in  unserer  Hdschr.  Die  3.  Pers. 
Sing.  Präs.  von  ae.  standan  ist  GL.  XI,  18  stond,  XI,  19  stont.  — 
WL.  XIII,  24  hayward,  XIII,  27  haywart.  -  GL.  IX,  11  suert 
(=  ae.  sweord);  sogar  WL.  IV,  29  mot  (=  ae.  mad).  An  der  letzt- 
genannten Stelle  reimt  auch  auslautendes  t  und  d  miteinander. 

Ae.  C.  a)  Im  Anlaut  wird  statt  c  vor  e,  i  und  n  jetzt  k  ge- 
schrieben:  WL.  VI,  11  kelde  (—  ae.  cealdu);  WL.  XII,  3  kene 
(=  ae.  cene);  WL.  IV,  43  kyng  (=:  ae.  cyning);  WL.  I,  7  knyht 
(:^  ae.  cniht).  Vor  u  =  ae.  y  steht  c  oder  k,  z.  B.  GL.  XVI,  26 
künde,  WL.  I,  15  cunde  (=  ae.  cynde).  Vor  anderen  V^okalen  oder 
Konsonanten  wird  c  geschrieben,  nur  einmal  finden  wir  k  auch  vor  o: 
GL.  XVII,  8  kok  {=  ae.  cocc).  Statt  cw  schreibt  unsere  Hdsclir. 
qu :  GL.  IV,  43  quene  (=:z  ae.  cwen). 

Anlautendes  c  ist  in  einigen  Wörtern  vor  e  und  i  zum  Zischlaut  ch 
geworden:  WL.  VII,  34  chep  (=  ae.  ceäp);  GL.  XVI,  44  chees 
(=z  ae.  ceäs,  Prät.  v.  ceösan) ;  WL.  V,  34  cheke  (=ae.  ceöke);  WL. 
I,  10  chyn  (=  ae.  ein);  WL.  XHI,  34  clierl  (=  ae.  ceorl);  GL. 
IX,  38  child  (=1  ae.  cild). 

ß)  Im  Inlaut  ist  ae.  c  als  k  erhalten  (nie  c  geschrieben)  oder  ch 
geworden.  —  ch  ist  eingetreten  nach  hellen  Vokalen  oder  nach  n  oder  r, 
wenn  ein  ursprüngliches  i  (j)  folgte.  Einige  Gedichte,  die  wir  dem 
Mittellande  zugewiesen  haben,  bewahren  aber  in  diesem  Falle  den 
k-Laut :  ae.  pyncan  ist  punchen  WL.  VII,  47,  aber  punken  GL.  III,  49, 


(ier  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.   2253.  179 

pynken  GL.  X,  26  ;  —  ae.   |:)encan    ist  Jjenche    GL.  XII,  55,   WL. 

XII,  8,    XIV,  8,    aber  Renken    GL.  VIII,  57,   WL.  XII,  16,    GL. 

X,  4,  6,  11,  16,  32.  —  Ae.  wyrcan  ist  wurche  GL.  IL  49.  —  Nach 
Vokalen:  sechen  (=  ae.  secan)  WL.  I,  34,  XII,  10;  tachep  (v.  ae. 
tifecan)  GL.  VIII,  70;  riche  (=  ae.  rice)  WL.  V,  11,  GL.  XVII,  41  ; 
muchel  (=^  ae.  niicel)  WL.  V,  19,  aber  mykel  WL.  XI,   15. 

k   ist   immer  erhalten    in   like  (=  ae.  Hcian)  GL.  VIII,  86,  90, 

XI,  43  etc.;  fyke  (=  ae.  fician)  WL.  IX,  26.  —  Ae.  cc  (=  cj)  wird 
hierbei  cch :  GL.  VIII,  42,  94  recche  (:=  ae.  recan,  reccan).  WL. 
VI,  46  wycche  (=  ae.  wicca);  WL.  XIV,  21  drecchen  (=  ae. 
dreccan);  doch  ist  nur  ob  geschrieben  WL.  VI,  31  vachen  (z=  ae. 
feccan).  Sonst  ist  inlautendes  c  als  k  erhalten:  GL.  VIII,  174  make 
(v.  ae.  macian);  WL.XIII,  31  dronke  (=  ae.  druncen,  Part.).  —  c  ist 
gewöhnlich  ausgefallen  im  Prät.  und  Part.  Perf.  von  maken:  Prät.  made 
WL.IV,  14,  GL.XVn,  127;  Part,  mad  GL.  I,  1,  WL.V,  74,  GL. 

XIII,  30,  aber  ymaked  GL.  XVIII,  5.  —  Erweichung  und  Attraktion 
des  c  hat  slattgefunden :  GL.  I,  56  seint  (=  senced)  :  forwleint  (=  wlen- 
ced)  ;  WL.  XIII,  31  dreynt  (=  drenced).  Statt  kk  schreibt  die  Hdschr. 
auch  ck:  WL.  X,  14  lokkes  (Plnr.  v.  ae.  locc) ;  WL.  V,  31  lockes. 

y)  Im  Auslaut  ist  ae.  c  erhalten  als  c  oder  k:  GL.  VIII,  19 
blak  (=  ae.  blgec),  GL.  VIII,  148  blac  (=  ae.  bläc);  WL.  XI,  26 
Clerk,  XI,  33  clerc;  WL.  IV,  4  bok  (=  ae.  böc).  —  Das  Suffix 
ae.  lic  ist  ly,  zuweilen  lieh  geworden:  comely  (=  ae.  cymlik)  WL. 
IV,  65,  Vn,  27;  lefly  (=  ae.  leöflik)  WL.  V,  31,  78,  IV,  6;  aber 
leflich  WL.  X,  14,  21,  55.  —  Das  Pronomen  ae.  ic  ist  I,  y  oder  ich. 

c)  Spirantes. 

W. 

a)  Im  Anlaut  bleibt  w  unverändert.  Häufig  hat  unsere  Hdschr. 
Kontraktionen:  WL.  II,  19  ichulle  =  ich  wulle;  WL.  VIII,  23 
ichot  =  ich  wot;  WL.  X,  1 1  nuste  =r  ne  wiste;  WL.  IX,  15  nere 
=  ne  were;  WL.  VI,  4  nes  =  ne  wes ;  WL.  IV,  56  nolde  =  ne 
wolde:  WL.  XII,  10  nulle  =  ne  wolle;  WL.  III,  19  nuly  =  ne 
wolle  I,  etc. 

ß)  Im  Inlaut  ist  w  erhalten  zwischen  Vokalen:  GL.  I,  74  blowe 
(=  ae.  bläwan).  Nach  Konsonanten  wird  auch  u  statt  w  geschrieben: 
GL.  VI,  15  duelle  (=  ae.  dwellan).  GL.  IX,  11  suert;  GL.  VUI,  1 
siiete  etc.     In  einigen  Wörtern  ist  w  dem  folgenden  Vokal  assimiliert: 

12* 


180  Über  die  Sprache  und  Metrik 

WL.  I,  15  such  (=  ae.  swylc);  GL.  I,  12  sotel  (==  ae.  sweotol); 
ae.  swa  ist  so  WL.  I,  1,  GL.  I,  38  etc.,  einmal  GL.  III,  50  svvo. 
\v  ist  ausgefallen  in  V\'L.  VI,  4  gere  (=  ae.  geaiwe).  Vor  Konso- 
nanten wird  w  stets  vokalisiert:  GL.  I,  25  soule  (=  ae.  säwle);  GL. 
III,  02  sleuj>e  (=  ae.  sIecwcI). 

j')  Im  Auslaut  ist  w  abgefallen:  WL.  VI,  30  ro  (:=  ae.  röw). 
Ist  es  nicht  abgefallen,  so  wird  es  w  oder  u  geschrieben:  WL.  II,  13 
heu  (=  ae.  heöw);  GL.  VIII,  111  deu  (=  ae.  deäw);  der  Imperativ 
von  ae.  bläwan  ist  WL.  X,  3  blovv,  X,  4  blou.  Dabei  ist  ou  im  all- 
gemeinen als  Diphthong  zu  betrachten  (öu),  doch  findet  sich  auch  der 
Reim  GL.  XVI,  25  bowe  (=  ae.  bügan,  Inf.)  :  trowe  (=  ae.  treöw, 
Subst.)  :  gyw  :  now  (=  ae.  nu).  Dieser  Reim  beweist,  dafs  ow  in 
bow(e),  trow(e)  nicht  immer  den  diphthongischen  Laut  hat,  wie  Bödd. 
p.  8  behauptet,  sondern  zuweilen  monophthongisch  geworden  ist. 

f. 

«)  Im  Anlaut  schreibt  unsere  Hdschr.  manchmal  v  statt  f.  Diese 
dialektische  Eigentümlichkeit  ist  dem  Süden  eigen:  WL.  XIII,  4  valle 
(r=  ae.  feallan);  GL.  XVII,  9  vede  {=  ae.  fedan);  GL.  XVI,  7  vol 
{=  ae.  ful);  GL.  XVI,  27  vo  (=  ae.  fäh) ;  WL.  VI,  31  vachen 
(=  ae.  feccan).  Diese  Formen  müssen  zum  Teil  vom  Schreiber  her- 
rühren, denn  sie  stehen  auch  in  Gedichten,  die  sicher  nicht  dem  süd- 
lichen Dialekte  angehören.  Zuweilen  wird  im  Anlaut  ff"  statt  f  ge- 
schrieben:  WL.  XIII,  11  ffor,  I,  27  ffrom,  GL.  III,  7  ffbl. 

ß)  Im  Auslaut  ist  f  erhalten:  WL.  VII,  11  wyf  (=  ae.  wif); 
WL.  I,  18  seif  (=  ae.  seolf). 

y)  Im  Inlaut  bleibt  f  vor  Konsonanten,  Liquid«  ausgenommen, 
z.  B.  W  L.  IV,  7  ofte.  Vor  oder  nach  Liquidae  und  zwischen  Vokalen 
wird  es  jetzt  v  geschrieben,  und  so  wird  es  schon  im  Ae.  gesprochen 
sein:  GL.  II,  46  ever  (=  ae.  ajfre);  WL.  VI,  46  never  (=  ae.  nifefre); 
WL.  I,  2  selver  (=  ae.  seolfer);  WL.  V,  41  evene  (=  ae.  efen) ; 
GL.  X,  37  leve  (j=^  ae.  l^fan).  —  ZuAveilen  fallt  dies  v  zwischen 
Vokalen  weg:  GL.  lU,  1  loverd  (=  ae.  hläford),  aber  XVII,  122 
lord;  GL.  XII,  5  levedy  (=  ae.  hltefdige),  aber  XII,  17  ledy ;  GL. 
VIT,  15  heved  (=  ae.  heäfod)  :  bileved  (Part.),  aber  WL.  V,  13 
hed;  WL.  VI,  46  never  (=  ae.  nsefre),  GL.  XIII,  19  ner;  wir  finden 
sogar  WL.  Xin,  34  del  (=  ae.  deöfol). 

f  ist  vor  Konsonanten  ausgefallen  in  GL.  VIII,  133  frorep  (von 


der  miltelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  181 

ae.  fröfrian).  —  f  ist  dem  folgenden  Konsonanten  assimiliert  in  ae.  wif- 
man,  welches  jetzt  wymmon  WL.  III,  34  oder  wonimon  WL.  III,  37 
ist;  die  Form  wynmon  GL.  XIV,  25  wird  nur  ein  Schreibfehler  sein. 
Ebenso  in  GL.  VII,  33  lemmon  (=  ae.  leöfman). 

S. 
Ae.   s   bleibt   unverändert,     sc   ist   sh    geworden:    WL.  XI,    11 
shame   (=  ae.  sceamu),    GL.  XIII,  8   shilde   (=    ae.   scildan) ;    GL. 

XVII,  33  shryve  (=  ae.  scrifan).  sc  ist  geblieben  in  GL.  XII,  1 
skrinkej)  (Präs.  v.  ae.  scrincan). 

Statt  sh  schreibt  die  Hdschr.  selten  seh:  WL.  XIII,  32  schule; 
aber  im  Inlaut  manchmal  ssh  :  GL.  VIII,  72,  IX,  20  wosshe,  VIII,  76 
fleysshlicbe ;  und  sogar  shsh  GL.  I,  30  fleishshes. 

Ae.  ])  ist  ausgefallen  in  WL.  IX,  10  worly  {=  ae.  weorplic), 
dasselbe  wird  auch  werbliche  WL.  X,  9,  42  geschrieben.  —  Aus- 
nahmsweise ist  {)  ausgefallen  in  wher  (=  ae.  hwaepere)  WL.  XIII, 
13,  18.  —  Im  Auslaut  ist  J)  zu  t  geworden  in  WL.  I.  5  hiht  (=  ae. 
heähdo).  —  Ae.  deäji  erscheint  als  dej)  oder  ded.  Es  ist  unwahr- 
scheinlich, dafs  diese  beiden  Formen  in  demselben  Dialekte  nebenein- 
ander bestanden,  und  daher  sind  sie  bezüglich  des  Dialekts  der  Ge- 
dichte von  Wichtigkeit.      Es  findet  sich  dej)  im  Reim  GL.  XVII,  47, 

XVIII,  23,  aber  ded  IX,  17,  21,  X,  11,  28,  35.  Im  Inneren  der 
Verse  kommt  deJ)  häufig  vor:  WL.  V,  24,  29,  XI,  20,  GL.  XVII.  32, 
auch  GL.  IX,  8,  obgleich  in  GL.  IX  die  Form  ded  durch  den  Reim 
gesichert  ist.  Aufser  in  GL.  IX  und  X  kommt  die  Form  ded  nur 
noch  GL.  XII,  6  vor  neben  deJ)  XII,  25.  —  GL.  XII  gehört  dem 
östlichen  Mittellande  (Petersborough)  an.  Die  Form  ded  findet  sich 
z.  B.  auch  im  Havel,   v.  1687  und  Tristr.  v.  2597. 

Ae.  {)  wird  fast  immer  durch  das  Zeichen  J)  dargestellt ;  im  Inlaut 
und  Auslaut  schreibt  unsere  Hdschr.  zuweilen  th,  auch  ht  und  hji : 
GL.  VIII,  53  soth  (=  ae.  s6{)),  WL.  XI,  24  mythe  (=  ae.  mil^an) ; 
WL.  VI,  1  friht  (=  ae.  frilj);  GL.  XVIII,  18  oht  (=  ae.  ö|)). 

s- 

Ae.  g  wird  jetzt  j  geschrieben,  wo  es  die  Spirans,  g,  wo  es 
die  Media  bedeutet. 


182  Über  die  Sprache  und  Metrik 

ß)  Anlautendes  ae.  g  ist  jetzt  immer  Media  vor  einem  Konsonanten 
und  meistens  vor  einem  Vokale:  GL.  IX,  11  ground  (=  ae.  grund) ; 
WL.  I,  16  glad  (=  ae.  glaed);   WL.  V,  61  gold   (=  ae.  gold) ;  WL. 

III,  40  gest  (=  ae.  gaest).  Es  ist  Spirans  in  folgenden  Wörtern:  WL. 
VII,  36  geep  (=  ae.  geäp);  W^L.  VI,  6  jef  (=  ae.  gif);  GL.  VIH,  27 
jelden  (=  ae.  gildan) ;  WL.  XII,  5  Jer  (=  ae.  geär,  got.  jer) ;  auch 
in  allen  Formen  von  jeven  (=  ae.  gifan). 

Das  Präfix  ae.  ge  ist  y  geworden:  WL.  II.  13  ynoh,  GL.  I,  67 
ycoren  etc.  —  Das  Prät.  von  ginnen  ist  gewöhnlich  mit  c  statt  g  ge- 
schrieben, wenn  es  zur  Umschreibung  eines  Verbs  dient:  WL.  IV,  60, 
VI,  1  con  (Sing.);  GL.  XVIII,  28  conne  (Plural);  doch  auch  GL. 
II,  60  gönne. 

ß)  Im  Auslaut  ist  g  erhalten  nach  einem  Konsonanten:  GL.  VII,  43 
among,  VIII,   14  strong.     Nach   einem  Vokal   ist  es  vokalisiert:  GL. 

IV,  6  day  {=  ar.  da;g);  GL.  XIII,  4  wey  (=  weg);  WL.  XHI,  26 
sty  (:=  ae.  slig) ;  doch  GL.  VIII,  73  drah  (=  Imperativ  v.  dragan). 
Das  Suffix  ig  ist  y  geworden:  GL.  XVI,  3  mony;  WL.  IV,  56  niihti. 

y)  Im  Inlaut  ist  g  vokalisiert  vor  einem  Konsonanten  :  GL.  VII.  14 
nayles  (Plur.  v.  ae.  ngegl)  ;  GL.  XII,  50  maiden  (=r  ae.  mgegden); 
GL.  III,  76  a^eyn  (=  ae.  ongegn).  —  g  ist  auch  erweicht  in  WL. 
n,  3  foul  (=r  ae.  fugel) ;  WL.  IV,  37  untoun  (=  untogen).  —  Ferner 
wird  g  vokalisiert  und  attrahiert,  wenn  es  durch  ein  n  vom  vorher- 
gehenden Vokal  getrennt  ist:  GL.  IV,  7  streinj)e  (=  ae.  strengdu); 
GL.  I,  58  meind  (=  ae.  menged)  :  seint  (=r  ae.  senced)  :  forwleynt 
(=  ae.  wlenced)  :  feynt  (frz.).  —  g  ist  ausgefallen  und  kein  Diphthong 
eingetreten  in  WL.  V,  33  breden  (j=z  ae.  bregdan) ;  WL.  VHI,  1 
lenten  (=  ae.  lengten). 

Nach  Konsonanten  ist  g  zu  w  geworden :  GL.  XI,  2  sorewe 
(=  ae.  sorg);  GL.  III,  48  folewej)  (v.  ae.  folgian). 

Zwischen  Vokalen  stehend  ist  ae.  g  zu  w  geworden  nach  einem 
tiefen  Vokal:  GL.  XVI,  26  drawe  (=  ae.  dragan);  GL.  XVn,  1 
|)rowe  (=  ae.  I)rag) ;  GL.  I,  20  howep  (v.  ae.  hogian).  Nur  einmal 
finden  wir  ^  nach  einem  tiefen  Vokal  geschrieben:  GL.  VIII,  139  loje 
(=  anord.  lagr),  das  sonst  stets  in  der  Form  lowe  erscheint. 

Das  g  ist  ganz  geschwunden  in  GL.  XVI,  25  bowe  (=i:  ae. 
bugan)  :  now  {=  ae.  nü).  —  Einige  Doppelformen :  WL.  IX,  2  plawe 
(=  ae.  plega),  aber  GL.  I,  14,  XIV,  2  play;  WL.  XIH,  36  lawe 
(=  ae.  lagu);  GL.  I,  18  lay. 


der  mittelenglischen  Ivrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  183 

Nach  einem  hellen  Vokale  wh'd  jetzt  j  geschrieben :  GL.  IV,  20 
e^e  (;^  ae.  eäge) ;  GL.  XVII,  117  dre^e  (=  ae,  dreögan).  Nach  i 
ist  CS  vokalisiert :  GL.  III,  45  wrief)  (v.  ae.  wrigian) ;  GL.  XII,  47, 
WL.  XIII,  35  hye  (=  ae.  higian).  Zuweilen  ist  g  auch  einem  vor- 
hergehenden e  assimiliert,  welches  in  diesem  Falle  zu  i  geworden  ist: 
GL.  XVII,  117  dreje  (=  ae.  dreögan)  :  lye  (=  ae.  leögan).  Böddeker 
setzt  hier  mit  Unrecht  dreje  :  leje  in  seinen  Text  ein ;  das  Original 
wird  den  Reim  drye  :  lye  gehabt  haben,  denn  auch  die  Version  des 
Ms.  Digby  86,  ed.  v.  Varnhagen  in  Anglia  III,  p.  64,  v.  123  liest 
drie  :  lie,  und  die  Version  des  Ms.  Laud  108,  ed.  v.  Horstraann  in 
Herrigs  Archiv  Bd.  LH,  p.  34,  hat  drije  :  lye.  —  GL.  VII,  25  dreje 
(=  ae.  dreögan)  :  Marie;  hier  eifordert  der  Reim  wieder  die  Form 
drye,  die  aber,  wie  wir  sehen,  dem  Schreiber  nicht  zusagte,  dessen 
Dialekte  die  Vokalisation  des  j  widerstrebte.  Auch  andere  Gedichte 
als  GL.  VII  und  XVII  werden  zur  Vokalisation  des  §  geneigt  haben, 
wie  sich  darin  zu  zeigen  scheint,  dafs  zuweilen  eyj  statt  ej  geschrieben 
ist:  WL.  V,  15  se^e  :  breje  :  heje  :  drey^e.     WL.  V,  16  eyje. 

Ae.  cg  wird  jetzt  gg  geschrieben,  aber  neben  buggen  (=:  ae.  bycgan) 
finden  wir  auch  beyen  GL.  IX,  14.  —  Ae.  secgan  ist  seggen  oder 
suggen,  aber  gewöhnlich  sayen.  Letztere  Form  ist  von  einem  *sagian 
abzuleiten  und  kommt  im  Reim  vor  GL.  I,  12,  III,  10.  —  Ae.  licgan 
ist  lyggen  GL.  I,  70,  aber  WL.  V,  83  le^e,  wohl  konfundiert  mit  ae. 
lecgan;  GL.  XVII,  18  lye  (Präs.  Konj.)  im  Reim;  GL.  XVII,  69  ly 
(Präs.  Konj.);  WL.  IX,  44  ligth  (Präs.  Sing.);  GL.  X,  22  li|). 

h. 

a)  Anlautendes  ae.  h  ist  vor  Konsonanten  abgefallen :  WL.  V,  78 
lere  (=  ae.  hleör).  GL.  XVII,  11  rüg  (=  ae.  hrycg).  —  Ae.  hw 
aber  ist  wh  geworden:  GL.  III,  54  while  (=  ac.  hwil);  WL.  V,  40 
whal  (:=  ae.  hwasl).  Zuweilen  schreibt  die  Hdschr.  nur  w:  WL. 
Xin,  7  wen,  XIV,  14  wo;  GL.  XVII,  18  wet. 

Vor  Vokalen  ist  li  erhalten,  aber  ae,  hit  ist  hit  oder  it.  Ebenso  findet 
sich  ae.  bis  als  is  GL.  XVU,  10,  11,  22,  86,  X,  8,  WL.  IX,  27.  Zu- 
weilen findet  sich  auch  unorganisches  h  im  Anlaut:  WL.IV,  69,  XIV,  24 
hajiei  (=:  ue.  a^Jjele);  WL.VII,  25  heje  (=  eje) ;  GL.  XIII,  1 5  her  (=  ever). 

Die  Hdschr.  zeigt  Kontraktionen  wie  beim  anlautenden  w:  WL. 
II,  9  ichabbe  (—  ich  habbe);  GL.  XVU,  64  icholde  {=  ich  holde); 
WL.  VI,  10  navy  (=:  ne  have  y). 


184  Über  die  Sprache  und  Metrik  etc. 

ß)  Im  Auslaut  ist  h  gewöhnlich  erhalten:  GL.  11,  13  neh  (r=  ae. 
nndh);  GL.  I,  9  pah  (=  ae.  peäh);  WL.  II,  15  loh  (=  ae.  hloh, 
Prät.  V.  lilihan).  —  Es  ist  abgefallen:  GL.  II,  50  roo  (:=  ae.  räh); 
GL.  XVn,  73  fo  (=  ae.  fäh);  ae.  feoh  ist  GL.  III,  32  feh  :  heh, 
aber  XVII,  102  fee  :  pe  (=  ae.  pe). 

y)  Im  Inlaut  ist  h  noch  bewahrt  vor  t:  WL.  IX,  39  tahte  (Prät. 
V.  t^can);  GL.  VIII,  95  oht  (=  ae.  äwiht,  dht).  h  ist  verschwunden 
nur  in  nout  (=  ae.  näwiht)  GL.  VII,  16,  aber  die  gewöhnliche  Form 
ist  noch  noht. 

h  ist  ausgefallen  vor  st  in  den  kontrahierten  Superlativen  :  GL. 
IV,  48  nest  (=  ae.  neähost)  :  west;  GL.  III,  20,  WL.  X,  38  beste 
(=:  ae.  heähost)  :  beste;  auch  in  WL.  XII,  7  ner  (Kompar.  v.  ae. 
neäh);  GL.  I,  58  murpe  {=  ae.  myrhpe).  —  Die  Form  lyt  WL.  IV,  6  : 
wyt  :  byt  :  syt  ist  nicht  mit  Böddeker  von  ae.  liht,  sondern  von  anord. 
litr  abzuleiten  (cfr.  Stratmann,  Dict.) ;  daher  ist  auch  WL.  V,  78  die 
Form  lit  im  Text  zu  belassen,  wofür  Böddeker  liht  eingesetzt  hat. 

Zwischen  Vokalen  ist  ae.  h  zu  j  geworden:  GL.  VIII,  138  heje 
(=  ae.  heäh);  etc.  —  Wie  vor  j  =  ae.  g  finden  wir  auch  vor  j  = 
ae.  h  wohl  cy  statt  e:  GL.  XI,  34  hey^e  (^  he^e,  ae.  heäh). 

(Schlufs  folgt.) 


Die  Wortstellung 
im   altfranzösischen   direkten   Fragesatze. 


Wer  sich  die  Aufgabe  stellte,  die  altfranzösische  Wortstellung  im  Zu- 
sammenhange zu  behandeln,  würde  in  einer  ganzen  Reihe  von  Arbeiten 
über  die  Wortfolge  in  einzelnen  Perioden  oder  Denkmälern  des  Alt- 
französischen  bereits  eine  reichliche  Vorarbeit  finden.  Den  Reigen  er- 
öffnete Le  Coultre  nu't  seiner  Abhandlung  „De  l'ordre  des  mots  dans 
Crestien  de  Troyes"  (Dresden  1875);  dann  folgten  Krüger:  „Über  die 
Wortstellung  in  der  französischen  Prosalitteratur  des  13.  Jahrhunderts" 
(Berlin  1876),  Morf:  „Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  Rolands- 
liede"  (in  Böhmers  Stud.  III),  Marx:  „Über  die  Wortstellung  bei 
Joinville"  (in  den  Franz.  Stud.  I),  Schlickum :  „Die  Wortstellung  in 
der  altfranzösischen  Dichtung  Aucassin  und  Nicolete  (Franz.  Stud.  III) 
und  Völcker:  „Die  Wortstellung  in  den  ältesten  französischen  Sprach- 
denkmälern" (Franz.  Stud.  III).  Auch  Ehering  widmet  in  seinen 
„Syntaktischen  Studien  zu  Froissart"  (Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  V)  der 
Betrachtung  der  Wortstellung  einen  längeren  Abschnitt.  Vor  Le  Coultre 
hatten  natürlich  schon  Diez  und  Mätzner  den  Grundstein  gelegt;  an 
dieser  Stelle  dürfen  endlich  auch  Toblers  wichtige  Recensionen  der 
Arbeiten  von  Le  Coultre  (Gott.  gel.  Anz.  1875,  Stück  34)  und  Morf 
(Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  III,  144  AT.)  nicht  unerwähnt  bleiben.  —  Es 
könnte  fraglich  scheinen,  ob  es  geraten  sei,  dieser  vielleicht  schon  zu 
langen  Reihe  von  Vorarbeiten  noch  eine  weitere  hinzuzufügen,  die  sich 
zwar  dadurch  von  den  übrigen  unterscheidet,  dafs  sie  für  die  ganze 
altfranzösische  Zeit  Gültiges  aufzustellen  versucht,  andererseits  aber 
doch  wiederum  wie  jene  sich  auf  die  Erforschung  eines  engeren  Ge- 
bietes, der  Wortfolge  in  direkten  Fragesätzen,  beschränkt.  Zur  Recht- 
fertigung diene  der  Hinweis  auf  die  Thatsache,  dafs  gerade  die  im  fol- 
genden  betrachtete   Gattung   von  Sätzen   trotz   der  zahlreichen  Unter- 


186  Die  Wortstellung  im  altfiaiizosischcn  direkten  Frngesalze. 

siicluingeii  in  ausreichender  und  beiechtigten  Anforderungen  genügender 
Weise  nicht  behandelt  worden  ist,  sei  es,  dafs  ihr  nicht  immer  die  ge- 
bührende Beachtung  zu  teil  wurde,  sei  es,  dafs  die  geprüfte  Litteratur 
zu  wenig  Material  bot.  Im  weiteren  bedarf  es  kaum  der  Erwähnung, 
dafs  ein  Verständnis  der  sich  für  den  Fragesalz  bietenden  Ersclieinungen 
ohne  Rücksichtnahme  auf  den  asserierenden  Satz  nicht  möglich,  daher 
die  reifliche  Erwägung  der  für  den  letzteren  gewonnenen  Resultate  von 
vornherein  geboten  war. 

Morf  hat  zuerst  den  Unterschied  zwischen  metrisch  freien  und 
metrisch  unfreien  Beispielen  aufgestellt,  und  Tobler^  Mahnung,  „sich  zu 
der  Annahme,  dafs  das  Metrum  den  Dichter  zu  sprachwidriger  Wort- 
stellung veranlasse,  nur  da  zwingen  zu  lassen,  wo  gar  kein  anderer 
Ausweg  bleibt"  (Zeitschr.  III,  144)  hat  Völcker  und  Schlickum  nicht 
abgehalten,  seinem  Beispiele  zu  folgen.  Eine  nähere  Vergleichung  des 
in  den  einzelnen  Arbeiten  Ermittelten  beweist  deutlich  genug,  wie  be- 
rechtigt jene  Mahnung  war;  entscheidend  ist  besonders  auch,  dafs 
Schlickum,  dessen  Untersuchung  gerade  von  diesem  Standpunkte  all- 
gemeineres Interesse  beansprucht,  nicht  vermocht  hat,  irgend  mehr  zu 
beweisen,  als  dafs  die  oder  jene  Stellung  in  den  poetischen  Abschnitten 
seines  Denkmals  eine  gröfsere  Anzahl  von  Belegen  aufzuweisen  habe 
als  in  den  prosaischen,  wohin  schon  Tobler  in  der  Recension  der  Morf- 
schen  Abhandlung  den  Einflufs  des  Metrums  präcisiert  hatte.  Freilich 
zieht  Schlickum  nicht  selbst  dieses  Facit  aus  seinen  Beobachtungen; 
doch  ist  er  den  Beweis  für  die  im  Eingange  derselben  aufgestellte  Be- 
hauptung, dafs  das  Metrum  zu  einer  von  der  normalen  abweichenden 
Wortfolge  veranlasse,  schuldig  geblieben. 

In  der  vorliegenden  Untersuchung  ist  ein  Unterschied  zwischen 
metrisch  freien  und  metrisch  unfreien  Beispielen  nicht  gemacht  worden. 

Bei  der  Auswahl  der  Texte  mufste  das  Hauptaugenmerk  auf  die 
dramatische  Litteratur  gerichtet  werden;  so  sind  denn  besonders  benutzt: 

Mystere  d'Adam  (Ad.),  ed.  Luzarche,  Tours  1854,  Theätre  fran- 
(jais  au  moyen-äge  (Th.  fr.),  publ.  p.  Monmerque  et  Michel,  Paris  1842, 
Miracles  de  Notre  Dame  par  personnages,  publ.  par  G.  Paris  et 
U.  Robert  (M.),  Paris  1877  —  1881. 

Ferner:  K.  Bartsch,  allfranzösische  Chrestomathie,  3.  Auflage, 
Leipzig  1875  (B.  Chr.),  P.  Meyer,  Recneil  d'anciens  textes  (M.  Rec), 
Paris  1874  —  77.  Fabliaux  des  XIII«  et  XIV"  siecles,  p.  p.  A.  de 
Montaiglon  et  Raynaud  (Fabl.),  Paris  1872—80. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  187 

Die  Werke  Chrestiens  von  Troyes:  li  Romans  dou  Chevalier  au 
lyon  (Ch.  lyon),  ed.  Holland,  2.  Aufl.,  Hannover  1880;  11  Romans 
dou  Chevalier  de  la  Charrette,  ed.  Jonckbloet  (Roman  von  Lancelot 
Bd.  IJ),  Gravenhage  1849  (R.  Cham);  Perceval  le  Gallois  p.  p.  Potvin 
(Perc),  Mons  1865 — 72;  Erec  und  Enide,  hrsg.  von  Bekker  in  Haupts 
Zeitschr.  Bd.  X  (Erec). 

Auch  die  von  Jonckbloet  a.  a.  O.  publizierten  Prosastücke  (J.)j 
sowie  den  von  Potvin  im  ersten  Bande  herausgegebenen  Prosaroman 
(Pr.  P.)  habe  ich  benutzt.  Ferner  Li  Chevaliers  as  devs  espees,  hrsg. 
von  VV.  Förstei",  Halle  1877  (Cl).  II  esp.),  li  Romans  de  Cleomades 
par  Adenet  le  Roi,  ed.  van  Hasselt  (Cleom.),  Bruxelles  1865 — 66. 

Von  Übersetzungen  habe  ich,  wenn  auch  natürlich  nur  mit  Vor- 
sicht, die  Quatre  Hvres  des  rois,  ed.  Le  Roux  de  Lincy  (L.  Rois), 
Paris  1841,  bisweilen  herangezogen. 

Bemerkt  sei  schliefslich  noch,  dafs  ich  mit  Imme  („Die  Fragesätze 
nach  psychologischen  Gesichtspunkten  eingeteilt  und  erläutert",  Pro- 
graramabhandlungen  des  Königl.  Gymnasiums  zu  Cleve  für  1879  und 
1881)  die  Fragen,  welche  äufserlich  durch  das  an  der  Spitze  stehende 
Fragewort  kenntlich  sind,  Bestimmungsfragen  nenne  (vergl.  Imme  I, 
15  — 18).  Der  Bezeichnung  „Bestätigungsfragen",  die  im  folgenden 
für  Fragen,  die  „ja"'  oder  „nein"  zur  Antwort  verlangen,  zur  Ver- 
wendung gekommen  ist,  hat  sieh  vor  Imme  schon  Delbrück  im  „Ge- 
brauch des  Konjunktivs  und  Optativs  im  Sanskrit  und  Griechischen" 
bedient. 

I.   Frage-  und  Aussageform  im  altfranzösischen 
Hauptsatz. 

§  1.  Sämtliche  romanischen  Sprachen  unterscheiden  die  Frage 
von  der  Aussage  durch  die  Wortstellung,  und  zwar  ist  Regel,  dafs  die 
erstere  mit  dem  Verbum  anhebt ;  vor  diesem  haben  nur  die  interroga- 
tiven Pronomina  und  Adverbia  ihren  Platz  (Diez  III,  317  f.,  320). 
Henri  Weil  in  der  Abhandlung  „De  l'ordre  des  mots  dans  les  langues 
anciennes  comparees  aux  langues  modernes"  erklärt  dies  Phänomen 
p.  62  f.  durch  den  Hinweis  darauf,  dafs  die  Frage,  die  nicht  der  Aus- 
druck eines  Urteils  sei,  sondern  erst  durch  die  Antwort  zu  einem 
solchen  vervollständigt  werde,  auch  nicht  die  Form  eines  Urteils  an- 
nehmen dürfej    d.  h.  das  Verbum  dürfe   nicht  in   der  Mitte   des  Satzes 


1H8  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

entrc  les  idees  du  sujet  et  de  Caitribut  stehen.  Vielmehr  trete  dasselbe 
an  die  Spitze,  um  anzuzeigen,  dafs  der  Satz  nur  die  Hälfte  eines 
Urteils  enthalte.  Mit  dieser  Erklärung  kann  man  sich  nicht  wohl  zu- 
frieden geben.  Man  sieht  nicht  ein,  weshalb  das  Verbum,  wenn  es 
nur  darauf  ankommt,  die  Stelle  in  der  Mitte  des  Satzes  zu  vermeiden, 
nicht  mit  demselben  Erfolge  an  das  Ende  wie  an  die  Spitze  treten 
könnte.  Auch  ist  es  unbegründet,  zu  sagen,  der  Fragesatz  enthalte 
nur  die  Hälfte  eines  Urteils:  er  enthält  weder  ein  halbes  noch  ein 
ganzes  Urteil. 

Le  Coultre  (de  l'ordre  des  mots  dans  Crestien  de  Troyes)  sieht 
seinerseits  p.  25  in  dem  Vorantreten  des  Verbums  die  Regel  der 
pathetischen  Wortstellung  beobachtet,  da  der  Fragende  in  der  That 
nichts  Eiligeres  zu  thun  habe,  als  den  Gedanken  auszudrücken,  auf 
den  sich  sein  Zweifeln  beziehe.*  Offenbar  will  Le  Coultre  unter  Videe 
Videe  du  verbe  verstanden  wissen  ;  er  nimmt  also  an,  der  Zweifel  des 
Fragenden  erstrecke  sich  nur  auf  das  Verbum,  während  es  doch  in 
Bestätigungsfragen  (und  nur  von  diesen  spricht  Le  Coultre)  die  Richtig- 
keit der  Verbindung  eines  bestimmten  Subjekts  mit  einem  bestimmten 
Prädikat  ist,  über  die  der  Fragende  im  ungewissen  ist.  Neben  diesem 
Irrtum  macht  Le  Coultre  die  durchaus  unbegründete  Annahme,  der 
Fragesatz  zeige  die  pathetische  Wortstellung. 

Wenn  somit' nach  meiner  Ansicht  keine  der  beiden  Erklärungen 
für  ausreichend  erachtet  werden  kann,  so  mufs  man  doch  zugeben,  dafs 
Weil  auf  den  richtigen  Ausgangspunkt  hingeAviesen  hat.  Freilich  nimmt 
auch  Le  Coultre  Weils  zutreffende  Bemerkung  auf,  dafs  die  Frage,  da 
sie  kein  Urteil  zum  Ausdruck  bringe,  nicht  die  Form  eines  solchen 
zeigen  dürfe;  aber  man  sieht,  dafs  seine  Theorie  dieser  Voraussetzung 
nicht  bedarf.  Es  kommt  demnach,  sofern  man  es  überhaupt  unternehmen 
darf,  eine  Erklärung  eines  so  allgemeinen  Gesetzes  wie  des  vorliegen- 
den an  der  Hand  der  sich  in  einer  einzelnen  Sprache  bietenden  Erschei- 
nungen zu  versuchen,  in  erster  Linie  darauf  an,  festzustellen,  welches 
die  Form  des  altfranzösischen  Aussagesatzes  war. 

§  2.  Obgleich  schon  in  der  alten  Sprache  die  Neigung  vor- 
herrschte, dem  Subjekt  die  erste  Stelle  im  Satze  einzuräumen,  ist  doch 
die  Inversion  desselben  noch  «ine  überaus  häufig  auftretende  Erschei- 
nung.    So   zeigen   von    den    Hauptsätzen    mit   nominalem    oder   ausge- 


*  Que  cl'exprimer  l'idee  sur  laquelle  porte  son  deute  (Le  Coultre  a.  a.  O.). 


Die  Wortstellung  im  ult  französischen  direkten  Fragesatze.  189 

setztem  pronominalem  Subjekt  Inversion  des  letzteren  im  Alexius 
47Proz.,  im  Fragment  von  Gormond  und  Isembard  44  Proz.  (Völcker 
p.  9),  im  Rülandsliede  43  Proz.  (Morf  p.  205),    bei  Crestien  33  Proz. 

§  3.  Die  Fälle  nun,  in  denen  im  uneingeleiteten  Vordersatze 
Inversion  des  Subjekts  eintritt,  hat  Tobler  in  der  Recension  der  Morf- 
schen  Arbeit  (Zeitschrift  III,  144)  darauf  zurückgeführt,  dafs  das  Sub- 
jekt entweder  das  Hauptgew^icht  der  Aussage  trägt  oder  nachträgliche 
Erläuterung  zum  Verbum  ist.  Es  werden  sich  kaum  Belege  auch  bei 
anderen  Verben  als  denen  des  Sagens  (bei  welchen  die  Inversion 
geradezu  die  regelmäfsige  Stellung  ist)  finden,  auf  die  diese  Erklärung 
nicht  anwendbar  wäre.  Wenigstens  lassen  sich  die  von  Morf  und 
Völcker  als  Ausnahmen  angeführten  oder  anders  erklärten  Stellen  mit 
ihrer  Hilfe  ohne  Mühe  verstehen.  Freilich  wird  man  zuweilen  schwanken 
können,  ob  das  Subjekt  der  Kern  der  Aussage  oder  nachträgliche  Er- 
läuterung zum  Verbum  sei,  und  nicht  immer  wird  der  Zusammenhang 
das  Richtige  lehren.  Man  darf  indes  sicher  annehmen,  dafs  der  lebendige 
Vortrag  jeden  Zweifel  ausschlofs:  ist  das  Subjekt  nachträgliche  Er- 
läuterung zum  Verbum,  so  wird  der  Redende  eine  wenn  auch  noch  so 
kurze  Pause  hinter  dem  letzteren  eintreten  lassen, 

Völcker  (p.  10  f.)  wendet  nun  die  erwähnte  Erklärung  nur  auf 
den  Fall  an,  dafs  das  Prädikat  ein  verbum  dicendi  ist.  Von  den  p.  11  ge- 
gebenen Belegen,  die  nach  Völcker  infolge  metrischen  Einflusses  bei  verbis 
dicendi  nicht  Inversion  des  Subjekts  zeigen,  ist  zu  streichen  Pass.  34  c, 
Dafs  das  Metrum  keinen  Einflufs  hatte,  geht  daraus  hervor,  dafs  der  Vers 
durch  die  Stellung  resjiondent  li  ü  tuit  aduii  nicht  gestört  worden  wäre; 
eine  Ausnahme  liegt  aber  gar  nicht  vor,  da,  wie  Morf  p.  207  lehrt, 
sich  unter  der  grofsen  Zahl  von  Beispielen  für  unbedingte  Inversion 
im  Rolandsliede  nie  die  Inversion  eines  pronomen  personale  findet. 
Aber  auch  bei  nominalem  Subjekt  wäre  in  dem  Eintreten  der  regel- 
niäfsigen  Wortstellung  bei  einem  verbum  dicendi  so  wenig  eine  Aus- 
nahme zu  sehen,  wie  Ch.  Rol,  2006:  Rollanz  respunt  (Tobler  a.  a.  0.) 
und  Passion  46  b:  Tuit  li  fellon  evident  adtin,  bei  welcher  letzteren 
Stelle  Völcker  ebenfalls  metrischen  Einflufs  annimmt.  Ob  Völcker  das- 
selbe auch  für  Leodegar  16a:  il  cio  li  dist  et  adunat  und  AI.  105  a: 
CiL  an  respondent  gut  l'ampirie  bailissent  thut,  wird  nicht  recht  ersicht- 
lich;  jedenfalls  zeigen  beide  Belege  die  regelrechte  Stellung.  Gor- 
mond 239:  Hugelins  dist  une  noiivelle  soll  das  Objekt  Inversion  ver- 
hütet  haben j    was    wieder   nicht   zu    erweisen    ist.     Freilich    lehrt  Morf 


11)0  Die  Wortstpllimg  im  altfranzösischeii  direkten  Fragesatze. 

p.  206,  dafs  im  Rolandsliede  unbedingte  Inversion  in  Sätzen  mit  transi-  ^ 
tivem  Verbum  nur  dann  eintrete,  wenn  ein  Objekt  gar  nicht  oder  durch 
einen  voU.^tändigen  Satz  ausgedrückt  sei.  Aber  deshalb  scheint  man 
mir  (abgesehen  davon,  dafs  die  Allgemeingültigkeit  der  Morfschen  Be- 
merkung noch  aufzuzeigen  ist)  noch  kein  Recht  zu  haben,  dem  Objekte 
Inversion  verhindernde  Kraft  zu  vindizieren,  wenn  ohne  dasselbe  die 
regelmiifsige  Wortstellung  gleich  gut  hätte  Platz  greifen  können.  Ähn- 
liches gilt  von  Gorm.  489  und  eb.  584,  wo  nach  Völcker  eine  beim 
Verbum  stehende  adverbiale  Bestimmung  Inversion  des  Subjekts  ver- 
hütet hätte.  Von  den  bei  V.  p.  11  unter  2  (das  Verb  ist  ein  sonstiges 
transitives  oder  intransitives  Verb)  gegebenen  Belegen  gehören  zu  denen, 
in  welchen  das  Subjekt  den  Kern  der  Aussage  bildet,  Leodegar  20  c: 
vindrent  parent  e  lor  amic^  Alex.  63  c:  vint  une  voiz  ki  lur  ad  andüet, 
Passion  15a:  venrant  li  an  veiirant  li  di. 

Die  Bedeutung  einer  nachträglichen  Erläuterung  scheint  das  Sub- 
jekt zu  haben  Alex.  88  a:  plurent  si  oil  (sie  weinen,  ihre  Augen),  eb. 
llSd,  36a,  121a.  Auch  Alex.  9a  ist  wohl  hierher  zu  ziehen:  sie 
war,  die  Jungfrau,  von  sehr  hoher  etc.  Diesem  Beispiel  ist  an  die 
Seite  zu  stellen  das  von  Mätzner,  Syntax  §  486,  p.  268  citierte:  Fu 
Jacob  li  mendrez  fiz  Isaac  (cfr.  Morf,  Anm.  p.  207,  237).  Auch 
AI.  36  a  steht  das  Subjekt  in  ähnlicher  Weise  gewissermafsen  in 
Parenthese.  Durch  die  von  Völcker  für  die  Beispiele  unter  2  gegebene 
Erklärung,  dafs  nämlich  die  Inversion  dem  Gedanken  eine  präcisere 
Fassung,  leichtere  Verständlichkeit  und  gröfsere  Einfachheit  verleihe, 
wird  man  nicht  gefördert. 

So  wäre  es  nun  auch  von  den  vielen  Beispielen  für  unbedingte 
Inversion  in  der  Chanson  de  Roland  (Morf  p.  206  f.)  nicht  schwer  zu 
zeigen,  dafs  sie  alle,  so  oder  so,  die  Toblersche  Erklärung  illustrieren. 
Wir  verzichten  indes  darauf,  dies  hier  im  einzelnen  auszuführen,  weil 
wir,  wie  gesagt,  glauben,  dafs  in  vielen  Fällen  nur  das  lebendige  Wort 
einen  Zweifel  über  die  richtio-e  Auffassunsr  ausschliefsen  konnte. 

Lassen  sich  nun  alle  Beispiele  für  die  sogenannte  unbedingte 
Inversion  des  Subjekts  auf  die  oft  genannte  Erklärung  zurückführen, 
so  haben  wir  für  den  altfrz.  uneingeleiteten  Vordersatz  drei  Stellungen 
zu  unterscheiden: 

1)  die  regelmäfsige :  Subjekt  —  Verbum,  z.  B.  Cli.  Rol.  2006: 
RoUanz  respunt,  wodurch  vom  Rollant  ausgesagt  wird,  sein  Thun 
bestehe    in     einer    Antwort     (cfr.    Tobler    a.    a.    0.)i       Das    gram- 


Die  Wortstellung  im  altfranzösisclien  direkten  Fragesatze.  191 

rnätische  Subjekt  ist  somit  in  diesem  Falle  gleichzeitig  logisches  Sub- 
jekt, *  das  grammatische  Prädikat  auch  das  logische.  Jenes  steht  an 
erster,  dieses  an  zweiter  Stelle. 

2)  Die  invertierte  (Verb  —  Subjekt),  in  der  auf  dem  Subjekt  das 
Hauptgewicht  der  Aussage  ruht,  z.  B.  Ch.  Rol.  1006:  Dist  Oliviers. 
Hier  ist  der  Sinn  des  Satzes:  das  Sagen  kam  vom  Olivier  (Tobler 
a.  a.  O.),  wer  sagte,  war  der  Olivier.  So  ist  denn  dist  logisch  Sub- 
jekt  und  Oliviers  logisch  Prädikat.  ** 

3)  Die  invertierte  Stellung,  in  der  das  Subjekt  als  nachträgliche 
Erläuterung  zum  Verbum  aufzufassen  ist.  AI.  88a  haben  wir  z.  B. 
als  hierher  gehörig  bezeichnet:  Plurent  si  oil;  das  Gewicht  der  Aus- 
sage ruht  zweifellos  auf  plurent,  während  si  oil,  das  allerdings  logisch 
und  grammatisch  als  Subjekt  zu  plurent  zu  denken  ist,  aufserhalb  des 
eigentlichen  Satzgefüges  steht.  Das  plurent,  welches  allein  den  voll- 
ständigen Satz  ausmacht,  ist  gewissermafsen  in  der  falschen  Voraus- 
setzung ausgesprochen,  dafs  das  Subjekt  si  oil  dem  Hörer  schon  vor- 
schwebe und  daher  nicht  nochmals  ausgesprochen  zu  werden  brauche 
(heute  wäre  wenigstens  die  formelle  Bezeichnimg  durch  das  betreffende 
Personalpronomen  vonnöten). 

^  So  finden  wir  denn  ein  logisches  Subjekt  im  altfrz.  uneinge- 
leiteten  Vordersätze  nie  anders  als  an  erster  Stelle,  was  freilich  bei 
Stellung  3  nicht  erkennbar  wird. 

§  4,     Im   eingeleiteten   Vordersalze    nun   rufen    nach    Morf  (und 


*  Es  scheint  erforderlich,  darauf  hinzuweisen,  dafs  hier  und  im  fol- 
genden nach  dem  von  Prot.  Tobler  in  seinen  Vorlesungen  über  liistorische 
Syntax  des  Französischen  beobachttten  und  vom  historischen  wie  vom  psycho- 
logischen Standpunkte  einzig  gerechtfertigten  Verfahren  unter  „logischem" 
Subjekte  das  verstanden  wird,  in  Bezug  worauf  eine  Aussage  gethan  wird, 
was  die  Grundlage,  den  Ausgangspunkt  dieser  Aussage  bildet;  hingegen 
nennt  das  ..grammatische"  Subjekt  nur  dasjenige  Seiende,  welches  als  Träger 
des  durch  das  verbum  tinituni  zum  Ausdruck  Gebrachten  (entweder  des 
Seins  selbst  oder  einer  Art  des  Seins  oder  einer  Bethätigung  desselben) 
erscheint. 

**  Es  ist  dist  also  im  Grunde  unpersönlich  gebraucht  und  Oliviers  ge- 
wissermafsen adverbiale  Bestimmung  zu  ihm.  Auf  dieser  ruht  dann  not- 
wendig das  Hauptgewicht  der  Aussage,  da  dist  mehr  oder  weniger  Formwort 
ist,  das  erst  durch  Oliviers  seine  Bedeutung  empfängt.  Im  Italienischen 
fehlt  es  ja  denn  auch  oft  genug  in  älinlichem  Zusammenbange.  Vergl.  die 
vielen  Stellen  in  der  divina  commedia,  wie  Inf.  III,  43:  Ed  io:  Maestro  etc. 
Inf.  III,  94:  E  il  duca  a  lui,  das  nicht  zu  vervollständigen  ist:  E  il  duca 
disse  a  iiii,  sondern  E  disse  il  dtica  a  lui.  Dafs  das  \'erb  mit  dem  schein- 
baren Subjekt  kongruiert  (vergl.  Passion  IIa),  ist  eine  auch  anderen  Sprachen 
(z.B.  dem  Deutschen)  geläufige  Attraktion:  Es  singen  die  Grofsen  und  die 
Kleinen. 


19"2  Die  WortsU'Uung  im  alifraiizötiisclien  direkten  Fragesatze. 

auch  die  übrigen  Arbeiten  geben  Nachweise)  Inversion  des  gräm- 
mjitischen  Subjekts  hervor: 

a)  Adverbia  und  adverbiale  Bestimmungen, 

b)  das  Objekt, 

c)  attributive  und 

d)  prädikative  Bestimmungen, 

e)  (?)  koordinierende  Konjunktionen. 

In  vielen  Fällen  kann  aber  ebenfalls  lediglich  von  Inversion  des 
grammatischen  Subjekts  die  Rede  sein,  das  logische  hat  auch  hier 
oft  den  ersten  Platz.    Wir  versuchen,  dies  an  einigen  Beispielen  zu  zeigen. 

a)  Adverbien  rufen  Inversion  hervor  z.  B.  Ch.  Rol,  116  La  siet 
li  rois.  Hier  wird  nun  offenbar  nicht  von  dem  Könige  ausgesagt,  er 
sitze  und  zwar  an  einem  mit  la  bezeichneten  Orte,  sondern  von  einem 
dem  Hörer  vorschwebenden  und  deshalb  nur  in  formaler  Weise 
durch  la  zum  Ausdruck  gebrachten  Orte  sagt  der  Redende  aus,  an 
ihm  finde  das  Sitzen  des  Königs  statt.  Es  ist  demnach  la  logisch 
Subjekt  und  siet  li  rois  logisch  Prädikat.  Die  Inversion  des  gram- 
matischen Subjekts  ist  in  diesem  Falle  durchaus  obligatorisch,  und  ein 
Satz  wie  la  li  rois  siet  (der  sich  übrigens  nicht  finden  wird)  würde 
die  Annahme  einer  Anakoluthie  unumgänglich  notwendig  machen.  |ßo 
sehe  ich   denn   auch   eine  Anakoluthie  in  Sätzen,   in   denen   nach   um, 

ja  (Morf  210),  ensi,  ainz  (Le  Coultre  p.  19,  Krüger  p.  39)  und  be- 
sonders oft  nach  präpositionalen  Adverbialien  Inversion  des  gram- 
matischen Subjekts  nicht  eintritt,  z.  B.  Ch.  Rol.  891 :  Devant  Marsilie 
eil  s'escriet  mult  halt.  Dafs  dies  beim  präpositionalen  Adverbiale  häu- 
figer als  beim  einfachen  Adverbium  geschieht,  hat  Morf  p.  212  richtig 
durch  die  gröfsere  Selbständigkeit  des  ersteren  erklärt. 

b)  Das  Objekt  ruft  Inversion  hervor,  z.  B.  Aue.  Nie.  18,  37:  les 
deniers  prenderons  nos.  Zum  Unterschiede  von  einem  Satze  nos  pren- 
derons  les  deniers,  der  zum  Ausdruck  bringt,  das  zukünftige  Thun  der 
mit  nos  bezeichneten  Personen  bestehe  im  Nehmen  der  Heller,  wird 
hier  von  den  Hellern  ausgesagt,  sie  seien  als  Objekt  zu  einer  Aussage 
nos  prenderons  zu  denken.  Das  Subjekt  braucht  natürlich  nicht  ein 
Personalpronomen  zu  sein,  cfr.  Ch.  Rol.  158:  Les  dis  vmlez  fait  Carles 
estahler.  Die  Inversion  ist,  wie  nach  Adverbien,  durchaus  die  Regel; 
doch  sind  auch  hier  Beispiele  anakoluthischen  Verfahrens  nicht  ausge- 
schlossen, und  zwar  scheint  die  Stellung  Objekt  —  Subjekt  —  Verb 
besonders  für  personal[)ronominale  Subjekte  nicht  gerade  selten  zu  sein 


Die  Wortstellung  Im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  193 

(Krügerp.  30,  Marx  p.  348),  ohne  dafs  sie  indes  auf  solche  beschränkt 
wäre.*  Le  Coultre  citiert  p.  33  Ch.  Lyon  4524:  Ce  cop  li  autre  dui 
comperent.  Vergl.  ferner  Rieh.  57:  Icheli  cliar  cascuns  qiii  croit  Le 
joiir  de  la  pasque  rechoit;  eb.  1805:  L'arbcdestre  Eichars  retent. 

c)  Eine  attributive  Bestimmung  ist  wohl  nicht  anders  als  eine 
adverbiale  anzusehen.  Wenn  es  Ch.  Rol.  2258  heifst:  De  pareis  li 
seit  la  porte  ouverte,  so  gehört  de  pareis  zum  ganzen  Satze,  nicht  blofs 
zu  la  porte  (s.  Tobler,  Versbau  ^  103),  Ch.  Rol.  1786,  welchen  Vers 
Morf  gleichfalls  als  Beispiel  dafür  anführt,  dafs  nach  einer  attributiven 
Bestimmung  Inversion  eintrete,  ist  nicht  ganz  gleicher  Art  mit  den 
übrigen  Belegen.  Es  heifst  dort:  De  sun  cervel  rompuz  en  est  li 
temples.  Daraus,  dafs  de  sun  cervel  vor  dem  Verbum  noch  einmal  in 
formaler  Weise  durch  en  bezeichnet  wird,  geht  zur  Genüge  hervor, 
dafs  es  aufserhalb  des  eigentlichen  Satzgefüges  steht,  das  erst  mit 
rompuz  anhebt. 

d)  Eine  prädikative  Bestimmung  leitet  den  Satz  ein. 

Krüger  citiert  z.  B.  p.  37  aus  Le  roi  Flore  et  la  belle  Jehanne 
(p.  113):  Chevaliers  sui  je  voirement,**  „Die  Bezeichnung  chevalier 
kommt  mir  in  der  That  zu"  ist  der  Sinn  des  Satzes,  mit  anderen 
W^orten:  Chevaliers  ist  logisch  Subjekt,  sid  je  voirement  logisch  Prädikat. 

e)  Inversion  des  Subjekts  nach  koordinierenden  Konjunktionen. 
Krüger  p.  36  leugnet,  dafs  koordinierende  Konjunktionen  überhaupt  in 
Betracht  kämen,  welche  Behauptung  Morf  p.  208  völlig  unbegründet 
nennt.  Dafs  aber  auch  Morf  nicht  ganz  das  Richtige  getroffen,  hat 
Tobler  in  der  erwähnten  Recension  der  Morfschen  Arbeit  gezeigt.  Für 
das  Rolandslied  wenigstens  ist  durch  et  hervorgerufene  Inversion  des 
grammatischen  Subjekts  nicht  anzunehmen,  während  dieselbe  nach  si 
die  ganze  altfranzösische  Periode  hindurch  ausnahmslos  eintrat.  Das 
letztere  gilt  natürlich  auch  von  et  si.  So  wenig  als  Morf  vermögen 
nun  auch  Le  Coultre,  Schlickum  und  Völcker  stichhaltige  Belege  dafür 
beizubringen,  dafs  et  Inversion  hervorzurufen  im  stände  gewesen  sei; 
denn  letzterem  scheint  es  ohne  Grund  zweifelhaft,  ob  Gorm.  78:  e  dist 
Gormunz,  eist  cCOrient  die  Inversion  durch  e  oder  durch  den  Um- 
stand, dafs  das  Verbum  ein  verbum  dicendi  sei  (wie  wir  uns  der  Kürze 
wegen    ausdrücken    wollen),    bewirkt  worden    sei;    ebensowenig    wird 


*  Wie  es  nach  Morf  p.  212  scheinen  könnte. 
**  Der  citierte  Satz  ist  die  Antwort  auf  ein  vorhergehendes:   Et  vous  nie 
samhles,  sire,  Chevaliers. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  13 


l'.l-l  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

ninn  iliiii  freilich  zugeben,  dufs  et  Inversion  verhindernde  Kraft  habe, 
wie  er  mit  Le  Coultre  (p.  17)  annimmt.  Von  der  Mehrzahl  der  bei 
Krüger  p.  ÜG  für  unbedingte  Inversion  des  Subjekts  gegebenen  Be- 
lege (von  denen  E.  C.  21  und  V.  H.  163  als  nicht  hingehörig  zu 
streichen  sind)  ist  gleichfalls  zu  bemerken,  dafs  auch  ohne  das  die 
sämtlichen  Beispiele  einleitende  et,  vorausgesetzt  dafs  die  für  das 
Rolandslied  gültigen  Gesetze  noch  in  Kraft  waren,  die  regelmäfsige 
Wortfolge  nicht  unbedingt  erforderlich  gewesen  wäre,  wenn  mir  auch 
die  Zulässigkeit  dieser  Annahme  für  V.  H.  91 :  Et  assemhlereiit  li 
baron  et  li  dux  de  Venise  en  iin  palais,  und  eb.  167:  et  issirent  de 
lor  meillors  gens  wie  partie  fors  zweifelhaft  scheint.  Jene  Voraussetzung 
trifft  nun  allerdings  nach  dem  von  Krüger  und  Marx  Ermittelten  weder 
für  die  Prosalitteratur  des  13.  Jahrh.  noch  für  Joinville  zu.  Keine  der 
beiden  Untersuchungen  bietet  Beispiele  dafür,  dafs  „absolute"  Inversion 
auch  in  nicht  durch  et  eingeleiteten  Sätzen  möglich  gewesen  sei.  Da- 
gegen finden  sich  sowohl  bei  Krüger  als  bei  Marx  Belege  für  Inversion 
des  Subjekts  nach  et  unter  Bedingungen,  die  „absolute"  Inversion  in 
der  ältesten  Zeit  und  im  Rolandsliede  nicht  zugelassen  haben  würden. 
So  citiert  Krüger  p.  46  in  anderem  Zusammenhange  zwei  Beispiele 
mit  nominalem  Objekt  (cfr.  Morf  p.  206)  und  ebenda  ein  solches  mit 
prädikativer  Bestimmung:  V.  H.  407:  Et  fu  li  uz  et  la  noise  granz 
(cfr.  Morf  p.  307).  Über  Joinville  sehe  man  Marx  p.  339,  über 
Froissart  Ehering  Z.  V,  348.  Für  den  Fall  also,  dafs  1)  Morfs  für 
das  Rolandslied  aufgestellte  Behauptung,  „absolute"  Inversion  des  Sub- 
jekts finde  nur  in  objektlosen  (d.  h.  eines  nominalen  Objekts  entbeh- 
renden) Sätzen  statt,  Anspruch  auf  Allgemeingültigkeit  machen  darf, 
2)  sich  weder  in  der  Prosalitteratur  des  13.  Jahrh.  noch  bei  Joinville  Bei- 
spiele für  Inversion  des  Subjekts  im  uneingeleiteten  Vordersatze  finden 
sollten  (?),  würde  ich  Bedenken  tragen,  der  Konjunktion  et  für  die 
spätere  Zeit  des  Altfranzösischen  invertierende  Kraft  abzusprechen. 
Es  wäre  nicht  undenkbar,  dafs  si  in  seiner  gleichartigen  Funktion  als 
koordinierende  Konjunktion  Einflufs  geübt  hatte.  Zur  Erklärung  der 
Inversion  nach  si  selbst  darf  man  gewlfs  daran  denken,  dafs  si  ur- 
sprünglich Älodal- Adverbium  ist. 

Liefsen  sich  nun  alle  die  Fälle,  in  denen  ein  Inversion  des  gram- 
matischen Subjekts  bedingendes  Satzglied  au  der  Spitze  steht,  auf  die 
durch  mehrere  Beispiele  veranschaulichte  Weise  erklären,  so  wäre,  wenn 
wir  vorläufig  von  Fällen  absehen,  in  denen  entweder  das  dem  Verbum 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  195 

vorangehende  Subjekt  oder  ein  einleitendes  Satzglied  der  gedachten 
Art  durch  ein  weiteres  Satzglied  vom  Verbum  getrennt  ist  (cfr.  p.  19,  2-4), 
anzuerkennen ,  dafs  im  altfranzösischen  Vordersätze  (und  auch  im 
Nachsatze,  für  den,  wie  wir  sehen  werden,  die  gleichen  Gesetze  gelten) 
an  erster  Stelle  das  logische  Subjekt,  an  zweiter  das  Verbum  stände. 

§  5.  Doch  wird  man  überaus  häufig  Fällen  begegnen,  die  sich 
einer  solchen  Auffassung  nicht  fügen.  Vor  allem  stellt  sich  heraus, 
dafs,  falls  ein  mit  dem  logischen  identisches  grammatisches  Subjekt 
nicht  ausgesetzt  ist,*  es  unter  Umständen  Regel  ist,  dafs  nicht,  wie 
zu  erwarten,  das  Verbum,  sondern  an  seiner  Stelle  ein  Prädikativum, 
oder  ein  Objekt  oder  ein  Adverbiale  an  die  Spitze  des  Satzgefüges  tritt. 

a)  Das  Verbum  ist  estre.  Schon  Morf  hat  p.  236  die  nicht  nur 
für  das  Rolandslied,  sondern  auch  für  die  spätere  Zeit  zutreffende  Be- 
merkung gemacht  (cfr.  Le  Coultre  p.  28  f.,  Krüger  p.  44  f.,  Marx 
p.  346  f.,  auch  Völcker  p.  27  f.),  dafs  die  Stellung,  Verb,  subst.  — 
Prädikativ  (des  Subjekts)  nur  dann  gestattet  ist,  wenn  durch  dieselbe 
estre  nicht  an  den  Anfang  des  Satzes  zu  stehen  kommt.  Dieser  Fall 
aber  würde  eintreten,  wenn  ein  personalpronominales  (logisches  und 
grammatisches)  Subjekt  nicht  ausgesetzt  wäre.  Nehmen  wir  an,  man 
hätte  afrz.  ausdrücken  wollen:  „er  ist  reich",  so  wäre  man  bei  Aus- 
lassung des  Subjektspronomens  in  die  Lage  gekommen,  zu  sagen: 
est  riches.  Statt  dessen  nun  sagte  man  regelmäfsig  mit  Inversion 
des  Prädikativums  7'iches  est,  ebenso  wenn  letzteres  substantivisch : 
Aleman  sunt  statt  ursprünglich  zu  erwartendem  sunt  Aleman  (Ch.  Rol. 
303),  in  der  zusammengesetzten  Verbalform  Äfublez  est  (Ch.  Rol.  462) 
und  nicht  est  afublez,  und  endlich  auch,  wenn  eine  adverbiale  Bestim- 
mung die  Stelle  des  Prädikativs  vertritt:  a  piecl  estes,  nicht  estes  a  pied 
(Ch.  Rol.  2138). 

b)  Ebenso  unleidlich  wie  estre  scheint  avoir  für  das  Altfranzösische 
an  der  Spitze  des  Satzes  zu  sein,  und  zwar  nicht  blofs,  wie  es  nach 
Morf  p,  241  scheinen  könnte,  in  der  zusammengesetzten  Verbalform 
(cfr.  Morf  p.  241,  Krüger  p.  16,  Le  Coultre  p.  39,  Völcker  p.  31). 
Denn  so  wenig  man  afrz.  ai  pris  Valterne  sagen  durfte  für  Pris  ai 
Valterne  (Ch.  Rol.  199),  so  wenig  wäre  auch  ein  ad  la  harhe  blanche 
für  das  regelrechte  blanche  ad  la  barbe  (Ch.  Rol.  117)  möglich  ge- 
wesen.    Morf  hat  nicht   in   Betracht  geicogen,    dafs    unter   den   vielen 


Oder  nicht  ausgesetzt  werden  kann  (bei  unpersönl.  Ausdr.). 

13* 


19G  IHc  Wortstellung  im  altfninzösischen  direkten   Fragesatze. 

Belegen,  die  er  für  die  Stellungen  ovpr  und  pr  v  o  (v  =  aveir,  pr  = 
Prädikativ  des  Objekts  aufserhalb  der  zusammengesetzten  Verbalform) 
auf  p.  240  giebt,  sich  nicht  ein  einziger  mit  nominalem  Subjekt  findet. 
Die  Beispiele  haben  sämtlich  eine  ganz  konstante  Form :  aveir  steht 
zwischen  dem  Prädikativ  und  dem  Objekt  und  wird  weder  von  diesem 
noch  von  jenem  getrennt,  nicht  einmal  durch  das  tonlose  Personal- 
pronomen. Das  einzige  Beispiel  mit  nominalem  Subjekt,  das  Morf 
citiert  (Ch.  Rol.  1785),  zeigt  die  im  Nfrz.  obligatorische  Stellung:  Li 
quens  Rollanz  ad  la  buche  sanglente,  so  dafs  denn  die  von  Morf  a.  a.  0. 
aufgestellte  Behauptung,"  das  Prädikativ  könne  vom  Verbum  durch  das 
Subjekt  getrennt  werden,  weit  entfernt  ist,  allgemein  gültig  zu  sein. 
Wenigstens  geben  auch  die  anderen  Arbeiten  (Krüger  p.  49,  Le  Coultre 
p.  3G,  Völker  p.  29,  Schlickum  p.  23)  dafür,  dafs  sie  für  ein  nomi- 
nales Subjekt  in  einem  durch  das  nominale  Objekt  eingeleiteten  Satze 
zutreffe,  keinen  Beleg.  Nachgewiesen  ist  also  bisher  nicht,  dafs  man 
etwa  habe  sagen  können:  Cors  ad  li  rois  midt  gent;  auch  einem  blanche 
ad  li  rois  la  barbe  ähnlich  gestaltete  Falle  kann  ich  nicht  aufzeigen. 
Doch  sehe  man  p.  22. 

Aus  der  Abneigung  der  alten  Sprache,  avoir  an  den  Anfang  des 
Satzes  treten  zu  lassen,  erklärt  sich  denn  auch  die  Erscheinung,  dafs 
bei  dem  dem  nfrz.  il  y  a  entsprechenden  afrz.  a  (ot  etc.)  die  Voran- 
stellung des  Objekts  die  Regel  ist,  natürlich  im  uneingeleiteten  Satze 
(cfr.  Morf  p.  226,  Krüger  p.  47). 

Man  vergl.  auch  das  von  Schlickum  citierte  Aue.  Nie.  24,  54 : 
Uiie  lasse  mere  avoie. 

c)  Doch  handelt  es  sich  nicht  blofs  um  avoii'  und  estre.  So  sei 
zunächst  darauf  hingewiesen,  dafs  im  Altfranzösischen  der  Ohjekts- 
infinitiv  eines  modalen  Hilfsverbums  ganz  gewöhnlich  an  die  Spitze  des 
Satzes  tritt,  wiederum  unter  der  mehrfach  erwähnten  Bedingung.  Die 
von  Morf  p.  231  und  p.  275  gegebenen  Belege,  in  denen  das  Verbum 
finitum  dem  infinitum  vorantritt  (im  uneingeleiteten  Satze),  sind  alle 
derart;  cfr.  auch  Krüger  p.  20,  Le  Coultre  p.  49. 

So  heifst  es  Ch.  Rol.  330:  Ademplir  voeill  vostre  comandement ; 
ein  Satz  jo  vceill  vostre  com.  ad,  hätte  nichts  Bedenkliches ;  vceill  vostre 
comandement  ademplir  scheint  mindestens  sehr  selten.  Wenigstens  be- 
findet sich  unter  den  von  Morf  p.  275  (Völcker  p.  53  hat  zu  wenig 
Beispiele)  für  die  Stellungen  vio  und  voi  gegebenen  Belegen  nur 
einer  im   nicht  eingeleiteten  Satze;   es  ist  Ch.  Rol.  701:   Franc  des- 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  197 

herbergent,  funt  lur  sumiers  trusser ;  *  hier  handelt  es  sich  also  nicht 
um  ein  modales  Hilfsverbum;  oh  faire  auch  sonst  unter  ähnlichen  Um- 
ständen Ton  genug  besitzt,  um  an  der  Spitze  des  Satzes  stehen  zu 
können,  bedarf  noch  der  Untersuchung.  Vielleicht  aber  ist  man  gar 
nicht  gezwungen,  anzunehmen,  dafs  mit  funt  ein  neuer  Satz  beginne; 
vergl.  die  ähnliche  von  Morf,  Anm.  p.  241,  konstatierte  Ausnahme: 
Ch.  Roh  384:   Vint  i  sis  nies,  out  vestue  sa  brunie.** 

d)  Ganz  gewöhnlich  ist  aber  auch,  dafs  ein  zu  einem  beliebigen 
transitiven  Verbum  gehöriges  Objekt  bei  nicht  ausgesetztem  Subjekt 
an  die  Spitze  des  Satzes  tritt,  und  zwar  in  Verhältnissen,  die  es  als 
logisches  Subjekt  zu  betrachten  nicht  gestatten.  Zwar  läfst  sich  aus 
den  unserer  Betrachtung  zu  Grunde  liegenden  Arbeiten  hier  wenig 
beibringen,  da  es  an  einschlägigen  Beobachtungen  durchaus  fehlt.  Die 
Thatsache  ist  darum  nicht  weniger  sicher. 

Schlickura  citiert  Aue.  Nie.  24,  54 :  Une  lasse  mere  avoie  (cfr.  oben) ; 
41,  13:  andex  ses  bras  li  tendi;  eb.  41,  19:  Dame  de  Biaucaire  en 
fist;  Le  Coultre  (p.  64)  Ch.  Lyon  1898:  Cest  chemin  tanroiz. 

Doch  giebt  jeder  beliebige  afrz.  Text  Beispiele.  Man  sehe  z.  B. 
Rieh.  47:  Une  invocation  ferai;  eb.  76:  Une  femme  ot,  s'ot  non  Cia- 
risse; eb.  115:  Grant  duel  en  fist,  ses  poins  detort;  eb.  130:  et  ses 
yelz  en  refait;  eb.  342:  Le  cheval  point  Ines  d^une  part;  eb.  393:  Tel 
noise  fist  au  tresbuchier ',  eb.  464:  Esgarde  as  en  mal  sautier ;  eb.  484: 
Ses  poins  detort,  ses  clievialz  tire',  eb.  712:  Sa  femme  appielle,  si 
li  dist;  eb.  753:  ./.  chierf  esmuch  de  .XVI.  rains;  eb.  899:  JRoisant 
fist  a  la  matinee  etc. 

Ebenso  treten  gar  nicht  selten  Adverbien  und  adverbiale  Bestim- 
mungen unter  ähnlichen  Verhältnissen   an  die  Spitze   des  Satzgefüges: 

Rieh,  349:  Amont  rampa  tant  qu'il  fu  sus;  eb.  1719:  Sus  se 
lievent,  fait  sont  li  lit;  eb.  348:  Et  par  dessus  se  mist  et  lanche; 
eb.  299:  Sour  Vierbe  chiet  toute  souuine;  eb.  541:  Fieus,  mieus  amaisse 
que  tous  tans  etc.;  eb.  252:  D^inne  fieure  se  sent  grevee;  eb.  1131:  Äu 
signour  vient  etc. 

Zur  Erklärung  der  vorstehend  konstatierten  Thatsachen  liegt,  wo 
es  sich  um  avoir,  estre  oder  ein  modales  Hilfsverbum  handelt,    die  An- 


*  Vielleicht   hat   man   mit  der  \'enez.  Hdschr.  IV   zu   lesen:   lor  sanier 
fönt  torser. 

**  Auch   hier   scheint  die  Lesart  der  Venez.  Hdschr.:    ven   vestu   (Tuna 
hruna  die  bessere  zu  sein. 


198  Die   Wortstellung  im  altfranzösisclien  dirckton  Fnigosatzc. 

nähme  einer  innigen,  wie  ein  einfaches  Verbum  funktionierenden  Ver- 
bindung zwischen  dem  verbum  finitum  und  dem  ihm  vorangehenden 
Satzgliede  nahe.  Wenn  der  Redende  ein  Subjelct  nicht  aussetzte,  so 
that  er  das  in  dem  Bewulstsein,  dafs  dem  Hörer  bekannt  sei,  worauf 
sich  die  Aussage  beziehe;  es  kam  ihm  also  nicht  darauf  an,  mit  seiner 
llede  eine  Verbindung  zwischen  einem  bestimmten  Subjekt  und  einer 
bestimmten  Aussage  zu  konstatieren,  sondern  nur  darauf,  von  einem 
dem  Hörer  bereits  vorschwebenden  Subjekte  eine  Aussage  zu  machen. 
In  einem  Satze  wie  riches  est  hatte  also  est  wenig  mehr  als  flexivischen 
Wert  und  trat  daher  ganz  angemessen  hinter  riches.  Am  wenigsten 
macht  die  sogenannte  zusammengesetzte  Verbalform  einer  solchen  Auf- 
fassung Schwierigkeiten ;  für  substantivische  Prädikativa  sind  unper- 
sönliche Ausdrücke  wie  7iuit  estoit  (Joinv.  7,  26)  am  geeignetsten, 
die  Innigkeit  der  Verbindung  hervortreten  zu  lassen. 

Aber  auch  für  Falle,  in  denen  ein  Objekt  oder  eine  adverbiale 
Bestimmung  dem  verbum  finitum  vorangehend  an  der  Spitze  des  Satzes 
steht,  scheint  uns  die  gleiche  Auffassung  zulässig;  von  einem  mdt 
estoit  zu  einem  Roisant  fist  (Rieh.  899)  ist  kein  grofser  Schritt,  und 
auch  in  Beispielen  wie  Rieh.  115:  Grant  cluel  en  flst,  eb,  393:  Tel 
noise  foist,  überhaupt  wo  es  sich  um  faire  handelt,  oder  Ch.  Rol.  760: 
Veir  dites,  oder  etwa  Myst.  d'Ad.  6 :  Grant  grace^s)  rend  (/.  rent)  a  ta 
benignite  etc.  wird  man  die  Annahme  einer  engen  Verbindung  nicht 
gewagt  finden  (cfr.  Diez  III,  31,  Holder  §  144).  Für  Adverbien 
cfr.  Rieh.  541  :  Fieus,  mieiis  amaisse  etc.  Freilich  kann  man  nicht 
sagen,  dafs  das  Verb  in  diesen  Fällen  nur  flexivischen  Wert  habe, 
doch  tritt  es  hinter  dem  ihm  vorangehenden  Satzgliede  an  Ton  sehr  zurück. 

Man  vergl.  noch  Ch.  Rol.  2787:  Quite  vos  claimet  d'Espaigne 
le  regnet. 

Es  sei  noch  erwähnt,  dafs  zu  gunsten  der  dargelegten  Auffassung 
auch  der  Umstand  spricht,  dafs  bei  avoir,  estre  oder  einem  modalen 
Hilfsverbum  das  an  der  Spitze  des  Satzes  siehende  Prädikativ  oder  das 
infinitivische  Objekt  vom  Verbum  nicht  trennbar  ist  (vergl.  Morf  p.  231, 
235,  241).  Fälle  freilich,  in  denen  ein  an  der  Spitze  stehendes  nomi- 
nales Objekt  durch  eine  adverbiale  Bestimmung  oder  umgekehrt  diese 
durch  jenes  vom  Verbum  getrennt  wird,  *  sind  gar  nicht  selten.  (Morf 
p.  226,  250,  Völcker  p.  35.) 

•  Oder  eine  adverbiale  Bestimmung  durch  die  zweite  Rieh.  821:  En 
apries  au  moustier  le  mainnenl. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösiscben  direkten  E'ragesatze.  199 

Doch  wird  man  hier  zu  scheiden  haben  zwischen  solchen,  in 
denen  beide  dem  Verbum  voraufgehende  Satzglieder  mit  demselben 
gleich  eng  verbunden  sind  (vergl.  z.  B.  Rieh.  415:  Des  esporons  son 
destrier  broche;  ob.  846:  Des  esporons  le  clieval  point;  eb.  615:  Le 
frain  au  cheval  abandonne),  so  dafs  der  Annahme  einer  engen  Ver- 
bindung zwischen  Verbum  und  beiden  zu  ihm  gehörigen  Bestimmungen 
nichts  im  Wege  stände,  und  solchen,  bei  denen  das  an  der  Spitze  stehende 
Satzglied  logisches  Subjekt  des  Satzgefüges  ist  (so  vielleicht  Rieh.  552 :  Au 
relever  son  enfant  baise;  eb.  655:  Eji  sa  canhre  sa  femme  treuve).  Doch 
wird  man  sich  selten  mit  Gewifsheit  für  die  eine  oder  andere  Auffassung 
entscheiden  können.*  Letztere  Fälle  werden  dann  wie  die  unten  (p.  24) 
besprochenen  zu  betrachten  sein,  in  denen  ein  an  der  Spitze  stehendes 
logisches  und  grammatisches  Subjekt  durch  ein  Objekt  oder  eine  adver- 
biale Bestimmung  vom  Verbum  getrennt  wird. 

e)  Immerhin  scheint  es  mit  dem  Prädikativ  des  Objekts  noch  seine 
eigene  Bewandtnis  zu  haben.  In  einem  Satze  wie  blanche  ad  La  barbe 
fällt  es  schwer,  sich  eine  innige  Verbindung  zwischen  dem  voraus- 
gehenden  Prädikativ  und  aveir  vorzustellen.  Wohl  aber  scheint  die 
Annahme  einer  solchen  möglich  zwischen  aveir  einerseits  und  Objekt  -|- 
Prädikativ  andererseits:  „weifsbärtig  sein"  wäre  in  unserem  Falle  ihre 
Bedeutung.  Geht  man  von  dieser  Anschauung  aus,  so  scheint  auch 
die  konstante  Form  derartiger  Ausdrucksweisen  erklärlich.  Neben 
blanche  ad  la  barbe  begegnet  vielleicht  noch  häufiger:  {la)  barbe  ad 
blanche  (Morf  240),  doch  wird  in  beiden  Stellungen  in  der  Regel  weder 
Objekt  noch  Prädikativ  vom  Verbum  getrennt.  War  man  nun  durch 
Nichtaussetzung  des  Subjekts  in  die  Lage  versetzt,  ad  la  barbe  blanche 
oder  ad  blanche  la  barbe  zu  sagen,  so  wurde  der  Anstofs,  den  das  an 
der  Spitze  stehende  ad  erregte,  gleich  gut  durch  ein  blanche  ad  la  barbe 
oder  {la)  barbe  ad  blanche  vermieden,  wenngleich  anzunehmen  ist,  dafs 
die  Sprache  in  der  Wahl  nicht  willkürlich  verfahren  sein  wird,  sondern 
ein  ad  blanche  la  barbe  durch  ein  blanche  ad  la  barbe  und  ein  ad  la 
barbe  blanche  durch  ein  [la)  barbe  ad  blanche  vermieden  haben  wird. 

Auch  für  das  participiale  Prädikativ  des  Objekts   ergiebt  sich  bei 


*  So  möchte  Ch.  Rol.  1248;  Sun  grant  espiet  par  mi  le  cors  li  mist 
(ebenso  in  den  ganz  ähnlichen  Beispielen  Ch.  Rol.  1266,  1306)  der  Sinn 
eine  enge  Verbindung  zwischen  dem  Verbum  und  Objekt  -\-  adverbiale  Be- 
stimmung wohl  anzunehmen  gestatten;  doch  weist  vielleicht  andererseits  die 
hinter  dem  Objekt  eintretende  Cäsur  auf  die  Auffassung  desselben  als 
logischen  Subjektes. 


200  nie  Worlstellung  im  altfi!uizösi.«clien  direkten  FrHgesatze. 

näherer  Betrachtung  der  von  Morf  p.  241  gesammelten  Beispiele,  dafs 
bei  Voranstellung  sowohl  des  Prädikativs  als  auch  des  Objekts  vor 
aveir,  d.  h.  in  den  Stellungen  pr  v  o  (Stellung  5)  und  o  v  pr  (Stellung  3) 
in  der  Regel  ein  Subjekt  nicht  ausgesetzt  ist.  So  finden  sich  unter  den 
25  Belegen  für  erstere  Stellung  nur  zwei,  die  ein  nominales  Subjekt 
aufweisen:  Ch.  Rol.  1903:  l^renchet  li  a  Li  cuens  le  destre  puign  und 
eb.  2755  f.  (bei  Morf  ist  2756  gedr.):  Carles  li  emperere  Mort  m'ad 
mes  Jntmes,  ma  terre  deguasiee.  Bei  letzterem  scheint  RIorf  selbst, 
wie  auch  wir  thun  (cf.  p.  24),  das  engere  Satzgefüge  erst  mit  Moi't 
beginnen  zu  lassen,  so  dafs  denn  dies  Beispiel  ganz  gleicher  Art  ist 
mit  Ch.  Rol.  1367;  Danz  Oliviers  trait  ad  sa  bone  espee.  (Bei  einem 
dritten  Belege  Ch.  Rol.  1192  ist  ein  beziehungsloser  Relativsatz  Sub- 
jekt.) Ebenso  weisen  die  Beispiele  für  die  durch  das  Schema  ovpr 
veranschaulichte  Wortfolge,  welche  nach  Morf  die  häufigste  ist,  nur 
zwei  übrigens  gleichlautende  Sätze  mit  ausgesprochenem  nominalen 
Subjekt  auf:  Ch.  Rol.  164,  670:  Messe  e  matines  ad  li  reis  escultet. 
Dagegen  haben  von  den  dreizehn  Beispielen  für  StelUuig  1  v  o  pr 
sieben  (Ch.  Rol.  62,  193,  236,  441,  703,  708  [bei  Morf  steht  707], 
1457)  ein  ausgesprochenes  Subjekt,  das  in  einem  Falle  (236)  pro- 
nominal ist.  Gleichgeartet  sind  unter  11  Sätzen  mit  der  Wortfolge 
vpro  vier  (Ch.  Rol.  78,  181,  496,  844). 

Die  Belege  für  die  beiden  letzteren  Stellungen,  in  denen  das  Sub- 
jekt unausgesprochen  bleibt,  sind  mit  Ausnahme  von  Ch.  Rol.  384, 
dem  einzigen  Falle,  in  dem  aveir  am  Anfang  des  Satzes  steht,*  (^Vint 
i  sis  nies,  out  vestue  sa  briinie)  alle  eingeleitet. 

Diese  Thatsachen  beweisen,  dafs,  sofern  ein  Subjekt  ausgesetzt 
war,  die  regelmäfsigen  Stellungen  im  Rolandsliede  vopr  und  vpro 
wäret}.  War  ein  Subjekt  nicht  auf^gesprochen,  so  vermied  man  durch 
eine  der  Stellungen  pr  v  o  und  ovpr,  dafs  avoir  an  den  Anfang  des 
Satzes  träte.**  Damit  stimmen  die  einschlägigen  Belege  bei  Völckcr 
p.  30,  Krüger  p.  16,  Schlickum  p.  22.  Le  Coultre  weist  p.  38  die 
Stellungen  ovpr  und  prvo  auch  für  nominale  Subjekte  nach  (Ch. 
Lyon  1364,  2725,  5646).  Ch.  Lyon  5917:  Li  rois  la  pucelle  a  veve 
ist  zu  beurteilen  wie  Ch.  Rol.  1367:  Danz  Oliviers  trait  ad  sa  bone 
espee  (cfr.  p.  24). 

•  S.  p.   17,  Anm.  2. 
**  Zu  ähnlichen  Heobaditunpen   geben   die  von  Morf  p.  275  für  die  ver- 
schiedenen Kombinationen  von  vio  ffPmachtfn  Ermiltelunsjen  Anlafs. 


Die  Wortstellung  im  allfranzösiFchen  direkten  Fragesätze.  201 

§  6.  Wodurch  aber  wurde  nun  eine  Stellung  veranlafst  wie 
Ch.  Rol.  640:  Messe  e  matines  ad  U  Beis  esculiet  sie  bietet?  Eine 
Auffassung,  der  zufolge  messe  e  matines  logisches  Subjekt  zu  einem 
logischen  Prädikat  U  reis  ad  escidtet  wäre,  scheint  schon  durch  den 
Zusammenhang  ausgeschlossen.  Logisches  Subjekt  ist  offenbar  li  reis, 
logisches  Prädikat  ad  messe  e  m.  esc.  So  würden  wir  denn  eine  Stel- 
lung li  reis  ad  m.  e  m.  esc.  erwarten.  Aber  auch  diese  würde  augen- 
scheinlich nicht  dem  Ausdruck  geben,  was  gesagt  werden  soll.  Eine 
neue  Person  wird  ja  mit  li  reis  gar  nicht  eingeführt,  li  reis  ist  viel- 
mehr identisch  mit  dem  Subjekt  des  vorangehenden  Satzes:  Li  empe- 
reres  est  par  matin  levez,  so  dafs  uns  ein  Satz  mit  nicht  ausgesprochenem 
Subjekt  vollkommen  genügen  würde.  So  kann  denn  das  Aussetzen  des 
Subjekts  li  reis  keinen  anderen  Zweck  haben  als  den,  ein  neues  Attribut 
für  die  schon  durch  li  empereres  gekennzeichnete  Person  abzugeben,  die 
Bezeichnung  li  empereres  gewissermafsen  zu  vervollständigen.  Das  führt 
auf  die  Auffassung,  li  reis  als  nachträgliche  Erläuterung  zum  Verbiim  zu 
betrachten,  wozu  man  ja  auch  sonst,  wie  wir  oben  sahen,  genöiigt  ist. 
Es  wäre  dann  zu  übersetzen:  „Der  Kaiser  hat  sich  früh  morgens  er- 
hoben, Messe  und  Frühmette  hat  er,  der  König,  gehört."  Das  Subjekt 
tritt  somit  ganz  angemessen  hinter  das  Verbum;  es  wäre  aber  auch 
denkbar,  dafs  es  hinter  die  ganze  Aussage  träte:  Messe  e  matines  ad 
escidtet,  li  reis. 

Dieselbe  Auffassung  (des  Subjekts  als  einer  nachtiäglichen  Er- 
läuterung zum  Verbum)  wird  für  Ch.  Rol.  1903:  Trenchet  li  ad  li 
cuens  le  destre  puign,  das  einzige  Beispiel,  in  dem  in  einem  durch  das 
Prädikativ  des  Objekts  eingeleiteten  Satze  ein  nominales  Subjekt  aus- 
gesprochen ist  (cfr.  oben  p.  20),  die  richtige  sein.  Auch  in  diesem 
Verse  wird  mit  li  cnens  eine  neue  Person  nicht  eingeführt,  li  cuens  ist 
vielmehr  auch  hier  identisch  mit  dem  Subjekt  des  voraufgehenden 
Satzes  (1902):  Vait  le  ferir  en  giiise  de  barun.*  Die  Annahme,  trenchet 
habe  die  Inversion  des  li  cuens  bewirkt,  ist  schon  deshalb  unzulässig, 
weil  bisher  noch  nicht  nachgewiesen  ist,  dafs  das  Prädikativ  des  Ob- 
jekts jemals  Inversion  des  Subjekts  hervorgerufen  hätte,  so  wenig  in 
der   zusammengesetzten  Verbalform  als  auiserhalb   derselben.     P^-eilich 


*  Gautier  befindet  sich  bei  Übersetzung  der  drei  Stellen,  in  denen  wir 
(las  Subjekt  als  nachträgliche  Erläuterung  zum  Verbum  ansehen,  offenbar 
in  Verlegenheit.  Messe  e  mal.  etc.  übersetzt  er  164:  Charles  entend  m. 
et  m.     670  läfst  er  li  reis  unübersetzt,  ebenso   193  li  cuens. 


202  Die  U'ortstcllung  im  jiltfranzösisclicn  direkten  Fragesatze. 

ist  die  Inversion  das  allein  Denkbare,  wofern  das  Prädikativ  an  die 
Spitze  des  Satzes  tritt ;  trenchet  li  ciiens  U  ad  le  destre  jMiign  zu  sagen 
ist  unmöglich.  Der  Redende  stellte  aber  eben,  wenn  unsere  Auffassung 
die  richtige  ist,  trenchet  nur  deshalb  an  den  Anfang,  weil  er  ursprüng- 
lich nicht  die  Absicht  hafte,  ein  Subjekt  auszusprechen  ;  er  wollte  dem 
in  Vers  1902  (^Vait  le  ferir  en  guise  de  harun)  Berichteten  nur  die 
weitere  ohne  ein  //  cuens  recht  wohl  verständliche  Mitteilung  an- 
schliefsen :  trenchet  li  ad  le  destre  hras.  Inmitten  seiner  Rede  aber 
wird  er  inne,  dafs  die  Voraussetzung,  unter  der  er  den  Satz  begonnen, 
nicht  durchaus  zutreffe,  da  dem  Hörer  möglicherweise  der  (sechs  Verse 
früher  genannte)  Träger  der  durch  trenchet  li  ad  zum  Ausdruck  ge- 
brachten Handlung  nicht  mehr  in  aller  wünschenswerten  Deutlichkeit 
vorschwebe,  und  diese  Besorgnis  ist  es,  die  ihn  veranlafst,  gleichsam 
in  Parenthese  hinter  dem  Verbum  das  Subjekt  nachträglich  wieder  in 
Erinnerung  zu  bringen.  So  aufgefafst  wäre  denn  auch  ein  Satz  blanche 
ad  li  rois  la  barhe  oder  Cors  ad  li  rois  midt  gent  denkbar  (cfr.  oben 
p.  16). 

Dies  führt  uns  nun  auf  die  Erscheinung,  dafs  Sätze  mit  nomi- 
nalem Subjekt,  in  denen  ein  am  Anfang  stehendes  und  invertierende 
Kraft  besitzendes  Satzglied  nicht  logisches  Subjekt  ist,  sondern  mit  dem 
verbum  finitum  einen  einheitlichen  Begriff  bildet,  nicht  selten  vor- 
kommen. Und  schon  a  priori  hätte  man  ihr  Vorhandensein  erschliefsen 
können.  Wir  sahen  oben,  dafs  die  Inversion  des  grammatischen  Sub- 
jekts im  uneingeleiteten  Vordersatze  doppelte  Bedeutung  haben  kann : 
zuweilen  bildet  das  Subjekt  den  Kern  der  Aussage,  zuweilen  ist  es 
nachträgliche  Erläuterung  zum  Verbum.  Erstei-es  ist  z.  B.  der  Fall 
Ch.  Rol.  797:  Viiit  i  Gerarz  de  Eossillun  li  vielz,  „es  kam  dorthin 
G.  de  R.  der  Alte,  einer  derer,  die  kamen  war  G."  wird  durch  diese 
Worte  zum  Ausdruck  gebracht.  Wollte  man  nun  sagen:  „einer  derer 
die  gekommen  sind,  ist  G.  v.  R.",  so  mufste  dies  konsequentervveise 
durch  est  i  venuz  Gerarz  de  R.  geschehen ;  und  ähnlich  mag  man  sich 
denn  auch  in  einer  Zeit,  in  der  estre  noch  Ton  genug  besafs,  um  am 
Anfang  des  Satzes  stehen  zu  können,  ausgedrückt  haben.  Im  Rolands- 
liede  ist  estre  jedenfalls  nicht  mehr  so  stark  betont;  man  umging  daher 
eine  derartige  Ausdrucksweise  auf  dieselbe  Weise,  wie  wenn  ein  Sub- 
jekt nicht  ausgesprochen  war,  d.h.  durch  Voranstellen  des  Prädikativs; 
so  ergab  sich  Vemiz  i  est  G.  de  R.,  welche  Stellung  der  dem  erst- 
citierten  Verse   folgende   zeigt:  Ch.  Rol.  798:   Vemtz  i  est  li  Guascuinz 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Frngesatzo.  203 

Engellers.  Man  hat,  wie  mir  scheint,  nicht  das  mindeste  Recht,  die 
Inversion  des  grammatischen  Subjekts  in  Ch.  Rol.  797  anders  zu  er- 
klären als  in  Vers  798  und  umgekehrt.  Wie  Ch.  Rol.  798  möchte 
ich  von  den  bei  Morf  p.  236  gegebenen  Belegen  auch  auffassen :  1084, 
1914,  1807,  2792,  3671. 

Man  wird  nun  auch  erwarten  dürfen,  Stellen  zu  finden,  in  denen 
das  Subjekt  in  ähnlichen  Verhältnissen  gewissermafsen  nachträgliche 
Erläuterung  zum  Verbum  ist.  Und  in  der  That  liegt  diese  Auffassung 
in  vielen  Fällen  nahe,  so  Ch.  Rol.  577 :  Mort  sunt,  li  cunte  (sie  sind 
tot,  die  Grafen),  1394,  1560,  1730,  2021,  2038  (?),  2042,  2242, 
2281,  2920  (wo  Gautier  demnach  'niorz  est  mis  nies  ganz  zutreffend 
durch  ü  est  mort,  mon  [eher']  neveu  wiedergiebt)  etc.*  Auch  die 
meisten  der  von  Morf  p.  234  gesammelten  Belege,  in  denen  ein  adjek- 
tivisches Prädikativ  an  der  Spitze  des  Satzes  steht,  sind  demgemäfs 
zu  beurteilen,  so  Ch.  Rol.  157:  Bels  fut  li  vespres  et  li  soleilz 
fut  clers. 

Vielleicht  ist  man  auch  Ch.  Rol.  879:  Tuz  premerains  l'en  res- 
ptiut  Falsaruns  nicht  genötigt,  in  dem  Vorantreten  der  prädikativen 
Bestimmung  tuz  premerains  den  Grund  der  Inversion  zu  sehen;  ohne 
dies  konnte  sie  gerade  bei  respundre  sehr  wohl  eintreten.  („Die  aller- 
erste Antwort  kam  von  F.") 

Auch  Fälle,  in  denen  ein  Objekt  an  der  Spitze  steht,  kommen  in 
Betracht.  Le  Coultre  citiert  z.  B.  p.  20  Ch.  Lyon  380:  Onbre  li 
{a  la  fontainne)  Jet  li  plus  Max  arbres  C'onques  poist  former  nature. 
Hier  scheint  das  Subjekt  den  Kern  der  Aussage  zu  bilden:  „Was  ihr 
Schatten  giebt,    ist  der  schönste  Baum  etc.";   cfr.  auch  Ch.  Rol.  2974. 

Dafs  sich  in  den  Arbeiten  über  altfrz.  Wortstellung  kein  Beleg 
findet,  bei  dem  das  Subjekt  in  einem  durcli  das  Objekt  eingeleiteten 
Satze  nachträgliche  Erläuterung  zum  Verbum  bildet,  ist  zufällig ;  ** 
Völcker  citiert  p.  13  ungehörigerweise  unter  den  Beispielen  für  die 
Erscheinung,  dafs  das  am  Anfang  des  Satzes  stehende  nominale  Objekt 
Inversion  des  Subjekts  veranlasse,  Passion  43  a:  Anna  nomnavent 
le  iudeu  (zu  der  Änderung  V.s  in  li  luden  liegt  kein  Grund  vor). 
Anna  ist  nicht  Objekt,  sondern  Prädikativ  des  Objekts. 


*  Es  ist  charakteristisch,   dafs  die  meisten  der  hergehörigen  Belege  mit 
mort  beginnen. 

**  Doch   ist  vielleicht  das  von  Krüger  p.  37  citierte  V.  H.  298   so   auf- 
zufassen. 


204  Die  Wortstellung  im  alt  französischen  direkten  Fragesatze. 

Das  Subjekt  scheint  nachträgliche  Erläuterung  (Morf  p.  244): 
eil.  RoI.  178:  Fors  s'en  eissirent^  li  Sarazin  deJenz,  während  eb.  1631: 
Deiant  chevalchet  wis  Sarazins  Ahisme  das  Subjekt  deshalb  invertiert 
ist,  weil  das  Gewicht  der  Aussage  auf  ihm  ruht.  Ob  das  Gleiche  in 
dem  von  Krügerp.  37  citierten  Mis  les  a  Fortune  en  honnour  (Th.  fr.  82) 
der  Fall  ist,  bleibe  dahingestellt;  unmöglich  scheint  es  nach  dem  Zu- 
sammenhange nicht. 

Ziehen  wir  die  Summa  aus  den  bisher  gemachten  Beobachtungen, 
so  ergiebt  sich : 

1)  Ein  ausgesetztes  logisches  Subjekt  steht  an  erster  Stelle,  mag 
es  nun  mit  dem  grammatischen  zusammenfallen  oder  ein  Adverbium 
(adverbiale  Bestimmung)  oder  eine  prädikative  Bestimmung  oder  ein 
Objekt  oder  endlich  das  Verbum  resp.  eine  wie  ein  einfaches  Verbum 
funktionierende  Verbindung  des  verbi  finiti  mit  einer  prädikativen  Be- 
stimmung, einem  Objekt  oder  einem  Adverbium  sein. 

2)  Das  Verbum  steht  an  zweiter  Stelle,  was  freilich  nicht  erkenn- 
bar wird,  sobald  ein  mit  dem  logischen  identisches  grammatisches  Sub- 
jekt nicht  ausgesprochen  oder  das  Verbum  selbst  resp.  eine  wie  ein 
solches  funktionierende  Verbindung  logisch  Subjekt  ist.  Tritt  einer 
dieser  Fälle  ein,  so  steht  das  Verbum  scheinbar  an  erster  Stelle,  schliefst 
sich  aber,  wofern  es  selbst  tonlos  oder  nur  schwach  betont  ist,  gewissen 
mit  ihm  eng  verbundenen  Elementen  enklitisch  an. 

§  7.  Aber  auch  so  gefafst  scheint  die  Regel  angesichts  der  vielen 
von  Morf  p.  222  (unter  a:  Trennung  des  vorangehenden  Subjekts  vom 
Verbum)  gesammelten  Beispiele,  in  denen  ein  nominales,  logisches  und 
grammatisches  Subjekt  vom  Verbum  durch  eine  adverbiale  oder  prädi- 
kative Bestimmung  oder  das  Objekt  getrennt  ist,  auf  Allgemeingültig- 
keit Anspruch  nicht  machen  zu  dürfen  (cfr.  auch  Völcker  p.  28,  33, 
Le  Coultre  p.  29,  38,  Krüger  p.  45,  47,  Schlickum  p.  12,  Ehering 
Z.  V,  355). 

Der  Umstand,  auf  den  schon  von  Morf  a.  a.  0.  hingewiesen  wird, 
dafs  das  Subjekt  in  allen  diesen  Beispielen  regelmäfsig  das  erste 
Ilemistich  füllt,  giebt  einen  deutlichen  Fingerzeig  für  die  richtige  Auf- 
fassunfj:  Man  hat  beim  Vortrage  eine  Avenn  auch  noch  so  kleine  Pause 
hinter  dem  Subjekt  eintreten  zu  lassen,  so  dafs  alle  hergehörigen  Be- 
lege im  Grunde  als  der  epischen  Sprache  überaus  angemessene  Ana- 
koluthien  anzuerkennen  sind.  So  hat  man  denn  Ch.  Rol.  2820: 
E  rptatre  cttnte  l^estreu   li  nnt  tenut   wiederzugeben   durch:   „Und    vier 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesätze.  205 

Grafen,  den  Steigbügel  haben  sie  ihm  gehalten."  Noch  deutlicher  ist 
Ch.  Rol.  2755  f.,  wo  das  Versende  hinter  dem  Subjekt  eintritt:  Carles 
li  eniperere  Mort  m'ad  mes  humes,  ma  terre  deguastee.* 

Die  hergehörigen  Belege  sind  grofsenteils  derart,  dafs  das  der 
Cäsur  folgende  Satzglied  mit  dem  Verbum  finitum  in  enger  Verbin- 
dung steht;  man  vergl.  auch  (Krüger  p.  47)  V.  H.  106:  Li  baron 
merci  vos  criefit. 

§  8.  Wenn  wir  somit  nicht  zugeben  können,  dafs  so  gestaltete 
Beispiele  der  oben  aufgestellten  Regel  zuwiderlaufen,  so  gilt  das 
Gleiche  von  solchen,  die  w\e  Ch.  Lyon  6340  (citiert  von  Le  Coultre 
p.  68):  Mes  mialz  voel  je  que  mes  amis  JWait  oltre  d' armes  que  tue, 
ein  pronominales  (mit  dem  logischen  identisches)  Subjekt  aufweisen, 
trotzdem  das  einleitende  Satzglied  (jniah,  da  7ves  nicht  in  Betracht 
kommen  kann)  offenbar  als  logisches  Subjekt  nicht  gelten  kann,  viel- 
mehr anzuerkennen  ist,  dafs  es  in  enger  Verbindung  zum  verbum 
finitum  stehe  (jnialz  voel  =  malo).  Gleicher  Art  scheint  auch  Anc. 
Nie.  295**  (in  den  Nouv.  fran9.  citiert  von  Krüger  p.  30)  trop  eii 
avez  vos  fait.  Dafs  man,  als  das  Bedürfnis,  ein  pronominales  Subjekt 
auszusetzen,  mit  der  Zeit  stärker  wurde,  dasselbe  auch  in  Fällen  dem 
Verbum  enklitisch  anhängte,  in  denen  es  ursprünglich  regelmäfsig  zu 
fehlen  scheint,  kann  nicht  auffällig  sein,  sondern  mufste  schon  a  priori 
erwartet  werden. 

§  9.  Es  erübrigt  zu  zeigen,  dafs  für  den  Nachsatz  dieselben 
Regeln  wie  für  den  Vordersatz  gelten,  so  dafs  das  oben  gewonnene 
Resultat  ganz  allgemein  für  den  altfranzösischen  asserierenden  Haupt- 
satz zutrifft. 

a)  Im  uneingeleiteten  Nachsatz  wird  in  der  Regel  das  Subjekt 
nicht  invertiert  (Morf  p.  215,  Völcker  p.  19,  Marx  p.  341,  Krüger 
p.  39,  Schlickum  p.  0).    Die  Fälle,  in  denen  Inversion  eintritt,  zerfallen 

1)  in  solche,  in  denen  auch  der  Vordersatz  Umstellung  des  Sub- 
jekts aufweisen  würde.  Derart  sind  die  meisten  der  von  Völcker  ge- 
gebenen Belege  (Völcker  p.  19).  Auszuscheiden  ist  von  diesen  zu- 
nächst Passion  57 d,   wo  ein  Nachsatz  gar  nicht  vorliegt.***    Leode- 


*  Eigentümlich    ist    Ad.    p.    40:     J'[os]tez     en    sui,    par    moii  pecchie, 
par  wir. 

"*  In  der  Ausgabe  von  Suchier  32,   14. 
***  Die   Stelle   lautet   (Passion  57c  f.):    crucijlge   crucifige    Criüent   P'dat 
trcKtuit  ensims. 


20G  Die  Wortstellung  im   ;ilt französischen  direkten  Fragesätze. 

giir  27  d  ist  das  Veibiim  ein  verbiim  dicendi:  Cum  si  Vaut  toth  vitu- 
peret  Dist  Eiiurnins  qui  tan  fud  niiels:  (es  folgt  die  Rede).  Wenn 
Völcker  hier  den  Grund  der  Inversion  in  dem  Umstände  sucht,  dafs 
eine  direkte  Rede  folgt,  so  hat  er  erst  nachzuweisen,  dafs  eine  dem 
Yerbum  folgende  direkte  Rede  überhaupt  je  Inversion  des  Subjekts 
veranlassen  konnte.  Auch  bezüglich  AI.  59  b:  An  la  semaine  rpied  ü 
s'en  diit  aler  Vint  une  voiz  treis  feiz  en  la  citet,  und  AI.  45  b:  Quant 
ot  li  pedre  la  clamor  de  sun  ßl,  Plurent  si  oil,  ne  s'en  piiet  astcnir 
pflichte  ich  Völcker  nicht  bei,  der  behauptet,  die  vorangehenden  Tem- 
poralsätze hätten  in  diesen  Beispielen  Inversion  bewirkt.  Vor  allem 
liegt  59  b  ein  Temporalsatz  gar  nicht  vor;  dafs  aber  bei  beiden  Belegen 
auch  ohne  die  vorangehende  adverbiale  Bestimmung  oder  den  Neben- 
satz Inversion  hätte  eintreten  können,  beweist  für  45  b  das  ganz  ana- 
loge Beispiel  AI.  63c:  vint  une  voiz  etc.,  für  59  b  AI.  88a;  Plurent 
si  oil  (citiert  von  Völcker  p.  11). 

Morf  giebt  p.  215  zwei  Belege  aus  dem  Rolandslied,  in  denen  im 
uneingeleiteten  Nachsatz  nach  vorangehendem  Temporalsatz  Inversion 
eintritt.  Bei  beiden  wäre  auch  im  uneingeleiteten  Vordersatz  Inversion 
möglich.  Für  Ch.  Rol.  2231  f.:  Einz  qn'om  alast  un  sid  arpent  de 
camp  Falt  li  li  coers  citiert  Morf  selbst  Ch.  Rol.  2019  als  Parallele. 
Ch.  Rol.  2917  könnte  li  hume  als  nachträgliche  Erläuterung  zu  vendrunt 
aufgefafst  werden.  Die  beiden  Fälle  nicht  normal  zu  nennen,  wie 
Morf  thut,  scheint  mir  kein  Grund  vorhanden. 

Auch  Ch.  Lyon  809 :  Ainz  que  la  joie  fast  remeise  Vint  d'ire 
plus  ardanz  que  hreise  Uns  Chevaliers  a  si  grant  hruit  etc.,  und  eb. 
1144:  Que  qu'il  aloient  reverchant  ....  Viiit  une  des  plus  heles  dames 
(citiert  von  Le  Coultre  p.  15)  ijt  man  nicht  gezwungen  anzunehmen, 
die  vorangehenden  Nebensätze  hätten  die  Inversion  hervorgerufen,  da 
da.s  Subjekt  den  Kern  der  Aussage  bildet  und  daher  auch  im  uneinge- 
leiteten Vordersatze  recht  wohl  hätte  invertiert  werden  können.  Ebenso 
ist  das  von  Krüger  p.  38  citierte  V.  H.  168:  mais  ainz  que  li  estorz 
parßnast,  vint  uns  Chevaliers  de  la  maisnie  Henri  zu  beurteilen.  Das 
ebenda  herbeigezogene  Beispiel  aus  Aue.  Nie.  (Nouv.  fran^.  p.  273): 
Qui  que  derve,  n'ost  joie  Aucasins  lautet  in  Siichiers  Ausgabe-  20,  14: 
Qui  que  denienast  joie,  Aucasins  {ii'en  ot  talent). 

2)  Solche,  bei  denen  der  Grund  der  Inversion  in  dem  vorauf- 
gehenden wie  eine  adverbiale  Bestimmung  wirkenden  Nebensatze  zu 
sehen  ist. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  207 

Derart  scheinen  zu  sein  Alexius  67  b  (citiert  von  Völcker  p.  19), 
Ch.  Lyon  4946  (Le  Conltre  p.  16),  Ville-Hard.  287  (Krüger  p.  38), 
eb.  120,  143,  Joinville  79,  266  und  die  übrigen  von  Marx  p.  341 
gegebenen  Belege,  mit  Ausnahme  vielleicht  von  89,  300:  Tandis  que 
le  roy  demenoit  en  Acre^  vindrent  les  messages.  Aus  Froissart  giebt 
Ebering  Zeitschr.  V,  350,  6  a  Nachweise. 

b)  Im  eingeleiteten  Nachsatze  findet  sich  Inversion  des  Subjekts 

1)  nach  si  (Morf  p.  210,  Völcker  p.  19,  Krüger  p.  39,  Schlickum 

2)  nach  dune  (Belege  ebenda)  oder  nach  einem  anderen  Adverbium 
(selten;  Ch.  Hol.  3442  wird  U  nobüies  vassals  als  nachträgliche  Er- 
läuterung anzusehen  sein;  immerhin  würde  das  einleitende  sempres 
Inversion  bedingen;  Alexius  20b  liegt  für  danz  Alexis  die  gleiche 
Auffassung  wie  für  li  noh.  vassals  nahe); 

3)  nach  einem  präpositionalen  Adverbiale;  nur  Morf  giebt  einen 
Beleg:  Ch.  Rol.  29  f.; 

4)  nach  einem  Objekt.*     Völcker  citiert  AI.  IIb,  Gorm.  533; 

5)  nach  einem  Prädikativ,  das  allerdings  nach  unserer  Auffassung 
in  den  beiden  von  Morf  gegebenen  Belegen  (Ch.  Rol.  3934,  eb.  1728) 
nicht  Ursache  der  Inversion  des  Subjekts  ist. 

Die  Spärlichkeit  der  Beispiele**  überrascht  nicht,  wenn  man  be- 
denkt, dafs  überall,  wo  im  Nachsatz  Inversion  nicht  eintritt  oder  anders 
als  durch  den  vorangehenden  Nebensatz  zu  stände  kommt,  im  Grunde 
so  gut  Anakoluthien  vorliegen,  wie  wenn  nach  einem  Adverbiura  oder 
einer  adverbialen  Bestimmung,  mit  denen  logisch  die  Nebensätze  gleich- 
wertig sind,  die  Umstellung  des  Subjekts  unterbleibt.  So  ist  denn  in 
einem  Satze  Avie  Ch.  Rol.  2481 :  Qua)it  il  se  drecet,  li  soleilz  est 
culchiez  ursprünglich  quant  il  se  drecet  logisches  Subjekt  zu  dem 
logischen  Prädikat  li  soleilz  est  culchiez,  so  dafs  durch  den  Vers  von 
einem  Zeitpunkt,  den  der  Redende  nicht  anders  als  durch  den  Satz 
Quant  il  se  drecet  kennzeichnen  zu  können  glaubt,  ausgesagt  wird,  es 
habe  an  ihm  das  durch  den  Hauptsatz  li  soleilz  est  cidchiez  zum  Aus- 
druck Gebrachte  stattgefunden.  Ist  der  Sachverhalt  dieser,  so  müfste 
nach  den  sonst  für  die  alte  Sprache  geltenden  Gesetzen   dem   logischen 


*  Adde  bei  Morf,  Ch.  Rol.   19.35. 

**  Die  übrigen«,  wie  Morf  bemerkt,  zum  Teil  darin  begründet  ist,  dafs 
sehr  oft  ki-in  Subjekt  ausgesetzt  ist.  Cfr.  Ch.  Rol.  1110,  2342,  2447, 
1928  etc.  (citiert  von  Morf  p.  219). 


208  Die  Woitstelliing  im  iiltfranzb.-ischen  (linkten  Fragesätze. 

Subjekt  (luiüit  iL  se  drecet  zunächst  das  Verbum  folgen,  somit  Inversinn 
des  grummatisclion  Subjekts  eintrelen.  Aber  es  ist  auch  wieder  leicht 
begreiflich,  dafs  es  einer  so  kunstlosen,  ungeschminkten  Sprache  wie 
dem  Altfranzösischen,  die,  wie  wir  oben  sahen,  schon  nach  einem  ein- 
leitenden präpositionalen  Adverbiale  häufig  das  Aufgeben  der  ursprüng- 
lich beabsichtigten  Konstruktion  für  geraten  hielt,  schwer  fallen  konnte, 
einen  vollständigen  Nebensatz  als  logisches  Subjekt  nicht  sowohl  zu 
denken,  als  dem  vielmehr  auch  äufserlich  durch  die  Form  Ausdruck  zu 
geben.  Lieber  griff  es  zu  einem  auch  sonst  beliebten  Mittel,  indem  es 
Haupt-  und  Nebensatz  einfach  nebeneinander  stellte  und  es  dem  Hörer 
überliefs,  ihr  logisches  Verhältnis  herauszufinden.  Nicht  selten  aber 
ffab  es  auch  in  einem  gewissen  Streben  nach  Saubeikeit  des  Ausdrucks 
in  äuf^erst  schlichter  Weise  durch  ein  die  beiden  Satzgefüge  verbin- 
dendes et  ihre  Zusammengehörigkeit  noch  besonders  zu  verstehen  oder 
resümierte  durch  ein  si  oder  donc  an  der  Spitze  des  Hauptsatzes  das 
im  Nebensatze  Gesagte.  Diesem  Streben  nach  Sauberkeit  und  Ver- 
ständlichkeit des  Ausdrucks  aber  läuft  es  offenbar  zuwider,  wenn  nach 
einem  vorangehenden  Nebensatz  nicht  nur  nicht  Inversion  des  Subjekts 
eintritt,  sondern  auch  noch  insofern  von  der  gewöhnlichen  Gedanken- 
und  daher  Wortfolge  abgewichen  wird,  als  ein  mit  dem  grammatischen 
Subjekt  niclit  identisches  Satzglied  logisches  Subjekt  des  Hauptsatzes 
wird,  wie  dies  z.  B.  Ch.  Rol.  3442:  ße  li  paieiis  une  feiz  reciivrast, 
Sempres  fust  morz,  li  nobüies  vassals  der  Fall  ist.  So  zog  man  es 
denn  vor,  derartige  an  sich  recht  wohl  mögliche  Ausdrucksweisen,  wo 
nicht  zu  vermeiden,  so  doch  möglichst  einzuschränken. 

Bei  Sätzen  hingegen,  in  denen  das  den  Nachsat/;  einleitende  Salz- 
glied nicht  logisches  Subjekt  ist,  sondern  mit  dem  Verbum  einen  ein- 
heitlichen Begriff  bildet,  wie  z.  B.  Ch.  Rol.  2845:  Äl  matinet  qiiant 
primes  apert  Valbe,  Esveillez  est,  li  emperere  Carles  (ebenso  Ch.  Rol. 
745,  762,  1196,  2448,  3644,  3851)  liegt  keine  gröfsere  Abnormität* 
vor  als  in  dem  vorher  citierten  Ch.  Rol.  2481:  Qxtant  il  se  drecet  li 
soleilz  est  cidcldez. 

§  10.  Darf  man  nunmehr  annehmen,  dafs  die  oben  aufgestellte 
Regel  allgemein  für  den  altfranzösischen  asserierenden  Hauptsatz  Gültig- 
keit habe,  so  liegt  uns,  indem  wir  zu  unserem  Ausgangspunkte  zurück- 


*  So  dürfen  wir  vom  psycholo;;ischen  Standpunkte  sagen,    obgleich    das 
Nichteintreten  der  Inversion  Regel  ist  (Morf  p.  215). 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  209 

kehren,  die  Beantwortung  der  Frage  ob,  wie  weit  angesichts  dieses 
Resultats  der  Umstand,  dafs  das  Verbura  an  die  Spitze  des  Satzes  tritt, 
noch  als  Charakteristikum  des  Fragesatzes  gelten  könne?  Offenbar 
wird  die  Inversion  des  Verbs  als  äufseres  Kennzeichen  der  Frage  un- 
wirksam für  Fälle,  in  denen  das  Verb  schon  im  Aussagesatze,  wenn 
auch  zum  Teil  nur  scheinbar,  die  erste  Stelle  einnimmt,  d.  h.  1)  wenn 
das  Verb  selbst  logisches  Subjekt  ist,  2)  wenn  ein  grammatisches  und 
logisches  Subjekt  nicht  ausgesprochen  ist.  Dahin  gehören  auch  die 
Fälle,  in  denen  das  Subjekt  als  nachträgliche  Erläuterung  zum  Verb 
funktioniert.  Auszunehmen  sind  dagegen  solche,  in  denen  dem  Verb 
ein  mit  ihm  eng  verbundenes  Satzglied  vorangehen  mufs,  z.  B.  Aus- 
sage;  mort  sunt,  Frage:  sunt  mort? 

Fiir  alle  nicht  unter  1  oder  2  gehörigen  Fälle  aber  ist  anzu- 
erkennen,  dafs  die  Inversion  des  Verbs  auch  das  einzig  mögliche  Unter- 
scheidungsmittel  der  Frage   vom  Aussagesatze  war,    sofern   die  Wort- 

o  o  o  ' 

Stellung  dasselbe  abgeben  sollte.  Für  sie  gilt  nämlich,  wie  wir  oben 
sahen,  die  Regel:  an  erster  Stelle  steht  das  logische  Subjekt,  an  zweiter 
das  Verbum. 

Da  nun  jedes  beliebige  Satzglied  logisches  Subjekt  sein  kann,  so 
ergiebt  sich,  dafs  die  Form  der  Aussage  wesentlich  dadurch  zu  stände 
kommt,  dafs  das  Verbum  einem  anderen  Satzteile  nachfolgt.  So 
war  denn  in  der  That  der  einzig  mögliche  Weg,  die  Aussageform  zu 
vermeiden,  der,  dafs  das  Verb  an  die  Spitze  trat  und  irgend  welche 
andere  Satzglieder*  vor  sich  nicht  duldete. 

Dafs  auch  ein  mort  sunt  nur  durch  simt  mort  zu  umgehen  war, 
liegt  auf  der  Hand. 

Doch  wir  dürfen  annehmen,  dafs  die  Sprache  sich  des  genannten 
Mittels  dennoch  nicht  bedient  haben  würde,  wenn  es  nicht  gleichzeitig 
vortreflflich  geeignet  wäre,  die  Natur  des  Fragesatzes,  der,  um  es  zu 
wiederholen,  weder  ein  halbes  noch  ein  ganzes,  sondern  ein  in  Schwebe 
befindliches  Urteil  zum  Ausdruck  bringt,  zu  veranschaulichen :  Das 
einem  Satzgliede  folgende  Verbum  bildet  den  Stützpunkt  der  ganzen 
Aussage;  diesen  Stützpunkt  nun  raubt  man  dem  Satze,  indem  man  das 
Verbum  an  die  Spitze  treten  läfsl.  Die  Frage  ist  somit,  um  bei  dem 
Bilde  zu  bleiben,  eine  Aussage  ohne  Stützpunkt. 


*  Dafs  hier  nur  die  dem  engeren  Satzgefüge  angehörigen  Satzglieder  in 
Betracht  kommen  (koorLlinierende  Konjunktionen  wie  et,  mais,  cur  also  nicht], 
versteht  sich. 

Archiv  f.  ii.  Sprachen.   LXXI.  l'i 


210  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

Doch  sollte  man  nach  unseren  obigen  Ausführungen  meinen,  dafs 
die  Sprache,  die  sich  ganz  gewifs  nicht  durch  die  grundlose  Besorgnis, 
man  möchte  ein  als  Frage  gemeintes  mort  sti7it?  als  Aussage  fassen, 
veranlafst  gefühlt  haben  würde,  statt  mort  sunt?  —  sunt  mort?  zu 
stellen,  in  ähnlichen  Fällen,  in  denen  doch  das  Verbum  nur  scheinbar 
eine  andere  Stellung  als  in  einem  Satze  (Ch.  Rol.  1841)  Demurent 
trop  einnimmt,  die  Frage,  wie  ja  auch  sonst  zuweilen,  mit  der  Aus- 
sage gleichlauten  liefse  und  den  Ton  allein  zur  Charakterisierung  für 
ausreichend  erachtete.  Die  Thatsache,  dafs  diese  Erwartung  sich 
nicht  bestätigt,  legt  die  Vermutung  nahe,  dafs  für  die  Frage  die  Vor- 
bedingungen jener  Wortstellung  des  Aussagesatzes  nicht  vorhanden 
waren. 

Diese  Vorbedingung  stellt  sich,  um  bei  dem  gewählten  Beispiele 
mort  sunt  zu  bleiben,  in  der  Thatsache  dar,  dafs  man  es  vermied,  das 
tonlose  oder  nur  schwach  betonte  estre  an  den  Anfang  des  Satzes 
treten  zu  lassen.  Aber  auch  hier  wieder,  dürfen  wir  annehmen,  hätte 
sich  die  Sprache  durch  derartige  rein  äufsere  Rücksichten  nicht  ver- 
leiten lassen,  von  der  ursprünglichen  Wortstellung  abzuweichen,  wenn 
nicht  die  dafür  gewählte  ebenso  gut  oder  noch  besser  geeignet  gewesen 
wäre,  dem  betreffenden  Gedanken  Ausdruck  zu  geben.  Wir  glaubten 
daher  den  Grund  der  vorliegenden  Erscheinung  in  einer  innigen  Ver- 
bindung des  Verbums  estre  mit  dem  Prädikativum  sehen  zu  dürfen: 
das  „Totsein"  stellt  sich  dem  Redenden  als  ein  einheitlicher  Begriff 
dar,  die  vollendete,  durch  mort  sunt  ausgedrückte  Thatsache  schwebt 
ihm  vor.  Ein  Gleiches  kann  für  die  Frage  nicht  gelten ;  der  Redende 
ist  vielmehr  völlig  im  Unklaren  darüber,  ob  das  durch  sunt  mort  zum 
Ausdruck  Gebrachte  Thatsache  sei  oder  nicht,  diese  Ungewifsheit 
selbst  ist  überhaupt  die  Veranlassung  seiner  Rede.  Er  hat  demnach 
auch  keinen  Grund,  sich  einer  Wortfolge  zu  bedienen,  die  gerade  darin 
ihre  Erklärung  findet,  dafs  dem  Geiste  des  Redenden  als  ein  einheit- 
licher Begriff  vorschwebt,  was  die  Sprache  nur  als  die  Verbindung 
mehrerer  auszudrücken  gestattet. 

§  11.  Alles  bisher  Gesagte  gilt  natürlich  nur  von  den  Be- 
stätigungsfragen; es  scheint  mir  nicht  zweifelhaft,  dafs  man  bei  Er- 
klärung der  Inversion  des  Subjekts  in  Bestimmungsfragen  von  anderen 
Gesichtspunkten  ausgehen  mufs.  Henri  Weil  a.  a.  0.  p.  63  sieht 
in  diesen  nur  eine  Abart  der  Bestätigungsfragen  und  betrachtet  es 
daher  im   Grunde  als   eine  Unregelmäfsigkeit,   dafs   die  interrogativen 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  211 

Pronomina  »nd  Adveibia  dem  Verbum  vorantreten.  Seine  Erklärung 
dafür  ist  dann:  Mais  ces  mots  (die  interrogativen  Pronomina  oder 
Adverbia)  so7it  lyrecüement  les  Substituts  de  la  partie  inconnue  qui 
?nanque  ä  la  totalite  de  la  pensee,  le  x  qui  se  place  d^un  cote  de 
te'quation.  Ich  habe  mich  vergeblich  gemüht,  den  Gedanken  Weils 
zu  verstehen,  kann  daher  auf  eine  Besprechung  seiner  Ansicht  nicht 
eingehen. 

Der  wesentliche  Unterschied  zwischen  Bestätigungs-  und  Be- 
stimmungsfragen liegt  darin,  dafs  jene  der  Ausdruck  eines  noch  in 
Schwebe  befindlichen,  diese  der  eines  defektiven  Urteils  sind,  dessen 
Lücke  das  Fragewort  auszufüllen  auffordert.  So  ist  es  denn  meiner 
Ansicht  nach  auch  nicht  angängig,  die  Inversion  in  beiden  Arten 
von  Fragen  auf  die  gleiche  Weise  erklären  zu  wollen.  Was  ist  nun 
aber  die  eigentliche  Bedeutung  der  Inversion  in  den  Bestimraungs- 
fragen  ?  Sehen  wir  einen  Augenblick  von  der  Natur  des  Satzes  ab, 
so  kann  nns  offenbar  nichts  hindern,  wie  einen  Satz  la  siet  li  rois 
auch  einen  Satz  ou  siet  li  rois?  aufzufassen.  Nach  unseren  obigen 
Aufstellungen  wäre  der  Sinn  dieses  Satzes :  Von  einem  mit  ou  be- 
nannten Orte  sage  ich  aus,  dafs  an  ihm  das  Sitzen  des  Königs  statt- 
finde. Indem  sich  der  Redende  nun  des  Fragewortes  ou  bedient,  be- 
kundet er  einerseits  seine  Unkenntnis  in  Bezug  auf  einen  Ort,  fordert 
aber  zweitens  den  Höier  gleichzeitig  zur  Belehrung  auf.  Ist  dies  der 
Sinn  von  ou,  so  bedeutet  demnach  ou  siet  li  rois:  die  Aussage  li  rois 
siet  gilt  von  einem  Orte,  den  ich  nicht  kenne,  aber  zu  erfahren 
wünsche.  Augenscheinlich  ist  dies  genau  der  Sinn  einer  Frage  ou  siet 
li  rois?  Bei  dieser  Betrachtungsweise  erscheint  denn  auch  die  Aus- 
nahme, die  in  Fragen,  in  denen  ein  substantivisches  Interrogativ- 
pronomen (qui,  lequel)  oder  ein  von  einem  attributiven  (quel)  beglei- 
tetes Nennwort  Subjekt  ist,  Inversion  nicht  gestattet  (Mätzner, 
Grammatik  2  p.  554  bb),  nicht  mehr  willkürlich,  sondern  notwendig. 

Man  konnte  gegen  diese  Erklärung  einwenden:  Weshalb  haben 
die  interrogativen  Pronomina  und  Adverbia  jederzeit  ihre  Stelle  vor 
dem  Verbum,  während  die  entsprechenden  Satzteile  im  Aussagesatze 
bald  vor,  bald  hinter  demselben  stehen? 

Ich  würde  antworten,  dafs  mir  a  priori  die  Stellung  der  Frage- 
wörter hinter  dem  Verbum  nicht  undenkbar  sei,  dafs  man  im  Deutschen 
sogar  nicht  selten  Gelegenheit  hat,  pädagogischen  Fragen  zu  begegnen 
etwa  von  der  Form:    „Karl  der  Grofse  regierte  wann?"    Andererseits 

14* 


212  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

aber  scheint  jenes  Gesetz,  das  den  Fragewörtern  die  erste  Stelle  in 
Bestimmungsfragen  anweist,  auch  wiederum  natürlich,  wenn  die  Frage 
ihren  eigentlichen  Zweck,  den  der  Belehrung  des  Fragenden,  erfüllen 
soll;  denn  für  diesen  Fall  ist  die  Erklärung,  die  Le  Coiiltre  unge- 
hörigerweise für  die  Bestätigungsfragen  giebt,  angebracht:  Celui  qui 
interroge  n^a  rien  de  plus  presse  qiie  dtexprimer  Videe  sur  laquelle  porte 
son  doute  oder  besser  son  ignorance. 

(Scblufs  folgt.) 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Die  Realgymnasien  bezw.  Realschulen  I.  0.  und  das  Studium 
der  neueren  Sprachen.  Mit  einem  Vorwort  an  alle  früheren 
Schüler  der  Realschulen  I.  O.  und  Realgymnasien  und 
einer  Besprechung  der  Schrift  des  Prof.  Dr.  Körting  in 
Münster:  „Gedanken  und  Bemerkungen  über  das  Studium 
der  neueren  Sprachen  auf  den  deutschen  Hochschulen", 
unter  Berücksichtigung  der  darüber  erschienenen  Beurtei- 
lungen von  Dr.  Otto  Danker.     Kassel,  F.  Kefsler,  1883. 

Die  vorliegende  Schrift  charakterisiert  sich  in  jeder  Beziehung  als  eine 
oratio  pro  domo  im  guten  Sinne  des  Wortes.  Der  Verfasser,  welcher  dem 
Realgymnasium  seine  Bildung  verdankt  und  selbst  als  Lehrer  der  neueren 
Sprachen  an  einer  solchen  Anstalt  wirkt,  unternimmt  es,  die  Angriffe  gegen 
diese  Schulen  zurückzuweisen  und  besonders  die  Befähigung  ihrer  Abitu- 
rienten zum  Studium  der  neueren  Sprachen  darzuthun. 

Es  läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  die  Realgymnasien  gegenwärtig  in 
einem  Zustande  der  Stagnation  verharren  und  dafs  dem  grofsen  Aufschwünge 
in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrzehnts  eine  ebenso  grofse  Reaktion 
gefolgt  ist.  Dieselbe  ist  hervorgerufen  teilweise  durch  das  Ausbleiben  der 
erwarteten  Berechtigungen,  teilweise  durch  die  mafslosen  Angriffe,  welche 
von  kompetenter  und  inkompetenter  Seite  und  Männern  des  verschiedensten 
religiösen  und  politischen  Standpunktes  gegen  diese  Schulen  gemacht  sind. 
Wie  für  jeden  lebensfähigen  Organismus  ein  Stillstand  der  Entwickelung 
notwendig  einen  Rückschritt  einschliefst,  so  mulste  auch  auf  die  Realgym- 
nasien ein  ^'ers!^gen  der  Berechtigungen,  auf  welche  sie  Anspruch  zu  haben 
glauben,  naturgemäfs  reagierend  einwirken.  Kommt  dann  noch  dazu,  dafs 
bchulmänner  und  selbst  einige  Professoren  <ler  neueren  Sprachen  an  den 
Universitäten  ihre  Stimme  gegen  diese  Anstalten  erheben,  so  ist  es  nur  zu 
erklärlich,  dafs  Fernstehende  in  ihrem  Urteil  beeinflufst  und  verwirrt  werden. 
Was  wird  alles  auf  Rechnung  der  Realgymnasien  gesetzt !  Unwissenschaft- 
lichkeit, Halbbildung,  Materialismus,  Araerikanismus,  Unzufriedenheit  mit 
den  bestehenden  Verhältnissen  und  ähnliche  \'orwürfe  klingen  immer  und 
immer  wieder  in  den  Schriften  der  Gegner.  Welch  ein  Unterschied  in  dem 
Standpunkt  eines  gewissen  Oberlehrers  Viktor  Schlegel  zu  Wasen,  welcher 
den  Sieg  des  Protestantismus  im  Kulturkampfe  nur  durch  die  Unterdrückung 
der  Realschulen  für  möglich  hält,  und  dem  Auftreten  des  Abg.  Windthorst, 
welcher   seine  Feindschaft  gegen   diese  Anstalten  als   einen  Ausflufs   seiner 


211  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

persönlit'lion  Vorliebe  für  das  Gymnasium  bezw.  seines  Grolls  gegen  die 
Itealgyinnasien  oHen  eingesteht !  Alle  diese  Punkte  kommen  in  der  Schrift 
Danktrs,  wenn  auch  oft  nur  in  Exkursen,  zur  Besprechung,  und  die  Vor- 
würfe gegen  die  Realgymnasien  werden  nicht  ohne  Geschick  und  Kenntnis  der 
einschlägigen  Veriiältnisse  zurückgewiesen. 

Im  ersten  Teile,  welcher  als  „Vorwort"  vorausgeschickt  ist,  beleuchtet 
der  \'erfasser  einige  Specialgutachten  der  Mitglieder  der  philosophischen 
Fakultät  zu  Berlin  nebst  der  bekannten  Rektoratsreje  des  Prof.  Ilofmann, 
ilen  Antrag  der  Kieler  philosophischen  P^ikultät  an  den  Kultusminister  um 
Aufhebung  der  Verordnung,  nach  welcher  es  den  Realscliul  -  Abiturienten 
erlaubt  ist,  sich  dem  Studium  der  neueren  Sprachen  zu  widmen,  und  die 
aus  dem  jetzigen  Stande  der  Berechtigungsfrage  sich  ergebende  ungünstige 
Stellung  der  von  den  Realgymnasien  entlassenen  Abiturienten.  —  In  der 
Kritik  der  Specialgutachten  und  der  Rede  des  Prof.  Hofniann  darf  man 
Uanker  im  ganzen  zustimmen.  Wenn  Hofmann  die  Idealität  und  Wissen- 
schaftlichkeit nur  auf  die  altklassische  Vorbildung  basieren  will,  so  ist  das 
weder  principiell  richtig,  noch  entspricht  es  den  Erfahrungen  der  Praxis. 
Welche  Klagen  sind  in  dieser  Beziehung  gerade  gegen  die  Studenten  der 
altklassischen  Philologie  erhüben  worden !  Noch  in  einem  der  neuesten 
Hefte  des  Philologischen  Anzeigers  klapt  Prof.  v.  Leutsch  bitter  über  die 
mangelnde  Neigung  zu  selbständiger  Arbeit.  „Dann  plötzlich  von  dem  her- 
annahenden Examen  geängstet,  sucht  man  so  viel  als  möglich  sich  einzu- 
prägen (der  Phiiolog  liest  dann  statt  der  griechischen  Texte  deutsche  Über- 
setzungen) und  glaubt  sich  geborgen,  wenn  es  gelingt,  knapp  am  Rande  des 
Durclifallens  durch  die  Prüfung  hindurchzuschlupfen. "  —  Das  Vorgehen  der 
Kieler  philosophischen  Fakultät  kann  nicht  stark  genug  gebrandmarkt  worden. 
Wenn  dieselbe  zur  Stellung  ihres  Antrages  die  Zeit  benutzt,  wo  der  einzige 
\'ertreter  der  romanisch-englischen  Philologie  krankheitshalber  abwesend  ist, 
so  verläfst  sie  den  Boden,  auf  dem  noch  anständigerweise  ein  Streit  geführt 
werden  kann.  —  Die  Auseinandersetzung,  welche  dann  Danker  über  die 
ungünstige  Lage  der  Realschul-Abiturienten  giebt,  ist  durchaus  zutreffend 
und  wird  die  Zustimmung  aller  Lehrer  finden,  welche  Gelegenheit  haben, 
nach  jeilem  abgehaltenen  Abiturienten-Examen  diesen  Notstand  zu  beob- 
achten. Wenn  indessen  Danker  die  studierenden  Realschul-Abiturienten 
auffordert,  „Vereine  ehemaliger  Kealgymnasiasten"  zu  bilden,  so  kann  Hef. 
ihm  nicht  zustimmen.  Im  Gegenteil  ist  denselben  auf  der  Universität  die 
engste  Verbindung  mit  den  übrigen  Studierenden  zu  raten  sowohl  im  eigenen 
Interesse  als  auch  um  jeden  Rifs  in  den  studentischen  Kreisen  zu  vermeiden, 
den  viele  Gegner  der  Realschulen  absichtlich  hineintragen  wollen. 

Im  zweiten  Teile  seiner  Schrift  behandelt  Danker  eingehend  die  Real- 
gymnasien und  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  Es  sind  zwei  Fragen, 
welche  er  zu  beantworten  sucht:  1)  Genügt  die  Vorbildung  der  Real- 
gymnasial-Abiturienten  für  ein  wissenschaftliches  Studium  der  neueren  Spra- 
chen? und  2)  Welche  Vorteile  zieht  das  Studium  der  neueren  Sprachen 
selbst  aus  der  Berechtigung  der  Realschul-Abiturienten  zu  diesem  Studium? 
—  Was  die  erste  Frage  betriff't,  so  hat  man  den  Realschul-Abiturienten 
eine  ungenügende  Kenntnis  der  lateinischen  und  den  Mangel  der  griechi- 
schen Sprache  vorgeworfen.  Der  erste  \'orwurf  wird  nach  Einführung  der 
neuen  Lein-pläne,  durch  welche  der  lateinische  Unterricht  auf  den  Real- 
gymnasien um  zehn  Stunden  wöchentlich  vermehrt  ist  und  dadurch  im 
ganzen  eine  höhere  Stundenzahl  erlangt  hat  als  z.  B.  auf  den  französischen 
Gymnasien,  wohl  für  immer  verstummen.  Um  die  Unkenntnis  der  Real- 
gymnasial-Abiturienten  in  der  griechischen  Sprache  zu  heben,  schlägt  D.  vor, 
denselben  auf  der  Universität  durch  Vorlesungen  unter  dem  Titel  „Einfüh- 
rung in  die  griecliische  Sprache"  Gelegenheit  zu"  geben,  sich  die  für  ihr 
Studium  nötigen  Kenntnisse  anzueignen.  Wie  immer,  so  wird  auch  hier  bei 
dieser  Frage  mit  Wünschen  und  N'orschlägen  operiert,  welche  niemals  erfüllt 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  215 

werflen.  Man  darf  nur  mit  den  gegebenen  Verhältnissen  rechnen,  und  da 
wäre  zunächst  der  Frage  näher  zu  treten :  Aus  welchen  Anstalten  sollen  die 
Studierenden  der  neueren  Sprachen  hervorgehen?  Das  Gymnasium  lehrt, 
wenn  wir  von  den  bekannten  Ausnahmen  absehen,  kein  Englisch.  Diesen 
Unterricht  überall  fakultativ  einzuführen,  wie  von  verschiedenen  Seiten  vor- 
geschlagen ist,  wird  bei  dem  heutigen  Stande  der  Überbürdungsfrage  wohl 
immer  ein  frommer  Wunsch  bleiben.  Man  wird  vielmehr  darauf  bedacht 
sein  müssen,  von  dem  \'ielerlei,  was  auf  den  Gymnasien  gelehrt  wird,  das 
eine  o'ier  andere  Fach  zu  streichen.  Dazu  wird  notwendig,  wie  es  auch 
schon  für  die  zweite  Direktorenkonferenz  in  Schleswig-Holstein  vorgeschlagen 
ist,  das  F'ranzösische  gehören.  Zu  bedauern  wäre  das  weder  für  die  Gym- 
nasien, nocli  auch  für  den  französischen  Unterricht.  Die  Kenntnisse,  welche 
ein  Gymnasial-Abiturient  sich  im  Französischen  erworben  hat,  sind  gewifs 
nicht  der  verwandten  Zeit  entsprechend.  Man  darf  ohne  Übertreibung  be- 
haupten, dafs  ihm  auch  in  den  elementarsten  grammatischen  Dingen  jede 
sichere  Kenntnis  abgeht;  höchstens  hat  er  gelernt,  leichte  französische  Prosa 
mit  Hilfe  von  Erraten  ins  Deutsche  zu  übersetzen.  Wenn  einst  an  einer 
deutschen  Universität  ein  grammatisches  Kolleg  im  Französischen  angekündigt 
war  unter  Zugrundelegung  der  Plötzschen  Schulgrammatik  von  Lekt.  24  an,  so 
ist  das  zwar  etwas  drastisch  au.«gedrückt,  entspricht  aber  den  thatsächlichen 
\'erhältnissen.  Wie  sollte  es  auch  anders  sein?  Der  Gymnasiast  weifs  ganz 
genau,  dafs  ihm  eine  mangelhafte  Kenntnis  des  Französischen  niemals  in  der 
Erreichung  seines  Zieles  hinderlich  sein  wird.  Es  giebt  natürlich  Ausnahmen. 
Ein  Gymnasiast  kann  durch  häusliche  oder  andere  \'erhältnisse  zu  einem  in- 
tensiveren Studium  des  Französischen  oder  Englischen  veranlafst  sein,  aber 
der  normale  Zustand,  mit  dem  allein  gerechnet  werden  mufs,  ist  das  nicht. 
Kann  nun,  so  fragen  wir,  ein  gänzlicher  Mangel  des  Englischen  und  eine  sehr 
ungenügende  Kenntnis  des  Französischen  auch  bei  tüchtiger  Beherrschung 
des  Lateinischen  und  Griechischen  als  eine  genügende  Vorbildung  für  das 
Studium  der  neueren  Sprachen  angesehen  werden  ?  Besitzen  die  Sprechwerk- 
zeuge eines  jungen  Menschen,  der  bis  zu  seinem  zwanzigsten  Jahre  keinen 
englischen  Laut  gesprochen  hat,  noch  die  nötige  Bildungsfälligkeit,  um  sich 
in  einer  bestimmten  Zeit  eine  gute  Aussprache  des  Englischen,  welche  doch 
als  erstes  Erfordernis  der  Lehrerbefähigung  zu  betrachten  ist,  anzueignen? 
Die  neuerdings  erhobene  Klage,  dafs  die  Aussprache  des  Englischen  und 
Französischen,  welche  auf  unseren  Mittelschulen  betrieben  wird,  gar  nicht 
englisch  und  französisch  wäre,  würde  bei  einer  statistischen  Untersuchung 
über  die  Vorbildung  der  betreffenden  Lehrer  gewifs  zu  frappanten  Resul- 
taten führen.  Wäre  Danker  der  Erörterung  der  vorliegenden  Frage  in 
diesem  Sinne  näher  getreten,  so  würde  er  wahrscheinlich  noch  zu  anderen 
Ergebnissen  gelangt  sein.  Ob  das  von  ihm  vorgeschlagene  Nachstudium  das 
Griechischen  auf  der  Universität  grofse  Erfolge  haben  wird,  müssen  wir 
bezweifeln.  Auch  ein  fakultativer  Unterricht  im  Griechischen  auf  den  Real- 
gymnasien ist  mit  Danker  entschieden  abzulehnen.  Es  sind  wahrhaftig 
genug  der  Fächer  auf  diesen  Schulen,  und  die  Arbeitslast  der  Schüler  ist 
so  grofs,  dafs  alles  vermieden  werden  mufs,  sie  noch  zu  erhöhen.!  Sollen 
aber  deshalb  die  Abiturienten  der  Realgymnasien  von  dem  Studium  der 
neueren  Sprachen  ausgeschlossen  werden?  Es  ist  noch  von  keiner  Seite  die 
Notwendigkeit  des  Griechischen  zu  einer  wissenschaftlichen  Beschäftigung 
mit  den  neueren  Sprachen  bewiesen;  es  liegen  nur  einseitige  Forderungen 
einiger  Professoren  vor,  von  denen  sie  gewifs'auch  zurückkommen  würden, 
wenn  sie  sich  auf  den  Boden  der  gegebenen  Verhältnisse  stellen  wollten. 
Weder  der  termini  technici  wegen,  noch  um  die  Litteraturquellen  im  Urtexte 
lesen  zu  können,  ist  die  Kenntnis  der  griechischen  Sprache  notwendig.  Nur 
für  die  Lautphysiologie  kann  man  mit  einem  gewissen  Schein  eine  geringe 
Bekanntschaft  mit  der  griechischen  Formenlehre ,  für  wünschenswert  er- 
achten,   aber  deswegen  das  Griechische   zur   conditio  sine  qua  non  für  ein 


21 G  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

wissenschaftliches  Studium  der  neueren  Spraclien  zu  machen,  geht  entschieden 
zu  weit.  Doshalb  mag  immerhin  der  Vorschlag  Dankers  den  Realgymnasial- 
Abiturienten,  welche  sich  dem  Studium  der  neueren  Sprachen  widmen,  em- 
pfohlen worden,  ohne  ihn  aber  als  unbedingte  Forderung  hinzustellen. 

In  der  Erörterung  der  zweiten  Frage,  welche  Vorteile  das  Studium  der 
neueren  Sprachen  aus  der  Berechtigung  der  Realgymnasial-Abiturienten  zu 
diesem  Studium  zieht,  weist  Danker  nach  dem  Vorgange  vcn  Prof.  Stengel 
überzeugend  nach,  dafs  eine  gewisse  Solidarität  zwischen  ihnen  stattfindet. 
Er  hatte  ruhig  noch  den  weiteren  Schlufs  ziehen  dürfen,  dafs  nach  dem 
N'erschwinden  der  Realgymnasien  die  Aufhebung  der  romanischen  und  eng- 
lischen Professuren  nur  eine  Frage  der  Zeit  ist.  Wozu  sollten  diese  noch 
nützen,  besonders  bei  der  Art  und  Weise,  wie  von  ihnen  aus  das  Studium 
iler  neueren  Sprachen  gehandhabt  wird?  Das  Gymnasium  braucht  für  den 
französischen  Unterricht,  welchen  es  betreibt,  keinen  wissenschaftlich  gebil- 
deten Neuphilologen.  Es  wird  sicher  die  früher  allgemein  und  auch  jetzt 
noch  vielfach  geübte  Praxis  befolgen,  Altphilologen,  die  für  ihr  specielles 
Fach  zu  schlecht  sind,  oder  jüngeren  Leuten,  welche  man  sonst  nicht  be- 
schäftigen kann,  diesen  Unterricht  zu  übertragen.  Die  Überrealschulen 
zählen  nicht  mit,  weil  sie  zu  wenig  zahlreich  und  fast  ohne  alle  Berechti- 
gungen sind  ;  auch  würde,  wie  Danker  mit  Recht  hervorhebt,  das  Studium 
der  neueren  Sprachen,  welches  heute  an  den  Universitäten  betrieben  wird, 
durchaus  nicht  für  diese  Schulen  geeignet  sein.  Dann  bleiben  aber,  wie  es 
bereits  in  Elsafs-Lothringen  thatsächlioh  der  Fall  ist  (ein  Zustand,  welcher 
nach  der  Ansicht  gewisser  Herren  ein  Vorbild  für  Preufsen  bilden  soll),  nur 
noch  die  lateinlosen  Realschulen.  Für  diese  Anstalten  würde  aber  das  so- 
genannte Mittelschullehrer-Examen  als  hinreichend  angesehen  werden  können; 
ganz  abgesehen  davon,  dafs  ein  Gymnasial-Abiturient  sich  niemals  bei  solchen 
Aussichten  dem  Studium  der  neueren  Sprachen  widmen  würde.  Wenn  sich 
dann  die  Hörsäle  <ier  Professoren  für  neuere  Sprachen  geleert  haben,  werden 
diese  Herren  sicher  nicht  erwarten  dürfen,  dafs  eine  preufsische  Wrwaltung 
ihre  Lehrstühle  fortbestehen  läfst,  damit  sie  ihren  Lieblingssfudien  leben 
können.  Unter  solchen  Vei-hältnissen  ist  es  unbegreifhch,  wenn  einige  dieser 
Professoren  in  wahrhaft  blindem  Eifer  gegen  die  Realgymnasien  auftreten, 
besonders  wenn  man,  wie  bei  den  Herren  Koschwitz  und  Kölbing,  heraus- 
fühlt, dafs  ihnen  eine  hinreichende  Kenntnis  von  dem  Organismus  und  den 
Leistungen  dieser  Anstalten  abgeht.  —  Deshalb  geht  Danker  im  dritten 
Teile  seiner  Arbeit  dazu  über,  die  bekannte  Schrift  von  Körting  „Über  das 
Studium  der  neueren  Sprachen  an  den  deutschen  Hochschulen"  einer  ein- 
gehen<len  Besprechung  zu  unterziehen  und  im  Anschlufs  daran  die  Kritiken 
über  diese  Schrift  zu  beleuchten.  Dafs  Körting,  welcher  die  ganze  Frage 
sachgemäfs  behandelt  und  sich  dadurch  alle  Fachgenossen  zu  grofsem  Danke 
verpfliclitet  hat,  in  den  meisten  Fällen  auch  die  Billigung  Dankers  findet, 
ist  nur  zu  natürlich.  Doch  auch  in  den  Fällen,  wo  Danker  von  ihm  ab- 
weicht, z.  B.  in  betreff  der  Einheitsschule,  des  Wertes  einer  guten  eng- 
lischen Aussprache  und  der  Notwendigkeit  der  griechischen  Sprache,  sind 
die  entgegenstehenden  Ansichten  mit  solchen  Gründen  motiviert,  dafs  sie 
eine  ernste  Erwägung  beanspruchen  dürfen.  —  Dagegen  wird  jeder  prak- 
tische Fachmann  Danker  in  der  Verurteilung  der  Ansichten  von  Koschwitz 
imr  beistimmen  können.  ^Velche  päd;igogische  Einsicht  zeigt  Koschwitz, 
wenn  er  auch  die  Kenntnis  der  indogermanischen  Grammatik  von  den  Stu- 
dierenden der  neueren  Sprachen  verlangt  („entschieden  wünschenswert")? 
Warum  nicht  auch  die  semitischen  Sprachen?  Dem  Ref.  ist  seine  Kenntnis 
des  Hebräischen  wegen  der  grofscn  Zahl  von  Analogien  mit  der  englischen 
Syntax  oft  sehr  angenehm  gewesen.  —  Welcher  Lehrer  der  neueren  Spra- 
chen wird  nicht  staunen,  wenn  er  aus  dem  Munde  von  Koschwitz  sich  über 
die  l^eichtigkeit  der  Erlernung  der  neuonglischen  und  neufranzösischen 
Sprache  belehren  hört?    Welches  Realgynniasiuni  körnte  ni'  ht  statistisch  das 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  217 

Gegenteil  beweisen,  wenn  Kochwitz  als  Grundsatz  hinstellt,  dafs  nur  die  Elite, 
<lie  begabteren  und  wohlhabenderen  Realschul-Abiturienten  sich  dem  Studium 
der  neueren  Sprachen  zuwenden !  —  Von  nicht  höherem  Werte  sind  die 
Einwendungen  Kölbings  gegen  die  Zulassung  der  Realschul-Abiturienten 
zum  Studium  der  neueren  Sprachen.  Kein  Lehrer  an  den  Realgymnasien 
wird  dem  Prof.  Kölbing  zugeben,  dafs  die  Abiturienten  dieser  Anstalten 
das  Studium  der  neueren  Sprachen  als  das  leichtere  gegenüber  dem  Studium 
der  Mathematik  und  Naturwissenschaften  ansehen.  Dafs  ferner  das  Real- 
gymnasium mehr  Gewicht  auf  die  exakten  Wissenschaften  legen  solle  als 
auf  die  Sprachen,  ist  schlechterdings  unwahr;  und  wenn  Kölbing  die  Real- 
gymnasien dafür  verantwortlich  macht,  dafs  ihre  Abiturienten  Mifsgriffe  in 
der  Wahl  des  Studiums  machen,  so  klingt  das  eigentlich  wie  ein  Hohn. 
Mancher  Realschul -Abiturient  würde  ein  tüchtiger  Mediziner  oder  Jurist 
geworden  sein,  wenn  ihn  nicht  die  Verhältnisse  in  ein  Studium  trieben,  zu 
welchem  er  keinen  inneren  Beruf  fühlt.  —  Alle  diese  Angriffe  gegen  die 
Realgymnasien  werden  von  Danker  in  scharfer,  fast  zu  scharfer  Weise  be- 
leuchtet und  zurückgewiesen.  Wenn  man  den  ganzen  Ton  oft  etwas  milder 
gestimmt  haben  möchte,  so  ist  er  doch  zu  entschuldigen  wegen  der  Leicht- 
fertigkeit, mit  welcher  diese  Einwände  von  einer  Seite  erhoben  werden, 
welche  von  Fernstehenden  als  kompetent  betrachtet  wird.  —  Dafs  auch  noch 
die  Ansichten  von  Wolpert  (Archiv  Bd.  LXVII,  Heft  2  u.  3)  und  Professor 
Trautmann  einer  Kritik  unterzogen  werden,  mag  hier  nur  der  \'ollständigkeit 
wegen  Erwähnung  finden. 

Bietet  somit  die  Schrift  Dankers  für  jeden,  welcher  sich  über  das 
\'erhältnis  der  Realschulfrage  zu  dein  Studium  der  neueren  Sprachen  orien- 
tieren will,  ein  reiches  Material  dar,  so  nuifs  Ref.  doch  bedauern,  dafs  so 
viel  Arbeit  in  einem  Streite  verschwendet  wird,  welcher  eigentlich  gar  nicht 
vorhanden  sein  sollte.  Derselbe  wird  sicherlicii  aufhören,  wenn  alle  Pro- 
fessoren der  romanischen  und  englischen  Philologie  zu  lier  Überzeugung 
gelangt  sind,  dafs  die  jetzige  Blüte  ihres  Faches  ganz  und  gar  dadurch 
bedingt  ist,  dafs  auch  Schulen  vorhanden  sind,  auf  denen  die  neueren  Spra- 
chen eine  hinreichende  Pflege  finden,  und  dafs  das  Gymnasium,  ohne  seinen 
wesentlichen  Charakter  aufzugeben,  zu  diesen  Schulen  niemals  gehören  kann 
und  wird.  Sollte  zu  solchem  Erfolge  die  Schrift  Dankers  einen  Beitrag 
liefern,  so  mufs  sie  von  allen  Fachgeno«sen  freudig  begrüfst  werden. 

Flensburg.  C.  Flebbe. 


Psalm  CIV  im  Urtext  mit  seiner  Übertragung  als  Specimen 
einer  Psalter-Polyglotte.  Von  Oberlehrer  Dr.  11.  Lambeck. 
Köthen,  Paul  Schettler,  1883.     IV  u.  72  S.  gr.  8. 

Es  steht  wohl  bei  allen  Kennern  echter  Poesie  fest,  dafs  die  hebräische, 
also  die  biblische  Poesie  alle  anderen  an  Erhabenheit  und  Schönheit  über- 
ragt. AVer  im  stände  ist,  sie  in  der  Ursprache  zu  lesen,  und  zwar  mit  so 
viel  Verständnis,  um  sie  auch  geniefsen  zu  können,  der  braucht  nicht  erst 
Lowth  und  Herder  gelesen  zu  haben,  um  sie  richtig  zu  würdigen.  Erst 
kürzlich  hat  der  jetzt  wohl  gröfste  der  lebenden  Dichter  EngLunls.  Charles 
Swinburne,  der  zugleich  bedeutender  Kritiker  ist,  in  einem  .Artikel  über 
Les  Legendes  des  Siecles  von  Viktor  Hu<:o,  der  ihm  als  der  gröfste  Dichter 
des  Jahrhunderts  gilt,  sich  dahin  ausgesprochen,  dafs  dessen  Dichtungen 
mehr  vom  Geiste  der  hebräischen  als  selbst  der  «jriechischen  Poesie  beseelt 
seien,  und  beide  kennen  ersteie  doch  <;ewifs  nur  aus  den  Übeiseizungen  in 
ihre  Mutters[)rache.  So  gewaltig  ist  die  Kraft  der  hebräischen  Poesie  näm- 
lich, dafs  sie  auch  in  der  Übersetzung  noch  immer  genug  von  ihrem  Einflufs 
auf  den  Leser  beibehält,    u:ii   denjenigen,    der   selbst  Poesie   in    sich   hat  — 


218  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

luid  nur  ein  solcher  kann  ihr  das  richtige  Verständnis  entgegenbringen  —  zu 
bogt'istern 

Die  Masse  giobt  sich  nun  freilich  nicht  mit  der  Bibel  ab.  Wenn  unsere 
Jupcnd  die  Schule  verlassen  hat  und  konfirmiert  ist,  so  wird  dieses  Buch, 
dessen  wahrer  Geist  ihr  wohl  nur  in  den  seltensten  Fällen  erschlossen  wird, 
als  etwas  Abgetlianes,  ja  bei  der  klassisch  gebildeten  Jugend,  die  ihren 
Homer  gelesen,  mit  unwissender  Geringschätzung  über  Bord  geworfen  und 
vielleicht  nie  wieder  im  Leben  aufgenommen.  Nur  die  Psalmen  besitzen 
den  \  orzug,  dafs  sie  in  die  I^iturgie  der  Kirche  übergegangen,  und  sie  sind 
das  einzige  Buch  der  Hibel,  das  allgemeiner  bekannt  ist  und  bleibt.  Den 
vorliegenden,  von  Dr.  Lambeck  bearbeiteten  Psalm  hat  nun  bekanntlich  ganz 
besonders  Alexander  von  Humboldt  in  seinem  Kosmos  zu  Ehren  gebracht, 
und  dort  ist  er  vnn  allen  Gebildeten,  wenigstens  jener  Zeit  —  denn  auch 
die.<!es  grofsartige  Werk  wird  heutzutage  schon  wenig  mehr  gewürdigt  — , 
gelesen.  Dem  orthodo.xen  Juden  —  dies  sei  beiläufig  erwähnt  —  ist  er  in 
Fleisch  und  Blut  übergegangen,  denn  er  recitiert  ihn  allsabbathlich  im 
Winter  na(h  dem  Vespergehet,  gewifs  nicht  zum  Nachteil  seiner  Empfäng- 
lichkeit für  Poesie,  falls  er,  was  allerdings  meist  anzunehmen  ist,  den  Text 
auch  wirklich  versteht.  Man  würde  jedoch  sehr  irren,  wenn  man  aus  dem 
Vorangegangenen  schliefsen  wollte,  ich  befürwortete  die  Notwendigkeit  einer 
philologischen  Behandlung  des  Textes,  wo  es  sich  darum  handelt,  irgend 
welche  Dichtung  auf  sich  einwirken  zu  lassen.  Im  Gegenteil  bin  ich  der 
Ansicht,  und  habe  den  moralischen  Mut,  diese  meine  Ansicht  offen  auszu- 
sprechen, dafs  sich  bei  solcher  Behandlung  der  Geist  der  Dichtung  eher 
veifliichtigt,  als  dafs  er  dadurch  intensiver  auf  den  Leser  einwirke.  Gerade 
wie  nach  der  Meinung  der  Ärzte  der  erste  Morgengenufs,  sei  es  einer 
Arznei  oder  eines  anderen  Getränkes,  mehr  als  das  zu  jeder  anderen  Tageszeit 
Genossene  das  System  affizieit,  so  ist  meiner  Ansicht  nach  der  erste  unmittel- 
bare Eindruck  einer  Dichtung,  wie  jeder  grofsartigen  Naturerscheinung,  sei 
es  des  Meeres  oder  auch  eines  schönen  Landschaftsbildes,  der  mächtigste.  Ein 
zweiter  Anblick  dieser  oder  ein  eingehenderes  Studium  jener  kann  uns  wohl 
vertrauter  mit  ihnen  machen,  uns  diese  oder  jene  beim  ersten  Anblick  un- 
bemerkte Einzelheit  aufdecken,  nie  aber  an  Wirkung  dem  ersten  gleich- 
kommen. 

Nachdem  ich  dies  vorausgeschickt,  kann  ich  nun  ungeliindert  an  eine 
Würdigung  der  vorliegenden  tüchtigen  Arbeit  gehen,  die  ja  nicht  den  Zweck 
iiat,  zu  erbauen,  sondern  philologisch  zu  belehren,  und  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  wird  man  ihr  einen  hohen  Wert  zuerkennen  müssen.  Dafs  die 
Wahl  gerade  des  104.  Psalms  eine  glückliche  war,  erhellt  aus  dem  Voran- 
gegangenen ;  ebenso  kann  man  die  Arbeit  als  philologische  Studie  als  eine 
gelungene  bezeichnen.  Der  Verfasser  ist  dabei  bescheiden  genug,  und  sagt, 
sie  trete  nicht  mit  der  Prätension  auf,  dem  Sprachforscher  y.ar  i^o/r,v  irgend 
etwas  Neues  bringen  zu  wollen.  Sie  wende  sich  vielmehr  an  den  gebildeten 
Mann,  der  Interesse  für  Sprachen  hegt,  um  ihm  zu  zeigen,  inwieweit  es 
älteren  und  neueren  Übersetzern  gelungen  ist,  die  erhabenen  Schönheiten 
des  hebräischen  Urtextes  wiederzugeben;  sie  wünsche  besonders  auch  von 
strebsamen  Schülern  der  oberen  Klassen  höherer  Lehranstalten  gelesen  zu 
werden.  Ihnen  wolle  sie  zu  einem  allseitigen,  gründlichen  Verständnis  dieses 
Lobliedes  verhelfen,  in  ihnen  Interesse  für  Sprachvergleichung  wecken,  sie 
zum  Nachdenken  über  Sprachverwandtschaft  anregen,  ihnen  zeigen,  wie 
Griechisch  und  Lateinisch,  Germanisch  und  Romanisch  Zweige  eines  und  des- 
selben  Baumes  sind,  der  in  Indien  wurzelt. 

Ausgehend  vom  hebräischen  Original,  das  bis  auf  drei  oder  vier  Druck- 
fehler (von  denen  ich  hier  blofs  S.   1  i^/gj  statt  trrrjj,  S.  4  nobk'D  statt  — 2i 

S.  14  n")iJ.i  statt,  wie  leicht  ersichtlich,  n"ij?.l  erwähnen  will)  mit  grofser  Ge- 

T  T  :  TT*; 

nauigkeit  wiedergegeben  ist,    was  vermuten  läfst,    dafs   der  Verfasser  früher 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  219 

der  Theologie  beflissen  gewesen  sein  mufs,  da  moderne  Philologen  sich 
sonst  nicht  auch  mit  Orientalia  zu  beschäftigen  pflegen  (i'h  schöpfe  ja  diese 
Yermutung  aus  meiner  eipenen  Erfahrung),  giebt  der  Verfasser  dann  die 
Übersetzung  der  Septuaginta,  der  Vulgata.  an  welche  sich  die  Tlieod.  Bezas 
und  Christian  Reineckes  anschlief>t.  Es  folgen  dann  die  italienische,  spa- 
nische, portugiesische,  französische,  englische,  danische,  schwedische  und 
holländische  Übersetzung,  und  nach  kurzen  Angaben,  Aussprache  und  Va- 
rianten betreffend,  wird  eine  vollständige  Analyse  der  hebräischen  Formen, 
eine  sich  daraus  ergebemle  wörtliche  deutsche  Übersetzung  beigebracht, 
worauf  die  Angabe  der  Formen  un<l  deutschen  Bedeutunfien  nebst  Bemer- 
kungen (besonders  grammatischen  Inhalts)  in  Bezug  auf  die  übrigen  Sprachen 
folgt,  wobei  Zusammengehöriges  gruppiert  ist.  Der  Verfasser  stützt  sich 
bei  der  Analyse  und  den  etymologischen  Angaben  aller  der  genannten  Spra- 
chen auf  die  besten  Quellen,  die  sowohl  p.  II  wie  p.  72  angeführt  sind,  und 
liefert  demnach  nur  Zuverlässiges;  denn  da,  wo  die  Ableitung  eines  Wortes 
oder  dessen  Wurzel  noch  nicht  sicher  ermittelt  ist,  sagt  er  dies  einfach, 
ohne  etwa  einen  gewagten  P>rklärungsversuch  zu  machen. 

Das  Ergebnis  seiner  Untersuchung  fafst  er  am  Schlüsse  in  Folgendem 
zusammen:  „Vulgata  übersetzt  nur  die  Septuaginta,  das  Portugiesische  die 
Vulgata  (mit  ganz  geringen  Abweichungen);  somit  teilen  diese  drei  Über- 
setzungen dieselben,  wenn  auch  nicht  sehr  bedeutenden  Ungenauigkeiten  in 
der  AViedergabe  des  Originals.  Das  Schwedische  hat  zur  Norm  die  Luther- 
sche  Übertragung  genommen,  die,  wie  bekannt,  poetisch  schön  und  sinn- 
getreu ist,  jedoch  nicht  in  allen  Fällen  den  Wortlaut  des  Hebräischen  wie<ier- 
giebt;  die  Übersetzer  in  das  Italienische  und  Spanische  gehen  fast  stets  auf 
den  Originaltext  zurück.  Wort-  und  sinngetreue  Übersetzungen  dieses 
Psalms  enthält  die  englische,  dänische  und  holländische  Bibel. 

Als  Anhang  folgt:  Nr.  1.  Vergleichende  Übersicht  des  bestimmten 
Artikels  in  den  romanischen  Sprachen;  Nr.  2.  Pronomina  Persoualia ;  Nr.  3. 
Pronomina  Possessiva ;  Nr.  4.  Das  Hilfszeitwort  „haben"  und  Nr.  5.  Das 
Hilfszeitwort  „sein".  —  Die  Ausstattung  ist  eine  vorzügliche.  Im  Englischen 
iänd  ich  nur  einen  einzigen  ganz  unbedeutenden  Druckfehler:  togo  statt  to 
go  (p.  "};  sonst  stiefs  mir  mit  Ausnahme  der  oben  angeführten  hebräischen 
unter  den  mir  bekannten  Sprachen  nirgends  einer  auf,  was  von  der  grof>en 
Sorgfältigkeit  zeugt,  die  der  Verfasser,  was  freilich  zu  verlangen,  auf  die 
Korrektur  verwandt  hat. 

Hiermit  sei  die  schöne  und  lehrreiche  Arbeit  allen  Philologen,  alten  und 
neuen,  bestens  empfohlen. 

Leipzig.  David  As  her. 


Program  mens  eh  au. 


Lehrplan  für  den  deutschen  Unterricht.  Vom  Lehrerkollegium 
beraten  und  festgesetzt.  Programm  des  Realgymnasiums 
zu  Schalke  1883.    28  S.  4. 

Das  erste  Programm  einer  neu  aufblühenden  Schule  in  einem  neu  auf- 
wachsenden industriellen  Orte.  Angegeben  sind  die  Lehrpensa,  nach  Lek- 
türe, Grammatik,  schriftlichen  Arbeiten  und  namentlich  auch  der  Memorier- 
stofi'  für  die  einzelnen  Klassen  :  dann  ausführlich  die  Methodik  für  Lektüre, 
Grammatik  und  schriftliche  Arbeiten  besprochen.  Über  diesen  und  jenen 
Punkt  werden  die  Ansichten  immer  verschieden  bleiben;  es  ist  aber  zu- 
zugeben, dafs  der  Lehrplan  aus  einer  verständigen  Praxis  hervorgegangen 
ist,  dafs  der  neu  eintretende  Lehrer  an  ihm  eine  gute  Stütze  findet.  Es  ist 
alles  eben  rein  praktisch  eingerichtet;  es  wird  mancher  daher  bei  der  Lek- 
türe dieses  Lehrplans  Sorgfalt  in  der  Darstellung  vermissen. 

Ein  Lehrplan  für  den  deutschen  Unterricht.  Von  Rektor  Dr. 
Gronau.  Programm  des  Progymnasiums  zu  Schwetz  1883. 
19  S.  4. 

Der  Lehrplan  ist  hier  nach  den  Klassen  eingerichtet;  er  enthält  viele 
praktisch  verwertbare  Bemerkungen,  namentlich  über  Disposition.  Es  genüge 
das  anzuführen,  was  als  neu  hervorzuheben  i?t  oder  zu  Bedenken  anregt. 
Dahin  gehört  die  Bemerkung  über  die  beschreibenden  Themata  für  die 
Tertia  S.  1 1  :  „Darstellungen  eigener  Empfindungen  der  Schüler  sind  ver- 
pönt." Warum?  sollen  etwa  fremde,  erheuchelte  Empfindungen  dargestellt 
werden?  Oder  ist  gemeint,  dafs  der  Schüler  bei  einer  Beschreibung  sich 
einer  statistisch  kalten  Objektivität  befleifsigen,  also  nicht  etwa  die  Empfin- 
dung, welche  eine  Landschiift  in  ihm  erregt,  äufsern  soll?  Die  Lehrer  soll- 
ten doch  froh  sein,  wenn  ihre  Schüler  nicht  kalte  Verstandesmenschen  sind, 
wenn  sie  sich  des  Ausdruckes  ihres  Gefühls  nicht  schämen.  —  Im  dritten 
Kursus  (Sekunda  und  Prima)  zeigt  Verf.  zuerst,  wie  die  Lektüre  des  Nibe- 
lungenliedes und  von  Hermann  und  Dorothea  zu  behandein  sei  Es  soll 
dann  Schillers  Geschichte  des  Abfalls  der  Niederlande  folgen  und  Lessings 
Abhandlungen  über  die  Fabel;  in  Bezug  auf  diese  wird  bemerkt:  „Ein- 
dringen in  den  abstrakteren  Inhalt  und  die  dialogische  Schärfe  der  Lessing- 
schen  Prosa  wird  durch  den  Verzicht  auf  häusliche  Vorbereitung  und  durch 
reichliche  Exemplifizierung  erleichtert";  warum  durch  das  erstere  Mittel,  ist 
nicht  ersichtlich.  Von  Sekunda  an  erscheint  dem  Verf.  die  Privatlektüre 
unentbehrlich,  auch  für  Aufsätze  verwendbar.  Er  bemerkt  hier  aber:  „dafs 
bei   der   angegebenen   Methode   der   Klassenlektüre    und    der  Abnahme  der 


Programmenschau.  221 

Privatlektüre  reiche  Gelegenheit  für  Pflege  des  mündlichen  Ausdruckes  sich 
findet,  ist  ersichtlich;"  wie  soll  das  verstanden  werden?  Die  Redeübiingen 
sollen  ihren  fetoir  lediglich  aus  dem  deutsclien  Unterricht  nehmen ;  „zu  Rede- 
übungen über  Themen,  die  aus  anderen  Gebieten  genommen  werden,  etwa 
der  Geschichte,  fehlt  die  Zeit."    Warum? 

Der  Unterricht  im  Deutschen.  II.  Teil.  Von  Oberlehrer  Leon- 
hard.  Programm  des  Realgymnasiums  zu  Dortmund  1883. 
29  S.  4. 

Diesem  zweiten  Teil  hat  der  Verf.  die  Überschrift  gegeben:  Mündlicher 
unrl  schriftlicher  Gedankenausdruck  und  Logik ;  es  ist  hier  allein  von  den 
Aufsätzen  die  Rede.  Es  ist  die  richtige  Stufenfolge  nie  aufser  acht  zu 
lassen.  Der  Verf.  begründet  den  Salz:  „Der  Unterrieht  mufs  überhaupt  die 
jedesmalige  Entwickelungsstufe  berücksichtigen  und  die  gerade  zur  Ver- 
fügung stehenden  Kräfte  in  geeignete  Thätigkeit  setzen.  Geschieht  dies 
nicht,  erhalten  die  zum  Aufbrechen  drängenden  Knospen  nicht  die  Gelegen- 
heit zur  Entfaltung,  so  tritt  eine  Verkümmerung  ein  mit  dem  sie  notwendig 
begleitenden  Gefühle  der  Unbefriedigung,  das  so  manchem  aufkeimenden 
Leben  die  Schule  zu  einem  Orte  dumpfer  Qualen  macht,  die  besonders  bei 
edel  angelegten  Naturen  noch  durch  Selbstvorwürfe  gesteigert  werden,  da 
gerade  der  gute  Schüler  die  Schuld  des  Nichtgelingens  am  ehesten  in  sich 
selbst  sucht,  während  sie  doch  so  oft  den  Lehrer  allein  trifi't,  der  es  nicht 
versteht,  auf  die  geeignete,  von  der  Natur  selbst  vorgeschriebene  Weise 
auf  ihn  einzuwirken.  Dieser  Zustand  wird  aber  unvermeidlich  eintreten, 
wenn  der  Schüler  immer  wieder  nur  nacherzählen  soll,  was  er  gehört  oder 
gelesen  hat."  Der  Quarta  entsprechend  nennt  nun  der  Verf.  die  Umarbei- 
tung eines  Gedichts  in  eine  prosaische  Erzählung.  Mit  Recht  stimmt  der 
Yerf.  in  das  Verdammungsurteil  nicht  ein,  welches  von  einigen  über  diese 
Übungen  ausgesprochen  ist.  Wie  bei  der  prosaischen  Erzählung  sehr  oft 
von  einem  anderen  Punkte  ausgegangen  werden  mufs  als  der  Dichter  anhebt, 
setzt  der  Verf.  auf  eine  für  den  angehenden  Lehrer  verständliche  Weise 
auseinander.  Es  konnte  dabei  auch  auf  eine  für  das  praktische  Leben  wich- 
tige Form  aufmerksam  gemacht  werden,  nämlich  auf  die  Briefform.  Es  wird 
den  Schüler  in  diese  einführen  und  ihn  an  Lebendigkeit  und  Anschaulich- 
keit der  Darstellung  gewöhnen,  wenn  er  bei  solchen  Paraphrasen  ab  und  zu 
sich  der  Briefform  bedient,  z.  B.  einen  jungen  Griechen  aus  Theseus'  Stadt 
das  dem  Freunde  gegebene  Versprechen,  von  den  Kampfspielen  auf  Korln- 
thus'  Landesenge  ihm  baldigst  Nachricht  zu  geben,  erfüllen  läfst,  so  dafs  er 
kurz  die  Reise  über  den  Isthmus  erwähnt  und  dann  das  gestern  erlebte 
grofsartige  Schauspiel  und  die  wunderbare  Störung  schildert  u.  s.  w.  Der 
Verf.  geht  weiter  über  auf  die  Übung  der  Charakteristik.  Er  knüpft  überall 
gern,  und  mit  Recht,  an  die  Schillerschen  Gedichte  an.  Welche  Schwierig- 
keiten bieten  sie  aber  oft  dar.  Man  nehme  den  auch  hier  herangezogenen 
Kampf  mit  dem  Drachen.  Der  Ritter  hat  eine  grofse  That  ausgeführt,  die 
Gefahr  leuchtet  ein  durch  das,  was  wir  von  dem  durch  «Jen  Drachen  ver- 
übten Schaden  hören,  durch  die  Beschreibung  des  Lindwurms,  durch  den 
Jubel  der  Menschen;  er  hat  sie  mit  Besonnenheit  ausgeführt;  er  ist  durch 
das  edelste  Motiv  geleitet.  Er  durfte  stolz  sein  auf  seine  That,  joder 
Mensch  darf  sich  seines  Fleifses  rühmen,  er  durfte  stolz  sein,  alle  Welt 
stimmt  ihm  bei,  und  doch,  zeigt  irgendwo  der  Jüngling  diesen  berechtigten 
Stolz?  Aber  der  Meister  emplängt  ihn  kühl,  „denn  ihn  hat  der  eitle  Ruhm 
bewe<Jt",  und  der  Jüngling  legt  schweigend  von  sich  das  Gewand.  Da  fragt 
der  Schüler:  Ist  der  Vorwurf  des  Meisters  gerecht?  Was  ihn  bewogen  hat, 
hat  ja  der  Jüngling  vorher  selbst  gesagt;  das  Verbot  des  Meisters,  der  nur 
das  Leben  der  Ritter  schonen  will,  stellt  er  gegenüber  dem  Kufe  des  Her- 
zens, sich   der  Not   der  Menschen,   die  ja   der  Ordensritter  lindern  soll,  zu 


222  Progranimenscliau. 

erbarmen,  „des  Gesetzes  Sinn  und  Willen"  ist  er  sich  bewufst,  treulich 
erfüllt  zu  haben ;  er  hat  durch  seine  Klugheit  anders  als  seine  Vorgänger 
auf  einen  glücklichen  Ausgang  rechnen  können:  Was  ist  das  also  für  ein 
Gehorsam,  den  verletzt  zu  haben  der  Meister  ihm  zum  Vorwurf  macht?  Igt 
das  der  Gi-horsam  des  christlichen  Ritters  oder  nicht  etwa  des  Mitgliedes 
des  Assassinenordens?  Das  ist  eine  ganze  Keiiie  von  Einwürfen,  wie  sie 
wohl  der  nachdonkende  Schüler  macht.  So  faf»t  beim  Ring  des  Polykrates 
der  Schüler  die  Schönheit  des  Gedichtes  ;  aber  es  befriedigt  ihn  nicht  ganz, 
wenn  er  sich  nicht  auf  einen  allgemein  menschlichen  Standpunkt  stellen 
kann,  wenn  er  mit  Herodot  gleich  füiilen  soll.  Was  haben  wir.  fragt  er  sich, 
mit  dem  Neide  der  Götter  zu  thun?  Ist  Ama«is  ein  rechter  Freund,  wenn 
er  ihm  nur  im  Glücke  treu  bleibt?  Hat  denn  Polykrates  etwas  besonders 
Seldimm«'s  verübt?  Gewifs  thut  da  der  Lehrer  nicht  unrecht,  wenn  er  den 
Schüler  auf  eine  höhere  Zinne  hinaufsteigen  Ihfst.  l'olykrates  ist  «ler  Tyrann 
von  Samos ;  das  wäre  so  schlimm  noch  nicht;  wenn  wir  nur  hörten,  dafs 
seine  Tyrannis  das  wirkliche  geistige  und  äufsere  W^ohl  der  Unterworfenen 
im  Auge  hätte,  aber  er  stellt  nur  seine  Person  hervor,  seine  Macht,  seinen 
Reichtum,  seine  Siege  hebt  er  allein  hervor,  nirgends  eine  Spur  von  tiefe- 
rem Sinn;  das  Liebste  ist  ihm  nicht  die  Liebe  der  Seinigen,  sondern  ein 
blinkender  Ring;  kein  Wort  von  Dankbarkeit  gegen  die  Gottheit.  Dem 
Gott  entfremdeten  Menschen  steht  der  fromme  Amasis  gegenüber,  er  mufs 
sich  von  ihm  trennen.  So  ist  allerdings  in  das  Gedicht  hineininterpretiert; 
aber  kann  das  so  bedenklich  sein?  —  Weiterhin  spricht  der  Verf  noch  von 
logi.schen  Übungen,  spricht  sich  mit  Recht  gegen  die  Chrie  aus ;  nicht  die 
Disposition,  sondern  die  Invention  ist  in  den  oberen  Klassen  die  Hauptsache. 

Zur  Methodik  des  deutschen  Unterrichts  in  der  Prima  der  Gym- 
nasien. Von  Oberlehrer  ür.  Bindseil.  Programm  des 
Marien-Gymnasiums  zu  Posen  1883. 

Der  Verf.  will  auseinandersetzen,  dafs  für  den  Aufsatz  Invention  und 
Disposition  nebeneinander  hergehen  müssen;  mit  den  Elementen  der  Logik 
und  Psychologie  müsse  der  Primaner  zuerst  bekannt  gemacht  werden  Er 
giebt  selbst  einen  kurzen  Abrifs  der  Logik,  führt  ein  Thema  an  und  stellt 
überhaupt  vernünftige  Grundsätze  auf.  Wer  aber  mit  den  Schriften  von 
Deinhardt,  Hoffmann,  Göbel  u.  a.  bekannt  ist,  wird  nichts  Neues  darin 
finden,  auf  diese  stützt  sich  besonders  die  Abhandlung.  \  ielleicht  wäre  es 
praktischer  gewesen,  wenn  der  Verf.  einige  Themata  aus  den  verbreitetsten 
Dispositionssammlungen  herausgenommen  und  nachgewiesen  hätte,  welche 
logische  Fehler  darin  voikommen.  Auf  die  Themata,  welche  sich  an  die 
Lektüre  unmittelbar  anschliefsen,  läfst  sich  die  Abhandlung  nicht  ein. 

Über  den  Betrieb  der  deutschen  Metrik  auf  den  Gymnasien. 
Von  Überlehrer  Eggeling.  Programm  des  Gymnasiums  zu 
Krotoschin  1883.    20  S.    4. 

Metrische  Belehrungen  in  gewisser  Bescliränkung  hält  der  Verf.  mit 
Recht  für  notwendig.  Für  die  Schule  wählt  er  aufser  den  eigentlich  deut- 
schen Formen  von  fremdländischen  nur  die  bei  uns  heimisch  gewordenen 
aus,  also  Hexameter,  Pentameter,  trochäische  und  jambische  Verse,  Nibe- 
lungenvers nebst  Alexandriner  und  Senar,  sog.  Knittelvers,  Stanze,  Terzine, 
Sonett,  Ghasele.  Hexameter,  trochäisclie  und  jambisehe  Verse,  stumpfende 
un<l  klingende  Reime  lernt  der  Untertertianer  kennen,  das  Gesetz  der 
Hebungen  und  Senkungen,  Nibelungenvers,  freiere  trochäische  und  jambische 
\  erse,  die  verschiedenen  Reirastellungen,  vierzeilige  und  achtzeilige  Strophen 
der  Obertertianer,  immer  bei  der  Lektüre,  den  abweichenden  Bau  des  deut- 


Programmenschau.  223 

sehen  Hexameters,  Stanze,  Terzine,  Sonett  der  Sekundaner,  die  asklepia- 
dische,  alcilische,  sapphische  Strophe  der  Primaner  bei  der  Lektüre  des 
Horaz.  Die  Allitteration,  den  Unterschied  der  älteren  und  modernen  Nibe- 
lungenstrophe führt  die  Übersicht  über  die  Geschichte  der  Litteratur  vor. 
Damit  die  gewonnenen  Kenntnisse  niclit  dem  Gedächtnisse  entsciiwinden, 
sind  metrische  Übungen  in  der  Art,  wie  sie  X'iehoff  in  seiner  Vorschule  dar- 
gelegt hat,  zu  empfehlen,  die  auf  die  sprachliche  Ausbildung  vorteilhaft,  ein- 
wirken. Den  Anfang  setzt  er  in  Sekunda,  und  zwar  mit  der  Richtigstelhing 
von  versus  turbali  und  so  früh  als  möglich  gereimter  Verse.  Dann  sind  be- 
kannte Gedichte  in  ein  anderes  Metrum  zu  übertrafen,  auch  kyrze  Frosa- 
erzäblungen  z.  B.  Lessingsche  Fabeln  in  Verse.  Für  Prima  sind  metrische 
Übersetzungen  aus  lateinischen  und  griechischen  Dichtern  zu  empfehlen, 
und  zwar  in  das  Metrum  des  Originnls.  Die  Verbesserung  ist  unter  Mit- 
wirkung der  ganzen  Klasse  vorzunehmen.  Bei  Übersetzungen  in  ein  vom 
Original  abweichendes  Versniafs  ist  auf  Treue  im  Einzelnen  zu  verzichten. 
Als  Beispiele  solcher  metrischen  Übungen  hat  der  Verf.  einige  Umbildungen 
und  Übersetzungen  seiner  Schüler  angehängt,  welche  als  solche  als  Klassen- 
leistungen zu  betrachten  sind;  sie  sind  wohl  lesbar. 

Über  einige  Eigentümlichkeiten,  insbesondere  über  Pleonasmus 
und  Tautologie  in  der  deutschen  Wortzusammensetzunor. 
I.  Teil.  Von  Oberlehrer  Dr.  Herrn.  Mushacke.  Programm 
des  Kaiser-Wilhelms-Gvmnasiums  zu  Hannover  1883. 
35  S.    4. 

Seitdem  das  Mittelhochdeutsche  aus  dem  Lehrplan  der  höheren  Schulen 
ausgeschlossen  ist,  sollte  keine  Gelegenheit  ungenutzt  bleiben,  um  in  den 
Schülern  ein  Verlangen  nach  einer  Vertiefung  in  den  deutschen  Sprach- 
schatz wachzurufen.  Dieser  wohlberechtigten  Mahnung  nachzukommen,  hat 
der  Verf.  sich  hier  ein  Glied  der  deutsehen  Wortbildung  ausgewählt,  wel- 
ches sehr  geeignet  ist,  in  dem  Schüler  die  Vorstellung  von  der  gewaltigen 
Schaffenskraft  unserer  Sprache  zu  erwecken,  mit  Liebe  und  Ehrfurcht  vor 
seiner  Muttersprache  ihn  zu  erfüllen,  zu  weiterem  Forschen  ihn  anzuregen. 
Der  Verf.  zeigt  eine  gründliche  Kenntnis  seines  Gegenstandes,  eine  grofse 
Belesenheit,  weifs  jedes  einzelne  Wort  verständlich  und  anziehend  zu  be- 
handeln, so  dals  nicht  blols  die  Jugend  den  gröfsten  Gewinn  aus  der  Arbeit 
ziehen,  sondern  auch  die  Fachgelehrten  angesprochen  werden.  Es  ist  daher 
zu  bedauern,  dafs  durch  Raummangel  sich  der  ^'erf.  genötigt  sah,  den  An- 
fang seiner  Arbeit  auszulassen,  welcher  nach  allgemeiner  Einleitung  einige 
Besonderheiten  der  deutschen  Wortzusammensetzung  in  Betonung  und  Stel- 
lung der  Bestandteile,  in  der  Entwickelung  und  Mischung  der  eigentlichen 
und  uneigentlichen  Zusammensetzung  behandelte.  Die  Fülle  aber  des  übrig 
bleibenden  Stoffes  ist  so  grofs,  dafs  auf  Einzelnes  einzugehen  hier  nicht  mög- 
lich ist,  nur  der  Gang  der  Arbeit  angegeben  werden  kann,  um  dadurch  auf 
den  Reichtum  aufmerksam  zu  machen.  —  Der  Zweck  der  Zusammensetzung 
ist  schärfere  Bestimmung  der  Begriffe,  sie  wird  notwendig,  wenn  sonst 
gleichbedeutende  Ableitungssilben  nicht  mehr  verständlich  sind;  öfters  ist 
sie  überflüssig  und  schleppend  (Schwiegersohn  statt  Eidam,  Witfrau  statt 
Witwe,  Frühjahr  statt  Lenz),  aber  sie  hat  ihren  hohen  Wert,  wenn  es  gilt, 
neii  auftauchende  Vorstellungen  zu  bezeichnen.  Unkenntnis  und  Geschmack- 
lo>igkeit  (man  denke  an  die  Puristen  des  17.  und  19.  Jahrhunderts)  haben 
eine  Unzahl  von  Zusammensetzungen  erfunden,  denen  man  mit  aller  Macht 
entgegentreten  mufs  (Inhaftnahme,  Rückäufserung,  Kleinkinderbewahranstalt 
u.  ä.),  nur  die  komische  Poesie  mag  sich  ihrer  bedienen. 

Jede  Zusamtuensetzung  sollte  die  Bestandteile  deutlich  erscheinen  lassen, 
also  der  Form  nach  vollständig  sein,   d.  h.  mindestens  aus   zwei  Silben  be- 


224  Programmenschau. 

stehen,  der  Bedeutung  nach  vollwertig  d.  h.  beide  Bestandteile  in  ihrem  be- 
grifllichen  Unterschiede  hervortreten  lassen.  Aber  zunächst  durch  lautliche 
EinbulVe  sind  so.i;ar  einsilbige  Komposita  entstanden,  wobei  daim  auch  be- 
grifl'llche  Verdunkelung  eintrat  (AN'elt,  Amt,  heint  u.  a.),  auch  mehrsilbige 
haben  Verlust  erlitten  (neben,  heute,  Beichte,  Messer  [westfiil.  sogar  Mest], 
Junker),  andere  sind  entstellt  (Eimer,  Zuber).  Bei  anderen  Kompositis  hat 
«ler  eine  oder  andere  Bestandteil  di'n  vollen  Wert  seines  ursprünglichen 
ßegrilh's  aufgegeben  (so  die  Endungen  lieit,  schaft.  tum,  bar,  haft,  lieh, 
sam,  auch  andere  Wörter  sind  jetzt  untrennbar,  wie  Gam,  Gall,  Wer  in 
Bräutigam.  Nachtigall,  Werwolf,  Urlaub,  vergessen).  Als  Folge  der  Ent- 
stellung und  Verdunkelung  des  Begrifi's  erscheinen  dann  pleonaslische  oder 
tautologische  Zusammensetzungen  (Mastbaum).  Solche  kommen  auf  allen 
Gebieten  vor,  so  bei  Tiernamen,  teils  jetzt  weniger  üblich  (Antvogel  statt 
Ente),  teils  neu  (Walfisch,  Auerochs,  Windhund),  Pflanzennamen  (Ahorn- 
baum, Lorbeer,  Maulbeere,  Holunderbaum,  Wacholder,  Kichererbse  u.  a.), 
Steinnamen  (Bimsstein,  Marmelstein),  astronomische,  medizinische,  Produkte 
von  Naturgegenständen  (Flaumfeder),  kirchliche  und  gerichtliche  Namen 
(Domkirche,  Hansebund,  Pöbelvolk,  Femgericht),  Namen  aus  dem  Privat- 
leben (Kredenztisch,  Kabeltau,  Angelhaken,  Mahlzeit,  Lebkuchen),  Bezeich- 
nungen für  Abstrakte  (Warnungsanzeige,  frankfrei)  und  Personen  (Dienst- 
bote, Kebsweib). 

Der  Empfang  der  Gäste  im  Nibelungenliede,  ein  Beitrag  zur 
Kulturgeschichte  des  12,  und  13.  Jahrhunderts.  Von  Dr. 
Emil  Kettner.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Mühlhausen 
in  Th.  1883.     26  S.    4. 

Das  Nibelungenlied  bietet  natürlich  auch  reiche  Schilderungen  des 
höfischen  Lebens  dar,  wie  die  Kunstepen.  Aus  dem  reichen  Stoff  hat  der 
Verf.  obiges  Kapitel  ausgewählt  und  die  Sätze  mit  zahlreichen  Belegstellen 
versehen.  Der  erste  Abschnitt  betrifft  die  allgemeinen  Formen  des  Empfanges : 
den  vornehmen  Gästen  eilen  beim  Herannahen  Ritter  und  Knechte  des  Burg- 
herrn entgegen,  nehmen  ihnen  Rosse  und  Schilde  ab  und  führen  sie  meist 
in  die  Fremdenzimmer.  Vornehme  Gäste  werden  nicht  nach  ihrem  Namen 
gefragt,  sie  werden  als  bekannt  vorausgesetzt.  Minder  hochstehende  Gäste 
finden  ihr  Quartier  in  der  Stadt;  ist  ihre  Menge  zu  grofs,  so  wird  ein  Zelt- 
lager aufgeschlagen.  Der  Kämmerer  bewahrt  die  Habe  der  Gäste.  Vor 
dem  Zutritt  zum  Herrn  wechseln  sie  die  Kleider.  Das  Entgegengehen  des 
AVirtes  gilt  als  Auszeichnung;  sonst  werden  die  Gäste  von  den  Mannen  des 
Herrn  zu  ihm  geführt  oder  sie  müssen  warten,  bis  sie  Urlaub  bekommen. 
Der  Grufs  besteht  in  freundlichen  Worten;  man  nimmt  den  Gast  bei  der 
Hand  und  fuhrt  ihn  zum  Sitz;  die  Frau  und  Tochter  des  Hauses  küssen 
auch  den  höher  oder  gleichstehenden  Gast;  der  Schlufs  der  Begrüfsung  ist 
dann  der  \Villkomraenstrunk.  Auch  die  Gesandten  werden  höflich  en)pfangen, 
sie  bringen  Nachricht  über  das  Befinden  ihrer  Herren  und  deren  Grufs,  da- 
nach verkündigen  sie  ihre  Märe  und  erhalten  darauf  den  Empfangstrunk. 
Der  grofse  oder  festliche  Empfang,  den  der  Verf.  im  zweiten  Abschnitt 
schildert,  zeichnet  sich  aus  durch  die  Menj^e  der  Teilnehmer,  den  Glanz  der 
Ausstattung  und  die  Ritterspiele.  Der  Fürst  reist  nicht  ohne  grofses  Ge- 
folge; ein  Bote  meldet  ihn  an  und  empfännt  reichen  Botenlohn;  Frauen 
sehen  von  fern  entgegen.  Der  Wirt  indes  bereitet  sich  vor,  Teppiche  wer- 
den aufgehängt,  Blumen  gestreut,  Tische  aufgestellt  u.  s.  w.  In  festlichem 
(Jewande  zieht  man  dem  Festzug  entgegen,  um  so  weiter,  je  mehr  man  die 
(laste  ehren  will ;  zuweilen  reitet  ein  Vortrab  voran.  Schon  während  des 
Zuges  beginnt  ein  Teil  der  Ritter  die  Waffenspiele.  Zur  Begrüfsung  steigt 
man  von  den  Rossen,  die  Ritter  fuhren  die  Frauen  bei  der  Hand,  währen«! 


Programmenschau.  225 

die  jüngeren  Ritter  ihre  VVaffenspiele  fortsetzen.  Hierauf  treten  die  Frauen 
in  die  aufgeschlagenen  Zelte,  die  Wafleaspiele  erneuern  sieb,  die  Frauen 
schauen  zu,  bis  am  Abend  alles  nach  der  Burg  aufbricht;  auch  da  werden 
unterwegs  die  Spiele  fortgesetzt.  In  der  Burg  machen  die  Gäste  erst 
Toilette,  dann  empfangen  sie  noch  Besuch  und  werden  endlich  zum  grofsen 
Festmahl  in  den  Saal  geführt.  Dies  sind  im  allgemeinen  die  Empfangs- 
feierlichkeiten; kleine  Abweichungen  führt  der  Verf.  auf,  der,  wie  gesagt, 
Beweisstellen  zahlreich  beigefügt  hat. 

Wolframs  voo  Eschenbach  VVillehalra  und  seine  französische 
Quelle.  Von  ürd.  Lehrer  Saltzmann.  Programm  des 
Realgymnasiums  zu  Pillau  1883.  24  S.  4. 
Entgegen  San  Marte,  welcher  aufser  der  Chanson  d'Aleschans  wegen 
mehrfacher  Abweichungen  noch  eine  andere  Quelle  für  Wolfram  annahm, 
erklärt  der  Verf.  die  Abweichungen  aus  Wolframs  Mifsverständnis  der 
Chanson  oder  seiner  eigentümlichen  Darstellungsweise.  Ebenso  San  Marte 
gegenüber  stellt  er  den  dichterischen  Wert  der  Chanson  über  Wolfram.  Er 
geht,  um  das  zu  beweisen,  das  französische  Gedicht  von  Anfang  an  durch 
und  würdigt  die  Unterschiede  des  deutschen.  Er  wirft  besonders  Wolfram 
vor,  dafs  er  zuviel  künstele,  durch  Reflexionen  den  lebendigen  Gang  der 
Handlung  hemme,  dafs  er  in  der  Motivierung  der  Kämpfe  dem  Original 
nachstehe,  niedrigere  Motive  gelten  lasse,  auch  weniger  anschaulich  sei,  in 
den  Charakteristiken  z.  B.  des  Königs  eine  klare  Auffassung  vermissen 
lasse.  Die  Abweichungen  Wolframs  von  der  Chanson  sind  zahlreich,  sie  be- 
treffen nicht  blofs  Einzelheiten ;  aber  in  allen  erscheint  Wolfram  dem  Original 
gegenüber  in  dunklerem  Lichte.  San  Hartes  Urteil  wäre  also  aus  einem 
unbegründeten  Vorurteil  über  Wolframs  Kunst  zu  erklären. 

Friedrichs  von  Hausen  und  Heinrichs  von  Veldeke  Minne- 
lieder, verglichen  mit  denen  ihrer  Vorgänger.  Von  Dr. 
Otto.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Konitz  1883. 
26  S.  4. 

Die  Abhandlung  bespricht  sehr  eingehend  die  älteren  lyrischen  Ge- 
dichte, unterzieht  eine  sehr  grofse  Anzahl  sorgfältiger  Untersuchung,  be- 
sonders in  metrischer  Hinsicht,  berührt  auch  chronologische  Schwierigkeiten 
und  verdient  gründliche  Beachtung  bei  den  diese  Gedichte  betreffenden 
Studien.  Es  mag  hier  genügen,  den  Gang  und  das  Resultat  der  Deduktion 
wiederzugeben.  Da  die  erste  Periode  der  mhd.  Lyrik  bis  etwa  1190  reicht, 
so  zeigt  sie  in  ihren  ersten  Erzeugnissen  die  volkstümlichen  Anfänge  der- 
selben, weiterhin  aber  schon  den  Einflufs  der  romanischen  Kunstlyrik;  die 
unmittelbare  Nachahmung  derselben  hört  dann  auf  mit  Heinrich  von  Vel- 
deke und  Friedrich  von  Hausen.  Indem  der  Verf  zur  Betrachtung  der 
ersten  Periode  Lachmann-Haupts  „Minnesangs  Frühling"  zu  Grunde  legt, 
charakterisiert  er  zuerst  die  „namenlosen  Lieder",  ihre  Technik  und  Stim- 
mung, als  Eigentümhcbkeiten  hervorhebend  den  Neid  anderer  Frauen,  die 
der  Frau  den  Besitz  des  Gehebten  mifsgönnen,  und  den  streitbaren  Falken 
als  Bild  des  Geliebten,  ferner  die  Ungenauigkeit  des  Reimes.  Wegen  der 
angeblich  dem  Kaiser  Heinrich  VL  angehörigen  Strophen  ist  er  geneigt  sie 
mit  Lachmann- Haupt  demselben  abzusprechen.  In  den  ebenfalls  viel  bc: 
sprochenen  Strophen  des  von  Kürenberg  findet  er  mit  Bartsch  Tiefe  und 
Wahrheit  der  Empfindung;  hier  erscheint  das  Weib  sich  nach  der  Liebe 
des  Mannes  sehnend,  ihn  hütend  und  pflegend,  um  Wiedervereinigung  mit 
ihm  Gott  anflehend.  Auch  in  den  Liedern  des  Burggrafen  von  Regensburg 
ist  die  Frau  dem  Manne  gern  unterthan,  nirgends  Weichheit  der  Gesinnung, 
die  Reime  noch  ungenau.  In  den  Liedern  ies  Burggrafen  von  Rietenburg 
Ärcliiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  15 


226  Programmenschau. 

kommt  zuerst  die  unglückliche  Liebe  als  poetisches  Motiv  vor,  die  Schön- 
heit der  Natur  steht  in  Kontrast  mit  den  Phasen  des  Liebesverhältnisses, 
es  werden  längere  Gedanken  ausgesponnen.  Mehr  noch  ist  Herr  Meinloh 
von  Sevelingen  eine  Ubergangsgestalt;  beeinflufst  von  romanischer  Denk- 
weise, stellt  er  sich  auf  den  Boden  einer  neuen  Reflexion,  er  will  ganz  ein 
rechter  Liebhaber  sein,  doch  noch  frei  von  der  geistreichen  Dialektik  der 
späteren  Zeit,  er  reflektiert  nur  über  die  Phasen  seines  Liebesverhältnisse.«. 
Nichts  gemein  mit  der  Minne  haben  die  Lieder  Spervogels.  Unter  dem 
Namen  des  Dietmar  von  Eist  kommen  mehrere  ihm  niclit  zugehörige  Stro- 
phen vor;  die  Lieder  des  ersten  Liederbuches  repräsentieren  die  ältere,  die 
des  zweiten  die  jüngere  Zeit;  Dietmars  Gefühl  ist  warm,  leidenschaftlich,  er 
steht  mit  seiner  Denkweise  auf  altem  Boden,  in  seiner  Formvollendung  leitet 
er  auf  die  Folgezeit  über.  —  Nun  aber  tritt  die  deutsche  Lyrik  in  Berührung 
mit  der  altfranzösischen  und  proven^alischen;  von  dieser  war  die  erstere 
auch  von  der  proven^alischen  beeinflufst,  welche  in  ihrer  Blütezeit  um  1140 
durch  ihren  schwärmerischen  Geist  und  die  vollendete  Kunstform  sich  aus- 
zeichnet; da  ist  die  Liebe  Urquell  aller  Humanität  und  Lehrerin  des  Ge- 
sanges, der  Dichter  Vasall  seiner  Dame,  die  Liebe  ist  eine  rein  poetische, 
die  Unerbittlichkeit  der  Geliebten  wird  daher  ruhig  ertragen,  nur  der  Tod 
bewirkt  herrliche  Klagelieder.  Die  altfranzösische  Lyrik  ist  nur  ein  farb- 
loser Wiederschein  der  provencjalischen.  Was  nun  die  Minnelyrik  Hausens 
und  Veldekes  betrifft,  so  zeigt  sich  äufserlich  in  dem  Princip  der  Dreiteilig- 
keit und  der  Durchführung  des  Reimes  durch  die  ganze  Strophe  der  roma- 
nische Einflufs.  Zwischen  Veldeke  und  Hausen  herrscht  grofse  Ähnlichkeit 
in  der  Reimstellung;  im  Bau  der  Stollen  ist  Hausen  genauer  als  Veldeke. 
Beide  sind  also  Marksteine  in  der  Entwickelung  der  mhd.  Lyrik;  es  ver- 
schwindet die  alte,  paarweise  gereimte  Langzeile,  die  Dreiteiligkeit  der 
Strophen  wird  Regel.  Veldeke  steht  den  Alten  noch  näher  als  Hausen, 
jener  hat  nur  vier  mehrstrophige  Lieder,  bei  Hausen  sind  alle  Lieder  bis 
auf  drei  mehrstrophig.  Es  ist  mit  Hausen  und  Veldeke  ein  vollständiger 
Umschwung  der  mhd.  Lyrik  eingetreten,  aber  nicht  blofs  durch  den  Einflufs 
der  romanischen  Muster,  sondern  auch  durch  ihre  hohe  dichterische  Be- 
gabung: lange  Zeit  war  Hausen  einer  unverdienten  "\'ergessenheit  anheim- 
gefallen. 

Zur  Geschichte  der  deutschen  Spruchdichtung  im  Zeitalter  der 
Minnesänger.  Von  Hermann  Schlüter.  Programm  des 
Progymnasiums  zu  Striegau  1883.     23  S.    4. 

Den  volkstümlichen  Charakter  des  Spruches  hervorgehoben  zu  haben 
ist  besonders  das  Verdienst  Simrocks  und  W^ackernagels.  Der  Spruch  hat 
kein  X'orbild,  wie  die  Lyrik,  im  Westen.  Mit  dem  ältesten  Liede  der  Vor- 
blüteperiode  teilt  er  die  Einstrophigkeit.  In  Bezug  auf  den  Stoff"  repräsen- 
tiert er  eine  eigene,  der  Lyrik  nicht  untergeordnete  Gattung;  er  ist  nur 
zum  Teil  didaktisch,  teils  läfst  er  die  Persönlichkeit  des  Dichters,  seine  per- 
sönlichen Verhältnisse  hervortreten,  teils  ist  er  objektiv,  allgemein  refiek- 
tiere|id.  Hervorzuheben  sind  der  ältere  Spervogel,  Walther  von  der  Vogel- 
weide und  Reinmar  von  Zweter.  Spervogels  Sprüche  sind  bald  voll  von 
Anspielungen  an  bestimmte  Personen,  ohne  didaktischen  Inhalt,  teils  sind 
sie  allgemein  gehalten,  ohne  reale  Grundlage,  Ermahnungen  und  Lehren  ver- 
schiedenster Art.  Dies  beweist  der  Verf.  im  einzelnen.  Der  gesunde 
Realismus  Spervogels  bildet  einen  Gegensatz  zur  schattenhaften  Lyrik;  man 
sollte  daher  Spervogel  nicht  den  Minnesängern  zuzählen.  Die  andere  Gruppe 
der  Spervogelschen  Sprüche,  von  Ehe,  Freundschaft,  Dienstmannschaft 
u.  s.  w.  handelnd,  unterscheidet  sich  ebenfalls  von  der  Lyrik  durch  den 
didaktischen  Charakter.  Sie  haben  gröfstenteils  ein  episches  Kolorit  und 
lehnen  sich  an  die  Tiersage  an,  so  dafs  es  scheint,  als  ob  die  Wurzeln  der 


Programmenschau.  227 

gesamten  didaktischen  Spruchgattung  in  der  altdeutschen  Tiersage  zu  suchen 
sei.  Es  giebt  nun  noch  von  Spervogel  religiöse  Sprüche,  aber  auch  in  ihnen 
tritt  keine  subjektive  Empfindung,  wie  in  der  geistlichen  Lyrik,  hervor, 
Spervogel  ist  also  kein  Lyriker.  Mit  den  gleichzeitigen  Lyrikern  teilt  er 
die  schlichte  Einfachheit,  den  volkstümlichen  Hauch;  erst  die  spätere  Lyrik 
reifst  sich  von  dem  mütterlichen  Boden  los,  trachtet  nach  äufserem  Glanxe, 
verliert  dabei  aber  an  innerem  Werte.  Von  dieser  Umwandkmg  hält  sich 
die  Spruchpoesie  frei,  aber  sie  entwickelt  sich  auch  intensiv,  sie  gewinnt  an 
Tiefe  und  geistigem  Gehalt,  sie  spiegelt  wieder,  was  die  gesamte  Nation 
bewegt.  Auch  Walther  von  der  Vogelweide  macht  seine  eigenen  Lebens- 
schicksale zum  Gegenstande  seiner  Dichtung;  wir  finden  eine  Fülle  von 
individuellen  Zügen,  ganz  verschieden  von  den  mhd.  lyrischen  Gedichten. 
Diesen  Sprüchen  reihen  sich  nun  die  politischen  Gedichte  an,  die  wahre 
kulturhistorische  Bilder  sind.  Didaktischer  Natur  sind  auch  die  Sprüche 
Walthers,  in  denen  er  religiöse  Stoff'e  behandelt.  Andere  sind  allgemein 
ethischen  Inhalts,  Klagen  über  den  Zustand  der  Welt,  über  Jugenderziehung, 
auch  Reflexionen  an  Frauen  gerichtet.  Bei  Reinmar  von  Zweter  finden 
sich  persönliche  Verhältnisse  selten  erwähnt;  in  seinen  politischen  Sprüchen 
ist  er  würdiger  Nachfolger  Walthers,  durch  Adel  der  Gesinnung  hervor- 
leuchtend. Meister  ist  er  im  eigentlichen  Lehrspruch,  reich  an  glücklichen 
Bildern,  in  kernhaftem  Ausdruck,  in  geistvollen  Sentenzen.  Die  Lehrsprüche 
sind  teils  religiös,  teils  allgemein  ethisch,  allgemeine  Betrachtungen  über 
den  Wehlauf,  Sentenzen  über  den  Ritterstand,  Minne,  Ehe,  die  Frauen; 
in  diesen  letzten  besonders  tritt  sein  sittlicher  Ernst  hervor. 

Die  älteste  Herzebrocker  Heberolle.  Zweiter  Teil.  Von  Paul 
EickhofF.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Wandsbeck 
1883.     20  S.    4: 

Schon  der  erste  Teil  der  Abhandlung  ist  wegen  seiner  Bedeutung  für 
die  Lokalgeschichte,  noch  mehr  für  die  Lokalgeographie  hervorgehoben, 
aber,  obgleich  die  Heberolle  fast  nur  Eigennamen  enthält,  auch  auf  die 
sorgialtigen  sprachlichen  Untersuchungen  hingewiesen,  welche  der  Verf.  an 
diese  altsächsischen  Namen  geknüpft  hat.  Ebenso  beachtungswert  für  den 
Sprachforscher  ist  die  vorliegende  Abhandlung;  der  Verf.  verfolgt  die  Wort- 
stämme in  den  verwandten  Dialekten  und  bringt  schöne  Beiträge  zu  den 
vorhandenen  Wörterbüchern  und  Grammatiken.  Es  sei  z.  B.  gedacht  des 
Wortes  letti,  von  welchem  in  dem  Mittelniederdeutschen  Wörterbuch  nicht 
vorkommenden  Worte  der  Verf.  nachweist,  dafs  es  in  der  Bedeutung 
„Hindernis"  vorkommt,  dafs  es  dann  wie  das  mhd.  letze  Schutzwehr,  Land- 
wehr bedeutet,  d.  i.  eine  Erdaufschüttnng  mit  Graben,  oben  bepflanzt  oder 
bepfählt.  Auf  ähnliche  Weise  werden  über  Stamm  und  Verwandtschaft 
vieler  Namen  gründliche  Untersuchungen  angestellt. 

Niederdeutsche  Passionsgeschichte  nach  dem  Evangelium  Jo- 
hannis.  Mitgeteilt  von  Dr.  Martens.  Programm  der  Real- 
schule in  der  Altstadt  zu  Bremen  1883.     19  S.   4. 

Das  neu  erwachte  Studium  des  Niederdeutschen  ist  der  Grund,  dafs 
wir  jetzt  mannigfache  niederdeutsche  Litteraturwerke  erhalten,  die  wegen 
ihres  Inhalts  keine  Bedeutung  haben,  aber  in  sprachlicher  Hinsicht  beachtens- 
wert sind.  Dazu  gehört  vorliegende  Passionsgeschichte  aus  einem  im  Besitz 
des  Herausgebers  befindlichen  Gebetbuche  aus  dem  Ende  des  14.  oder  An- 
fang des  1 5.  Jahrhunderts  in  niedersächsischer  Sprache.  Es  ist  die  Pas- 
sionsgeschichte- nach  dem  Evangelium  Johannis  Kapitel  18  und  19.  Es  ist 
angenehm,   dafs   der  Verf.  neben   dem  Texte   noch   zwei   andere  Texte  bat 

15* 


228  Programmenschau. 

abdrucken  lassen,  nämlich  der  ältesten  niedersächsischen  gedruckten  Über- 
setzung der  Vulgata,  d.  i.  der  Lübecker  von  1494,  und  der  ältesten  nieder- 
sachsisclion  Übersetzung  des  Lutherschen  Neuen  Testaments,  d.  i.  der  VVitten- 
berger  von  1529.  —  Im  Anhange  teilt  der  Herausgeber  den  übrigen  Inhalt 
des  Sanimelbandes  mit,  es  sind  Gebete  und  Andachten. 

Über  Herodis  Funa3  et  Racheiis  lachrymEe  von  Andreas  Gry- 
phius.  Nebst  einigen  weiteren  Nachrichten  über  den  Dichter 
von  F.  W.  Jahn.  Programm  des  Stadtgymnasiums  zu 
Halle  a.  S.  1883.     32  S.    4. 

In  etwas  weitläufiger  Weise  bebandelt  der  Verf.  seine  Themata,  er  setzt 
zuerst  auseinander,  wie  es  gekommen,  dafs,  obgleich  alle  älteren  Quellen 
richtig  den  2.  Oktober  1616  als  Gryphius'  Geburtstag  angeben,  doch  in 
diesem  Jahrhundert  lange  fälschlich  der  11.  festgehalten  sei.  In  seinem 
fünfzehnten  Jahre  dichtete  Gryphius  lateinisch  die  Herodis  Furise,  die  man 
in  Litteraturgeschichten  öfters  falsch  als  Trauerspiel  bezeichnet  findet-,  es 
ist  ein  episches  Gedicht,  die  Herausgabe  steht  von  Palin  zu  erwarten.  Der 
Verf  teilt  die  Widmungsdistichen  nebst  seiner  Übersetzung  und  ausführlich 
den  Inhalt  mit,  den  Bombast  des  lateinischen  Originals  giebt  die  deutsche 
Inhaltsangabe  glücklich  wieder.  Von  dem  zweiten  lateinischen  Gedichte 
des  Gryphius:  Dei  vindicis  iropetus  et  Herodis  interitus,  in  1204  Hexa- 
metern, erhalten  wir  auch  den  Inhalt  angegeben.  Schliefslich  wird  berichtet, 
dafs  1665  von  Schülern  des  Stadtgymnasiums  zu  Halle  die  Katharina  von 
Georgien  von  Gryphius  in  Gegenwart  des  Administrators  Herzogs  August 
von  Sachsen  aufgeführt  worden  ist. 

Wielands  publicistische  Thätigkeit.  Von  Oberlehrer  Hermann 
ßöhnke.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Oldenburg  1883. 
27  S.   4. 

Eine    Ehrenrettung    Wielands,    die    alle    Beachtung    verdient.      Es    ist 
richtig,    wie  der  Verf.  sagt,    dafs  es   förmlich  Mode   geworden  ist,  Wieland 
herabzusetzen,    während  man   von    den  anderen  Dichtern    seiner  Zeit  jeden 
Flecken    vvegzureiben    sucht.      Der    Wandel    in    seiner    schriftstellerischen 
Thätigkeit,  dessen  Notwendigkeit  schon  Lessing  prophetisch  andeutete,  mag 
zu   diesem   schroffen  Urteil    viel   beigetragen   haben;   aber   allein   schon   der 
Oberen  und  Goethes  herrliche  Worte  über  denselben  sollten  zur  Behutsam- 
keit mahnen.    Nicht  minder  der  ehrende  Nachruf,  den  1813  Goethe  ihm  wid- 
mete und  von  dem  der  Verf.  ausgeht:    „Der  geistreiche  Mann   spielte  gern 
mit  seinen  Meinungen,   aber,    ich    kann    alle   Mitlebenden   als   Zeugen   auf- 
fordern,  niemals  mit   seinen  Gesinnungen."     Man   mufs  Wieland   ganz   und 
voll  fassen,  nicht  dies  oder  jenes  Stück   herausgreifen,   um   ihm   gerecht   zu 
werden.     Der   Verf.,   welcher   sich   eingehend    mit  Wieland    beschäftigt   und 
eine  grÖfsere  Arbeit  über  denselben  vorbereitet  hat,  ist  zunächst  durch  das 
bittere  Urteil  Biedermanns  in  seiner  Kulturgeschichte,  namentlich  durch  die 
Behauptung,  dafs  Wieland  für  grofse  Thaten  und  Weltbegebenheiten  durch- 
aus  unempfänglich   gewesen    sei,   zu   dieser   Abhandlung  veranlafst   worden. 
Die    publicistische    Thätigkeit    Wielands,    der    deutsche    Merkur,    soll    die 
Grundlosigkeit  jenes   Urteils   beweisen.     An   dem   Kampfe   seiner   Zeit   bat 
sich  A\'ieland  von  früh   an   beteiligt.     Nur   der  litterarische  Kampf  erregte 
damals  in  Deutschland  Interesse,  der  die  Gestalt  des  Wettkampfes  zwischen 
englischem  und  französischem  Geschmack  annahm.     Schon  1755  trat  er  mit 
der  Ankündigung  einer  Dunciade   für   die  Deutschen   gegen   Gottsched   auf 
Reformideen  treten  auch   hervor  in   den  Jugendschriften  (1758)  „Plan  einer 
Akademie    zur   Bildung    des    Verstandes    und    Herzens  junger  Leute"    und 


r 


Programmenschau.  229 

„Gedanken  über  den  politischen  Traum  von  einem  Mittel  die  veraltete  Eid- 
genossenschaft wieder  zu  verjüngern".  Wir  ersehen  daraus,  dafs  Wieland 
einen  in  damaliger  Zeit  nicht  häufigen  Sinn  für  die  lebendige  Gegenwart 
hatte.  Bald  dies  bald  das  erregte  sein  hohes  Interesse.  Das  ist  bezeich- 
nend für  ihn,  seine  reiche  Phantasie  wirkte  nur  anregend,  nicht  schöpferisch. 
Geranie  diese  geistige  Behendigkeit,  die  seltene  Aneignungsfähigkeit  bildete 
ihn  zu  einem  Publicisten  ersten  Ranges.  Den  Plan  zum  deutschen  Merkur 
hat  er  lange  gepflegt,  die  Gründung  erfolgte  erst  mit  der  Übersiedelung 
nach  Weimar.  Überall,  wie  nun  der  Verf.  im  einzelnen  ausführt,  wufste 
er  Mitarbeiter  zusammenzufinden,  unterhielt  eine  staunenswerte  Korrespon- 
denz, überwand  die  zahllosen  Schwierigkeiten,  hatte,  um  viele  Abonnenten 
zu  gewinnen,  zu  lavieren.  Endlich  erschien  1773  das  erste  Heft.  Alsbald 
brach  aber  der  Streit  mit  den  Göttingern,  mit  dem  Musenalmanach  aus. 
^\'elches  Strafgericht  jene  an  Wieland  vollzogen,  ist  bekannt:  nachher  ist 
aber  das  Verhältnis  Wielands  zu  Vofs  ein  freundliches  geworden,  Wieland 
war  zu  gutmütig,  um  lange  zu  grollen.    Hiermit  bricht  die  Abhandlung  ab. 

Über  den  Einflufs  Holbergs  und  Destouches'  auf  Lessings 
Jugenddramen.  Von  Dr.  Adolf  Scliimberg.  Programm  des 
Gymnasiums  zu  Görlitz  1883.     16  S.    4. 

Die  Abhandlung  bat  das  Verdienst,  alles  zusammenzubringen,  was  in 
Lessings  Jugonddramen  an  Holberg  und  Destouches  erinnert,  in  denen  also 
Lessing  offenbar  sich  auf  diese  Dichter  bezogen  hat;  dem  französischen 
Dichter  erteilt  bekanntlich  Lessing  mehrfach  grofses  Lob.  Gleich  im  ersten 
Stück,  im  Jungen  Gelehrten,  linden  sich  zahlreiche  Ähnlichkeiten  mit  Hol- 
bergs Erasmus  Montanus,  in  Charakteren  und  im  Einzelnen,  in  der  Heirats- 
scene  auch  von  Destouches.  Es  sei  hierzu  bemerkt,  dafs  es  ein  Lustspiel 
giebt  von  Contessa:  Der  Gelehrte.  Lustspiel  in  vier  Akten  nach  Destouches 
1826.  —  Dafs  das  zweite  Stück  „Dämon"  von  Holbergs  „glücklichem  Schiff- 
bruch" beeinflufst  ist,  ward  schon  von  Danzel  bemerkt.  \'on  der  Bemerkung 
des  Verf :  „Überhaupt  ist  dieses  Stück  das  unbedeutendste  von  Lessings 
.Jugenddramen  und  ist  wohl  auch  nie  auf  die  Bühne  gebracht  worden",  ist 
nur  die  erste  Hälfte  richtig.  In  der  Hamburgischen  Theater-Geschichte  von 
J.F.  Schütze  (1794)  heifst  es  S.  282:  Am  5.  August  (1754)  begann  Schöne- 
mann aufs  neue  und  nun  fortwährend  für  eigene  Rechnung,  doch  ohne  grofse 
Rechnung  dabei  zu  finden  —  bis  zum  11.  November.  Unter  den  in  diesem 
Zeiträume  gegebenen  Stücken  zeichnen  wir  Lessings  Dämon  (aus  den  Er- 
munterungen zum  Vergnügen  des  Gemüts  —  Hamburg  1747.  8  —  eine  Zeit- 
schrift, an  welcher  Lessing  mitarbeitete)  und  den  Kaufmann  von  London 
u.  s.  w.  aus."  Also  zwischen  dem  5.  August  und  11.  November,  an  welchem 
Tage  Schönemann  seine  Direktion  mit  der  Darstellung  des  Kaufmanns  von 
London  schlofs,  ist  der  Dämon  in  Hamburg  aufgeführt.  In  Lessings  drit- 
tem Stücke  „Der  alten  Jungfer"  zeigte  sich  wieder  direkt  der  Einflufs  von 
Holberg  und  Destouches  (S.  10  ff.)  Beiläufig,  dies  Stück  liefs  Koch 
12.  Aug.  1755  in  Hamburg  aufführen.  Auch  im  „Misogyn"  ist  in  Einzel- 
heiten Holbergs  Einflufs  nachweisbar  (S.  12),  im  „Freigeist"  in  einer  Scene ; 
bekanntlich  ist  der  Freigeist  18G5  von  Gubitz  neu  bearbeitet.  In  anderen 
Gedichten  ist  es  dem  Verf.  nicht  gelungen,  Benutzung  von  Holberg  und 
Destouches  zu  finden. 

Friedrich  Leopold  Graf  zu  Stolberg  und  Johann  Heinrich  Vofs. 
II.  Von  Ord.  Lehrer  Dr.  Otto  Hellinghaus.  Programm  des 
Realgymnasiums  zu  Münster  1883.     16  S.   4. 

Der  zweite  Teil  der  Abhandlung  umfafst  nur  einen  kurzen  Zeitraum, 
von    177C    bis    zu  Vofs'  Einzug    in  Eutin,    es    sind   nur  die  Beziehungen  in 


230  Programmenschau. 

dieser  Zeit  zwischen  Vofs  und  Stolberg  dargestellt.  Der  Verf.  bat  mit 
grolsom  Fleil's  und  Sorgfalt  sein  Thema  behandelt,  kleine  Ungenauigkeiten 
bei  Herbst  durch  Einsicht  in  die  Originalbriefe  verbessert.  Den  ersten  und 
zweiten  Teil,  sowie  die  Fortsetzung,  die  nach  dem  vorliegenden  Anfang  um- 
fangreich zu  werden  scheint,  gedenkt  er  als  ein  Ganzes  bald  in  der  Herder- 
schen  Buchhandlung  in  Freiburg  erscheinen  zu  lassen. 

Schillers  Lied  von  der  Glocke.  Für  die  Zwecke  der  Schule 
erläutert  von  Oberlehrer  A.  von  Sanden.  Programm  des 
Progymnasiums  zu  Kempen,  Regb.  Posen  1883.    33  S.   4. 

Der  Verf.  hat  diese  Erläuterung,  die  besonders  durch  sorgfältige  Zer- 
gliederung des  Inhalts  in  den  reichen  Ideengehalt  der  Dichtung  einführen 
will,  den  scheidenden  Schülern  als  Andenken  hinterlassen  wollen,  dafs  sie 
auch  auf  ihrem  ferneren  Lehenswege  noch  gern  zu  der  bewundernswerten 
Schöpfung  des  Dichters  zurückkehren  und  aus  ihr  Gewinn  für  Geist  und 
Gemüt  schöpfen.  Die  Schulschrift  macht  nicht  Anspruch  diirauf,  unbekannte 
Wahrheiten  zu  bringen.  Einfach  wie  sie  auftritt,  verdient  sie  das  Lob,  dafs 
sie  ihrem  Zwecke  vollkommen  entspricht.  Für  die  Schule  könnte,  um  gleich 
zur  ersten  Zeile  des  Kommentars  einen  Beitrag  zu  liefern,  hinzugefügt  wer- 
den, da  der  Verf  eine  metrische  Glockeninschrift  anführt,  dafs  der  Schiller- 
schen  oder  Strafsburger  Inschrift  verwandt  sind  die  von  Linz  am  Rhein : 
Defunctos  plango,  vivos  voco,  fulgura  frango,  und  von  Harsewinkel  (in  AVest- 
falen):  Funera  deflango,  plebem  voco,  fulgura  frango. 

Die  dramatische  Idee  in  Schillers  Wilhelm  Teil.  Von  Gym- 
nasiallehrer Mühlenbach.  Programm  des  Gymnasiums  zu 
Eatibor  1883.     26  S.  4. 

Über  die  Einheit  oder  Nichteinheit  des  Wilhelm  Teil  ist  viel  hin  und 
her  geredet  und  geschrieben  worden.  Die  zahlreichen  Urteile  der  Kritiker 
älterer  und  neuerer  Zeit,  vielfach  unter  sich  abweichend,  hat  der  Verfasser 
zunächst  zusammengestellt;  man  hätte  dabei  mehr  Präcision  gewünscht, 
zumal  der  Verf  bei  weitem  nicht  alle  Specialwerke  über  Teil  aufgeführt  hat, 
nicht  einmal  die  allgemeinen  Litteraturgeschichten.  Und  wenn  er  die  Urteile 
der  Zeitgenossen  Schillers  besonderer  Beachtung  wert  hielt,  so  verdiente 
auch  Schillers  Briefwechsel  mit  Humboldt  und  Goethes  mit  Zelter,  sowie 
die  interessanten  Stellen  aus  Goethes  Gesprächen  mit  Eckermann  berück- 
sichtigt zu  werden.  In  ähnlicher  Weise  wie  schon  andere  das  Drama  be- 
sprochen haben,  äufsert  sich  der  Verf  dahin,  dafs  wir  einen  zweifachen 
Helden  anzunehmen  haben,  wie  auch  die  Tradition  der  Schweiz,  in  den 
ersten  zwei  Akten  sei  das  Volk  der  Held,  von  da  an  Teil.  Der  Dichter 
wollte  die  Befreiung  der  Urkantone  und  die  Geschichte  des  Teil  darstellen. 
Das  Volk  mufs  erkennen,  so  berechtigt  auch  seine  Empörung  ist,  dafs  das 
Gelingen  nicht  von  den  Massen,  sondern  von  einzelnen,  die  selbständig  ein- 
greifen, vor  allem  von  der  Unterstützung  einer  höheren  Macht  abhängt,  — 
Teil,  dafs  seine  eigene  Not  nur  der  Reflex  der  allgemeinen  Not  ist.  Ist 
nun  auch  das  Volk  der  Held  in  den  zwei  ersten  Akten,  so  wird  doch  schon 
auf  das  Tellstück  hingewiesen,  wir  wissen,  dafs  und  wann  und  wie  Teil  in 
die  allgemeine  Bewegung,  der  er  sich  seinem  Charakter  und  der  Tradition 
nach  bisher  fern  gehalten  hat,  eingreifen  wird.  Die  Rütliscene  führt  un- 
mittelbar durch  die  Erwähnung  Gefslers  auf  Teil.  Um  zu  zeigen,  dafs  Teil 
allein  in  seinem  Familienleben  getroffen  und  aus  der  Gleichgültigkeit  gegen 
die  Gemeinde  herausgerissen  werden  kann,  war  zunächst  sein  friedliches 
Glück  daheim  zn  schildern.  Nach  Gefslers  Ermordung  ist  eine  dramatische 
Steigerung  nicht  mehr  möglich;  nachdem  im  dritten  und  vierten  Akte  Teils 


Programmenschau.  281 

besondere  That  alles  Interesse  beansprucht  hatte,  kehrt  im  fünften  Akte  der 
Dichter  zum  Volke  zurück,  der  fünfte  Akt  vollendet  das  Werk  der  Be- 
freiung. —  Dies  ist  in  Kürze  der  Inhalt  der  Exposition  des  Verfassers. 

Über  Schillers  Auffassung  und  Verwertung  des  antiken  Chors 
in  der  Braut  von  Messina.  Von  Oberlehrer  Dr.  Arnoldt. 
Progranani  des  Kneiphöfischen  Gymnasiums  zu  Königsbero- 
1883.     12  S.    4. 

Wir  wissen   von   Schiller  selbst,    dafs    er   mit    der  Braut    von  Messina 
einmal  ein  Experiment  machen  wollte;  er  ahnte  nicht,  welch  einen  staunens- 
werten Erfolg  die  Darstellung  haben  werde.     Und  doch,  als  sehe  er  voraus, 
welche  Bedenken  späterhin  sich  laut  raaclien  würden,  schrieb  er  zur  Klärung 
der  Begriffe  und  zur  Rechtfertigung  die  \'orrede.    Er  hat  sich  dadurch  selbst 
im  Lichte  gestanden,  gerade  daraus  sind    die  Waffen  geholt.     Es  sind,  sao-t 
man,    geradezu    die  Gesetze    der   alten  Tragödie   verletzt,   es    ist  die  antike 
Vorstellung  von  dem  Dichter  falsch   aufgefafst,    folglich   ist   das  Drama  ein 
verfehltes  Kunstwerk.     Aber   der   Theorie    gegenüber   behauptet   das  Leben 
sein  Recht;   noch   immer   macht   das  Drama   den    gewaltigsten  Eindruck,  es 
ist  sicher,  dafs  das  nicht   blofs   die  Wirkung  der   bezaubernden  Diktion  ist. 
Wie  kommt  das?   Haben  die  Tadler  nicht   recht?   Die  vorliegende  Abhand- 
lung wendet  sich  der  Frage  mit  mehr  Sorgfalt  zu,  als  gewöhnlich  geschieht- 
sie   beruht   auf  besserer  Einsicht   in    das    griechische  Drama,  auf  den  Fort- 
schritten, die  in  neuester  Zeit  in  der  Erkenntnis  desselben  gemacht  sind.  — 
•Der  Chor   und    die    Schicksalsidee,    das    sind   die  charakteristischen   antiken 
Elemente  des  Dramas.     Die  Einführung  des  Chores  hat  die  ganze  Gliederung 
des  Stückes,  die  Einfachheit  der  äufseren  Ökonomie,  die  Pracht  des  Rhyth- 
mus in  seinem  Gefolge,  die  antike  Schicksalsidee  die   Charakterisierung  der 
handelnden  Personen,  die  aber  weniger  handelnde  Personen,  als  sie  geleitet 
werden,  daher  keine  individuelle  Färbung  tragen.     Es  ist  bekannt,   dafs  der 
König  Ödipus   des  Sophokles   auf  den    Dichter   am   meisten  eingewirkt  hat, 
und  bis   ins  Einzelne   hinab   läfst   sich   die  Ähnlichkeit   verfolgen.     Aber  ist 
der  Chor   in   der  Braut   von  Messina   wirklich   antik?   Der   antike  Chor,    so 
heifst  das  allgemeine  Urteil,  ist  der  idealisierte  Zuschauer,  das  unparteiische 
Volksbewufstsein,  er  ist  von  keiner  Partei,    er  darf  an   der  Handlung  nicht 
teilnehmen,  er  ist  nur  auf  die  Reflexion  beschränkt.    Und  dem  entgegen  ist 
nun  Schillers  Chor  gespalten,  leidenschaftlich  und   wiederum   den  Gebietern 
sklavisch  unterthänig.     Darauf  ist  nun  zu  erwidern :   In  den  Schutzflehenden 
und    den  Eumeniden    des   Aschjlus    bildet    der   Chor   die   Hauptperson    der 
Handlung,  die  Jungfrauen  in  den  Sieben,  die  Greise  im  Agamemnon  zeigen 
keineswegs   die   vielgenannte   Ruhe,    der   Chor    der   Perser   durchaus    keine 
sklavische    Unterwürfigkeit.     Und    die   Leidenschaftlichkeit   der    handelnden 
Personen  finden  wir  auch  mehrfach   bei  dem  Chor  des  Sophokles,  auch  des 
Euripides,  und  Aristoteles  verlangt  geradezu  ein  Mitspielen  vom  Chor.  Wenn 
weiter  geurteilt    ist,    dafs    die  Personen   jetzt   ungestüm   daherstürmen    und 
dann   in   rascher  Wandlung  Weisheit   predigen,   so  ist   ein    solcher  Wechsel 
auch  öfters  bei  dem  Chor  des  Sophokles  und  Euripides,  wenn  man  den  Ab- 
stand   der    dialogischen  Abschnitte    von    den    lyrischen    Partien    betrachtet, 
wahrnehmbar.    Weiter  ist  der  Vortrag  durch  einzelne  Personen  dem  Schiller- 
schen  Chor    vorgeworfen;    aber   auch   innerhalb    der   lyrischen  Partien   des 
griechischen   Chores    findet    sich    eine    durchgehende    X'erschiedenheit,    bald 
treten  die  Reihen,  bald  die  Führer,  bald  einzelne  Personen  darstellend  vor, 
chorische  Einzelstimmen   licfsen    sich    auch    auf  der    Bühne   von  Athen  ver- 
nehmen.    Aber  Schiller   bat   keinen  Unterschied    gemacht,   er   hat   die  Ver- 
teilung aller  Ciioreuten  auf  alle  Gesänge  ausgedehnt,  und  das  hat  er  gethan, 
weil  die  Mitwirkung  der  Musik  ihm  fehlte   und   ein  Zusammensprechen  des 


232  Programmenschau. 

ganzen  Chores  ihm  unausführbar  schien.  Es  ist  auch  nicht  antik,  dafs  das 
ganze  Stück  hindurch  niemals  der  Chor  als  ein  Ganzes  erscheint,  sowie  dafs 
er  wie  eine  ßühnenperson  mit  derselben  Freiheit  auf-  und  abtritt.  Trotz- 
dem würde  bei  dem  tiefen  Ideengehalt  der  stets  der  Situation  entsprechen- 
den Chorlieder,  dem  erschütternden  Ernst,  dem  hochtragischen  Schwung, 
der  antiken  Würde,  den  glanzvollen  Rhythmen  das  deutsche  Drama  auch 
auf  der  Bühne  von  Athen  Beifall  gefunden  haben. 

Zur  Feier  deutscher  Dichter.  Dreizehnter  und  vierzehnter 
Abend.  Von  Direktor  K.  Strackerjan.  Programm  der 
Realschule  zu  Oldenburg  1883.     15  S.    4. 

Wie  in  Oldenburg  im  Winterhalbjahre  von  den  Schülern  der  Realschule 
Festlichkeiten  zum  Andenken  deutscher  Dichter  gefeiert  werden,  bestehend 
in  einer  Einleitungsrede  des  Direktors  und  Deklamationen  und  Gesangs- 
vorträgen der  für  den  Abend  ausgewählten  Dichter,  wie  dann  die  Aula  die 
Menge  der  Zuhörer  kaum  zu  fassen  vermag,  das  ist  jetzt  weit  über  die 
Grenzen  des  Grolsherzogtums  bekannt,  und  allgemein  anerkannt,  dafs  durch 
diese  Feiern  ein  idealer  Sinn  nicht  blofs  in  der  mitwirkenden  Jugend  ge- 
pflegt wird.  Die  Schulprogramme  haben  seit  einer  Reihe  von  Jahren  das 
Programm  dieser  Feier  und  die  Eingangsrede  mitgeteilt,  welche  in  sehr  an- 
sprecliender  Form  eine  kurze,  aber  treffende  Charakteristik  der  an  dem 
Abend  vorgeführten  Dichter  liefert.  Auf  diese  möge  auch  diesmal  aufmerk- 
sam gemacht  werden.  Der  dreizehnte  Abend,  betitelt:  die  schwäbischen 
Dichter,  bringt  eine  kurze  Schilderung  Uhlands,  der  schon  früher  einen 
Abend  für  sich  in  Anspruch  genommen  hatte,  eine  genauere  von  J.  Kerner, ' 
G.  Schwab,  Mörike,  K.  Mayer,  von  welchem  letzteren  ein  bisher  ungedrucktes 
Lied  mitgeteilt  wird.  Der  vierzehnte  Abend  ist  ganz  Rückert  geweiht,  und 
machen  wir  besonders  auf  die  liebevolle  Würdigung  desselben  aufmerksam. 

Briefe  von  Ernestine  Vofs  an  Rudolf  Abeken,  mit  erläuternden 
Anmerkunoren  herausgegeben  von  Professor  Dr.  Fr.  Polle. 
Zweite  Hälfte.  Programm  des  Vitzthumschen  Gymnasiums 
zu  Dresden  1883.     34  S.   4. 

Diese  zweite  Hälfte  der  Briefe  möchten  wir  noch  der  ersten  vorziehen ; 
sie  sind  von  der  Witwe  Ernestine  geschrieben.  Die  innigste  Liebe  zu  dem 
geschiedenen  Gemahl  spricht  sich  darin  aus,  wie  nicht  minder  die  aufrichtigste 
Frömmigkeit,  die  Gewifsheit,  dafs  sie  bald  für  immer  wieder  mit  ihm  ver- 
einigt sein  werde,  dabei  aber  auch  die  treueste  Anhänglichkeit  an  die  ihr 
gebliebenen  Kinder,  für  die  sie  jetzt  der  einzige  Mittelpunkt  ist,  und  dann 
wieder  das  rührende  Angedenken  an  den  früh  entrissenen  Sohn  Heinrich. 
Wir  empfehlen  diese  Briefe  allen  denen,  die  eine  der  edelsten  deutschen 
Frauen  kennen  lernen  wollen.  Sie  dienen  aber  auch  wesentlich  zur  Cha- 
rakteristik von  J.  H.  Vofs.  Ein  Mann,  der  von  den  Seinigen  so  schwärme- 
risch geliebt,  von  Männern  wie  Loback  und  Schlosser  so  warm  verehrt  wird, 
wird  immer  über  kleinliche  Tadelsucht  erhaben  sein.  —  Den  Briefen  an 
Abeken  ist  hier  im  Anhang  ein  Auszug  aus  einem  Briefe  Ernestines  an  eine 
Jugendfreundin,  Frau  von  Merwede  in  Flensburg,  von  1H23  beigegeben,  eine 
freundliche  Beschreibung  ihres  Wohnhauses  nebst  Umgebung.  Der  Heraus- 
geber hat  auch  diesmal  sorgfältige  Anmerkungen  beigefügt,  die  auch  einige 
Stellen  in  Herbsts  Schrift  über  Vofs  berichtigen. 

Herford.  H  ö  1  s  c  h  e  r. 


Miscellen. 


Die  alchymistischen  und  kabbalietischen  Stellen  in  Goethes  Faust. 

Man  hat  schon  vielfach  Goethes  Quellen  zu  seinem  faustischen  Zauber- 
spuk aufzufinden  gestrebt,  aber  ohne  rechten  Erfolg,  was  zu  dem  Urteile 
zu  berechtigen  schien:  Die  Alchymisten  schrieben  immer  ziemlich  den  glei- 
chen Unsinn  zusammen,  und  da  Goethe  sich  viel  mit  ihren  Schriften  be- 
schäftigte, so  suchte  er  sich  einige  derartige  Redensarten  'für  seinen  Faust 
aus,  ohne  jedoch  dabei  ein  bestimmtes  Buch  zu  Grunde  zu  legen.  Der  erste 
wirksame  Stofs  gegen  eine  solche  absprechende  Ansicht  geschah  187  7  seitens 
des  Medicinalrates  und  Professors  Herrn  Mohr,  indem  dieser  in  einer 
Sitzung  der  physikalischen  Abteilung  der  niederrheinischen  Gesellschaft  für 
Natur-  und  Heilkunde  in  Bonn  bei  Besprechung  der  Stelle  im  ersten  Teile 
von  Goethes  Faust  {v.  Loeper:  Vers  689  etc.): 

Da  ward  ein  roter  Leu,  ein  kühner  Freier, 

Im  lauen  Bad  der  Lilie  vermalt, 

Und  Beide  dann  mit  offnem  Flammenfeuer 

Aus  einem  Brautgemach  ins  andere  gequält. 

Erschien  darauf  mit  bunten  Farben 

Die  junge  Königin  im  Glas  — 

Hier  war  die  Arzenei,  die  Patienten  starben, 

und  Niemand  fragte,  wer  genas. 

mit  Bestimmtheit  auf  Theophrastus  Paracelsus  (Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts) als  Quelle  hinwies.  Desselben  charlatanischen  Arztes  ward  in 
diesem  Sinne  auch  in  Dr.  Eduard  Sabells  Festschrift  „Zu  Goethes  hundert- 
dreifsigstem  Geburtstag"  (1879)  und  zwar  in  einem  „Die  Hexenspriiche" 
üherschriebenen  Aufsatze  Erwähnung  gethan.  Daneben  wurden  u.  a.  auch 
die  dem  Basilius  Valentinus  zugeschriebenen  Werke  mit  ihren  deut- 
schen Auflagen  von  1677  und  1717  angeführt:  „Diese  Schriften  etc.  sind 
voll  von  Versen,  die  an  die  Hexensprüche  anklingen  und  von  denen  wir 
einige  hier  folgen  lassen."  Die  Probestellen  sind  jedoch  nicht  derart,  dafs 
sie  einen  zu  Sabells  Annahme  zu  stimmen  vermögen  —  „Die  Botschaft  hör 
ich  wol,  allein  mir  fehlt  der  Glaube!" 

Nun  kam  dem  Schreiber  dieser  Zeilen  kürzlich  ganz  zufällig  ein  altes 
chemisch-alchymistisches  Buch  zu  Händen.  Es  war  eine  andere  Auflage  des 
Basilius  Valentinus,  welche  aber  —  wenigstens  soweit  der  Vergleich  der  von 
Sabell  aufgeführten  Verse  ergiebt  —  keine  wesentliche  Abweichungen  zu 
bieten  scheint.  Der  vollständige  Titel  lautet:  „Fratris  Basilii  Valentin! 
Benedictiner  Ordens  Chymische  Schriften  alle,  so  viel  derer  vorhanden, 
anitzo  Zum  Dritten  mahl  zusammen  gedruckt,  aus  vielen  so  wol  geschriebenen 


234  Miscellen. 

als  gedruckten  Exemplaren  vermehrt  und  verbeßert,  und  in  Zwey  Theile  ver- 
fallet. —  HAMBURG,  In  Verlegung  Gottfried  Liebezeit's.  —  Anno  1700." 
Das  Buch  hat  einen  sehr  frommen  Anhauch,  die  Wissenschaft  desselben  wird 
als  eine  göttliche  Ofienbarung  hingestellt  entgegen  der  teuflischen  Zauberei. 
Die  Hauptabschnitte  des  ersten  Teiles  sind :  „Von  dem  großen  Stein  der 
uhralten  Weisen."  —  „De  Microcosmo,  oder  Von  der  kleinen  Welt  des 
MenschHchen  Leibes."  —  „De  Macrocosmo,  oder  Von  der  großen  Heimlich- 
keit der  W^elt,  und  ihrer  Artzney,  dem  Menschen  zugehörig."  —  „Von  der 
Meisterschaff't  der  sieben  Planeten,  ihrem  Wesen,  Eigenschafften,  Krafft  und 
Lauff."  —  „De  occulta  philosophia,  oder  \'on  der  heimlichen  Wunder-Geburt 
der  sieben  Planeten  und  Metallen."  —  „Von  den  Natürlichen  und  Über- 
natürlichen Dingen."  —  „Triumph-Wagen  des  Antimonii."  —  Beim  Durch- 
blättern dieses  seltsamen  Buches  erinnerte  mich  so  manches  in  dem  be- 
deutenderen ersten  Teile  desselben  an  Goethes  Faust,  dafs  ich  mir  unwill- 
kürlich sagte:  Sabell  hat  doch  nicht  so  ganz  unrecht,  nur  die  Probestellen 
waren  ungünstig  gewählt ;  leichtlich  kann  das  Buch  dem  Altmeister  vor- 
gelegen haben!  Einige  Anführungen  mögen  dies  zu  beweisen  suchen: 

Seite  45  heifst  es:  „Der  feurige  König  wird  die  liebliche  Stimme  der 
Königin  sehr  lieben,  und  wegen  großer  Liebe  freundlich  zu  sich  nehmen, 
und  sich  mit  ihr  ersättigen,  biß  sie  beyde  verschwinden,  und  in  einen  Leib 
eingehen."  Auch  des  „Leo,  Löwen,  roten  Löwen"  wird  wiederholt  Erwäh- 
nung gethan.     Wenn  nun  diese  Ausdrücke  an  die  Verse 

Da  ward  ein  roter  Leu,  ein  kühner  Freier 
Im  lauen  Bad  der  Lilie  vermählt  etc. 

erinnern,  so  will  ich  doch  nicht  Mohrs  Ansicht  widersprechen,  dafs  Goethe 
den  Paracelsus  benutzt  habe.  —  Aber  kann  er  nicht  auch  den  Basilius 
Valentinus  gekannt  haben?  —  Noch  folgende  Slellen  scheinen  mir  der  Be- 
achtung wert: 

B.  Valentinus  S.  42:  „Also  nun  mufs  von  diser  Materia  ein  sicht- 
barer Geist  außgetrieben  werden,  welcher  doch  unbegreiflich  ist"  etc.; 
ferner: 

B.  Valent.  S.  155: 

Aus  Venus  Lieb  mach  dir  ein  Stein, 
Und   treib   daraus    den   Geist    allein. 

Vergl.  Goethe  I,  V.  1582  etc.: 

Wer  will  was  Lebendig's  erkennen  und  beschreiben. 
Such  erst    den    Geist    herauszutreiben.  — 

B.  Valent.  S.  74: 

Ist  nichts,  spricht   der   Philosophus. 
Denn  ein  zweyfach  Mercurius. 

Ferner:  B.  Valent.  S.  154: 

Der   Philosophus    spricht    also:    etc. 
Vergl.  Goethe  I,  V.  1574  etc.: 

Der   Philosoph,    der   tritt   herein 

Und    beweist    Euch  etc.  — 

B.  Valent,  S.  159: 
j  Hab    gar   ein   melancholisch   Art, 

Davon   hab    ich    mein    greisen   Bart. 

Vergl.  Goethe  I,  V.  1701  etc.: 

Allein   bei   meinem    langen   Bart 
Fehlt   mir   die   leichte    Lebensart.  — 


Miscellen.  235 

B.  Valent.  S.  74: 

Sind   zwey   und    drei,    und    doch   nur   eins. 
Verstehst   dus   nicht,    so    triffst    du  keins. 

Vergl.  Goethe  I,  V.  1564  etc.: 

Dann  lehret  man  Euch  manchen  Tag, 
Daß,  was    Ihr   sonst   auf  Einen   Schlag 
Getrieben,  wie  Essen  und  Trinken  frei, 
Eins!    Zwei!   Drei!    dazu    nöthig   sei.  — 

B.  Valent.  S.  154: 

Ein  Zeuge  redt  mit  höchster  Stimm, 

Wer  gar  nichts  gilt  ist  leer  im  Sinn: 

FUnfftzig   ist   mehr   denn    Fünff  die   Zahl, 

Und   sind    doch    nur   zween    überall: 

Tausend    beschl  ießen's    End    zugleich, 

Wer    diß    versteht    der   ist    gantz    reich: 

Fünff  Ding  im  Leben  solches  oftenbahren, 

Und  fünff  im  ToJt  dabey  auch  waren, 

Viere  die  sprechen   das  Urtheil  aus, 

Das  einig  allein  rieht  nur  den  Strauß. 

Vergl.  Goethe  I,  V.  2185  etc.: 

Du  mußt  verstehn ! 

Aus  Eins  mach  Zehn, 

Und  Zwei  laß  gehn, 

Und  Drei  mach  gleich, 

So   bist    du   reich  u.  s.  w. 

B.  Valent.  S.  154  (diese  Verse  finden  sich  auch  bei  Sabell): 

0    Sonn,  ein    König   dieser   Welt, 

Die   Luna   dein    Geschlecht   erhält, 

Mercurius    copulirt    euch    fix, 

Ohn  Venus    Gunst   schafft    ihr    alls   nichts, 

Welch  Martern  hat  zum  Mann  erkohrn, 

Jovis    Genad    sey    nichi  verlohrn, 

Damit   Saturnus  alt  und  greiß, 

In  vielen  Farben  sich  erweiß  etc. 

Ferner:  B.  Valent.  S.  159  (Saturn  spricht): 

Ich   komm   vom   höchsten   Himmel   her. 
Und   scheine    oben   weit   und   fer, 
Daß    man   mich   kaum   erkennen   kan. 
Im  Sinn  bin  ich  ein  Wundermann, 
Hab  gar  ein  melancholisch  Art,  etc. 

Vergl.  Goethe  II,  V.  343  etc.: 

Die    Sonne    selbst,    sie   ist   ein   lautres   Gold, 

Merkur,    der   Bote,   dient    um   Gunst  und   Sold, 

Frau   Venus   hat's    euch    Allen    angethan. 

So  früh  als  spat  blickt  sie  euch  lieblich  an. 

Die  keusche  Luna  launet  grillenhaft; 

Mars,  trifft  er  nicht,  so  dräut  euch  seine  Kraft; 

Und    Jupiter   bleibt   doch   der   schönste   Schein. 

Saturn    ist   groß,    dem    Auge   fern    und   klein;  etc. 

Ja,- wenn  zu  Sol  sich  Luna  fein  gesellt, 

Zum    Silber   Gold,    dann    ist   es    heitre   Welt. 


236  Misccllen. 

Die  Gleichstellung  der  Planeten  und  Metalle  ist  also :  Sol  =:  GolJ, 
Luna  =  Silber,  Saturnus  =  Blei,  Jupiter  =  Zinn,  Venus  =  Kupfer, 
Mars  ^=  Eisen,  Mercurius  =  Quecksilber.  —  Nun  kann  nicht  geleugnet  wer- 
den :  Was  die  letzte  Anführung  aus  dem  zweiten  Teile  des  Faust  betrifft, 
so  scheint  ein  AViderspruch  darin  zu  liegen,  dafs  die  berührten  Stellen  des 
ersten  Teiles  in  die  frühe  Jugend  fallen,  wohingegen  die  letzthin  genannte 
Stelle  des  zweiten  Teiles  dem  hohen  Alter  angehört.  Sollte  Goethe  die- 
selbe Quelle  auch  noch  späterhin  vorgelegen  haben?  oder  hatte  er,  als  er 
in  der  Jugend  den  B.  Valentinus  vorhatte,  Auszüge  gemacht,  welclie  er 
später  verwandte?  Im  Grunde  genommen  mag  es  ziemlich  einerlei  —  gleich- 
gültig darf  man  nicht  sagen  —  erscheinen,  aus  welchen  Büchern  Goethe  für 
seine  Meisterschöpfungen  geschöpft  habe.  Aber  die  verehrende  Teilnahme 
für  unseren  gewaltigen  Geistesfürsten  ist  uns  Entschuldigung  dafür,  dafs 
wir  seinen  Spuren  nachspüren,  soweit  wir  vermögen. 

Adalbert  Rudolf. 

Die  Moliöre-Philologie  und  ihre  berufsmäfsigen  Gegner. 

Über  den  Aufschwung,  den  die  deutsche  Moliere-Philologie  in  den  letzten 
Decennien  genommen,  und  über  die  Gunst,  welche  ihr  die  wirklich  wissen- 
schaftlichen Zeitschriften  Frankreichs,  Englands  und  Deutschlands  zugewandt 
haben,  noch  viel  Worte  zu  verlieren,  wäre  für  die  sachkundigen  Leser  dieser 
Zeitschrift  überflüssig.  Hier  handelt  es  sich  nur  um  Kennzeichnung  einiger 
versteckter,  im  sicheren  Schutze  der  Ano  nymität  kämpfender  Neider, 
die  in  zwei  deutschen  Cliquenblättern,  den  „Grenzboten"  und  dem  „Litte- 
rarischen Centralblatl"  (beide  erscheinen  natürlich  zu  Leipzig,  dem  Centrum 
des  litterarischen  Nepotismus  und  Reklamenwesens),  ihr  dunkles  Handwerk 
treiben.  Was  die  neueren  Bestrebungen  der  Molieristik  den  „Grenzboten" 
so  vorhafst  gemacht  hat,  will  ich  nicht  untersuchen,  sondern  hier  nur  cha- 
rakteristische Thatsachen  vorbringen.  Als  das  erste  Heft  des  „Moliere-Mus.", 
jenes  mit  so  grofsen  Opfern  begonnenen  und  in  allen  Zeitschriften  Deutsch- 
lands und  des  Auslandes  (Grenzboten  und  verwandte  Blätter  natürlich  aus- 
genommen) gelobten  Unternehmens  erschien,  brachten  auch  diese  „Boten" 
ein  selbstredend  anonymes*  Referat.  Was  stand  darin!  Der  Redacteur,  der 
in  der  Vorrede  all  seinen  Gönnern  und  Freunden  dankt,  habe  sich  das  Ver- 
gnügen machen  wollen,  seine  Bekannten  aus  dem  Adrefskalender  zusammen- 
zuschreiben. Dann  wurden  einzelne  Sätze  aus  dem  Zusammenhange  ge- 
rissen und  bewitzelt.  Etwa  zwei  Jahre  später  ging  es  dem  Verf.  dieses 
Artikels  ähnlich.  Eine  von  ihm  verfafste  Moliere-Biographie  hatte  aus  leicht 
begreifhchen  Grümlen  politischer  Natur  den  Zorn  der  Grenzboten-Redaktion 
(die  bekanntlich  aus  drei  Personen  besteht,  welche  ihre  Zugehörigkeit  zu 
diesem  Blatte  sorgsam  verschweigen)  erregt.  Es  erschien  eine  lange,  natür- 
lich anonyme,  Besprechung,  die  in  nicht  weniger  als  23  Punkten  Ver- 
drehungen und  direkte  Unwahrheiten  enthielt,  was  übrigens  der  Anonymus 
in  einem  an  die  Redaktion  gerichteten  Schreiben,  das  mir  durch  ein  Ver- 
sehen der  gerichtlichen  Untersuchung  vorgelegt  wurde,  teilweise  selbst 
zugab.  Meine  Berichtigung  wurde  von  dem  nominellen  Redacteur,  Buch- 
händler Grunow  in  Leipzig,  beiseite  gelegt  und  der  Staatsanwaltschaft  gegen- 
über die  Nichtaufnahme  damit  gerechtfertigt,  dafs  meine  Ausführungen 
nicht  lediglich  „auf  Thatsachen"  sich  beschränkten.  Natürlich,  denn  wie 
soll  man  Witzeleien  und  Verdrehungen,  also  Dinge,  die  ebenfalls  nicht  der 
thatsächlichen    Wahrheit    angehören,     durch     rein    „thatsächliche"    Angaben 


•  Die   Anonymität,    ein    heiliges   Recht    aller    politischen    und    socialpolitischen 
Zeitungen,  ist  in  wissenschaftlichen  Kritiken  allmählich  aufser  Mode  gekommen. 


Miscellen.  237 

widerlegen?  Ein  gewisser  Karl  Siegen,  Gelegenheitsdichter  und  Zeitungs- 
schreiber zu  Leipzig,  machte  dann  aus  dem  Grenzboten-Referat  einen  Aus- 
zug für  die  Leipziger  offizielle  Zeitung,  worin  er  geistreich  bemerkte,  mein 
Buch  enthielte  nur  auf  hundert  Seiten  Neues,  auf  den  anderen  dreihundert 
auch  Bekanntes,  daher  wäre  nur  eine  Publikation  dieser  hundert  Seiten 
nötig  gewesen.  Dabei  zeigte  K.  S.  eine  so  grofse  Unkenntnis  der  Moliere- 
Litteratur  und  meines  eigenen  Buches,  welches  er  doch  kritisieren  zu  wollen 
vorgab,  dafs  er  nicht  einmal  den  Namen  der  Gattin  Molieres,  der  dort 
einige  hundert  Mal  vorkam,  richtig  abschreiben  konnte. 

Im  ,,Litt.  Centralbl",  das  unter  Leitung  eines  Professors  steht,  der 
ausschliefslich  Gerlnanist  ist  und  somit  die  Kecensionen  nicht  germanischen 
Charakters,  also  etwa  sieben  Achtel  seines  Blattes  auf  Treue  und  Glauben 
annimmt,  werden  alle  Moliere-Publikationen  mit  einigen  Zeilen,  entweder 
lobhudelnder  oder  maliciös-witzclnder  Art  abgethan,  auch  wenn  jene  Publi- 
kationen auf  eingehenden  Defailstudien  ruhen.  In  dieser  Weise,  mit  obli- 
gater Hinzufügung  von  Verdrehungen,  unbewiesenen  Annahmen  und  Witzchen 
wurden  Humberts  Schriften,  Mangolds  Tartuffe  u.  a.  besprochen.  Lotheifsens 
Buch  wurde  mit  so  nichtssagenden  Wendungen  gelobhudelt,  dafs  die  Lob- 
hudelei hier  fast  zur  Kränkung  wurde.  Aufnahme  von  Berichtigungen 
wurde  von  dem  Redacteur  dem  Prof.  Humbert  und  mir  in  zwei  Fällen  ver- 
weigert, und  in  einem  anderen  Falle  so  lange  hingezögert,  bis  die  Frist  zur 
Erlangung  gerichtlicher  Hilfe  verstrichen  war.  Die  nichtssagende  Kürze  der 
anonymen  Referate  erklärt  sich  wohl  mit  daraus,  dafs  jenes  „Centralblatt" 
pro  Zeile  die  horrende  Summe  von  5  Pf.  entrichtet  und  mehr  als  120  Zeilen 
überhaupt  nicht  honoriert,*  dafs  es  ferner  das  Recensionshandwerk  zuweilen 
von  Studenten  und  Anfängern  besorgen  läfst.  So  wurda  Ludwig  Freytags 
Buch  über  Tiberlus  von  einem  Studiosus  Kitt  aus  Bergamo,  der  mit  seinen 
wissenschaftlichen  Arbeiten  überall  Fiasko  machte  und  als  Handlungsreisender 
sich  dann  entpuppte,  anno  1871  recensiert,  so  wurde  von  einem  anonymen 
Ref.  der  Historiker  Brefslau  in  Berlin  noch  als  jugendlicher  Anfänger  hin- 
gestellt, nachdem  er  schon  Bedeutendes  geleistet  hatte,  und  die  Redaktion 
des  „Litt.  Centralbl."  suchte  dieses  Versehen  in  einer  officiellen  Erklärung 
gar  noch  zu  entschuldigen.  Die  Herren  Mitarbeiter  des  „Litt.  Centralbl.", 
denen  ein  Urteil  über  die  besprochenen  Publikationen  zuzutrauen  ist,  lassen 
sich,  wie  ich  in  mehreren  Dutzend  Fällen  nachweisen  kann,  durch  Schul- 
meinungen und  durch  wohlwollende  Rücksicht  für  den  Leipziger  Verlag 
allzusehr  leiten. 

Es  ergiebt  sich  aus  dem  Gesagten,  dafs  die  rüstig  fortschreitende 
Moliere-Philologie  von  jenen  beiden  Leipziger  Blättern  zwar  nichts  zu  hoff'en, 
aber  auch  nichts  zu  fürchten  hat.  Schriftsteller  und  Verleger  mögen  das 
zu  verstehen  suchen. 


*  Die   Kecensionsexemplare    werden   überdies   zurückgegeben    oder   vom    Recen- 
senten  bezahlt. 

Halle.  R.  Mahrenholtz. 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Allgeraeines. 

F.  Techmer,  Internationale  Zeitschrift  für  allgemeine  Sprachwissenschaft. 
I.  B(J  .  1.  Heft.     (Leipzig,  Barth.)  6  Mk. 

F.  Masing,  Lautgesetz  und  Analogie  in  der  vergleichenden  Sprachwissen- 
schaft.    (Petersburg,  Kranz.)  1  Mk.  80  Pf. 

O.  Schrader,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte.  Linouistisch-histo- 
rische  Beiträge  zur  Erforschung  des  indogermanischen  Altertums.  (Jena, 
Costenoble.)  11  Mk. 

Franco-Galiia,  Kritisches  Organ.  Hrsgb.  von  A.  Krefsner.  L  Jahrgang. 
12  Hefte.     (Wolfenbüttel,  Zwifsler.)  5  Mk. 

Heinr.  Free,  Der  muttersprachliche  Unterricht  in  der  Volksschule.  (Bern- 
burg, Bacmeister.)  1   Mk.  40  Pf. 

F.  Franke,  Die  praktische  Spracherlernung  auf  Grund'der  Psychologie 
und  der  Physiologie  der  Sprache.     (Heilbronn,  Henninger.)  60  Pf. 

Lexikographie. 

H.  Frischbier,  Preufsisches  Wörterbuch.  Ost-  und  westpreufsische  Pro- 
vinzialismen   in    alphabetischer  Folge.     12.  u.   13.  Lfrg.     (Berlin,  Enslin.) 

k  2  Mk. 
Jossier,  pere,   Dictionnalre  des  patois  de  l'Yonne.     (Auxerre,  Champion.) 

6  fr. 
Vocabulaire   proven9al-fran9ais,    contenant   les  mots   dont   la  Iradiiction   est 

peu  connue.     (Carpentras,  Lechevalier.)  1  fr.  25  c. 

J.    Loth,    \'ocabulaire   vieux-breton    avec   conimentaire.     (Paris,    Vieweg.) 

10  Mk. 
L.  Toi  hausen,   Nouveau  dictionnairc   de  poche  espagnol-fran^ais   et  fran- 
(jais-espagnol.     (Leipzig,  Tauchnitz.)  1   Mk.  50  Pf. 

Grammatik. 

W.    Franz,    Die    lateinisch-romanischen    Elemente    im    Althochdeutschen. 

(Strafsburg,  Trübner.)  1   Mk.  80  Pf 

A.    Lübben.     Mittelniederdeutsche    Grammatik    nebst    Chrestomathie    und 

Glossar.     (Leipzig,  Weigel.)  6  Mk. 

W.  Jütting,  Phonetische,  etymologische  und  orthographische  Essays  über 

deutsche   und   fremde  Wörter   mit   harten   und   weichen   Verschlufslauten. 

(Wittenberg,  Herold.)  3  Mk.  50  Pf. 


Bibliographischer  Anzeiger.  239 

Syntaktische  Untersuchungen  über  Villehardouin  und  Joinville  von  A.  Hase. 
(Oppeln,  Franck.)      •  3  Mk. 

A.  Horning,  Zur  Geschichte  des  lateinischen  c  vor  e  im  Romanischen. 
(Halle,  Niemeyer.)  '  3  Mk.  CO  Pf. 

B.  Schneider,  Die  Flexion  des  Substantivs  in  den  ältesten  Denkmälern 
des  Französischen  und  im  Charlemagne.    (Marburg,  Elwert.)    1  Mk.  20  Pf. 

M.  Banner,  Über  den  Wechsel  männlicher  und  weiblicher  Reime  in  der 
französischen  Dichtung.     (Marburg,  Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

R.  Hofmeister,  Sprachliche  Untersuchung  der  Reime  Btrnharts  von 
Ventadorn.     (Marburg,  Elwert.)  1   Mk.  20  Pf. 

Petit  de  JuleviUe,  Notions  generales  sur  les  origines  et  sur  l'histoire 
de  la  langue  fran(;aise.     (Paris,  Delalain.)  2  fr.  50  c. 

Litterat  ur. 

H.  Normann,  Perlen  der  Weltlitteratur.  Ästhetisch-kritische  Erläuterung 
klassischer  Dichterwerke  aller  Nationen.  5 — 9.  Lfr^.  (Stuttgart,  Levy  & 
Müller.)  "  ä  50  Pf. 

F.  Pfalz,  Die  deutsche  Litteraturgeschichte,  in  den  Hauptzügen  ihrer  Ent- 
wickelung  sowie  in  ihren  Hauptwerken  dargestellt.  II.  Teil:  Die  Litte- 
ratur  der  neueren  Zeit.     (Leipzig,  Brandstetter.)  2  Mk.   70  Pf. 

O.  W  eddigen,  Aus  der  litterarisehen  Welt  und  für  dieselbe.  (Hannover, 
^  Schüfsler)  1  Mk. 

F.  Avenarius,  Deutsche  Lyrik  der  Gegenwart  seit  1850.  Zweite  verb. 
Auflage.     (Dresden,  Ehlermaun  )  7  Mk.  50  Pf. 

A.  Stern,  Geschichte  der  neueren  Litteratur.  Von  der  Frührenaissance 
bis   auf  die  Gegenwart.     In  6  Bdn.     (Leipzig,   Bibliographisches  Institut.) 

k  Lfrg.   50  Pf. 

J.  C.  Poestion,  Isländische  Märchen.  Aus  den  Originalquellen  über- 
tragen.    (Wien,  Gerold.)  6  Mk.  80  Pf. 

C.  Mündel,  Elsässische  Volkslieder.  (Strafsburg,  Trübner.)  3  Mk. 
H.  Düntzer,  Goethes  Eintritt  in  Weimar.  (Leipzig,  Wartig.)  6  Mk. 
Fr.    Strehlke,    Goethes    Briefe.      Übersichtlich    geordnet.      17 — 20.    Lfrg. 

(Berlin,  Hempel.)  ä  1   Mk. 

E.   Schmidt,    Lessing,    Geschichte    seines    Lebens    und    seiner    Schriften. 

I.  Bd.     (Berlin,  W^eidmann.)  7  Mk. 

E.  Du  Bois-Reymond,    Friedrich  IL   in   englischen    Urteilen.      (Leipzig, 

Veit.)  2  Mk. 

R.  Dietze.  Eichendorfls  Ansicht  über  romantische  Poesie.    (Leipzig,  Fock.) 

1  Mk.  50  Pf. 

E.  Ko schwitz,  Les  plus  anciens  monuments  de  la  langue  fran9aise.  S«  ed. 
(Heilbronn,  Henninger.)  75  Pf. 

F.  Fath,  Die  Lieder  des  Kastellans  von  Coucy,  nach  sämtlichen  Hand- 
schriften kritisch  bearbeitet.     (Heidelberg,  AVeifs.)  1   Mk.  80  Pf. 

A.  de  Montaiglon  et  G.  Raynaud,  Kecueil  general  et  complet  des 
fabliaux  des  Xllle  et  XlV^e  siecles  publies  avec  notes  et  variantes  d'apres 
les  manuscrits.     (Paris,  Librairie  des  bibliophiles.)  10  fr. 

J.  Brown,  Etüde  sur  le  Marchand  de  Venise,  de  Shakespeare.  (Paris, 
Delagrave.)  1  fr. 

J.  Sarrazin,  Das  französische  Drama  in  unserem  Jahrhundert.  (Berlin, 
Habel.)  75  Pf. 

F.  Lotheifsen,  Geschichte  der  franz.  Litteratur  im  17.  Jahrh.  4  Bde. 
(\\'ien,   (TProld.)  9   Mk. 

W.  Scheffler,  Die  französische  Volksdichtung  und  Sage.  2  —  4.  Lfrg. 
(Leipzig,  Schlicke.)  ä  1  Mk.  80  Pf. 

G.  Körting,  Geschichte  der  Litteratur  Italiens  im  Zeitalter  der  Re- 
naissance.    3.   Band:    Die  Anfänge   der  Renaissance- Litteratur.      1.  Teil: 


240  Bibliographischer  Anzeiger. 

Einleitung.    Die  Vorläufer  der  Renaissance.    Die  Begründer  der  Renaissance. 
(Leipzig,  Fues.)  10  MIc. 

M.  Landau,  Die  Quellen  des  Dekameron.     (Stuttgart,  Schelble.) 

Hilfs  buch  er. 

H.  Isaac,  Lernbuch  für  die  franz.  unregelmiifsigen  Verba.  (Berlin,  Fried - 
berg  &  Mode.)  ^  50  Pf. 

A.  Krefsner,  Ausgewählte  Kanzelreden  aus  dem  Zeitalter  Ludwigs  XIV. 
Für  den  Schulgebraucb  erklärt.     (Leipzig,  Renger.)  1  Mk. 

J.  W.  Zimmermann,  Schulgrammatik  der  englischen  Sprache  für  Real- 
gymnasien. I.  Lehrgang:  Aussprache  und  Formenlehre.  (Naumburg, 
Schirmer.)  2  Mk.  50  Pf. 

E.  Bulwer  Lytton's  Athens,  its  rise  and  fall.  Für  Oberklassen  bearbeitet 
von  Th.  Weischer.     (Leipzig,  Sigismund  &  Volkening.)  80  Pf. 

Fr.  Pymuzal,  Grammatik  der  polnischen  Sprache  zunächst  zum  Selb.st- 
unterricht.     (Brunn,  Winkler.)  3  Mk.  20  Pf 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

Von 

Th.    Vatke. 


William  Shakespeare  war  ein  zehnjähriger  Knabe,  als  sein 
dramatischer  Rival  und  ehrlicher  Gegner  Ben  Jonson  zu  West- 
niinster,  London,  geboren  wurde:  wenn  der  ..süfse  Schwan 
vom  Avon",  wie  der  jüngere  Dichter  den  gröfsten  Dramatiker 
Englands  in  frischer  Erinnerung  an  den  Dahingeschiedenen  ge- 
nannt, eine  unerschöpfliche  Quelle  des  Genusses  für  die  ge- 
bildete Welt  geworden  ist,  so  besitzt  der  Litterar-  und  Kultur- 
historiker in  Jonson  und  dessen  bändereichen  Dramen  eine  in 
ihrer  Art  gleichfalls  unversiegliche  Funtigrube  für  das  Studium 
des  Elis-abethanischen  Zeitalters,  das  aus  Shakespeare  in  seinen 
allgemeineren,  ideellen  Zügen,  aus  Ben  Jonson  aber  in  der 
Fülle,  ja  der  fast  erdrückenden  Fülle  seiner  realen  Einzelheiten 
mit  handgreiflicher  Wirklichkeit  uns  ento-egentritt.  Auf  den 
Höhen  der  Kunst,  in  ihrer  freien  Atmosphäre  atmet  Shakespeare, 
im  kampfbewegten  Gewühl  des  Lebens  und  auf  dem  drängen- 
den Markte  desselben  hat  Jonson  seine  Stelle,  der  ein  rüstiger 
Kämpe  für  das,  was  er  als  Recht  erkannte,  gewesen  ist,  wenn 
irgend  einer:  und  wenn  sein  Mund  nicht  selten  vom  Selbstlobe 
überfliefst  in  unerfreulicher  Weise,  immer  steht  ihm  der  Schweifs 
des  Kämpfers  dabei  auf  der  Stirn.  Ein  Kampf  ums  Dasein, 
das  materielle  wie  das  geistige,  ist  sein  Leben  gewesen  von 
der  rauhen,  unsanft  bettenden  Jugend  durch  das  stürmevolle, 
vom  Lorbeer  des  Ruhmes  nicht  immer  genusrsam  erfrischte 
Mannesalter  hindurch  bis  zur  Resignation  eines  äufscrlich  immer 
dürftiger  sich  gestaltenden  Greisenalters. 

Die    Familie   elonsons    stammt    aus    Schottland.      Dort    war 
sein  Grofbvater  zuerst  in   Annandale,   dann  in   Carliele  ansässig, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  IG 


'21'2  Ben  Jonson  in  seinen  Anfangen. 

bis  er  in  die  Dienste  König  Heinrich  VIII.  trat.  Sein  Vater, 
der,  wie  es  scheint,  bei  Hofe  eine  Stelle  bekleidete,  erlitt  eine 
lange  Gefängnishaft  unter  der  katholischen,  sog.  blutigen  Königin 
Marie,  und  ward,  nach  unseres  Jonsons  eigenem  Bericht, 
echliefslich  seines  Vermögens  beraubt.  Aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  hat  es  sich  hierbei  um  die  Religion  gehandelt,  so  dafs 
wir  in  Jonsons  Vater  einen  jener  niutvollen  Bekenner  des 
Protestantismus  zu  erblicken  haben,  dem  der  Fanatismus  einer 
despotischen  Herrscherin  das  Leben  nicht  eben  leicht  machte; 
die  Verfolgung  erhöhte  seinen  Glaubenseifer,  er  widmete  sich 
der  Kirche  und  ward,  nach  Antouy  Woods  Mitteilung,  „ein 
ernster  Diener  des  Evangeliums".  Unser  Dichter  aber  hat 
seinen  Vater  nicht  gekannt,  denn  letzterer  starb  einen  Monat 
vor  Geburt  des  Knaben ;  wenn  dieser  abei'  auf  den  Namen 
Benjamin  (Ben)  getauft  ward,  so  erkennen  wir  hierin  die  be- 
sonders in  puritanischen  und  eifrig  protestantischen  Kreisen 
des  damaligen  Englands  waltende  Vorliebe  für  Namen  des 
Alten  Testamentes,  dem  das  allmählich  «ieji^en  das  absolute 
I^önigtum  zum  Kampf  sich  rüstende  Puritanertum  seine  geisti- 
gen Waifen  vorwiegend  entlehnte. 

Jonsons  Geburtsstätte  ist  London,  genauer  die  Stadt  West- 
minster,  die  seitdem  längst  in  der  Riesenstadt  an  der  Themse 
aufgegangen  ist;  sein  Geburtsjahr  1573.  Die  Vermögensver- 
hältnisse der  Mutter  sind  ohne  Zweifel  bescheiden  genug  ge- 
Avesen;  sie  reichte,  wie  es  scheint,  kaum  zwei  Jahre  nach  dem 
Tode  ihres  Gatten,  einem  Handwerker  ihre  Hand ,  einem 
Maurermeister  (a  master  bricklayer).  Dieser  Stiefvater  des 
jungen  Ben  mag  aber  keiner  von  den  wohlhabenden  oder  rei- 
chen Handwerkern  gewesen  sein,  die  in  mächtige  Gilden  ge- 
teilt zu  den  einflufsreichsten  Klassen  des  damaligen  Londons, 
dessen  Mayor  zu  wählen  sie  das  längst  errungene  Recht  be- 
gafsen,  gehörten;  der  Maurer  mag  überhaupt  eine  geringere 
Rolle  als  der  Zimmermann  gespielt  haben,  da  die  Häuser  der 
Stadt  bis  auf  Karl  I.  meist  aus  Holz  bestanden. 

Trotz  aller  beschränkten  Mittel  aber  thaten  die  Eltern  das 
Möglichste  für  den  Knaben,  indem  sie  denselben  seiner  Zeit 
einer  Privatschule  der  St.  Martin  in-the-Fields-Kirche  anver- 
trauten.     Hier   mag    der    Knabe,    der    schon    als    Jüngling   eine 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen.  243 

fast  unbegreiflich  scheinende  Fülle  gelehrter  Kenntnisse  er- 
worben hat,  bereits  seine  aiifserordentliche  Lernfähigkeit,  seinen 
später  nie  verleugneten  Ehrgeiz,  stets  der  Erste  zu  sein,  an 
den  Tag  gelegt  und  sich  hierdurch  einen  Gönner  erworben 
iiaben.  Dieser  hat  ihn,  wie  anzunehmen  sein  wird,  auf  eigene 
Kosten,  nach  Absolvierung  der  vorbereitenden,  auf  eine  gelehrte 
(grammar  school)  Schule,  die  Westminster  Schule,  geschickt. 
Ein  berühmter  Lehrer  nahm  sich  hier  des  jungen  Ben  an,  der 
gelehrte  Camden,  Avohlbekannt  in  England  durch  seine  umfas- 
senden lateinisch  geschriebenen  Werke  über  die  Pleimatskunde 
seines  Vaterlandes.  Ihm  hat  Jonson  sein  erstes  litterarisches 
Produkt  gewidmet,  ihm,  gesteht  er  in  einem  Epigramm,  hat  er 
in  Kunst  und  Wissenschaft  alles  zu  verdanken: 

Camden,  most  reverend  head,  to  whom  I  owe 

All  that  I  am  in  arts,  and  all  I  know. 

Eine  aufserordentllche  Kenntnis  des  Lateinischen,  das  ja 
damals  neben  der  Königin  Elisabeth  gar  manche  vornehme  Dame 
Englands  zu  sprechen  und  zu  schreiben  verstand,  mufs  Ben 
schon  auf  Westminster  School  sich  angeeignet  haben ;  von 
Dichtern  wird  der  Sitte  der  Zeit  entsprechend  Plautus,  Terenz 
und  der  als  das  höchste  Vorbild  in  tragischer  Kunst  verehrte 
L.  A.  Seneca  studiert  worden  sein,  und  auch  die  griechischen 
Dichter  und  Philosophen  wird  man  im  Urtext  aufgeschlagen 
haben,  Avie  denn  später  unserem  Jonson  nicht  allein  die  uns  er- 
haltenen Tragödien  eines  Euripides,  sondern  auch  dessen  Frag- 
mente in  einer  Weise  geläufig  sind,  dafs  er  Reminiecenzen  aus 
denselben  dem  Strom  seiner  eigenen  Erfindungen  —  oft  aller- 
dings nicht  zum  Vorteile  seiner  selbständigen  Schöpfungen  — 
einzuflechten  im  stände  ist.  Hat  er  vielleicht  auch  schon  als 
Schüler  an  Aufführung  lateinischer  oder  gar  englischer  Dramen 
teilgenommen":'  Etwas  Bestimmtes  wissen  wir  nicht  hierüber, 
der  Zeitsitte  aber  würde  es  durchaus  nicht  zuwiderlaufen.  Lu 
Gegensatz  zum  deutschen  Pedantismus,  der  noch  im  18.  Jahr- 
hundert die  vaterländische  Litteratur  oder  gar  die  dramatische 
Pflege  derselben  von  den  gelehrten  Schulen  ausschlofs,  hat 
schon  vor  1553  ein  gelehrter,  dramatisch  hochbegabter  Lehrer, 
Nikolaus  Udall,  zu  Eton  von  seinen  Schülern  seine  höchst  wert- 
volle,   in    vielen    Partien    meisterhafte    Komödie    „Ralph    Polster 

10* 


244  Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

Doister"  auffuhren  lassen.  Diese  Komödie  wird  mit  Recht,  als 
die  erste  regehnäfsige,  nach  Plautus'  und  Terenz'  Vorbild  ge- 
schriebene in  England  bezeichnet,  und  rnag  von  dem  Schüler 
Ben  bereits  ebensowohl  gekannt  worden  sein,  wie  die  an  Schön- 
heit und  Kraft  der  Diktion  so  reiche  erste  regelmäfsige  Tra- 
gödie der  Engländer  „Ferrex  and  Porrex"  vom  Jahre  1560, 
nach  Senecas  Vorbild  von  Lord  Buckhorst  geschrieben. 

Auch  ein  vielberufenes  politisches  Ereignis  fällt  in  die  Zeit, 
da  Jonson  auf  der  Westminster  Schule  war;  derselbe  war  bei- 
nahe vierzehn  Jahr  alt,  als  am  8.  Februar  1587  Alaria  Stuart 
hingerichtet  ward.  Wie  das  ganze  protestantische  England 
wird  er  von  dem  Jubel  berührt  worden  sein,  den  die  Nachricht 
vom  Tode  der  „Papistin"  in  London  hervorrief,  wo  man  vier- 
undzwanzig Stunden  lang  mit  allen  Glocken  läutete  und  Freu- 
denfeuer (bonfires)*  vor  den  Hausthüren  anzündete.  Und  der 
kriegerische  Sinn  des  Knaben  mao;  ancrere^rt  worden  sein,  als 
bald  darauf  alle  Männer  in  England  vom  achtzehnten  bis  sech- 
zigsten Lebensjahre  in  den  Dienst  des  Vaterlandes  gerufen 
wurden,  um  die  Sache  des  Protestantismus  gegen  die  S})anier 
zu  verteidigen,  deren  Invencible  Armada  am  6.  August  1588 
auf  der  Höhe  von  Calais  erschien,  um  in  vierzehnstündigem 
Kampfe  zersplittert  zu  werden.  Wir  werden  aber  mit  William 
Gifford,  dem  hochverdienten  Herausgeber  Ben  Jonsons,  nicht 
irre  gehen,  wenn  wir  annehmen,  dafs  der  Jüngling  nicht  vor 
dem  sechzehnten  Jahre  die  Schule  verlassen  habe,  um  die 
Universität  Cambridge  zu  beziehen  und  in  St.  John's  College 
aufgenommen  zu  werden.  Da  aber  die  Universitäts-Register 
zu  Cambridge  vom  Juni  1589  bis  Juni  1602  verloren  gegangen 
sind,  so  ist  der  Name  Jonsons  in  den  Urkunden  der  Univer- 
sität nicht  verbürgt. 

Was  nun  dem  jungen  Studenten  in  Cambridge  besonders 
bemerkbar  entgegentreten  mufste,  das  waren  die  Puritaner,  die 
in  jener  alten  Universitätsstadt  einen  Hauptsitz  aufgeschlagen 
hatten.  Längst  schon  hatten  sie  gegen  das  Theater  geeifert, 
dem  unser  Dichter  unzweifelhaft  bereits  zugethan  war.  Schon 
1583  hatte  der  Puritaner  John  Field  in  seinen  „Gottseligen  Er- 


*    Bonfires    wurden    auch    veranstaltet,    als    die   Heirat   des    Prinzen 
Henry,  Sohn  Jakob  I.,  mit  der  spanisehen  Prinzes.-^in  nicht  stattfand. 


Ben  Jonsoii  in  seinen  Anfangen.  245 

mahnungen"  (Godly  Exhortations)  gegen  die  flaggengeschmück- 
ten Theater  geeifert,  gegen  „diese  Flaggen  des  Trotzes  gegen 
Gott  und  die  Trompeten,  die  geblasen  werden,  eine  solche  Ge- 
sellschaft zusammenzubringen",  denen  es  eher  gelingen  werde, 
öffentHche  Orte  zu  füllen,  als  es  das  Predigen  des  heiligen 
Gotteswortes  vermöge.  Religiöse  Kontroversschriften  freilich 
konnte  der  junge  Jonson  nicht  lesen:  es  gab  keine.  Durch 
Censurverbot  der  Sternkammer  vom  29.  Juni  1566  war  Druck 
und  Verbreitung  von  Konti'oversschriften  streng  verboten ;  und 
im  Jahre  1571  hatte  das  Parlament  jene  neununddreifsig  Artikel 
angenommen,  wobei  die  Königin  Elisabeth,  die  sich  ja  „für 
eine  Art  Gottheit  auf  Erden"  ausdrücklich  ihrem  Parlament 
gegenüber  erklärt  hat,  einen  Zwang  auf  Seele  und  Gewissen  der 
Engländer  ausübte,  wie  dies  in  Deutschland  auch  in  den  Zeiten 
des  äufsersten  Absolutismus  niemals  ein  Fürst  gewagt  hat. 

War  aber  Cambridge  und  die  dortige  Universität  von 
puritanischem  Geiste  beherrscht,  so  wissen  war  doch,  dafs  die 
Studenten  daselbst*  in  Elisabeths  Tagen  demungeachtet 
Komödie  gespielt  haben;  nur  weigerten  sie  sich  in  weiblichen 
Rollen  aufzutreten ;  denn  der  Puritanismus,  der  seine  Verhal- 
tungsmafsreo-eln  den  mosaischen  Gesetzen  des  Alten  Testa- 
mentes  entnahm,  hielt  fest  am  Deuteronomion,  wo  es  heifst, 
dafs  der  Mann,  der  die  Kleidung  des  Weibes  anlege,  „ein 
Greuel  sei  in  den  Augen  des  Herrn".  (Cf.  Barthol.  Fair  des  B.  J.) 

Lange  Zeit  aber  ist  Jonson  nicht  auf  der  Universität  ge- 
blieben: an  ein  triennium  academicum  darf  bei  ihm  nicht  von 
ferne  gedacht  werden.  Sein  väterlicher  Freund  hat  ihn  zwar 
auch  zu  Cambridge  unterstützt,  das  Stipendium  (the  Exhibition) 
aber  reichte  nicht  aus,  ihn  vor  Mangel  zu  schützen.  Es  müssen 
zwingende  Gründe  vorhanden  gewesen  sein,  die  den  so  talent- 
als  energievollen,  vielleicht  siebzehnjährigen  Jonson  dazu  ver- 
anlafsten,  die  Universität  zu  verlassen  und  das  Gewerbe  seines 
Stiefvaters    zu    ergreifen.     Die  Tradition    will    nun,    dafs    er  die 


*  Wie  der  Hofmann  Polonius  auf  der  Universität  im  Cäsar,  der 
Friedensrichter  Schaal  (2  Henry  IV.  3,  2)  in  seiner  lustigen  ^Studentenzeit 
in  Clement's  Inn,  den  Sir  Dagonet,  den  Narren  am  Hofe  König  Arthurs. 
Und  so  oft  er  konnte,  wird  der  junge  Ben  wohl  das  Theater  aufgesucht 
haben,  um  fiir  einen  penny  dem  understanding  gentleman  of  the  ground 
sich  ansehliefsen  zu  dürfen  (B.  Jons.  Gase  is  alter'd.   1,  1). 


2  J6  Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

Mauerkelle  in  der  einen,  Iloraz  und  Homer  in  der  anderen 
Hand  geführt  habe.  Das  kann  buchstäblich  wahr  sein.  Bedarf 
es  der  Versicherung,  dafs  die  Beschäftigung  des  Maurers  dem 
gelehrten  jungen  Mann  nicht  zugesagt  habe?  Unter  die  trüb- 
sten Vorstellungen  aber,  die  wir  uns  von  seinem  damaligen 
Scclenzustande  machen,  drückt  er  selbst  das  Siegel  mit  den 
einfachen,  aber  schwerwiegenden  Worten,  die  er  später  (1614) 
gegen  seinen  „Freund"  Drumraond  geänfsert  hat,  „dafs  er  die 
Maurerbeschäftigung  nicht  aushalten  konnte"  (that  he  could  not 
endure  the  occupation  of  a  bricklayer).  Später  ist  er  von  sei- 
nen Fachgenossen,  die  einen  ähnlichen  Ton  persönlich  rück- 
sichtsloser Satire  anschlugen,  wie  einst  die  Dramatiker  Athens 
zu  Aristophanes'  Zeit,  bitter  genug  und  mehr  als  einmal  damit 
verhöhnt  worden,  dafs  er  seiner  Zeit  die  Mauerkelle  (the  trowel) 
geführt  habe.     (B.  J.'s  Conversations  with  W.  Drummond.*) 

Von  dieser  loszukommen,  bot  sich  nämlich  eine  Gelegen- 
heit für  den  Jüngling,  freilich  sehr  fragwürdiger  Art.  Königin 
Elisabeth,  die  Beschirmerin  des  Protestantismus,  unterstützte 
den  heldenmütigen  Glaubenskampf  der  Niederländer  gegen 
Spanien  und  den  Papismus.  Der  englische  General  Vere  nun 
hatte  Daventer  gestürmt,  hartbedrängt  aber  von  dem  kriegs- 
kundigen Feldherrn  der  Spanier,  dem  Prinzen  Alexander 
Farnese,  schienen  die  Engländer  Gefahr  zu  laufen,  und  so 
wurden  denn  zwischen  1591  und  1592  bedeutende  Verstär- 
kungen aus  England  nachgesandt,  zunächst  nach  Ostende,  das 
von  einer  eno;lischen  Garnison  besetzt  war.  Es  ist  nun  kaum 
zu  bezweifeln,  dafs  mit  eben  diesen  Hilfstruppen  der  ungefähr 
achtzehnjährige  Jonson  in  die  Niederlande  gegangen  ist.  So 
hatte  ein  anderer  berühmter  Schriftsteller  George  Gascoigne** 
(geb.  1525)  unter  Wilhelm  von  Oranien  (1573)  in  Holland 
Kriegsdienste  gethan. 

Und  nicht  ohne  eine  Probe  seines  persönlichen  Mutes  ab- 
gelegt zu  haben,  ist  Jonsons,  wenngleich  nur  kurze  militärische 
Laufbahn    vorübergegangen.***     Es    war,    wie  man  anderweitig 


*  In  den  Works  von  Giffbrd  u.  Cunningham,  Lond.  1875. 
**  Verfasser   des   für  die  Sittengeschichte  der  Zeit  wichtigen  „Stecl- 
Glass"  (Stahlspiegel). 

*♦*  I3en   Jonson    zeigt    sich    als    teelniscben    Kenner    des    militärischen 
Exercierens  in  seinem  Dran)a  „Staple  of  News"  IV,  4: 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen.  24  7 

belegen  kann,  in  jenen  Zeiten  nicht  ganz  ungewöhnlich,  dafs 
die  feindlichen  Armeen,  die  oft  ohne  gröfserc  Aktion  einander 
längere  Zeit  gegenüber  lagen,  das  Schauspiel  eines  Elnzel- 
kampfes,  in  der  Weise  von  David  und  Goliath,  genossen :  in 
einem  solchen  Zweikampf  hat  Jonson  im  Angesicht  beider 
Armeen  seinen  Gegner  getötet,  wie  er  später  dem  obengenannten 
Drummond  erzählt  hat.  Wie  aber  der  selbstbewufste  JNIann  es 
niemals  geliebt  hat,  von  seinen  Verdiensten  zu  schweigen,  so 
macht  er  auch  eine  Anspielung  auf  seine  militärischen  in  dem 
Epigramm  (108)  „The  true  Soldier",  „er  liebe  das  grofso 
Soldatengewerbe,  das  er  einst  selbst  betrieben  und  dem  er  durch 
seine  Handlungen  keine  Schande  gemacht  habe." 

I  love 
Your  great  profession,  which  I  once  did  prove ; 
And  did  not  shame  it  with  my  actions  then, 
No  more  than  I  dare  now  de  with  my  pen. 

Leider  aber  sind  diese  wenigen  Worte  das  Ganze,  was  Jonson 
uns  von  seiner  Soldatenzeit  mitgeteilt  hat.  Wie  wertvoll  müfste 
bei  des  Dichters  ßeobaclitungstalent,  seiner  Treue  der  Schilde- 
rung eine  eingehendere  Darstellung  seines  flanderischen  Feldzuges 
für  uns  sein;  gern  würden  wir  dafür  eine  oder  die  andere  sei- 
ner durch  realistische  Breite  so  oft  ermüdenden  Komödien  ent- 
behrt haben.  Der  Vermutung  GifFords  aber,  dafs  Jonson  aus 
der  Soldatenzeit  die  in  seinen  Schriften  nur  allzu  häufigen  Flüche 
mitgebracht  habe,  will  uns  nicht  in  den  Sinn :  das  lag  in  der  Zeit. 
Mit  dem  Ende  seiner  kriegerischen  Laufbahn  aber  stehen 
wir  an  der  Schwelle  seiner  litterarischen,  die  wir  in  das  Jahr 
1593,  etwa  das  zwanzigste  Lebensjahr  Jonsons  werden  zu 
setzen    haben.     Von    Subsistenzmitteln    entblöfst    wird    sich    der 


Or  wlien  my  muster-master 
Talks  of  his  tacticks,  and  his  ranks  and  files, 
His  bringers-up,   his  leaders-on;  and  cries, 
„Faces  aboiit,   to  the  right  band",   „the  left", 
Now,  „as  you  were". 

(„Faccs  about",  jetzt,  to  wheel,  Rechts  —  links  schwenkt!   Mai'soh!)    Cf. 
licaumont  and  Fletcher  „Knight  of  the  B.  Pestle"  V: 

„Double  yom-  filcs";  „as  you  were";  „faces  about", 

und  Ben  Jonson,  „Ev.  m.  in  h.  h."   III,  1: 

Good  captain,  faces  about,  —  to  some  other  discourse. 


248  15cn  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

junge  Mann  sogleich  nacli  Rückkehr  aus  Flandern  der  Bühne 
zugewandt  haben,  mag  er  auch  vorläufig  bei  seiner  inzwischen 
wieder  verwitweten  Mutter  Wohnung  genommen  haben. 

Aber  ijerade  über  die  Anfänge  von  Jonsons  Bühnenthätis:- 
keit  haben  wir  nur  eine  trübe  Quelle.  Es  ist  die  gegen  unseren 
Dichter  gerichtete  Tendenz-Komödie  des  sonst  ehrenwerten 
Thomas  Dekker,  „Satiromastix";  danach  wäre  Jonson  zuerst 
ein  herumziehender  Schauspieler  (cf.  Statute  39  of  Queen  Elizab. 
The  Poetaster  I,  1.  Tam.  Shrew,  Introd.)  auf  dem  Lande  gewesen, 
bevor  es  ihm  gelungen,  beim  Curtain-(Vorhang-)Theater  eine  Stelle 
zu  erhalten.  Denn  schon  gab  es  fünf  Theater  in  London,  am 
südlichen  Ufer  der  Themse,  zu  Bankside,  einem  sonst  wenig 
G;ünstie;  beleumundeten  Stadtteile  ""elegen ;  schon  frab  es  ferner 
mehr  als  zweihundert  Schauspieler  in  der  Stadt,  die,  wie  zu 
allen  Zeiten,  durch  besondere  Eleganz  der  Kleidung  sich  aus- 
zeichneten ;  sie  stolzierten,  wie  die  Puritaner  klagten,  in  Sammt 
und  Seide  einher,  und  erregten  „den  Zorn  des  Himmels". 

Ob  Jonson  ein  guter  Schauspieler  war?  Jedenfalls  ist  er 
nach  dem  Bericht  der  Herzogin  von  Newcastle,  deren  Haus 
mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  lang  allen  Männern  von  Genie 
und  Gelehrsamkeit  offen  stand,  ein  vorzüglicher  Vorleser  ge- 
wesen. ,;Ich  hörte,"  sagt  diese  Dame,  „niemals  jemand  gut 
vorlesen  aufser  meinem  Gatten;  und  ich  habe  ihn  sagen  hören, 
er  hörte  niemals  jemand  gut  vorlesen  aufser  Ben  Jonson;  und 
er  hat  doch  seiner  Zeit  manchen  gehört." 

Hauptsächlich  aber  verwandte  der  Theater -Unternehmer 
(manager)  unseren  Jonson,  sogenannte  „adjeions",  „Zusätze" 
zu  älteren  beliebten  Stücken,  zum  Behufe  neuer  Aufführungen 
derselben  zu  schreiben.  Unter  diesen  Stücken  wird  „Jeronyrao" 
und  die  „Spanish  Tragedey"  des  Thomas  Kyd  —  als  „Belim- 
peria  und  Horatio"  von  Jakub  Ayrer  in  Nürnberg  bearbeitet* 
—  namentlich  genannt,  und  Th.  Dekker  versäumt  die  Gelegen- 
heit nicht,  Jonson  eine  Rolle  in  dem  Stücke  zuzuweisen,  das 
durch  seine  bombastische  Sprache,  seine  grellen  Blutthaten 
längst  eine  Zielscheibe  des  Spottes  für  die  damaligen  Bühnen- 
schriftsteller geworden  war.    Shakespeare  selbst  hat  in  manchen, 


Vergleiche  Ludwig  Tieck,  Deutsches  Theater,  I.  Teil,  1822. 


Ben  Jotison  in  seinou  Anfängen.  24D 

auf  den  ersten  Blick  nicht  sogleich  durchsichtigen  Stellen  den 
Schwulst  der  bisher  in  England  populären  Stücke  durchgehechelt, 
und  so  thut  dies  auch  Jonson  mit  der  Spanish  Tragedy  in  seiner 
ersten  uns  erhaltenen  Komödie,  dem  „Every  man  in  his  humour". 
Die  rastlose  Thätigkelt  aber,  die  unseren  Autor  bis  an 
sein  Lebensende  begleitete,  erfuhr  —  wir  wissen  den  Zeitpunkt 
nicht  ganz  genau  —  jedenfalls  wenige  Jahre  nach  Beginn  sei- 
ner Thätigkeit  für  die  Bühne  eine  jähe  Unterbrechung.  Ben 
ward,  wie  er  selbst  sagt,  zu  einem  Duell  herausgefordert  sei- 
tens eines  Kollegen,  eines  Schauspielers.  Duelle  waren  damals 
an  der  Taoesordnun";,  und  nicht  ohne  Grund  eiferten  die  Puri- 
taner  iresen  das  Übermafs  derselben  ;  erinnert  man  sich  daran, 
dafs  fast  jeder  Gentleman*  tagtäglich  mit  dem  Degen  bewaffnet 
einherging,  so  ist  es  erklärlich,  dafs  man  ebenso  leicht  wie 
Diener  der  Fürsten  im  Eingang  von  Shakespeares  „Romeo  und 
Julie"  (vergl.  auch  daselbst)  sehr  leicht  zu  demselben  griff. 
Wenn  aber  ferner  Jonson,  der  sich  in  einer  späteren  dramati- 
schen Produktion  so  treffend  als  den  „Asper",  den  „Scharfen" 
einführt,  in  seinen  mündlichen  Aufserungen  über  seine  Fach- 
genossen nur  annähernd  so  beifsend  und  bitter  gewesen  ist 
wie  in  seinen  Schriften,  so  ist  jene  Ausforderung  nicht  eben 
befremdlich.  Der  Gegner  aber,  so  hat  Jonson  erzählt,  brachte 
ein  Schwert  zum  Kampfe  mit,  das  10  Zoll  länger  war  als  sein 
eigenes:  nichtsdcstowenifjer  tötete  Ben  seinen  Widersacher, 
wurde  aber  selbst  schwer  am  Arm  verwundet.  Ins  Gefängnis 
geworfen  war  er  dem  Galgen**  nahe  (brought  near  the  gallows) 
—  wie  er  selbst  sag-t.  Ein  anderes  Zeugnis  über  dies  Duell 
finden  wir  in  dem  oben  genannten  Satiromastix:  „Art  not 
famous  enough  yet,  my  mad  Ilarostratus,  for  killing  a  player, 
but  thou  must  eat  men  alive?"  Zu  der  Gefahr  aber,  des  töd- 
lichen Duells  wehren  harte  Strafe  zu  erdulden  —  und  die 
Eechtspfiege  jener  Zeit  Avar  von  barbarischer  Härte  —  gesellte 
sich  alsbald  eine  nicht  minder  grofse  für  den  Eingekerkerten. 
Im  Gefängnis  nämlich^empfing  er  die  Besuche  eines  papistischen 


*  Auch   der   Geistliche.      „Nicht    doch,    lieber  Herr  Pfarrer,    lafst   die 

Klinge  stecken!"  sagt  Frau  Page  zu  Pf.  Evans  in  „IMerry  VV.  of  VV."  III,   1. 

**  Nicht    der  „Galeere",    wie  Mezicres    irrtümlich    in    seinem   sonst  sehr 

schätzenswerten  Buche  „Successeurs  et  contemporains  de  Shakespeare"  sagt. 


'250  Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

Priesters,  der  den  wankenden  Gemütszustand  des  jungen  Man- 
nes für  seine  Propaganda  höchst  geeignet  fand.  Dafs  Jonsons 
„zäher  Geist  in  eine  Art  Melancholie"  gesunken  war,  das  dür- 
fen wir  den  Autoren  der  Biographia  Britannica  wohl  glauben. 
Um  aber  die  Thatsache,  dafs  es  den  beredten  Worten  des 
jiapistischen  Priesters  gelang,  den  trübselig  gesinnten  jungen 
Mann  zum  katholischen  Glauben  zu  bekehren,  zu  erklären, 
wollen  wir  nicht  mit  Drummond  diesen  Wechsel  der  Konfession 
einer  religiösen  Indifferenz  zuschreü^cn.  „Ich  nahm  das 
AVort  des  Priesters  an"  —  das  ist  Jonsons  eigener  Bericht. 
Und  wir  mögen  Gifford  recht  geben,  dafs  es  einem  in  Kon- 
troversen gewandten  katholischen  Geistlichen  nicht  allzu  schwer 
geworden  sei,  einen  jungen  Mann  von  schlecht  verdauten 
Studien,  zumal  bei  Jonsons  damaliger  Gemütsverfassung,  zu 
gewinnen.  War  die  englische  Hochkirche  jener  Tage,  bei  ihrer 
Tyrannei  in  Glaubenssachen,  nicht  in  der  That  zum  Katholisch- 
werden? Katholische  Priester  aber,  die  im  Tower  bei  Annähe- 
rung der  Armada  Messe  gelesen  hatten  für  Spanien  (Dixon, 
Her  Majesty's  Tower,  p.  250,  Tauchnitz),  wurden,  zumal  wo  sie 
als  Proselytenmacher  auftraten,  scharf  beobachtet  von  selten  des 
Staates,  und  nicht  minder  diejenigen,  die,  wie  Jonson  im  Ge- 
fängnis, so  intim  mit  ihnen  verkehrten.  Und  gerade  zur  Zeit 
der  Haft  unseres  Dichters,  in  den  Jahren  1593  und  1504  war 
die  konfessionelle  Spannung  in  England  besonders  grofs.  Die 
Katholiken,  so  nahm  man  an,  trachteten  der  Königin  nach  dem 
Leben.  Die  Nation  schwebte  in  steter  Furcht  deswegen.  War 
doch  Königin  Elisabeth  vom  Papst  Sixtus  V.  in  den  Bann  ge- 
than  und  ihre  katholischen  Unterthanen  vom  Eide  der  Treue 
gegen  sie  gelöst.  In  den  Priesterseminarien  zu  Douai,  Eheims, 
Ronen  wurden  junge  Leute,  deren  Dr.  Allen  an  hundert  nach 
England  geschickt  hatte,  zur  Mortimer-Rolle  fanatisiert.  Die 
schärfsten  Gesetze  wurden  erlassen,  die  ärgste  Verfolgung  der 
Katholiken  dauerte  von  15S7  an  gerade  bis  1593,  ohne  dafs 
jedoch  die  Religion  als  Grund  der  harten  Mafsregeln,  die  wäh- 
rend des  Elisabethanischen  Regimentes  ijegen  achthundert 
Katholiken  das  Leben  gekostet  haben,  genaimt  worden  wäre. 
Aber  die  Königin  von  England  befand  sich  eben  in  steter  Todes- 
gefahr.     „Im    Falle     des    Todes    der    Königin    von    England," 


Ben  Jonsou  in  seinen  Anfangen.  251 

schrieb  Herzog  Alba  einmal  in  einer  politischen  Note,  „natural 
o  de  otra  manera."  Und  gerade  die  neunziger  Jahre  des 
16.  Jahrhunderts  sind  die  Zeit  der  siegreichsten  Propaganda 
Roms,  die  Zeit,  in  der  die  Protestanten  Deutschlands  und 
()sterrelchs  scharenweise  zum  Katholicismus  zurückkehrten;  1594 
aber  wandte  ein  Jesuitenzögling  den  Dolch  gegen  den  Beschützer 
der  französischen  Protestanten,  gegen  König  Heinrich  IV. 

Nach  alledem  Ist  es  nicht  befremdlich,  dafs  Jensons  Ver- 
kehr mit  dem  Priester  durch  einen  Spion  überwacht  wurde. 
Der  junge  jNIann  aber  war  auf  seiner  Hut,  da  der  Kerker- 
meister seiner  unvorsichtigen  Aufserungen  wegen  ihn  warnte. 
Über  jene  Spionage  aber  giefst  der  Dichter  seinen  Spott  aus 
in  folgendem  Epigramm: 

Spies,  you  are  lights  in  State,  but  of  base  stuff, 

Who,  when  you've  burnt  yourselves  down  to  the  sniiff, 

Stink,  and  are  thrown  aside:  —  End  fair  enough! 

Der  Vergleich  des  Spions  mit  dem  Lichte,  das,  w^enn  es  her- 
untergebrannt ist,  stinkt  und  fortgeworfen  wird,  ist  gewifs  ein 
zutreffender  zu  rennen. 

"Was  aber  weiter  den  Katholicismus  unseres  Dramatikers, 
von  dem  er  überdies  später  wieder  zurückkam,  anbelangt,  so 
ist  zu  bemerken,  dafo  letzterer  das  Dogma  überhaupt  in  seinen 
"Werken  stets  unberührt  läfst,  wahrend  ein  hervorragendes  Mit- 
glied der  heute  sogenannten  Jonsonschen  „Schule",  Philipp 
Massinger,  zwölf  Jahre  jünger  als  Ben,  das  Dogma  zu  einem 
wesentlichen  Punkte  in  seinen  Dramen  gemacht  hat.  Auch  der 
„Atheismus",  der  damals  ein  besonders  beliebtes  Stichwort 
war,  und  z.  B.  dem  Dichter  des  Faust,  Chr.  Marlowe,  zum 
Vorwurf  gemacht  wurde,  spielt  bei  Massinger  eine  bedeutsame 
Rolle.  Jonson  aber,  der  fast  seine  ganze  dramatische  Lauf- 
bahn hindurch  die  Puritaner  mit  so  wuchtigen  Keulenschlägen 
verfolgte,  iiat  den  docrmatischen  Punkt  hierbei  unberührt  ge- 
lassen  und  —  wie  es  der  Bühne  geziemt  —  nur  die  rein 
menschliche  Seite  an  der  Sache  herausgekehrt.  Seiner  inneren 
Überzeugung  nach  ist  Jonson  gewifs  ein  Rationalist  gewesen 
oder  geworden :  er  hat  (in  einer  prosaischen  Schrift)  die  Eccle- 
siastical  Pohtlc  Hookers  das  beste  derartige  Werk  genannt: 
Hooker    aber    war    ein    bon-dstcrtcr    Verteidiger    des    \'ernunft- 


252  Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

princips  In  religiösen  Dingen ;  er  stellte,  wie  vor  ihm  Thomas 
Morc  die  Vernunft  höher  als  die  Offenbarung.*  Einen  sehr 
charakteristischen  Seitenbliclc  auf  die  Jesuiten  aber  wirft  Ben 
Jonson  in  seinem,  die  Anfäno:e  des  enoHgchen  Zeituno^swesens 
darstellenden  und  verspottenden  Lustpiel  „The  Staple  of  News" 
(Akt  III,  1),  wo  gesagt  wird,  dnfs  die  Jesuiten  sich  jetzt  als 
die  „einzigen  Ingenieure  der  Christenheit  bezeigten.  (P.  jun.: 
Don  Spinola  made  general  of  the  Jesuits!  Cymb.:  O,  no,  he 
is  dispens'd  withal  —  And  the  whole  society,  who  do  now 
appear  The  only  enginers  of  Christendom.)  Aus  allen  Ge- 
fahren im  Gefängnisse  und  aus  diesem  selbst  aber  ward  Jonson 
nach  einer,  wie  es  scheint,  nicht  allzu  langen  Plaft  durch 
irgend  welche  Fürsprache  befreit.  Um  diese  Zeit  auch,  wird 
anzunehmen  sein,  wählte  er  seine  Gattin,  eine  junge  Katholikin; 
dieselbe  gebar  ihm  im  Jahre  1596  einen  Sohn.  Dies  ist  das  erste 
genau  fixierte  Datum  im  Leben  unseres  Dichters,  in  welchem 
uns  mit  jenem  Zeitpunkt  der  chronologische  Faden  nicht  mehr 
verläfst.  Im  übrigen  wird  unsere  ganze  Kunde  von  Jonsons 
Gattin  auf  dessen  gegen  Drummond  (im  Jahre  1618)  gethane 
Aufserung  beschränkt,  „sie  sei  zänkisch  (shrewish),  doch  ihrem 
Gatten  treu  gewesen". 

In  das  Jahr  1596  fällt  nun  auch  das  erste  uns  erhaltene 
Drama  des  Dichters.  Wohl  hat  er  schon  vorher,  aufser  den 
erwähnten  „Zusätzen",  in  V^erbindung  mit  anderen  Schau- 
spielern und  Schriftstellern  Stücke  verfafst,  die  uns  indes  nicht 
erhalten  sind.  Ein  Theaterunternehmer  nämlich  pflegte  Schrift- 
steller zur  gemeinsamen  Anfertigung  eines  Dramas  zu  engagie- 
ren  und  diesen  Geldvorschüsse  zu  leisten,  die  von  Zeit  zu  Zeit, 
dem  Fortschritt  der  Arbeit  entsprechend  erneuert  wurden.  Wir 
haben  einen  Beleg  hierfür  namentlich  in  dem  vielgenannten  ge- 
schäftlichen  Tagebuche  des  Unternehmers  Henslowe,  die  That- 
sache  aber,  da fs  die  dramatischen  Autoren  jener  Tage  so  häufig 
gemeinsam  arbeiteten,  erklärt  die  im  Ellsabethanischen  Zeitalter 
immer  mehr  hervortretende  Gleichförmigkeit  des  Stiles  bei  diesen 


*  Hooker  (1554 — 1600),  Defence  of  Reason:  „the  name  of  the 
light  of  nature  is  made  hateful  with  men;  the  star  of  reason  and  iearning 
.  .  .  beginneth  no  othervvise  to  be  thought  of.  than  if  it  were  an  unlucky 
comet." 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen.  253 

Dramatikern ;  und  wenn  Shakespeare  natürlich  als  Löwe  und  König 
auch  ex  ungue  erkennbar  ist,  so  hat  doch  auch  er  eine  Älenge 
Eigentümlichkeiten  in  bildlichem  und  nicht  bildlichem  Ausdruck 
mit  seinen  Genossen  gemein,  die  der  nur  mit  Shakespeare  Ver- 
traute als  dem  Genius  des  letzteren  eigentümlich  betrachten  wird. 

Mit  seinem  ersten  uns  überkommenen  Drama  tritt  nun 
Jonson  bereits  in  so  hohem  Grade  als  ein  Fertiger,  in  sich 
Abgerundeter  vor  uns  hin,  dafs  wir  dasselbe  eingehender  zu 
betrachten  uns  anschicken. 

Mit  leicht  in  die  Augen  springender  Gegenständlichkeit 
bauen  hier  die  Dinge  und  Verhältnisse  und  die  innerhalb  der- 
selben mit  vieler  Natürlichkeit  des  Lebens  sich  bewegenden 
Personen  vor  dem  Anschauenden  sich  auf.  Und  dieser  scenische 
Vordergrund  verstattet  fort  und  fort  ergiebige  Perspektiven  in 
den  weiteren  und  näheren  Hintergrund  vorangehender  und  mit- 
wirkender Umstände,  welche  die  Entwickelung  einer  weit- 
läufig angelegten,  beweglich  gegliederten  und  wohl  in  sich  ge- 
schlossenen Handluncj  immerdar  bedingen. 

Der  alte  Knowell,  der  das  Stück  eröffnend  vor  seinem 
Hause  erscheint  und  seinen  Sohn  Eduard  zu  rufen  dem  Diener 
(Bruinworm)  aufträgt,  wenn  jener  nicht  etwa  bei  seinen  ge- 
liebten Büchern  beschäftigt  sei,  stellt  sich  als  mild  wohlwollender 
Vater  dar ;  indes  braust  er  dem  Neffen  Stephen  gegenüber  hef- 
tiger auf,  der  seine  gentlemanlike  Neigung  zur  Jagd  eifrig  be- 
fürwortet. So  ist  hier  bereits  ein  doppelter  humour,  eine 
doppelte,  die  ganze  Persönlichkeit  absorbierende  und  daher 
leicht  zur  Lächerlichkeit  werdende  Einseitigkeit  entwickelt. 
Denn  eben  ist  dies  das  von  dem  Begriff  der  „Laune"  durch  die 
Stabilität  wesentlich  unterschiedene  Merkmal  des  humour,  von 
dem  Jonson  selbst  sagt: 

As  when  some  one  peculiar  qualitie 
Doth  so  possesse  a  man,  that  it  dolh  draw 
All  his  atfects,  his  spirits  and  his  powers, 
In  their  confliictions,  all  to  run  one  way, 
This  may  be  ti'uly  said  to  be  a  Humour. 

Durch  einen  Diener,  der  alsbald  mit  dem  alten  Knowell  allein 
ist,  da  Stephen  nach  heftigem  Streite  ins  Haus  geschickt  wird, 
empfängt   der   erstere   einen    Brief,    der   indes   an   Ed.  Knowell 


•2j4  Ben  Jonsoii  in  seinen  Anfängen. 

den  Sohn  gerichtet  ist:  aus  dieser  Verwechslung  heraus  spinnt 
bich  die  Intrigue  des  Stüci<es.  Der  Brief  rülirt  von  dem  jungen 
Gentleman  Wellbred  (Wohlerzogen)  her,  dessen  Schwester  ein 
niaster  Kitely  geheiratet  hat,  ein  reicher  Kaufmann  im  Old 
Jewry  (Altes  Juden  viertel).  In  dem  Briefe  nun  fordert  Well- 
bred den  jungen  Knowell  auf,  ihn  noch  heute  morgen  zu  be- 
suchen, und  unter  einigen  leichtfertigen  Mitteilungen  schreibt 
er,  dafs  jener  zwei  interessante  Persönlichkeiten,  deren  eine 
„ein  Reimer",  kennen  lernen  solle.  Die  Art,  wie  der  Vater 
nach  Durchlesung  des  Briefes  sich  äufsert,  erinnert  an  den 
milderen  jener  Brüder  des  Terenz,  auch  bevor  man  gesehen, 
dafs  die  ganze  Schlufsbetrachtung  des  alten  Knowell  nichts 
anderes  ist  als  eine  Übertragung  aus  dem  „Adelphi"  des  alten 
Römers.  —  Sc.  2.  Der  ungetreue  Diener  Bralnworm  —  der  Intri- 
gant und  die  eigentliche  Seele  des  Stückes  —  hat  dem  jungen 
Knowell  alles  verraten,  mit  dem  er  vor  uns  erscheint,  um  als- 
bald mit  seinem  Vetter  Stephen  eich  zu  verabreden,  jenen  Be- 
such —  in  Moorgate  —  gemeinschaftlich  zu  machen,  indes  in 
dieser  Unterhaltung  der  beiderseitige  humour,  der  des  städtisch- 
feinen Ed.  Knowell  und  des  ländlichen  Stephen,  genugsam  sich 
ausgeprägt  hat.  —  Sc.  3.  Vor  Cob,  eines  Wasserträgers  Haus, 
erscheint  Master  Mathew  (a  town  gull,  ein  städtischer  Gimpel, 
Pflastertreter),  der  den  ersteren  nach  Kapitän  Bobadill  fragt 
und  entsetzt  genug  ist,  zu  vernehmen,  dafs  ein  solcher  Gentle- 
man in  des  armen  Cobs  Hause  logiert.  Während  nun  Tib, 
Cobs  Weib,  ihn  zu  jenem  hinaufführt,  schildert  Cob  seinen 
Hausgenossen,  wie  dieser  in  eines  Kaufmanns,  Kitelys,  Haus 
verkehre,  und  mit  Mrs.  Bridget,  der  Schwester  des  Herrn,  ein 
zärtliches  Verhältnis  unterhalte,  dort  seine  Verse  vorlese,  ferner, 
dafs  er  dem  Schwören  ergeben  sei  und  den  schändlichen 
Tabak  rauche,*  dabei  sei  er  ein  übler  Schuldner.  —  Den  also 
Geschilderten  lernen  wir  (Sc.  4)  kennen  in  Cobs  Hause,  wo 
Mathew  ihn  besucht,  den  der  Kapitän  von  seiner  gestrigen  Ge- 
sellschaft   beim  jungen  Wellbred  unterhält;   dem   Kapitän   wird 

*  Eine  der  frühesten  Erwähnungen  des  Tabakrauchens  in  Eng- 
land, gegen  das  Jakob  I.  die  heftigsten  Edikte  richtete.  Nichtsdestoweniger 
i'^t  CS  liurch  die  Hilfstrnppen,  welche  dieser  König  seinem  unglüclvlichen 
Schwiegersohn,  Friedrich  von  der  Pfalz,  nacli  Böhmen  sandte  (1 62 1),  in  Deutsch- 
land eingeführt  worden  ;cf.  K.  Elze  citiert  hierfür  die  Annales  Zillavienses). 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen.  255 

liierbei  aufs  verbindlichste  begegnet,  der  Zuschnitt  und  die 
Form  damaliger  Höflichkeit  bieten  sich  anschaulich  dar.  Auch 
auf  neue  Bücher  dehnt  die  Unterhaltung  der  beiden  sich  aus ; 
„Hieronymo"  (The  Spanish  Tragedy),  ein  Stück,  das,  wie  wir 
gesehen  haben,  von  Jonson  mit  Zusätzen  versehen  worden  wiir, 
wird  gelobt,  dann  aber  folgen  heftige  Ausfälle  auf  die  damaligen 
Dramatiker,  die  als  „bedauernswerte  Hohlköpfe"  abgefertigt 
werden  („they'll  prate  and  swagger,  and  keep  a  stir  of  art  and 
devices,  when,  a  I  am  a  gentleman,  read  'era,  they  are  the 
inost  shallow',  pitiful,  harren  fellows  that  live  upon  the  face  of 
the  earth  again").  —  Mathew  erzählt  inzwischen,  wie  er  mit 
Wellbreds  älterem  Bruder,  den  sein  Name  Downright  als  den 
Geraden,  Schlichten  bezeichnet,  in  Streit  geraten  sei,  und  zwar 
über  einen  Hirschfänger.  Downright  habe  gedroht,  ihn  zu 
prügeln,  Kapitän  Bobadill  rät,  jenen  zu  fordern.  Übrigens 
wendet  sich  Bobadill  mittlerweile  mit  einem  Modeausdruck  an 
die  Wirtin,  für  die  Gäste  zu  sorgen.  (Accommodate  us,  cf. 
Shak.,  2d  Part  of  Henry  IV.,  Akt  HI,  Sc.  4.)  Nunmehr  wird 
Mathew  zum  Behufe  des  angeratenen  Duells  von  Bobadill  im 
Fechten  unterrichtet,  bei  welcher  Gelegenheit  der  renommierende 
Hauptmann,  der  seine  Rede  mit  der  Beteuerung  „Beim  Fufse 
des  Pharao"  zu  würzen  liebt,  sich  sehr  lebendig  in  dem  ihm 
eioenen  humour  vorführt.  —  Akt  II.  Eine  Halle  in  Kaufmann 
Kitelys  Hause.  Kitely  erteilt  seinem  Kassierer  Cash  einige 
geschäftliche  AnAveisungen,  der  sich  zur  Ausführung  derselben 
hinwegbegiebt.  Kitely  beklagt  sich  über  seinen  Bruder  Well- 
bred,  der  sich  seit  kurzem  sehr  geändert  habe,  sich  mit  allerlei 
Gesellschaft  einlasse  und  sein  —  Kitelys  —  Haus  gemein 
mache  wie  einen  Markt,  ein  Theater,  einen  öffentlichen  Ort 
„for  giddy  humour"  (für  schwindelköpfigen  Humor).  Kitely 
ersucht  Downright,  dem  Wellbred  über  sein  Treiben  Vorstel- 
lungen zu  machen.  Kitely  selbst  nämlich  zaudert  dies  zu  thun. 
„Jene,"  so  sagt  er,  „würden  verbreiten,  weil  mein  Weib  schön 
ist,  ich  seit  kurzem  verheiratet  und  meine  Schwester  als  Jung- 
frau hier  in  meinem  Hause  lebt,  dafs  ich  eifersüchtig  sei, 
jene  würden  sagen,  dafs  ich  absichtlich  einen  Streit  gesucht,  um 
einen  Vorwand  zu  finden,  sie  aus  dem  Hause  zu  verbannen." 
Hier   unterbricht   sie  Mathew  mit  Bobadill  kämpfend.     Bobadill 


25G  Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

schilt  Downright  einen  Gassenkehrer,  dieser  setzt  sich  vor,  den 
Schimpf  zu  rächen.  Der  Downright  beruhigende  Kitely  ver- 
rät   im    nun    folgenden  Monolog    die  Eifersucht   seines  Gemütes 

—  womit  unser  Stück  einen  neuen  humour  gewinnt  — .  welche 
darauf  seiner  Frau  "[esjenüber  ero;ötzlich  genufj  sich  Luft  macht. 

—  Sc.  2  (in  Moorfield).  Brainworm  tritt  auf  verkleidet  als 
verwundeter  Soldat.  „Mein  alter  Herr  beabsichtigt,  meinem 
jungen  Herrn  diesen  Morgen  über  Moorfield  nach  London  zu 
folgen."  Um  sich  nun  bei  dem  letzteren  zu  insinuieren,  hat  er 
die  Verkleiduno^  angelegt,  will  hier  im  Hinterhalte  lauern  und 
ihn  Mitte  Weges  empfangen.  „Wenn  ich  nur  irgend  etwas 
von  ihm  erhaschen  kann,  ihn  aufzuhalten,  so  hab  ich  gesiegt." 
Den  hier  auftretenden  Ed.  Knowell  und  Stephen  bietet  Brain- 
worm einen  Degen  zum  Verkauf  an,  worauf  der  einfältige 
Stephen,  trotz  Abratens  seines  weltklugen  Vetters,  eingeht.  — 
Sc.  3  (ein  anderer  Teil  von  Moorfield).  Monolog  des  alten 
Knowell,  der  sich  jenen  Brief  an  seinen  Sohn  nicht  aus  dem 
Kopfe  schlagen  kann.  Wie  er  aber  seiner  milden  Denkungsart 
gemäfs  darüber  philosophiert,  dafs  an  so  vielen  Fehlern  der 
Kinder  die  Eltern  die  Schuld  tragen,  so  ist  die  weitere  Aus- 
führung dieser  Betrachtung  nur  allzu  charakteristisch  für  Ben 
Jonson.  In  die  so  dankenswerten  scharfen  Beobachtungen  sei- 
ner eigenen  Zeit  nämlich  fügt  der  Dichter  Einzelheiten  ein,  die 
man  bei  der  einheitlichen  Prägung  des  ganzen  Monologs  nicht 
minder  für  Schilderung  englischer  Sitten  hinnimmt,*  bis  man 
erfährt  oder  ersieht,  dafs  hier  Stellen  aus  den  Alten  (Quint.  1,  2, 
Juvenal  Sat.  14)  den  eigenen  Beobachtungen  einverleibt  worden 
sind.  Und  solche  IMonstra  der  Zusammenschweifsung  moderner 
und  antiker  Bestandteile  begegnen  uns  leider  öfter  bei  Jonson, 
und  machen  ihn  dann  unerquicklich  für  uns,  wenn  nicht  unge- 
niefsbar.  —  Den  alten  Knowell  nun  spricht  Brainworm  um  eine 
Gabe  an,   und  Knowell  verspricht  ihm  Beschäftigung  zu  geben. 

—  Akt  HI    (in    Old  Jewrj,    im    alten    Judenviertel).      Mathew, 


*  Der  alte  Knowell  sagt:  I  never  yet  was  he  Thnt  travellM  with  niy 
son,  before  sixteen,  To  shew  liim  the  Venetian  courtezans.  Die  vene- 
tiaiiischen  Coiirtesanen  und  ihr  Treiben  in  London  wird  mehrfach  bei  Ben 
Jonson  und  seinen  Zeitgenossen  erwähnt.  Mit  grellen  Farben  werden  die- 
selben geschildert  in  der  Komödie  von  iMiddleton,  Blurt,  M.ister  constable 
or  the  öpaniard's  night-walk.     (Gedruckt  1602.) 


Ben  Jonson  in  seinen  Anfängen.  257 

Wellbred,  Bobadill.  —  Ed.  Knowell  und  Stephen  statten  den  in 
Sc.  1  verabredeten  Besuch  ab.  Ed.  Knowell  wird  über  den 
irrtümlich  abgegebenen  Brief  aufgeklärt.  Stephen  stellt  sich 
vor  als  „etwas  melancholisch";  in  demselben  humour  befindet 
sich  Mathew;  eine  Scene,  die  in  der  ganzen  Wendung  von 
Konversation  und  Inhalt.  Stephen  Mird  nun  von  Bobadill  über 
seine  vermeintliche  Toledoklinge  aufgeklärt,  kurz  bevor  der 
betrügerische  Brainworm  erscheint,  welcher  dem  jungen  Knowell 
sich  entdeckt  und  mitteilt,  dafs  sein  Vater  ihm  gefolgt  und 
jetzt  in  Richter  Clements  Haus  in  der  Colmanstrafse  sei,  v/o 
er  auf  Brainworms  Rückkehr  warte.  —  Sc.  2  (in  Kitelys 
Warenhaus).  Der  eifersüchtige  Kitely  getraut  sich  nicht  zum 
Behufe  eines  Geldgeschäftes  sein  Haus  zu  verlassen;  endlich 
zieht  er  den  getreuen  Thomas  zu  Rate ;  Mifstrauen  und  Furcht 
des  ersteren  verschlingen  sich  zu  den  wunderlichsten  Um- 
schweifen, um  zuletzt  nichts  anderes  zu  sagen  als:  „Wenn 
Eurer  Herrin  Bruder  Wellbred  etwa  einen  Herrn  hierher  schickt, 
ehe  ich  zurückkomme,  so  lafst  es  mich  sogleich  wissen."  (Als- 
bald giebt  Cash  dem  Wasserträger  Cob  gegenüber  folgende 
Definition  von  humour:  „it  is  a  gentlenianlike  monster,  bred  in 
the  special  gallantry  of  our  time,  by  affectation  and  by  folly.") 
Mit  Übergehung  der  mit  ebenmäfsiger  Sauberkeit  ausgemeifselten 
nächsten  Scenen  befinden  wir  uns  Akt  IV,  1  in  Kitelys  Hause, 
Downright  schüttet  gegen  Frau  Kitely  seinen  Zorn  aus  über 
die  Gesellschaft  seines  Bruders;  die  uns  bereits  bekannten  Per- 
sonen erscheinen  fast  sämtlich,  doch  Downright,  der  zu  leiden- 
schaftlich ist  (too  sudden  in  his  humour),  gerät  mit  Wellbred 
in  Streit,  bis  zuletzt  alles  blank  zieht.  Ed.  Knowell  stiftet  zwar 
Friede,  der  zurückkehrende  Kitely  aber  vermutet  das  Schlimmste. 
—  Sc.  2  (vor  Cobs  Hause).  Auch  hier  steht  Kapitän  Bobadill 
in  üblem  Verdacht.  Cob  macht  Frau  Tib  Vorwürfe,  die  ihre 
eheliche  Treue  erheblich  berühren.  Wir  haben  hier  also,  ähn- 
lich wie  bei  Shakespeare,  eine  der  Haupthaudlung  parallel- 
laufende, welche  die  erstere  im  verjüngten  Mafse  wiederspiegelt.* 


*  „Die  Intriguen-Lustspiele  und  Sclianspiele  der  ganzen  Ben  Jonson- 
sclien  Schule  sind  voll  von  Doppelfabeln,  aber  es  ist  fast  eher  Ausnahme 
als  Kegel,  und  scheint  fast  mehr  Zufall  als  Absicht  zu  sein,  wenn  sie  ein- 
mal in  einem  inneren  Bezüge  zu  einander  stehen."  (lervinus,  Shak.  1,  95 

Avcliiv  f.  n.  Sprachen.   LXXI.  17 


258  Ben  Jonsoa  in  seinen  Anfangen. 

—  Sc.  3  (ein  Zimmer  in  Windmill-Tavern).  Brainworm  ver- 
spricht ileni  Ed.  Knowell,  Wellbred,  Stephen,  in  seinen  Be- 
niüliungen  fortzufahren.  Ed.  Knowell  versichert  Wellbred,  dafs 
er  dessen  Schwester  aufrichtig  liebe.  —  Sc.  4  (Old  Jewry). 
Der  verkleidete  Brainworm  eröffnet  Knowell,  dafs  dem  Sohne 
alles  verraten  sei,  was  nur  durch  Brainworm  geschehen  sein 
könne.  (Die  etwas  starke  Zumutung  übrigens,  anzunehmen, 
dafs  der  Verkleidete  nie  erkannt  wird,  obgleich  er  so  viel  spricht, 
ist  ziemlich  dieselbe,  die  wir  in  Shakespeares  „Measure  for 
Measure"  bei  dem  Herzog-Mönch  mit  in  den  Kauf  nehmen 
müssen.  Verkleidungen  werden  überdies  bei  den  Dichtern  des 
Elisabethanlschen  Zeitalters  zur  wahren  Manie,  und  müssen 
dazu  beitragen,  möglichst  künstliche  Verwickelungen  herbeizu- 
führen oder  dieselben  zu  steigern.)  —  Knowell:  Doch  wie  sollte 
er  wissen,  dafs  du  mein  Diener  bist?  —  Brainworm:  Ja,  Herr, 
ich  weifs  nicht,  wenn  nicht  durch  die  schwarze  Kunst  (black 
art).  Ist  Euer  Sohn  nicht  Gelehrter,  Herr?  • —  Knowell:  Ja, 
doch  ich  hoffe,  seine  Gelehrsamkeit  ist  solchen  höllischen  Prak- 
tiken nicht  ergeben ;  wenn  es  der  Fall  wäre,  hätte  ich  gerechte 
Ursache,  mein  Teil  an  ihm  zu  beweinen.  —  Brainworm  hat 
sich  als  Fitz-Sword  dem  Knowell  bekannt  gemacht.  Er  sei 
überfallen  worden  und  habe  es  gestehen  müssen,  wo  Knowell 
sei.  Brainworm  erzählt,  dafs  der  junge  Knowell  seine  Damen 
in  Cobs  Hause  treffen  werde.  —  Sc.  5.  Kapitän  Bobadills 
Prahlereien  gegenüber  Ed.  Knowell,  Mathew  und  Stephen,  wie 
leicht  er  mit  Downright  fertig  werden  würde;  sobald  der  letztere 
aber  erscheint,  wird  Bobadill  ohne  Mühe  besiegt.  —  Sc.  G  (in 
Kitelys  Hause).  Kitelys  gemäfsigte  Vorwürfe  gegen  seinen 
Bruder  Wellbred;  „seine  Eifersucht  ist  das  Gift,  das  er  ge- 
nommen hat."  —  Die  Lust  an  Verkleidungen  führt  Brainworm 
alsbald  in  Formals,  des  Gerichtsschreibers  Anzüge  herbei. 
AA'ellbred  trägt  Brainworm  auf,  zu  seinem  jungen  Herrn  zurück- 
zukehren und  ihn  aufzufordern,  ihn  und  seine  junge  Schwester 
Brigitte  am  Tower  sogleich  zu  treffen,  denn  hier  sei  das  Haus 
so  angefüllt  von  Eifersucht,  dafs  nicht  Raum  für  die  Liebe 
vorhanden  sei,  darin  aufrecht  zu  stehen.  Doch  Kitely  tritt  ein 
und  beauftragt  (beiseite)  den  Kassierer,  auf  alles,  was  im 
Hause    vorgehe,    genau    zu  achten.     Lizwischen  weifs  Wellbred 


Ben  Jüiison  in  seinen  Anfungeu.  259 

seiner  Schwester  —  Dame  Kitely  —  plausibel  zu  machen,  ihr 
Mann  frage  nur  deshalb  soviel  nach  Cob,  weil  er  dessen  Haus 
in  zweideutiger  Absicht  besuche.  Dame  Kitely  nun,  ebenso 
leichtgläubig  als  ihr  Bruder  eifersüchtig,  begiebt  sich  alsbald 
auf  den  Weg,  ihrem  Manne  nachzufolgen.  Nun  redet  Wellbred 
seiner  Schwester  Brigitte  zu,  dem  jungen  Knowell  ihre  Hand 
zu  geben.  Sie  unterbricht  der  zurückkehrende  Kitely,  der  mit 
Entsetzen  vernimmt,  dafs  seine  Frau  mit  Thomas  nach  Cobs 
Hause  gegangen  sei.  —  Sc.  7.  iNIathew  und  Bobadill  in  Be- 
trachtung über  die  PrügelafFaire.  Bobadill  will  sich  durch  das 
Gesetz  Genugthuung  verschaffen,  durch  Richter  Clement,  und 
eben  erscheint  Brainworm  verkleidet  als  Formal.  Brainworm- 
Formal  verlangt  Geld,  doch  ist  er  mit  einem  Pfand  (Ohrringe  und 
seidene  Strümpfe)  zufrieden.  Nunmehr  verkleidet  Brainworm  sich 
als  Stadtdiener,  um  Downright  zu  arretieren.  —  Sc.  8  (Stralse 
vor  Cobs  Hause).  Knowell  begehrt  von  Frau  Tib  Einlafs. 
Tib:  Was  wünscht  Ihr?  —  Knowell:  Zu  wissen,  wer  drinnen 
ist  aufser  Euch  selbst!  —  Tib:  Nun,  Herr,  Ihr  seid  kein  Kon- 
stabler,  hoff  ich.  —  Knowell:  O,  fürchtet  Ihr  den  Konstabier, 
dann  zweifle  ich  nicht,  habt  Ihr  Gäste  drinnen,  die  die  Furcht 
verdienen  ;  ich  will  ihn  sogleich  holen.  —  Tib  (kommt  heraus). 
—  Knowell:  Ist  der  junge  Knowell  nicht  hier?  —  Tib:  Den 
kenne  ich  nicht,  bei  meiner  Ehre.  —  Knowell :  Eure  Ehre, 
Dame,  die  fliegt  zu  leicht  von  Euch;  es  ist  kein  Mittel  als  den 
Konstabier  zu  holen.  —  Tib:  Den  Konstabier?  Der  Mann  ist 
toll,  glaube  ich.  —  Nun  langen  auch  Dame  Kitely  und  Cash 
an,  erstere  begehrt  von  Tib  Einlafs.  Sogleich  ist  auch  Kitely 
wieder  hier,  den  dessen  Frau  auf  seinen  heimlichen  Wegen  nun 
ertappt  zu  haben  glaubt.  Die  Vorwürfe  bleibt  Kitely  nicht 
schuldig.  Auch  Knowell  macht  dem  Kitely  Vorwürfe,  und 
will  ihn  und  Cobs  Weib  vor  den  Richter  führen.  Tib  aber 
entgeht  nicht  den  Schlägen  ihres  Mannes  Cob,  weil  sie  gegen 
sein  Gebot  jemand  ins  Haus  gelassen  habe;  so  gehen  alle  zum 
Richter.  —  Sc.  9  (Strafse).  Brainworm  verkleidet  als  Stadt- 
Sergeant.  Ihn  treffen  Bobadill  und  Mathew,  ohne  iiin  zu  er- 
kennen. Nun  aber  erscheint  Stephen  in  Downrights  Anzug, 
um  die  Verwirrung  noch  weiter  zu  treiben.  Ihn  arretiert 
Brainworm    „im    Namen    der   Königin".      Als    aber    der    wahre 

17* 


260  Ben  Jonson  in  seinen  Anfangen. 

Downriglit  cröcheint,  wird  dieser  festgenommen.  Downriglit 
folgt,  zu  Kichter  Clement  zu  gehen,  indes  Downright  den 
Brainworm  besticht,  auch  Stephen  zu  arretieren,  womit  Akt  IV 
abschliefst.  —  Akt  5,  Sc.  1  (in  Clements  Hause).  Wir  treffen 
die  ganze  Gesellschaft  an:  Knowell,  Kiteley  und  seine  Frau, 
Tib,  Cash,  Cob  und  Diener.  Alles  löst  sich,  wie  zu  erwarten, 
in  das  gewünschte  Gleichgewicht  auf.  Dame  Kitely  wird  ihi'er 
Eifersucht  von  Richter  Clement  überführt;  doch  wird  die 
Untersuchung  unterbrochen  durch  das  Erscheinen  Bobadills, 
der  seine  Klage  gegen  Downright  anbringt;  er  (Hobadill)  sei 
diesem  filthy  humour  of  quarrelHng  nicht  ergeben.  Zu  guter 
Letzt  erscheinen  nun  auch  Downright,  Stephen  und  Brainworm, 
dieser  als  Stadtsergeant  verkleidet.  Es  wird  ihm  verziehen 
und  alles  Mifsvergnügen  durch  Richter  Clement  beseitigt, 
Downrights  Ärger  sowohl  als  Knowells  Sorgen  und  die  Eifer- 
sucht des  Ehepaares.  So  schliefst  das  Stück,  wie  denn  Jonson 
überhaupt  und  sehr  charakterischerweise  seine  Stücke  mit 
Gerichtsscenen  zu  schliefsen  liebt.  (Vgl.  Sir  P.  Eitherside  am 
Schlüsse  von  The  Devil  is  an  Ass,) 

Man  wird  der  Korrektheit  der  Charakterzeichnung,  dem 
grofsen  Geschick,  mit  dem  hier  so  vieles  ineinander  gefügt  ist, 
die  Anerkennung  nicht  versagen.  Every  man  in  his  humour 
ist  ein  in  Prägnanz  von  Stil  und  Dramatik  wohl  in  sich  har- 
monierendes Stück;  eine  bedeutende  Anzahl  von  humours  ent- 
wickelt sich  mit  Leichtigkeit  und  Lebhaftigkeit;  doch  —  wie 
der  Titel  andeutet  —  diese  einseitigen  humours  bilden  den 
eigentlichen  Inhalt  und  Zweck  der  Darstellung,  die  Fabel  des 
Stückes  bietet  nur  das  Vehikel  zur  Entrollung  jener ;  die  Cha- 
rakter-Komödie, die  bald  darauf  in  Frankreich  so  glänzend  sich 
entwickeln  sollte,  ist  hier  bereits  vorgezeichnet,  und  auch  bei 
Moliere  war  anfangs  das  Typische,  oft  ans  Schematische  Strei- 
fende über  das  Individualisierende  überwiegend.*  Der  Bau  des 
„Ev.  m.  in  h.  h."  ist  wohlgefügt,  durchsichtig  und  abgerundet. 
Die  Knappheit  des  Ausdrucks  und  der  scenischen  Ausführung 
aber  stellen  das  Stück  als  das  vollendetste  Ben  Jonsons  hin; 
denn   fast    in    allen    übrigen  finden  sich  ermüdende  Längen  und 


*  Vergl.  Möllere,   Shakespeare  und  die  üeutsclie  Kritik  von 
Dr.  C.  llumbert.     Leipzig  1869. 


Ben  Juiison  iii  seinen  Anfängen.  2G1 

Breiten.  Wenn  aber  die  Vorführung  der  Charaktere,  so  plastisch 
khir  in  der  Form  und  überzeugend  wahr  dem  Inhalte  nach,  die 
eigentliche  Absicht  des  Dichters  bilden,  so  ist  hiermit  bereits 
darauf  hingewiesen,  dafs  wir  mehr  ein  mosaikartiges  als  ein 
Kunstwerk  aus  einem  Gusse  vor  uns  haben.  Alles  Einzelne  — 
das  Gröfsere  wie  das  Kleinere  —  ist  mit  gleicher  Frische  und 
Sauberkeit  gezeichnet ;  aber  es  ist  keine  sich  aufgipfelnde,  auf- 
und  absteigende  Handlung  gegeben,  kein  Vorder-  und  Hinter- 
grund, kein  Licht  und  Schatten.  So  anerkennenswert,  ja  be- 
wunderungswürdig bisweilen  das  Einzelne  ist,  so  raubt  doch  dieser 
Mangel  einer  beherrschenden  Idee  und  Einheit  dem  Ganzen  den 
höheren  dramatischen  Charakter.  Die  Gefahr,  durch  ausgeführtes 
Detail  zu  überladen,  schwerfällig  und  drückend  zu  wirken,  ist 
zwar  in  „Ev.  m.  in  h.  h.",  dank  der  künstlerisch  mafs vollen 
Haltung  des  mit  seinem  eigenen  Ich  vorläufig  zurückhaltenden 
Autors,  noch  vermieden,  in  anderen  Stücken  aber  ist  diese  Gefahr 
lun  so  verhängnisvoller  geworden  für  den  an  Selbstbewufatsein, 
nicht  aber  an  künstlerischer  Beherrschung  zunehmenden  Drama- 
tiker. Ist  aber  jene  Hervorkehrung  der  humours  als  „Zeichen 
der  Zeit"  an  sich  sehr  wohl  berechtigt,  so  ist  doch  die  unver- 
deckte  Absichtlichkeit  und  Einseitio;keit  dieser  Hervorkchrung; 
eine  bedenkliche;  die  sichtbare  Kunst  wird  hierdurch  vor- 
wiegend, während  es  bei  Shakespeare  die  unsichtbare  ist.  Die 
einseitige  Hingabe  an  die  humours  und  das  Seltsame  derselben 
aber  führt  unseren  Dichter  ferner  zur  Vorliebe  für  das  Seltsame, 
dann  auch  das  Unwahrscheinliche  überhaupt,  ja  für  jene  excep- 
tionellen  und  monströsen  Charaktere,  wie  sie  besonders  in 
..Volpone"  und  im  „Sllent  Woman"  behandelt  werden,  die  kaum 
mehr  als  Gegenstand  der  eigentlichen  und  höheren  dramatischen 
Kunst  betrachtet  werden  können.  Noch  mehr  als  unser  Stück 
selbst  aber  ist  der  Prolog  zu  demselben  von  den  Litterar- 
historikern  besprochen  und  verschiedentlich  aufgefafst  worden. 
Derselbe  ist  volle  zwanzioj  Jahre  nach  der  ersten  Aufführunfj 
des  „Ev.  m.  In  h.  h."  vom  Dichter  hinzugefügt  worden,  als 
dieser  seine  bis  dahin  verfafsten  Werke  In  einer  Gesamtaus- 
gabe herausgab.  Dieser  im  Todesjahre  Shakespeares  (1616) 
geschriebene  l^rolog  enthält  eine  Art  ßückblick  auf  die  drama- 
tische   Laufbahn    des    Verfassers,    fafst    dessen    Principien    der 


262  Ken  Jonson  in  seinen  Anfängen. 

Kunst  zusammen,  nicht  ohne  scharfe  und  unzweideutige  Seitenhiebc 
auf  Shakespeare.  Wir  teilen  den  Prolog  in  der  gelungenen  Über- 
setzung des  Grafen  Baudissin  mit  (B.  J.  u.  s.  Schule,  Lpz.  1836): 

Oft  zeugt  die  Armut  Dichter;  mancher  schuf  sie, 

Dem  nicht  Natur  noch  Kunst  hernach  lieruf  lieh. 

Doch  unsrer  hat  die  Bühne  nie  verwöhnt, 

Aus  Not  und  Ungeschniaek  des  Tags  gefrönt, 

Oder  für  solchen  Preis  nach  Gunst  getrachtet, 

Um  den  er  selber  sich  mit  Recht  verachtet. 

Er  liefs  niemals  ein  Kind,  in  Windeln  eben, 

Zum  Mann  erwachsen  und  bis  sechzig  leben 

Im  selben  Bart  und  Kleid ;  drei  rost'ge  Schwerter 

Und  ein  halb  Dutzend  ellenlange  Wörter 

Abthun  Yorks  und  Lancasters  ew'gen  Jammer, 

Noch  Wunden  heilen  in  der  Anziehkammer. 

Er  ladet  heut  zu  einem  Stück  euch  ein, 

Das  er  so  schrieb,  Avie  andre  sollten  sein. 

Da  ist  kein  Chor,  euch  übers  Meer  zu  raffen ; 

Kein  niederknarrnder  Thron  ergötzt  die  Laffen; 

Kein  sprühnder  Schwärmer  jagt  in  Furcht  die  Schönen, 

Noch  hört  ihr  mit  geschobner  Kugeln  Dröhnen 

Den  Donner  äffen;  keine  Trommel  rollt, 

Und  sagt  euch,  dafs  ihr  Sturm  erwarten  sollt. 

Wir  bringen  That  und  Wort  wie  sie  sich  zeigen, 

Und  Charaktere,  die  dem  Lustspiel  eigen, 

Wenn's  unsre  Zeit  darstellen  will  in  Bildern, 

Und  nicht  Verbrechen,  sondern  Thorheit  schildern. 

(Es  sei  denn,  dafs  wir  selbst  sie  dazu  steigern. 

Wenn  wir  erkanntem  Fehl  die  Bessrung  weigern.) 

Heut  sollt  ihr  leicht  erkannte  Schwächen  sehn, 

Und  sie  durch  Lachen  harmlos   eingestehn, 

Wie  sie's  verdient.     Klatscht  ihr  doch  sonst  so  willig 

Meerwundern ;  seid  denn  heut  für  Menschen  billig. 

So  hat  Ben  Jonson  in  wuchtigem  Lapidarstil  sein  drama- 
tisches Manifest  mitgeteilt  und  hinterlassen.  Wie  gewaltherr- 
lich springt  er  hier  mit  dem  Publikum  um!  Wie  schonungslos 
werden  diejenigen  mitgenommen,  die  an  den  „Un Wahrscheinlich- 
keiten" Shakespearescher  Stücke  Gefallen  finden.  Die  schlimm- 
sten Urteile  Voltaires  und  Friedrichs  des  Grofsen  über  Shake- 
speare sind  im  Keime  enthalten  in  jenen  denkwürdigen  Zeilen 
Ben  Jonsons.  Und  doch  will  Gifford,  der  Prolog  datiere  von 
1596  und  gehe  nicht  auf  Shakespeare. 


über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

Ein    Beitrag    zur    italienischen    L  i  1 1 c  r a t  u r g  e  s  c h i cli  t  e 

von 

Oberlehrer  Dr.  J.  Wychgram  (Leipzig). 


Das  14.  Jahrhundert  ist  für  Italien  in  noch  höherem  Grade 
als  für  die  anderen  europäischen  Länder  eine  Zeit  des  Ab- 
sterbeus  alter,  des  Aufkommens  eigentümlicher  moderner 
I^ebensformen  und  Vorstellungskreise.  Nirgends  lagen  für  die 
vielseitige  Ausgestaltung  staatlichen  und  persönlichen  Lebens 
so  reiche  und  verschiedenartige  Keime  als  hier,  nirgends  be- 
günstigte die  Abwandlung  der  historischen  Ereignisse  das 
Sprossen  dieser  Keime  so  sehr.  Die  Zeit,  welche  man  mit  dem 
Namen  der  Renaissance  zu  belegen  pflegt,  kündigt  sich  schon 
in  den  ersten  Jahrzehnten  des  Trecento  an,  ja  dem  genauer 
Schauenden  mögen  wohl  in  dem  Italien  Friedrichs  und  Ezzelins 
die  ersten  vorbereitenden  Wehen  wahrnehmbar  sein.  Die  kaiser- 
liche Gewalt  hatte  lange  die  fugende,  zusammenhaltende  Kraft 
verloren,  wenn  sie  dieselbe  überhaupt  je  für  Italien  besessen ; 
als  der  zweite  Friedrich  starb,  hinterliefs  er  ein  der  politischen 
Zersplitterung  entgegeneilendes  Land,  und  gerade  der  Ezzelin, 
den  er  selber  als  Reichsvikar  gesetzt,  kann  uns  als  der  erste 
Repräsentant  einer  neuen  dem  innersten  Wesen  des  Kaisertums 
geradezu  entgegengesetzten  Staatsform  gelten :  der  Tyrannit^. 
Schon  treten  allenthalben  aus  dem  Chaos  widerstrebender 
Kräfte  die  Geschlechter  hervor,  welche  den  Sijjfnore  zu  liefern 
bestimmt  sind.  Während  andere  Nationen  sich  in  diesem  Jahr- 
hundert   um    feste    Centren    zusammenfügen,    fallen    die    beiden, 


264  Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

jiuf  welche  das  mittelalterliche  Kaisertum  vorvvlefiend  sich 
stützte,  auseinander,  um  auf  sechshundertjährigem  Umwege  das 
zu  iiewinnen,  was  natürliche  Anlaoe  und  ein  überlegener 
durchgreifender  Wille  den  französischen  Nachbarn  schon  damals 
schenkte.  Aber  welche  Früchte  sind  an  diesem  Umweo^e  ge- 
pflückt  worden!  Wohl  mag  es  eine  tiefe  Bedeutung  haben, 
dafs  gerade  die  Italiener  und  die  Deutschen  es  sind,  durch 
welche  sich  die  wunderbarsten  geistigen  Bewegungen  vollzogen, 
■welche  die  moderne  Welt  kennt,  auf  denen  noch  immer  jede 
höhere  Bildung,  wie  jede  Initiative  geistigen  Fortschritts 
beruht  —  die  Renaissance  und  die  Reformation. 

In  den  kleinen  und  kleinsten  Gemeinwesen  Italiens  ent- 
wickelte sich  zuerst  wieder  das  „Individuum",  hier  machte  die 
allgemeine  Signatur  des  Mittelalters,  deren  typischer  Beleg 
immer  nur  der  Einzelne  war  und  gegen  die  keine  Individualität 
aufkam,  dem  unendlich  mannigfaltigen,  scharf  von  anderen  sich 
abhebenden  „modernen  Menschen"  Platz.  Die  Erinnerung  an 
das  Altertum  war  auf  italischem  Boden  während  des  ganzen 
Mittelalters  genährt  worden:  jetzt  wird  sie  zur  lebendigen  An- 
knüpfung. Man  wird  ergriffen  von  ideologischer  Schwärmerei 
für  die  Lebensformen  der  alten  Römer,  die  um  so  gröfser  ist, 
als  dieselben  noch  im  Helldunkel  stehen,  noch  nicht  klar  er- 
kannt werden.  Die  litterarischen  und  politischen  Gröfsen  des 
alten  Italiens  mit  ihrem  lebhaften  Sinn  für  persönlichen  Ruhm 
werden  zugleich  Gegenstände  eines  fast  abgöttischen  Personen- 

DD  D 

kults  und  Vorbilder:  es  ist  bezeichnend,  dafs  man  (wenigstens 
seit  Petrarca)  gerade  Cicero  mit  Vorliebe  las  und  bewunderte,* 
ihn,  der  wenn  auch  kein  grofser  Charakter,  doch  eine  scharf- 
gezeichnete Individualität  war,  die  durch  und  durch  erfüllt  war 
von  der  Wertschätzung  persönlichen  Ruhmes.  Denn  nicht  nur, 
dafs  Individualität  vorhanden,  genügt  ihr,  sie  will  auch  gelten, 
anerkannt,  gefeiert  werden :  selbst  Dante  gelingt  es  nur  mit 
grofser  Selbstüberwindung  lo  gran  disio  dell'  eccellenza  zu  ver- 
werfen,2    obwohl    er    der    Sehnsucht    nach    dem    Dichterlorbeer 


1  Burckhardt,  Die  Kultur  der  Renaissance  in  Italien.  Dritte  Aufl. 
I,  171.  Näheres  bei  Georg  Voigt:  Die  Wiederbelebung  des  klassischen 
Altertums.     2.  Aufl.     I,  37  ff". 

'  Vgl.  Das   Gesprach   mit    Oderisi  von    Gubbio,  Purgat.   XI,   85—119. 


über  Mussiitos  Tragödie  Ecccriuis.  265 

öfters  doch  lebhaften  Ausdruck  giebt.^  Um  wie  viel  mehr 
sind  die  weniger  strengen  Naturen  eines  Petrarca  und  Boccaccio 
erfüllt  von  der  Sehnsucht,  gleich  Horaz  sich  ein  erzüberdauern- 
des Andenken  zu  scliafFen.'-  Die  halbmythische  Dichterkrünung 
wurde  das  klopfenden  Herzens  erstrebte  Ziel  der  Humanisten; 
während  Dante  sie  in  St.  Giovanni  seiner  Heimatsstadt  mit 
eigener  Hand  an  sieh  vollziehen  will,  liefs  sich  Petrarca  auf 
dem  Kapitol  durch  den  Senator  von  Kom  diese  höchste  irdische 
Ehre  beilegen. 

Es  hat  einen  grofsen  Reiz,  sich  schon  in  die  Schriften  der 
frühesten  Humanisten  tiefer  einzulassen  und  den  mannigfachen 
Aufserungen  eines  dem  ganzen  früheren  Mittelalter  in  dieser 
Gestalt  fremden  Individualismus  nachzugehen.  Wie  überall 
ziehen  auch  hier  die  Anfänge  am  meisten  an:  haben  sich  erst 
gewisse  Typen  festgesetzt,  so  gewähren  die  Variationen  frei- 
lich noch  ein  hohes,  aber  doch  immer  nur  sekundäres  Interesse. 
Petrarca  ist  es,  dem  die  Welt  die  „Entdeckung  des  Menschen"' 
verdankt,  wenn  auch  ihm  selbst,  wie  dem  Columbus,  seine 
Entdeckuno;     nicht     in    ihrer    ßedeutuno;    klar     geworden     ist.^ 

o  Od 

Niemand  wird  diese  weltoeschichtliche  Leistung;  dem  Einsiedler 
von  Vaucluse  verkleinern.  Aber  wie  grofse  tellurische  Um- 
wälzungen sich  durch  kleinere  Bewegungen  anzukünden  pflegen, 
so  mag  es  nicht  anders  in  der  geistigen  Entwickelung  unseres 
Geschlechts  gehen.     Auch  Petrarca  hatte  Vorläufer. 

Zu  letzteren  zählt  man  an  vorwiegender  Stelle  Albertino 
Mussato,  den  paduanischen  Dichter,  Historiker  und  Staatsmann, 
über  welchen  in  den  letzten  Jahren  in  Italien  wie  in  Deutsch- 
land mancherlei  mitgeteilt  ist.  Als  Zelt-  und  Geslnnungs- 
genösse  Dantes  in  den  Tagen,  da  man  von  der  Ankunft  Arrigüs 
eine    Heilung    Italiens    erhoffte,    als    gewandter    und    wertvoller 

1  Farad.  20: 

Con  altra  voce  omai,  con   altro  vellu 
ritoroero  poeta  ed  in  sul  fönte 
del  mio  battesmo  prenderb  'I  cappello. 
Farad.   1,  13—18: 

o  buono  Apollo  all'   ultimo  lavoro 
fammi  del   tuo  valor  si  fatto  vaso, 
come  dimandi  a  dar  Tamato  alloro. 
'  Vgl.  Voigt  a.  a.  O.  T,  12G  fi". 
3  Voigt  a.  a.  O.  I,  133. 


2G()  Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

Darsfcller  des  Lützelburgers  und  seines  Unternehmens  als 
willcnsstarker  Kämpfer  gegen  den  berühmten  Can  Grande  und 
dessen  Signorie,  flöfst  schon  an  und  für  sich  Mussato  Interesse 
ein:  ebenso  hoch  aber,  will  es  mir  scheinen,  ist  die  poetische 
Thätigkeit  desselben  anzuschlagen.  Es  geht  durch  dieselbe  ein 
deutlicher  Zug  der  Sehnsucht  nach  dem  Altertume,  das  er 
durchaus  mit  dem  Herzen  erfafst,  zu  dem  er  eine  persönliche 
Stellung  einnimmt.  In  einer  Epistel  beklagt  er  es  tief,  dafs 
er  nur  von  den  Römern  habe  lernen  dürfen  und  dafs  ihm  das 
Griechische  und  seine  Litteratur  unerschlossen  o-eblieben.  Auch 
eine  originale  poetische  Kraft  wohnte  ihm  inne.  Zwar  ist  alles, 
was  wir  von  ihm  besitzen,  in  die  Sprache  Latiums  gekleidet, 
nach  deren  vollendeter  Handhabunir  er  strebt,  ohne  sie  ganz 
zu  erreichen ;  aber  so  sehr  man  es  bedauern  mag,  dafs  er  nicht 
„den  Mut  Dantes  gehabt,  jene  lateinische  Poesie  zu  verlassen, 
welche  die  strengeren  Geister  der  Nation  noch  als  das  Würdi- 
gere angesehen  haben", ^  so  wenig  kann  man  doch  leugnen, 
dafs  trotzdem  Mussato  einen  namhaften  Platz  auch  in  der 
italienischen  Litteraturgeschichte  einnimmt.  Die  neueren  Dar- 
steller derselben  seit  Tiraboschi  haben  das  fast  alle  gefühlt,  und 
sie  werden  nicht  müde,  die  grofse  Bedeutuno;  des  Patavinen  für 
die  Nationallitteratur  zu  betonen  ;2  wir  mögen  das  in  dem  Sinne 
gelten  lassen,  in  dem  einst  Gaston  Paris  den  geretteten  Liguri- 
nus  ein  Kleinod  in  der  Krone  deutscher  Dichtung  nannte.^ 

Die  litterarische  Thätigkeit  Mussatos  war  eine  ungemein 
reichhaltige.  Wenn  man  die  Gesamtausgabe  seiner  Werke* 
durchblättert,  so  mag  man  sich  wohl  wundern,  wie  dieser  jNIann 
in  seinem  überaus  bewegten  Leben,  bei  der  vielfältigen  thätigen 
Anteilnahme  an  der  Politik  seiner  Vaterstadt  Zeit  und  Samm- 
lung zu  Arbeiten  gefunden  hat,  denen  man  trotz  ihrer  grofsen 
Zahl  durchweg  mühevolle  Sorgfalt  nachzurühmen  berechtigt  ist. 


1  O.  Lorenz,  Deutschlands  Geschichtsquellen  etc.     11-,  254. 

2  Tiraboschi,  Storia  della  letteriitura  italiana  V,  339  fi".  (Ausgabe 
von  1775).  —  Settenibrini,  Lezioni  di  letteratura  italiana.  Vol.  I,  lez.  27.  — 
Emillani-Giudici,  Storia  delle  belle  lettcre  in  Italia;  lez.  8  („tutti  voi"  heifst 
es  bei  letzterem,  „diletti  Italiani,  conoscete  il  nome  di  A.  M.  il  venerando 
contemporaneo  di  Dante"  etc.). 

^  Gaston  Paris,  Dissertation  critique  sur  le  poeme  latin  du  Ligurinu.«. 
Paris  1872. 

''  A.  Mussati   opera    omnia.     Venedig    1636. 


über  Mussatos  Tragödie  EcCL-riais.  2G7 

Abiresehen  von  den  umfangreichen  und  wertvollen  historischen 
AVerken,  in  denen  er  den  Römerzug  Heinrichs  VII.,  die  italie- 
nischen Verhältnisse  nach  dem  Tode  desselben,  sowie  den 
Rümerzug;  Ludwigs  zum  Teil  mit  augenfälligem  Sinn  für  ge- 
schmackvolle  phychologisch  vertiefte  Darstellung  behandelte, 
schrieb  er  eine  lange  Reihe  verschiedenartiger  Gedichte.  In 
seinen  Episteln  und  Elegien,  von  denen  übrigens  zwei 
(Priapus  und  uxor  Priajji')  noch  nicht  bekannt  sind,  zeigt  sich 
die  Persönlichkeit  am  klarsten ;  sie  würden  die  Hauptquellen 
sein    für    den,     der    eine    (bisher    nicht    gegebene)    umfassende 

Würdigung   Mussatos    nach    der   litterarischeu  Seite    hin    unter- 
em     o 

nehmen  wollte.  Seine  hohe  "Wertschätzung  schriftstellerischen 
Ruhmes,^  seine  Freude  über  die  ihm  als  Dichter  zu  teil  ge- 
wordene Anerkennung,^  sein  Verhältnis  zu  den  Alten,  von 
denen  er  bezeichnenderweise  Ovid  am  meisten  verehrt  und 
studiert,*  seine  Theorie  über  die  Bedeutung  und  Stellung  der 
Poesie  im  Kreise  der  scientia?,''  das  alles  lernen  wir  hier  deut- 
lich genug  kennen. 

Seine  Soliloquien  religiösen  Inhalts,  in  verschieden- 
artigen Versmafsen,  scheinen  dem  Erbauungsbediirfnis  vieler 
reiche  Genüge  gethan  zu  haben. ^  In  den  Eklogen,  deren 
Stoffe  teils  dem  Altertume  entlehnt,  teils  neuere  sind,  erreichte 
der  Dichter  hinsichtlich  der  Beherrschung  der  lateinischen 
Sprache  und  des  Verses  seinen  Höhepunkt. 

Bei  seinen  Zeitgenossen  erfreute  sich  Mussato  eines  aufser- 
ordentlichen  Ansehens;  wo  wir  ihn  erwähnt  finden,  fehlen  nicht 
die  Epitheta  des  Lobes ;  selbst  in  den  Urkunden,  deren  das 
paduanische  Archiv  eine  Anzahl  aufbewahrt,  helfet  er  poeta  et 
ystoriographus,  unter  steter  Voransetzung  der  ersteren  Bezeich- 
nung.    Ein   Ausflufs   seiner   litterarischen    Verdienste,    zugleich 


'  Die  Provenienz  derselben  von  M.  ist  angezweifelt,  sie  scheint  mir 
aber  doch  gesichert  nach  Mussatos  eigenen  Äufserungen  in  ep.  VII  (an 
Giovanni  da  Vigonza). 

-'  Ep.  IV. 

3  Ep.  I. 

^   Vgl.  Cento  ex  P.  üvidii  Nasonis  libris  5  de  Trii-tibus,  ad  Filium.  Eleg.  3. 

■''  Epist.  18;  ein  merkwürdiger  Brief.  Skizze  desselben,  freilich,  wie  es 
mir  beute  scheint,  nicht  ganz  ausreichend,  findet  man  in  meiner  Schrift: 
Albertino  Mussato      Leipzig,  Veit  und  Comp.   18*0.     p.  67  tf. 

ti  Ep.  vn. 


2t)8  i'bcr  Mussatos  Tragiidie  Ecc(3riiris. 

aber  auch  eine  Ursivche  von  deren  allgemeinerem  Bekanntwerden 
ist  seine  vermutlich  im  Jahre  1314  erfoljjte  Dichterkrönun<T. 
Unter  höchst  eigentümlichen  Formen  wurde  dieselbe  an  ihm 
vollzogen:  auf  Veranlassuno;  des  Bischofs  von  Padua,  Pagano 
della  Torre,  und  des  derzeitigen  Rektors  Herzog  Albert  von 
Sachsen  erkennt  die  Artistenfakultät  ihm  die  Dichterkrone  zu ; 
im  Beisein  der  ganzen  Universität  und  einer  orofsen  Volks- 
masse  wird  ihm  der  Kranz  von  Lorbeer  und  Epheu  aufs 
Haupt  gesetzt;  lauter  Trompetenschall  und  Jubelruf  der  Menge 
begleitet  die  seltene  Feierlichkeit.  Der  grofse  Rat  der  Stadt 
setzt  fest,  dafs  auf  ewige  Zeiten  an  jedem  Weihnachtsfeste  die 
Werke  Mussatos  öffentlich  gelesen  und  ihm  selbst,  solange  er 
lebt,  Ovationen  dargebracht  werden:  der  Bischof  selbst  soll  die 
Deputation  der  Stadt  und  der  Universität  anführen  mit  zwei 
AVachskerzen  in  den  Händen ; '  dann  soll  die  akademische 
Jugend  ihm  Geschenke  darbringen,  unter  anderem  ein  Ziegenfell: 
Munus  eniin  tragicis  vatibus  hircns  erat. 
Tragicis ;  denn  es  wird  allgemein  und  auch  durch  ihn 
selbst  bestätloft,  dafs  Mussato  die  Krönung  und  das  hohe  litte- 
rarische  Anseilen  hauptsächlich  seiner  Tragödie  Eccerinis-  ver- 
dankt. Nach  heutiger  ästhetischer  Wertschätzung  freilich 
könnte  man  kaum  der  Eccerinis  diese  Wirkung  zuschreiben, 
alles  was  wir  von  einer  Trajxödie  verlangen,  sucht  man  in  ihr 
vergebens.  Indes  waren  damals  andere  Gesichtspunkte  aus- 
schlaggebend; die   Wahl  eines  nationalen  Stoffes,  die  kraftvolle. 


1  Ep.  I: 

Prajpositus  binte  portans  hastilia  ceife. 
Aus  dieser  Stelle  ist  auch  die  Richtigkeit  der  von  Burckhardt  a.  a.  O.  I,  199 
(p.   172,  Anm.  5)  angezweifelten  Lesart  cereis  muneribus  zu  entnehmen. 

^  Man  hat  früher  die  Tragödie  „Achilleis",  die  sowohl  in  die  oben- 
erwähnte venetianische  als  auch  in  die  zweite  Gesamtausgabe  der  Werke 
(Grapvius  thcs.  antt.  Ital.  VF,  2)  aufgenommen  ist,  auch  Mussato  zuge- 
schrieben. Tiraboschi  noch  hat,  obwohl  schon  Üsio  einen  Zweifel  äufserte, 
die  Autorschaft  Mussatos  anerkannt.  Es  hat  sich  imles  als  sicher  heraus- 
gestellt, dafs  nicht  Mussnto,  sondern  der  Vicentiner  Antonio  Loschi,  gegen 
Ende  des  Jahrhunderts,  der  Verfasser  ist.  Die  Bibliothek  in  Vicenza  besitzt 
.seit  1832  das  Manuskript,  dessen  Anfang  und  Ende  den  Namen  Loschis 
als  des  Autors  tragt.  Vergl.  darüber:  Cappelletti,  A.  M.  e  la  sua 
tragedia  Eccerinis,  Parma  1«81,  sowie  den  Brief  des  Giuseppe  Todeschini 
an  Antonio  Meneghelli  del  vero  autore  della  tragedia  l'Achille,  gedruckt 
bei  Picutti  in  \'icenza  1832.  —  Eine  Separatau.sgabe :  Achilles,  prototra- 
goedia  Antonii  de  Luschis,  Patavii  1843,  ed.  Schio,  in  dessen  vita  di  A. 
Loschi  auch  eine  Inhaltsangabe  sich  findet.     Voigt  a.  a.  O.  II,  409^. 


über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis.  2G9 

stellenwei's  schöne  Sprache,  die  gänzlich  neue,  dramatische 
Form,  die  Mussato  zuerst,  wenn  auch  in  enger  Anlehnung  an 
Seneca,  in  Italien  wieder  einführte,  ^^^ie  der  Titel  besagt,  hat 
das  Stück  zum  Gegenstande  die  Gestalt  des  Ezzelino  da 
Romano,  des  Vikars  und  Schwiegersohns  Kaiser  Friedrichs  II. 
Es  liegt  in  den  Handlungen  und  Schicksalen  des  trevisanischen 
Tyrannen  etwas,  das  auf  den  ersten  Blick  auch  dem  gereifteren 
dichterischen  Verständnis  eines  Joseph  von  Eichendorf  als 
tragisch  erscheinen  mochte,  aber  bei  näherem  Zusehen  findet 
man  doch,  dafs  er  mehr  in  die  Kategorie  jener  „blofsen  Teufel*' 
gehört,  die  dem  Hamburgischen  Dramaturgen  so  wenig  als  die 
blofsen  Engel  dramatisch  verwertbar  erscheinen. 

Der  Aufsatz  Kortüms '  vom  Jahre  1831  giebt  uns  ein  aus 
den  Quellen  geschöpftes,  ausführlich  und  schön  entworfenes 
Bild  Ezzelins.  Geboren  am  26.  April  1194,  hat  Ezzelin  die 
entscheidenden  Einflüsse  auf  seine  Entwickelung  schon  in  frühen 
Jahren  erhalten:  des  Vaters,  Ezzelin  des  Mönchs,  geschickte 
Politik  in  den  Wirren  der  trevio-ianischen  Mark,  den  ihn  be- 
herrschenden  Gedanken  der  Gröfse  und  Selbständigkeit  des 
Hauses,  der  Mutter,  Adelheid,  Schwester  der  „wütenden"  Grafen 
(Rabbiosi)  von  Mangono,  gleich  abergläubischen  wie  verbreche- 
rischen Sinn  finden  wir  vereinigt  in  dem  Sohne.  Wie  der 
Ahnherr  des  Geschlechts,  der  1036  im  Gefolge  Kaiser  Konrads 
über  die  Alpen  gekommen,  wie  der  Vater,  der  von  Otto  IV. 
die  Statthalterschaft  in  Vicenza  erhalten,  so  suchte  auch  Ezze- 
lin das  Heil  in  engem  Anschlufs  an  die  kaiserliche  Politik ; 
freilich  nur  solange  seine  egoistischen  Absichten  daraus  Unter- 
Stützung  erhielten.  Während  der  Hohenstaufe  in  den  unseligen 
Kreuzfahrtsstreit  mit  der  Kurie  verwickelt  war,  bildete  sein 
Name  den  Vorwand,  unter  dem  das  Haus  Romano  zu  immer 
gröfserer  Macht  emporstieg.  Während  das  Verhältnis  zwischen 
dem  lombardischen  Bunde  und  Friedrich  unaufhaltsam  zn  jenem 
berühmten  Schlage  von  Cortenuova  hindrängte,  war  es  Ezzelin, 
der  den  Kaiser  beständi«;  über  die  Lage  der  Dinge  auf  dem 
Laufenden  hielt,  ja  ihn  sogar  verkleidet  in  Augsburg  aufsuchte. 
Und    noch    bevor    die   grofse   Schlacht   geschlagen    wurde,    hat 


Schlosser   und  Berdit,    Archiv   für  Geschiclitc   und  Lilteratur.     Bd.  2. 


270  Über  Mussatos  Tiagüdic  Eccerlnis. 

Ezzclin  unter  dem  Schilde  kaiserlichen  Ansehens  das  reiche 
Padua  (24.  Febr.  1237),  wie  Verona  und  Trevigi  mit  Waffen- 
gewalt genommen.  Die  Ehe  mit  der  natürlichen  Tochter 
Friedrichs,  Selvaggia,  war  ein  zweiter  wesentlicher  Preis  seiner 
Politik,  Vor  aller  Welt  stellten  sich  nun  Ezzelin  und  sein 
sinnverwandter  Bruder  Alberich  miteinander  verfeindet,  indem 
letzterer  auf  weifischer  Seite  kämpfte ;  jede  Regung  einer  Oppo- 
sition gegen  den  einen  meldete  sofort  heimlich  der  andere, 
und  mit  sonst  nicht  erklärlicher  Schnelligkeit  wurde  sie  bluti<r 
unterdrückt.  Endlich  aber,  als  den  Kaiser  gegen  Ende  seines 
Lebens  ein  harter  Schlag  nach  dem  anderen  traf,  als  ihn  das 
Glück  verliefs,  sein  Sohn  ihm  geraubt,  sein  Vinea  ihm  untreu 
wurde,  da  setzte  Ezzelin  durch,  was  er  von  je  erstrebt,  liefs 
er  die  Maske  fallen:  er  entfernte  die  kaiserliche  Besatzung  aus 
Padua  und  den  umliegenden  Forts  und  wurde  unumschränkter 
Gewaltherr  in  der  Mark,  der  erste  Tyrann  im  späteren  Sinne. 
Aber  jetzt,  nach  der  Erreichung  seines  Zieles,  begannen  erst 
recht  die  aller  Beschreibung  spottenden  Thaten,  die  den  Namen 
des  Ezzelin  zu  einem  der  bluti<i;sten  der  gesamten  Weltge- 
schichte  gemacht  haben.  ^  Die  glänzende  friedeverheifsende 
Hochzeitsfeier  Ezzelins  (nach  dem  Tode  der  Selvaggia)  mit 
der  Tochter  des  Grafen  Bontraversio  da  Castronuovo  war  nur 
eine  flüchtige  Episode,  ein  letzter  Lichtblick  vor  der  herein- 
brechenden Schreckensnacht.-  Todesurteile,  Hinrichtungen,  Ein- 
kerkerungen in  nicht  mehr  zu  bestimmendem  grofacm  Umfange, 
kurz  Trauer  und  Schrecken  war  das  Los  aller,  die  durch  Wort 
oder  Gebärde  Unzufriedenheit  mit  der  neuen  Tyrannis  auch 
nur  zu  verraten  schienen.  Ansedisio  de'  Guidoti,  der  von  ihm 
eingesetzte  Podestä  Paduas,  kannte  ebensowenig  menschliche 
Gefühle  wie  sein  Herr.  Was  in  dem  Kerker  Malta  sich  zu- 
getragen hat,  ist  wert  in  einem  Atem  mit  den  Schrecknissen 
von  Seratscha  Daulas  schwarzer  Höhle  genannt  zu  werden ! 
In    dem   W^esen    des   Tyrannen,    seinen   Mienen,    seinem    Gang 


1  Darum  finden   wir  auch  bei  Dante  Inferno  XII,   109   den  Ezzelin  bis 
an  das  schwarze  Stirnhaar  im  Blute  steckend 

e  quella  fronte,  c'  ha  '1  pel  cosi  neru 
e  Azzuliiiü. 
'■'  Vgl.  Rolandi  l'atavini  chronicon,  ed.  Jafi'e.     M.  G.  XIX,  32—117. 


über  Mussatos  Tragödie  Ecccrinis.  271 

entdeckten  die  Zeltgenossen  jetzt  eine  auffallende  Veränderung, 
die  deutlich  den  Blutdurst  des  Inneren  auch  im  Aufseren  wieder- 
gab. Nahe  Verwandte,  der  Schwiegervater,  der  Schwestersohn, 
der  Halbbruder  (Ciraraonte)  fanden  ob  ganz  grundlosen  Ver- 
dachtes den  Tod;  unschuldige  Kinder  wurden  zu  Hunderten 
geblendet,  Frauen  an  Händen  und  Füfsen  verstümmelt.  End- 
lich raffte  Norditalien  sich  zu  einem  Kampfe  auf  Leben  und 
Tod  auf;  der  Papst,  dessen  Bannstrahl  Ezzelin  mehr  als  ein- 
mal mit  höhnischer  Gleicho;ültiokeit  hatte  an  sich  abo-leiten 
lassen,  Venedig,  Ferrara,  die  Emigrierten  Paduas,  Vicenzas, 
Trevigis  und  viele  andere  Lombarden  thaten  sich  zusammen 
und  rüsteten  ein  Kreuzheer.  Ansedisio,  der  Podesta,  wird  nach 
langer  hartnäckiger  Gegenwehr  vertrieben,  Padua  genommen. 
Ezzelin  ist  aufser  sich.  Der  Bote,  aus  dessen  Munde  er  die 
Nachricht  erhält,  mufs  sterben  ;  Ansedisio,  als  er  kommt,  wird 
dem  Feuertode  übergeben,  und  alle  die  mit  ihm  Padua  ver- 
liefsen.  Und  damit  die  früher  gefangenen  Paduaner,  IIOÖO  an 
der  Zahl,  sich  nicht  mit  dem  Kreuzheer  vereinigen,  läfst  er  sie 
in  Verona  in  Gefängnisse  pferchen,  aus  denen  im  ganzen  nur 
200  nach  Jahren  lebendig  wieder  hervortraten,  und,  wenn  die 
Gefängnisse  nicht  reichen,  läft  er  sie  einfach  niedermetzeln. 
Auf  den  Feldern  lagen  die  verstümmelten  Leichname  umher 
und  niemand  wagte  sie  zu  bestatten. i  Der  Verlust  Paduas 
wird  wieder  gut  gemacht  durch  die  Einnahme  Brescias ;  aber 
sie  ist  auch  der  letzte  Erfolg :  in  die  mailändischen  Wirren 
zwischen  Guilelmo  da  Soresino  und  Martino  della  Torre  ver- 
wickelt, im  Begriff  seine  Hand  nach  der  eisernen  Krone  in 
Monza  auszustrecken,  wird  er  bei  Cassano  an  der  Adda  ver- 
wundet und,  als  er  sich  der  Übermacht  verzweifelt  zur  VVelir 
setzt,  gefangen.  Wie  eine  grausame  Ironie  klingt  die  Nach- 
richt, dafö  ihn  seine  Gegner,  besonders  der  Graf  Palavicino, 
als  Gefangenen  mit  edler  Höflichkeit  behandelt  haben.  Aber 
das  mochte  ihn  um  so  mehr  verbittern.  Seinen  fatalistischen 
Gedanken  nachbrütend,-  nur  dann  und  wann  in  jähem  Zorn 
aufbrausend    gegen    seine    Wächter   sitzt    der   gefangene    Tiger 


1  Dafs  11000  Paduaner  auf  einmal  getötet  .<ind,  wie  es  in  dem  Schlufs- 
chor  des  3.  Aktes  der  E^ccerinis  heilst,  ist  nicht  richtig.    Cf.  Kortüm  p.  115. 
-  Kaumcr,   llohciialaulcn   111,  43U. 


272  Über  Mnssalos  Tragödie  Eccerinis. 

da;  alle  Speise,  alle  ärztliche  Hilfe,  auch  den  Zuspruch  dc8 
Priesters  weist  er  ab ;  am  elften  Tage  endlich  dünkt  ihn  sein 
Los  unerträglich:  er  reifst  den  Verband  von  seinen  Wunden 
und  stirbt.  In  ungeweihter  Erde,  an  der  Treppe  des  Rathauses 
von  Soncino  setzte  man  den  marmornen  Sarg  bei,  der  des 
Ezzelin  Gebeine  barg.  Ein  schrecklicheres  Geschick  aber  war 
Alberich,  dem  Bruder,  bestimmt:  auch  er  wird  durch  Über- 
macht o;ef;inc;en  genommen;  gleich  einem  Pferde  thut  man  ihm 
ein  Gebifs  in  den  Mund  und  auf  allen  Vieren  kriechend  mul's 
er  die  scharfen  Sporen  eines  rohen  Kriegsknechtes  in  seinem 
Fleische  fühlen :  dann  werden  seine  sechs  Söhne  nacheinander 
verstümmelt  und  die  blutigen  Glieder  ihm  ins  Gesicht  ge- 
schlagen ;  und  endlich,  ehe  er  selbst  den  Todesstreich  erhält, 
werden  ihm  vor  den  Augen  sein  Weib  und  seine  zwei  Töchter 
verbrannt.     Fürwahr  eine  heillose  Zeit! 

Sehen  wir  nun  zu,  wie  Mussato  diese  historisch  gegebene 
Gestalt  behandelte.  Im  ersten  Akt  versucht  der  Dichter  die 
Motive  darzulegen,  aus  denen  sich  Ezzelins  und  Alberichs 
schreckliche  Thaten  erklären  lassen ;  so  entsetzlich  und  aller 
menschlichen  Analogie  spottend  sind  dieselben,  dafs  man  ver- 
gebens nach  einer  psychologisch  fafsbaren  Erklärung  suchen 
würde:  in  einem  dunklen  unterirdischen  Ursprung,  unter  dessen 
nachwirkendem  Banne  das  ganze  Leben  der  Brüder  steht, 
müssen  wir  sie  finden.  Eine  ganze  Mythologie  hat  sich  ja  um 
die  Ezzeline  gebildet,^  und  einen  Zug  aus  ihr  benutzt  Mussato. 
Adelheld,  die  Mutter,  erzählt  ihnen,  dafs  sie  nicht  ihre  echten 
Söhne,  sondern  der  Gewaltthat  eines  mit  furchtbaren  Erschei- 
nungen der  Tiefe  enttauchten  und  wieder  in  sie  verschwundenen 
Ungeheuers  entsprossen  seien. 

Quum  prima  noctis  hora  communis  quies 
Omni  teneret  ab  opere  abstractum  genus, 
Et  ecce  ab  imo  terra  miieitum  dedit 


1  Vgl.  die  cento  novelle  antiche  (31  u.  84),  in  denen  wir  schon  Ansätze 
der  Ezzelin-Fabeln  vorfinden;  sie  sind  nach  Burckhardts  Meinung  (I,  (.i; 
Anm.  p.  121)  noch  im  13.  Jahrb.  aufgezeichnet.  Anspielung  auf  den 
Tiauni  der  Mutter  ist  auch  die  von  dem  Hügel  Romano  sich  herabstürzende 
Fackel  bei  Dante  Parad.  IX,  29: 

Lh.  onde  «cese  gi^  una  facella 

Che  l'ece  alla  contrada  gramle  assalto. 


über  Mussatos  Tragödie  Eccerlnis.  273 

Crepuisset  ut  centrura  et  foret  apertum  Chaos, 
Altnraque  versa  resonuit  Coelum  vice. 
Faciem  aeris  sulphureus  invasit  vapor 
Nubemque  fecit.     Tunc  subito  fulgur  domutn 
Lustravit  ingens  fulminis  ad  instar  tono 
Sequente,  oletum  sparsa  per  thalamurn  tulit 
Famosa  nubes.    Occupor  tunc  et  premor, 
Et,  ecce  pudor,  adiilterum  ignotum  ferens. 

Mit  bitterer  Ironie,  die  überhaupt  sein  Wesen  bei  Mussato 
kennzeichnet,  sieht  Ezzelin  in  der  Sendung  dieses  infernalischen 
Wesens  einen  Fingerzeig  Gottes : 

Quid  poscis  ultra  frater?    An  tanti  pudet 
Vesane  patris  ?  an  negas  Divum  genus  ? 
Diis  gignimur.     Nee  stirpe  tanta  Romulus 
Remusque  quondam  Marte  toUuntur  suo ! 

Als  eine  Geifsel  der  Menschen  sein  Leben  zu  führen  im 
Namen  des  „rex  ultionum"  fühlt  er  eich  berufen,  und  diesem 
Berufe  sich  ernstlich  zu  widmen  ist  der  Entschlufs,  mit  welchem 
er  die  Bühne  verläfst. 

Jetzt  berichtet,  auch  in  Trimetern,  so  dafs  also  diese  Kegie- 
bemerkung  als  ein  Teil  der  Dichtung  erscheint,  Mussato,  wie 
Ezzelin  sich  in  das  Innere  des  Schlosses  zurückzieht,  dort  sich 
mit  ausgebreiteten  Armen  auf  die  Erde  wirft  und  zu  Lucifer 
als  seinem  Vater  betet.  Das  Gebet  selber  steht  wieder  in 
direkter  Rede  als  Monolog.  Er  beschwört  die  Unterirdischen, 
die  er  als  Bestrafer  der  Verbrechen  anruft,  ihm  das  Amt  der 
Rache  zu  übertragen.  Keine  Macht  werde  ihn  seiner  Aufgabe 
abtrünnig  machen;  niemals  überhaupt  habe  seine  Brust  ein 
menschliches  Rühren  gekannt;  Christus  selber  und  der  Name 
des  Kreuzes  sei  ihm  stets  verhafst  gewesen.  Alekto,  Tisiphone, 
Megära,  Persephone  und  alle  stygischen  Gewalten  erbittet  er 
sich  als  Helfer  und  Schützer  zu  seinen  Werken. 

Ensis  cruenli  detur  officium  mihi 
Ipse  executor  finiam  h'tes  merus, 
Nullis  tremiscet  sceleribus  fidens  manus. 
Annue  Satan  et  filium  talem  proba! 

Während,  dies  hinter  der  Bühne  vorgeht,  betritt  der  Chor, 
in    dem    wir   uns    Bewohner   der   Mark    Treviso,    Augenzeugen 

Aicliiv  f.  u.  Si)i-aclieu.   LXXI.  18 


274  Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

aller  Greuel  vorstellen  müssen,  die  Bühne.  Er  beklagt  in  all- 
gemeinen Worten  die  Wechselfälle  und  Unsicherheit  des  irdi- 
schen Lebens;  unbeständig  erscheinen  ihm  in  dieser  Zeit  alle 
Einrichtungen,  selbst  die,  welche  sonst  für  die  solidesten  ge- 
halten sind : 

Leges  juraque  condimus 
Post  h£ec  condita  scindimus. 
Sic  semper  rota  volvitur 
Durat  perpetuum  nihil. 

"Aber  über  alles  Mafs  heimgesucht  erscheint  ihm  der  heimat- 
liehe  Boden:  noch  sieht  man  das  Ende  dieser  Dinge  nicht  ab, 
wohl  mag  noch  Schrecklicheres  bevorstehen,  —  Die  Verse 
dieses  Chores  sind  glykonische,  deren  49  sich  ohne  Unter- 
brechung durch  ein  anderes  Metrum  folgen,  so  dafs  das  Ganze 
etwas  Schleppendes  hat. 

Im  zweiten  Akt,  der  nur  eine  einzige  Scene  umfafst, 
kommt  ein  Bote  atemlos  auf  die  Bühne  gelaufen.  Der  Chor 
fordert  seine  Nachricht.     Er  giebt  sie: 

Finis  petitus  litibiis  vestris  adest, 

Adest  tyrannus  vestra  quem  rabies  dedit, 

Nefanda  vidi ! 

Es  hat  sich  zwischen  dem  ersten  Akt,  dessen  Inhalt  aller- 
dings keiner  bestimmteren  chronologischen  Festsetzung  fähig 
ist,  und  dem  zweiten  die  Einnahme  Paduas  vollzogen. 
Bevor  der  Bote  das  Nähere  über  den  Hergang  dieses  Ereig- 
nisses  erzählt,  ergeht  er  sich  in  einer  weitschweifigen,  an  die 
Botenberichte  der  alten  Tragödie  anklingenden  Auseinander- 
Setzung  über  die  früheren  Geschicke  der  Mark,  die  zu  bösen 
Verhängnissen  bestimmt  sei: 

sive  sit  terrse  situs 
Belli  capacis  sive  tale  hominum  genns 
Natura  ab  ipsa  tale  producat  solum  ! 

Die  Erzählung  von  den  Schrecken,  die  der  Tyrann  in 
Verona  und  Padua  verübt,  und  der  Hinweis  auf  die  noch  zu 
verübenden  läfst  den  Chor  in  einem  Schlufsgesange  resignierend 
Christus  den  Schutz  des  Landes  in  die  Hände  legen.  Ich  hebe 
aus    diesem  Chor,    der    in  kleineren  sapphischen  Versen  (unter- 


über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis.  275 

brechen  von  adonischen ')  geschrieben  ist,  die  kraftvolle  Schilde- 
rung von  den  Leiden  der  Bevölkeruno;  hervor: 

Frater  ut  sajvo  placeat  tyranno 
Fratris  incumbit  jugulo  cruentus. 
Proh  dolor  !    Patrem  rogitat  cremandum 
Natus,  ardentes  siibicitque  flammas. 
nie  tantorum  scelerum  superstes 
Aspirans  sa^vas  Eccerinus  iras, 
Prolis  ut  senien  pereat  fntur», 
Censet  infantiun  genital  recidi, 
Feminas  sectis  ululare  mammis. 
Stratus  in  cunis  chorus  innccentum 
Luget  indocto  mutilatus  ore: 
Lumen  in  caecis  tenebris  requirit 
Lumine  cassus. 

Ein  Gespräch  in  der  ersten  Scene  des  dritten  Aktes  ge- 
währt uns  Einblick  in  die  Plane,  welche  die  Brüder  für  die 
Eolgezeit  haben.  Jedem  Menschen,  meint  Ezzelin,  steht  der 
Entschlufs  zu  jedweder  Handlung  völlig  frei;  und  da  Gott 
selber  uns  gewähren  läfst,  warum  sollen  wir  nicht  so  handeln, 
wie  es  unserer  Abkunft  und  unseren  Neigungen  gemäfs  ist. 
Die  Missethat  der  Völker  heischt  eine  rächende  Hand.  Ich 
habe  Verona,  Vicenza,  Padua  mir  gebeugt;  auch  das  übrige 
Italien  soll  mir  gehorchen.  Lombardien  ist  mir  versprochen, 
und  die  ganze  Halbinsel  wird  von  hier  aus  mir  unterthan. 
Aber  auch  das  genügt  mir  nicht:  ich  will  meine  Hand  aus- 
strecken  nach  dem  Orte,  von  wo  einst  mein  Vater  Lucifer  fiel, 
und  weder  Typhoeus  noch  Enkelados,  noch  irgend  einer  der 
Giganten  hat  so  gegen  Jupiter  gekämpft,  wie  ich  gegen  den 
Himmel  es  thun  will.  Weniger  himmelstürmend,  aber  desto 
expansiver  sind  die  Pläne  Alberichs:  bis  an  den  Nordpol  sollen 
die  Völker  ihm  gehorchen  und  auch  das  „dreifache"  Gallien 
soll  seine  Geifsel  fühlen.  —  Ezzelin  schlägt  dem  Bruder  vor, 
zu  dem  Kampf  mit  den  Waffen  List  und  Tücke  zu  gesellen : 
sie  wollen  sich  stellen,  als  ob  sie  sich  gegenseitig  hassen  und 
anfeinden,  um  dadurch  desto  sicherer  die  Menschen  ins  Ver- 
derben zu  ziehen: 


1  Das   Verhältnis    der   sapphisclien    zu    den    adonischen  Versen    ist   iin- 
regehiVafsig:   14-1,  8-1,  8-1,   12—1,  7. 

18* 


270  Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

absit  Fides 
Pietasque  nostris  actibus  semper  procul. 

Albericli  geht  ab  und  es  erscheint  Ziramone,  natürlicher 
Bruder  des  Ezzelin.  Dieser  fragt  ihn,  ob  die  befohlene  Hin- 
richtung des  Monaldo  dei  Lermizzoni^  vollzogen  sei,  und  erhält 
bejahende  Antwort,  worauf  er  Befehle  zu  weiteren  Hinrich- 
tungen erteilt.  Nun  erscheint  ein  gewisser  Frater  Lucas,  mit 
dem  Mussato  nach  der  sehr  wahrscheinlichen  Vermutung  Mer- 
cantinis  den  Bruder  Lucas  Belludi,  Schüler  des  hl.  Antonius 
geraeint  hat.  Derselbe,  scheu  sich  nähernd,  sucht  dem  Ezzelin 
ins  Gewissen  zu  reden,  stellt  ihm  vor,  dafs  nichts  dauernd  von 
den  göttlichen  Lebensgesetzen  abweichen  könne  ohne  zu  ver- 
derben; er  bittet  ihn  abzulassen  von  seinem  bisherigen  Thun 
und  den  drei  Tugenden  Spes,  Caritas,  Fides  ihr  Recht  zu 
lassen.  Ezzelin  begegnet  dem  Mönch  mit  dem  Hinweis  darauf, 
dafs  Gott  alles,  was  er  thue,  mit  ansehe  und  ihn  doch  nicht 
hindere;  warum  schlage  er  ihn  denn  nicht  zu  Boden?  Viel- 
mehr, meint  Lucas,  erwartet  Gott,  dafs  du  allmählich  aus 
freien  Stücken  zu  ihm  zurückkehrst.  „Also,"  erwidert  Ezzelin, 
„läfst  er  Tausende  untergehen  um  meines  Seelenheiles  willen. 
Was  ist  das  für  ein  Gott,  dem  ich  lieber  bin  als  Tausende 
anderer?"  „O  glaube  mir,"  sagt  Lucas,  „Saulus  war  dem 
Herrn  doppelt  lieb,  als  er  zu  sündigen  aufhörte;  und  gern 
längert  der  Heiland  dem  Menschen  das  Leben,  um  begangene 
Sünden  zu  bereuen."  Auf  Ezzelin  machen  solche  Argumente 
natürlich  wenig  Eindruck ;  er  ist  vielmehr  fest  überzeugt,  das 
AVerkzeug  der  Rache,  eine  Gottesgeifsel  zu  sein  und  als  solche 
dürfe  er  kein  Mitleid  kennen: 

Me  credo  mundo  scelera  ut  ulciscar  datum 
lUo  jubente. 

Er  vergleicht  sich  der  Sündflut,  der  Feuersbruust,  den 
Heuschrecken,  oder  auch  dem  Nebukadnezar,  Pharao,  Saul, 
Nero  und  der  „generosa  proles  Philippi  Macedonis".  Bruder 
Lucas  geht  unverrichteter  Dinge  ab. 


'  M.  d.  L.  mit  dem  Beinamen  Linguadevacca.  Enthauptet  wegen 
Teilnahme  an  einer  Verschwörung  1239.  Muss.ito  war  mit  dem  Hause  der 
Lermizzoni  verwandt  als  Schwiegersohn  des  Guiglieleno  üente  d.  L.,  vgl. 
uit'ine  oben  citlerte  Schrift  p.  3. 


über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis.  277 

Nun  kommt  ein  Bote,  der  nach  den  nötigen  Entschuldi- 
gungen die  Kunde  bringt,  dafd  von  einer  Schar  paduanischer 
Verbannter,  denen  sich  die  Venetianer,  die  Ferraresen  und  der 
Legat  des  Papstes  angeschlossen,  plötzHch  Padua  genommen 
sei.  Ezzelin  fährt  in  hellen  Zorn  auf  und  läfet  dem  Boten  zur 
Strafe  den  einen  Fufs  abhauen.  Die  Nachricht  von  der  Ein- 
nahme Paduas  bestätigt  jetzt  auch  der  hinzugekommene  Anse- 
disio,  dem  Padua  anvertraut  war.  Er  mufs  die  heftigsten 
Vorwürfe  hören,  dafs  er  mit  glattem  unversehrtem  Gesichte 
zurückkomme  und  die  Stadt  dem  Feinde  feig  überlassen  habe. 
Der  Tod  wird  ihm  dafür  bestimmt: 

secede  cui  non  pccna  sufficiat  necis. 

Nun  wendet  sich  Ezzelin  an  seine  Soldaten,  sie  auffordernd 
mit  ihm  nach  Padua  zu  ziehen,  die  Stadt  zu  überrumpeln.  Sie 
folgen  ihm  begeistert,  indem  sie  rufen : 

Fortuna  vires  ausibus  nostris  dabit. 

Noch  in  demselben  Akte  erfahren  wir  von  dem  Verlaufe 
des  Zusres  durch  den  nun  auftretenden  Chor,  der  also  aus 
seiner  bisherigen  Funktion  blofs  allgemeiner  Klage  und  Be- 
trachtung herausgeht.  Er  erzählt,  dafs  Ezzelin  plötzlich  vor 
Padua  erschienen  sei,  die  Stadt  umzingelt  habe;  aber  alle  Ver- 
suche mifslangen;  in  VV^ut  darüber  sei  der  Tyrann  nach  Verona 
geeilt  und  habe  dort  alle  paduanischen  Gefangenen,  die  er  ge- 
legentlich früherer  Züge  erbeutet,  11000  an  der  Zahl,  auf 
jammervolle  Weise  in  ihren  Kerkern  umbringen  lassen.  Schreck- 
lich sei  die  Klage  und  das  Elend  gewesen : 

NuUis  plaustra  vehunt  agnita  Corpora 
Non  natum  genetrix,  non  muHer  virum 
Agnovere  suos,  certave  funera. 
Communes  lacrymaa  desuper  omnibus. 
Desunt  pra^dia  tot  busta  recondere. 
Corrumpit  sanies  a^thera  desuper. 
Spectator  queritur  judicii  parum 
Dum  restat  Patavum  quofl  reparet  genus. 

Getröstet  über  seinen  Mifserfolg  eröffnet  Ezzelino  den 
vierten  Akt  mit  einem  kurzen  Monolog.  Auf  Padua  will  er 
zunächst  verzichten,  dem  schlägt  wohl  ein  andermal  noch  seine 
Stunde;   ganz  Lombardien    aber   von   den  gallischen  Pässen  an 


278  Über  Mussalos  Trngöilie  Eccerinis. 

seliiic  sich  unter  seinen  Waffen  zu  dienen!  Mit  dem  Mifserfolg 
scheint  sein  Mut  zu  wachsen,  finster  trotzig  bietet  er  ihm 
die  Stirn : 

Adversa  vires  fortibus  prajbet  viris 
Fortuna  viles  opprimit  pugnat  vigor 
Adversus  ejus  impetum. 

Zwischen  diesem  Monolog  und  der  sich  daran  schliefsenden 
zweiten  Scene  liegt  eine  lange  Zeit:  denn  diese  berichtet  schon 
Ezzelins  Mifsgeschick  und  Tod.  Jauchzend  kommt  ein  Bote 
auf  die  Bühne  gelaufen : 

Hnc  huc  venite  qulsquis  opfatum  velit 
Finem  malorum  scire  et  snmmo  datam 
Coelo  quietem  :  thure  placetis  Deum 
Juvenes,  senes,  viduae :  colite  festum  diern. 
In  vos  ab  alto  justus  respexit  Deus. 

Er  erzählt,  wie  Ezzelin,  überall  nun  selbst  getäuscht  von 
vermeintlichen  Freunden,  an  der  Adda  bei  Cassano  umzingelt 
wurde.  Einem  Wolfe  gleich,  der  nach  der  Mahlzeit  von  Hunden 
angegriffen  wird,  habe  er  mit  den  Zähnen  gefletscht ;  da  traf  ein 
Pfeil  seineu  linken  Fufs;  wie  ein  Rasender  jagt  er  sein  Pferd  in 
die  Feinde,  aber  diese  sind  in  der  Überzahl,  von  neuem  verwundet 
wird  er  gefangen  genommen.  Aber  trotzig  wie  in  der  Freiheit 
ist  er  auch  in  der  Gefangenschaft,  er  will  weder  einen  Arzt  für 
seine  Wunden,  noch  auch  Speise  und  Trank  aimehmen,  und  so 
stirbt  er  an  Hunger  und  Erschöpfung  einen  selbstgewählten  Tod. 

Nun  feiert  der  Chor  in  einer  sapphischen  Ode  von  grofsem 
sprachlichem  Wohlklang  die  Wiederkehr  des  Friedens  und 
widmet  Gott  den  gebührenden  Dank: 

Vota  solvamus  pan'ter  datori 
Digna  tantorum  juvenes  bonorum, 
Vos  senes  vos  et  trepidte  puellae 

Solvite  Vota. 
Venit  a  summo  pietas  Olympo 
Quaj  malis  finem  posuit  patratis 
Occidit  saevi  rabies  tyranni 

Paxque  revixit. 
Face  nunc  omnes  pariter  fruamur 
Omnis  et  tutus  revocetur  exul, 
Ad  lares  possit  proprios  reverti 

Face  potitus. 


L'ber  Mursatos  Tragödie  Ecoeiinis.  279 

Supplices  renes  feriant  habenis 
Ictibus  crebris  domitent  reatus, 
Annuat  votis  Deus  nt  petitis 
Virgine  natus. 

Die  einzige  Scene  des  fünften  Aktes  läfst  uns  durch 
einen  Boten  den  Untergang  Albericos  des  Bruders  erfahren. 
Auch  er  ist  geschlagen,  aber  entgegen  dem  tollverzweifelnd 
sich  wehrenden  Bruder  ist  er  mit  Weib  und  Kind  auf  das 
Kastell  San  Zeno  geflohen.  Treviso,  Vicenza,  Padua,  Azzo 
von  Este  und  die  übrigen  Herren  der  Mark  lao-ern  vor  dein- 
selben.  Der  Sturm  der  Belaj^erer  nicht  weniger  als  der  Auf- 
rühr,  der  in  der  Festung  selber  sich  gegen  den  nun  hilflosen 
Romano  erhebt,  ziehen  schnell  den  Fall  herbei.  Die  wilde 
Schar  der  Eroberer  dringt  ein.  Der  Säugling  wird  von  der 
Mutter  Brust  gerissen,  elend  zerstückelt  und  das  Blut  der  un- 
glücklichen Frau  ins  Gesicht  gespritzt.  Dem  kleinen  drei- 
jährigen Ezzelino  schneiden  sie  die  Kehle  ab  und  sein  Haupt 
mufs  auf  einer  Lanze  stecken;  ein  Soldknecht  zerreifst  die 
noch  zitternde  Leber  mit  den  Zähnen.  Dann  wird  die  Mutter 
selbst  gefesselt  in  den   Hof  geführt: 

Ecce  thalamo  rapta  de  summe  feris 
Abstracta  turbis  uxor  Albrici  venit 
Coelo  refusis  lumina  intendens  comis. 

Vor  ihren  Augen  werden  zunächst  ihre  fünf  Töchter  auf 
den  Scheiterhaufen  geführt :  als  die  Flammen  emporzüngeln 
und  das  blonde  Haar  der  Mädchen  sengen,  da  springen  sie 
entsetzt  hinab  und  suchen  Schutz  bei  der  Mutter.  Aber  nun 
werden  sie  ergriffen  und  samt  der  Mutter  auf  den  Holzstofs 
gelegt,  der  alsbald  in  helle  Flammen  aufgeht!  Alberich  hat 
das  alles  mit  ansehen  müssen;  keine  Veränderung  seiner  Mienen 
hat  man  bemerkt,  es  sei  denn  zu  einem  gleichgültigen  Hohn- 
lächeln. Bis  zuletzt  aufgespart  empfängt  nun  auch  er  den 
Tod :  die  Umstehenden  richten  ihre  A^'urfspeere  auf  ihn,  und 
von  einem  derselben  durchbohrt  erleidet  er  in  der  Tragödie 
einen  sanfteren  Tod,  als  ihn  die  Geschichte  berichtet.  Ein 
Schwertschlag  trennt  das  Haupt  vom  Rumpfe  und  die  Glieder 
werden  den  Hunden  vorgeworfen. 


280  Über  Mussatos  Tragödie  Eccerinis. 

Erschüttert  wendet  der  Chor  seine  Gedanken  ab  und  feiert 
die  überirdische  Gerechtigkeit,  die  in  dem  Geschicke  auch  der 
Romanos  gewaltet: 

Haec  perpetuo  dural  in  jbvo 
Regula  juris:  fidite  justi. 
Nee  si  quando  forsitan  ulhim 
Quemquam  nocuum  fors  extollat, 
Regula  fallit.     Consors  operum 
Meritum  sequitur  quisque  suoruni. 
Stat  judicii  conscius  asqui 
Judex  rigidus  judex  placidus 
Donat  justos  damnat  iniquos, 
Haud  hie  stabilis  desinit  ordo 
Petit  illecebras  virtus  supernas, 
Crimen  tenebras  expetit  imas 
Dura  licet  ergo  moniti  stabilem 
Discite  legem ! 

Man  sieht,  im  grofsen  und  fjanzen  sind  es  nur  die  that- 
sächlichen  Ereignisse,  wie  sie  uns  in  den  Chroniken  der  Mark 
begegnen  und  wie  sie  noch  in  der  mündlichen  Überlieferung 
leben  mochten,  die  uns  Mussato  vorführt.  Die  o-eringfüfriffen 
Abweichungen  von  dem  Geschichtlichen  resultieren  nicht  aus 
irgendwelchen  dramatischen  Rücksichten,  sondern  sind  entweder 
daraus  zu  erklären,  dafs  Mussato  selbst  die  vergröfsernden 
Gerüchte,  wie  sie  im  Volke  umgingen,  für  Wahrheit  hielt,  oder 
daraus,  dafs  er  der  Popularität  solcher  Gerüchte  nachgab ;  so 
z.  B.  ist  es,  wie  schon  erwähnt,  erweislich  falsch,  dafs  Ezzelin 
auf  die  Kunde  von  der  Einnahme  Paduas  11000  Emigrierte 
dieser  Stadt,  welche  in  Verona  und  den  umliegenden  Dörfern 
sich  aufhielten,  töten  liefs.  Merkwürdig  ist  in  diesem  Bezüge 
die  Unterredung  mit  Frater  Lucas  (Akt  III,  Sc.  2).  Es  ist 
beglaubigt,  dafs  Ezzelin,  als  er  Brescia  eingenommen  hatte 
(es  war  im  Februar  1259),  mit  dem  päpstlichen  Legaten  Philipp, 
Erzbischof  von  Ravenna,  der  in  seine  Gefano-enschaft  oeraten 
war,  ein  ähnliches  Gespräch  geführt  hat.  i  In  demselben  ist 
ebenfalls  die  Rede  von  der  göttlichen  Zulassung  der  Greuel, 
welche  allenthalben  geschahen ;  aber  es  erhält  dann  eine  andere 
Wendung   als   in    der  Tragödie:   Ezzelin    wirft   der  Kirche   die 

'  Kortüm  a.  a.  O.  118  f. 


über  Mussatos  Tragöilic  Ecccrinis.  281 

Greuel  vor,  welche  ihre  Beauftragten  gelegentlich  tler  Einnahme 
Pacluas  an  den  Bewohnern  der  Stadt  verübt  hatten,  und  fragt, 
wenn  die  Kirche  so  etwas  zulasse,  wie  könne  man  dann  über- 
haupt einem  Laien  in  ähnlichem  Falle  Vorwürfe  machen.  Der 
Legat  antwortet,  es  stehe  der  Kirche  freilich  dieses  Recht  zu, 
denn  sie  habe  die  Pflicht,  oft  gewarnte  halsstarrige  Abgewichene 
mit  blutiger  Strenge  zurückzuführen.  Dieses  Gespräch  scheint 
mir  dem  Mussato  vorgeschwebt  zu  haben ;  es  nimmt  zwar 
einen  anderen  Gang,  aber  das  Gemeinschaftliche  und  psycho- 
logisch Interessante  ist  in  beiden  der  Umstand,  dafs  Ezzelin, 
der  entmenschte  Tyrann,  über  die  Stellung  Gottes  zur  Willens- 
freiheit des  Menschen  spekuliert. 

Die  eigentümlichen  Züge  des  Charakters  sind  dem  Ezzelin 
in  der  Tragödie  gemein  mit  dem  historischen.  Der  heifse 
Blutdurst  ist  gemischt  mit  einer  ganz  und  gar  abergläubischen 
Schwärmerei ;  zahlreiche  Beweise  dafür  überliefert  die  Ge- 
schichte: einen  ganzen  Hof  von  Astrologen  und  Wahrsagern 
führte  Ezzelin  mit  sich :  neben  einem  langbärtigen  Sarazenen 
Paul  von  Bagdad  befand  sich  auch  Guido  Bonatto  unter  ihnen;' 
seine  Handlungen  pflegte  er  meist  nach  den  Ratschlägen  dieser 
Leute  einzurichten.  Auf  Träume  gab  er  unendlich  viel,  seine 
Todesstätte  Soncino  sah  er  in  einem  seltsamen  Gesichte  schon 
1259,-  und  auch  was  seine  Verwandten,  besonders  die  Mutter, 
träumten,  hatte  einen  oft  entscheidenden  Einflufs  auf  seine 
Entschlüsse.  Mussato  unterläfst  es  nicht,  solche  Züge  zu  ver- 
werten. Als  er  bei  Cassano  verwundet  wird,  ruft  er  einer 
mütterlichen  Prophezeiung  gedenkend: 

Heu!    Cassam  Assam  Bassam!  hie  letiini  mihi 
Fatale  dixti  niater,  hie  finem  fore! 

Die  Gewifsheit  seines  Todes  ist  ihm  infolgedessen  eine  so 
unerschütterliche  Überzeugung,  dafs  er  jeden  Versuch  sich  zu 
retten  verschmäht,  ja  Speise  und  Trank  zurückweist.  So  ist 
sein  Ende  wie  sein  Anfang  begleitet  von  einem  Ausbruch  fin- 
steren fatalistischen  Aberglaubens  ;  dem  numen  infernum  ist  sein 
Leben    und    sein  Tod,    nach  Auffassung  des  Dichters,    geweiht. 


»  Burckhardt  a.  a.  O.  II,  280. 
2  Kortüm  p.   119. 


282  Über  Mussatos  Tiagüdic  Ecocrinis. 

AN'as  (las  Vorbild  angeht,  dem  Mussato  folgte,  so  brauch- 
ten wir  nicht  noch  seine  eigenen  Versicherungen,  um  zu  wissen, 
dafs  es  Seneca  war.  Er  hat  sich  über  sein  Verhältnis  zu  dem 
römischen  Tragöden  an  mehreren  Stellen  seiner  Gedichte,  be- 
sonders in  der  ersten  Epistel,  geäufsert.  Gern  und  eifrig  hat 
er  sich  dem  Studium  desselben  gewidmet,'  ja,  und  das  ist  sehr 
bedeutsam,  aus  der  Beschäftigung  mit  Seneca  erwuchs  ihm  eine 
gewisse  Sehnsucht  nach  den  Vorbildern  desselben,  bes^onders 
nach  Sophokles, 2  eine  dunkle  Ahnung,  dafs  über  den  römischen 
Nachahmer  hinaus  die  wertvollere  Welt  des  Griechentums  lieot. 
Mussato  kannte  von  Seneca  nach  der  obigen  Epistel:  Hercules 
Q^tffius,  Hercules  furens,  Ti-oades,  Agamemnon,  Phädra,  Odipus, 
Octavia  (die  er  natüilich  noch  dem  Seneca  zuschreibt),  Thyestes, 
Mcdea.  Er  war  wohl  der  erste  Schriftsteller  des  gesamten 
Mittelalters,  der  die  lateinische  Tragödie  nachahmte, ^  und  wäh- 
rend die  nachher  auftretenden  italienischen  Trauerspieldichter 
diese  Beschäftigung  noch  nicht  als  recht  würdig  ansehen,  ja 
vielfach  als  „Jugendsünde"  bereuen,  ist  Mussato  auf  keins 
seiner  Werke  so  stolz  als  auf  die  Eccerinis;  er  sieht  in  ihr 
die  eigentliche  Begründerin  seines  litterarischen  Rufes,  was  sie 
nach  dem  oben  Gesao;ten  allerdinsfs  war.  Aber  man  verhehle 
sich  dabei  nicht,  dafs  es  doch  hauptsächlich  der  Stoff  ist,  der 
dem  Stücke  diese  Bedeutung  verschaffte;  es  will  doch  wohl 
etwas  sasren,  dafs  gleich  die  erste  lateinische  Tragödie  der  an- 
gehenden  Wiederbelebung  ihren  Inhalt  aus  der  nationalen  Ge- 
schichte bekam;  nur  einen  Nachfolger  hat  Mussato  darin  ge- 
funden, Giovanni  Mazzini,  der  den  Sturz  der  della  Scala  gegen 
Ende  des  14.  Jahrhunderts  behandelte/'  Sehr  bald  hielt  der 
alles  beherrschende  Humanismus  solche  Stoffe  nicht  mehr  für 
angemessen,  und  wo  überhaupt  die  Form  der  Tragödie  einmal 
in  Anwendung  kommt,  da  finden  wir  Stoffe  aus  der  alten 
Sage,  wie  in  der  „Achilleis"  des  Loschi,  der  „Prokne"  des 
Gregorio  Corraro,  oder  aus  der  alten  Geschichte,  wie  in  Lio- 
nardo  Datis  „Hiempsal"."^ 

1  GraBvius  thes.  antt.  Ital.  VI,  2.    Alb.  Mussati  poemata  etc.  col.  35  E.  F. 

2  A.  a.  O.  col.  36  C.   —  ■■'  Voigt  a.  a.  O.  II,  408  fl". 

■*  Voigt  p.  409,  wo  auf  die  Erwähnung  dieser  Tragödie  bei  Scliio  vita 
di  Antonio  Losohi  p.  29  verwiesen  wird. 
'=>  Alles  nach  Voigt  p.  410. 


über  Mussatos  Tragödio  Ecccrinis.  283 

Durcli  den  Stoff  war  dem  Mussato  schon  eine  ganz  kom- 
pilatorische  Nachahmung  des  Seneca  abgeschnitten;  wir  finden 
eine  gewisse  Freiheit  in  der  Handhabung  der  Sprache,  ein 
Streben  nach  Kongruenz  zwischen  Form  und  InhaU,  dem  nicht 
durch  ein  mosaikartiges  Aueschreiben  des  Vorbikics  Genüge 
geschehen  konnte.  Ich  teile  eine  Stelle  mit,  die  charakteristisch 
ist  für  die  Art  der  Anlehnung: 

M  u  s  s.  Eccer.  Akt  I.  Adelheid  : 

—  arx  in  excelso  sedet 
Antiqua  colle,  longa  Romaniim  vocat 
iEtas,  in  altuni  porrigiuit  (ectuni  trabes 
Premilque  turrim  contigua  ad  Austrum  donius 
Ventorum  et  omnis  cladis  a^ria?  capax. 

Senec.  Thyest.  Akt  IV.  Nuntius: 

In  arce  summa  .Pelopeia3  pars  est  domus 
Conversa  ad  austros;  cujus  extremum  latus 
^Equale  monti  crescit  atque  urbem  premit. 

Die  Chöre  halten  eich  durchaus  in  den  Versujafsen  des 
Seneca;  das  Schlufslied  stimmt  in  Metrum  und  Verszahl  mit 
dem  im  Hercules  (Etasus  überein ;  JNIussato  muTs  diesen  Chor 
vor  sich  gehabt  haben,  zumal  derselbe  überhaupt  den  einzigen 
Fall  darstellt,  y\o  bei  Seneca  ein  fünftes  Standlied  des  Chores 
vorkommt. 

Die  Sprache  Mussatos  ist  stellenweis,  wie  aus  dem  oben 
Mitgeteilten  ersichtlich,  nicht  ohne  Kraft,  und  eine  gewisse 
Würde  läfst  sich  dem  Ausdruck  nicht  absprechen ;  indes  haftet 
doch  an  dem  bewufsten  Streben  nach  Reinheit  mancher  Schatten: 
focus  gebraucht  er  in  dem  italienischen  Sinne  von  fuoco,  porri- 
gere  ist  intransitiv  wie  ital.  sporgere  (I,  1),  tonus  gebraucht 
er  wie  ital.  tuono  (I,  1),  interire  für  interiraere  (III,  2).  Am 
schwersten  ist  ihm  der  Kampf  mit  dem  Metrum  geworden; 
weder  die  jambischen  Senare  des  Dialogs,  noch  die  Metra  der 
Chöre  sind  frei  von  gewaltsamen  Verrenkungen,  wie  wir  sie 
doch  in  den  ungleich  besseren  Hexametern  der  Episteln  und 
Elegien  nicht  finden.  Akt  III,  Scene  4  im  Schlufschor  findet 
eich  z.  B.  unter  asklepiadischen  Versen   auch  der: 

Convitiatur,  arguit,  vituperat, 


2S4  Über  Mussatos  Tragödie  Ecceriiiis. 

den  Nicolö  Villani,  dcseen  bei  Gra^vius  wieder  abgedruckter 
Koinmentfir  besonders  die  metrische  Seite  berücksichtigt, 
„afisTQov  atque  Musis  dormientibus  confictum"  nennt. 

Doch  genug  davon.  Ich  füge  diesen  flüchtiijen  Bemer- 
kungen  noch  zwei  Notizen  an.  Die  eine  über  die  Handschriften. 
Der  Text  der  P^ccerinis  ist  sehr  entstellt,  was  wir  besonders 
bei  der  Beurteilung  der  Verse  nicht  aus  dem  Auge  lassen 
dürfen.  Sämtliche  Lesarten  findet  man  nur  in  der  Ausgabe 
bei  Muratori  X,  col.  787 — 800.  Feiice  Opio  hatte  zu  der  in 
der  Pinellischen  Druckerei  erschienenen  ersten  Ausgabe,  Venedig 
1636,  vier  Handschriften  kollationiert,  eine  venetianische  vom 
J.  1378  (V),  drei  paduanische:  1)  aus  der  Bibliothek  des 
Antonio  Mussato  (M),  2)  eine  dem  Abte  Albertino  Barisone 
(P),  3)  eine  dem  Lorenzo  Piguorio  gehörende  (Pigu.).  Zu  diesen 
hat  Muratori  noch  zwei  andere  aus  der  Ambrosiana  verglichen, 
von  denen  nach  seiner  Meinung  die  eine  (A moros.  I)  der  Zeit 
des  Autors  sehr  nahe  steht,  die  andere  (Arabros.  II)  aus  dem 
Anfange  des  15.  Jahrhunderts  stammt.  Die  Abweichungen  der 
letzteren  hat  Grajvius  (1722)  noch  nicht  mitgeteilt,  da  Muratoris 
Band  X  erst  1727  erschien. 

Bei  der  hohen  Meinunof,  welche  die  Italiener  neuerdings 
von  der  litterarhistorischen  Bedeutung  des  Mussato  haben,  ist 
es  erklärlich,  dafs  man  versuchte,  die  Eccerinis  in  italienischem 
Gewand  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  machen.  Dieser  Aufgabe 
hat  sich  unterzosfen  Lui^i  Mercantini;'  soweit  ich  aus  den  von 
Cappelletti  a.  a.  O.  mitgeteilten  reichlichen  Proben  ersehe,  ist 
es  keine  eigentliche  Übersetzung,  sondern  eine  Nachbildung  mit 
modernen  Rhythmen  und  sogar  mit  Keduzierung  der  mytho- 
logischen Beziehungen  auf  ein  den  Heutigen  bequemeres  Mnf?. 
Leider  ist  es  mir  bisher  nicht  gelungen,  in  den  Besitz  dieses 
Büchleins  zu  kommen,  da  im  italienischen  Buchhandel  die 
Exemplare  vergriffen  sind. 


'  L'Ezzelino,    tragodia  latina  di  Albertino  Mussato  da   Padova,  tradotta 
da  Luigi  Mercantini.     Palermo,  nella  tipogratia  d'Ignazio  Mirto.     1868. 


Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Schubarth. 


Weun  sich  die  nachfolgenden  Zeilen  die  Aufgabe  stellen, 
eine  Seite  aus  des  Dichters  Wirken  hervorzuheben  und  ein- 
gehender zu  charakterisieren,  so  ist  sich  der  Schreiber  wohl 
bewufst,  dafs  gerade  diese  Art  von  poetischem  Schaffen  bei 
Schubarth  einen  wenig  erquicklichen  und  erfreulichen  Anblick 
bietet.  Denn  um  den  geistlichen  und  religiösen  Gedichten  Schu- 
barths  in  einem  billigen  Urteil  gerecht  zu  werden,  mufs  vor 
allem  die  Wahrheit  und  Tiefe  von  des  Dichters  eigenstem  reli- 
giösen Denken  und  Empfinden  geprüft  werden,  und  Schubarth, 
der  nach  D.  F.  Strauls  als  „Held  des  moralischen  Katzen- 
jammers"' am  treffendsten  charakterisiert  ist,  bietet  hierfür  durch 
mehr  als  einen  Ausspruch  die  deutlichsten  Fingerzeige.  Inwie- 
weit an  der  moralischen  Haltlosigkeit,  und  an  der  Oberflächlich- 
keit gerade  solcher  Gefühle  wie  der  religiösen,  etwa  auch  seine 
Erziehuuo-  Schuld  getragen  haben  möchte,  läfst  sich  nur  schwer 
feststellen,  wenn  man  nicht  die  frühzeitige  Entfernung  des  Kna- 
ben aus  der  Heimat  hauptsächlich  in  Betracht  ziehen  will.  Denn 
so  wenig  wahr,  d.  h.  in  einer  grofsen  Selbsttäuschung  befangen, 
in  seiner  Selbstbiographie  der  Dichter  gerade  da  ist,  wo  er  von 
seiner  religiösen  Bekehrung  und  Wandlung  redet,  ebenso  ehr- 
lich und  unumwunden  spricht  er  von  der  Zeit  seiner  Fehler  und 
seiner  Irrungen,  und  wenn  es  auch  einem  gerechten  Urteil  wohl 
zu  bedenken  ansteht,  dafs  diese  Unwahrheit  bei  Schubarth  viel 
weniger  eine  natürliche  als  eine  durch  allbekannte  Verhältnisse 
und  Personen  aufgezwungene  war,  so  läfst  sich  hierdurch  doch 
nicht  der  Gedanke  aus  dem  Wege  räiunen,  dafs  bei  einem  auch 


L>8Ü  Zur  Cliivraktcristik  von  C.  F.  D.  Schubarth. 

nur  einiffermaföen  charakterfesten  und  gesinnungstüchtigen  Mann 
eine  solche  Schule  der  Leiden,  wie  sie  Schubarth  durchzumachen 
hatte,  gerade  für  das  religiöse  Denken  und  Empfinden  einen 
viel  dauernderen  und  nachhaltigeren  Einfluis  hätte  haben  müssen. 
Es  ist  ein  nur  ehrendes  Zeugnis  für  den  Sohn  des  Dichters, 
wenn  dieser  in  einem  Nachtra";  zu  seines  Vaters  Selbstbiogra- 
phie  sich  bemüht,  den  Verstorbenen  nach  dieser  Seite  hin  zu 
rechtfertigen:  „Es  hat  mich  immer  gewundert,  dafs  man  den 
Übergang  vom  Naturalismus  zum  Mysticismus  bei  einem  Manne 
so  inkonsequent  finden  konnte,  der  schon  in  seinen  frühesten 
Schriften,  z.  B.  seinen  Todesgesängen,  und  sogar  in  den  älteren 
Jahrgänu^en  seiner  Chronik  einen  so  entschiedenen  Hano^  zum 
Mystischen,  zum  Exaltierten  und  Übernatürlichen  verriet.  Man 
denke  sich  nun  diesen  Mann,  mitten  aus  den  Strudeln  eine« 
dithyrambischen  Lebens  in  eine  tote,  geschöpflose  Einsamkeit 
versetzt,  wo  er  nichts  als  Trümmer  der  Vergangenheit  vor  sich 
hat ;  man  reiche  ihm  im  quälendsten  Durste  nach  Thätigkeit  die 
heiligen  Bücher,  die  Schriften  eines  Jakob  Böhme,  eines  Hahn, 
Otinger,  Hollatz,  man  denke  sich  diese  geistlichen  Übungen  bei 
kärglicher  Kost  und  hartem  Lager  mehrere  Jahre  fortgesetzt : 
was  ist  natürlicher,  als  dafs  ein  solcher  Mann  seine  Bahn  ver- 
lieren, alle  vorhergehenden  Überzeugungen  verwerfen  und  sich 
ganz  einer  Lehre  hingeben  wird,  bei  der  die  hervorstechendsten 
Kräfte  seiner  Seele  so  viel  Beschäftigung  finden,  die  seinem 
dichterischen  Hange  eine  so  weite  Bahn  öffnet,  in  der  er  end- 
lich allein  Beruhiguno^  und  Trost  im  Tode  zu  finden  hoflft." 
Aber  wir  können  aus  dieser  ganzen  Rechtfertigung  nur  den 
Hang  zum  Exaltierten,  zum  Überspringen  von  einem  Extrem 
ins  andere  gelten  lassen,  und  müssen  uns  auch  hier  an  Schu- 
barths  eigene  Worte  halten,  da  er  bei  Gelegenheit  seiner  An- 
stellung in  Ludwigsburg  sich  „nach  seinen  jetzigen  Grundsätzen" 
vornimmt,  zwischen  dem  geistlichen  und  weltlichen  Stand  zu 
balancieren,  „damit  mir  der  Übergang  entweder  zur  Rechten 
oder  zur  Linken  gleich  leicht  bleibe".  Wenn  er  in  dem  Zu- 
sammenhang, in  dem  er  dieses  schreibt,  zunächst  auch  nur  an 
die  Wahl  einer  passenden  Kleidung  dachte,  so  ist  der  Schlufs 
auf  die  Harmonie  des  äufseren  Menschen  mit  dem  inneren  hier 
doch  ein  durchaus  richtiger   und    treffender.     Denn  hierfür   darf 


Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Schubarth.  287 

sein  Leben  In  Ludwigsburg   als  der  schlagendste  Beweis  ange- 
führt werden,    und  wenn  im  Anfang  auch  noch    da  und  dort  in 
seinen  Briefen   ein   frommer  Entschlufs,    eine    religiöse  Empfin- 
dung  sich  oeltend  macht,  die  freilich  zugleich  immer  einem  mehr 
oder    minder    bewufsten    Selbstbetrug    gleichkam,    so    hatte    das 
dortige  Leben  den  haltlosen  Mann  doch  bald  so  ganz  umgarnt, 
dafs  das  Ende  davon  nur  ein  vollständiger  Bankerott  sein  konnte, 
üafs  dieser  in  dem  nunmehr  auf  den  Ludwigsburger  Aufenthalt 
folgenden    Wanderleben    seinen     ärgerlichen    und     anwidernden 
Ausdruck    in  dem  Entschlüsse  Schubarths  fand,    um    einer  sor- 
oenlosen    Existenz    willen,    zunächst    aber    auch    nur    für    seine 
eigene  Person,    seinen  Glauben  durch  den  Übertritt    zur  katho- 
lischen  Kirche  zu  ändern,   wirft,  selbst  wenn  man  Schubarth  in 
jedem    seiner   Worte,    die    den   ganzen  Vorgang    in    einer    soviel 
wie  möfflich  entschuldigenden  Weise    darzustellen    bemüht  sind, 
Glauben    schenken    wollte,    doch    immerhin    ein    ganz   eigentüm- 
liches   Licht    auf   seinen    Charakter.     Man    braucht    keineswegs 
von   vornherein    mit    einem  Vorurteil    an    seine    Beurteilung    zu 
gehen,  um  am  Ende  an  der  Redlichkeit  seiner  Schilderungen  zu 
zweifeln,  und  wenn  man  auch  durchaus  nicht  gesonnen  ist,  den 
Dichter    und    Schriftsteller    um    des    Menschen    willen    zu    ver- 
urteilen,   so   kann    man    sich   doch  gerade    bei   dem   Lesen   der 
geistlichen   und    religiösen  Lieder   eines    peinlichen  Gefühls,    als 
ob  man  einen  gewandten  Schauspieler  in  der  Maske  eines  „em- 
pfindenden Christen"  vor  sich  hätte,  nicht  erwehren.   Unbeschadet 
der  Ansicht  Schubarths,  dafs  er  wirklich  Anlage  zum  geistlichen 
Redner,  und  wie  wir  trotz  allem  hinzusetzen  dürfen,  auch  geist- 
lichen Dichter  hatte,    ist  darum  seine  Selbstkritik,    dafs  er  „ein 
süfser  Schwätzer   gewesen    sei,    der    zwar   die  Einbildungskraft 
seiner    Zuhörer    zu    erschüttern    wufste,    aber    niemals    bleibende 
Überzeusuns:  zurückliefs",  eine  nur  zu  treffende.  Was  aber  seiner 
Entwickeluug  nach  dieser  Seite   hin    hemmend    im  Wege  stand, 
war   nicht   allein    seine    oberflächliche    und    exaltierte  Natur,    die 
über   dem   Prunken    und    Glänzen    mit    Worten   und    gewaltigen 
Phrasen  die  innere  Wahrheit  und  den  tief  sittlichen  Kern   voll- 
ständig hintansetzte,    es  war  namentlich    auch  seine    ihm  gewifs 
zur  Ehre  gereichende,   aber    eben  hier    auch    nur  äul'serlich    auf 
ihn    einwirkende    Begeisterung    für    Klopstock.      Denn    wenn    es 


•288  Zur  Chaniktcristik  von  C,  F.  D.  Schubarth. 

ihm  auch  vermöge  seiner  natürlichen  Formgewandtheit  und 
Leichtigkeit  im  poetischen  Schaffen  gelang,  den  Charakter  der 
Kiopstockschen  Poesie  mit  Glück  nachzuahmen,  eo  fehlte  ihm 
auf  der  anderen  Seite  doch  wiederum  die  weise  Mäfsigung  und 
das  tief  innen  heraus  quellende  religiöse  Denken  und  Empfin- 
den, das  eben  Klopstock  zum  Dichter  machte.  Er  verzerrte 
dessen  Poesie  ins  Ungeheuerliche,  und  während  wir  auch  hinter 
mancher  Schwäche,  hinter  manchem  gar  zu  auffällig  nach  Ori- 
ginalität haschenden  Gedanken  und  Satz  bei  Klopstock  doch 
immer  noch  den  wackeren,  sich  der  Redlichkeit  seines  Strebens 
voUbewufsten  und  gesinnungstüchtigen  Mann  erblicken,  sehen 
wir  uns  dagegen  bei  Schubarth  auch  in  dieser  Beziehung  auf 
Schwankungen  und  Schwächen  angewiesen,  die  nicht  ohne  Rück- 
wirkung auf  die  Beurteilung  seiner  poetischen  Produkte  bleiben 
konnten.  Es  steckte  in  Schubarth  ganz  gewifs  ein  Kern,  wie 
überhaupt  zum  echten  volkstümlichen  Dichter  und  Schriftsteller, 
so  auch  zu  einer  erfolgreichen  und  fruchtbaren  Thätiffkeit  auf 
dem  Gebiete  der  religiösen  Poesie;  wenigstens  darf  von  der 
Natürlichkeit  und  Unmittelbarkeit  seiner  meisten  lyrischen  Ge- 
dichte auf  ein  bei  einigermafsen  geübter  Selbstbeherrschung  und 
Vertiefung  gleichartiges  Können  nach  dieser  Seite  hin  geschlossen 
werden;  ja  es  finden  sich  unter  seinen  geistlichen  Liedern  einige, 
die,  in  glücklicher  Stunde  entstanden,  den  schönsten  Beweis  für 
des  Dichters  Begabung  hierzu  bieten.  Aber  diese  sind  eben 
auch  nur  Ausnahmen,  und  nicht  einmal  als  solche  im  stände, 
das  oben  ausgesprochene  Urteil  zu  alterieren.  Denn  wer  auch 
nicht  einmal  auf  seinen  Charakter  und  seine  natürlichen  Anlagen 
eingehen  wollte,  müfste  sich  schon  durch  den  einfachen  und 
thatsächlichen  Vergleich  der  drei  Perioden  in  Schubarths  Leben, 
der  Zeit  vor  seiner  Gefangenschaft,  der  Kerkerhaft,  die  zugleich 
die  religiöse  Periode  bei  ihm  bildet,  und  den  Rest  seines  Lebens 
hernach,  zu  einem  gerade  für  diese  mittlere  Periode  und  ihre 
Glaubwürdigkeit  nicht  durchaus  günstigen  Urteile  veranlafnt 
sehen.  Es  will  ja  damit  keineswegs  gesagt  sein,  dafs  es  dem 
Manne  im  Augenblicke  des  Entstehens  und  Festhaltens  von 
solchen  religiösen  Gedanken  und  Empfindungen  mit  diesen  nicht 
durchaus  ernst  gewesen  sei ;  aber  dieser  Ernst  verliert  eben 
sogleich    seinen   ganzen   Wert,    wenn   man    in    Erwägung    zieht, 


Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Scbubarth.  289 

(lafs  derselbe  auch  nur  durch  die  engen  Schranken  des  Kerkers 
zusammengehalten  wurde  und  sich,  sobald  einmal  diese  gefallen 
waren,  auch  sogleich  wieder  vollständig  verflüchtigte.  Schubarth 
selbst  mochte  wohl  am  deutlichsten  fühlen,  dafs  ihm  gerade  für 
das  echte  religiöse  Denken  und  Empfinden  das  Organ  vollstän- 
dig fehlte,  allein  wenn  wir  von  beinem  Sohne  berichtet  hören, 
dafs  einer  der  Hauptzüge  in  seines  Vaters  Charakter  „Heife- 
hunger  nach  Celebrität"  gewesen  sei,  so  liegt  die  Annahme 
nicht  fern,  dafs  Schubarth  sich  gerade  zu  denjenigen  seiner 
geistlichen  Lieder,  die  ihre  Entstehung  der  Gefangenschaft  ver- 
danken, durch  den  Gedanken  habe  veranlafst  gesehen,  dafs  die 
Welt  und  das  Publikum,  das  besfreiflicherweise  an  der  gänzlich 
unmotivierten  Haft  des  Dichters  lebhaften  Anteil  nahm,  auch 
etwas  von  der  Einwirkung  derselben  auf  Schubarth  erfahren 
wollte.  Wenn  er  sich  dann  in  der  Kundeebung  einer  solchen 
zum  tief  zerknirschten  Sünder  und  demütiu;  aufrichtigen  Christen 
stempelte,  so  war  dies  ja  nur  im  Sinne  seines  gnädigen  Fürsten 
und  seiner  hochgeborenen  Gefängniswärter,  mit  denen  Schubarth 
in  dieser  Beziehung  ebenso  wie  mit  sich  selbst  eine  unwürdige 
Komödie  spielte.  Denn  abstofsend  ist  die  Beobachtung,  dafs 
Schubarth,  der  das  eine  Mal  den  fürstlichen  Tyrannen  mit  Flü- 
chen belud,  der  das  ganze  Rüstzeug  seines  Spottes  und  seiner 
Satire,  seines  Grimmes  und  Wütens  gegen  seine  Peiniger  und 
Hüter  mit  voller  Wucht  gebrauchte,  doch  nicht  allein  während 
seiner  Gefangenschaft,  wo  noch  einigermafsen  der  Zwang  ent- 
schuldigen konnte,  sondern  auch  nachher  sich  jederzeit  zu  den 
niedrigsten  Schmeicheleien  dem  Herzog  gegenüber  gebrauchen 
liefs,  und  es  ist  nur  natürlich,  dafs  er,  der  einmal  um  eines 
lediglich  materiellen  Gewinnes  willen  in  München  hatte  seine 
Religion  ändern  wollen,  nun  auch  zur  Erlangung  der  Freiheit 
die  Maske  der  Religion  und  des  Christen  vorhielt,  und  später, 
um  sich  ein  sorgenloses  Leben  im  Schutze  fürstlicher  Gnade 
zu  sichern,  dieselbe  als  nutzlos  nach  erreichtem  Zwecke  ablegte, 
um  nun  dagegen  als  zahmer,  ergebener  und  schmeichelnder 
Fürstendiener  aufzutreten.  Dies  bei  einem  Mann  wie  Schubarth, 
dem  die  Freiheit  über  alles  ging,  der  selbst  in  seinen  geist- 
lichen Gedichten  es  aussprach:  Nur  Freiheit  macht  die  Seele 
weit,  und  Knechtschaft  macht  sie  eng. 

Archiv  f.  ii.  Sprachen.    LXXI.  19 


290  Zur  Charakteristik  von  C.  F.  ü.  Schubarth. 

Das  verneinende  und  absprechende  Urteil,  das  nach  dem 
obigen  seinen  geistlichen  Liedern  zukommt,  darf  teilweise  ge- 
mildert werden  mit  Beziehung  auf  die  während  des  Aufent- 
haltes in  Geifslingen  entstandenen  „Totengesänge".  Denn  hier  lag 
wenigstens  nicht  die  trockene  Absichtlichkeit,  das  nackte  Zweck- 
bewufstsein  so  auffallend  vor  Augen  wie  in  den  später  ent- 
standenen geistlichen  Gedichten.  Die  „Totengesänge",  die  ihr 
Entstehen  teilweise  einer  schweren  Erkrankung  des  Dichters, 
teilweise  seiner  amtlichen  Thätigkeit  in  Geifslingen  verdankten, 
sind  gerade  durch  den  Hinweis  auf  bestimmte  Gelegenheiten, 
und  demnach  als  Gelegenheitsgedichte  im  Goetheschen  Sinn, 
ungleich  wahrer  und  aufrichtiger  als  die  übrigen  geistlichen 
Gedichte.  Freilich  findet  man  bei  ihnen  Schubarths  Bericht,  nach 
dem  er  sie  mit  seiner  „gewöhnlichen  leidigen  Eilfertigkeit"  ver- 
fertigte, vollständig  bestätigt.  Wenn  er  seinem  Leser  die  Be- 
obachtung  mitteilt,  „dafs  es  nicht  so  leicht  sei,  ein  geistliches 
Lied  zu  machen,  selbst  die  wenigen  Muster,  die  wir  haben,  be- 
zeugen es,  Luther  und  Klopstock  (von  dem  er  freilich  ein 
andermal  sagt,  dafs  seine  geistlichen  Lieder  kaum  mittelmafeig 
sind)  haben  kaum  ein  paar  Nachfolger  gefunden",  wenn  er 
daraus  für  sich  selbst  die  Nutzanwendung  zieht,  dafs  seinen 
Todesgesängen  zwei  Eigenschaften  fehlen,  Einfalt  und  Salbung, 
so  ist  es  bei  ihm  merkwürdig,  dafs  er  nach  Aussjjrüchen  bei 
andei'er  Gelegenheit  wohl  die  Ansprüche  an  die  geistliche  und 
religiöse  Poesie  kennt,  aber  nicht  im  stände  ist,  denselben  in 
seinem  Dichten  zu  entsprechen.  So  einmal,  wenn  er  dunkel 
den  Unterschied  empfindet  zwischen  Salbung  und  Naturkraft, 
zwischen  dem  eiutältigen  Gebet  des  Christen  und  den  Figuren 
und  Tropen  des  Redners  und  Dichters,  und  ein  andermal  in 
geradezu  auffallender  Weise,  wenn  er  seinen  geistlichen  Ge- 
dichten als  jNIotto  einen  Ausspruch  Otingers  voransetzt:  „Die 
Galanterie  breitet  sich  sogar  auch  in  die  Lieder  aus.  Es  ist 
aber  besser,  in  heiligen  Sachen  zu  wenig  als  zu  viel  zu  reden, 
besser  trocken  als  ausschweifend  sein ;  es  hat  zwar  seinen 
Nutzen,  das  Christentum  durch  Lieder  angenehm  zu  machen, 
aber  ihr  Schmuck  mufs  sein:  Kürze,  Reinigkeit  der  Lehre, 
Geisteskraft,  Einfalt."  Freilich  weifs  Schubarth  nicht 
allein  von  seinen  ToJesgesängen  zu  berichten,  dafs  sie,  obgleich 


Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Scbubarth.  291 

in  brausender  Jugend  niedergeschrieben,  so  dafs  „die  frommen 
Empfindungen,  die  sanften  himmelahnenden  Christengefühle 
unter  einer  Lava  poetischer  Floskeln  nicht  selten  erstickten", 
nicht  ohne  Erfolg  und  Segen  geblieben  seien,  auch  von  seinen 
übrigen  geistlichen  Gedichten  vernehmen  wir,  dafs  sie  teilweise 
zur  süfsesten  Belohnung  des  Dichters  in  unsere  neueren  Ge- 
sangbücher aufgenommen  wurden,  während  andere  dem  „ortho- 
doxen Alt-Chrieten  noch  täglich  Erbauung  und  Seelenkraft  ge- 
währen". 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dafs  manchem  der  geistlichen  Ge- 
dichte von  Schubarth  ein  echt  poetischer  Gedanke  zu  Grunde 
liegt,  und  ebenso,  dafs  der  Dichter  oft  einen  erfreuenden  und 
erquickenden  Ansatz  zur  poetischen  Ausführung  desselben 
nimmt.  Allein  ihm  fehlt  die  Strenge  gegen  sich  selbst,  der 
scharfe  Blick  für  die  Grenze  eines  solchen  Gedankens,  die  Ab- 
rundung  nach  innen  und  aufsen,  eine  Schwäche,  die  sich  eben 
immer  wieder  auf  den  Mangel  an  einem  fruchtbaren  Boden  für 
die  Entvvickelung  eines  solchen  Gedankens  in  der  Seele  des 
Dichters  zurückführen  läfst.  Es  sind  eben  nur  plötzliche  Ge- 
danken, die  aber  der  Dichter  hartnäckig  festhält  und  so  lange 
ausspinnt,  ausdehnt  und  ausnützt,  bis  auch  der  letzte  Funke 
von  Poesie  verflogen,  bis  die  nackte  Prosa  hervorsieht  und  das 
Ganze  in  einem  unleidlichen  doktrinären  und  rationalistischen 
Tone  ausklingt.  Einer  der  besten  Beleg-e  hierfür  ist  das  Ge- 
dicht  „Die  Christnacht",  das  einem  gewifs  tief  und  durch  und 
durch  poetischen  Gedanken  Gewalt  anthut,  und  denselben,  der 
in  kurzer  gedrängter  epigrammatischer  ^Veise  seinen  schönsten 
und  ergreifendsten  Ausdruck  finden  könnte,  in  geradezu  wehe- 
thuender  Weise  ins  Breite  schlägt.  Es  könnte  unter  Schubarths 
geistlichen  Gedichten  eine  ganze  Reihe  genannt  werden,  denen 
das  geistliche  Gewand  nur  übel  steht,  deren  Gedanken  und 
Stimmungen  in  einem  weltlichen  Kleide  einen  behaglicheren, 
harmonischeren  und  wahreren  Ausdruck  fänden  als  in  der 
Zwangsjacke  des  geistlichen  Büfsers  und  zerknirschten  reumüti- 
gen Gefangenen.  Daher  auch  gar  manchesmal  die  nackteste 
Prosa,  wo  der  Dichter  „im  Forellenbache  Gott  sieht",  oder  wo 
er  bekennt,  dafs  „zu  Gefühlen  der  Schönheit  und  Gröfse"  sein 
Herz  immer  geöfi^'net  gewesen  sei,  daher  ein  aligeschmacktes  Bild: 


'292  Zur  Charakteristik  von  C.  F.  D.  Sclmbarth. 

Wie  der  geritzten  Birke  Saft 

Flossen  unsere  Thränen  auf  Waldgras 

Und  tnänklcn  den  lechzenden  Erdsclnvanim, 

oder  „ßiederaiut  und  Christenkraft  sei  der  Deutschen  Eigen- 
schaft". Daher  ferner,  um  von  diesen  Stellen,  die  sich  noch 
um  ein  Erkleckliches  vermehren  liefsen,  zu  schweigen,  so 
manche  abstofsende  Hyperbel,  dafs  einem  nach  des  Dichters 
eigenem  Ausdruck  „jede  Nerve  dröhnt",  und  daher  ganze  Ge- 
dichte, die  in  Anlage  und  Ausführung  nur  Prosa  sind.  Einige 
finden  sich  wohl  auch,  in  denen  er  nicht  Dichter  sein  will,  son- 
dern ist,  und  diese  lassen  wenigstens  auf  Augenblicke  ver- 
gessen, aus  welch  trüber  Quelle  sie  geflossen  sind,  während 
andere  wieder,  sei  es  nun,  dafs  sie  den  erhabenen  Schwung 
eines  Klopstock  oder  die  kindliche  Naivetät  eines  Claudius  nach- 
zuahmen bemüht  sind,  in  tönenden  Phrasen  und  gesuchten 
AVendungen  das  Fehlen  der  echt  poetischen  treibenden  Kraft 
zu  verdecken  suchen.  Es  kann  und  will  nicht  die  Aufgabe 
dieser  Zeilen  sein,  den  Ruhm  Schubarths,  den  er  zudem  nach 
allgemeiner  Anerkennuno-  weit  mehr  seinem  wechselreichen 
Leben  als  seinem  schriftstellerischen  Wirken  verdankte,  zu 
schmälern,  als  einer  der  am  meisten  charakteristischen  V^ertreter 
der  Sturm-  und  Drangperiode  bleibt  er  immer  interessant,  und 
gerade  auf  der  Seite  seines  poetischen  Schaffens,  mit  der  sich 
diese  Zeilen  beschäftigten,  lehrreich.  Als  Dichter  durch  fürst- 
liche Willkür  und,  wenn  man  so  sagen  darf,  pädagogische 
Wut,  ein  Exempel  zu  statuieren,  auf  falsche  Bahnen  gelenkt, 
als  Mensch  von  innen  heraus  haltlos  und  schwankend,  „ein 
Augenblicksmensch"  in  des  Wortes  vollstem  Sinn,  bietet  er 
dem  Auge  nur  wenige  lichte  Stellen  in  dem  Bilde  seines 
Lebens  und  dem  Urteil  die  Bestätigung  des  Goetheschen 
Satzes,  dafs  dem,  der  sich  nicht  zu  zähmen  weifs,  sein  Leben 
wie  sein  Dichten  ins  trostlose  Nichts  zerrinnt. 

Stuttgart.  Th.  Ebner. 


über  eine  Stelle  in  Goethes  Iphigenie. 


In  Goethes  Iphigenie  empfängt  bekanntlich  Iphigenie  den 
ans  einem  Rachezuge  für  den  gefallenen  letzten  Sohn  siegreich 
zurückkehrenden  König  mit  dem  schönen  Segenswunsch: 

Mit  königh'chen  Gütern  segne  dich 
Die  Göttin!      Sie  gewähre  Sieg  und  Ruhm 
Und  Reichtum  und  das  Wohl  der  Deinigen 
Und  jedes  frommen  Wunsches  Fülle  dir! 
Dafs,  der  du  über  viele  sorgend  herrschest. 
Du  auch  vor  vielen  seltnes  Glück  geniefsest. 

Darauf  erwidert  Thoas: 

Zufrieden  war  ich,  wenn  mein  Volk  mich  rühmte: 
Was  ich  erwarb,  geniefsen  andre  mehr 
Als  ich.     Der  ist  am  glücklichsten,  er  sei 
Ein  König  oder  ein  Geringer,  dem 
In  seinem  Hause  Wohl  bereitet  ist. 

Bisher  hat,  soviel  ich  weifs,  niemand  in  dieser  Erwiderung 
eine  Schwierigkeit  gefunden.  Das  Kolon  nach  dem  ersten  Satze 
sollte  offenbar  anzeigen,  dafs  der  folgende  Satz  den  Inhalt  des 
Kuhmes  enthielt,  dafs  man  also  von  dem  König  sagen  könnte, 
den  gewonnenen  Reichtum  lasse  er  anderen  mehr  zu  teil  werden 
als  dafs  er  ihn  selbst  geniefse. 

Dao-e'>en  hat  im  Aprilheft  der  Berliner  Zeitschrift  für  das 
Gynmasialwesen  vom  Jahre  1879  Herr  Direktor  Franz  Kern, 
damals    in  Stettin,    jetzt   in  Berlin,    nachzuweisen  gesucht,    dafs 


204  Über  eine  Stolle  in  Goethes  Iphigenie. 

in  dem  Text  aller  Ausgaben  sich  ein  Interpunktionsfehler  nach 
dem  Worte  „rühmte"  befinde.  Es  müsse  dort  nicht  ein  Kolon 
oder  ein  Komma  stehen,  sondern  ein  Fragezeichen,  also : 

Zufrieden  war  ich,  wenn  mein  Volk  mich  rühmte? 
Was  ich  erwarb,  geniefsen  andre  mehr 
Als  ich,  u.  s.  w. 

Denn  bei  der  bisherigen  Interpunktion,  meint  Herr  Kern,  leiden 
diese  Verse  an  einer  sehr  bedenklichen,  ja  geradezu  unerträg- 
lichen Unklarheit.  Man  erwarte  in  der  Erwiderung  des  Thoas 
folgenden  Gedankengang:  „Was  soll  mir  Sieg  und  Keichtum? 
Dauernde  persönliche  Befriedigung  finde  ich  in  ihnen  nicht. 
Dem  Könige  wie  dem  Geringsten  ist  friedliches  Glück  im  Hause 
das  Höchste."  Und  diesen  Gedankengang  erhalte  man  durch 
die  oben  erwähnte  Änderung  der  Interpunktion. 

Herr  Kern  zieht  zur  Unterstützung  seiner  Auffassung  den 
Text  der  ursprünglichen  prosaischen  Bearbeitung  herbei,  welcher 
60  lautet: 

„Iphigenie.  Diana  segne  dich  mit  königlichen  Gütern, 
mit  Sieg  und  Ruhm  und  Reichtum  und  dem  Wohl  der  Deinen, 
dafs,  der  du  unter  vielen  gnädig  und  freundlich  bist,  du  auch 
vor  vielen  glücklich  und  herrlich  seist. 

Thoas.  Der  Ruhm  der  Menschen  hat  enge  Grenzen,  und 
den  Reichtum  geniefst  oft  der  Besitzer  nicht.  Der  hat's  am 
besten,  König  oder  Geringer,  dem  es  zu  Hause  wohl  geht." 

In  diesen  beiden  Bearbeitungen  findet  dann  Herr  Kern 
zunächst  den  Unterschied,  dafs  die  prosaische  Fassung  schon 
im  ersten  Satze  den  Grund  andeutet,  warum  der  Ruhm  keine 
letzte  Befriedigung  gewähren  könne,  die  poetische  dagegen  in 
der  Form  der  uu  willigen  Frage  den  Ruhm  als  ein  letztes 
Ziel  des  Strebens  ablehnt,  ohne  sich,  wie  es  scheint,  auf  eine 
Begründung  für  diese  Ablehnung  einzulassen.  Ein  weiterer 
wichtiger  Unterschied  bestehe  in  dem  Verhältnis  der  beiden  in 
Betracht  kommenden  Sätze  zu  einander.  In  der  prosaischen 
Bearbeitung  seien  beide  koordiniert,  so  dafs  in  dem  ersten  der 
Ruhm,  in  dem  zweiten  der  Reichtum  als  letzte  Ziele  des  mensch- 


Übei"  eine  Stelle  in  Goethes  Iphigenie.  295 

liehen  Strebens  abgewiesen  würden.  In  der  poetischen  Fassung 
der  Stelle  dagegen  sei  logisch  der  zweite  Satz  dem  ersten  als 
seine  Begründung  untergeordnet  und  die  Begriffe  „rühmen"  und 
„erwerben"  seien  in  weiterer  Bedeutung  zu  nehmen  als  in  der 
prosaischen  „Ruhm"  und  „Reichtum".  Der  Sinn  sei  also:  „Ich 
persönlich  kann  in  meinen  Erfolgen  nicht  die  Befriedigung  finden 
wie  andere;  denn  den  Genufs  derselben  verkümmert  mir  mein 
heifser  Herzenswunsch  nach  häuslichem  Glück  und,  was  damit 
zusammenhängt,  die  Sorge  um  die  Fortdauer  der  Liebe  meines 
Volkes."  Das  Verhältnis  der  beiden  Sätze  so  aufzufassen, 
meint  er  dann,  gebiete  die  verschiedene  Form  der  Sätze,  be- 
sonders aber  die  asyndetische  Anfügung  des  zweiten  an  den 
ersten. 

Wenn  in  der  That  die  betreffende  Stelle  nicht  genügend 
klar  ist,  so  scheint  doch  das  vorgeschlagene  Heilmittel  schlim- 
mer zu  sein  als  jener  vorausgesetzte  Mangel  an  Klarheit.  Der 
König,  der  von  der  Priesterin  mit  einem  so  schönen,  so  ganz 
der  Sachlage  angemessenen  Segenswunsch  empfangen  wird,  soü 
diesen  Segenswunsch  in  der  Form  einer  unwilligen  Frage  ab- 
w'eisen?  Wann  gebraucht  man  denn  diese  Form?  Doch  wohl 
nur  dann,  wenn  man  durch  die  Aufserung  eines  anderen  gereizt 
ist,  wie  z.  B.  Avenn  Thoas  im  Verlauf  der  Unterredung,  die  für 
seinen  Herzenswunsch  eine  so  ungünstige  Wendung  nimmt,  auf 
die  Bemerkung  der  Iphigenie,  dafs  die  Götter  nur  durch  unser 
Herz  zu  uns  reden,  zuerst  erwidert:  „Und  hab  Ich  sie  zu 
hören  nicht  das  Recht?"  und  dann  auf  ihre  Entgegnung:  „Es 
überbraust  der  Sturm  die  zarte  Stimme"  höhnend  fragt:  „Die 
Priesterin  vernimmt  sie  wohl  allein?"  —  Aber  hier,  wo  Iphi- 
genie wünscht,  die  Göttin  möge  ihn  mit  königlichen  Gütern 
segnen,  mit  Sieg  und  Ruhm  und  Reichtum  und  dem  Wohl 
der  S e i n i g e n  und  ihm  jeden  frommen  Wunsch  er- 
füllen, damit  er,  wie  er  über  viele  segnend  herrsche,  auch 
vor  vielen  seltenes  Glück  geniefse:  wie  kann  er  da  den 
so  schönen,  alles  Wünschenswerte  enthaltenden  Segenswunsch 
in  der  Form  einer  vmwilligen  Frage  ablehnen?  „Glaubst  du 
aber,"  läfst  Herr  Kern  ihn  erklärend  sprechen,  „ich  wäre  zu- 
frieden, ich  hätte  meines  Wunsches  Ziel  erreicht,  wenn  meine 
Thaten    und    ihre    Erfolge    vom   Volke    gerühmt    werden?     Von 


29(i  Über  eine  Stelle  in  Goethes  Iphigcnie. 

allem,  was  ich  errungen,  haben  ja  andere  mehr  Gcniifs  als  Ich 
selber." 

Diese  Erwiderung  würde  vielleicht  passen,  wenn,  Iphigenie 
in  ihrer  Begrüfsung  gesagt  hätte:  „O  König,  jetzt  hast  du 
Grund,  zufrieden  zu  sein.  Du  hast  durch  den  Sieg  über  die 
Feinde  deinen  Sohn  gerächt,  durch  die  Zerstörung  ihres  Reiches 
deine  Herrschaft  erweitert,  deinen  Reichtum  vermehrt.  Wie 
glücklich  darfst  du  dich  doch  schätzen!" 

Herr  Kern  legt  einen  Wert  auf  solche  Auffassung  der  be- 
treffenden Stelle,  dafs  der  zweite  Satz  dem  ersten  logisch  sich 
unterordnet.  Er  drückt  dies  in  seiner  Umschreibung  durch  das 
eingeschobene  „ja"  aus,  das  gern  einen  bekannten  oder  ohne 
weiteres  zugestandenen  Grund  bezeichnet.  Ist  nun  wirklich  in 
jener  Erklärung  die  logische  Verbindung  eine  natürliche?  Müfste 
der  Grund  nicht  ganz  anders  lauten?  etwa  so:  „Ich  sollte  zu- 
frieden sein,  wenn  mein  Volk  mich  rühmte?  Ich  verlange  nach 
dem  Ruhme  der  ganzen  Welt."  Oder  dem  angeführten  Grund 
hätte  ein  anderer  Hauptsatz  vorangehen  müssen,  etwa:  „Ich 
sollte  zufrieden  sein  durch  meinen  neuen  Erwerb?"  —  Aber 
der  Ruhm  einerseits  und  der  Umstand,  dafs  andere  mehr  als 
der  Besitzer  den  Reichtum  oder  alle  Erwerbungen 
geniefsen,  haben  logisch,  scheint  es  mir,  nichts  miteinander 
zu  thun. 

Wenn  demnach  das  vorgeschlagene  Heilmittel  nicht  an- 
nehmbar erscheint,  wie  ist  denn  die  Stelle  zu  verstehen?  Ich 
halte  das  Kolon  nach  dem  ersten  Satze  für  vollkommen  richtig 
hier  sowohl  als  an  allen  Stellen,  wo  es  in  diesem  Stücke  vor- 
kommt. Die  Interpunktion  ist  in  der  Ausgabe  letzter  Hand 
sehr  genau  und  nach  bestimmten  Grundsätzen  durchgeführt. 
Sie  stimmt  übrigens  mit  der  in  der  zweiten  Einzelausgabe  vom 
Jahre  1790  (Leipzig,  Göschen),  soviel  ich  sehe,  genau  über- 
ein. Das  Kolon  zeigt  immer  eine  innige  logische  Verbindung 
zwischen  den  Sätzen  an,  die  es  trennt.  Entweder  ist  der  zweite 
Satz  begründend,  oder  er  hebt  eine  Folge  des  ersten  bedeutend 
hervor  und  trennt  deshalb  bisweilen  Vordersatz  und  Nachsatz, 
oder  endlich  er  oriebt  den  Inhalt  eines  voraufgehenden  Verbalsub- 
stantivs  oder  Verbums  an  (z.  B.  Apoll  gab  uns  das  Wort:  „im 
Heiligtum  der  Schwester  Sei  Trost  und  Hilf  und  Rückkehr  dir 


über  eine  Stelle  in  Goctlies  Iphigenie.  '  297 

bereitet"  oder:  „So  bleibe  denn  mein  Wort:  Sei  Prlestcrin  der 
Göttin,  wie  sie  dich  erkoren  hat).  Den  letzten  Fall  haben  wir 
an  unserer  Stelle.  Der  zweite  Satz  ist  der  Inhalt  des  Verbums 
„rühmte".  Der  König  will  sagen:  Kuhm  im  gewöhnlichen  Sinn 
reizt  mich  nicht,  ebensowenig  wie  mich  der  erworbene  Reich- 
tum selbst  beglückt.  Ich  wäre  schon  zufrieden,  wenn  mein 
Volk  nur  das  von  mir  rühmend  sagte:  was  ich  erwarb,  davon 
haben  andere  mehr  Genufs  als  ich  selbst.  Das  Glück  aber,  das 
du  mir  wünschest,  kann  ich  allein  in  meinem  Hause  finden, 
wenn  dies  aufhört  ein  verödetes  zu  sein." 

Dafs  diese  Abhängigkeit  des  zweiten  Satzes  von  dem  ersten 
nicht  durch  eine  sprachliche  Form  ausgedrückt  ist,  das  Uifst 
allerdings  das  riclitige  Verständnis  nicht  sofort  zweifellos  er- 
scheinen. Da  in  unserer  heutigen  Sprache  die  frühere  Unter- 
scheidung des  Indikativs  des  Präsens  von  dem  Konjunktiv 
in  der  dritten  Person  der  Mehrheit  (mit  einziger  Ausnahme 
von:  sie  sind,  sie  seien)  gänzlich  verschwunden  ist,  so  ist  die 
Abhängigkeit  in  solchem  Falle  (formeller  Hauptsatz,  logischer 
Nebensatz)  nur  dann  auszudrücken,  wenn  man  dafür  den  Kon- 
junktiv des  einfachen  Präteritums  wählt.  Aber  man  begreift, 
dafs  der  Dichter  nicht  wohl  sagen  mochte:  „Zufrieden  war  ich, 
wenn  mein  Volk  mich  rühmte:  Was  ich  erwarb,  genössen 
andre  mehr  Als  ich."  So  blieb  ihm  denn  nur  übrig,  das  Ver- 
hältnis durch  sein  Kolon  anzudeuten. 

In  diesem  Sinne  habe  ich  die  Stelle  stets  aufgefafst,  so- 
weit ich  mich  erinnern  kann,  und  daher  nie  eine  Unklarheit  in 
ihr  gefunden.  Und  ich  freue  mich,  in  der  von  Prof.  Denzel 
in  Stuttgart  besorgten  Schulausgabe  (Cotta,  1872),  wo  an  die 
Stelle  des  Kolon  ein  Komma  getreten  ist,  dieselbe  Auffassung 
wiederzufinden.  Es  heifst  da  in  einer  Anmerkung  zu  dem 
Worte  „geniefsen":  Konjunktiv,  abhängig  von  rühmte,  s.  v.  a. 
rühmte,  dafs  andere  mehr  geniefsen. 

Dafs  in  dieser  Auffassung  auch  nicht  der  Umstand  irre 
machen  kann,  dafs  die  prosaische  Fassung  einen  anderen  Ge- 
dankenzusammenhang aufweist,  hat  Herr  Kern  selbst  erwähnt, 
und  wer  beide  Bearbeitungen  miteinander  vergleicht,  findet 
zahlreiche  Beispiele,    wo  die  ursprüngliche  Fassung,    abgesehen 


298  Über  eine  Stelle  in  Goethes  Iphigcnie. 

von  der  poetischen  Form,  eine  Veredlung  erfahren  hat.  Zu 
solchen  Veredlungen  gehört  offenbar  der  Segenswunsch  in  der 
poetischen  Form. 

Somit    wird    also    die   Überlieferung    diesmal    unangetastet 
bleiben  dürfen. 

Wismar.  Fried r.  Theodor  Nölting. 


Ein  Reformationsschauspiel 

im   Jahre  1540   in    Paris   aufgeführt. 

Aus  einem  in  der  Zwickauer  Ratsschulbibliotbek  befindlichen  handschriftlichen 
Berichte  mitgeteilt  von 

Dr.  phil.  Georg  Buchwald. 

Ein  Summa  eines  sehr  artlichen  vnd  wolgemeinten 

Spiels,    so  zw  paries  inn  Franckreich  au  ff  offenem 

platz     inn    französischer    sprach    ynn     diesem    Jar 

1540   gehalten   ist, 

Es    seindt   vff  offenem    platz    acht  gezelt   mit^  grosen    vn- 
kosten   sehr  herrlich  vnd  königlich  zugericht  gewesen 
Das  erst  mitt  des  ßapsts  namen  vnd  wapen, 
Das  ander  Römischer  kaiserlicher  Maiestat. 
Das  dritte  des  konigs  von  Franckreich. 
Das  vierde  des  konigs  von  Portugall. 
Das  fünffte  des  konigs  aus  Schotten, 
Das  Sechste  des  konigs  aus   Dennenmarckt, 
Das  Siebende  des  konigs  von  Engellandt, 
Das  Achte   was    etwas  weytt   von  den  andern  gelegen, 
war  Romischer  königlicher  Maiestat. 
Als  nun  eine  grose  meng  volcks  vorhanden,  vnd  jedermann 
mitt  sondern!  verlangen  daraufF  wartet,  was  es  wolt  werden,  da 
trat  erstlich  ein  schone  Junckfraw  herfür,  inn  einem  ganz  weissen 
kleide,  derselben  gingen  neun  ehrlicher  tapffer  alter  menner,  als 
Ihre    Rethe    nach.      Die   Junckfraw    füret    den    titel    an    Ihrem 
kleide,  sie  wer  die  Christliche  kirche,  hub  an  erstlich  zu  seufF- 
zen    vnd   inniglich   gen    himel    auffzusehen,    schrihe   vnd  klaget, 
das  leider  niemand    wehr  auff  erdenn,    der    sich    Ihr   annehmen, 
hülff  vnd  beistand  in  ihrem  grosen  leidt  vnd  jammer  thun  wolte, 
dieweil  denn  wieder  hülff  nach  trost  von  jeniandt  zu  hoffen  sey, 
müsse  sie  sar  zu  noden  gehen.     Solche  klaji;  war  so  schendtlich 
vnd   tapffer    gestellet,    das  es  einen  stem   weychen  vnd  jammern 
hett  mugen. 

Weil  sie  nun  also  klaget,  scufFzet  vnd  weynct,  traten  die 
neun  alter  menner  zu  ihr,  trösten  sie,  sie  wolt  doch  nach  nicht 
verzagen,  Denn  es  wehren   nach  viel  grosser  herren  auff  erden. 


300  Ein  Reformatlonsschauspicl  1510  In  Paris  aufgeführt, 

bcy  welchen  sie  schütz,  oder  doch  zum  wenigsten  einen  guttcn 
willen  vnd  vnterschleif  finden  werde,  pot  hab  sie  nicht  gar  ver- 
lassen. Derhalben  sol  sie  itzt  auch  nicht  verzagen  vnd  ihrem 
Kadt  folgen. 

Die  Christliche  kirch  niembt  solchen  trost  an,  vnd  fragt, 
wo  sie  denn  meynen,  da  sie  vmb  hülfF  bewerben  vnd  ansuchen 
sol.  Denn  sie  bifsher  viel  hundert  Jliar  wenig  hülff  vnd  tropt 
bey  den  leuten  gespürt,  sondern  von  ihnen,  ye  grossers  Standes 
sie  gewesen,  jhe  mehr  zuplagt  vnd  gemartert  sey. 

Die  alten  antwortten:  Es  sey  da  inn  nehe  der  allerheili- 
giste  vater,  der  Bapst,  bey  dem  sol  sie  anhalten,  Dann,  weil  er 
alle  ehre,  gewalt  vnd  hochheit  von  ihr,  der  Christlichen  kirchen 
habe,  werde  sie  ohne  zweifFel  guten  willen,  auch  redligen  bei- 
standt  bey  ihme  finden. 

Die  bekümmerte  Junckfraw  folget  ihrem  Rathe,  gehet  sampt 
einn  hin,  vnd  klopffet  an  des  Bapsts  gezelt  an,  aber  da  wäre 
niemandt,  der  da  wolt  aufFthuen,  sie  klopffet  wieder  vnd  aber 
wieder.  Nach  einer  guten  vveyl  thut  man  ihr  gleich  mitt  vnwillen 
auff,  vnd  lest  sie  hinein  für  den  allerheiligisten  vater,  den  Bapst. 
Nun  w^ahren  aber  die  gezellth  künstlich  gemacht,  das,  wo  man 
eins  aufFmacht,  jederman  auff  allen  seyten  künden  sehen,  was 
man  darinnen  handelt,  Da  sas  der  Bapst  inn  seiner  herrligkeit, 
vnd  hatte  inn  der  rechten  handt  ein  Schneiders  schere  vnd  inn 
der  lincken  handt  ein  purpur  vnd  schnit  Cardinal  huetlein.  AU 
nun  die  Christlich  kirch  sich  inn  aller  demuth  für  ime  gebeuget, 
vnd  auff  die  knie  gefallen,  ihr  noth,  mangel,  kummer,  vnd  herzen 
leydt,  nach  aller  notturfft,  mitt  einer  sehr  schönen  rede  im  fur- 
gelegt,  vnd  ihn  vmb  hülff,  schütz  vnd  beystandt  gebetten  hett, 
antwortet  ihr  der  aller  heiligist  vater  mitt  wenig  vnd  vnfreundt- 
lichen  wortten,  sie  sehe  wol,  das  er  itzt  nicht  müssig  wehre, 
vnd  mitt  andern  geschafften  beladen  sey,  die  ihme  mehr  gelds 
tragen,  vnd  der  er  besser  geniesscn  kunne.  Derhalben  müge 
sie  ann  andere  orth  gehen,  er  wolle  ihr  nicht  helffen.  Die 
Christliche  kirch,  so  sie  ein  solche  antwort  horete,  gehet  sie 
traurig  vnd  elend  darvon,  klaget  got  ihr  leidt,  das  der,  so  ducli 
alle  wirde  vnd  gewalt  von  ihr  haoe,  sich  ihr  so  gar  nicht  wil 
annehmen,  fragt  ihre  Rethe,  wie  sie  der  sache  weitter  thun  sol. 
Da  sey  alle  hoffnung  aus,  wie  sie  dann  aus  erfarung  langer  zeyt 
her,  erstlich  nicht  sunder  gute  hoffnung  zur  Sachen  gehabt  habe, 
die  Rethe  antwortten,  sie  sol  es  auch  mit  der  Römischer  kayser- 
licher  Maiestat  versuchen.  Sie  volget,  gehet  hin  vnd  klopffet 
an,  man  thut  ihr  auff.  Da  findet  sie  Römische  kayserliche 
Maiestat  sitzen  vnd  ein  paternoster  inn  der  handt  haben,  vnd 
zwen  pfaffen  neben  ihm  stehen,  als  sie  nun  da  gleich  wie  vor 
dem   Bapst    ihre  noth    anzeiget,    vnd    demütiglich  vmb  hülff  an- 


Ein  Reformationsschauspiel  1540  in  Paris  aufgeführt.  301 

suchet,  winket  ihr  der  Kaiser  mitt  der  handt,  sie  sol  abtreten, 
er  müsse  itzundt  des  gebets  auswartten.  Die  Christlich  kirch 
gehet  weitter,  vnd  aus  gut  bedüncken  ihrer  Kethe  klopfFet  sie 
ann  das  dritte  gezelhh,  ann  des  konigs  von  Franckreich,  wie 
mau  nuhn  aufFthuet,  liegt  der  konig  bett  rieg,  vnd  stehet  aufF 
einer  seitten  ein  Doctor  raitt  einem  harnglas  vnd  auff  der  andern 
seytten  ein  Balbirer,  der  macht  pfiaster.  Da  nun  die  Junckfraw 
vmb  hülfF  bittet,  antwort  ihr  der  konig,  sie  sehe,  er  hab  mitt 
seinem  eigen  leib  zu  schaffen,  er  könne  nicht  einem  andern  helffen 
vnd  sich  darneben  verkürtzen. 

Da  gehet  die  Junckfraw  weitter  inn  das  verdt  gezelth,  des 
konigs  von  Portugal,  den  fiendt  sie  sietzen,  vnd  eine  grose 
anzal  der  seck  gerings  vmb  ihm  her,  mitt  pfeffer,  zimmet, 
negel,  Muskaten,  goldt  vnd  geldt.  Als  sie  nun  gleicher  weis 
vmb  hiilff  ansucht,  antwort  ihr  der  konig,  er  sey  jetztmals  mitt 
viel  geschafften  beladen,  derhalben  wolle  es  sich  nicht  leiden, 
nach  grose  geschafft  an  sich  zu  nehmen,  vnd  sich  damit  zu 
beschweren,  sie  sol  anders  woh  gehen,  zu  denen,  so  der  musen 
haben,  vnd  zur  sachen  tueglich  sein. 

Die  Junckfraw  gehet  fordt,  vnd  kompt  in  das  gezelth  des 
konigs  von  Schotten,  da  findet  sie  zwen  alter  greysen,  die 
wiegten  ein  kindt,  da  sie  nun  merckt,  das  der  konig  nach  ein 
kindt  wehr,  kondte  sie  sich  nichts  vertrösten,  vnd  fort  an,  vnd 
kam  inn  das  gezeltt  des  konigs  von  Dennenmarckt.  Nun  helt 
sie  zwischen  solchen  allewege  ihr  klagrede,  hilt  Radt  mitt  den 
altten,  welchs  also  auff  das  artligst  vnd  best  gestellet  war,  aber 
vmb  kurtz  willen  wirdt  es  hie  vnterlassen.  Als  sie  nun  hinein 
kam,  fandt  sie  zwen  alter  ehrlicher  menner  ann  einem  tisch 
sitzen,  vnd  die  krohn  vnd  den  Scepter  auff  dem  tiesch  liegen, 
da  fragt  sie,  wo  der  konig  wehr?  sie  wustens  nicht,  ob  er  noch 
im  leben  wehr,  oder  gefangen  wehr,  also  must  die  elende  Jungk- 
fraw   weitter. 

Da  gehet  sie  aus  Radt  der  alten,  zum  gezelth  des  konigs 
von  Engellandt,  als  man  yhr  nun  auffthet,  siebet  sie  den  konig 
inn  einem  bett  liegen,  vnd  zwey  weiber  neben  ihm,  zu  einer 
jeden  seitten  eine.  Da  entsetzt  sie  sich,  vnd  wie  es  einer 
junckfrauen  wol  anstehet,  errötet  sie  sich  vor  solcher  vnzucht, 
schlecht  das  gezellt  zu,  vnd  gehet  darvon. 

Wie  sie  nun  nirgendt  einige  hulff  odder  Radt  findet,  hebt 
sie  auff  ein  neues  an  zu  weinen  vnd  klagen,  das  sie  so  gar 
verlassen,  vnd  ane  hulff  so  jemerlich  verderben  mus,  vnd  machts 
so  kleglich,  das  auch  die  alten  schier  anheben  zu  verzagen  mitt 
ihr.  Doch  nach  langen  klagen  vnd  beradtschlngen  trösten  sie 
die  Reth  wieder.  Es  sey  noch  ein  konig,  welchs  name  ihnen 
vnbekandt  sey,  sie  solle  es  mitt  demselben  auch  versuchen,  wer 


302  Ein  K(forni;itionsschausp!el   1540  in  Paris  aufgoflihrt. 

vveys,  gott  uiöcht  radt  schaffen.  Wie  sie  also  redeten,  hören 
sie  ein  stimme,  er  heyfs  Ferdinandus,  der  der  Christlichen 
kirchen  wurde  hulffe  thuen.  Da  sehen  sie  sich  vmb,  vnd  sehen 
von  lerne  ein  gezehlt  auff(»^eschlagen,  wie  es  aber  dem  abendt 
zu  nahet,  meinet  die  Jungkfraw,  es  würde  sicii  nicht  leiden,  so 
spat  ihm  zu  vberlauffen,  aber  die  Reth  sagten.  Ein  kleiner  Ver- 
zug thu  offt  inn  einer  Sachen  einen  grosen  schaden,  beredens 
also,  das  sie  sich  auff  macht  vnd  hin  gehet.  Als  sie  nun  hin- 
ein kompt,  findet  sie  Römische  königliche  Maiestat  inn  einem 
ganzen  kurafs  stehen,  sich  an  eynem  tiesch  leyhnen,  vnd  be- 
dencken.  Da  hebt  die  Junckfraw  an  ilir  Sachen  nach  notturfit 
furzubringen,  vnd  bittet  vmb  hülff;  weil  doch  sonst  niemandt 
sey,  der  ihr  woU  helffen.  Der  konig  antwortt.  Er  wolle  es  von 
hertzen  gerne  thuen,  er  sey  auch  schon  im  werck,  allein  wolle 
es  ein  mangel  haben  an  dem,  das  man  für  allen  diengen  zu 
kriegen  geldt  niufs  haben.  Die  Junckfraw  erzelt  viel  nachein- 
ander, vnnd  vntter  andern  auch  den  kayser,  der  gantze  inseln 
mit  geldt  innen  hab,  das  er  furstrecken,  vnd  getrewlich  mitt 
gelde  helffen  werde.  Wie  sie  nun  freundlich  mitt  einander 
vnterreden  vnd  radtschlagen,  wie  man  kundte  geldt  machen, 
hören  sie  von  ferne  ein  grofse  posaune,  pfeiffen  vnd  singen, 
vnd  sehen,  das  der  kayser  mitt  seinen  Rethen  heraus  gehet, 
inn  des  Bapsts  gezellt,  niempt  den  ßapst  bey  der  handt,  vnd 
nöttet  ihn,  er  sol  mitt  ihm  tanzen,  vnd  zurtanzt  den  allerheili- 
gisten  vater,  also,  das  er  genn  der  erden  sincket,  als  Avolte  er 
sterben,  desgleichen  thut  er  mitt  Franckreich  vnd  Portugall  auch. 
Seine  Reth  aber  vermanen  ihn,  er  wolle  mitt  den  Venedigern 
auch  tanzen.  Aber  die  Venediger  fielen  ihm  zu  fuessen  vnd 
baten  in,  er  wolde  doch  ihres  alters  verschonen,  sie  wolten  sunst 
gerne  thun,  was  sie  kundten  vnd  solten. 

Nach  demselben  vermanen  ihn  die  Retlie  wieder,  er  wolle 
aber  doch  mitt  dem  konis;  Ferdinando  vnd  mitt  dem  vom  Engel- 
landt  tanzen.  Aber  er  antwortt,  er  wolle  nicht  mitt  Ferdinando 
tanzen,  er  muste  einen  haben,  der  im  die  hochzeit  vorleg,  vnd 
(\en  singern  vnd  pfeiffern  lohne.  Das  versehe  er  sich,  werde 
der  konig  von  Ensrellaudt  gerne  thun. 


Also  hat  dises  spiel  ein  endt  genohmen,  inn  welchem  man- 
cherley  schöner  spruch,  auch  viel  tapffers  vnd  nötig  bedencken, 
so  zu  diesen  leuftten  sich  reumet,  von  der  Christlichen  kirchen 
ist  furbracht  worden.  Doch  seindt  ihrer  funff  aus  denen,  so 
solch  spiel  haben  angericht,  inn  das  Wasser,  Sena  genannt, 
geworfien  vnd  ertrencket  worden. 


Die  Wortstellung 
im   altfranzösisehen   direkten   Fragesatze. 

(Schlufs.) 


n.  Stellung  der  einzelnen  Satzglieder  im 
altfranzösischen  Fragesätze. 

§12.  Stellung  des  Subjekts 
a)  in  Bestätigungsfragen. 
Trotzdem  das  Französische  mit  den  übrigen  romanischen  Sprachen 
das  der  Fragestellung  zu  Grunde  liegende  Princip  gemein  bat,  weist  es  doch 
eine  ganz  eigenartige  Entwickelung  desselben  auf.  Der  heutige  Sprach- 
gebrauch gestattet  in  Bestätigungsfragen  dem  Subjekt  nur  noch  in  der 
Form  des  tonlosen  Personalpronomens  hinter  das  Verb  zu  treten;  ist 
das  Subjekt  ein  Substantivum  oder  ein  anderes  Pronomen  als  das  ton- 
lose persönliche,  so  bedient  sich  die  Sprache  entweder  der  fast  mit  einer 
Fragepartikel  gleichAverligen  Umschreibung  durch  est-ce  que  (est-ce  qiie 
nion  pere  est  venu?),  oder  sie  nimmt  ihre  Zuflucht  zu  einer  Anakoluthie 
(^)Hon  pere  est-il  venu  ?),  die  dann  nicht  zu  rechtfertigender  Weise  auch 
in  Bestimmungsfragen  zur  Anwendung  kam,  in  denen  im  übrigen  auch 
Inversion  eines  substantivischen  Subjekts  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
noch  gestattet  ist  (cf.  §  12  b).  Aber  auch  die  Inversion  des  tonlosen 
Personalpronomens  verliert  mehr  und  mehr  an  Boden.  Unbedenklich 
bedient  man  sich  derselben  nur  noch  in  der  zweiten  und  dritten  Person ; 
einem  aime-je?  dors-je?  etc.  geht  man  indessen  durch  est-ce  que  fahne, 
est-ce  que  je  clors  aus  dem  Wege,  auch  sagt  man  est-ce  que  nous  avonsß 
lieber  als  avons-nous  f  Erträglich  findet  man  die  Inversion  von  je  noch 
bei  einigen  sehr  gebräuchlichen  Verben,  so  ist  dois-je?  suis-je?  vois-je? 
dis-je?  fais-jef  nicht  gegen  den  guten  Sprachgebrauch.  Die  volkstüm- 
liche Redeweise  besitzt  indes  schon  heule  ein  Mittel,  auch  die  Inversion 


304  Die  Wortstellung  iin  altfranzüsischen  direkten  Fraj^esatze. 

des  tonlosen  Personalpronomens  erster  und  zweiter  Person  zu  ver- 
meiden, ohne  sich  der  umständlichen  Umschreibung  mit  est-ce  que  be- 
dienen zu  müssen:  statt  aime-je  sagt  das  Volk:  fahne-ti.  Über  den 
Ursprung  und  die  Anwendung  dieser  P'ragepartikel  vergl.  den  lehr- 
i-eichen  Aufsatz  von  Gaston  Paris,  Romania  VI,  438 — 442  (27,  sifjne 
d'interrogatwn).  Das  Eindringen  derselben  in  die  Schriftsprache  ist 
nach  der  Meinung  des   genannten  Gelehrten   nur   eine  Frage  der  Zeit. 

Dafs  das  Subjekt  in  der  altfranzösischen  Bestätigungsfrage  noch 
regelmiifsig  hinter  das  Verbum  trat,  ist  schon  oft  gelehrt  worden,  so 
von  Diez  III,  318,  Mätzner  Synt.  §  491,  Le  Coultre  p.  25,  Krüger 
p.  41,  Morf  p.  217,  Schlickum  p.  8,  Völcker  p.  17,  Ehering,  Zeitschr. 
V,  351,  Marx,  Frz.  Studien  I,  344. 

Die  Erwägung,  dafs  die  Inversion,  falls  die  Sprache  von  der  ihr 
zustehenden  Freiheit,  ein  personalpronominales  Subjekt  unausgesprochen 
zu  lassen,  Gebrauch  machte,  nicht  erkennbar  war,  veranlafste  Morf 
p.  204  zu  der  irrigen  Vermutung,  das  Altfranzösische  biete  von  Be- 
stätigungsfragen mit  nicht  ausgesetztem  Subjekt  kein  Beispiel.  Tobler 
hat  in  der  Recension  der  Morfschen  Arbeit  (Zts.  III,  144)  gezeigt,  dal's 
diese  Vermutung  nicht  zutrifft,  der  Frageton  vielmehr  vollkommen  aus- 
reicht, um  die  richtige  Auffassung  zu  bewirken.  Allerdings  läfst  sich 
eine  gewisse  Vorliebe  für  Aussetzung  des  personalpronominalen  Sub- 
jekts nicht  verkennen.* 

Neben  der  einfachen  Inversion  eines  substantivischen  Subjekts  be- 
gegnet schon  in  der  alten  Sprache  die  in  der  neueren  zur  Regel  ge- 
wordene Anakoluthie,  vermöge  deren  das  Subjekt  dem  P'ragesatze  in 
absoluter  Weise  vorantritt,  um  dann  innerhalb  desselben  hinter  dem 
Verbum  durch   das   ihm  zukommende  Personalpronomen  wieder  aufge- 


*  Folgende  Zahlen  scheinen  geeignet,  dies  zu  beweisen:  Von  den 
.S'2  Bestiitigungsfragen  des  Mystere  d'Adam  zeigen  ein  ausgesetztes  personal- 
pionominales  Subjekt  23,  während  sich  im  asserierenden  Hauptsätze  nur 
27  Prozent  so  geartete  Beispiele  finden.  Die  Zahl  der  letzteren  beträgt  hei 
Crestien  im  asserierenden  Hauptsatze  ungefähr  50  Proz.,  von  den  20  Be- 
stätigungsfragen des  Ch.  Lyon  fehlt  ein  pronominales  Subjekt  nur  bei  einer. 
Elienso  wie  Crestien  verhält  sich  im  Hauptsatze  Butebeuf  im  Miracle  de 
Theophile  (Th.  fr.  139  —  156),  wohingegen  11  Bestätigungsfragen  alle  ein 
personalprouoniinales  Subjekt  aufweisen.  Auch  Adan  de  la  Halle  schlief^it 
sich  in  Bezug  auf  den  asserierenden  Hauptsatz  den  beiden  genannten  Dichtern 
an,  während  die  Zahl  der  Bestätigungsfragen  mit  ausgesetztem  Subjekt 
88  Proz.  bei  ihm  beträgt.  Im  Jeu  de  Nicolas  (Th.  fr.  162— 207)  niachen 
letztere  85  Proz.  aus  im  (legensatz  zu  nur  37,5  Proz.  des  asserierenden 
Hauptsatzes.  Die  L.  Rois  lassen  in  letzterem  das  Subjekt  unausgesprochen 
in  78  Proz.,  in  der  Bestätigungsfrage  in  44  Proz. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  305 

nomnien  zu  werden.  Schon  aus  dem  Rolandsliede  citiert  Morf  p.  217 
Ch.  Rol.  643:  Uaveirs  Carlun  est  il  apareülez?  Le  Coultre  stellt  das 
Vorkommen  dieser  Konstruktion  für  den  Ch.  Lyon  mit  Unrecht  in 
Abrede,  vergl.  Ch.  Lyon  6005:  Et  la  harne  don  ne  rest  ele  tote  aperte? 
Doch  trifft  Krügers  Bemerkung,  dafs  sie  erst  gegen  Ende  des  13.  Jahrh. 
häufiger  erscheine  (Krüger  p,  42),  zu.  Einige  weitere  Beispiele  seien 
hier  noch  angeführt: 

Raoul  de  Cambray  (ed.  Le  Glay)  p.  203:  Iceste  guerre  dura  ele 
toudis?  Perc.  2803:  Li  drap  he  ma  mere  me  fist  Dont  ne  valent  il  mius 
que  eist?  R.  Charr.  6820:  Et  la  reine  n'i  est  ele  A  cele  joie  quon  de- 
inainne?  Ch.  II  esp.  8379:  Ma  seiir,  est  ele  dont  chaiens?  eb.  9246: 
Et  eil  qui  si  grant  diiel  faisoient  Erent  il  arme  u  comment  ?  Blanc.  et 
rOrg.  (ed.  Michelant)  2905:  Sire,  fait  il,  eil  chevalier  Vauront  il  estre 
soldoier  Et  madame  aidier  de  sa  gicerre?  Fabl.  IV,  120:  Cis  ventres 
vous  deut  il  or  mes?  eb.  III,  241:  Cele  j?el  doit  ele  estre  vostre?  Pr.  P. 
265:  Et  li  rois,  feit  Brians,  est  il  reperiez?  Th.  fr.  86:  Que  c'estf 
mesires  sains  Acaires  A  il  fait  miracles  chaiens?  eb.  p.  114,  420  etc., 
L.  Rois  p.  90:  Cil  de  Ceila,  liverunt  me  il  as  mains  Said  etc.  (lat.  Text: 
Si  tradent  me  y/n'etc);  eb.  183:  Eespundi  Abisai  le  fiz  Sarvie:  Cumentl 
Semei  ki  maldist  nostre  seignur  le  roi,  esehaperad  il  de  mort  poiir  ces 
paroles  Jcil  ad  ei  di[s]t{es)?  (lat.  Text:  Numquid  pro  his  verhis  non 
oceidetur  Semei  quia  maledixit  christo  Domini?) 

In  den  Miracles  de  Nostre  Dame  ist  diese  Konstruktion  schon 
sehr  gebräuchlich.  Vergl.  M.  1, 1346,  111,916,  V,  670,  XVIII,  1625, 
XIX,  1105,  XXIII,  524,  XXVII,  741,  XXXIV,  2352  etc.  Aus 
Froissart  belegt  sie  Ehering,  Zts.  V,  351. 

Es  ist  mir  in  Originalwerken  kein  Beispiel  dafür  begegnet,  dafs 
im  Fall  der  absoluten  Voranstellung  eines  nominalen  Subjekts  das 
personalpronominale    im  Fragesatze   selbst    nicht   ausgedrückt    wäre.* 


*  Unmöglich  wäre  es  nicht,  dafs  Fabl.  III,  239:  Li  vostre  enfant  sont 
moul  loial  Que  vous  avez  du  prestre  ens  ?  so  aufzufassen  wäre.  Aber  i's 
liegt  wohl  näher,  in  dem  Satze  einen  ironisclien  Ausruf  zu  sehen.  Auch 
Th.  fr.  459  \_Parfoij!  de  querir  ne  la  {madame)  cesse  Et  si  n^en  puis  uon- 
velle  flir  ...  Haro !  Dlex!  taisiez  vous!  Comment  Dites  vous?]  ma  dorne  est 
perdue?  liegt  wohl  ein  anderer  Sachverhalt  vor.  Vgl.  §  17.  Doch  wird  eine 
Stelle  aus  der  von  Michel  im  Anhang  zum  Oxforder  Psalter  mitgeteilten 
metrischen  Übersetzung  des  Psalters  heranzuziehen  sein:  Ps.  '29,  11:  Poudre 
dont  ne  te  yehirait  Et  ta  vertu  unnunccrait?  Die  Vulgata  liest:  mimquid 
cunjUeh'dur  tibi  pulvis  aut  annindiabit  veritatem  tiiam?  was  der  Oxf.  Ps.  29,  12 
mit  Ihnn  ne  regehirat  a  iei  puldre  u  aiinuncerat  la  tue  oeritetf  wiedergiebt. 
Cfr.  auch  Versio  metrica  76,  7. 

Archiv  f.  ii.  Spiachon.   LXXI.  20 


306  Die  Wortstellung  im  altfranzüsischen  direkten  Fragesätze. 

Dieser  Umstand  kann  höchstens  beweisen,  dafs  das  Nichtaussetzen  des 
personalpronominalen  Subjekts  in  diesem  Falle  selten  war,  nicht  aber 
die  Annahme  rechtfertigen,  dafs  sich  die  Sprache  aus  Besorgnis,  die 
als  Frage  gemeinte  liede  könne  für  eine  Behauptung  gehalten  werden, 
eine  Beschränkung  auferlegt  habe,  die  das  Italienische  z.  B.  nicht  kannte, 
wenn  es  Inferno  X,  7  heifst:  La  gente,  che  jier  gll  sepolcri  giace,  Pu- 
tvehhesi  veder  ?  Wie  hier,  so  würde  auch  im  Altfranzösischen  der  Frage- 
ton eine  irrige  Auffassung  ausgeschlossen  haben. 

Die  Bedeutung  der  absoluten  Vorausnahme  des  Subjekts  (vom 
Objekt  und  einer  adverbialen  Bestimmung  gilt  das  Gleiche)  hat  Tobler, 
Zeitschr.  II,  394  f.  (Nr.  X  der  vermischten  Beiträge  zur  Grammatik 
des  Französischen)  dahin  definiert,  dafs  „solche  Gestaltung  des  Ge- 
dankens in  glücklichster  Weise  den  Umfang  des  Fraglichen  abgrenze 
gegen  das,  worüber  zwischen  dem  Redenden  und  dem  Angeredeten 
Gemeinsamkeit  des  Wissens  bestehe ;  das  materiell  Vorausgestellte  sei 
das  dem  Gedanken  nach  als  Grundlage,  auf  welcher  die  Frage  sich 
erhebt,  Vorausgesetzte,  und  erst  mit  dem  Verbum  (in  Bestimmungs- 
fragen mit  dem  Frageworte)  beginne  die  Frage  selbst."* 

W^ie  das  Subjekt  dem  Fragesatze  vorantritt,  so  kann  es  im  Afrz. 
und  Nfrz,  auch  folgen.  Beispiele  für  die  alte  Sprache  sindt  B.  Chr. 
361,  34:    Gauteron,  est  ü  ferrez^  Mes  palefroiz? 

Th.  fr.  76 :  Me  siet  ü  bien,  li  hurepiaus  ?  und  gleichlautend  eb.  84. 

Auch  gehört  dahin  M.  XIII,  761:  Ha!  mere  Dien,  qiiai  je  veu 
de  toy  ?    Peilt  e'estre  ore  menconge,  Ceste  vision  ou  vray  songe  ? 

Beide  Ausdrucksweisen  dienen  dem  Zwecke,  das  Gebiet  des  Frag- 
lichen abzugrenzen;  während  aber  bei  Anwendung  der  ersteren  das 
Streben,  der  Rede  eine  Grundlage  zu  geben,  so  dafs  irgend  welcher 
Zweifel  darüber,  in  Bezug  worauf  gefragt  wird,  nicht  aufkommen  kann, 
in  erster  Linie  hervortritt,   sieht  sich  der  Fragende,    indem  er  sich  der 


*  So  scheint  mir  denn  die  aVjsolute  Voranstellung  psychologisch  gleich- 
wertig mit  der  in  der  alten  Sprache  öfter  begegnenden  Redeweise,  der  zu- 
folge man  durch  ein  dites  moi  oder  Ähnliches  ausdrücklich  zur  Belehrung 
in  betreff"  eines  bestimmten  Seienden,  das  jener  Aufforderung  mit  de  an- 
geschlossen wird,  auffordert.  Z.  B.  Pr.  P.  p.  331:  Mes  distes  {l.  diles)  moi 
del  seinlhne  Gracil  noveles  que  von  reconqu{es)istes:  eat  ü  ancore  en  sa  seintiine 
chapele  qui  fu  Je  roi  Pescheor?  M.  VIII,  122:  Dites  noits  de  nostre  requestc : 
Votroiera  poiiii  estre  faicte  Le  pape,  sire?  Nicht  notwendig  gehört  hierher 
Rleraugis  p.  115:  Vües  moi  De  Gawain  le  neveu  le  roi  Saoez  en  vos  mdts 
iHweles/  Ebenso  in  Bestimniungsfragen  Cb.  Lyon  1799.  Perceval  9505. 
Mais  or  nie  dites  del  roi  Lot:  De  na  fame  qiians  en/ans  ot?  Über  eine 
analoge  \'erwendung  von  de  vergl.  Tobler,  Zts.  1,  10. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  307 

zweiten  bedient,  erst  nach  dem  Aussprechen  der  Frage,  durch  die  Er- 
wägung, dafs  jener  Zweifel  möglicherweise  nicht  ausgeschlossen  sei, 
zu  einer  nachträglichen  Erläuterung  seiner  Rede  veranlafst.  Die  Be- 
deutung einer  nachträglichen  Erläuterung  hat  auch  ein  aus  einem  be- 
ziehungslosen Relativsatz  bestehendes  Subjekt  in  Sätzen  wie:  Fabl.  II, 
120:  N'est  il  hien  hors  de  memoire  Qui  mat  sa  main  sus  ./.  provoiref 
oder  R.  Charr.  1982:  Filz,  qiie  te  sanhle,  dont  n'est  il  Molt  preuz  qui 
a  fet  tel{s)  efforz  f 

Die  Frage,  ob  sich  die  Sprache  in  ähnlichen  Fällen  des  Rechtes, 
ein  tonloses  pronominales  Subjekt  unausgesetzt  zu  lassen,  begab  oder 
nicht,  kann  erst  im  Laufe  der  Untersuchung  erörtert  werden. 

Trennbarkeit  des  Subjekts  vom  Verbum. 

I.  Des  tonlosen  pronominalen.  Dasselbe  schliefst  sich  nfz.  stets 
unmittelbar  an  das  Verbum  an,  während  in  der  älteren  Zeit  noch  ton- 
lose Pronomina,  sowie  en  und  y,  regelmüfsig  ihre  Stellung  zwischen 
Verb  und  Subjekt  fanden.  Da  wir  weiter  unten  (vergl.  §  15  b,  1) 
noch  einmal  auf  diesen  Punkt  zurückkommen,  so  mögen  hier  wenige 
Beispiele  genügen. 

Ad.  p.  10:  Vols  le  tu  save?'?  Aue.  Nie.  VI,  10:  avez  le  me  vos 
tobte  ne  emblee?  Reimpredigt  29  c:  /Sunt  en  il  venu  ^  Ad.  p.  8:  Purrum 
i  nus  durer?  Ch.  Lyon  6388:  Volez  m'an  vos  prendre  a  parole?  Dafs 
sich  auch  die  betonte  Form  an  dieser  Stelle  finden  darf,  wird  durch 
B.  Chr.  108,  26:  Deust  mei  ele  plus  amer ?  wo  Hds.  B  statt  viei  —  ine 
bietet,  und  Rou  11,  2978:  As  mei  tu  coneu?  wo  Förster  me  einsetzen 
will  (Zts.  I,  155),  kaum  erwiesen.  Zu  emendieren  ist  Flore  Bl.  (ed. 
du  Meril)  p.  134:  Irai  o  vos  ge?  non  par  foi.  Das  Fragezeichen  ge- 
hört hinter  vos. 

II.  Gleich  untrennbar  wie  tonlose  Pronomina  sind  für  die  neuere 
Sprache  on  und  ce  vom  Verbum,  dessen  Subjekt  im  Fragesatze  sie 
bilden.  Für  on  liegen  mir  auch  altfrz.  Beispiele  nur  mit  unmittelbarem 
Anschlufs  an  das  Verbum  vor  (es  liegt  nahe,  dafs  sie  nicht  zu  häufig 
sind) ;  dafs  ce  dagegen  durch  Adverbien  trennbar  ist,  zeigen  R.  Ciiarr. 
3822:  Comantl  est  or  ce  avenant  Qu'il  ne  te  toche  et  tu  lefiers?  Erec 
660:  Est  donc  ce  veritez ?  oder  durch  ein  Pronomen:  Th.  fr.  185: 
Sanle  vous  che  raison  aperte.'' 

III.  Im  übrigen  ist  ein  nominales  Subjekt  vom  Verbum  trennbar: 
c<)  Durch  ein  Adverbium  oder  eine  adverbiale  Bestimmung: 

20* 


308  Die  Wortstellung  im  altfranzösisclien  direkten  Fragesätze. 

Percev.  4737:  Aloü  devant  le  Greail  nus?  Th.  fr.  185:  Vient 
hien  chis  contes?  vergl.  §  16  b. 

/3)  Durch  eine  prädikative  Bestimmung.  Fabl.  IV,  213:  Sonl 
boilli  li  laaton?  J.  XCIV:  la  fa  donc  qiätee  li  Chevaliers?   Vergl.  §  14  b. 

y)  Durch  das  Objekt.  B.  Chr.  124,  37:  Dont  n'a  nom  Turnus 
tes  amis  ?    Vergl.  §  15  a,  /3  2. 

V)   Stellung  des  Subjekts  in  Bestimmungsfragen. 

Regel  ist,  afrz.  wie  nfrz.,  dafs  auch  in  Bestimraungsfragen  das 
Subjekt  jederzeit  invertiert  wird,  wofern  nicht  das  Fragewort  selbst 
Subjekt  oder  Attribut  desselben  ist.  Doch  zeigen  sich  auch  hier  manche 
Abweichungen  zwischen  dem  alten  Verfahren  und  dem  der  neueren 
Sprache.  Wie  bei  den  Bestätigungsfragen  gestattet  der  heutige  Sprach- 
gebrauch unbedingte  Inversion  nur  noch  einem  tonlosen,  in  der  Form 
des  konjunktiven  Personalpronomens,  beziehungsweise  als  on  oder  ce 
auftretenden  Subjekte.  In  betonter  Form  darf  dasselbe  nicht  invertiert 
werden,  wenn  das  Verbum  ein  Objekt  nach  sich  hat,  oder  wenn  qui 
Objekt  ist.  In  diesem  Falle  tritt  das  Subjekt  zwischen  Fragewort  und 
Verbum  und  wird  hinter  dem  letzteren  durch  das  ihm  zukommende 
tonlose  Personalpronomen  wieder  aufgenommen ;  aber  auch  sonst  ist 
diese  Stellung  die  herrschende,  aufser  wenn  das  Interrogativum  selbst 
Prädikatsbestimmung  oder  Attribut  einer  solchen  ist.  Alsdann  ist  die 
Inversion    auch   eines  betonten  Subjekts  erforderlich   (Liicking  §  258). 

Dafs  für  die  alte  Sprache  einfache  Inversion*  auch  eines  betonten 
Subjekts  die  Regel  war,  lehren  Mätzner  §  491,  Le  Coultre  p.  27, 
Krüger  p.  42,  Morf  p.  217,  Völcker  p.  17,  Schlickum  p.  8. 


*  Bei  Bestimmungsfragen  kann  noch  weniger  als  bei  Bestätigungsfragen 
die  Vermutung  entstehen,  die  Sprache  habe  darum  sich  jiescheut,  ein  per- 
sonalpronominales Subjekt  unausgesprochen  zu  lassen,  weil  in  diesem  Falle 
die  Inversion  nicht  kenntlich  gewesen  wäre.  Wie  zu  erwarten  ist,  werden 
<lie  Bestimmungsfragen  in  diesem  Punkte  wie  die  asserierenden  Hauptsätze 
behandelt.     So  zeigen  ein  ausgesetztes  pronominales  Subjekt 

in  ass.  Hauptsätzen:  in  ßestiminungsfragen : 

Ch.   Roland                           50  Proz.  50  Proz. 

Ch.  Lyon                   etwa    50      „  50      „ 

L.  ßois                                  22      „  21      „ 

Miracle  de  Theoph.           50      „  von  12  Fragen  —  7. 

Eine  merkwürdige  Ausnahme  machen 

Adau  de  hi  Halle  50  Proz.  fast     100  Proz. 

Jean  liodel  (St.  Nicolas)  37,5  „  von  IG   P'ragen   —    13. 


Die  Wortt*tellung  iin  altfranzösischtn  dii'i'ktfn  Fragesatze.  309 

Unter  den  an  diesen  Orten  gesammelten  Beispielen  findet  sich 
aber  keines  dafür,  dafs  ein  nominales  Subjekt  bei  Anwesenheit  eines 
nominalen  Objekts  invertiert  wäre.  Derartige  Belege  (vergl.  §  15  a,  /3  1) 
sind  in  der  That  recht  selten  und  meist  besonderer  Art. 

Von  dem  nfrz.  Verfahren,  dem  gemäfs  ein  betontes  Subjekt  zwischen 
Fragewort  und  Verbum  tritt,  ist  mir  in  der  alten  Sprache  keine  Spur 
begegnet.  Offenbar  konnte  auch  diese  psychologisch  nicht  zu  rechtferti- 
gende Konstruktion  erst  Platz  greifen,  als  man  daran  gewöhnt  war,  in 
der  Bestätigungsfrage  ein  nominales  Subjekt  absolut  voranzustellen. 

Dies  letztere  ist  nun  auch  bei  Bestimmungsfragen  sehr  häufig, 
häufiger  sogar  als  bei  Bestätigungsfragen  im  Altfrz.  der  Fall.  Tobler 
hat  den  altfrz.  Gebrauch  mit  Beispielen  belegt  in  dem  schon  oben 
citierten  Artikel  Zts.  II,  394.  Auch  dem  Nfrz.  ist  diese  Erscheinung 
nicht  fremd;  doch  ist  heute  die  Wiederaufnahme  des  der  Bestimmungs- 
frage absolut  vorangestellten  Subjekts  durch  das  ihm  zukommende  Per- 
.«onalpronomen  hinter  dem  Verbum  durchaus  erforderlich,  so  gut  wie 
bei  den  Bestätigungsfragen.  Von  letzteren  konnten  wir  auch  aus  dem 
Altfranzösischen  keine  Belege  beibringen,  in  denen  ein  pronominales 
Subjekt  nicht  ausgesetzt  gewesen  wäre;  in  Bestimmungsfragen  ist  diese 
Erscheinung  jedenfalls  ungemein  häufig;  schon  Diez  citiert  III^,  320 
aus  den  L.  Kois  (p.  218)  ices  ueilles  que  unt  forfait?  Vergl.  auch  Ad. 
p.  81:  Li  pecheoi\  las!  que  ferunt!  J.  LXXXI:  Et  cele  liame,  fet  «7, 
li  est.'  M.  XXVI,  407:  »SV  grant  diieil  faire  que  vous  vault?  M.  Reo. 
330,  187:  Q.ui  soi  pert  et  altrni,  chaitis^  que  devenra?  eb.  233,  243; 
M.  XVIII,  968:  Guillot^  ma  fille  ou  est?  chj  moij  etc. 

Dafs  sich  das  pronominale  Subjekt  auch  ausgesetzt  findet,  bedarf 
kaum  des  Beweises:  Ch.  II  esp.  10765:  mais  vostre  drois  7ions  ki  est 
ü?  eb.  11119:  Mais  eil  ki  a  la  traison  Faite,  u  est  iU  eb.  11650:  Biaus 
dous  sire,  et  mi  chevalier  U  sont  il?  Rieh.  1379:  Chüz  gayans  de  quel 
forche  est  il?  M.  XVIII,  1625:  La  grant  amour  dont  tu  iii'amoies  Que 
peut  eile  estre  devenue?  Am.  Am.  1527:  Vostre  proesce  qu'est  eile 
devenue?  Le  Coultre  p.  27  bestreitet  das  für  Crestien  mit  Unrecht, 
vergl.  Ch.  Lyon  3690,  Erec  6562,  ebenso  Krüger  p.  43  für  die  Prosa 
des  13.  Jahrb.,  vergl.  Nouv.  fran9.  p.  208. 

Wie  bei  den  Bestätigungsfragen  kann  das  Subjekt  auch  als  nach- 
trägliche Erläuterung  der  Be.stimmungsfrage  folgen  und  zwar  so  gut 
heute  wie   in   der  alten  Sprache.     Für  letztere   mögen   dies   bezeugen : 

Ch.  II  esp.  5956  :  Et  Id  sont  il,  li  chevalier,  U  issi  s'en  vont  maugre 


^\0  Die  Wortstellung  im  nltfmnzosisclicn  direkten  Fragesätze. 

7iu'c)i?  Pr.  P.  323:  Comment  a  il  non  U  Chevaliers?  M.  XXIII,  68: 
El  Die.r,  quelle  part  va  il  ore  Celui  qiie  dis?  cb.  XIX.  1119:  Ou  est 
il  alez,  le  hon  corps?  Men.  R.  277:  Hai!  cuens  de  Boulognc,  qiteil 
favez  bastie  la  traison,  entre  voiis  et  frere  Garin  ? 

Über  Bestimmungsfragen  mit  nicht  invertiertem  Subjekt  sehe  man 
Zusatz  1. 

Trennbarkeit   des  Subjekts   vom  Verbum. 

I.  Ist  das  Inferrogativum  selbst  Subjekt  oder  Attribut  desselben, 
so  finden  sich  (da  das  Verb  an  zweiter  Stelle  stehen  mufs)  zwischen 
ihm  und  dem  Verbum  afrz.  wie  nfrz.  nur  solche  Satzteile,  die  eine 
proklitische  Stellung  zu  letzterem  einnehmen,  d.  h.  tonlose  Pronomina 
und  die  Negation,  wovon  Beispiele  zu  geben  nicht  erforderlich  ist. 
Parenthetisch  eingeschobene  Satzglieder  können  nicht  als  trennend 
gelten,  wie  z.  B,  Erec  4468 :  Quel(e')  aventure,  beax  doicz  sire,  Por  Deu^ 
sire,  fa  qa  tramis  etc. 

II.  Ein  pronominales  Subjekt  wird  nicht  vom  Verbum  getrennt, 
in  der  Regel  auch  nicht  durch  tonlose  Pronomina. 

III.  Das  nominale  kann,  wie  in  Bestätigungsfragen,  vom  Verbum 
getrennt  werden  «)  durch  Adverbien  B.  Chr.  182,  17:  Par  com  faite 
aventure  sunt  en  cel  hos  ces  femmes  ?  vergl.  §  16  b;  ß)  durch  eine  prä- 
dikative Bestimmung,  vergl.  §  13  p",  II;  §  14  b;  j')  durch  das  Objekt 
vergl.  §  15  /^,  2. 

Zusatz  zu   §  12. 

1)  Tobler  hat  Zts.  II,  395  (Vermischte  Beiträge  Nr.  10)  einen 
der  alten  Sprache  eigentümlichen  Gebrauch,  demzufolge  in  Bestim- 
mungsfragen  ein  tonloses  Subjekt  häufig  nicht  invertiert  wird,  mit  vielen 
Beispielen  belegt  und  dahin  erklärt,  dafs  man  es  in  solchen  Fallen 
(Fragen  wie  que  c^estf  que  ce  doit?  sind  besonders  häufig)  im  Grunde 
mit  der  indirekten  Frageform  zu  thun  habe,  da  an  die  Stelle  der  Frage 
ein  verwunderter  Ausruf  getreten  sei.  Ich  habe  dem  dort  Gesagten 
nichts  hinzuzufügen.  Beispiele  mit  nominalem  betontem  Subjekt  sind 
auch  mir  nicht  begegnet;  jedenfalls  sind  sie  äufserst  selten;  doch  vergl. 
man  das  von  Krüger  citierte  Th.  fr.  201:  Ou  Pinchedes  et  Basoirs  est? 
auch  M.  V,  840:  Or  me  respong  donc  a  ceci/:  Comment  ce  que  dis  avenra  ? 
Weber  („Über  den  Gebrauch  von  devoir,  laissier,  pooir,  savoir  etc.") 
macht  in  einer  Anm.  p.  6  auf  das  mehr  als  seltsam  gestaltete  Ren.  386 : 
Renart,  Tienart,  ce  que  ce  doit  .  .  .?  aufmerksam,    wo   die  beiden  Kon- 


Die  Wortstellung  im  altfriinzösischeii  direkten  Fragesatze.  311 

struktioncn  ce  qiie  doit  und  que  ce  doit  verschmolzen  scheinen.*    Weitere 
ähnlich  gestaltete  Beispiele  kann  ich  nicht  nachweisen.** 

2)  Gehören  zwei  oder  mehr  Subjekte  zu  einem  Verbum,  so 
folgen  sie  demselben  entweder,  und  zwar 

a)  ungetrennt:  AI.  lOP:  que  valt  eist  criz,  eist  dols  ne  ceste  noise  ? 
Ch.  Rol.  2403:  U  est  Varcevesques  e  li  cuens  Oliviers?  eb.  2404, 
2405,  2407;  M.  XXIV,  1110:  Ou  sont  ne  Barharans  ne  Grie.v  Qvi 
laut  soitfrissent  poiir  leurs  diex?  Karls  Reise  623:  Di,  val  que  funt 
Franceis  e  Carles  al  fier  vis?  Th.  fr.  458:  Ou  doit  estre  aussi  le  retour 
Ne  le  refuge  ä  creature  Fors  qiCen  vous,  doulce  vierge  pure?  Jubinal, 
Myst.  ined.  15«  s.  p.  43.    Vergl.  auch  L.  Rois  55,  122,  161,  269,  3G2. 

b)  getrennt:'  Th.  fr.  570:  Comment  li  peut  estre  la  face  Pour  cheoir 
en  si  belle  place  Ne  le  corps  devenu  si  noir  ?  eb.  656:  Ou  alez  vous  ainsi 
Et  ees  genz  touz?  eb.  530:  Comment  fu  ceste  lettre  faitte  Et  wie  autre 
que  n'ay  pas  trcdtte  Ne  avant  mise?  M.  XXXVI:  N'est  pas  le  corps 
cncore  et  Farne  En  vie  humaine? 

Oder  sie  gehen  der  Frage  in  absoluter  Weise  voran :  M.  XXXII,  33  : 
Ce  dos,  ces  reins  ne  ces  costez  Vous  dolent  il?  oder  sie  gehen  zum 
Teil  der  Frage  voran,  zum  Teil  folgen  sie  derselben :  Lai  von  Melion 
(Zts.  VI,  46):    Tes  grans  sens  qu'est  il  devenus,   Tes  pris  et  ta  ehevalerie  / 

Besonderer  Art  sind  Beispiele  wie  Th.  fr.  7Q:  A  ein  este  Morgue  li 
'ce  Ne  ele  ne  se  conpaignie?  (cfr.  Tobler,  Zts.  VI,  524)  Men.  R.  277: 
ilueil  l'avez  bastie  la  traison,  entre  vous  et  frere  Garin?  „entre  vous  et  frere 
Garin^^  stets  aufserhalb  des  engeren  Satzgefüges  als  nachträgliche  Er- 
liinterung. 

Über  Th.  fr.  201  :  Ou  Pinchedes  et  Rasoirs  est?  vgl.  oben  Zusatz,  1. 

Es  darf  nicht  überraschen,  dafs  die  hergehörigen  Beispiele  nicht 
zu  zahlreich  und  auch  insofern  meist  besonderer  Art  sind,  als  es  sich 
vielfach  um  rhetorische  Fragen  handelt.  Die  altfrarizösische  Frage  zeigt 
in  der  neufranzösisch  zum  Teil  zur  Regel  gewordenen  Abgrenzung 
des  fraglichen  Gebietes  ein  unverkennbares  Streben  nach  Kürze  und 
Deutlichkeit.  Solchem  Streben  aber  laufen  Beispiele  wie  die  obigen, 
namentlich  die,  in  denen  mehrere  Subjekte  dem  Verbum  ungetrennt 
folgen,  deshalb  zuwider,  weil  der  Redende  in  Gefahr  kommt,  die  Auf- 
merksamkeit des  Hörers   von  dem  eigentlichen  Zwecke  der  Frage,   der 


*  Man  sehe  die  Stelle  jetzt  bei  Martin  II,  1068. 

**  Über  weiteres  Vorkommen   der   indirekten   Fragefonn   an   Stelle   der 
direkten  vergl.  §  U  ß;   §  15  a,  fi;   §  15  d;    §   16  a,  II  ß. 


312  Die  Wortstellung  im  allfranzösisclicn  direkten  Fragesätze. 

Erkundigung  entweder  danach,  ob  die  Verbindung  dieser  Subjekte  mit 
einem  bestimmten  Prädikate  zuliissig,  oder  danach,  wie  eine  bestimmte 
Lücke  in  einem  Vorstellungskreise,  dem  jene  Subjekte  angehören,  aus- 
zufüllen sei,  abzulenken. 

2)  Gleiches  gilt  von  dem  Fall,  dafs  zu  einem  Subjekt  zwei 
Verben  gehören. 

a)  Das  Subjekt  tritt  hinter  beide  Verba:  Perc.  2418:  Ahne  le  taut 
u  prise  chil  Qti'ü  li  ait  de  son  gre  rendue?  M.  XXXVI,  1532:  Quelle 
pari  demeurent  ne  hantent  Ceulx  qu'ay  oy  qui  si  bien  chantent? 

b)  Absolut  vor  beide:  M.  XXVI,  937:  El  Diex^  mon  euer  pour- 
quoy  ne  part  Et  creve  afin  que  je  mourusse  ? 

c)  Hinter  das  erste:  M.  XVIII,  337:  Voit  Diex  et  scet  am^si  le 
fait  Du  pechie  qui  de  nutz  est  f ait  Comme  de  jours?  eb.  III,  918:   Y  boit 

on  ne  menjne  point?  Hierher  gehört  auch  ein  Beispiel,  in  dem  ein 
absolut  vorangestelltes  Subjekt  hinter  dem  ersten  von  zwei  koordinierten 
Verben  im  Fragesatze  wieder  aufgenommen  ist:  M.  X,  76G — 771:  Et 
la  doidce  vierge  Marie  Quant  on  ot  matines  chante  Si  bei  com  vous  m'avez 
compte  Ne  parla  eile  point  a  vous  Ne  ne  fist  semblant,  sire  douhc  ?  Ob 
M.  XXVI,  937,  das  oben  citiert  ist,  eventuell,  sofern  ein  pronominales 
Subjekt  ausgesprochen  wäre,  auch  unter  c  gehörte,  ist  nicht  zu  ent- 
scheiden. Für  diese  Konstruktion  scheint  auch  ein  streng  genommen 
nicht  hierher  gehöriges  Beispiel  zu  sprechen:  M.  II,  164:  Et  quant 
vous  fustes  revenue  De  quoy  fut  ce  que  vous  rie's  Entre  vous  deux  et 
chucheties?  Die  Annahme,  dafs  die  Frage  ohne  die  Erweiterung  durch 
das  verbum  substantivum  gelautet  haben  wurde :  De  quoy  rie's  vous 
entre  vous  deux  et  chucheties^  ist  wohl  nicht  zu  gewagt.  Verfährt  der 
Redende  wie  in  Konstruktion  c,  so  läl'st  er  im  Gefühle,  dafs  das  an 
erster  Stelle  angewandte  Verb  das,  was  er  zu  sagen  wünscht,  nicht  in 
ganz  geeigneter  Weise  zum  Ausdruck  bringe,  das  zweite  gewissermafsen 
korrigierend  und  vervollständigend  zum  Begriff  des  ersten  hinzutreten, 
nachdem  die  eigentliche  Frage  schon  ausgesprochen  ist,  Avährend  das- 
selbe Gefühl  bei  Anwendung  von  Konstruktion  a  wirksam  wird,  bevor 
die  Frage  beendet  ist.  Zwingen  könnten  uns  freilich  zu  solcher  Auf- 
fassung die  beiden  unter  a  beigebrachten  Beispiele  nicht,  da  Perc.  2418 
cMl  recht  wohl  als  nachträgliche  Erläuterung  gelten  könnte  zu  aime  le 
tant  u  prise^  das  selbst  als  aime  le  (il)  tant  u  prise  aufgefafst  werden 
dürfte.  Entsprechendes  gilt  vom  zweiten  Beispiel. 
Über  dilemmatische  Fragen  vergl.  §  19. 


Die  Wortstolking  im  altfranzösischcii  iliroktcn  Fragesalze.  313 

§  13.    Stellung  der   prädikativen  Bestimmung 
des   Subjekts. 

a)  Im  altfrZi  asserierenden  Hauptsatze  kann  das  Prädikativ  des 
Subjekts  zu  Subjekt  und  Verbum  fünf  verschiedene  Stellungen  ein- 
nehmen. 

I.  Subjekt  — Verb  —  Prädikativ  ist  überall  die  gewöhn- 
lichste Stellung.  Vergl.  Völcker  p.  27«,  Morf  p.  238,  Le  Coultre  p.  28, 
Krüger  p.  44,  Schliokum  p.  21,  Marx  p.  346,  Ehering  p.  353. 

Die  gewöhnlichste  Stellung  ist  auch  die  natürlichste:  das  gram- 
matische Subjekt  ist  eins  mit  dem  logischen  und  nimmt  daher  die  erste 
Stelle  im  Satze  ein;  dem  Verbum  gebührt  die  zweite,  so  bleibt  die 
letzte  für  das  Prädikativum. 

]I.  Ist  der  Satz  durch  ein  Inversion  des  Subjekts  hervorrufendes 
Satzglied  eingeleitet,  so  erhalten  wir  die  zweite  Stellung:  Verb  — 
Subjekt  —  Prädikativ  (Völcker  p.  27,  Morf  p.  238,  Le  Coultre 
p.  28,  Krüger  p.  46,  Schlickum  p.  21,  Marx  p.  346  [nur  in  Relativ- 
sätzen], Ehering  p.  353). 

ni.  Freilich  ist  unter  denselben  Umständen  noch  eine  andere 
Stellung  möglich:  Verb —  Prädikativ  —  Subjekt.  Es  werden 
beide  anscheinend  ohne  ersichtlichen  Unterschied  verwendet,  wenn  sich 
neben  Ch.  Rol.  165:  Desuz  im  pin  en  est  li  reis  alez  ein  übrigens 
gleichgeartetes  Ch.  Rol.  501:  Enz  el  vergier  s''en  est  alez  li  reis  findet. 
Doch  wird  man  folgendes  bedenken  müssen  :  Zu  einem  logischen  Sub- 
jekte  desuz  nn  pin  (um  uns  an  das  citierte  Beispiel  zu  halten)  ist  als 
logisches  Prädikat  denkbar  1)  ein  li  reis  en  est  alez  oder  2)  alez  en  est 
li  reis.  Letztere  Ausdrucksweise  kann  nach  unseren  obigen  Erörte- 
rungen entweder  darin  ihren  Grund  haben,  dafs  das  Subjekt  nach- 
trägliche Erläuterung  ist  oder  dafs  auf  ihm  das  Hauptgewicht  der  Aus- 
sage ruht  (.,er  ist  weggegangen,  der  König"  oder  „der,  der  weg- 
gegangen ist,  i.st  der  König").  Offenbar  mufs  nun  der  Redende,  falls 
er  sich  zu  dem  logischen  Subjekte  desuz  iin  pin  der  Aussage  alez  en  est 
li  reis  mit  der  Bedeutung  des  Subjekts  als  einer  nachträglichen  Erläu- 
terung bedient,  die  in  Ch.  Hol.  501  zur  Anwendung  gekommene  Stel- 
lung wählen,  d.  h.  er  mul'ste  sagen  Desuz  im  pin  en  est  alez  li  reis,  da 
ja  li  reis  im  Grunde  aufserlialb  des  engeren  Satzgefüges  steht.  Solclie 
Auffassung  gestatten  denn  aucli  die  meisten  der  hergehörigen  Bei- 
spiele;  so  alle  die,   in  denen  ein  die  Intensität  des  adjektivischen  Prä- 


.■^11  Die  Wortstellung  im  nltfranzösisclien  direkten  Fragesatze. 

(llkaliws  beloiiendes  Adverbiiiin  zum  Verbiim  (litt,  zuiii  Teil  als  ein- 
leitendes Satzglied:  Ch.  Rol.  546,  1736,  3546,  3579,  3745,  Ville- 
Hard.  192,  250,  Cli.  Lyon  843,  928,  2187,  3771,  Nouv.  frane.  IIÜ, 
Aiic.  Nie.  259  (ed.  Nouv.  fr.).  Das  Prädikativ  i.-t  ein  Partieipimn  ; 
Passion  68c,  Gorm.  253,  Ch.  Rol.  501,  835,  1152,  Ch.  Lyon  1190. 
—  Vergl.  auch  Ch.  Lyon  862,  1190.  Einigemal«  scheint  auch  auf 
dem  Subjekt  das  Hauptgewicht  der  Aussage  zu  ruhen  (doch  mag  ich 
mich  hier  nicht  entscheiden):  Ch.  Rol.  1100,  Gormond  372,  Ch.  Lyon 
1134,  1054,  Ville-Hard.  160.  An  zwei  Stellen  ist  tel  Prädikativ 
(ViUe-Hard.   159,  Joinv.  71,  240,  vgl.  Marx  346). 

IV.  Überdie  Bedeutung  der  Stellung  Pr  ä  d  i  kat  i  v  —  Verbu  m  — 
Subjekt  haben  wir  oben  (vergl.  §  4  d,  §  6  [Fleft  2  p.  202])  ge- 
sprochen.     Ebenso  §  7  über 

V.  Die  Stellung  S  u  b  j  e  k  t  —  P  r  ä  d  i  k  a  t  i  v  —  Ve  r  b  u  m  (Völcker 
p.  28:  „häufig  in  den  älteren  Denkmälern",  Morf  p.  222,  Le  Coullre 
p.  29  f.,  Schlickum  p.  21). 

VI.  Die  sechste  a  priori  mögliche  Stellung  wäre  Prädikativ  — 
Subjekt  —  Verbum.  Dieselbe  kommt  in  altfranzösiseher  Zeit  für  nomi- 
nale Subjekte  niemals,  für  pronominale,  die  ja  auch  sonst  (infolge  ihrer 
Tonlosigkeit?)  Ausnahmen  zulas-en  (vergl.  die  Beispiele,  die  Krüger 
p.  39  für  die  Stellung  Objekt  —  Subjekt  —  Verb  giebt,  dazu  §  4b), 
erst  spät  und  selten  vor  (cfr.  Mätzner,  Synt.  §  486).  Das  Prädikativ 
ist  viel  zu  innig  mit  dem  Verbum  verbunden,  um  eine  absolute  Stellung 
aufserhalb  des  Satzgefüges  (denn  eine  solche  würde  man  ihm  bei  der  in 
Rede  stehenden  Wortfolge  zugestehen  müssen)  einnehmen  zu  können ; 
wenigstens  wenn  estre  das  Verbimi  ist;  bei  anderen  wäre  das  Vor- 
kommen einer  Stellung  PrSV  noch  eher  denkbar. 

ß)  Wie  verhält  sich  nun  die  Frage  zu  diesen  für  den  asserie- 
renden  Hauptsatz  geltenden  Gesetzen?  Eine  rein  theoretische  Be- 
trachtung ergäbe  folgendes : 

a)  Halten  wir  fest,  dafs  1)  die  Frage  das  Verb  an  erster  Stelle 
verlangt;  2)  die  Stellung  II  (vspr)  des  asserierenden  Hauptsatzes  sich 
aus  der  Stellung  I  (svpr)  ergiebt,  wenn  ein  einleitendes  Satzglied 
Inversion  des  Subjekts  hervorruft,  so  folgt,  dafs  Stellung  I  und  II  für 
den  Fragesatz  in  eine  Stellung  (vspr)  zusammenfallen. 

b)  Das  Gleiche  wäre  nach  dem  oben  Gesagten  in  gewissem  Mafse 
von  den  Stellungen  III  (v  pr  s)  und  IV  (pr  v  s)  zu  erwarten:  Frage- 
stellung V  pr  s. 


Die  ^^'orts1cllmlg  im  altfranzösisilicn  direkten  Fragesätze.  3i5 

c)  Der  Stellung  V  (spi'v)  niiilstc  im  Fragesatze  eine  Stellung 
s  vpr  entsprechen,  bei  der  freilich  in  Bestätigungsfragen  das  absolut 
vorangestellte  Subjekt  jedenfalls  durch  das  tonlose  Pronomen  hinter 
dem  Verbum  wieder  aufgenommen  sein  würde.  Vergl.  §  12.  Belege 
ebenda. 

Im  ganzen  finden  wir  diese  Erwartungen  bestätigt. 

1.  Die  häufigste  Stellung  ist:  Verb  —  Subjekt  —  Prädi- 
kativ. Nicht  mi)glich  ist  sie  nur  dann,  wenn  in  Bestimmungsfragen 
das  Interrogativum  selbst  Prädikativ  oder  Subjekt  ist. 

Wir  geben  zunächst  einige  Belege,  und  zwar  ohne  die  beiden 
Arten  von  Fragen  zu  trennen : 

1)  Das  Verbum  ist  nicht  das  verbum  substantivum.  Th.  fw  185: 
tSatile  voiis  che  raison  aperte?  M.  XXIII,  632:  Egar!  ou  va  la  fillc 
au  roy  Ainsi  seiile,  sanz  compagnie?  M.  XXII,  1478:  T)ij,  demenres  tu 
seul,  hon  homme?  Fabl.  I,  265.  Das  Subjekt  ist  unausgesprochen: 
Cleoni.  9427:  pour  quoi  remanommes  vires  .  .  .?  L.  Rois  83:  pur  qiiei 
viens  suis  e  nuls  ne  vient  od  teil  (lat.  Text:  Qjuare  tu  solus  et  nnllus  est 
tecuin .?) 

2)  Das  Verbum  ist  estre 

a)  aufserhalb  der  zusammengesetzten  Verbalform.  B.  Chr.  119, 
28:  Est  dont  amors  inferipetes ?  Th.  fr.  56:  N'est  mie  Rikiers  Amions 
Bons  clers  et  soutiex  en  son  livre?  Toblers  Mitt.  26,  18:  En'est  (so 
möchte  ich  mit  der  Hs.  lesen ;  en  =  ene,  eane)  mes  peres  Bastns  li 
enforcis  .  .  .?  M.  XXXV,  1179:  Est  mon  seigneur  sain  et  haitie? 
M.  XXX,  585:  Est  nature  en  vous  si  grant  dame  ?  Pr.  P.  126:  //t/, 
sire,  est  donc  li  rois  hermites  vostre  peres?  Fabl.  IV,  202  (wo  don  mit 
einem  Apostroph  zu  versehen  ist);  Jubinal  (Myst.  inedits  du  lö*' siecle) 
p.  12:  Dy,  ne  fu  pas  Joseph  le  pere  A  ton  Dieu  Jhesus  et  saniere  Marie 
la  Koiisse  nommee?  eb.  108:  est  Dieu  omnipotent?  Fabl.  I,  155:  Est 
eil  roncins  Jones  ou  vieoc?  R.  Charr.  6833:  N^estoit  hien  la  joie  ante- 
rine  .  .  .?  Pr.  P.  332:  dont  nest  eist  chastiax  vostres?  Ad.  p.  24:  Que 
n'est  li  niond  (1.  mons)  de  moi  delivre{s)  ? 

b)  in  der  zusammengesetzten  Verbalform.  Fabl.  IV,  125:  Qii'est 
ce?  Est  li  feus  estains  dont?  Tobl.  Mitt.  207,  22:  Et  nert  »la  vie  por 
avoir  rachatee?  J.  XXIX:  Seroit  la  reine  delivree  ...?  eh.:  Dame, 
feit  il,  est  encore  madame  la  reine  delivree?  Fabl.  III,  160:  Fu  on'pies 
riion  maribatu,?  Perc.  6216:  Dex^  fait  mesire  Gauwains,  Dont  ne  fu 
Meliaus   de   Lis  En   la    tnaison   Tiebaut    noris ?    Ch.   Lyon    596:    Sont 


3Ui  Die  Wortstellung  im  iiltfranzösis^chtMi  direkten  Fragesatze. 

voölre  piiiiel  anhorre  .  . ./  Rou  III,  1940:  Fu  la  coülier,  dist  il,  trovee ? 
B.  Chr.  399,  30:  Voiis  est  U  coers  faülis,  puls  que  venistes  clia? 
R.  Charr.  410:  Tvit  demandent:  A  qiiel  martive  Sera  eist  Chevaliers  ran- 
duz? Fabl.  III,  38:  Dotit  est  eist  palefrois  venuz?  eb.  III,  159:  Deusl 
porqiioi  fu  ma  mere  morte!  B,  Chr.  190,  32:  De  qiiele  mort  ert  eis 
coitis  iiie's?  Fabl.  IV,  152.  Ch.  Lyon  1499,  Lyon.  Ysop.  2866,  Th.  fr. 
420,  M.  VIII,  195,  Nouv.  fran9.  7  (Krüger  p.  43). 

In  Bestätigangsfragen  wird  ein  pronominales  Subjekt  in  der  Regel 
ausgesetzt,  doch  ist  das  Gegenteil  nicht  ohne  Beispiel:  B.  Chr.  88,  22: 
fustes  pris  poiir  le  songe? 

In  Bestimmungsfragen  fehlt  es  oft  (vergl.  Ch.  Lyon  1225,  5220, 
L.  Rois  62,  64,  122  etc.). 

IL  Nicht  ganz  so  häufig  ist  die  Stellung  des  Prädikativs  zwischen 
Verb  und  Subjekt,  Ich  kann  sie  nur  für  den  Fall  belegen,  dafs  das 
Verbum  eslre  ist.  Alexius  (ed.  Paris,  Romania  VIII)  p.  172,  215: 
Est  donkes  pechie  mariage ?  Pr.  P.  139:  (es  ist  nötig,  die  Stelle  im 
Zusammenhange  zu  eitleren)  „CÄeuaZzers," /ei  il^  „qiii  vos  dona  cest  escu 
et  de  par  qui  le  portez  vos  itel?^^  —  „Je  le  port  de  par  mon  pere,''^  fet  il.  — 
.,Porta  donc  vostre  pere  tescu  vermeil  au  cerf  blanc ?'■''  —  „Oil,  fet 
Perceval,  maint  jor.^^  —  m-^?'  donc  vostre  pere  li  rois  Vilains  des  vaus 
de  Kamaalot  9^''  —  „M es  per  es  fu  il  saus  faille.^^  Ad.  p.  23:  Est  tel 
(I.  tex)  li  fruiz?  Oil  par  voir.  L.  Rois  269:  Einz  dist:  Cument!  (das  ! 
fehlt  bei  Le  Roux)  sunt  teles  les  cites  e  les  chastels  que  mis  amis  m'ad 
duned ?  (6am\t  wird  übersetzt:  Ileceine  sunt  civitates  quas  dedisti  mihi, 
frateri\  Erec  1263:  Qu''en  diles  vous,  sire?  n''est  dons  JSlout  beax  et 
malt  riches  li  dons?  Band,  de  Conde  129,  289  :  Engest  contraires  fausetes 
A  foi  .  ..?  Jourd.  Blaiv.  1557:  N'iert  inais  requis  Froinons?  Ch.  II 
esp.  4956:  Si  est  ore  si  tost  desrous  Cil  hons  voloirs?  Fabl.  I,  190: 
Diva,  sont  cuites  les  pertris  ?  eb.  IV,  213:  Erme,  jai  tel  fain  que  je 
miiir,  Fet  il,  sont  hoilli  li  maton?  eb.  IV,  145:  Comant,  sire,  est  donnues 
failliz  Li  fromenz  ?  J.  CXVI :  Dame,  por  Deu,  seront  moi  ja  pardone 
si  grant  inesfait?  Pr.  P.  95:  nies,  por  Deu,  dites  moi  ou  je  trouverai 
man  frere.  —  Sire,  fet  Lanceloz,  je  le  vos  dirai.  Je  me  parti  hui  matin 
de  son  cors  et  Paidai  a  enterrer.  .  .  .  Est  dont  ocis  mes  freres  ?  fet  li 
Chevaliers,  eb.  p.  126:  Est  donc  gariz  li  Chevaliers  ?  M.  XIX,  1113: 
Avant!  est  rompu  le  festu?  Joinv.  28,  84:  Est  aree  vostre  besoigne? 
(Marx  p.  344.)  M.  XXVI,  473:  Est  mors  Anbin?  Fabl.  IV,  105: 
Dieus!  ou   est  alez  mes  barons  ...?    Ch.  Rol.  2407:    Qu''est  devenuz  li 


Die  \Yor(stellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  317 

Gnascuinz  Engeliers,  Sauses  li  ducs  e  Anseis  li  flers?  Ch.  Lyon  2179: 
Por  den,  qu'est  ore  devenuz  Mes  sire  Yvains  qui  7i'est  ventiz  .  .  .?  Cleom. 
4126:  qiiest  devenus  Melocandris  et  Baldigans ?  M.  XXVII,  764: 
Qii'est  devenu  vion  maistre  ?  Pr.  P.  186:  De  quel  terre  est  venuz  itex 
hom?  Th.  fr.  G4  :  Quant  fust  avetius  eins  afaires?  Jubinal  (Myst. 
ined.  lö«  s.  p.  116:  quest  or  devenus  I.  faids  vieillars  .. .?  Rieh.  3980: 
cofi  est  baillis  Mes  castyans  et  que  fait  ma  dame?    Th.  fr.  441. 

Bei  der  Mehrzahl  der  Belege  kann  das  Subjekt  als  nachträgliche 
Erläuterung  angesehen  und  in  diesem  Umstände  die  Erklärung  der 
Stellung  des  Prädikativs,  ganz  wie  bei  der  entsprechenden  Stellung 
vprs  des  asserierenden  Hauptsatzes,  gesucht  werden.  Besonders  deut- 
lich verlangen  diese  Auffassung  die  beiden  ersten  Beispiele:  Alex.  215, 
Pr.  P.  139.  Dagegen  scheint  in  den  (zuletzt  citierten)  Stellen,*  die 
devenu  als  Prädikativ  aufweisen,  das  Hauptgewicht  der  Rede  auf  dem 
Subjekt  zu  ruhen ;  doch  kann  ich  aus  Originalwerken  keine  so  deutlich 
sprechenden  Belege  anführen  wie  den  folgenden  aus  den  Sermons  de 
S.  Bernard  p.  550:  Est  dons  eist  enfes  Deus?  .  .  .  Est  il  dons  rois  ? 
Ou  est  li  roials  sale  et  U  sieges  royals  f  Ou  sunt  les  courz  et  li  roials 
frequence  ?  —  Est  dons  sale  li  estaules,  sieges  li  maingeure,  corz  li  fre- 
quence  de  Joseph  et  de  Marie?** 

III.  Voran  geht  das  Prädikativ  des  Subjekts  dem  Verbum  nur 
1)  in  Bestimniungsfragen,  in  denen  es  selbst  Interrogativum  ist,  von 
welchem  für  die  alte  und  neue  Sprache  ausnahmslos  geltenden  Ver- 
fahren Beispiele  zu  geben  nicht  nötig  ist.  Doch  sei  erwähnt,  dafs 
hierher  auch  Fälle  gehören  wie  Fabl.  I,  222:  Äinis,  com  /als  est  li 
■plus  haus?  eb.  Et  com  fais  est  eil  par  dalez? 

Das  interrogative  Adverbium  com  bildet  mit  fait  einen  Begriff 
{qualis). 

2)  In  Fragen  mit  Aussageform,  vergl,  Abschnitt  III. 

Trennbar  ist  das  Prädikativ  vom  Verbum  in  der  Stellung  vprs 
durch  Adverbien:  Erec  1253:  n'est  dons  Moiit  heax  et  inolt  riches  li 
dons?  Fabl.  IV,  202,  Ch.  Lyon  2179:  Quest  ore  devenus  Mes  sire 
Yvains  etc.,  die  denn  auch  in  der  Stellung  vspr  als  trennend  zum 
Subjekt  hinzutreten:  Fabl.  IV,  152:  Qu'est  donc  la  toille  devenue  / 
Men.  R.  173:   Serons  nous   ouan   mais  enclos   en   ceste   citei  ne  plus  ne 

*  \'ieileicht  auch  in  dem  Beispiel  M.  XXVI,  473:  Est  mors  Auhiu? 
**  Doch  war.  hier  das  Original  mal'sgebend:  Numquiii  aulu  est  stabuluin, 
tliruntis  i>rihse[)iuvi^  curice  frequcntia  Joseph  et  Maria  ? 


;)18  Die  \Vort^tc'llu^g  im  uli französischen  cJiiekten  Fragesätze. 

faisons?     Perc.   G21G:    De.v^    fiüt    mesire   Gamoains  lors,    Doiit    ne    fa 
Meltaus  de  Lis  En  la  inaison  Tiebaut  noris  ?  etc. 

Zusatz  zu   §  13. 

1)  Auch  zwei  koordinierte  Prädikativa  folgen  stets  dem  Verbum ; 
Perc.  6520  :  Vassaus^  Dont  ?i'estes  vos  sains  et  haüie's  .  ,  .?  M.  XXVII, 
1125:  IIa!  emperiere,  sire  einer ,  Coment  vi'estes  si  dur  et  fier  Quamort 
me  mettez  sanz  raison?  etc.  Ein  nominales  Subjekt  steht  entweder  voi- 
beiden;  Th.  fr.  5G:  N'est  mie  Rikiers  Amions  bons  clers  et  soutiex  eu 
son  livre?  oder  hinter  beiden  (als  nachträgliche  Erläuterung):  Erec 
1263:  liest  dons  Moid  beax  et  molt  riches  li  dons?  Dafs  man  etwa  auch 
habe  sagen  können :  nest  dons  mout  beax  li  dons  et  molt  riches,  kann  ich 
durch  Beispiele  nicht  beweisen;  für  unmöglich  halte  ich  es  trotzdem 
nicht.  * 

2)  Das  zu  einem  verbum  infinit  um  oder  einem  Prädikativ 
gehörige  sekundäre  Prädikativ  steht  wie  das  primäre  nur  dann  vor 
dem  Verbum,  wenn  es  selbst  Interrogativum  ist.  Ch.  Rol.  334:  Dient 
.Franceis:  que  purrat  co  estre ?  Meraugis  p.  18:  Qu'' est  mes  ciiers  devenuz 
Qu^ainsi  s'en  vole  qa  et  la  ? 

§  14.    Stellung  des  Prädikativs  des   Objekts. 

«)  Im  asserierenden  Hauptsatze  kann  die  prädikative  Bestimmung 
des  Objekts  zu  diesem  und  dem  Verbum  vier  verschiedene  Stellungen 
einnehmen:  1)  v  o  pr,  2)  vpro,  3)  o  v  pr,  4)  prvo.  (Morf  p.  238  bis 
242,  Völcker  p.  28—31,  Schlickum  p.  21  f.) 

ß)  Das  Gesetz,  das  dem  Verbum  im  Fragesat/.e  die  erste  Stelle 
anweist,  reduziert  sie  für  diesen  auf  die  beiden  1)  vopr  und  2)  vpro;** 
d,  h.  im  Fragesatze  folgt  das  Prädikativ  des  Objekts  dem  Verbum. 
Ausnahmen  von  dieser  Regel  kommen  kaum  vor.  Freilich  liest  man 
Fabl.  II,  89:  „3Iande  m^a  che  sire  Selvestres  /'•'■  Fait  li  Chevaliers.  — 
„0//,  SireJ''  Doch  liegt  hier  wohl  eine  der  nicht  seltenen  Bestätigungs- 
fragen in  Aussageform  vor  (cfr.  §  17).  Nur  B.  Chr.  318,  1:  Mon 
euer  pour  coi  seul  i  envoi?  und  M.  III,  276:  Coinment  soffert  l'as  ainsi 
morir?  sind  mir  als  Beispiele  dafür  begegnet,  dafs  in  Bestimmungs- 
fragen   das  Prädikativ  des  Objekts   vor  das  Verbum   tritt.    Sollte   hier 


*  V'ergl.  M.  XIII,  7G1 :  Ha!  inere  Dieu,  qu'ay  Je  veu  De  (oy?  Peut  c  estre 
ore  nienrnnge,   Ceste  vinion  au  rray  sniige? 

**  Wenigstens  sofern  das  Objekt  nominal  o 'er  nicht  Interrogativam  ist. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  319 

wie  bei  que  cest?  die  indirekte  Frage  an  Stelle  der  direkten  eingetreten 
sein?  (Vergl.  §  12,  Zus.,  1.  Auch  .sehe  man  §  15  a,  6  und  §  15  d. 
§  IG  a,  II,  ß.) 

1)  Belege  für  die  Wortfolge  vopr  sind  R.  Charr.  3949:  Ou  avez 
vos  or  cest  euer  pris  ?  Ron  III,  7873:  As  tu  le  duc  qui  vieni  veu  ^ 
Ch.  Lyon  3541  :  Donc  n'ai  je  ce  lyon  veu  .  . .?  Cli.  II  esp.  3839  :  A  il 
por  ce  mort  cleservie  ?  eb.  2784;  Ai  je  dont  Folie  faite  .  .  .?  etc. 

2)  Für  vpro  B.  Chr.  182,  22:  U  ont  eles  trouve  joiivent  qui  taut 
lor  dure  ..  ..?     Ch.  Lyon  1G21,  6314,  Th.  fr.  SG  etc. 

Nur  in  dem  besonderen  Falle,  dal's  das  Objekt  mit  dem  Interroga- 
tivum  zusammenfällt,  wird  natürlich  die  Stellung  o  v  pr  auch  für  den 
Fragesatz  obligatorisch. 

Somit  kann  die  prädikative  Bestimmung  des  Objekts  zu  Subjekt, 
Verbum  und  Objekt  folgende  Stellungen  im  Fragesatze  einnehmen : 

a)  Die  Wortfolge  vopr  ergiebt 

aa)  svopr;  ist  nur  möglich,  wenn  das  Interrogativum  Subjekt 
ist,  z.  B.  Tb.  fr.  630:  Qiii  vous  a  ce  salut  appris  ? 

bb)  vsopr  ist  für  ein  pronominales  Subjekt  die  einzig  mögliche 
Stellung,  ein  nominales  zeigen  z.B.  M.  XXVIII,  1090:  Ou  a  virginitez 
honnour  Recouvre  par  desus  nature  ?  eb.  VII,  458 :  A  chascune  son  livreprest  ? 

ce)  vospr  ist  bei  nominalem  Objekt  für  ein  tonloses  personalprono- 
minales Subjekt  nicht  möglich.  Für  das  betonte  Subjekt  weist  diese 
Wortfolge  auf:  Th.  fr.  20:  Ad  ceo  Pilate  comande  f  doch  ist  dies  Bei- 
spiel nicht  entscheidend,  einmal,  weil  wegen  des  doch  wohl  nicht  mög- 
lichen Pilate  irgendwie  zu  ändern  sein  wird  (vielleicht  E  ad  ceo  Pilaz 
comande?)^  zweitens  weil  ceo  vorliegt,  das  doch  die  Existenz  dieser 
Wortfolge  für  betonte  nominale  Objekte  nicht  ohne  weiteres  zu  erweisen 
vermag.  Für  ein  tonloses  pronominales  Objekt  weist  die  Stellung 
vospr  auf:  Jourd.  Blaiv.  3751:  A  te  Fromons  a  moi  fait  envoier? 

dd)  voprs  scheint  nicht  vorzukommen. 

b)  Die  Wortfolge  vopr  ergiebt: 

aa)  SV  pro  findet  sich  nur,  wenn  das  Interrogativum  Subjekt  ist; 
Ch.  Lyon  6314. 

bb)  vspro  ist  für  tonlose  pronominale  Subjekte  die  einzig  mögliche 

Stellung.    Für  betonte  zeigen  sicTh.fr.  614:  yl  Clotilde  fait  sa  doniiee  / 

L.  Rois  353  :   Di,  si  te  piaist,  pur  quei  ad  nostre  Sires  asseinblez  ci  nvs 

treiz  reis  .  .  ./  (lat.  Text:  Quare  congregavit  Dominus  tres  reges  hos  . ../). 

cc)  vprsö  ist  nur  für  betonte  Subjekte  möglich,  z.  B.  M.  Rec. 


320  Die   Wortstellung  im  iiltfVanzösischen  direkten  Tragcsatze. 

309, 102;  Cument^  fiint  li  ü  dune,  a  vus  ahandonez  Li  reiz  tuz  cels  par 
cid  ses  filz  fu  corunez  ? 

dd)  vpros  weist  z.  B.  auf;  M.  IT,  1161:  Vous  a  fait  si  grant  coiir- 
toisie  la  mere  Dieu  comme  vous  dites  1  Auch  in  dieser  Stellung  sind 
natürlich  nur  betonte  Subjekte  möglich. 

Ist  das  Interrogativum  resp.  ein  tonloses  Personalpronomen  Objekt, 
so  ergiebt  die  dadurch  möglich  werdende  Stellung  o  v  pr  noch  1)  s  o  v  pr, 
das  wie  2)  o  s  v  pr  nicht  vorkommt.  3)  ovspr:  R.  Charr.  439;  QiCa 
eist  Chevaliers  mesfet?  Th.  fr.  331  :  Quont  ore  les  gens  empense / 
L.  Rois  14  etc.  4)  ovprs:  Fabl.  I,  51:  ili'a  donques  trahi  Mes  oneles 
en  qiii  me  fioie?  M.  XXII,  692;  Vous  a  hien  tant  fem  S'amor  au  euer? 
J.  XCIV:  la  t'a  done  quitee  li  Chevaliers?  M.  XXVII,  808:  Qu'a  faxt 
man  seigneur?  eb.  XXV,  1219  etc. 

§  15.  Stellung  des  Objekts. 
«)  Des  nominalen. 
«)  Im  asserierenden  Hauptsatze  kommt  das  nominale  Objekt  in 
Verbindung  mit  Subjekt  und  Verbum  in  folgenden  Stellungen  vor : 
1)  Subjekt  —  Verbum  —  Objekt.  Diese  Stellung  ist  überall  die 
gewöhnlichste.  (Morf  p.  225,  Le  Coultre  p.  31,  Krüger  p.  46,  Marx 
p.  347,  Schlickum  p.  13,  Völcker  p.  33.)  2)  Die  demnächst  häufigste 
Stellung  ist  Objekt  —  Subjekt  — Verbum  (Morf  p.  226,  Le 
Coultre  p.  20,  Schlickum  p.  14,  Krüger  p.  37,  Marx  p.  348,  Völcker 
p.  34).  Unsere  Ansicht  über  die  Bedeutungen  dieser  Wortfolge  haben 
wir  oben  dargelegt,  vergl.  §  4  b,  §  6  (Heft  2,  p.  203).  3)  Die  Stellung 
Subjekt  —  Objekt  —  Verbum  ist  nach  Völcker  (p.  33)  sehr  üblich 
in  der  Passion,  im  Rolandslied  nicht  selten  (Morf  p.  222),  Le  Coultre 
bringt  drei  Beispiele  aus  Crestien  bei  (p.  33),  bei  Schlickum  ist  sie 
p.  14  mit  einem,  bei  Krüger  p.  47  mit  zweien  aus  asserierenden 
Hauptsätzen  belegt ;  Marx  findet  sie  bei  Joinville  nur  im  Relativsatze. 
Über  die  Bedeutung  dieser  Wortfolge  sehe  man  §  7.  4)  Die  Stellung 
Verbum  —  Subjekt  —  Objekt  findet  sich  im  eingeleiteten  asse- 
rierenden Hauptsatze.  Die  von  Völcker  p.  33  gegebenen  Belege  (von 
denen  Gorm.  125  zu  streichen  ist)  sind  alle  derart;  Morf  stellt  das 
Gleiche  für  das  Rolandslied  p.  226  fest;  ebenso  für  ihre  bezüglichen 
Texte   Krüger   p.  46,*    Le   Coultre  p.  32,    Marx   p.  349,    Schlickum 

*  Zwei  der  von  Krüger  ce<rebenen  Belege  sind  allerdings  durch  cl  ein- 
geleitet;  cfr.  darüber  §  4  e  (p-   194). 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesätze.  321 

p.  14,  Ebering  p.  354.  Unter  denselben  Umstcänden,  d.  li.  wenn  ein 
einleitendes  Satzglied  Inversion  des  Subjekts  hervorruft,  ist  auch  mög- 
lich 5)  die  Stellung  Verburn  —  Objekt —  Subjekt.  Dieselbe  ist 
nach  Völcker  in  den  ältesten  Denkmälern  selten  (Passion  57  d  war  unter 
ovs  zu  stellen,  da  das  vorangehende  crucifige  [Passion  57c]  Inversion 
bewirkte).  Die  beiden  aus  AI.  gegebenen  Belege  sind  durch  ein  Inversion 
bewirkendes  Satzglied  eingeleitet.  Das  Gleiche  gilt  von  denen  bei 
Morf  p.  2*23,  Krüger  p.  38,  Le  Coultre  p.  33,  Schlickum  p.  11,  Marx 
p.  349  (ein  Beispiel  ist  durch  et  eingeleitet :  A^,  158)  und  Ebering  p.  354. 
Die  hier  zusammengetragenen  Belege  sind  der  Mehrzahl  nach  be- 
sonderer Art.  Alexius  49a,  Ch.Rol.  1076, 1173,  3451,  Ville-Hard.  49 
und  Aue.  Nie.  41,  22  ist  avoir  das  Verburn,  zu  dem  das  folgende 
nicht  mit  dem  Artikel  versehene  Objekt  in  inniger,  einen  einheitlichen 
Begriff  darstellender  Verbindung  steht:  avoir  num  (AI.  49  a,  mitG.  Paris), 
aveir  rcproece  (Ch.  Rol.  1076),  aveir  ciilpe  (eb.  1173),  aveir  doel  (eb. 
3451),  avoir  fiance  (Ville-Hard.  49).  Nur  Aue.  Nie.  41,  22  ist  aus- 
zunehmen, wo  sich  das  possessive  Adjektivpronomen  vor  dem  Objekt 
findet:  or  a  sa  joie  Aiicassins.  Ville-Hard.  226  ist  das  den  Thätigkeits- 
begriff  nur  in  formaler  Weise  zum  Ausdruck  bringende /rnVe  das  Verburn, 
eb.  123  liegt  in  prendre  conseil  eine  stehende  Verbindung  vor,  ebenso 
Joinv.  59,  196  in  empörter  le  pris  und  Ch.  Lyon  prendre  la  joi.  Es 
liegen  also  Fälle  vor,  in  denen,  fehlte  das  einleitende  Satzglied,  das 
Objekt  rocht  wohl  an  die  Spitze  treten  könnte,  bei  einigen  (denen  mit 
avoir.')  vielleicht  sogar  treten  müfste;  so  wäre  man  wahrscheinlich 
gezwungen,  Ch.  Rol.  3451  :  3Iidt  ad  grant  doil  Carlemagnes  li  reis  bei 
Fehlen  des  einleitenden  mult  das  Objekt  grant  doel  an  die  Spitze  zu 
stellen:  grant  doel  ad  Carlemagnes  li  reis;  ein  ad  grant  doel  Carlem.  li  r. 
wäre  wenigstens  für  das  Rolandslied  nicht  möglich  und  auch  sonst 
sind  analoge  Beispiele  bisher  nicht  nachgewiesen.  Freilich  könnte  ja 
jene  unstatthafte  Ausdrucksweise  auch  durch  ein  Carlem.  li  reis  ad  graut 
doel  umgangen  werden,  oflFenbar  aber  mit  anderer  Sinnesfärbung:  letz- 
terer Satz  würde  von  dem  Könige  Karl  aussagen,  er  habe  grofses  Leid, 
während  ein  grant  doel  ad  Carlemagnes  li  reis  nach  unseren  obigen  Auf- 
stellungen entweder  besagen  kann :  „er  hatte  grofses  Leid,  der  König 
Karl"  oder  „wer  grofses  Leid  hatte,  war  König  Karl".  Jedenfalls 
wird  man  zugeben  müssen,  dafs,  wenn  der  Redende,  indem  er  nndt 
zum  logischen  Subjekte  wählt,  den  hohen  Grad  der  Gültigkeit  einer 
von    ihm    beabsichtigten    Behauptung    zum    Gegenstand    der   Aussage 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  21 


322  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

macht,  er  diese  Aussage  selbst  doppelt  gestalten  konnte:  1)  Carlemagnes 
ad  graut  doel,  2)  grant  doel  ad  Carlem,  li  reis.  Bediente  er  sich  der 
letzteren  Form,  so  mulste  seine  Rede,  da  dem  Verbum  die  zweite  Stelle 
im  Satze  gebührt,  eben  jene  in  dem  citierten  Verse  des  Rolandsliedes 
vorliegende  Gestalt  annehmen.  Somit  werden  wir  bei  den  Beispielen, 
die  im  assericrenden  eingeleiteten  Hauptsatze  die  Stellung  Verbum  — 
Objekt  —  Subjekt  aufweisen,  zu  unterscheiden  haben  zwischen 
solchen,  in  denen  das  Subjekt  den  Kern  der  Aussage  bildet,  und  solchen, 
in  denen  es  als  nachträgliche  Erläuterung  gellen  mufs.  Zu  letzteren 
wird  Ch.  Rol.  3451  zu  zählen  sein,  ebenso  Ch.  Rol.  1173:  II  n'en  set 
7not,  nH  ad  cidpe  li  her.*  Vielleicht  auch  Ch.  Rol.  1076,  wenngleich 
hier  auch  die  andere  Auffassung  nicht  ausgeschlossen  scheint;  ferner 
Alexius  4  a:  Enfemiens  ensi  out  nom  li  pedre  (mit  G.  Paris). 

Dagegen  liegt  auf  dem  Subjekt  das  Hauptgewicht  der  Aussage 
Joinv.  59,  196:  de  celle  journee  emporta  le  pris  monseigneur  Geffroy  de 
Mussaubonc.  Vielleicht  auch  Aue.  Nie.  41,  22:  Or  a  sa  joie  Aucasins 
Et  Nicolete  autresi. 

6)  Sehr  selten  ist  bei  nominalem  betontem  Subjekt  die  Stellung 
Objekt  —  Subjekt  —  Verbum.  Für  pronominale  Subjekte  frei- 
lich kommt  sie  schon  im  13.  Jahrh.  vor,  wie  Krüger  p.  39  beweist. 
Natürlich  auch  später;  so  glebt  Marx  p.  348  aus  Joinville,  Ehering  p.  349 
aus  Froissart  Nachweise.  Einen  Beleg  für  diese  Wortfolge  mit  nomi- 
nalem Subjekt  giebt  Völcker  p.  33:  Fassion  78^:  trestot  cest  mund 
granz  noiz  cubrid,  einen  zweiten  Le  Coultre  p.  20:  Ch.  Lyon  4524 
(nicht  1524):  Ce  cop  li  autre  dui  comperent.  Man  wird  nicht  umhin 
können,  in  so  gestalteten  Beispielen  Anakoluthien  zu  sehen;  vergl.  im 
übrigen  §  4b  (Heft  2,  p,  192  f.). 

ß^  Was  dürfen  Avir  nunmehr  für  den  Fragesatz  erwarten? 

Stellung  1  (svo)  und  4  (vso)  müssen  in  eine  Stellung  vso  zu- 
sammenfallen, da  sich  St.  4  (vso)  aus  St.  1  (svo)  ergiebt,  wenn  ein 
einleitendes  Satzglied  Inversion  des  Subjekts  bewirkt.  Gleiches  werden 
Avir  nach  dem  oben  Gesagten  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  für 
St.  2  (ovs)  und  5  (vos)  annehmen  dürfen.  Für  St.  3  (sov)  wäre 
ein  Gegenbild  svo  mit  absolut  vorangestelltem  Subjekt,  und  für  St.  6 
(osv)  ein  solches  ovs  mit  absolut  vorangestelltem  Objekt  zu  erwarten. 


*  Gautier  fühlt  die  Bedeutung  von   /*■'  her  richtig;   denn   er  übersetzt; 
Certes  il  nest  pas  coiij)aMe,  car  il  iien  seilt  mot,  le  baron. 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  323 

1)  In  der  That  ist  die  häufigste  Stellung  im  Fragesatze:  Ver- 
b  u  m  —  Subjekt  —  Objekt.     Beispiele  sind: 

Fabl.  III,  272:  Menoit  sainz  Fransois  teile  vie?  Pr.  P.  139:  Porta 
clonc  vostre  pere  Vescu  vermeil  au  cerf  blanc  /  Th.  fr.  70:  Comment,  ont 
jyrelas  Vavantage  D'avoir  fernes  a  remuier  .  .  ,?  M.  XVIII,  337 :  Voit 
Diex  et  scet  aussi  le  fait  Du  pechie  qui  de  niiiz  est  fait  Comvie  de  jours? 
M.  Reo.  309,  1G2:  Coment!  funt  li  il  dune,  a  vtis  abandunez  Li  reiz 
tuz  cels  par  cui  ses  filz  fu  corunez  ?  Th.  fr.  614:  A  Clotilde  fait  sa 
donnee ?  M.  VII,  458:  A  chascune  sun  livre  prest?  R.  Charr.  1076: 
Fera  donc  eist  sa  volenti  de  moi  .  .  .?  Ch.  Lyon  6062:  Comant?  vialt 
donc  Yvains  ocirre  Mon  seignor  Gauvain  son  ami /*  Vergl.  auch  eb. 
6065.  M.  V,  938.  Ehering  eitert  p.  351:  ne  orent  pas  ce  jour  nos 
gens  une  belle  aventure'f  L.  Rois  189:  Respundi  li  reis:  E  ad  mes  fiz 
Absalon  pais  e  est  il  haitiez?  (lat.  Text:  Estne  pax  puero  Absalom  f) 
eb.  86 :  Durrad  li  fiz  Ysai  a  vus  tuz  champs  e  vignes  .  . .?  {iiumquid 
Omnibus  vobis  dabit  filius  Ysai  agros  et  vineas  .  .  .9)  eb.  157:  Ki  ocist 
Abimilecli  le  fiz  Jeroboal?  Dun  ne  jetad  une  femme  sur  hd  une  piece  de 
muele  del  mur?  (jionne  midier  misit  super  eum  fragmen  molw  de  mitro  ?) 
eb.  410:  Cnment,  chieles !  (das  !  fehlt  bei  Le  Roux)  pout  dune  mds 
Dens  de  nule  terre  defendre  sun  pais  e  sa  gent  de  mei  e  de  mes  ancesurs  ? 
{Numquid  liberaverunt  dii  gentium  terram  suam  de  manu  regis  Assyrio- 
rum?)  eb.  337:  Cument,  dan  maistre,  si  laissad  li  esperiz  Deu  mei  e  ad- 
parled  od  tei?  {Mene  ergo  dimisit  Spiritus  Domini  et  louutus  est  tibi?) 
eb.  378.  Vergl.  auch  Oxf.  Ps.  p.  312:  Oubliera  Deux  sa  merci?  (Versio 
metrica  LXXVI,  9).  In  Bestimmungsfragen  ist  diese  Stellung  seltener: 
M.  XXVIII,  1690:  Ou  prent  loyaute  son  sejour,  ...  Ou  a  virginitez 
Jionnour  recouvre  par  dessus  nature?  L.  Rois  179:  Pur  quei  maldist 
cest  chien  qui  ja  murrad  lu  rei?  eb.  410:  Nids  Deus  de  mdes  terres  ne 
pourent  pas  defendre  lur  pais  de  mei,  e  cument  dune  defendreit  vostre 
Deu  Jerusalem?  (lat.  Text:  Quinam  Uli  sunt  in  universis  diis  terrarum 
qui  eriierunt  regionem  suam  de  manu  mea,  ut  possis  eruere  Dominus  Jeru- 
salem de  manu  mea?). 

Für  pronominale  Subjekte  ist  Beispiele  zu  geben  nicht  nötig;  sie 
sind  natürlich  in  Bestätigungs-  und  Bestimraungsfragen  überaus  häufig. 
Noch  das  Neufranzösische  stimmt  hier  mit  dem  altfranzösischen  Ver- 
fahren überein? 


*  Von  Le  Coultre  citiert. 

21' 


32-1  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

Ungleich  seltener  als  die  Stellung  Verbum  —  Subjekt  —  Objekt  ist 

2)  die  Stellung  Verbum  —  Objekt  —  Subjekt.  B.  Chr. 
124,  37:  Dont  n^a  nom  Turnus  tes  amis?  M.  II,  11  Gl:  Vons  a  fait 
si  grant  courtoisie  La  mere  Dien  comme  voiis  dites ?  eb.  XX IV,  15: 
Oll  tiennent  leurs  escoles  Les  crestiensf  Th.  fr.  489:  Ou  a  pris  ce  coii- 
rage  Mon  pere  .  .  .?  Pr.  P.  78 :  Et  comment  a  non  li  chastiaus  ?  eb.  112  : 
Et  comment  a  non  vostre  sires^  Max  amis?  eb.  335:  Et  comment  a  non 
li  rois,  feit  Perceval,  damoisele?  eb.  333:  Dame^  feit  il,  comment  a  non 
eil  qiii  est  au  ]j7'isson?  Rieh.  1343:  Car  me  dites,  comment  a  non  Li 
castyaus  de  si  grant  renon?  Blanc.  et  l'Org.  (ed.  Miohelant)  3316: 
Comment  a  non  ceste  mirmande?  eb.  2929:  Comment  avoitnonUmescins? 

Morf  bemerkt  p.  226,  dafs  die  Stellung  Verbum  —  Subjekt  — 
Objekt  für  das  Rolandslied  nur  dann  möglich  sei,  wenn  das  Subjekt 
ein  Eigenname  oder  ein  Pronomen  sei.  Die  Beobachtung  Morfs  ist 
nicht  auf  das  Rolandslied  beschränkt.  Freilich  bedarf  die  von  ihm  ge- 
gebene Regel,  um  Allgemeingiiltigkeit  beanspruchen  zu  können,  insofern 
der  Erweiterung,  als  den  Eigennamen  auch  persönliche  Appellativa 
gleichzustellen  sind.  So  weist  schon  Morf  selbst  p.  215  darauf  hin, 
dafs  die  von  Krüger  (p.  46)  und  Le  Coultre  (p.  32)  gesammelten  Bei- 
spiele seine  Regel  insofern  bestätigen,  als  es  sich  bei  ihnen  gleichfalls 
um  pronominale  Subjekte  oder  das  einem  Eigennamen  gleichwertige 
dnx  handelt.  Allerdings  sind  die  Pronomina  keine  tonlosen  persön- 
lichen ;  vielmehr  handelt  es  sich  in  den  beiden  in  Betracht  kommenden 
Beispielen  (Ville-Hard.  34  und  193)  um  chasciins^  das  Morf  nach 
seiner  Anmerkung  2  auf  p.  204  nicht  pi-onominal  nennen  sollte.  Auch 
die  von  Völcker,  Schlickum,  Marx  und  Ehering  (p.  349)  beigebrachten 
Belege  widersprechen  der  Morfschen  Regel  in  jener  erweiterten  Fassung 
nicht.*  Als  Subjekte  finden  sich:  deus,  amiratuv,  le  roy  cf Angleterre , 
nostre  Dame,  nostre  Dien,  les  Tiirs,  li  contes,  li  roys  de  Franche,  les 
Franqais,  ces  seigneurs. 

Den  Grund  dieser  Erscheinung  sieht  Morf  p.  214  in  demselben 
Umstände,  der  das  Altfranzösische  des  Rolandsliedes  veranlafste,  sich 
der  „unbedingten"  Inversion  des  Subjekts  in  Sätzen  mit  nominalem 
Objekt  nicht  zu  bedienen,  d.  h.  darin  (cfr.  p.  207),  dafs  es  für  den 
Hörer  schwierig,  ja  im  Falle  mangelhafter  Kasusflexion  kaum  möglicli 


*  Nur  hemorke  man  Joinv.  CO,  200:   Apres  ces  choses  prist  le  conseil  le 
roy  ei  le  cO)tseil  le  Soudanc  Journce  (hei  Marx  p.  34;)). 


Die  \Yoi"tstellung  iui  alifianzösischen  direkten  Fragesatze.  325 

sei,  das  Subjekt  vom  Objekt  zu  unterscheiden,  wofern  sich  eben  nicht 
ersteres  als  Eigenname  von  den  übrigen  Wörtern  abhebe  oder  als  Pro- 
nomen so  eng  an  das  Verbum  anschliefse,  dafs  es  nn't  demselben  gloicli- 
sam  ein  Wort  bilde,  und  auf  diese  Weise  eine  Erschwerung  des  Ver- 
ständnisses in  beiden  Fällen  ausgeschlossen  scheine. 

Mir  erregt  diese  Erklärung  einige  Zweifel.  Zunächst  nnifs  es 
doch  auffallen,  dafs  die  Sprache  in  gewissen  Fällen  die  Anwe^^cniieit 
eines  pronominalen  Siil)jekts  oder  eines  als  Subjekt  fungierenden  Eigen- 
namens für  genügend  erachtete,  um  eine  Erschwerung  des  Verständ- 
nisses auszuschlicfscn,  in  anderen  (bei  der  „unbedingten"  Inversion 
des  Subjekts)  nicht?  Ferner  fällt  es  mir  schwer  zu  glauben,  dafs  die 
Sprache  sich  gescheut  haben  sollte,  so  gut  wie  De  bons  vassals  avrat 
Charles  suffraite  (Ch.  Rol.  939)  etwa  auch  zu  sagen  De  bons  vassals 
avrat  l'ost  sufraite  aus  Besorgnis,  der  Hörer  möge  nicht  herausfinden, 
dafs  l^ost  Subjekt  und  suffraite  Objekt  sei ;  „so  ängstlich  ist  das  sprechende 
Volk  nicht."  Ist  es  nicht  ungleich  kühner  zu  sagen:  Fu  donc  vostre 
pere  li  rois  oder  Est  dont  amors  infermetes  oder  Est  donc  pechie  mariage 
(cfr.  die  §  13/?,  1,2  gesammelten  Belege),  als  es  wäre,  sich  einer  Kon- 
struktion, wie  De  bons  vassals  avrat  Vost  soitffraite  sie  darstellt,  zu  be- 
dienen ?  Von  einem  zu  besorgenden  Mifsverständnis  wird  in  der  That 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  die  Rede  sein  können;  da  aber,  wo 
dies  mit  Grund  geschieht,  wie  z.  B.  Joinv.  55,  184:  Par  pluseurs  fois 
li  disconfirent  les  Turs  sa  gent  (wenigstens  wenn  li  fehlte),  kann  offenbar 
auch  ein  als  Subjekt  fungierender  Eigenname  ein  Mifsverständnis  nicht 
ausschliefsen. 

Der  Grund  der  von  Morf  konstatierten  Erscheinung  wird  also 
anderswo  zu  suchen  sein;  diese  selbst  bleibt  natürlich  darum  niclit 
Aveniger  sicher.  Auch  für  den  Fall,  dafs  das  Subjekt  durch  das  Objekt 
vom  Verbum  getrennt  wird,  also  für  die  Stellung  Verbum  —  Objekt  — 
Subjekt  trifft  Morfs  Beobachtung  zu.  Sie  trifft  endlich  auch  für  den 
Fragesatz  zu.  ]\Iit  zwei  Ausnahmen  handelt  es  sich  bei  den  Beispielen, 
die  wir  für  die  Stellung  Verb  —  Subjekt  • —  Objekt,  sowie  für  die  zweite  : 
Verb  —  Objekt  —  Subjekt  beigebracht  haben,  um  solche,  die  einen  Eigen- 
namen oder  ein  persönliches  Appellativuni  oder  schlicfslich  ein  Pro- 
nomen zum  Subjekt  haben;  auch  die  Übersetzungen  entnommenen  Be- 
lege machen  hiervon  keine  Ausnahme,  da  L.  Rois  179:  Purquei  maldist 
cest  chien  qui  Ja  murrad  lu  rei  /  wo  mit  cest  chien  doch  auch  eine  Person 
bezeichnet  wird,  als  solche  nicht  gelten  kann.    Auch  M.  XXVIII,  1G90; 


326  Die  Wortstellung  im  altfranzösisehcn  direkten  Fragesatze. 

Oi(  prent  loijaute  son  sejour  ...  Ou  a  virginitez  lionnour  recouvre  par 
desstis  naliire?  widerspricht  dem  Gesagten  nicht,  Aaloyaute  und  virginitez 
als  Bezeichnungen  von  Persönlichkeiten  angesehen  werden  können. 
Und  am  Ende  fällen  auch  Pr.  P.  78:  Et  co7mnent  a  non  U  cha-iiaus? 
(und  Rieh.  1343:  Comment  a  non  Li  castyaus  de  si  graut  renon?)  und 
Blanc.  et  l'Org.  3316:  Comment  a  non  ceste  mirmcmde?  nicht  so  schwer 
ins  Gewicht,  da  doch  auch  das  Schlofs  sowie  das  Städtchen  gewisser- 
raafsen  als  Person  betrachtet  werden,  wie  zur  Genüge  daraus  hervor- 
geht, dafs  man  ihnen,  wie  einer  Person,  einen  Namen  giebt. 

Angesichts  des  Urastandes,  dafs  für  die  Frage  eben  jene  beiden 
Stellungen  die  regelmäfsigen  und,  sofern  nicht  das  Subjekt  oder  das 
Objekt  aus  dem  engeren  Satzgefüge  heraustritt  (Beispiele  für  letzteres 
unter  3),  die  einzig  möglichen  sind,  mufs  diese  Thatsache  auffallen. 
Mit  ihrer  Konstatierung  erwächst  uns  zugleich  die  Pflicht,  die  Frage 
zu  beantworten,  wie  denn  die  alte  Sprache  verfahren  ist,  wenn  das 
Subjekt  des  Fragesatzes  weder  ein  Eigenname  noch  ein  persönliches 
Appellativum  noch  auch  ein  Pronomen  war?  Machte  sie  es  sich  etwa 
in  solchen  Fällen  zur  Pflicht,  das  Subjekt  oder  das  Objekt  dem  Satz- 
gefüge absolut  voranzuschicken?  Auf  diese  Frage  zu  antworten,  sind 
wir  aus  dem  einfachen  Grunde  nicht  im  stände,  weil  es  uns  an  ein- 
schlägigen Beispielen  völlig  fehlt.  Und  vielleicht  nicht  zufällig  fehlt; 
denn,  wenn  es  auch  nicht  ausgeschlossen  sein  mag,  dafs  sich  das  Alt- 
französische Mengen  oder  Stoffe  oder  schwerer  zu  personifizierende 
Dinge  als  Subjekte  zu  transitiven  Thätigkeilsbegriffen  vorstellte,  so 
liegt  es  doch  nahe,  dafs  dieser  Fall  für  eine  so  schlichte  Sprache  das 
bei  weitem  Seltenere  sein  mufste.  Damit  stimmt  überein,  dafs  auch 
die  bisher  für  die  Stellungen  Subjekt  —  Objekt  —  Verb  um  und 
Objekt  —  Subjekt —  Verbum  gesammelten  Belege  mit  einer 
Ausnahme:  Passion  78b  (von  Völcker  cit.  p.  33)  in  Bezug  auf  das 
Subjekt  alle  den  Anforderungen  genügen,  die  Morf  an  die  Stellungen 
Verb  —  Subjekt —  Objekt  und  Verb  —  Objekt  —  Subjekt  stellt.  Die 
ganze  F'rage  bedarf  noch  der  Untersuchung.* 

Was  nun  den  Unterschied  der  Wortfolge  Verbum  —  Objekt  — 
Subjekt  von  der  häufigeren  Verbum  —  Subjekt  —  Objekt  angeht,  so 
haben  wir  im  Fragesatze  Avie  im  Hauptsatze  in  dem  Umstände,   dafs 


*  Vergl.   Tobler,   Gott.   gel.    Anz.  1872,    S.    1897   Anm.   und  Hornings 
Aufsatz  Zts.  VI,  439.    (T.) 


Die  Wortslellung  im  altfianzosischen  direkten  Fragesatze.  327 

das  Subjekt  gewissermafsen  die  Bedeutung  einer  nachträglichen  Er- 
läuterung hat,  den  Grund  der  Trennung  desselben  vom  Verbuni  durch 
das  Objekt  zu  sehen.  Dafs  sich  unter  den  Beispielen  keines  findet, 
in  dem  auf  dem  Subjekt  das  Hauptgewicht  der  in  Frage  gestellten  Aus- 
sage ruhte,  wird  zufällig  sein,  ebenso  dafs  es  sich  bei  den  meisten  der- 
selben um  avoir  nom  handelt,  welche  Verbindung  uns  auch  unter  den 
Belegen,  die  im  asserierenden  Hauptsatze  die  Stellung  Yerbum  — 
Objekt  —  Subjekt  aufwiesen,  begegnete  (Alex.  4  a).  Eine  gewisse  Be- 
stätigung unserer  Ansicht,  dafs  das  Subjekt  als  nachträgliche  Erläute- 
rung aufzufassen  sei,  scheint  ein  demselben  Denkmal,  dem  die  meisten 
Belege  mit  avoiv  nom  angehören,  entnommenes  und  schon  oben  citiertes 
Beispiel  zu  bieten,  in  dem  ebenfalls  bei  avoir  nom  ein  ausgesetztes 
personalpronominales  Subjekt  dazu  zwingt,  das  dem  Objekt  folgende 
nominale  Subjekt  als  aufserhalb  des  engeren  Satzgefüges  stehend  zu 
betrachten.     Es  ist  Pr.  P.  323:  Comment  a  il  non,  li  Chevaliers? 

3)  Das  nominale  Objekt  kann  drittens  dem  Fragesatze  auch  in 
absoluter  Weise  voranfreten,  und  zwar  häufig  in  Bestimmungsfragen. 
Schon  Tobler  citiert  Z.  II,  391:  CIi.  Lyon  1617:  Vostre  terre  qui  des- 
fandra  Quant  li  rois  Artus  i  vendraß  Weitere  Belege  sind:  Perc.  2417: 
Et  ma  coiipe  coment  ot  iU  eb.  3516:  Et  dient  tuit:  Aguigrenon,  Quant 
vous  qaiens  ne  le  meistes,  La  teste  por  coi  lüen  prcistes ?  Ad.  p.  29: 
Mun  criator  cum  atendrai?  B.  Chr.  318,  1:  Mun  euer  pour  coi  seul 
i  envoi?  M.  Rec.  258,  147:  Üonnor  ton  pere  pour  quoi  gueroieras  ? 
Ch.  n  esp.  6046:  Et  plus  lonc  conte  ke  feroie  ?  und  gleichlautend  eb. 
6884.  Elie  de  S.  Gilles  314:  Ces  prisons  u  presistes  que  si  mal  de- 
menes?  M.  V,  965:  .  . .  les  celestiennes  (choses)  Comment  croirez  se  les 
vous  di?  Romania  VHI,  p.  49,  655:  Et  lesset  lions  quio  eist?  Schon  in 
der  Passion  findet  sich  ein  Beispiel  46c:  maior  forfait  que  i  querem? 
was  Vülcker  p.  34  hätte  erwähnen  sollen.  Eis  sei  hier  auch  gleich  ein 
Beispiel  angeführt,  in  dem  der  Sachverhalt  insofern  ein  verscliiedener 
ist,  als  das  Objekt  von  einem  Infinitiv  abhängt:  M.  XVIH,  1225: 
E .'  mere  Dieul  ceste  honte  Comment  te  pourray  desservlr  ?  Dies  Beispiel 
beweist,  dafs  Ch.  Rol.  2583:  Cest  nostre  rei  pur  quei  laissas  cunfundre? 
die  Wiederaufnahme  des  cest  nostre  roi  durch  ein  le  vor  laissas,  wie  sie 
Morf,  der  diesen  Vers  p.  27G  citiert,  iierstcllcn  will,  nicht  not  thut. 

Dafs  eine  solche  im  Nfrz.  obligatorische  Wiederaufnahme  eines 
absohlt  vorausgeschickton  Objekts  auch  schon  afrz.  vorkommt,  versteht 
sich.    Perc.  2569:  Ces  armes  qui  le  tes  bailla ?    J.XLIV:  Or  me  dites, 


328  Die  Wortstullung  im  aUfriiiizüsischen  direkten  Fragesatze. 

Ics  chevalcrics  que  vos  avez  f altes,  por  cid  les  feistes  vos  ?  Fabl.  III,  242: 
Cele  pel  qui  la  vous  dona?  M.  J,  1296:  Cest  enfant  qui  le  vous  do)ia.' 
eb.  XXI,  156:  Ceste  nouvelle  ou  Vas  tu  prlse?  eb.  XXXVI,  991:  Ce 
garnement  que  faij  vestit,  Le  cognois  tu  point?  dy  me  voir.  Rieh.  3796: 
Che  castiel  la  qui  le  connoist?  Ob  das  von  Morfp.  246  citierte  Ch.  Rol. 
534:  Sa  graut  valur  ki  V  purreit  acunter  ß  wo  das  vorangestellte  Objekt 
wiederum  von  einem  Infinitiv  abhängig  ist,  hierher  gehört,  scheint 
zweifelhaft,  da  l  mit  Bezug  auf  vahtr  doch  höchst  bedenklich  ist  (T.). 
Vielleicht  ist  das  l  zu  streichen  und  das  Beispiel  gleicher  Art  mit  Ch. 
Rol.  2583  (s.  oben). 

In  Bestätigungsfragen  ist  die  absolute  Voranstellung  des  Objekts 
bedeutend  seltener.  Fabl.  I,  7G:  Ostes,  f et  il,  vostre  jpersone  Du  moustier 
dont  ne  connissiez?  Ces  XV.  sols  hien  li  croiriez  Se  j^of  "^noi  les  vos 
voloit  rendre?  Jourd.  Blaiv.  2494:  Cest  Chevalier  connissiez  voz,  suer 
hele?  —  Dil,  voir,  sire  etc.  M.  Rec.  301,  143  (aus  Crestiens  Perceval) : 
Di  moi,  se  tu  sez,  ou  il  sont?  Et  les  puceles  veis  tu?*  Pr.  P.  37: 
Et  la  damoisele  del  char,  sire,  veistes  vos  ?  —  Oil,  dame,  fet  il  ... 
M.  XXXIV,  1283:  Dy  me  voir,  se  Dieu  te  sequeure,  Nostre  pere 
as  tu  point  veu?  Ne  m^en  soit  pas  le  voir  teu  etc.  Hierher  wei'den 
auch  gehören  Fabl.  II,  87:  Dame  Avinee,  tel  merite,  Fait  li  Prestres, 
doi  ge  recoivrc?  Dit  dou  Magnlficat  (ed.  Tobler,  Jahrbuch  2)  138: 
Comment,  fait  il,  me  maudissies?  Vostre  roi  ne  reconissies  ?  obwohl 
hier  eine  andere  Auffassung  nicht  ausgeschlossen  erscheint  (vergl.  §  17). 
Auch  hier  sei  es  gestattet,  gleich  ein  Beispiel  mit  aufzuführen,  bei  dem 
das  Objekt  von  einem  Infinitiv  abhängt:  M.  Rec.  237,  3:  Bone  chanqou 
plest  vos  a  escouter  Del  meillor  home  qui  ainz  creust  en  De? 

Nfrz.  wäre  die  Wiederaufnahme  des  Objekts  innerhalb  des  engeren 
Satzgefüges  durch  das  ihm  zukommende  tonlose  persönliche  Pronomen 
in  solchen  Fällen  unbedingt  erforderlich.  So  kann  auch  schon  afrz. 
verfahren  werden:  Raoul  de  Cambr.  46:  Iceste  guerre  lairez  la  vos 
ester?  Perceval  2744:  Amie,  cel  chevalier  Qui  vient  armes  encontre  nous, 
Dites  moi,  connissiez  le  vous?  So  auch,  wenn  das  Objekt  durch  einen 
Satz  ausgedrückt  wird:  M.  XXXII,  547:  Ce  que  je  vous  commanderay, 
Le  fere:  vous?  Th.  fr.  667;  Et  que  Scdnt-Esperit,  di  moy^  Est  Diex, 
le  croiz  tu  en  tel  guise?  Von  einem  Infinitiv  hängt  das  Objekt  ab 
Th.  fr.  606:  Dame,  cest  annel,  que  ci  voy  Vous  plaira  il  a  le  me  vendre ? 

*  Potvin  liest  (Percev.  1422):  Et  des  puceles  veis  tu?  Paul  Meyers 
Lesart  ist  indes  als  besser  bezeugt  vorzuziehen. 


Die  VVorLstulhmg  im  altfiMiizösiscliou  direkten  Fragesätze.  329 

1)  Selten  begegnet  das  Objekt  auch  als  nachträgliche  Erläiiterinig 
eines  Personalpronomens,  das  seine  Stelle  im  engeren  Satzgefüge  in 
formaler  AVeise  ausfüllt:  Men.  R.  277:  Queil  Vavez  bastie,  la  traison, 
cntre  vous  et  fr  er  e  Garin?*  Ehering  citiert  Zts.  V,  375  aus  Froissart 
I,  192,  3560:  A  quel  pois  les  doit  on  peser  Ces  regars  saus  lui  ahuser  ? 
Hierher  ist  auch  zu  rechnen  L.  Rols  121 :  Respundi  David:  E  cument  le 
sez  qne  mors  est  Said  et  Jonathas  sis  fiz  ?  wo  das  Original  nichts  dem  le  Ent- 
sprechendes aufweist :  Unde  scis  qina  mortims  est  Said  et  Jonathas  fdius  ejus  ? 

5)  Ist  das  Interrogativum  selbst  Objekt,  so  wird  die  Stellung 
Objekt  —  Verb  —  Subjekt  notwendig.  Th.  fr.  64:  Qiie  dist  cele 
feilte/  Men.  R.  201:  Quans  deniers  doi  jou?  mögen  als  Beispiele  ge- 
lingen, Ist  das  Interrogativum  Subjekt,  so  mufs  die  Stellung  Sub- 
jekt —  Verb  —  Objekt  Platz  greifen:  Ch.  Rol.  2926:  Qui  giiierat 
mez  hoz  a  tel  poeste ?    Fabl.  IV,  123  etc. 

6)  Nur  zwei  Beispiele  sind  mir  begegnet,  in  denen  sich  das  nomi- 
nale Objekt  vor  dem  Verbum  befindet,  aber  deshalb  nicht  als  aufser- 
halb  des  engeren  Satzgefüges  stehend  betrachtet  werden  kann,  weil  es 
in  einer  Bestimmungsfrage  hinter  dem  Interrogativum  steht:  M. 
XXVIII,  1766:  Aiiquel  de  vous  deux  cest  a faire  Adjugeraij ?  Th.  fr. 
618  (617  extr.  f.):  Quelle  cause  vous  a  fait  mettre  En  cest  estat  que 
seinhlez  povre  estre?  Ne  pour  quoy,  voir  m'en  soit  retrait,  JSIon  mantel 
arriere  auez  trait  ?  IHtes  le  nioy.  Vielleicht  ist  hier,  wie  aucli  sonst 
cinigemale,  die  direkte  Frageform  durch  die  indirekte  ersetzt.  Vcrgl. 
§  12,  Zus.  1 ;  §  14  /?;  §  15  d  und  §  16  a,  II,  ß. 

Trennbarkeit  des  nominalen   Objekts. 

1)  In  der  Stellung  Verbum  —  Objekt  —  Subjekt  wird,  in 
Übereinstimmung  mit  der  oben  über  die  Bedeutung  dieser  Wortfolge 
gemachten  Bemerkung,  das  Objekt  in  der  Regel  weder  im  asserierenden 
Hauptsatze  noch  in  der  Frage  vom  Verbum  getrennt.  Einmal  finde 
ich  im  Fragesatze  das  Prädikativ  des  Objekts  zwischen  Verb  und 
Objekt:  M.  II,  1161.    Vergl.  §  14  b,  dd. 

2)  Dagegen  können  in  der  Stellung  Verbum  —  Subj<kl  —  Oljckt 
als  trennende  Satzglieder  zum  Subjekt  hinzukommen: 

h)  Adverbien  und  adverbiale  Bestimmungen:  Tli.  fr.  104:  Mais 
veis  tu  par.  chi  devant   Vers  cesle  riviere   nul  ane /    B.  C'iir.   124,  8:    As 

*  Entre  vous  et  frere  Garin  ist  gleichfalls  als  nachträgliche  Erläuterung 
anzusehen.     Vergl.  §  12,  Zusatz  '2,  b. 


330  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

hl  de  nid  hoine  talent?  so  aiicli  ein  entfernteres  Objekt:  B.  Chr.  182,  20: 
Quant  a  trestoiite  ju'ost  ont  tvove  forniture  En  fönt  des  as  dex  nesune 
forfaiture?  Erec  4385:  por  qiiel  forfait  Falles  a  eel  home  tel  lait  Que 
comme  larron  le  menez?  L.  Rois  8G:  Durrad  li  fiz  Ysai  a  vos  tuz 
cJuunps  e  vignes?    ßomania  VIII,  49,  651. 

b)  Das  Trädikativ  des  Objekts:  M.  Rec.  309,  102:  a  vus  aban- 
donez  Li  reis  tuz  cels  .  .  .? 

Im  übrigen  sehe  man  die  oben  gegebenen  Beispiele. 

Zusatz  zu  §  15  a. 
Zwei  koordinierte  Objekte  folgen  stets  dem  Verbiim  und  zwar  un- 
getrennt: M.  Rec.  300,  117:  Veis  tu  hui  cn  ceste  lande  .V.  chevaliers 
et  .HL  puceles?  Erec  527;  M.  III,  920  ;  B.  Chr.  73,  37  ;  Fabl.  III,  90  ; 
Th.  fr.  615  etc.  L.  Rois  p,  90:  E  lii'erunt  mei  H  hurgeis  de  Ceila  e 
ces  ki  od  mei  sunt  en  la  main  Said?  kann  nicht  in  Betracht  kommen, 
da  sich  die  Übersetzung  Wort  für  Wort  an  das  Original  hält:  Si  tra- 
dent  me  viri  Ceilw  et  viros  qni  sunt  mecum  in  manus  Said?  Nur  wenn 
beide  den  Gegenstand  der  Frage  bilden,  gehen  sie  voran:  M.  III,  284: 
Quel  revel  Ne  quel  noyse  menez  ceans?  In  diesem  Falle  finde  ich  sie 
einmal  durch  das  Verb  getrennt.*  Ch.  II  esp.  3332:  Biaus  tres  dous 
nies,  et  quel  deport  Puis  je  et  quel  restorement  Avoir  de  vous  et  je-com- 
ment  Tenrai  terre  se  vous  moures?  Freilich  sind  sie  vom  Infinitiv  ab- 
hängig. Ch.  Lyon  1489:  Por  coi  detort  ses  beles  mains  et  fiert  son  piz 
et  esgratine?  tritt  ein  zu  zwei  verb.  fin.  gehöriges  nominales  Objekt 
zwischen  beide. 

h)  Stellung  des  ]n-onominalen  Objekts  (einschliefslich  der  Adverbien  en  und  i). 

1)  Der  tonlosen  Pronomina.  Im  asserierenden  Hauptsatze  treten 
die  tonlosen  Pronomina  vor  das  Verbum,  aufser  wenn  in  nicht  nega- 
tiven Sätzen  das  Verbum  an  der  Spitze  des  Satzes  steht,  in  welchem 
Falle  an  Stelle  der  proklitischon  eine  enklitische  Stellung  derselben 
zum  Verbnm  notwendig  wird.  Wenn  Völcker  p.  36  f.  behauptet,  dafs 
diese  von  Tobler  in  der  Recension  der  Le  Coultreschen  Arbeit  (Gott, 
gel.  Anzeigen  1875,  p.  1062)  gegebene  Regel  insofern  für  die  ältesten 
Denkmäler  nicht  ganz  zutreffe,  als  die  Nachstellung  der  tonlosen  Pro- 
nomina nicht  auf  den  Fall  beschränkt  sei,  dafs  das  Verbum  an  der 
Spitze  des  Satzes  steht,  so  ist  zu  bemerken,  dafs  die  Belege,  die  er  für 
diese   Behauptung   beibringt,   der   Mehrzahl   nach  nicht   geeignet   sind, 


Die  Wortstellung  im  altfranzosi«c!ien  ilirekten  Fragesatze.  331 

sie  zu  beweisen.  Leodegax*  2a:  Frimos  didrai  vos,  ebenso  Alex.  92  e: 
Co  peiset  mei,  und  eh.  96  b  gleichlautend,  schliefslich  auch  Alex.  116c: 
Co  peiset  eis  handelt  es  sich  um  die  betonte  Form;  wenigstens  ist 
das  Gegenteil  für  Leodegar  2  a  nicht  zu  beweisen.  Leod.  32  d:  Dane 
oct  ab  lui  dures  raizons  gehört  natürlich  nicht  hierher,  AI.  72  b:  venent 
tlevanf,  ietent  s'en  (mit  Paris)  ureisuns  kann  das  Verbum  als  an  der 
Spitze  stehend  betrachtet  werden,  so  dafs  nur  Leod.  11c:  et  F/uuruins 
Ott  eil  grau  dol  und  eb.  13  d:  et  sancs  Lethgiers  oc  s'ent  pavor  bleiben. 
Vielleicht  hat  man  in  diesen  beiden  Beispielen  hinter  dem  an  der  Spitze 
stehenden  Subjekte  eine  Pause  eintreten  zu  lassen:  Euuruins^  olt  eii 
gran  dol.  * 

Was  nun  den  Fragesatz  angeht,  so  sind  bisher  folgende  einschlägige 
Beobachtungen  gemacht  worden:  Völcker  p.  38  findet  mit  Ausnahme 
von  Gorm.  214  das  tonlose  Pronomen  im  Fragesatze  vor  dem  Verbum; 
dafs  Gorm.  214  eine  Bestätigungsfrage  vorliegt,  alle  übrigen  Belege 
aber  Bestimmungsfragen  sind,  hat  er  nicht  beachtet.  Im  Rolandslied 
tritt  das  Pronomen  hinter  das  Verbum  in  der  Bestätigungsfrage,  es  geht 
demselben  voran  in  der  Bestimmungsfragc  (Morf  p.  230).  Zu  dem 
gleichen  Resultat  kommt  Le  Coultre  p.  44,  nur  dafs  der  Ch.  Lyon  im 
Vers  1763  auch  ein  Beispiel  dafür  bietet,  dafs  in  der  Bestimmungs- 
frage das  tonlose  Pronomen  hinter  dem  Verbum  steht.  Schlickum  p.  17 
findet  in  seinem  Texte  die  tonlosen  Personalpronomina  sowie  en  und  i 
in  eingeleiteten  Fragesätzen  vor,  in  uneingeleiteten  hinter  dem  Ver- 
bum. Für  letzteres  biefel  jedoch  Aue.  Nie.  eine  Ausnahme  (24,  33): 
Ba!  me  conissies  vos?  Bei  Joinville  steht  nach  Marx  p,  330  das  Pro- 
nomen in  der  Bestimmungsfrage  vor  dem  Verbum.  Ehering  endlich 
bemerkt  p.  356,  dafs  im  altfrz.  Fragesat/e  das  Pronomen  in  der  Regel 
nach  dem  Verbum  stehe,  wenn  dieses  selbst  an  der  Spitze  stehe,  dafs 
dagegen  bei  Froissart  eine  solche  Stellung  sich  nicht  finde.  Krüger 
untersucht  die  Stellung  der  Pronomina  für  den  Fragesatz  nicht  besonders. 

Es  ergiebt  sich  aus  den  angeführten  Daten,  dafs  für  Bestimmungs- 
fragen während  der  ganzen  altfranzösischen  Periode  das  Vorantreten 
des  Pronomens   durchaus  die  Regel  war.     Der   einen  von    Le    Coultre 

*  Für  (las  Rolandslied  freilich  und  die  spätere  Zeit  wäre  diese  An- 
nahme nicht  statthaft,  da  man  ein  JCwiruins,  grant  dol  en  otl  erwarten 
würde.  (Vergl.  §  5  b.)  Aber  für  die  ältesten  Denkmäler  wini  sie  kaum  ge- 
wagt erscheinen,  wenn  man  bedenkt,  dwfs  für  diese  auch  noch  estre  Ton 
genug  hatte,  um  am  Anfange  des  Satzes  stehen  zu  können;  vergl.  AI.  9a: 
Fxd  la  pulcele  de  molt  halt  parenlet  (cfr.  lieft  2,  p.   lUO). 


332  Die  Wortsklhing  im  altfranzösischen  direkten  Fragesätze. 

ans  dem  Cli.  Lyon  (1763:  Di  donc  !  por  coi  Feis  le  tu  /  poi'  mal  de  moi,  Por 
haine  nepordespü  .^)  konstatierten  Ausnahme  vermag  ich  gleichgeartele  Be- 
lege nicht  an  die  Seite  zu  stellen,  Avenigstens  nicht  aus  Originalwerken. 
In  den  L.  Rois  ist  mir  p.  201  eine  hergehörige  Stelle  begegnet:  E  cn- 
ment  purrad  nnls  qidder  que  Deu  velrement  habited  en  terre?  Si  neis  11 
cels  nel  puet  cuinprendre,  cumeiit  dune  ciiniprendrad  le  ceste  maisun  que 
fait  ai  en  fonuvance  de  sun  num  ?  Der  Herausgeber  interpungiert  falsch, 
wenn  er  hinter  terre  ein  Komma,  hinter  cumprendre  aber  ein  Frage- 
zeichen setzt,  worüber  der  Urtext  keinen  Zweifel  läfst:  Ergone  putan- 
dum  est  quod  vere  habitet  super  terram?  si  enim  ccelum,  et  coeli  ccelorum 
te  capere  non  possunt,  quanto  magis  domus  ha'C  quam  cedifieavi!  Nicht  be- 
Avcisend  ist  Pr.  P.  64:  Que  plest  vos?  da  vos  die  betonte  Form  sein  kann. 

Zu  korrigieren  ist  L.  Rois  127:  E  Abner  criad  vers  Joab  si  U 
dist :  Cument  vols  tu  nus  pursiure  senz  merci  jusques  a  la,  mort  ?  (lat.  Text : 
Num  usque  ad  internecionem  tuiis  mucro  desccviet ?)  Hinter  cument  ist 
ein  Ausrufszeichen  zu  setzen.  Unter  diesen  Umständen  scheint  mir 
die  Stelle  aus  dem  Ch.  Lyon  bedenklich.  Vielleicht  könnte  man,  ohne 
den  Text  zu  ändern,  folgendermafsen  interpungieren :  Ch.  Lyon  1760 
bis  1765:  ^Via.v  tu  donc,^^  fet  ele,  „7ioier,  Que  par  toi  ne  soit  morz  nies 
sire?'"''  ^^Ce^'"'-  fet  il,  „ne  puis  je  desdire,  Einz  Votroi  bien.^^  „Di  donc  por 
coi?  Feis  le  tu  por  mal  de  moi,  Por  haine  ne  por  despit?^^  Man  hätte 
sich  alsdann  aus  dem  Emz  l^otroi  bien  ein  je  l'ai  mort  zu  entnehmen. 

Auch  die  aus  den  L.  Rois  (261)  citierte  Stelle  braucht  nicht  not- 
wendig als  beweisend  angesehen  zu  Averden.  Unmöglich  wäre  es  nicht, 
dafs  man  sich  hinter  cument  dune  ein  Ausrufszeichen   zu  denken  hätte. 

In  Bestätigungsfragen  ti'itt,  wofern  sie  nicht  negativ  sind, 
ganz  wie  im  asserierenden  Hauptsatze,  der  aus  irgend  einem  Grunde 
das  Verbum  an  der  Spitze  aufweist,  das  tonlose  Pronomen  hinter  das 
Verbum.  Was  also  Völcker  p.  38  mit  Bezug  auf  Gorm.  214:  Veus 
me  tu  donc  issi  guerpir?  eine  „sehr  seltsame  Konstruktion"  nennt,  ist 
die  Regel.  Zu  den  schon  oben  §  12  a  (Trennbarkeit  des  Subjekts)  ge- 
gebenen Belegen  sei  es  gestattet  folgende  hinzuzufügen:  Adam  p.  13: 
Creras  me  tu?  Oil,  mult  bien;  eb.  Criens  le  tu  tant  ?  eb.  p.  15,  48,  65. 
Erec  1108:  Savez  en  vos  rien?  eb.  1777:  Poez  i  vos  rien  contredire? 
J.  XLIV:  Et  combatistes  i  vos?  Pr.  P.  93:  avez  i  vos  donc  este?  eb.  100: 
Avez  i  vos  volentez  dualer?  B.  Chr.  189,  38:  Baron,  dist  il,  laires  l'en 
vous  aler  ?  Perc.  7348:  Et  tenes  m\nt  vos  a  vilaine  Se  por  sa  proiere 
Ufas  Compagnie,  joie  et  soulas?   L.  Rois  p.  83:  Suid  se  netteuient  guarde 


Die  Wortstellung  im  altfranzÖsischen  direkten  Fragesatze.  333 

tes  vcullez  e  meimement  de  haut  de  fenime?  eb.  85:  Faülent  nus  dune 
hwnes  forsenez  ? 

Doch  gilt  diese  Regel  nicht  ausnahmslos.  Schon  Schlickum  kon- 
statiert p.  17  aus  Aue.  Nie.  eine  Ausnahme,  die  das  tonlose  Pronomen 
vor  dem  Verbum  zeigt.  Die  Frage,  die  Schlickum  a.  a.  O.  zur  Er- 
klärung dieses  Ausnahmefalls  stellt,  ob  man  nämlich  dem  vorauf- 
gehenden Ba !  (jne  connissiez  vous  ?)  die  Wirkung  eines  einleitenden 
Satzgliedes  zuschreiben  dürfe,  wird  verneint  werden  müssen.  Einmal 
könnte  diese  Annahme  schon  deshalb  gewagt  scheinen,  weil  doch  die 
Verbindung  des  Ausrufs  mit  dem  Fragesatze  eine  sehr  lose  ist,*  zweitens 
aber  hat,  wie  wir  sehen  werden,  nur  die  Negation  die  Wirkung,  welche 
Schlickum  ganz  allgemein  einleitenden  Satzgliedern  zuschreibt.  End- 
lich ist  Aue.  Nie.  nicht  das  einzige  Denkmal,  das  ein  gleiches  Schwanken 
zeigt.  Z.  B.  liest  man  Ch.  II  esp.  857:  Comanda  le  il?  eb.  3975: 
Menra  il  noiis  a  nid  repaire ?  eb.  8379:  Et  verai  je  la?  Andererseits 
aber  auch  eb.  1200:  I  porrai  jo  hui  mais  aler  de  jor  ?  eb.  1626:  Vous 
tournast  il  donc  a  laidure  Se  devcint  inoi  descendissies ?  In  Jean  Bodels 
Jeu  de  St.  Nicholas  ist  Th.  fr.  179:  Veus  me  tu  tolir  mon  affaire?  eb. : 
hovtes  me  tu?  eb.  189:  Veus  le  tu  avoir  par  effort?  und  sonst  das  Pro- 
nomen nachgestellt;  einmal  steht  es  v  o  r  dem  Verbum:  Th.  fr.  206: 
Fi!  mauvais,  nie  cuidiez  vous  prendre? 

Weitere  Beispiele  für  die  Voranstellung  bieten  Pr.  P.  83:  Me 
herbejeroiz  vos  amiit?  eb.  94:  IIa!  sire,  me  sauriez  vos  dire  uouvelles 
d'un  Chevalier  ...?  eb.  157:  Le  fist  il  mieuz  que  misires  Gauvains? 
J.  XLIII:  Et  vos  i  vi  ge  onques?  eb. :  Et  vos  i  vi  ge  plus?  (dagegen 
eb.  XLIV:  Or  me  dites,  fait  ele,  pids  que  vos  fustes  ...  vi  vos  ge  onques 
puis?)  Oleom.  14529. 

Gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  schon  ist  Voranstellung  des 
tonlosen  Personalpronomens  vorherrschend.  Bei  Adan  de  la  Halle 
finde  ich  (Th.  fr.  55  — 102)  kein  Beispiel  für  die  Nachstellung  mehr, 
ebensowenig  in  den  Mirakeln.  Von  Froissart  konstatiert  das  Gleiche 
Ehering  p.  356. 

Ist  die  Bestätigungsfrage  dagegen  negativ,  so  treten  die  tonlosen 
Pronomina  regelmäfsig  zwischen  tonlose  Negation  und  das  Verbum. 
So  bei  Crestien,  der  ohne  Negation  das  Pronomen  ausnahmslos  folgen 
läfst:  R.  Charr.  1689:  JSel  savez?  nel  veez  vos  donques ?  eb.  2004:  Ne 


*  Cfr.  auch  z.  B.  L.  Rois  3G:  Da!  purrad  nus  eist  de  nos  enetniz  salvcrf 


334  Die  Wortstellung  im  altfranzösisclien  direkten  Fragesatze. 

vos  ai  ge  dit  que  je  sui  Del  reanvie  le  roi  Artu?  eb.  4210  etc.,  cfr.  auch 
L.  Rois  350,  B.  Chr.  87,  3;  87,  4 ;  88,  21;  Ad.  p.  24  etc.,*  B.  Chr. 
04,  28:  Ne  membre  vus,  via  bele  amie,  De  une  petite  druerie  ...?  wird 
daher  in  vus  die  betonte  Form  zu  sehen  sein. 

Einigemal  scheinen  wie  eine  am  Anfang  des  Satzes  stehende 
Negation  auch  die  Adverbien  or,  donc  zu  wirken ;  doch  sind  die  Stellen 
nicht  beweiskiäftig.  Perc.  7348:  Or  me  diras  tu  dont  mon  vuel  Com- 
ment  li  rois  a  joie  et  duel?  Fabl.  II,  53:  ,,Dont  me  pluveres  (1,  plevires) 
vous  vo  foi,'"''  Fait  li  Prestres,  ,,que  je  serai  Demain  paiies  et  si  arai  Mon 
convenant  trestout  sans  noise?'^  Pr.  P.  100:  Dont  me  creantez-vos  que  vos 
revendroiz  par  ci  por  parier  a  moi,  se  li  Graax  s'apert  a  vos  et  que  vos 
denianderoiz  de  quoi  il  sert?  —  Voire^  daiiie,  fet  Lanceloz,  se  vos  estiez 
outre  la  mer.  eb.  77:  Sire,  fet  misires  Gauvains,  dont  m''avez  vos  trai  ?  — 
Par  mon  chief,  dit  li  rois,  nou  (1.  non)  auroie  etc.  Men.  R.  304 :  Corn- 
ment,  hiau  seigneur,  donc  niavez  vous  trai?  Aue.  Nie.  10,  66:  Or 
7n  afies  vos,  fait  Aucassins,  que  a  md  jor,  que  vos  a'ies  a  vivre,  ne  porres 
men  pere  faire  honte  ne  destorbier  de  sen  cors  ne  de  sen  avoir^  que  vos 
ne  li  facies  ? 

Perc.  2039,  Fabl.  II,  53  und  Aue.  Nie.  10,  66,  vielleicht  auch 
Pr.  P.  100  können  als  Imperative  angesehen  werden,  Pr.  P.  77  und 
Men.  R.  304  sind  deshalb  nicht  beweisend,  weil  auch  ohne  das  am 
Anfang  stehende  dont  das  Pronomen  hätte  vor  das  Verb  treten  können. 

Trennbar  ist  1)  das  dem  A'^erbum  folgende  pronominale  tonlose 
Objekt  durch  das  tonlose  Subjektspronoraen.  Die  Erscheinung  ist  ziem- 
lich selten:  Th.  fr.  13:  Cuidiez  vous  le  a  vie  traire?  Pr.  P.  81:  Volez 
vos  me  plus  demander?  Ch.  II  esp.  8379:  Et  verai  je  la?  (T.)  L.  Rois 
115:  Pols  tu  me  mener  la  u  ti  compagnun  sunt?  (T.)  Nicht  entschei- 
dend sind  B.  Chr.  221,  24:  Irai  je  li  dont  s^amor  demander?  Ch.  II 
esp.  3975:  Afenra  il  nous  a  md  repaire?  L.  Rois  127:  Cument!  vols 
tu  nus  pursiure  senz  merci  jesques  a  la  mort?  Th;  fr.  188:  Alumera 
on  vous  pour  nient?  da  hierüberall  die  betonte  Form  vorliegen  kann. 
2)  Das  dem  Verbum  vorangehende  tonlose  pronominale  Objekt  kann 
wie  nfrz.  nur  durch  tonlose  Pronomina  sowie  en  und  i  vom  Verbum 
getrennt  werden.  Th.  fr.  63:  3fen  estuet  il  ge'&ir?  Pr.  P.  71 :  Co?n- 
ment!  vos  an  iroiz  vos  ainsint?    L.  Rois  337:   Dun  nel  te  dis  devant  que 


*    Cfr.    auch    die    von    Schlickum    aus    Aue.    Nie.    gegebenen    Belege 

mit  enne. 


Die  Wortstellung  im  alt  französischen  direkten  Fragesatze.  335 

eist  .  ..?  eb.  350.  J.  XLIII:  Et  vos  i  vi  ge  onques?  eb. :  Et  vos  i  vi 
<je  plus  ?  etc. 

2)  Die  betonten  Pronomina.  Sie  folgen  dem  Verbum,  wofern 
sie  nicht  wie  Fabl.  11,  2G2:  Mes  toi  por  cot  les  donnoit  Ven?  Ad.  p.  11: 
E  moi  que  ehalt?  Erec  3732,*  Trist.  I,  49  der  Frage  in  absoluter 
Weise  vorangehen;  z.  B.  B.  Chr.  108,  26:**  Deust  mei  ele  plus  amer? 
Ron  II,  2978:**  As  mei  tu  cimeu?  L.  Rois  90:  E  liverunt  mei  li  bur- 
geis de  Ceila  e  ces  ki  od  mei  sunt  en  la  main  Saul?  eb.  105:  Pur  quei 
dechaces  si  mei  tun  serf  ?  J.  CXVI :  Dame,  por  Den,  seront  moi  ja  par- 
done  si  grant  mesfait?  Fr.  P.  90:  Durra  moi  ausques  eist  orages? 
Ad.  p.  17:  Forma  il  toi  por  ventre  faire?  L.  Rois  337:  si  laissad  li 
esperiz  Deu  mei  e  parlad  od  tei?  eb.  358:  Requis  jo  tei  de  ßz  aveir  ? 

Wie  ans  den  Belegen  ersichtlich,  können  sie  vom  Verbum  durch 
ein  tonloses  oder  betontes  Subjekt  oder  ein  Adverbium  (si)  getrennt 
werden. 

c)  Das  neutrale  Demonstrativum  ee  verlangt  für  das  Afrz,  eine 
besondere  Besprechung.  Es  nimmt  einerseits  die  Stelle  eines  nomi- 
nalen Objekts  ein  in  Sätzen  wie  Men.  R.  425:  comment  soufferez  vous 
ce?  Perc.  3534:  Qui  a  cou  fait?  Rou  II,  1710:  pur  quei  avez  ceo  dit? 
L.  Rois  268:  Pur  quei  ad  li  halz  Sires  co  fait  a  sa  terre  et  a  sa  demeine 
viaisun?  Marx  citiert  atis  Joinville  (p.  344)  4, 18:  Comment  me  distes  tu 
(1.  vous)  hier  ee?  eb.  78,  266:  Dame,  comment ferons  nous  ce?  eb. 87,  296. 
Nicht  entscheidend  sind  L.  Rois  170:  As  tu  eo  fait  par  le  cunseilJoab  ? 
(?)  Th.  fr.  20:   Ad  ceo  Pilate  comande?    Vergl.  §  14/?  (vospr). 

Andererseits  möchte  man  in  anbetracht  des  Umstandes,  dafs  die 
Stellung  Objekt — Verbum  —  Subjekt  in  der  Bestätigungsfrage  ziem- 
lich selten  begegnet,  meinen,  es  sei  wie  ein  tonloses  persönliches  Pro- 
nomen behandelt,  wenn  es  sich  in  Bestätigungsfragen  an  der  Spitze 
des  Satzes  findet:  Fabl.  II,  244:  Hange  il  hien,  ce  savez  dire?  M.  XXII, 
1539:  Cavez  veu?  eb.  XXIX,  911:  Se  {=  Ce)  fera  ü?  eb.  XXIX, 
19G:   Ce  peut  il  faire  sans  mesprendre  Contre  la  foy? 

Eine  solche  Ansicht  wäre  aber  deshalb  nicht  haltbar,  weil  wir 
auch  bei  Crestien,  der  die  Voranstellung  des  tonlosen  Personalpronomens 
vor  das  Verbum  noch  nicht  kennt,  derartigen  Beispielen  begegnen: 
Ch.Lyon6284:  Ice  feriez  vos  por  moi  ?  Perc.  9966:  Cedist  elle,la  renoie? 


*  Bekker  interpungiert  falsch;  das  Fragezeichen  gehört  hinter  il/a/aw/'Cf; 
also  Lars  serai  plus  malauree.     Malauree?  moi  que  chaut? 
**  S.  oben  §  ■12  a  (Trennbarkeit  des  Subjekts)  I. 


o3ß  Die  Wortstellung  im  alt  französischen  direkten  Fragesatze. 

Besonders  deutlich  tritt  auch  Cli.  Lyon  3827 :  Ice  plalroü  vos  il  a  dirc 
Por  coi  viavez  tant  enore  Et  taut  fet  joie  et  puis  plore?  die  Verschieden- 
heit der  Behandlung  beider  Pronomina  hervor.  Auch  tritt  die  Negation 
zwischen  ce  und  das  Verbum :  Fl.  Bl.  (ed.  du  Meril)  p.  203:  Ice  vc 
puis  ge  pas  savoir ?  Vor  allem  aber  kommen  Stellungen  wie  etwa 
fera  ce  ilf  nicht  vor. 

Vielleicht  hat  man  Einflufs  des  asserierenden  Hauptsatzes,  in  dem 
ce  ganz  gewöhnlich  an  die  Spitze  tritt,  anzunehmen. 

d)  Objekt  ist  ein  Infinitiv.  Wie  nfrz.  folgt  der  Infinitiv  in  der 
Regel  dem  Verbum;  Ausnahmen  sind  ziemlich  selten.  R.  Charr.  4347: 
Dex!  eist  forfez  quex  estre  post?  Perc.  6727:  Quel  droit  faire  vos  en 
puis  ge?  Ch.  II  esp.  1142:  Et  ce  quels  cose  estre  poroit?  eb.  12060: 
Je  comment  croire  vous  peusse?  M.  XXVIII,  1524:  Pardon!  las!  com- 
ment  dire  Vose?  eb.  XXXVI,  1189:  Sire,  quel  part  aler  tendez?  Mit 
Ausnahme  von  Perc.  6727  könnte  in  diesen  Beispielen  die  indirekte 
Frageform  für  die  direkte  eingetreten  sein.  Vergl.  §  12,  Znsatz  1  ; 
§  14/i;  §  15a,  6;   §  16a,  II, /?. 

Auch  dem  folgenden  Beispiel,  in  dem  der  Infinitiv  als  absolutes 
Satzglied  einer  Bestimmungsfrage  vorangeht,  dürften  sich  nicht  viele 
gleichgeartete  an  die  Seite  stellen  lassen:  M.  XVII,  1345:  De  conseil 
de  fol  amender  Comment  peiit  nidz  ? 

Trennbarkeit  des  Infinitivs.  Ist  ein  Subjekt  ausge- 
sprochen, so  tritt  es  regelmäfsig  zwischen  Verbum  und  Infinitiv.  Fahl. 
I,  45:  Comment  Vosa  eis  viex  pensser?  Ch.  Lyon  6062:  Comantf  vialt 
donc  Yvains  ocirre  Mon  seignor  Gauvain,  son  ami?  eb.  6065:  Sivoldroit 
mes  sire  Gauvains  Yvain  ocirre  de  ses  viains  Ou  feire  pis  qiie  je  ne  di? 
L.  Rois  410:  Cument  chieles!  (das  Ausrnfszeichen  versäumt  der  Heraus- 
geber hier  wie  an  den  gleichgearteten  Stellen  p.  34,  362,  409  zu 
setzen)  pout  dune  nids  Dens  de  nule  terre  defendre  siin  pais  e  sa  gent 
de  mei  e  de  mes  aneesurs?  Ch.  Lyon  6087:  Porra  Yvains  par  reison 
dire,  Se  la  soe  partie  est  pire,  Que  eil  li  ait  fet  let  ne  ho7ite,  . . .?  Perc. 
2279:  Varlet,  ose  nus  qa  venir  Por  le  droit  le  roi  maintenir?  M.  XXIII, 
249:  Peut  le  roy  cVaussi  courageux  Chevaliers  avoir  comme  il  est?  L.  Rois 
p.  36,  eb.  p.  261.  Ehering  citiert  aus  Froissart  XII,  64  :  Me  euide  le  sire 
de  Cliclion  mettre  hors  de  mon  heritage?  eb.  II,  29,  963:  iSe  deveroit  un 
eoer  gcntieus  Beposer  ou  h't  ä  ceste  heure?  (Für  pronominale  Subjekte 
ist  Beispiele  zu  geben  nicht  nötig.) 

Nicht  selten   aber   schliefst   sich   auch   der  Infinitiv   dem  VcM-biim 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  337 

unmittelbar  an:  Cli.  Lyon  G017:  Dex,  meismes  en  .1.  ostel  Comant  puet 
estre  li  repaires  Ä  choses  qui  taut  sont  contraires?  Rou  II,  1090:  Qu^ 
fiuet  faire  uns  seuls  hom  e  que  puet  espleitier  Se  li  hume  li  faillent  ki  li 
deivent  aidier?  Cleom.6693:  Dont  puet  venir  tel  assainblee?  M.V,  938: 
Peilt  donc  avoir  Viel  homme  nonvelle  naissance?  eb,  VI,  265:  Ou  peut 
estre  ma  viere  allee  ?  eb.  XXVI,  953:  Doit  ainsi  parier  uii  tel  homme 
Com  toy  a  Vempereur  de  Rammet  eb.  XXI,  470:  Et  dedans  quans  ans 
peut  venir  La  mort  a  homme?  Th.fr.  569:  Doulee  mere  Dien,  par  quel 
point  Puet  estre  ma  dame  cheue?  eb.  457:  Ou  doit  estre  aussi  le  retour 
Ne  le  refiige  a  creature  A  ce  quen  gloire  touz  jours  diire?  Ch.  Lyon 
1554  besieht  das  Subjekt  in  einem  ganzen  Satze:  Coment puet  donc  bon 
siegle  avoir  Qui  voit  gu'an  le  quiert  por  ocirre  ?  desgleichen  Lyoner 
Ysopet  101:  Comant  doit  comparer  pechie  Cd  qui  n'an  puet  estre  entoi- 
chie?    Fabl.  II,  87. 

Die  Wortfolge  Verbum  —  Objekt  —  Subjekt  ist  also  bei  infini- 
tivischem Objekt  häufiger  als  bei  nominalem.  Während  wir  bei  diesem 
dem  Subjekt  in  der  Mehrzahl  der  einschlägigen  Belege  die  Bedeutung 
einer  nachträglichenErläuterung  beimessen  zu  dürfen  glaubten,  scheint 
in  obigen  Beispielen  mit  wenigen  Ausnahmen  auf  dem  Subjekt  das 
Hauptgewicht  der  Aussage  zu  ruhen.* 

Nicht  zuzulassen  scheinen  diese  Auffassung  M.  VI,  265,  Th.  fr. 
560  und  M.  XXI,  470.  In  den  beiden  ersteren  Beispielen  handelt  es 
sich  uin  pouvoir  estre,  welche  Verbindung  in  den  Miracles  häufig  ganz 
gleichwertig  mit  einfachem  estre  angewendet  wird.  Cfr.  M.  XXVII,  852  : 
Et  se  saviez  que  ce  peut  estre  Vous  diriez  autrement,  Je  crog.  Michel 
Th.  fr.  385  (letzte  Zeile)  übersetzt  daher  richtig  et  si  vous  saviez  ce 
qu'll  en  est  etc.  M.  XVI,  1654:  Viens  veoir,  meschanf,  que  peut  estre 
Ce  quil  est  annuit  avenu.  eb.  XIII,  586:  Je  ne  scay  que  ce  pourra  estre. 

In  der  Stellung  Verbum  —  Subjekt  —  Infinitiv  können  trennend 
zum  Subjekt  hinzutreten:  ein  vom  Infinitiv  abliängiges  nominales 
Objekt:  R.  Charr.  2753:  Viax  tu  merci  avoir?  Ch.  Rol.  581:  Cum- 
faitement  purrai  Rolant  ocirre?  etc.,  oder  adverbiale  Bestimmungen: 
L.  Rois  36:  purrad  nus  eist  de  nos  ennemiz  salver?  R.  Charr.  5141: 
Vint  la  puis  nus  an  ceste  terre,  Fet  messire  Gauvains,  requerre  ? 


*  D.is  Gleiche  ist  anzunehmen  im  asserierenden  Hauptsätze  für  das  von 
Morf  p.  223  citierte  Ch.  Rol.  1440,  während  Ch.  Rol.  89  das  Subjekt  nach- 
trägliche Erläuterung  scheint. 

Archiv  f.  n.  SiiMLlitii.  h.NXl.  22 


338  Die  Wüitstellung  im  altfranzösischcn  direkten  Fragesatze. 

Zusatz   zu   §  15. 

Über  die  Stellung  des  von  einem  Infinitiv  abhängigen  Objektes 
bleibt  wenig  mehr  zu  sagen.  Ist  es  ein  tonloses  Pronomen,  so  gehört 
es  nach  altfranzösischer  Anschauung  zum  verbum  finitum*  und  ist  daher 
nicht  getrennt  zu  betrachten.  Dafs  das  nominale,  zum  Infinitiv  ge- 
hörige Objekt  in  absoluter  Weise  dem  Fragesatze  vorantreten  kann, 
ist  oben  durch  einige  Belege  erwiesen  (p.  327  f.).  Folgt  es  dem  Ver- 
bum, so  gelten  die  für  den  asserierenden  Hauptsatz  bestehenden  Regeln 
auch  für  die  Frage.  So  tritt  das  Objekt  hinter  den  Infinitiv:  Ch.  Lyon 
6062;  Fabl.  IV,  32;  eb.  IV,  8;  B.  Chr.  lo4,  13;  vor  denselben 
Fabl.  II,  225;   Ch.  Rol.  581;   B.  Chr.  150,  8. 

Ist  das  zum  Infinitiv  gehörige  Objekt  das  Interrogativum,  so  ver- 
steht sich,  dafs  es  an  die  Spitze  des  Satzes  tritt:  Nouv.  fr.  23:  Dame, 
iien  bees  voiis  a  faire  ? 

§  16.    Stellung  des  Adverbials. 
a)    Vor   dem   Verbum. 

I.  Wenn  in  Bestimmungsfragen  das  Adverbium  den  Gegenstand 
der  Frage  bildet,  so  steht  es  afrz.  wie  nfrz.  notwendig  an  erster  Stelle. 
Beispiele  sind  nicht  erforderlich. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  ein  präpositionales  Adverbiale  jene  Funktion 
inne  hat,  sofern  zum  Ausdruck  gebracht  werden  soll,  dafs  dem  Redenden 
zwar  das  Verhältnis  eines  Seienden  zu  einer  Aussage,  nicht  aber  ent- 
weder dieses  Seiende  selbst  (a)  oder  ein  Attribut  desselben  (b)  oder 
endlich,  wenn  das  Seiende  ein  Infinitiv  ist,  ein  zu  ihm  gehöriges  Objekt  (c) 
bekannt  sei.     Beispiele  für 

a)  Ch.  Lyon  6080:  Or  dites!  de  cid  se  j?laindi'a  eil  qui  des  cos 
avra  le  pis  Quant  li  uns  Vautre  avra  co)iqids?  eb.  i486:  Dexl  por 
coi  fet  si  grant  folie  Et  por  coi  ne  se  hlece  mains?  J.  LXXXII: 
Encontre  hi,  fet  mesires  Kex,  la  pretiez  vos  en  conduit? 

b)  Ch.  Rol.  395:  E  par  quel  gent  quide(t)  il  espleiter  tant^ 
Men.  R.  469:  En  queil  garde  estes  vos,  ou  en  la  moie  ou  en  Varce- 
vesque?  Am.  Am.  208:  Par  cui  conduit  venez  en  ceste  villef  Vie 
de  Saint  Gilles  3566:  en  ki  garde  rem.aindrwn?  M.  XXI,  470:  Ei 
dedans  quans  ans  p>eat  venir  La  mort  a  homine?  Jourd.  Blaiv. 
1409:  En  con  mal  Heu  a  ores  converse? 


*  Ein  besonders  deutliches  Beispiel  dafür  ist  das  oben  citierte  R.  Charr 
5141:    Vint  la  pitis  mis  uii  ceste  tej-re,  Fet  messire  O'aucaitts,  rerjuerrc/ 


Die  AVortstellung  im  altfranzösisclieii  direkten  Fragesatze.  339 

c)  Fabl.  IV,  10:  Ä  ke  faire  feries  vous  batre?  eb.  II,  244: 
Ä  quei  fere  me  demaundez  cJiose  que  vous  meismes  bien  savez? 
M.  XXXIII,  2032:  Ä  quot/ faire  vous  mentiroie?  War  letztere  (der 
neuen  Sprache  nicht  mehr  mögh'che)  Ausdrucksweise  auf  Fälle  mit 
faire  beschränkt?* 

II.  Im  übrigen  sollten  sich  mit  Ausnahme  der  tonlosen  Negation 
Adverbien  nicht  vor  dem  Verbum  finden.  Doch  ist  dieser  Fall  nicht 
ausgeschlossen 

A.  beim  einfachen  Adverbium 

a)  in  Bestätigungsfragen.  Häufiger  finden  sich  vor  dem 
Verbum 

1)  die  Fragepartikel  donc:  Ch.  II  esp.  11644:  Donqucs  estes 
vous  mes  parens'^  Dist  U  rois.  —  Oest  voirs.  Ch.  Lyon  1461: 
Donques  sui  ge  ses  anemis?  Nel  sui  certes,  mes  ses  amis.  R.  Charr. 
1209:  Donc  est  ce  force'?  autant  se  vaut  (Jonckbioet  unterläfst  das 
Fragezeichen  zu  setzen).  Tli.  fr.  149:  Dont  sui  je  de  trestoz  chaciez 
et  envaiz?  Fr.  P.  100;  eb.  265;  M.  XXI,  428:  Donc  cognoist  on 
ceulx  plainement  Qui  tel  mal  ont  a  soustenir  Ou  viennent  il  sanz 
diffinir'^  So  besonders  auch  in  negativen  Fragen  (sogenannten  Ja- 
fragen),  wo  dann  donc  mit  der  Negation  häufig  zu  einem  Worte  ver- 
wächst mit  den  Formen  donne^  dumne,  dunne^  dune,  denne,  dene. 
B.  Chr.  124,  37:   Dont  n'a  nom  Turnus  tes  amis'?  eb.  192,  4  etc. 

Für  dumne,  dünne  etc.  finden  sich  viele  Belege  aus  dem  Oxforder 
und  Cambridger  Psalter,  sowie  aus  den  L.  Rois  bei  Cornu,  Rom. 
VII,  362  ff.** 

2)  or:  Fabl.  IV,  121:  Or  estes  vous  garis  enßn?  Th.  fr.  144: 
Or  sui  je  venuz  trop  matin?  Men.  R.  408:  Ore,  dame,  j)arti7'ons 
nos  nostre  depouillef  M.  XVI,  1794:  Ore  as  tu  nxdle  remembrance 
Quelle  deist  dont  estoit  nee?  eb.  XIX,  568:    Ore  tenras  tu  bien  a 

fait  Ce  que  je  voulray  ordener  de  toi?  eb.  XXXIII,  198:   Ores  scez 
tu  qu'il  est,  vilain?  eb.  XXVII,  1823,  Th.  fr.  Ü62.    or  und  donc  zu- 


*  Vergl.  Lasso!  ci  che  dicer  vetjno?    Dante,  Ganz.  XVIII  ed.  FraticoUi 
(Bd.  III,  09). 

**  Sucliier  weist  Z.  III.  150  f.  die  dort  vorgetrageno  Etymologip  von 
fhimne  =  numnam  mit  Recht  zurück.  Wäre  Cornus  Ansicht  nicht  au  sich 
völlig  hahlos,  so  würde  sie  es  durch  die  Tliatsache,  dafs  für  üunne  auch 
dun  nen  vorkommt.  L.  Rois  p.  59:  Diin  neu  as  tu  plus  Jizf  eb.  414:  dun 
nen  as  oid  co  que'  fait  ai  an  arriere?  Ich  behalte  mir  vor,  an  einem  anderen 
Orte  zusammenhängend  über  die  alt  französischen  Fragepartikeln  zu  handeln. 

22* 


340  Die  Wortstellung  im  altfranzosischen  direkten  Fragesatze. 

sammen  finden  sich  vor  dem  Verb  um :  Ch.  Lyon  5993:  Et  or  donc  ne 
fi' antraimment  ü? 

Zur  Erklärung  dieser  Stellung  von  or  und  donc  ist  es  nötig,  auf 
das  Wesen  der  Fragepartikeln  näher  einzugehen,  als  das  hier  geschehen 
kann.  Nur  sei  bemerkt,  dafs,  wenn  Mätzner  für  donc  Synt.  II,  87  f. 
die  sich  seltsam  widersprechende  Erklärung  abgiebt,  „der  Fragende 
deute  durch  die  konklusive  Form  seiner  Rede  an,  dafs  er  auf  einen 
überraschenden  Grund  im  voraus  vorbereitet  sei"  (welche 
Erklärung  Zeitlin  Zts.  VI,  259  wörtlich  wiederholt,  nur  dafs  er 
„Grund"  in  „Antwort"  bessert!)  und  Zeitlin  Zts.  VII,  6  über  or  be- 
merkt, es  diene  zum  lebhaften  Ausdrucke  der  Frage,  indem  es,  seiner 
Grundbedeutung  ganz  angemessen,  den  Wunsch  nach  unmittelbarer 
Antwort  durchblicken  lasse,  man,  wie  mir  scheint,  weit  entfernt  ist, 
über  das  Wesen  der  Sache  genügend  aufgeklärt  zu  sein. 

Andere  Adverbien  als  donc  und  or  finden  sich  in  Bestätigungs- 
fragen nicht  häufig  vor  den.  Verbum.  Einigemal  begegnet  ja  an 
dieser  Stelle:  Th.  fr.  596:  Ja  soufjisi  ü?  —  C'est  bien  dit,  maistre 
Pierre,  oll.  B.  Chr.  265,  36:  Ja  n^as  tu  öi,  de  bien  fait  A  ort  tele 
eure  le  col  frait?  hat  man  7i'as  tu  öi  wohl  als  in  Parenthese  stehend 
anzusehen.  J.  XLII:  Et  antredeus  mandastes  me  vos  mde  rien? 
Meraugis  124:  Biaus  sire,  encor  ne  savez  voics  Que  ce  sera?  (bei 
Michelant  fehlt  das  Fragezeichen).  —  Dame,  je  non.  Nur  eine  schein- 
bare Ausnahme  liegt  vor  Ch.  Lyon  1899:  {Ceanz  est  ja.)  Ceanz  estilf 
so  auch  wohl  Ch.  Lyon  6381:  La  estes  vos?    Vergl.  §  17. 

AVenn  wir  M.  XXV,  758  lesen:  Comment  le  fait  mon  seigneur? 
Bien  Fait,  Dieu  mercy?  —  Oil,  so  liegt  auch  hier  eine  Ausnahme 
nicht  vor.  Der  Fragende  spricht  mit  Bien  fait,  Dieu  mercy  dem  An- 
geredeten gewissermafsen  schon  die  Antwort  vor,  die  er  zu  hören 
wünscht,  so  dafs  es  von  dessen  Seite  nur  noch  eines  bestätigenden  od 
bedarf.  Das  Dieu  mercy  wäre  sonst  nicht  zu  erklären.  Freilich  Fabl. 
I,  77:  Ces  .XV^.  sols  bien  U  croiriez  Se  por  moi  les  vos  voloit  7'endre? 
scheint  zu  beweisen,  dafs  sich  auch  bien  vor  dem  Verbum  finden  darf, 
doch  fehlen  mir  weitere  Belege  dafür.  Bien  ist  natürlich  hier  ganz 
anderer  Natur  als  M.  XXV,  758. 

ß)  In  Bestimmungsfragen.  Wir  haben  hier  zu  unter- 
scheiden, ob  das  Adverbium  dem  ganzen  Satze  vorantritt,  also  von 
dem  Verbum  durch  das  Interrogalivum  getrennt  wird  oder  zwisclien 
diesen  beiden  seine  Stelle  findet. 


Die  Wortstellung  im  altlVanzüsisclien  direkten  Fragesätze.  341 

Beispiele  für  crstere  Stellung  sind:  Fabl.  IT,  244:  Don  (jue  Je- 
mandem com  enfant?  Job  341,  34  (ed.  Förster):  Dankes  queil  chose 
conut  El'qyhaz  quant  il  fnt  raviz  en  contemplation  ...?  CIi.  II  esp. 
7193:  Cil  dont  qul  sera  Ki  seurement  le  traira?  Doch  ist  in  Bo- 
stimmungsfragen  diese  Stellung  von  donc  seltener  als  in  Bestätigungs- 
fragen. 

Andere  Adverbien  vor  dem  Interrogativum :  Ch.  Lyon  1874: 
Mes  ci  per  coi  demorez  vos?  Perc.  3367:  (7a  qui  fenvoie?  eb.  7681: 
La  qne  feistes?  eb.  9824:  Or  mais  por  coi  somes  nos  vires  .  .  .? 
M.  XXXII,  704:  Or  comment  va?    Cfr.  M.  XIII,  94ß. 

In  ähnlichen  Beispielen  werden  vi'ir  das  Adverbium  als  aufser- 
halb  des  engeren  Satzgefüges  stehend  betrachten  müssen;  eine  solche 
Annahme  scheint  nicht  zulässig  für  Fälle,  in  denen  dasselbe  zwischen 
Interrogativum  und  Verbum  seine  Stelle  findet;  so  Ch.  II  esp.  5039: 
Et  conDnent  dont  vüen  kerriez  vous?  M.  XXIV,  590:  Comment 
(odrement  penst  il  Avoir  eschape  du  peril  Qiia  ja  passe?  L.  Kois 
233:  E  pur  qucl  ditnc  n'as  (jnarded  niun  cumandement?  Flore  Bl. 
124:  Et  jnir  quei  dune  ne  velt  le  roi?  Romania  VIII,  987  (Vie  de 
S.  Gregoire  le  Grand  ed.  Mon(aiglon) :  Pour  qnoy,  dist  il  donques 
amis  As  tu  .XJII.  j^ovres  la  niis?  Doch  ist  letztere  Stelle  nicht  be- 
weisend, da  donques  auch  zu  dist  il  gezogen  werden  kann.  Auch 
L.  Rois  261:  Coment  dune  cumprendrad  le  cesie  maisun  que  fait 
ai  en  Ponour  de  sun  num?  ist  vielleicht  anders  zu  interpungicren  (cfr. 
oben  p.  332). 

AVie  ist  nun  diese  SteHung  des  Adverbs  zu  erklären?  Grundlose 
Ausnahmen  in  obigen  Belegen  zu  sehen  wird  man  sich  nicht  ent- 
schliefsen.  Das  Nächstliegende  scheint  mir  zu  sein,  dafs  man  das 
Adverbium  wie  ein  parenthetisch  eingeschobenes  Satzglied  betrachtet, 
so  dafs  es  denn  doch  wiederum  aufserhalb  des  engeren  Satzgefüges 
stände.  Es  finden  sich  allerdings  Belege,  die  eine  solche  Auffassung 
deshalb  auszuschliefsen  scheinen,  weil  das  Advejbium  nffcnbar  nur  zum 
Verbum  und  nicht  wie  in  obigen  Beispielen  zum  ganzen  Satze  gehört. 
Ch.  II  esp.  2792:  Et  ke  ce  fu  ore  Kc  nwn  salu  ne  me  rendistes  Et 
por  Uensi  me  respondistes  Ki  ne  me  senc  mesfait  de  rien?  B.  Chr. 
235,  27:  Avoi,  fait  Blanceßors^  Claris,  Por  coi  si  griement  m'es- 
rarnis?  M.  XVII,  694:  Pour  quoy  contre  lui  forveoies?  L.  Rois 
315:  Cume  lunges  si  faitement  closcerez  e  fermemcnt  ne  vus  tendrez 
ne  cha  ne  In?  ■  Das  Original   gab  keine  Veranlassung   zu    dieser  Stel- 


31J  Die  Woribtflluug  im  aUfranzüsitclicii  diickicn  Fiagesatze. 

lung:  Usqite  quo  claudicatis  in  duas  paties?  Es  wird  hier  die  indirekte 
Frageform  vorliegen.    Vergl.  §  12,  Zus.  1 ;  §  14/?;  §  15  a,  6;  §  15d. 

ß.  Viel  liäufiger  nun  nimmt  sowohl  in  Bestätigungs-  wie  in  Be- 
stimmungsfragen eine  adverbiale  Bestimmung  die  absolute  Stel- 
lung vor  dem  Fragesatze  ein. 

u)  Beispiele  für  Bestätigungsfragen:  Rieh.  3503:  Hoste», 
fait  ü,  en  ceste  terre  Saveriez  voiis  tournoy  ne  guerre?  Ch.  II  esp. 
11128:  Et  de  ma  gent  ke-  il  a  piise  Savez  u  est?  Fabl.  III,  109: 
Et  as  freres  de  no  maison  Aveis  vos  fait  nule  raison?  Ce  dient  li 
doi  Frere  al  prestre.  Naie  voir.  M.  X,  792:  Dites  moi,  de  ceste 
nouvelle  Estes  point  liez?  M.  XXVI,  1218:  Sire  baillif,  en  ma 
maison  Par  vostre  gre  m^en  j^uis  faler?  eb.  XXV,  10  •  A  estre  clerc 
metterez  vons  Bien  diligence?  eb.  XIV,  1049:  EM  ta  honte  tres 
exeellente  Est  il  mdz  homs  qin  ne  se  sente?  eb.  XXIX,  1722:  Mei^e 
Dieu,  de  dueil  demener  Ar/  je  cause?  eb.  XIX,  1103:  Belle  fille, 
pour  vous  guerir  Iraij  je  querre  inire?  eb.  XX,  643:  Sire  jyour 
gloire  es  cieulx  avoir  Sanz  fin,  requerez  vous  haptesme  Et  que  vous 
oigne  du  saint  cresme  Comme  il  covient?  —  Oll,  sire.  eb.  XXXIV, 
1835:  Et  vous,  sire,  en  ceste  meslee  Voidez  niourir?  eb.  XXV,  757 
findet  sich  ein  attributiver  Genetiv  in  dieser  Stellung:  De  nouvel  me 
direz  vous  rien?  Auch  Erec  3333  wird  hierher  gehören:  v.  3330  bis 
3335:  Ne  me  deigneriez  amer,  dame?  (statt  des  Fragezeichens  setzt 
Bekker  einen  Punkt)  Irojy  estes  ßere.  Por  losenge  ne  por  proiere 
Ne  feriez  rien  que  je  vuille?  Bien  est  voirs  que  fanie  s'orgidlle 
Quant  on  plus  la  prie  et  losenge.  Cfr.  auch  M.  XXIII,  718.  Der 
gleiche  Sachverhalt  liegt  vor,  wenn  die  adverbiale  Bestimmung  in  Form 
eines  vollständigen  Nebensatzes  gegeben  ist:  M.  XXI,  422:  Pins  qu^ eile 
est  en  komme  trouvSe  L'a  donc  chascun?  M.  XXII,  776:  Se  je  te 
garis  et  te  eure  Laisseras  tu  la  loy  paienne  Pour  tenir  la  foy 
crestienne  .  . .? 

Einen  deutlichen  BeAveis  dafür,  dafs  das  vorangehende  Adverbiale 
aufserhalb  des  eigentlichen  Satzgefüges  steht ,  bietet  eine  Stelle  aus 
den  L.  Rois,  in  der  zwischen  dem  absolut  vorangehenden  präpositin- 
nalen  Adverbiale  und  dem  Verbum  die  Konjunktion  resp.  Fragepartikel 
et  sich  findet.  Es  ist  L.  Rois  143:  Par  tuz  les  Ileus  u  jo  passal  od 
les  fiz  Israel  e  parlai  jo  nule  feiz  a  alcune  des  lignhs  de  Israel  . .  .  .^ 
(lat.  Text:  Per  cuncta  loca  quce  transivi  cum  omnihus ßliis  Israel, 
numquid  loquens  locutus  su77i . . .? 


Die  Wortslt'llung  im  altfranzösischen  diiekten  Fragesatze.  343 

Es  kann  das  absolut  vorangestellte  Satzgliod  auch  in  formaler 
Weise  im  Fragesätze  selbst  wieder  aufgenommen  werden:  Th.  fr.  163: 
En  eitel  fust  as  i  tu  creancJie? 

Das  Gleiche  kann  geschehen,  wenn  die  adverbiale  Bestimmung 
in  absoluter  Weise  folgt:  R.  Charr.  6820:  Et  la  reine  n'i  est  eh 
A  eele  joie  qiion  demaine? 

ß)  Für  Bestimmimgsfragen  sind  die  Beispiele  von  absoluter  A' oran- 
stellung  einer  adverbialen  Bestimmung  noch  zahlreicher.  Perc.  4741: 
Et  apres  le  Graail  ki  vint?  eb.  6525:  .Diva,  fait  il,  a  toi  que  tahit 
L'ocoisons  2^cir  coi  il  remaijitf  eb.  6726:  A  moi,  fet  il,  bete,  que 
montef  eb.  9027:  De  cest  escacier  que  vos  samble?  eb.  9506:  2Iais 
or  me  dites  del  roi  Lot  De  sa  fame  quans  enfans  ot? 

Weitere  Beispiele  bieten  Perc.  10333;  eb.  10571;  Erec  500; 
Ch.  Lyon  3528;  eb.  6017;  Th.fr.  181;  B.  Chr.  328,  38;  M.XXIV,  267; 
eb.  XXXIV,  2087;  XXVIII,  1353;  IX,  979;  XI,  527;  Lyoner  Ysopet 
1718;  eb.  2325  (attributive  Bestimmung:  De  la  seile  ou  est  la  nohlesce 
Et  dou  froin  docey  la  richesce?  ebenso  M.  XXXIV,  2119) ;  Ch.  Rol. 
1806,*  1840,  1913,  2411;  Tristan  (ed.  Michel)  II,  p.  6;  eb.  I,  138; 
eb.  T,  189.  Die  adverbiale  Bestimmung  ist  durch  einen  vollständigen 
Nebensatz  ausgedrückt:  Rf.  XXXV,  303:  Puis  que  ne  vous  vtj  mais 
comhien  Y  a  il  ore?  eb.  XXI,  681  :  Puis  quil  estoit  vray  Diex  con- 
ment  Senti  il  peine  ne  toxirment  Ne  sovffry  raort'? 

Auch  hier  wird  zuweilen  das  absolut  vorangestellte  Satzglied  im 
Fragesatze  wieder  aufgenommen:  Ch.  Rol.  145:  De  cez  paroles  que 
ras  avez  ci  dit  En  quel  mesure  en  purrai  estre  ßz?  Rou  II,  3415: 
De  p>artir  de  cest  siege  quel  conseil  iWen  dunezf  M.  X,  490:  IIa! 
vierge,  de  ta  grant  honte  Qui  en  puet  dire  la  haidesce  . .  .?  Lyoner 
Ysop.  3086:  Di,  en  ceste  maison,  Cers,  quel  besoigne  ii  amoine? 
Pr.  P.  108:  et  de  mon  neveu  que  i'os  an  sanblef  Dafs  das  Ncämliche 
bei  dem  Fragesatze  absolut  folgender  adverbialer  Bestimmung  geschieht, 
sei  gleich  hier  erwähnt.  Ch.  II  esp.  7930:  Et  vous  k'en  volez  de  ce? 
Ch.  Rol.  244:  Cui  i  enveieruns  En  Sarraguce  al  rei  Marsilirin? 

Zuweilen  ist  noch  ein  zweites  Satzglied  absolut  vorangestellt: 
M.  Rec.  233,  243:  Qui  n'a  que  prendre  a  autrui  que  donra?  M.  III, 
888:  Et  toy  cy  entour  que  fais  tu? 

Sehr  selten   findet  sich  ein  präpositionales  Adverbiale  in  Bestim- 

*  Wehrmann   nimtut   sonderbarerweise    Rom.  Stud.   \',  440    in  Ch.   Hol. 
1806:   De  co  cui  calt?  eine  besondere  interrogative  Bedeutung  von  de  {O  an. 


"11  Die  Wortstellung  im  altfianzösisclien  direkten  Fragesätze. 

rnungsfragen  zwischen  Inforrogativum  und  Verbum.  Es  wird  sich 
schwer  entscheiden  lassen,  ob  Th.  fi".  513:  Cominent  a  si  tres  helle 
femine  Est  advcnu  si  lait  diffame?  die  indirekte  Frageform,  wie  auch 
sonst  einigemal,  an  die  Stelle  der  direkten  getreten  ist,  oder  ob  das 
präpositionale  Adverbiale  als  gleichsam  in  Parenthese  stehend  zu  be- 
trachten ist,  wie  dies  sicher  gilt  z.  B.  für  Fabl.  II,  254:  Ou  a  deahles 
ad  il  estS?  und  mir  auch  für  M.  XXII,  1542:  .  . .  2'>our  qno?/  de  fait 
Se  soiit  il  si  vilment  laissie  Trebuchier  que  tont  sont  froissie  die 
nächstliegende  Auffassung  zu  sein  scheint. 

Auch  der  neueren  Sprache  ist  jenes  dem  Altfranzösischen  so  ge- 
läufige Verfahren  nicht  fremd*  (cfr.  Mätzner  Gr.  559):  De  tous  ceiur 
qid  se  discnent  nies  cnnis  aucun  vi\i-t-il  secouru?  (Ac.)  Rousseau, 
Emile:  Pour  former  cet  homme  rare  qu'avons  nous  ä  faire?  eb. : 
Dans  un  don  que  je  veux  hien  faire,  ne  suis  -je  pa.s  maitre  de  nies 
condifions?  Wenn,  wie  B.  Chr.  182,  20:  quant  a  trestoute  m^ost 
ont  trouve  fourniture,  En  fönt  eles  as  dex  nesune  forfaiture^  ebenso 
R.  Charr.  3440  etc.  und  nfrz.:  Puisque  ce  sont  des  risques  inseparahles 
de  la  vie  humaine,  peut-on  mieux  faire  .  .  .?  (Emile)  ein  vollständiger 
Nebensatz  vorhergeht,  liegt  im  Grunde  derselbe  Sachverhalt  vor. 

b)  Hinter   dem   Verbian. 

Im  übrigen  müssen  im  Fragesatze  Adverbien  und  adverbiale  Be- 
stimmungen aller  Art  dem  Verbum  folgen. 

L  Die  Adverbien  schliefsen  sich  in  der  grofsen  Mehrzahl  der 
Fälle  dem  Verbum  so  eng  an,  dafs  sie  nur  durch  tonlose  Subjekts- 
oder Objektsprouomina  regelmäfsig   von   ihm  getrennt   werden   dürfen. 

Ausnahmen  kommen  freilich  vor: 

a)  bei  Zeitadverbien:  die  Fragepartikel  donc  findet  sich  zu- 
weilen getrennt  vom  Verbum:  Perc.  6755:  Est  ele  vostre  flle 
donquesf  Ch.  Lyon  1498:  Comant  poist  ce  estre  donques?  Fabl. 
IV,  125:  Qu'est  cef  Est  li  feus  estains  dont?  Th.  fr.  190: 
Eids  jo  estre  dont  asseurs  De  cliou  que  Rasoirs  elvi  nie  conte  f 
Th.  fr.  615  (cfr.  ainsi).  ore  M.  XIII,  761:  Peut  c' estre  ore  men- 
conge  Ceste  vision  ou  vray  songe?  eb.  XVIII,  120:  Estes  vous  ei 
setde  ore?  depuis  M.  XXVII,  2063:  Comment  vous  a  este  Depuis, 

*  Auch  im  Deutschen  verfährt  die  dichteriscbe  Sprache  gelegentlich  so; 
verpl.  Soff  mir  Hoch!  von  deinen  Gegnern  warum  willst  du  gar  nichts  tcissen? 
(Goethe).  Zu  Goethes  Denkmal  was  zahlst  du  jetzt?  (ders.).  Mit  Kirchen- 
geschichte was  hob  ich  zu  schaffen?  (ders.). 


Die  WortstcUunjr  im  altfranzösisohcn  «lircktcn  Fragesätze.  345 


m 


\imie?  cnfin  Fabl.  IV,  121:  Or  estes  vous  garis  enfin?  einiit 
Th.  fr.  587:  Avec  garde  ce  hois  eiuiit?  hmjmais  M.  XXTI,  1251: 
Ferez  vous  autre  cliose  Iwymais  de  vos  brandons?  tauf  Jourd. 
Blaiv.  2804:  Por  quoi  ai  rescu  tant? 

h)  Ortsadverbien.  Besonders  häufig  begegnet  caiens  (rcsp.  Jaiens) 
getrennt  vom  Verbum.  Men.  R.  48:  Comment  ne  metez  vous  le  roi 
iiodre  seigneurs  caiens,  si  comme  vous  devez?  Th.  fr.  86:  mesires 
sai)is  Acaires  A  il  fait  miracles  chaiens?  Ch.  II  esp.  9445:  A^'a  il 
ncnt  laicns?  Fabl.  III,  285:  A  il  nidui  caienz  Qui  m  enseignast  tel 
cordelier?  eb.  I,  19:  Est  il  donc  revenuz  ceanzf  M.  I,  593:  Ha! 
donlce  vierge  debonnaire  Ont  il  donqiies  este  ceens? 

Andere  Adverbien  des  Ortes:  Th.  fr.  75:  Venront  dont  les  fees 
apres?  M.  XVIII,  447:  Est  l'abbe  ci?  Fabl.  I,  224:  Sont  vo  com- 
paigiion  auqites  pres?  cfr.  L.  Reis  353. 

c)  Modaladverbien.  M.  XXVII,  725:  Xe  vous  ai  je  pas  pris 
To}i>i  deu.c  ensemble?  eb.  XVIII,  560:  Content  m^estes  vous  ravie 
si  faucement?  eb.  XXI,  428:  Donc  cognoist  on  ceidx  plainenient 
Qui  ...?  Th.  fr.  615:  Vouhz  vous  cder  liors  Donqiies  ainsi?  eb. 
598:  Semble  je  estre  bien  pelerine  En  cest  estat?  M.  XXII,  62: 
voidrez  vous  estre  Voulentiers  mire?  eb.  IX,  981:  qui  vous  alie  ainsi? 

II.  Adverbiale  Bestimmungen  werden  dagegen  nicht  selten  vom 
Verbum  getrennt,  so  diiil^h  das  nominale  Subjekt:  Ch.  Lyon  3529: 
Que  fei  anie  an  si  dolent  cors?  so  besonders,  wenn  estre  das  Verbum 
ist:  Pr.  P.  342:  Est  ceste  danioisele  de  vostre  compaigne?  eb.  333: 
Est  son  chastel  jires  de  ci?  Fabl.  IV,  181:  Est  or  li  vilains  en 
nieson?  L.  Rois  34:  Est  Saul  entre  les  prophetes?  (Num  et  Saul 
inter  proplietas?)  M.  XXV,  197:  Sire  quel  part  demeure  un  hornme 
En  ceste  terre  ci  con  noniuie  Vcdentin?  cfr.  L.  Rois  157,  14,  86, 
Th.  fr.  165.  Durch  das  Objekt:  Ch.  Rol.  2926:  Qui  guierat  mes 
hoz  a  tel poeste  . .  .?  M.  XXIII,  1832:  Dites  vous  ceste  clause  Pour 
vi'rite?  B.  Chr.  178,  2:  Veistes  mais  si  beles  en  trestous  vos  aes? 
L.  Rois  180:  Pur  quei  iie  j^ortes  cwnpaignie  a  tun  ami  David  e  ne 
ras  od  lui?  (Quare  non  ivisti  cum  amico  tuo?).  Fabl.  III,  94:  En 
portes  tu  riens  ä  fände?  eb.  IV,  79:  Me  dites  vous  tout  ce  pur  geu? 
oh.  II,  244  :  Vendras  tu  ton  roncijn  a  mo>/?  L.  Rois  408,  eb.  103.  Ein 
Infinitiv  ist  Objekt  L.  Rois  23,  Ch.  Lyon  6017.  Durch  ein  Prä- 
dikat i  V  u  ni :  B.  Chr.  88,  22  :  Fustes  pris  pour  le  songe?  Ad.  p.  32: 
Qid  fa  toleit  de'ta  bonte?  etc.    Durch  mehrere  der  angeführten  Glieder: 


316  Die  VVortstcllmig  im  altfranzüsisclien  direkten  Fragesatze. 

Af.  XXIII,  632:  Ou  va  lafiUe  an.  roj]  Aimi  seule  sanz  compaifjnie? 
R.  Cliarr.  1076.     M.  XIII,  310. 

Trotzdem  sich  die  oben  konstatierte  Tliatsache,  dal's  Adverbien 
lind  adverbiale  Bestimmungen  aller  Art  dem  Verbiim  im  Fragesatze 
folgen  müssen,  ans  dem  für  die  Fragestellung  geltenden  Gesetze  not- 
wendig orgiebt,  wird  man  liior  so  wenig  wie  beim  Objekt  und  Pr.ä- 
dikativ  annelmien  dürfen,  die  Sprache  habe  sich  infolge  jenes  Gesetzes, 
sofern  sie  nicht  zu  einer  Anakoluthic  greifen  wollte,  aufser  stände  ge- 
sehen, jene  Beziehungen  des  Adverbs,  die  sie  im  asscrierenden  Haupt- 
satze dadurch  veranschaulichte,  dafs  sie  ihm  seinen  Platz  vor  dem 
Verbum  anwies,  auch  im  Fragesatze  zum  Ausdiuck  zu  bringen,  abge- 
sehen davon,  dafs  wir  nicht  immer  eine  parallele  Wortfolge  im  Frage- 
satze erwarten  dürfen  (cfr.  §  10,  p.  210).  Sobald  das  Subjekt  pronomi- 
naler Natur  oder  auch  unausgesprochen  ist,  wird  sich  zwar  heute  schwer 
entscheiden  lassen,  inwieweit  eine  Frage  [7i\a{m  jo  vus  »mit,  die 
1)  einer  Assertion  jo  vus  ahn  midi  (Ch.  Rol.  635),  2)  einer  solchen 
rmdt  vos  aim  (jo)  entspräche,  durch  den  Ton  anzu:^eigen  im  stände 
war,  ersteres  oder  letzteres  sei  der  Fall.  Bei  nominalem  Subjekt  aber 
lag  jedenfalls  a  priori  für  den  Redenden  die  Möglichkeit  vor,  eine 
Wortfolge  avs  (a  =:  Adverb,  v  =  Verb,  s  =  Subjekt)  der  Assertion 
von  einer  solchen  sva  bei  Übertragung  derselben  in  die  Fragestellung 
zu  unterscheiden,  da  ihm  die  beiden  Stcllii^gen  vas  und  vsa  zu 
Gebote  standen.  Nach  den  beim  Objekt  und  Prädikativ  gemachten 
Beobachtungen  duiften  wir  erwarten,  dafs  die  Wortfolge  vas  im  all- 
gemeinen der  Stellung  avs  in  der  Assertion  entsprechen  würde,  und 
finden,  angesichts  des  Umstandes,  dafs  die  Adverbien  in  der  alten 
Sprache  am  gewöhnlichsten  noch  vor  dem  Verbum  ihre  Stelle  finden, 
diese  Erwartung  in  dem  oben  für  die  Frage  konstatierten  Resultat, 
demzufolge  das  Adverbiura  in  der  Regel  durch  ein  nominales  Subjekt 
vom  Verbum  nicht  getrennt  wird,  bestätigt. 

Wie  wir  nun  oben  für  die  Stellung  des  Adverbs  am  Anfange  des 
Satzgefüges  verschiedene  Motive  unterscheiden  zu  müssen  glaubten,  so 
wird  man  sich  auch  zur  Erklärung  des  Umstandes,  dafs  das  Adverbium 
im  altfranzösischen  Fragesatze  sich  in  der  Regel  dem  Verbum  so  nahe 
als  möglich  anschliefst,  nicht  damit  begnügen  dürfen,  auf  die  enge  Zu- 
sammengehörigkeit beider  hinzuweisen.  In  vielen  Fällen  Avird  ja  ein 
solcher  Hinweis  zur  Erklärung  ausreichend  sein,  beispielsweise  in 
einem  Satze  wie  Th.  fr.  185:    Vient  hien  cJiis  C07ites?     Sehr   oft  aber 


Die  Woi'tstollung  im  altfran^.ösischcn  direkten  Fragosalzc.  34/ 

auch  wird  er  schon  deshalb  nicht  statthaft,  weil  das  Adverbiiim  nur 
in  sehr  losem  Zusammenhange  mit  dem  Verbum  steht,  wie  dies  z.  15. 
bei  den  Fragepartikeln  der  Fall  ist.  B.  Chr.  119,  28:  Est  dont  amors 
infertnetes?  Dont  gehört  offenbar  zum  ganzen  Satze  und  steht  zu 
keinem  Gliede  desselben  in  engerer  Verbindung,  sondern  bildet  viel- 
mehr das  logische  Subjekt  der  Frage:  wie  eine  Assertion  Dont  ed 
anwrs  üifermetcs  bedeuten  wilrde:  Zu  einem  mit  dont  bezeichneten 
Zeitpunkte  habe  man  sich  die  Aussage  amors  est  infermetes  zu  denken, 
so  bringt  die  Frage  est  dont  amors  infermetes  zum  Ausdruck :  Mit 
Bezug  auf  diesen  selben  Zeitpunkt  werde  die  Frage  est  amors  infern\e- 
tcs?  gethan.* 

Dafs  bei  präpositionalen  Adverbialen  freilich  die  Stellung  vsa 
mindestens  ebenso  häufig  vorkommt  wie  vas,  ist  ans  der  gröfseren 
Selbständigkeit  derselben,  vermöge  deren  sie  weniger  leicht  als  einfache 
Adverbien  mit  dem  Verbum  zu  einem  einheitlichen  Begriff"  verwachsen 
oder  als  logisches  Subjekt  eines  Satzgefüges  funktionieren,  erklärlich. 

Zusatz  zu   §  16. 

a)  Bilden  zwei  koordinierte  Adverbialien  den  Gegenstand  der  Be- 
stimmungsfrage, so  kann  das  zweite  dem  Verbum  folgen:  Elie  de 
S.  Gilles  1866:  Dont  es  et  de  qiiel  terre?  R.  Charr.  1028:  Dom 
('sfes  vous  et  de  quel  leu?  eb.  137:  Don  vos  vient  et  de  quel  corage? 
]M.  XXII,  368:  Filz,  dont  viens  tu  ne  de  quel  Heu?  eb.  XIII,  945: 
Ou  est  il  mors  ne  en  quel  point?  eb.  XXII,  210:  Ou  iraij  ne  en  quel 
lieu?  (cfr.  Fabl.  IV,  120:  Robin,  que  est  ce  ne  comment?)  Beide 
gehen  voran:  I\I.  XX,  208:  Dassel pour  quoy  na  quelle fin  Le  dites 
rous?  eb.  XX,  1326:  Pour  quoy  donc  ne  par  quel  affaire  Seroit  il 
nez  en  Jhesu  Crist?  Jubinal,  Myst.  ined.  du  15®  s.  p.  85:  Par  quel 
point,  sire,  et  en  quel  guise  y  pourrions  nous  advetiirf 

b)  Die  Behauptung  Morfs  (p.  285),  dafs  die  adverbiale  Bestim- 
mung, die  nach  moderner  Auffassung  zu  einem  vom  verbum  finitum 
abhängigen  verbum  infinitum  gehöre,  nach  altfranzösischer  Anschauung 
vorzüglich  zum  ersteren  trete,  ist  nach  unserer  Ansicht  durch  die  am 
angeführten  Orte  gegebenen  Beispiele  nicht  hinreichend  gestützt,  da 
wir  in  Sätzen   wie   La  ruldrat   il   crestiens  devenir   (Ch.  Hol.  155) 


*  \  on  dieser  Auffassung   wird    man   aucli  zur  Erkläri:iig  einer  Stellung 

Dont  est  amors  infermetes?  ausgehen  müssen. 


318  Die  Wortstellung  im  nHfrnnzösischcn  direkten  Fragesatze, 

oder  Taitf  nel  vas  sai  ne  prisci'  ne  her  (cb.  532),  Ben  les  mint  ajastant 
(eb.  3024)  etc.,  desgleichen,  wo  ein  präpositionalos  Adverbiale  vor- 
liegt, wie  Ch.  Rol,  700:  Parnii  cel  host  funt  mil  graiUes  siincr,  die 
adverbiale  Bestimmung  als  zum  ganzen  Satze  gehörig  betrachten. 

Auch  aus  Fragesätzen  vermag  ich  Morfs  Behauptung  nicht  zu 
beweisen.  Denn  abgesehen  von  Fallen,  in  denen  das  zum  verbum 
infinitum  gehörige  Adverbiale  dem  Satze  absolut  vorantritt,  wie  Ch. 
Lyon  G017:  Dex,  vieismes  in  .1.  ostel  Coinant  puet  estre  li  repaires 
A  choses  qui  tant  sont  coiitraires?  (weitere  Beispiele  wurden  schon 
oben  gegeben)  wird  man  sich,  wenn  das  Adverbiale  bei  nicht  ausge- 
setztem oder  bei  personalpronominalem  Subjekt  zwischen  dem  verbum 
finitum  und  dem  verbum  infinitum  seine  Stelle  hat,  wie  B.  Chr.  1  34,  11  : 
Par  qicoi  volez  st  tost  morir?  Th.  fr.  122:  Me  cnidiez  vous  cid 
faire  liontel  etc.,  oder  wenn  das  Gleiche  stattfindet,  da  ein  nominales 
Subjekt  hinter  den  Infinitiv  tritt,  wie  M.  XXIV,  053:  iJo'd  ainsi 
parier  un  tel  komme  Com  toy  etc.  .  .  .  ?  nicht  entscheiden  können,  ob 
die  Sprache  das  Adverbiale  als  zum  verbum  finitum  oder  zum  verbum 
infinitum  gehörig  betrachtete.  Wohl  aber  finden  sich  Beispiele,  die 
Morfs  Behauptung  widerlegen:  Ch.  Lyon  6087:  Porra  Yvains  por 
reison  dire  . .  .?  Porceval  2279:  ose  mis  ca  venir  . .  .?  Pr.  P,  334: 
Poroit  vos  nus  d'üecqiies  oster?  L.  Rois  36:  Ba!  purrad  nus  eist 
de  nos  ennemiz  saloer?  (lat.  Text:  nuni  salvare  nos  poterit  iste?) 
Ch.  Lyon  3526:  Comant  puis  je  demorer  ci  Et  veoir  les  choses  ma- 
dame?  M.  XXII,  62:  Ore,  Mau ßlz,  vonlrez  vous  estre  Vonlentiers 
mire?  eb.  XXVII,  768.    Reimpredigt  28^    Th.  fr.  189  etc. 

Auch  R.  Charr.  5141 :  Vint  la  preis  nus  an  cesle  terre,  Fei 
messire  Gauvains,  requerre?  spricht,  da  jnds  zum  ganzen  Satze 
gehört,  nicht  für  Morf. 

III.     Fragen  in  Aussageform. 

§  17.  In  der  neueren  Sprache  begegnet  os  häufig,  dafs  in  Bp- 
stäfigungsfragen  der  Fiagende  den  Ton  für  ausreichend  zur  Kenn- 
zeichnung seiner  Rede  erachtet  und  davon  absieht,  derselben  aiicli  noch 
durch  die  Wortstellung  ein  besonderes,  sie  von  der  Assertion  unter- 
scheidendes Gepräge  zu  verleihen.  (Diez  III,  318,  Mätzner  Gr.  2  ,554, 
Holder  p.  88.) 

Wenn  Mätzner  Gr.-  554    den  Grund   zu   solchem  Verfahren    ent- 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  349 

weder  darin  sieht,  dafs  die  Frage  eine  Voraussetzung  enthalte,  oder 
darin,  dafs  die  Behauptung  Zweifel  oder  Erstaunen  verraten  solle,  so 
trifft  diese  Erklärung,  wie  mir  scheint,  das  Wesen  der  Sache  nicht. 
Vor  allem  wird  man  nicht  mit  Mätzner  die  Fragen  mit  der  Wortfolge 
der  Assertion  das  eine  Mal  Fragen,  das  andere  Mal  Behauptungen  zu 
nennen  berechtigt  sein.  Tragt  der  Redende  seine  Worte  im  Frage- 
tone vor,  so  haben  wir  kein  Recht,  auf  Grund  der  Wortstellung  seine 
Rede  als  Behauptung  zu  bezeichnen.  Zweitens  kann  es  auch  nicht  als 
besonderes  Charakteristikum  einer  Frage  gelten,  dafs  sie  eine  Voraus- 
setzung enthalte,  da  das  Gleiche  offenbar  für  Fragen  aller  Art  zutrifft. 
Lassen  wir  vorläufig  unerörtert,  wie  die  Erklärung  besser  zu 
geben  wäre,  und  sehen  wir  zu,  wie  die  alte  Sprache  verfuhr. 

Schon  im  Altfranzösischen  kommen  Fragen  mit  der  'Wortstellung 
des  Aussagesatzes  nicht  selten  vor.  Es  ist  unnötig  zu  erwähnen,  dafs 
damit  nicht  wie  für  die  neuere  Sprache  gesagt  ist,  das  Subjekt  müsse 
jederzeit  vor  dem  Verbum  stehen ;  unter  den  für  den  asserierenden 
Hauptsatz  geltenden  Bedingungen  kann  es  recht  wohl  auch  inver- 
tiert sein. 

Das  Hauptkontingent  der  hergehörigen  Fragen  nun  stellen  die 
Wiederholungsfragen,  d.  h.  Fragen,  durch  die  der  Redende  eine  vorauf- 
gehende Mitteilung  meist  wörtlich,  zum  Teil  nur  inhaltlich  gleich 
wiederholt.    Zunächst  folgen  einige  Beispiele: 

R.  Charr.  497:  [I]  ce  verroiz,  Jet  il,  jjar  tens.  —  lel  verrai^ 
Voire.  eb.  3859:  Que  hien  sai  que  eist  focirroit  Qui  conbatre  vos 
lesseroit.  —  II  m'ocirroit?  Einz  ocirroie  je  lui.  Perc.  1437:  Escus 
a  noni  cou  que  je  poit  —  Escus  a  nom?  —  Voii^e,  fait  iL  eb.  8873: 
Sire,  ne  sai.  —  Vous  ne  savez?  eb.  10201:  Je  siii  eil  que  vos  tant 
Jiaes,  Voire  li  nies  le  roi  Artu,  Voire  Gauvain{s).  —  Gauoain{s) 
es  tu?  Ch.  Lyon  1899:  quant  venra  Mes  sire  Yvaiusf  —  Ceanz  est 
ja.  —  Cea)iz  est  ü?  Venez  donc  tost  etc.  Erec  660:  becuv  sire,  est 
donc  ce  veritez?  Erec(s)  li  filz  Lac  estes  vos?  —  Ce  sui  je,  fait  il  a 
estros.  Ch.  II  esp.  5930:  Certes,  Maus  sire,  Gauvains  sui  Et  sui 
nies  le  roi  Artu.  —  Cui?  Vous  estes  Gauvains?  —  Ce  sui  mon, 
Issipor  voir  m^aqjele  on.  Meraugis  132:  Gaicain  ai  nom.  —  Coinent? 
Gawains  li  miens  amis  estes  vos?  Fr.  P.  29:  L'an  nt'apele  uton 
seignor  Gauvain  ...  Qiioi?  messires  Gauvains  estes  vos:?  Fabl.  lU, 
121:  Ocise  tai  par  mon  outrage.  —  Ocise  Pas?  Coment,  jyechieire ? 
eb.  11,  HO:    Guillaxnne,   qui  ri  gist  malades,    Viut  eu  ma  chamhre 


350  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

devant  moi.  —  II  i  vint,  dame?  et  il  por  qnoif  vergl.  auch  Ch.  Lyon 
G381  (?). 

Vielleicht  gehört  auch  hierher  Fahl.  II,  89,  wo  der  Ritter,  nach- 
dem der  Knappe  seine  Botschaft  ausgerichtet,  fragt:  „Mande  rna  ein 
sire  SelvestresP^  Fall  li  Chevaliers.  —  Oil,  Sire.  M.  I,  1493: 
Dien  vous  mande  que  vous  avecques  nous  veigniez.  .  .  .  Dieu  veidt 
que  je  face  la  voie  Avec  vous  ou  j^ais  Sauveur? 

Statt  der  Mitteilung  kann  auch  eine  Aufforderung  vorangehen : 
B.  Chr.  370,  36:  rent  la  chartre  que  du  clerc  as  ...  Je  la  vous 
rande?  Aue.  Nie.  18,  24:  aS^  dix  vos  ait,  bei  enfant^  fait  ele,  dites 
li  .  .  .  Je  li  dirai?  und  ohne  ausgesprochenes  Subjekt  Lai  de  l'esper- 
vier  181:   Avoi!  por  Deu,  im  dites  mie!  —  Xe  die  ce  que  fai  veu? 

Das  Wesen  dieser  Fragen  scheint  mir  darin  zu  liegen,  dafs  der 
Fragende  eine  ihm  gewordene  Mitteilung,  resp.  Aufforderung,  die  ihn 
unerwartet  trifft,  in  der  Erwägung,  dafs  ein  Irrtum  von  selten  des 
Mitteilenden  resp.  Auffordernden  nicht  ausgeschlossen  sei  oder  auch 
er  selbst  durch  seine  Sinne  getäuscht  worden  sein  könne,  dem,  der  sie 
gethan,  nochmals  zur  Bestätigung  vorlegt,  indem  er  sie  wörtlich  oder 
inhaltlich  gleich  wiederholt.  Er  geht  dabei  von  der  richtigen  Voraus- 
setzung aus,  dafs,  falls  die  Wiederholung  nicht  der  zu  wiederholenden 
Mitteilung  entspricht,  der,  von  dem  letztere  ausgegangen,  eine  geeignete 
Berichtigung  eintreten  lassen  werde. 

Nicht  mehr  ganz  der  ursprüngliche  Sachverhalt  liegt  vor,  wenn 
der  Fragende  nicht  sowohl  die  ihm  gewordene  Mitteilung  selbst,  als 
vielmehr  eine  sich  für  ihn  aus  derselben  mit  Sicherheit  ergebende 
Konsequenz  zur  Bestätigung  in  Form  einer  Wiederhoiungsfrage  vor- 
legt, wie  z.  B.  J.  LXXXVII:  Je  me  bee,  fet  il,  a  couchier  en  ce 
beau  lit.  —  Fi!  fet  ele,  vos  vos  i  coucheroiz?  Meraugis  SO:  L'outre 
doutez  qui  riens  ne  doute  Ft  taut  chevaliers  a  vaincuz  L'y  fist 
jwendre.  —  Oest  ses  escuz?  —  Voire,  et  si  vous  dirai  por  quoi. 
I\I.  XXII,  761:  //  tient  donques  et  si  honneure  Crestiente?  Oest 
voirs.  Nicht  notwendig  gehören  hierher:  Fabl.  II,  87:  Dame  AvinSe, 
tel  merite  doi  ge  recoivre'?  Dit  dou  Älagnificat  (ed.  Tobler,  Jahrb.  2) 
133  ff.:  Que  c^ est,  fönt  il,  sireribaus?  Trop  fustes  outrageus  et  baus 
Quant  vous  ou  baing  no  roi  entrastes  . . .  Comment,  fait  il,  me  mau- 
dissies?    Vostre  roi  ne  reconnissies?    Vergl.  §  15a,  /?,  3. 

Mit  mehr  Sicherheit  darf  man  hierher  rechnen:  Th.  fr.  459:  Por 
foy  1  de  querir  ne  la  (jna  dame)  cesse  Ft  si  ii'en  jnds  nouvelle  oir  . . . 


Die  Wortstellung  im  allfranzösiscLen  direkten  Fragesatze.  351 

Haro!  Diexl  taislez  vousi  Comment  Dites  vous?  ma  dame  est 
perdue?  Th.  fr.  G37:  Comment!  mon  regne  et  nwn  avoir  Ciddc 
avoir  donc  cnnsi  Clovis?    Aanil,  tant  com  je  soie    vis. 

Die  Sprache  kann  aber  noch  einen  weiteren  Schritt  thiin.  Es  ist 
nicht  unbedingt  erforderlich,  dafs  der  Fragende  die  ihn  überraschende 
Mitteilung  aus  dem  Munde  eines  Zweiten  vernehme:  er  kann  sie  einer 
vor  seinen  Augen  stattfindenden  Thatsache  entnehmen.  Fabl.  I,  129: 
Cele  s^en  est  tost  revenue,  Et  quant  la  dame  l'a  veue:  Qu' est  ce? 
/et  el,  tu  rCen  as  mie?  —  Non  dame,  par  le  fil  Marie  etc.  M. 
XXVII,  82 :  Mon  cliier  seigneur,  quefaites  vous?  Vous  vous  vestez?  — 
Oii'y,  c'est  voirs.  eb.  XXXIII,  797:  Or  ca,  dame,  je  vien;  connient 
Vous  va  ?    Qu' est  ce  la  ^  vous  j^leurez  ? 

Es  können  ja  auch  die  eigenen  Gedanken  sein,  die  den  Redenden 
überraschen  und  sie  sich  selbst  in  Gestalt  einer  Frage  behufs  noch- 
maliger Prüfung  vorzulegen,  veranlassen  können,  so  z.  B.  Ch.  Lyon 
1433:  Son  seignor  a  mort  li  navrai,  Et  je  cuit  a  li  pes  avoir? 
B,  Chr.  84,  37:  De  [gi^ant]  haltesce  sui  mis  a  val  N'en  serrai  trait 
por  home  ne,  Si  deu  neu  est  de  majeste.  Que  di  jo  [Zas]  /  p>or  quoi 
le  nomai?    11  inaidera?  coroce  Tai. 

In  letzteren  beiden  Fällen  wird  indessen,  da  die  Möglichkeit 
eines  vorliegenden  Irrtums  verschwindend  klein  ist,  die  Rede  stets 
einen  starken  Affekt  tragen  und  die  Grenze  zwischen  Frage  und  Ausruf 
häufig  nicht  leicht  zu  ziehen  sein. 

Hier  ist  nun  auch  der  Ort,  einer  dem  Altfranzösischen  eigentüm- 
lichen Erscheinung  Erwähnung  zu  thun,  die  darin  besteht,  dafs  bei 
Mitteilung  überraschender  Nachrichten  den  letzteren  sehr  häufig  ein 
tu  ne  ses  oder  vous  ne  savez  voraufgeschickt  wird.  Man  wird  auszu- 
gehen haben  von  Beispielen  wie  Meraugis  79:  mal  aves  esploitie.  — 
Et  je  de  quoi?  —  Vous  ne  savez)  Li  diahles  est  eschapez.  eb.  213: 
Qu'est  ce,  sire,  que  vous  avez?  —  Que  c'est?  fet  il,  vous  ne  savez? 
Li  feus  nia  mort.  Th.  fr.  113:  Rohin,  ies  tu  che?  Quelnovele?  — 
Tu  ne  ses?  (der  Herausgeber  setzt  ein  Komma)  Marote  te  mande  Et 
s'averons  feste  trop  grandc. 

Das  vous  ne  savez  resp.  tu  ne  ses  in  diesen  Beispielen  als  Wieder- 
holungsfrage aufzufassen,  macht  keine  Schwierigkeiten,  da  die  mit  vous 
oder  tu  bezeichnete  Person  durch  die  Fragen  Mer.  79:  Et  je  de  quoi? 
eb.  213:  Qiüest  ce?  Th.  fr.  113:  Quelnovele?  ihre  Unkenntnis  der 
dem   vous   ne  savez  resp.   tu  ne  ses  folgenden   Nachricht   ausreichend 


352  Die   Wort.-tellung  Im  altf'ranzösischen  direkten  Fragesatze. 

bekunden;  jene  Fragen  enthalten  implicite  das  Geständnis  jo  ne  sai 
qiie  diras.  Auf  dieser  Grundlage  kann  demnach  einer  Wiederholungs- 
frage Vous  ne  saves  (nämlich  que  Jirai)9  die  Berechtigung  nicht  ab- 
gesprochen werden. 

Meist  geht  aber  nun  ein  solches  Geständnis  des  Nichtwissens 
nicht  voiher;  so  B.  Chr.  85,  16:  Ne  demora  c\in  jyoi,  vint  li  uns 
messagiers,  Si  li  a  conseillie  en  l'oreille  deriers:  Sire,  vous  ne  saves? 
(Bartsch  setzt  ein  Komma)  vo  fil  sont  chevalier.  eb.  194,  1;  Et  li 
cartriers  s'en  est  atant  tornS,  Vint  el  palais,  Vamiral  a,  trove :  Sii'e, 
dist  chil,  par  MaJiom,  ne  savSs?  (hier  setzt  der  Herausgeber  das 
Fragezeichen)  Li  crestiiens  c'aviens  emprisone,  Qui  ert  de  France,  de 
faim  Vai  mort  trove.  Th.  fr.  129:  Warnet,  tu  ne  sesf  Mehalos  est 
hui  agute  de  no  prestre.  eb.  p.  107:  Robin,  tu  ne  ses,  dous  amis?- 
(der  Herausgeber  setzt  ein  Komma)  Et  si  ne  le  tien  mie  a  mal:  Par 
chi  villi  .j.  hom  a  cheval  etc.  Fabl.  II,  159:  Taut  parlerent  et  sus 
et  jus  Que  li  voisin  d^aval  le  rue  En  ont  la  nouvelle  esj^andue;  Se  li 
dient:  „Vous  ne  saves?  Chius  Valles  veut  vo  fille  amer.^'-  Gleich- 
lautend Fabl.  II,  160,  Einmal  finden  wir  den  zu  tu  ne  ses  gehörigen 
indirekten  Fragesatz  wirklich  ausgesprochen:  Fabl.  II,  163:  Li  valles 
ist  de  le  niaison,  Puls  si  dist  a  sen  conipaignon:  Tu  ne  ses  que  je  te 
dirai,  Comj)ains?  je  nie  marierai. 

Seltener  wird  dem  tu  (vous)  ne  ses  (saves)  die  überraschende 
Nachricht  in  einem  Objektssatze  angeschlossen.  Fabl.  III,  59:  Tu  ne 
sez  compaing,  Que  je  fis  ersoir  biau  gaaing  Ä  Briset,  le  frere  Chapel? 
Nouv.  fr.  51 :  Tu  ne  sez,  comjyains,  tu  ne  sez  quar  Amis  ai  amble  le 
tresor  a  Roi  . ..? 

Auch  in  solchen  Beispielen  nun  scheint  es  mir  geraten,  in  der  in 
Rede  stehenden  Wendung  eine  Wiederholungsfrage  zu  sehen.  Was 
sollte  vor  allem  eine  Behauptung  an  diesen  Stellen  besagen  ?  Das 
Nichtwissen,  um  das  es  sich  überall  handelt,  bezieht  sich  zweifellos  auf 
die  folgende  Mitteilung.  Es  würde  demnach  dem  Angeredeten  durch 
die  Worte  vous  ne  saves  angedeutet  sein,  die  folgende  Mitteilung  sei 
ihm  noch  unbekannt,  in  der  Voraussetzung,  so  könnte  man  meinen, 
er  werde  daraus  einen  Grund  zu  erhöhter  Aufmerksamkeit  entnehmen. 
So  würde  es  denn  vielleicht  auch  erklärlich  scheinen,  dafs  man  gerade 
bei  überraschenden  Mitteilungen  jene  Worte  voranschickte,  da  bei  solchen 
die  volle  Aufmerksamkeit  des  Angeredeten  doppelt  erwünscht  ist. 

Abgesehen  davon,   dal's   auf  diese  Weise  jene   zuerst  angeführten 


Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze.  353 

drei  Beispiele,  in  denen  wir  den  ursprünglichen  Sachverhalt  zu  erkennen 
glaubten,  keine  Erklärung  finden  würden,  scheint  eine  solche  Auffassung 
weder  dem  altfranzösischen  Spraohgeiste  angemessen  noch  auch  vom 
psychologischen  Standpunkte  haltbar.  Man  wird  nicht  leicht  annehmen 
dürfen,  dafs  einer  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  mit  starkem  Affekt  vor- 
getragen zu  denkenden  Mitteilung  ein  gleichsam  in  Parenthese  stehender 
Satz  vorangeschickt  werden  könne  zum  Zwecke,  die  Aufmerksamkeit 
des  Hörers  zu  erregen,  besonders  wenn  dies  schon  auf  anderem  Wege, 
wie  durch  die  Anrufung  des  Angeredeten,  erreicht  ist. 

Andererseits  ist  auch  eine  Vermittelung  zwischen  der  ersten  und 
zweiten  Anwendung  der  in  Rede  stehenden  Wendung  nicht  undenkbar, 
da  der  Fragende  das  Geständnis  jo  ne  sai  von  seilen  des  Angeredeten, 
dessen  er  zur  Wiederholungsfrage  bedurfte,  gewifs  häufig  aus  den  seine 
Frage  begleitenden  Umständen,  dem  Benehmen  der  angeredeten  Person 
vornehmlich,  erfahren  konnte.  So  wird  es  erklärlich,  dafs  jene  Worte 
nach  und  nach  zu  einer  blofsen  Formel  zur  Einleitung  überraschender 
Mitteilungen  herabsanken.  Der  Redende  bringt  durch  dieselben  ge- 
wissermafsen  sein  Erstaunen  darüber  zum  Ausdruck,  dafs  die  Mittei- 
lung, die  er  zu  machen  die  Absicht  hat,  noch  nicht  bis  zum  Angeredeten 
gedrungen  sei.  Von  einem  Tu  ne  ses  que  je  te  dirai^  Compains  ? 
(Fabl.  II,  163)  aus  sind  aber  auch  Fälle  nicht  auffällig  wie  R.  Charr. 
IIG:  Es  vos  le  rot  moidt  despere,  Si  est  a  la  reine  alez:  Dame,  f et 
il,  vous  ne  savez  Del  seneschal  que  il  me  quiert?  Congie  demande 
et  dit  qiCil  n'iert  A  ma  cort  plus,  ne  sai  por  coi.  (Jonckbl.  setzt 
hinter  quiert  einen  Doppelpunkt.)  M.  XXIX,  22G5:  IIa!  hiaux 
hostes,  vous  ne  savez  A  quoy  je  pense  maintenant.  Engandrastes 
vous  cest  enfant  Par  vostre  foy"}  In  diesem  Beispiel  scheint  allerdings 
der  ursprüngliche  Sachverhalt  schon  ganz  verkannt.  Man  vergleiche 
schliefslich  noch  Ch.  II  esp.  1287:  Et  la  danioisele  est  alee  Au  roi 
et  dist:  Vous  ne  saves,  Biau  sire,  quel  don  vous  m'aves  Donne^  si 
voel  Jce  le  sachies. 

§  18.  Nicht  wenige  der  neufranzösischen  Bestätigungsfragen  ohne 
Inversion  des  Subjekts  werden  auf  diese  Weise,  d.  h.  als  Wieder- 
holungsfragen im  engeren  oder  weiteren  Sinne  aufgefal'st,  ihre  Erklä- 
rung finden.  Für  Fragen  aber  wie  z.  B.  Vous  ne  supposez  jias  que 
ce  Bernard, aitpour  nous  une  af/'ection  hien  vivef  (M"®  de  la  Seigliere 
II,  4)  ist  dieselbe  Auffassung  niciit  mehr  statthaft. 

Ähnliche  Fragen  begegnen,  wenn  auch  selten,  schon  in  der  allen 

Archiv  f.  u.  Spraclieu.    LXXI.  ■^"^ 


354  Die  Wortstellung  im  altfranzüöiscLon  direkten  Fragesatze. 

Sprache:  Meraiigis79:  Cil  dist  quant  il  ot  escoute :  Covient,  i  avez  vous 
este  AI  tref  ^  —  Oil  g'i  ai  geu.  —  Vous  ne  touchastes  jjas  Cescu  Clui 
pent/  —  Si  ßs  etc.  M.  XVIII,  823:  Tu  inentens  hien  ?  —  Se  (=z  ce) 
fas  mon.  eb.  XXXII,  1880:  Vous  m'etitendes  assez  hien  Quant  en  ce 
cas? —  C^est  voirs.  Tii.  fr.  574:  Toute  seule  estes?  —  Sire,  une  de- 
mande  me  f altes  etc.  M.  XXXIII,  2120;  Et  vous  savez  qu'elle  est 
muette?  Pr.  P.  121:  Dame,  et  se  il  meurt,  je  an  serai  quites?  —  Sire^ 
voire.  Marx  citiert  p.  344:  Tu  es  venu  de  Vost  de  Tartarins?  Et  il 
respondi:  Sire,  ce  siii  mon. 

Voi'ausgesetzt,  dafs  die  hier  angeführten  Sätze  mit  Frageton  ge- 
sprochen wurden,  dafs  also  in  der  That  Fragen  vorliegen,  könnte  man 
eine  Erklärung  dieses  Verfahrens  darin  finden,  dafs  dem  Fragenden 
unter  Umständen  daran  gelegen  ist,  den  Schein  des  Zweifels  in  Bezug 
auf  die  Antwort,  wie  ihn  die  Anwendung  der  gewöhnlichen  Frageform 
notwendig  mit  sich  bringt,  zu  meiden,  statt  dessen  vielmehr  seiner 
Überzeugung  Ausdruck  zu  geben,  das,  worüber  er  Auskunft  zu 
haben  wünscht,  sei  Thatsache  oder  nicht.  Zu  diesem  Zwecke  legt 
er  seine  Überzeugung  in  Form  einer  Behauptung  dar,  in  der  richtigen 
Voraussetzung,  der  Angeredete  werde,  wenn  nötig,  eine  Berichtigung 
derselben  eintreten  lassen.  Gleichsam  zum  Überflufs  aber  trügt  er  nun 
diese  Behauptung  im  Frageton  vor,  um  einer  Antwort  in  jedem  Falle 
sicher  zu  sein.  Nur  letzteres  Moment  kann  uns  überhaupt  zwingen, 
in  ähnlichen  Fällen  Fragen  anzuerkennen,  so  dafs  wir  denn  bei  einer 
verschwundenen  Sprachepoche,  wie  dem  Altfranzösischen,  in  vielen 
Fällen  darauf  verzichten  werden  müssen,  zu  entscheiden,  ob  eine  Frage 
vorliege  oder  nicht. 

Nehmen  wir  ein  Beispiel  wie  J.  LXXXIV :  Saroies  me  tu  dire 
noveles,  fet  il,  d!une  dame  qui  par  ci  va?  —  Ha,  fet  li  nains,  tu  paroles 
de  la  raine.  —  Voire,  fet  il,  so  wird  man  die  Worte  tu  paroles  de  la 
raine  mit  gleichem  Rechte  als  Behauptung  oder  als  Frage  auffassen 
dürfen.  Entscheidend  ist,  ob  die  Person,  von  der  sie  ausgehen,  sei  es 
durch  den  Ton,  sei  es  auch  nur  durch  einen  „fragenden"  Blick  ihrem 
Wunsche  nach  einer  Antwort  Ausdruck  giebt  oder  nicht.  Man  ver- 
gleiche noch:  M.  XXIII,  212:  Sire,  nous  qui  nouvellement  Sommes  li 
vostre  sodoier  Iro7is  aussi  nous  donoier  tS'il  vous  agree?  —  Oil,  alez  sanz 
demouree.  eb.  XXV,  568:  Vous  dites  en  vostre  majour  . . .  que  ce  Jhesus 
est  Diex,  Si  com  me  semhle?  —  Voirs  est  etc.  eb.  XXVII,  786: 
Dont  ne  pourraij  je  a  li  jjai'ler  A  ce  que  voy?  —  Ison,  quant  a  ore, 


Die  Wortstellung  im  altfranzüsischen  direkten  Fragesatze.  355 

en  honne  foyl  M.  XXIT,  888 :  Donques  a  ce  que  puis  veoir  Tu  es 
erestien?  —  C'est  voirs.  eb.  XXII,  762:  II  tient  donques  et  si  honneure 
Crestiente?  —  Cest  voirs.  Th.  fr.  418.  Besonders  seien  hier  noch 
folgende  drei  Stellen  erwähnt,  die  mir  im  Miracle  XXIII  (d'Amis  et 
d'Amille)  begegnet  sind.  M.  XXIII,  822:  Amille.,  qaJ  levez  la  main: 
Vous  jurez  au  Dieu  souverain  Par  ses  sains  falz  et  par  ses  diz,  Par 
vostre  part  de  paradis,  Que  la  journee  ici  serez  Que  comhatre  vous  deverez 
Sanz  nid  deffauü?  —  Ma  chiere  dame,  si  me  vaidt,  Je  le  vous  jur  en 
verite.  eb.  XXIII,  1182:  Sa,  vostre  main!  et  vous,  la  vostre!  Vous 
jurez  par  la  patenostre  Et  par  la  foy  qu\i  Dieu  devez  Que  ma  fille  que 
cy  veez  Prendrez  a  femme?  —  Sire,  ainsi  le  vous  jur  par  m^ame. 

Die  beiden  Beispiele  werden  so  aufzufassen  sein,  dafs  der  Fragende 
dem  Angeredeten  gleichsam  die  Eidesformel  vorspricht,  wie  ziemlich 
unzweideutig  aus  dem  ganz  ähnlich  gearteten  dritten  Beispiel  hervor- 
geht: M.  XXIII,  1037:  Hardre',  Hardre,  la  main  levez:  Vous  jurez 
Dieu  qui  vous  crea  Et  par  sa  mort  vous  recrea  Par  le  hatesnie  que  re- 
instes . .  .  Que  vous  avez  veu  de  fait  Gesir  en  un  lit  Amille  Qui  ci  est, 
avecques  ma  fille.     Est  il  ainsi?  —  Oil,  par  les  sains  etc. 

§  19.  Dafs  bei  dilemmatischen  Fragen  die  zweite  im  Altfranzö- 
sischen in  der  Regel  die  Form  der  Assertion  annimmt,  hat  Tobler, 
Zts.  I,  13  durch  viele  Beispiele  erwiesen;  einige  weitere  geben  Krüger 
p.  43,  Ehering  p.  351.  Zum  Überflufs  seien  den  an  diesen  Stellen 
gegebenen  zahlreichen  Belegen  noch  folgende  hinzugefügt:  J.  CXLIII: 
Remandrez  vos  caiens  u  vos  vendrez  a  moi?  B.  Chr.  185,  30:  Faurez 
me  vous  ou  vous  me  secourrez?  R.  Charr.  G343:  Est  ce  songes  ou  vos 
resvez  Qui  dites  Que  je  sui  desvez  .  .  .?  Jahrb.  III,  N.  F.  p.  1 2 :  Ee- 
querrum  le  par  amour  u  nos  nus  cuinhaterum  ?  M.  VII.  390:  Que  peut 
cestre?  Ay  je  sens  desve  Ou  j'ai  este  enfantosmee  .  .  .?  eb.  IX,  1109: 
Fait  il  le  sourt  ou  il  est  mournes?  Jubinal  (Myst.  ined.  du  15"  siecle) 
p.  93:  Dor  je  ou  je  veille?  und  ohne  ausgesetztes  Subjekt :  Th.fr.  175: 
ochirrons  le  ou  prenderons  vif?  Cleom.  7032:  Dormez  vous,  fönt  il,  ou 
veillez?  Jubinal  p.  IGl:  Dors  tu  ou  veilles?  Rieh.  2472:  Ysterons 
fors  u  coy  serons  ? 

Von  Beispielen,  die  das  neufranzösische  Verfahren  aufweisen,  i.';t 
mir  nur  begegnet:  M.  XXI,  430:  Donc  eognoist  an  ceidx  plainement 
Qui  fei  malont  a  souste^iir  Ou  viennent  il  sanz  diffinir?    Dites  me  voir. 

Wie  so  oft  bringt  auch  in  diesem  Falle  das  Veifahren  der  alten 
Spraclie  den  Gedanken  des  Redenden  trefflich  zum  Ausdruck.    Während 

23* 


350  Die  Wortstellung  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze. 

derselbe  bei  der  einfachen  Frage  in  völliger  Ungewifsheit  darüber  ist, 
ob  eine  ihm  als  möglich  vorschwebende  Aussage  Thatsache  sei  oder 
nicht,  und  die  Entscheidung  dieses  Punktes  der  Person,  an  die  er  sich 
um  Auskunft  wendet,  gänzlich  überläfst,  nimmt  er  bei  den  dilemma- 
tischen Fragen  insofern  einen  festeren  Standpunkt  ein,  als  er  überzeugt 
ist,  dafs  die  Wahl  nur  zwischen  zwei  ihm  vorschwebenden  Möglich- 
keiten getroffen  werden  könne,  so  zwar,  dafs  bei  der  Nichtwirklichkeit 
der  einen  an  der  Realität  der  zweiten  nicht  zu  zweifeln  sei.  Er  selbst 
vermag  indessen  die  Entscheidung  nicht  zu  treffen  und  greift  deshalb 
zur  Frage.  Seinem  Bedürfnis  nach  Belehrung  müfste  es  genügen, 
wenn  er  die  eine  der  ihm  möglich  scheinenden  Aussagen  in  Frage 
stellte;  es  liegt  ihm  aber  daran,  zu  gleicher  Zeit  dem  Angeredeten  be- 
greiflich zu  machen,  dafs  die  Nichtbestätigung  seiner  Frage  für  ihn 
einer  Asserierung  der  zweiten  ihm  vorschwebenden  Möglichkeit  gleich- 
komme, und  so  schliefst  er  denn  ganz  angemessen  die  letztere  der  in 
Frageform  vorgetragenen  ersteren  in  Gestalt  einer  Behauptung  an. 
Berlin.  Alfred  Schulze. 


über  die  Sprache  und  Metrik 

der  niittelenglischcii  weltlichen  und  geistlichen  lyrischen  Lieder 

des  Ms.  Harl.  2253. 

(Schlufs.) 


IL     Die    Metrik. 

A.    Die  Strophe. 

In  unseren  Gedichten  kommen  die  mannigfaltigsten  Strophen- 
formen vor.  Über  dieselben  handelt  Schipper  in  seiner  altengl.  Metrik 
p.  342  fr.  sehr  ausführlich.  Wir  wollen  sie  danach  übersichtlich  zu- 
sammenstellen : 

I.  Zweiteilige  glcicligliedrige  Strophen. 

A.  mit  Kreuzreim  (a  b  a  b  etc.). 

1)  GL.  XVI,  achtzeilig,  viertaktig. 

2)  GL.  XV,  achtzeilig,  dreitaktig. 

3)  WL.  XIII,  achtzeilig,  vierhebige  allitt.  Langzeile. 

4)  WL.  VI,  abwechselnd  acht-  und  vierzeilige  Strophen,  vier- 
hebige allitt.  Langzeile. 

B.  mit  Schweifreim  (aabccb).    • 

1)  GL.  IX,  XVII,  V,  sechszeilig,  doch  in  GL.  V  i.^t  die 
erste  Strophe  nennzeilig,  und  in  GL.  IX  sind  alle  Verse 
viertaktig. 

2)  WL.  V,  VIII,  IX,  zwölfzeilig. 

3)  GL.  n,  zwölfzeilig,  aber  alle  Verse  dreitaktig. 

4)  WL.  X,  achtzeilig  (aaabcccb). 
IL  Einreimige  Strophen. 

1)  GL.  IV,  VIII,  vierzeilig,  viertaktig. 

2)  WL.  XI,  XII,  GL.  XIII,  vierzeilig,  siebentaktig. 


358  Über  die  Sprache  und  Metrik 

III.  Zweiteilige  ungleicligliedrigc  Strophen. 

1)  WL.  I  gleichmetrig  (allitt.  Langzeile),  zehnzeilig. 

2)  GL.  VI  ungleichmetrig,  fünfzeilig. 

3)  WL.  VII,  GL.  XIV  ungleichmetrig,  sechszeilig. 

IV.  Dreiteilige  ungleichmetrige  Strophen, 

1)  Schweifreimstrophe  kombiniert  mit  septenarlschen  und 
alexandrinischen  Rhythmen  in  verschiedener  Art :  GL. 
XII,  WL.  III;  GL.  X,  VII,  XI;  WL.  IL 

2)  Andere  Arten  dreiteiliger  ungleichmetriger  Strophen: 
GL.  III;  GL.  I,  WL.  IV;  WL.  XIV,  GL.  XVIIL 

B.  Der  Reim. 

Es  kommen  die  gewöhnlichen  Arten  des  Reims  vor:  einsilbiger: 
best  :  rcst,  be  :  me ;  zweisilbiger  verschleif  barer:  berej)  :  sherej), 
swore  :  bifore;  zweisilbiger  un  verschleif  barer:  wide  :  side,  felde:  beide; 
dreisilbiger  verschleifbarer:  moreve  :  sorewe;  fremede  :  glemede.  — 
Rührender  Reim  findet  sich  zuweilen,  aber  nie  besonders  beabsichtigt: 
GL.  XIV,  3  may  (=  Mädchen)  :  may  (=  mag);  GL.  XVII,  141  ever  : 
never;  GL.  XVII,  136  away  :  weylawey  etc.  Gleicher  Reim  kommt 
fast  gar  nicht  vor,  doch  ist  bei  einem  wenig  gewandten  Reimer  in  der 
vierzeiligen  Strophe  GL.  VIII,  105  dreimal  Jie  als  Reimwort.  — 
Doppelreim  zufällig :  WL.  X,  50  lealte  :  bealte.  —  Unaccentuierte  resp. 
durch  schwebende  Betonung  ermöglichte  Reime  sind  häufiger:  GL. 
XIV,  34  lyhtnesse  :  wytnesse;  GL.  XI,  38  mourninde  :  wepynde. 
Hauptsächlich  einseitig  unaccentuierte:  WL.  XI,  13  man  :  lemman  ; 
GL.  V,  1  kyng  :  endyng;  GL.  XVII,  58  kcep  :  dungheep  etc. 

Die  Gedichte  zeigen  fast  über.all  volle  Reinheit  des  Reimes.  Wir 
werden  sämtliche  Fälle  unreinen  Reimes  aufführen. 

1)  Vokal  des  Reimes.  In  Bezug  auf  den  Vokal  sind  die  Reime 
durchweg  rein.  Die  einzige  Freiheit,  die  sich  die  Dichter  erlauben,  ist 
die,  langen  mit  kurzem  Vokal  zu  reimen  vor  bestimmten  Konsonanzen, 
vor  denen  kurzer  Vokal  schwebend  wird.  Es  kommen  eine  Reihe  von 
Reimen  vor,  in  denen  nur  eine  graphische  Verschiedenheit  der  Reim- 
vokale vorhanden  ist :  der  Schreiber  hat  zuweilen  ü  nicht  durch  ou 
dargestellt:  GL.  X,  32  wondes  :  stoundes;  GL.  VIII,  137  Jesus  : 
hous.  Ähnlich  ist  e  als  ee  oder  e,  o  als  oo  oder  o  geschrieben :  WL. 
XIV,  31  greete  :  suete;  GL.  II,  49  wo  :  roo.  Zuweilen  schreibt  der 
Schreiber  noch  eo  statt  e:  WL.  V,  51  beo  :  me,  GL.  I,  23  I)re  :  be  : 


der  mittelengliscben  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  359 

{leo  :  fleo.  —  Andere  Reime  sind  erst  durch  den  Schreiber  inkorrekt 
geworden,  aber  im  Original  sicherlich  rein  gewesen.  Der  Schreiber  hat 
noch  j,  wo  es  schon  aufgelöst  war  oder  in  der  Auflösung  begriffen 
war:  GL.  VII,  25  dre5e  :  Marie,  XVII,  117  dre^e  :  lye;  GL.  XI,  32 
sleye  :  heyje ;  WL.  V,  1 5  seje  :  breje  :  heje  :  dreyje.  Der  Schreiber 
stellt  ae.  y  durch  den  Buchstaben  u  dar:  WL.  VII,  25  blisse  :  cusse; 
WL.  XIV,  13  sunne  :  wynne.  Ebenso  hat  der  Schreiber  a  =  ae.  x, 
wo  Avir,  um  reinen  Reim  zu  erlangen,  e  einsetzen  müssen:  GL.  III,  26 
beste  :  faste.  Auch  setzt  er  o  statt  a:  GL.  XVI,  26  drawe  :  hawe  : 
knowe  :  lowe.  —  Wahrscheinlich  ist  auch  GL.  XIII,  1  blisse  :  railde- 
nesse  :  wysse  :  misse  als  reiner  Reim  aufzufassen.  Die  Version  des 
Ms.  Egerton  613  hat  an  dieser  ^Stelle  die  Form  milternisse,  cfr.  Bödd. 
p.  458.  Sicher  ist  auch  GL.  XVI,  24  bowe  :  trowe  :  gyw  :  now  als 
reiner  Reim  fl  zu  betrachten.  Das  End-e  in  den  beiden  ersten  Formen 
ist  stumm,  ebenso  wie  in  dem  Reim  WL.  VII,  25  y wisse  :  blisse  : 
cusse  :  his. 

Hiernach  bleiben  nur  noch  solche  vokalisch  unreine  Reime  übrig, 
in  denen  kurzer  Vokal  vor  gewissen  Konsonanzen  mit  langem  reimt: 
1)  vor  n:  GL.  IV,  25  myn  :  J)in  :  yn  (=  in)  :  engyn  ;  WL.  V,  13 
apon  :  noon ;  GL.  XI,  47  lemmon  :  gon ;  2)  vor  S-'  GL.  X,  21  blis  : 
unwis  (=r  i),  aber  GL.  X,  38,  blis  :  ywis  (=  i);  WL.  X,  58  wes  : 
pees;  3)  vor  st:  GL.  XIV.  19  mest  :  rest  :  best;  GL.  III,  20  beste: 
leste  :  beste.  —  4)  vor  ht:  GL.  XVII,  37  riht  (=  i)  :  liht  (=  ae. 
liht,  adj.);  WL.  V,  79  wroht  :  noht;  5)  vor  ft:  GL.  VII,  23  ofte  : 
softe.  —  Auffallend  ist  nur  WL.  IV,  33  feole  :  tele  (statt  teile).  Cfr. 
PL.  VIII,  81  stel  :  teile  (Bödd.  p.  142). 

2)  Die  Konsonanz  des  Reimes.  Die  meisten  Gedichte  sind  auch 
in  Bezug  auf  die  Konsonanz  der  Reime  durchaus  genau.  Die  Konso- 
nanz ist  unrein : 

A.     Im  einsilbigen  Reim  : 

1)  m  :  n:   WL.  XI,  13  man   :   am    :   sham    :  Icmman ;   GL.  XIII,  9 

wan  :  man  :  am  :  can ;  GL.  XIV,  25  wynman  :  cam  :  man; 
ebenso  GL.  XIV,  49. 

2)  d  :  t:  GL.  IX,  21   ded  :  fet;   GL.  X,  8  fot  :  blöd;  WL.  IV,  25 

wot  :  lot  :  mot  :  blöd.  —  Der  Reim  GL.  I,  56  seint  (=  senced)  : 
meind  (=  menged)  :  forvvleynt  (=  wlenced)  :  feynt  (frz.)  ist 
nur  graphi.^ch  ungenau,  ebenso  wie  WL.  XIII,  1  strit  :  slit  : 
bid  :  sit. 


360  Über  die  Sprache  un  1  Metrik 

B.  Im  zweisilbigen  Reim  : 

1)  Konsonanz   der   zweiten    Silbe   ist   ungenau:   GL.    V,    18   bohtes  : 

solltest.    Der  Reim  ist  rein,  die  Ungenauigkcit  rührt  vom  Schrei- 
ber her. 

2)  Konsonanz  der  ersten  Silbe  ist  ungenau: 

a)  bei  einfacher  Konsonanz  : 

«)  m  :  n:  GL.  XII,  23  tyme  :  pyne  :  virgyne  :  medicine;  GL. 
XIV,  40  sone  :  bicome. 

ß)  Ö.  '.  t:  GL.  VIII,  65  gredyn  :  sueten  :  ybeten  :  leten.  Hier 
ist  vielleicht  reiner  Reim  herzustellen  und  greten  (=  ae.  graj- 
tan)  zu  lesen.  —  GL.  I,  13  suete  :  unsete  :  unmete  :  hede. 
Auch  hier  ist  vielleicht  reiner  Reim  herzustellen. 

jO  W  :  v:  GL.  XIV,  43  mawen  :  dawen  :  Slawen  :  haven. 

(5)  k  :  t:  WL.  VII,  48  syke  :  whyte. 

f)  1  :  r:  GL.  XVII,  40  holest  :  porest.  Auch  hier  ist  vielleicht 
zu  emendieren,  denn  es  hat  Ms.  Digby  (Varnhagen,  Anglia  III, 
p.  62)  v.  46  coverest  :  poverest,  und  Ms.  Laud  (Horstmann, 
Herrigs  Archiv  Bd.  LH,  p,  33)  hat  coveret  :  povere. 

^)  W  :  3:  WL.  XI,  25  newe  :  trewe  :  seje  :  leje  ist  wohl  als 
reiner  Reim  zu  betrachten. 

b)  bei  Doppelkonsonanz: 

a)  ng  :  nd:  GL.  VIH,  54  toknynge  :  mankynde;  GL.  IX,  7 
wepinge  :  kynde;  WL.  X,  14  long«  :  fonde  :  monge;  hier 
könnte  man  eventuell  fonge  setzen. 

ß)  rp  :  rk:  G.  X,  12  overwerpes  :  werkes. 

C.  Im    dreisilbigen    verschleif  baren    Reim:    WL.  VI,  1    fremede   : 
glemede  :  kenede  :  gremede. 

Sicherlich  korrupt,  denn  gar  kein  Reim  ist  GL.  VII,  31  conjie  : 
lemmon.  —  Ebenso  GL.  XII,  58  Jesu  have  merci  of  us  :  ble,  wo  viel- 
leicht US  in  me  zu  ändern  ist.  Anders  aufzufassen  ist  in  GL.  XIV, 
V.  23,  29,  41,  die  ohne  Reim  sind;  hier  ist  in  der  Strophenform 
aaabab  der  fünfte  Vers  der  Strophe  an  jenen  drei  Stellen  ohne  Reim. 

C.    Die  Allitteration. 
In  fast  allen  Liedern  ist  neben  dem  Endreim  die  Alliteration   an- 
gewandt.    In    drei    Gedichten,    nämlich    WL.    I,   VI,   XIII,    hat    die 
Allitteration,  obgleich  sie  auch  hier  wesentlich  zum  Schmuck  dient,  doch 
eine  besondere  Bedeutung,  denn  diese  Gedichte  sind  in   allitterierenden 


der  mittelenglisclien  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  361 

Langzeilen  verfafst.  Wir  wollen  diese  daher  besonders  betrachten.  In 
ihnen  ist  mehrmals  der  Stabreim  im  Widerstreit  mit  dem  Endreim : 
WL.  I,  14,  27,  40;  XIII,  28,  32.  Doch  finden  wir  nirgends,  dafs 
die  Allitteration  im  Widerstreit  mit  dem  Wortton  ist,  dafs  also  unbe- 
tonte Vorsilben  und  nicht  die  höher  betonten  Stammsilben  allitterieren. 
Es  zeigt  sich  aber  in  diesen  drei  Gedichten  eine  gewisse  Verschieden- 
heit im  Gebranch  der  Allitteration. 

WL,  I  zeigt  die  Allitferation  in  überreichem  Mafse.  Von  den 
50  Versen  des  Gedichtes  haben  41  Verse  vier  Allitterationsstäbe,  nur 
9  beschränken  sich  auf  drei  Stäbe  (v.  12,  14,  15,  26,  27,  28,  30, 
40,  49).  Die  Stellung  der  drei  Stäbe  zueinander  ist  dabei  ganz  will- 
kürlich und  entspricht  nicht  immer  den  alten  Regeln,  so  z.  B.  sind 
zwei  Stäbe  im  ersten  Halbvers,  aber  die  vierte  Hebung  hat  den  dritten 
Stab  V.  15,  27,  40,  oder  von  den  drei  Stäben  sind  zwei  im  zweiten 
Halbvers  v.  14,  26.  Von  den  41  Versen  mit  vier  Stäben  zeigen  8 
doppelte  Allitteration  in  paralleler  Stellung,  also  2  a  -j-  2  b,  so  v.  3, 
4,  19,  21,  23,  25j  43,  45.  Die  übrigen  haben  vier  gleiche  Stäbe. 
Häufig  ist  auch  in  WL.  I  die  Allitteration  auf  die  Senkungen  ausge- 
dehnt, sicherlich  beabsichtigt,  v.  21,  22,  32,  35,  36,  39,  43,  47.  Der 
Dichter  führt  aber  nie  gleiche  Allitteration  durch  mehrere  Verse  fort, 
aufser  regelmäfsig  zur  Verkettung  des  Schweifes  mit  der  Stirn  der 
Strophe.  Was  die  Qualität  des  Stabreims  anbetrifft,  so  scheint  der 
Dichter  von  WL.  I  bei  Konsonantverbindungen  zuweilen  absichtlich 
nicht  nur  den  ersten,  sondern  beide  Konsonanten  zu  reimen,  v.  16,  17, 
23,  32,  35,  37. 

In  mancher  Beziehung  verschieden  in  der  Anwendung  der  Allitte- 
ration verfährt  der  Dichter  von  WL.  VI.  Dieser  strebt  noch  in  ganz 
anderer  Weise  nach  Reichtum  der  Allitteration,  denn  in  WL.  VI  er- 
streckt sich  derselbe  Stabreim  fast  stets  über  zwei  Verse,  also  gleiche 
Allitteration  in  v.  1  —  2,  3 — 4,  5  —  6  etc.  Aufserdem  ist  regelmäfsig 
concatenatio  der  Strophen,  gerade  wie  in  WL.  I  zwischen  frons  und 
cauda.  Die  Alliteration  in  WL.  VI  ist  nicht  so  reich  wie  in  WL.  I; 
vier  Allitterationsstäbe  finden  sich  selten.  Vier  gleiche  Stäbe  nur  in 
V.  2.  Vier  Stäbe,  aber  in  paralleler  Stellung  (2  a  -[-  2  b)  sind  in 
v.  6,  10,  24,  28,  46,  ferner  in  umschliefsender  und  gekreuzter  Stel- 
lung nur  je  einmal  v.  38  und  22.  Häufig  sind  drei  Stäbe,  aber  ohne 
Beachtung  der  alten  Regeln:  2  a  -|-  **=  v.  3,  5,  21,  2G;  oder  a  -f-  2  a: 
V.  1,4,  8,  9,  11,  16,  17,  23,  25,^32,  34,  39.     Häufig    ist   in  jedem 


362  Über  die  Sprache  un'l  Metrik 

Halbvcrs  nur  ein  Stab:  v.  7,  12,  13,  19,  30,  35,  36,  wo  die  AUitle- 
ration  je  zwei  Verse  umfafst,  aber  auch  v.  40,  41,  wo  sich  nicht  gleiche 
Allitleration  durch  mehrere  Verse  erstreckt.  Die  alten  Regeln  über  die 
Stellung  der  Stäbe  zueinander  werden  durchaus  nicht  beachtet;  es 
stehen  sogar  oft  beide  Stäbe  im  selben  Halbvcrs,  merkwürdigerweise 
stets  dem  zweiten,  und  der  erste  Halbvers  hat  keinen  Stab  in  v.  14, 
18,  19,  20,  27,  29,  47,  48.  —  In  WL.  VI  zeigt  sich  ferner  das  in 
WL.  I  ganz  unbekannte  Bestreben,  Hebungen,  die  im  eigenen  Verse 
nicht  reimen,  mit  dem  vorhergehenden  oder  folgenden  Verse  durch 
Allitferation  zu  verknüpfen,  nicht  nur  wenn  ein  Halbvers  ohne  Allitte- 
ration  ist,  v.  18,  19,  27,  sondern  auch  wenn  die  zwei  Stäbe  auf  die 
Halbverse  verteilt  sind,  v.  31,  35,  36,  S7.  Einige  Verse  haben  keine 
eigene  Allitteration,  nehmen  aber  an  der  AUitteration  des  vorhergehenden 
oder  folgenden  Verses  teil:  v.  15,  43,  44. 

In  WL.  XIII  ist  die  Allitteration  noch  vielmehr  verwildert  als  in 
WL.  VI.  Vier  gleiche  Stäbe  finden  sich  nie.  Vier  Stäbe,  aber  ver- 
schieden in  den  Halbversen  (2  a  -|-  2  b)  sind  in  v.  1  und  26  ;  ferner 
gekreuzt  (abab)  in  v.  10,  umschliefsend  (abba)  in  v,  15.  Drei  Stäbe 
sind  auch  selten,  sie  sind  ganz  beliebig  gestellt,  2  a -j- a :  v.  7,  36,  37; 
a  -|-  2  a:  V.  2,  27,  34,  40.  —  In  den  meisten  Versen  sind  nur  zwei 
Stäbe,  beliebig  gestellt,  entweder  auf  die  zwei  Halbverse  verteilt  (elf- 
mal), oder  auch  in  demselben  Halbvers  (zehnmal).  Selten  geht  die- 
selbe Allitteration  durch  mehrere  Verse,  v.  7  —  8,  29  —  31.  —  Mehrere 
Verse  zeigen  in  sich  selbst  gar  keine  Allitteration:  v.  3,  6,  12,  13,  18, 
22,  24,  33.  Von  diesen  nehmen  aber  v.  18  und  24  an  der  Alliteration 
des  folgenden  Verses  teil,  und  v.  3  allitteriert  mit  dem  nicht  reimenden 
Halbverse  von  v.  4,  ebenso  v.  24  mit  dem  nicht  reimenden  Halbverse 
von  v.  23;  v.  18  lehnt  sich  aufser  an  v.  19  auch  an  v.  1  7  an.  Auch 
wenn  jeder  Vers  eigene  Allitteration  hat,  erscheint  diese  verschlungen 
V.  27  :  28. 

Abgesehen  von  WL.  I,  VI,  XIH  zeigen  alle  unsere  Gedichte 
Versarten,  die  nach  dem  Muster  der  mittellateinischen  und  romanischen 
Poesie  gebaut  sind,  d.  h.  die  Zahl  der  Silben  steht  in  den  Versen  fest, 
die  demnach  aus  gleichen  Rhythmen  oder  Takten  zusammengesetzt  sind. 
Cfr.  Schipper  a.  a.  0.  p.  223,  p.  346  fF.  In  solchen  Versen  hat  also  die 
Allitteration  nicht  dieselbe  Bedeutung  wie  in  WL.  I,  VI,  XIII,  sondern 
dient  nur  zum  Schmuck.  Doch  ist  ihre  Behandlung  im  allgemeinen 
gerade  so  wie  in  den  allitterierendgn  Langzeilen  jener  Gedichte,  soweit 


der  mittelenglischcn  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Ilarl.  2253.  363 

dies  bei  der  Verschiedenheit  des  Versbaues  möglich  ist.  Dieselben 
Tendenzen,  die  wir  in  jenen  drei  Gedichten  konstatiert  haben,  zeigen 
sich  auch  in  den  Liedern  mit  gleichtaktigem  Rhythmus,  und  zwar  tritt 
in  dem  einen  mehr  diese,  in  dem  anderen  mehr  jene  Tendenz  hervor, 
wie  ja  auch  jene  drei  Gedichte  sie  nicht  gleichmälsig  zeigten. 

Von  der  Beachtung  der  alten  Regeln  über  die  Stellung  der  Stäbe 
kann  in  den  gleichtaktigen  Versen  nicht  mehr  die  Rede  sein,  da  die 
Zahl  der  Hebungen  sehr  verschieden  ist,  und  die  Gedichte  Verse  von 
zwei  bis  zu  solchen  von  sieben  Takten  zeigen,  in  denen  aber  die 
Allitteration  ohne  Unterschied  auftritt.  Nur  etwa  der  viertaktige  Vers 
läfst  sich  mit  der  allitterierten  Langzeile  vergleichen,  und  in  ihm  ist  die 
Allitteration  gerade  so  wie  in  dem  vierhebigen  Verse.  Finden  sich 
vier  Stäbe  in  solchem  Verse,  so  sind  diese  zuweilen  gleich  (aaaa), 
zuweilen  gekreuzt  (ab ab)  oder  umschliefsend  (abba),  oder  auch 
parallel  laufend  (aabb).  Sind  drei  Stäbe  im  viertaktigen  Verse,  so 
ist  die  Stellung  ebenfalls  ganz  willkürlich.  Sind  nur  zwei  Stäbe  vorhan- 
den, so  sind  sie  zwar  gewöhnlich  auf  die  zwei  Vershälften  verteilt,  aber 
auch  manchmal  in  demselben  Halbvers,  und  der  andere  Halbvers  ist 
ohne  Allitteration,  so  WL.  V,  5,  22,  46  etc.  Dabei  ist  häufig  auch 
in  den  gleichtaktigen  Versen  wie  in  den  allitterierenden  Langzeilen  der 
Stabreim  im  Widerstreit  mit  dem  Endreim,  indem  die  Ableitungssilbe 
eines  Wortes  im  Reim  steht,  aber  die  Stammsilbe  allitteriert,  so  WL. 
n,  5,  8;  WL.  X,  49,  51  —  53  etc. 

Nicht  in  allen  Gedichten  wird  die  Allitteration  mit  gleicher  Kon- 
sequenz durchgeführt.  In  Bezug  darauf  könnten  wir  die  Gedichte  in 
verschiedene  Gruppen  teilen : 

1)  solche,  welche  die  Allitteration  mit  grofser  Konsequenz  an- 
wenden: WL.  m,  TV,  V,  VII,  VIII,  IX,  X,  GL.  I,  II,  III,  XV; 

2)  solche,  welche  eine  beabsichtigte  Allitteration  zeigen,  aber  ohne 
Konsequenz:  WL.  II,  XI,  XII,  XIV,  GL.  V,  VI,  XI,  XII,  XIII, 
XVI,  XVII,  XVIII; 

3)  solche,  in  denen  die  Allitteration  selten  und  zufällig  ist:  GL. 
IV,  VII,  VIII,  IX,  X,  XIV. 

Doch  selbst  von  den  Gedichten  der  Gruppe  1  sind  wenige,  in 
denen  sämtliche  Verse  allitterieren:  WL.  VIII,  IX,  GL.  I.  In  den 
übrigen  ist  doch  zuweilen  ein  Vers  ohne  Allitteration,  so  WL.  III,  40, 
IV,  47,  V.  62,  VII,  36  —  37,  89,  42,  54—55,  X,  44,  45,  47,  68',  84 ; 
GL.  II,  26,  54,  56,  III,  49,  91,   XV,  5,  11,    13,    23,   39,  41,   43. 


361  Über  die  Sprache  und  Metrik 

Im  letzten  Gedichte  zeigen  aber  alle  Stabreim  mit  den  französischen 
Versen,  aufser  v,  23.  —  In  den  Gedichten  der  Gruppe  2  finden  sich 
noch  weit  häufiger  Verse  ohne  Allitteration,  und  in  einigen,  bei  denen 
das  Streben  nach  Allitteration  nicht  zu  verkennen  ist,  überwiegt  doch 
die  Zahl  der  nicht  alHtterierenden  Verse,  nämlich  in  WL.  XI,  XII, 
GL.  XIII,  WL.  XIV,  GL.  XVIIL  In  einigen  Liedern  ist  auffallend, 
dafs  gerade  in  einzelnen  Teilen,  z.  B.  GL.  XVI  in  Strophe  4  und  5, 
die  Allitteration  zurücktritt. 

Es  ist  natürlich  die  Allitteration  in  den  Liedern  der  Gruppe  1  im 
allgemeinen  eine  reichere  als  in  denen  der  Gruppe  2,  wenn  auch  in 
keinem  der  Reichtum  der  Allitteration  so  grofs  ist  wie  in  WL.  I.  In 
einzelnen  Gedichten  zeigt  sich  ganz  besonders  das  Bestreben,  möglichst 
viele  Hebungen  an  der  Allitteration  teilnehmen  zu  lassen.  Diese  haben 
in  viertaktigen  Versen  oft  vier  Stäbe,  in  di'eitaktigen  drei  Stäbe,  so 
WL.  IV  in  viertaktigen  Versen  vier  Stäbe:  v.  2,  4,  17,  31,  32  etc., 
in  dreitaktigen  Versen  drei  Stäbe:  v.  33,  34,  46,  57  etc. 

Gedichte  mit  reicher  Allitteration  zeigen  meistens  auch  concatenatio 
der  Strophen.  Diese  ist  regelmäfsig  wie  in  WL.  I  und  VI  so  auch 
in  WL.  IV  und  GL.  I;  sie  ist  fast  stets  in  WL.  X,  GL.  II,  III;  sie 
ist  zum  Teil  in  WL.  VII  und  nur  zweimal  in  GL.  XVI.  Die  con- 
catenatio ist  dabei  derart,  dafs  gelegentlich  auch  ein  nicht  allitterie- 
rendes  Wort  wiederholt  wird:  WL.  X,  30  :  31,  38  :  39,  oder  über- 
haupt nicht  ein  ganzes  Wort,  sondern  nur  derselbe  Stabreim,  so  zu- 
weilen in  WL.  Vir,  GL.  II,  III. 

In  vielen  Gedichten  geht  häufig,  in  einigen  fast  regelmäfsig  die 
Allitteration  durch  zwei  Verse  und  gelegentlich  durch  drei  oder  noch 
mehr:  WL.  II,  III,  IV,  VII,  VIII,  IX,  GL.  I,  II,  XI,  XVIL  Dies 
ist  nur  selten  in  WL.  V,  X,  GL.  III,  V,  XVI.  Dabei  ist  in  einigen 
Gedichten  die  Allitteration  zwei  Verse  umfassend,  auch  wenn  sie  sehr 
reich  ist,  besonders  in  WL.  IV  und  GL.  I,  in  anderen  fast  nur  dann, 
wenn  so  auf  jeden  Vers  nur  e  i  n  Stab  kommt:  GL.  II,  XI,  XVI,  XVIL 
Wenn  gleichzeitig  concatenatio  der  Strophen  vorlranden  ist,  so  zeigen 
dort  also  vier  Verse  denselben  Stabreim,  so  in  WL.  IV  —  also  gerade 
so  wie  in  WL.  VI. 

Häufig  könnten  zwei  Verse  wie  zwei  Halbverse  einer  alHtterieren- 
den Langzeile  angesehen  werden :  der  eine  hat  zwei,  der  andere  einen 
Stab,  so  z.  B.  in  den  dreitaktigen  Versen  von  WL.  III,  v.  7  :  8,  11  : 
12,    19  :  20,    21  :   22,    28  :  29;    selbst  wenn    die   zwei  Verse   gram- 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  365 

matisch  gar  nicht  verbunden  sind:  v.  30  :  31.  Ähnlich  ist  es  auch  in 
anderen  Liedern,  besonders  häufig  in  GL.  IL  Zuweilen  sind  auch 
vier  Stäbe  in  gekreuzter  oder  umschliefsender  Stellung  auf  zwei  Verse 
verteilt,  so  dafs  auf  jeden  Vers  zwei  Stäbe  kommen  :  WL.  VII  28  :  29  ; 
GL.  III,  97  :  98.  Sehr  häufig  sind  zwei  Verse  derart  durch  die 
Allitteration  verbunden,  dafs  in  jedem  ein  Stab  steht,  so  WL.  VII, 
21  :  22,  23  :  24,  52  :  53.  —  In  vielen  Gedichten  finden  sich  auch 
Verse,  die  neben  der  eigenen  Allitteration  auch  solche  mit  dem  voraus- 
gehenden oder  folgenden  Verse  zeigen,  z.  B.  WL.  VII,  15,  20,  25,  31,  38  ; 
GL.  I,  38,  39  etc.  Auch  wohl  Verse  mit  zwei  Stäben,  von  denen  einer 
mit  dem  vorhergehenden,  der  andere  mit  dem  folgenden  Verse  reimt, 
z.  B.  WL.  VII,  9,  18,  19,  24,  GL.  III,  29  etc.  So  ist  die  Allitte- 
ration oft  sehr  verschlungen  und  verbindet  eine  ganze  Reihe  von 
Versen,  so  z.  B.  WL.  VII,  27—34. 

D.    Der   Vers. 

Wenn  wir  den  Versbau  der  Gedichte  betrachten  wollen,  so  müssen 
wir  die  nach  germanischem,  accentuierendem  Princip  gebauten  Lieder 
WL.  I,  VI,  XIII  von  den  übrigen,  unter  Einflufs  des  romanischen, 
silbenzählenden  Princips  gebauten,  trennen  und  für  sich  betrachten. 
In  diesen  drei  Gedichten  finden  wir  die  alte  allitterierende  Langzeile 
von  vier  Hebungen  vor.  Dieselbe  ist  aber  in  den  drei  Liedei-n  nicht 
gleichmäfsig  behandelt. 

In  WL.  I  nähert  sich  der  Rhythmus  einer  gewissen  Taktgleichheit, 
die  Verse  haben  fast  durchweg  daktylischen  Charakter;  sie  sind  an 
Länge  ziemlich  gleich ;  fast  stets  ist  die  Senkung  zweisilbig,  zuweilen 
fehlt  sie  (v.  18,  20,  30,  44),  oder  enthält  mehr  als  zwei  Silben  (v.  lü, 
45).  Der  Auftakt  ist  ein-  oder  zweisilbig,  zuweilen  fehlt  er  im  ersten 
wie  im  zweiten  Halbvers,  selten  zeigt  er  mehr  als  zwei  Silben  (z.  15. 
V.  1).  In  den  Fällen,  wo  längerer  Auftakt  oder  längere  Senkungen  sind, 
nehmen  diese  auch  gewöhnlich  an  der  Allitteration  teil,  so  dafs  die  Zahl 
der  vier  Hebungen  überschritten  zu  sein  scheint,  so  v.  22,  23,  30  etc. 

In  WL.  VI  haben  die  Verse  nicht  immer  daktylischen  Charakter, 
viele  unterscheiden  sich  durchaus  nicht  von  viertaktigen  Versen  und 
zeigen  regelmäfsigen  Wechsel  von  Hebung  und  Senkung,  cfr.  Schipper, 
Altengl.  Metrik  p.  222.  Zuweilen  hat  die  Senkung  mehr  als  zwei  Silben 
(v.  26,  27),  sie  fehlt  nur  in  v.  6.  Der  Auftakt  ist  fast  stets  einsilbig 
oder  fehlt  im  ersten  wie  im  zweiten  Halbvers. 


3G6  Über  die  Sprache  und  Metrik 

In  WL.  XIII  fallt  besonders  die  Ungleichmäfsigkeit  der  Verse 
auf.  Ein  Teil  der  Verse  zeigt  den  daktylischen  Charakter  wie  in 
\VL.  I,  andere  nähern  sich  viertaktigen  Versen  Avie  in  WL.  VI.  Be- 
sonders aber  ist  weit  häufiger  als  in  WL.  I  oder  WL.  VI  Fehlen  der 
Senkung  (v.  2,  3,  5  etc.)  und  andererseits  sehr  lange  Senkung  (v.  4, 
11,  32)  zu  konstatieren,  z.B.  v.  11  fFor  non  hihpe  pat  he  ha})  ne  syht 
me  him  ner  shake. 

In  allen  übrigen  Gedichten  sind  die  Verse  nach  lateinischen  resp. 
romanischen  Mustern  gebaut ,  sie  beachten  das  Princip  der  Silben- 
zählung und  zeigen  regelniäfsige  Aufeinanderfolge  von  betonten  und 
unbetonten  Silben.  Sie  unterscheiden  sich  also  dadurch,  dafs  sie  dem 
Princip  nach  stets  einsilbige  Senkungen  haben,  wesentlich  von  den 
oben  besprochenen  Liedern  WL.  I,  VI,  XIII,  in  denen  mehrsilbige 
Senkung  und  Fehlen  der  Senkungen  durchaus  erlaubt  ist.  Es  kommen 
in  unseren  Gedichten  Verse  von  zwei  Takten  bis  zu  solchen  von  sieben 
Takten  vor,  am  häufigsten  sind  die  von  drei,   vier   und   sieben  Takten. 

Wenn  wir  nun  die  Freiheilen  und  Unregelmäfsigkeiten  hinsicht- 
lich der  Senkung  zusammenstellen,  so  müssen  wir  dahingestellt  sein 
lassen,  wie  viel  derselben  etwa  vom  Schreiber  herrühren,  da  fast  alle 
Gedichte  nur  in  einer  Handschrift  vorhanden  sind. 

Für  die  Silbenzählung  ist  von  Wichtigkeit  die  Behandlung  der 
tonlosen  Flexionsendungen,  die  nur  in  der  Senkung  stehen  können, 
aber  dort  zuweilen  voll  als  Silbe  zählend  die  ganze  Senkung  ausfüllen, 
zuweilen  mit  einer  anderen  Silbe  zusammen  die  Senkung  bilden,  cfr. 
Schipper  a  a.  O.  p.  93. 

Das  End-e  ist  stets  stumm  als  zweite  Silbe  nach  dem  Accent 
sowohl  wenn  die  vorhergehende  Silbe  tieftonig  ist,  wie  in  GL.  I,  77 
ryhtwise,  III,  61  lyare,  WL.  II,  28  whittore,  GL.  IV,  14  bryhtore, 
WL.  XI,  6  lengore,  IV,  15  richesse,  IV,  34  falsleke,  GL.  III,  25 
monye  etc.,  als  auch  wenn  eine  Silbe  mit  tonlosem  e  vorhergeht,  die  beiden 
tonlosen  Silben  bilden  dann  nur  eine  Senkung,  z.  B.  GL.  II,  4  in 
marewe  men  he  sohte;  WL.  IX,  14  pat  shup  oure  heje  hevene  kyng; 
GL.  I,  21  alle  is  unj)rivene  pewes  prete  etc.  Dies  geschieht,  auch 
wenn  die  letzte  Silbe  noch  einen  Flexionskonsonanten  hat,  also  die 
Endung  es,  en,  ep,  est  ist,  so  WL.  XIV,  24  wyj)  ha])eles  ant  wyj) 
heowes;  GL.  I,  73  to  borewen  us  alle  he  wes  ybore;  GL.  III,  48 
folewej)  me  so  faste;  GL.  VIII,  13  Jesu,  for  love  I)ou  I)oledest 
wrono-  etc.     Wir  sehen  daraus,   dafs   das   tonlose  End-e  keine  Hebung 


der  mittelenglisclien  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  3C7 

tragen  kann.  Nur  einmal  in  unseren  Gedichten  wird  solches  Flexions-e 
nicht  unterdrückt  und  zählt  als  Hebung,  falls  man  nicht  an  Korruption 
des  Textes  zu  denken  hat:  GL.  III,  107  ant  hevene  to  raede,  viel- 
leicht auch  in  WL.  X,  45  u.  71. 

Auslautendes  tonloses  e  kann,  wenn  der  Ton  auf  der  vorher- 
gehenden Silbe  ruht,  je  nach  dem  Bedürfnisse  des  Verses  verstummen 
oder  als  eine  Silbe  zählen. 

a)  Vor  einem  vokalisch  anlautenden  Worte  wird  das  tonlose  End-e 
fast  stets  elidiert.  Doch  findet  sich  manchmal,  wenn  auch  verhältnis- 
mäfsig  selten,  Hiatus,  so  WL.  IV,  50,  IX,  19,  XII,  9,  GL.  II,  28, 
III,  27,  105  etc.  Ebenso  findet  vor  anlautendem  h  gewöhnlich  Elision 
des  End-e  statt;  doch  auch  Hiatus:  GL.  III,  13,  20,  IV,  46,  VII,  138, 
X,  19,  37,  38,  XIV,  9,  11. 

b)  Vor  Konsonanten  schwankt  der  Wert  des  tonlosen  End-e  weit 
mehr,  denn  nach  Belieben  gilt  es  als  volle  Silbe  oder  wird  unterdrückt. 
Oft  finden  wir  in  demselben  Gedichte  tonlose  e  von  ganz  gleichem 
AVerte  als  Silbe  zählen  oder  verstummen.  Indessen  scheint  in  einzelnen 
Gedichten  besonders  Neigung  zu  solchen  Kürzungen  zu  herrschen. 

1)  Das  End-e  des  Infinitivs  zählt  vor  Konsonanten  meist  als  Silbe, 
doch  finden  sich  in  sehr  vielen  Gedichten  auch  Beispiele,  daJ's  es  ver- 
stummt, z.  B.  WL.  III,  20  ne  lete  for  non  of  I)o;  WL.  XI,  10  shalt 
pou  never  live  Jiat  day;  GL.  X,  29  he  may  oure  soules  to  hevene  led. 
WL.  VII,  27  cusse  :  bis;  GL.  III,  87  bring,  IV,  5G  come  etc. 

2)  Das  End-e  des  Part.  Perf.  starker  Verba  ist  stets  silbezählcnd 
aufser  in  drei  Beispielen :  WL.  VIII,  1  lenten  ys  come  wij)  love  to 
toune;  GL.  II,  29  Jjat  er  were  come  wi})  lome;  GL.  IV,  15  ybore  I)ou 
wcre  in  Bedleheera. 

3)  Das  End-e  der  verschiedenen  Personenendungen  der  Verbal- 
flexion wird  vor  Konsonanten  ohne  Unterschied  als  Silbe  gezählt  oder 
nicht.     Beispiele,  dafs  es  nicht  zählt : 

tt)  1.  Pers.  Sing.  Präs.  Ind.:  WL.  II,  19  ichullc,  ebenso  GL. 
II,  48,  III,  71;  WL.  III,  28  ichave;  WL.  IV,  32  y  falk;  WL,  IV.  C4 
y  holde;  WL.  XI,  G  y  wene,  XI,  17  y  calle ;  GL.  III,  81  y  sugge; 
zuweilen  ist  die  Endung  schon  in  der  Schrift  verschwunden:  GL. 
XVI,  6  habbe,  aber  v.  11  u.  20  yha. 

ß)  Imperativ  Sing,  der  schw.  Verben:  WL.  III,  21  j>oii  rew  ant 
red  me  i'yht;  WL.  XI,  IG  lete,  XII,  15  loke;  WL.  XIV,  18  ha,  v.  19 
lef  etc. 


3C8  Über  die  Sprache  und  Metrik 

y)  Präs.  Ind.  Plur.  und  Präs.  Konj. :  WL.  IX,  10,  19  ave,  XI,  19 
lete;  GL.  VII,  37  conne;  GL.  XVIII,  13  we  han,  v.  27  we  nulle. 

8)  Präteritum  :  Am  häufigsten  kommt  die  Form  were  mit  unter- 
drücktem End-e  vor:  WL.  III,  40,  IV,  41,  V,  4,  VII,  15,  32  etc.; 
auch  mihte  WL.  IV,  42,  V,  32,  VII,  32;  wiste  WL.  VII,  15;  wolde 
WL.  VII,  31,  33,  35  ;  come  GL.  II,  59,  ohte  GL.  VII,  18  etc. 

4)  Das  End-e  des  Nom.  und  Acc.  germanischer  zweisilbiger  Sub- 
stantiva  wird  oft  nicht  als  Silbe  gezählt:  WL.  III,  32  rüde,  IV,  25 
sonne,  VII,  11  care,  VII,  47  herte,  XI,  11  shame;  WL.  XI,  15  sham  : 
am;  GL.  X,  21  und  38  bliss  (im  Reim),  sone  (=  Sohn)  ist  einsilbig 
GL.  IX,  2,  4,  34,  aber  zweisilbig  v.  16,  46,  52,  etc. 

5)  Das  End-e  der  Substantiva  als  Flexion  im  Dativ  ist  ebenfalls 
oft  nicht  silbezählend :  WL.  VII,  35  froni  helle  to  hevene  ant  sonne  to 
see;  WL.  VII,  27  Wisse  :  bis;  WL.  III,  8  to  roujie,  III,  25  to  del)e  ; 
GL.  XVI,  17  on  pe  rod  (im  Reim).  —  love  ist  zweisilbig  GL.  VII,  5 
al  for  a  love  newe,  aber  einsilbig  GL.  VII,  19  for  bis  love  to  smerte 
oder  V.  37  of  love  ne  conne  we  noht,  etc. 

6)  Substantiva  romanischen  Ursprungs  werden  ebenso  behandelt, 
oft  ist  das  End-e  stumm:  GL.  III,  58  coveytise,  VIII,  185  grace, 
III,  53  glotonie,  III,  56  lecherie,  XII,  30  medicine,  aber  v.  31  medy- 
cyn,   beide  Formen  im   Reim.     Ebenso   ist  in  joie  das  e  gezählt  GL. 

XIII,  35,  XIV,  31  pat  oJ)er  joie  of  I)at  may  (sogar  Hiatus),  aber  in 
demselben  Gedichte  wird  es  nicht  gezählt  v.  43  pe  furpe  joie  we  teile 
mawen  und  v.  47  more  joie  ne  mai  me  haven. 

7)  Das  End-e  der  Adjektiva  verstummt  oft,  aber  nie  nach  dem 
bestimmten  Artikel  oder  Possessivpronomen :  WL.  XI,  17  be  stille  pou 
foul;  GL.  I,  47  so  feie  bej)  founden;  ebenso  WL.  V,  42,  VII,   14  etc. 

8)  Das  End-e  der  Adverbien  und  Präpositionen  verstummt  oder 
zählt  als  Silbe,  so  z.  B.  in  sone  (=  ae.  söna)  ist  es  silbezählend  GL. 
I,  51  sone  bej)  I)is  gomenes  gon;  aber  stumm  GL.  I,  7  of  sunful  sauht- 
ing  sone  be  sad ;  oder  GL.  II,  8  he  sende  hem  Inder  fol  son ;  andere 
Beispiele  GL.  IV,  19  I)arefore  we  shulden  ofte  pe  grete;  ferner  verstummt 
in  GL.  I,  42  sore,  VII,  9  eke,  WL.  11,  7  böte,    GL.  IV,  60  sepjje  etc. 

9)  Das  End-e  der  Pronoraina  ist  gewöhnlich  stumm  in  hire,  aber 
hire  wird  in  demselben  Gedicht  oft  einsilbig  gebraucht,  so  WL.  V, 
49,  83,  GL.  XIV,  19,  und  auch  zweisilbig,  so  WL.  V,  54,  62,  GL. 

XIV,  18.  Das  End-e  ist  stumm  in  alle:  GL,  III,  42  and  alle  my 
godes  me  atgoj),  ebenso  GL.  II,  40;  in  oure  GL.  IX,  60. 


der  niittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  22:)3.  StJ'J 

10)  Das  End-e  der  Zahlwörter  ist  zuweilen  stumm:  in  GL.  V,  13 
one,  WL.  IV,  47  boI)e. 

Das  Schwanken  in  dem  metrischen  Werte  des  fiexivischen  e  zeigt 
sich  aber  nicht  nur,  wenn  das  e  allein  die  Endung  ausmacht,  sondern 
auch  wenn  die  Flexionssilbe  mit  einem  Konsonanten  schliefst. 

1}  Die  Endung  -es  im  Gen.  Sing,  der  Subst.  zählt  gewöhnlich 
als  Silbe;  doch  ist  das  e  elidiert  vor  Vokal  in  GL.  IV,  28  and  wite 
me  from  fendes  engyn. 

2)  Die  Endung  -es  im  Plural  der  Subst.  zählt  oft  nicht  a)  vor 
folgendem  Vokal:  GL.  VIII,  127  alle  unj)ewes  ant  lustes  fle;  GL. 
VIII,  69  Jesu,  fyf  woundes  ich  fynde  in  I)e;  ebenso  GL.  IV,  20, 
III,  81,  IV,  37  etc.  —  Vor  Kons. :  WL.  V,  75  ase  feynes  wij)  oute 
feie;  WL.  XIV,  33  as  dewes  dropes  bep  weete.  GL.  II,  21  huere 
lomes  to  fonde;  ebenso  GL.  III,  10,  78,  VIII,  32,  51,  175  etc. 

3}  Die  Adverbialendung  -es  zählt  in  elles  WL.  V,  81  ant  elies 
wonder  were ;  ebenso  GL.  VJII,  102. 

4)  Die  Endung  -en  im  Plur.  der  Subst.  ist  meist  voll  gemessen. 
Sie  ist  verschleift  vor  folgendem  Vokal:  WL.  V,  16  hire  ey^en  aren 
giete  and  gray  ynoh;  vor  Kons.:  WL.  VII,  26  hire  bende  browen  ]^at 
bringe})  blisse ;  GL.  XVI,  23  of  myne  deden  fynde  y  non  god  etc. 

5)  Die  Endung  der  Präpositionen  -en  ist  verschleift  in  GL.  XVII, 
121  wher  bej)  hue  I)at  byforen  us  were. 

6)  Die  Infinitiv-Endung  -en  zählt  in  dieser  vollen  Form  in  der 
Regel  als  Silbe  (auch  vor  Vokalen).  Sie  wird  verschleift  (abgesehen 
von  synkop.  Formen  wie  han  GL.  XVII,  44):  a)  vor  Vokalen  und  h: 
WL.  II,  20  ant  feye  fallen  adoun,  WL.  IV,  45  semcn  him  may  on 
sonde  etc.;  b)  vor  Kons.:  WL.  V,  1   mosti  ryden  by  Kybbesdale. 

7)  Die  Endung  -en  der  starken  Part.  Perf.  wird  meistens  voll  ge- 
messen, selten  verschleift:  WL.  IX,  23  by  swyken  he  haj)  [)at  suete 
wyht;  GL.  I,  24  jef  he  bej}  pryven  and  I)Owen  in  [jcode. 

8)  Die  Plural-Endung  -en  im  Präs.  und  Prät.  wird  oft  verschleift: 
a)  vor  Vokalen  GL.  XVII,  127  hue  eten  ant  dronken  and  maden  hem 
glad,  GL.  I,  67  to  queme  crist  we  weren  ycore,  GL.  I,  2  unmihli 
aren  is  meste  mede;  b)  vor  Kons.  GL.  III,  44  pat  feyre  founden  mi 
mete  ant  cloht,  WL.  IV,  27  alle  heo  lyven  from  last  of  lol,  etc. 

9)  Die  Endung  -est  der  2.  Pers.  Sing,  wird  oft  verschleift:  a)  bei 
vokalischem  resp.  vokalisch  erweichtem  Stammesauslaut,  wie  in  ha.st 
AVL.  IV,  63,   GL.  III,  67,   XVI,  34,  61;   auch   in   havest  GL.  VIII, 

Archiv  f.  n.  Sin-aclion.   LXXI.  -4 


370  Über  die  Sprache  und  Metrik 

44,  46;  b)  doch  auch  bei  anderen  Verben  :  WL.  XI,  33  for  pou  spekest 
so  stille,  GL.  XV,  27  pou  restest  I)e  under  rode,  GL.  XVII,  59  ne 
findest  |)0U  non  so  fyl  dungheep,  GL.  XVII,  80  ant  makest  \)y  fomon 
fat  and  proud,  etc. 

10)  Die  Endung -ej)  der  3.  Pers.  Sing.  Präs.,  des  Plur.  Präs.  und 
des  Plur.  Iniper.  ist  sehr  oft  verschleift.  Wie  schon  im  Altengl.  finden  sich 
in  der  Schrift  Kontraktionen  bei  den  Verben,  deren  Stamm  auf  d  oder  t 
endet:  GL.  I,  62  fynt  (=  findep);  GL.  I,  75  byt  (=  biddep);  WL. 
V,  68  stont,  GL.  XI,  68  stond  (=  stondep);  GL.  III,  84  halt  (= 
haltej))  etc.  Ebenso  Kontraktionen  bei  vokalischem  Stammesauslaut: 
WL.  II,  3  ha});  GL.  X,  22  lyj)  {=  Hggep) ;  GL.  XI,  20  seyl);  wriel) 
GL.  III,  45.  Andere  Beispiele:  WL.  VII,  47  me  J)unche|)  min  herte 
vvol  breke  a  two ;  GL.  I,  63  we  fallep  so  flour  when  hit  is  fröre,  etc. 
Zuweilen  finden  wir  dieselbe  Form  ein-  und  zweisilbig  nebeneinander: 
GL.  III,  95  {)at  jokkyn  haf  yjyrned  jore;  GL.  III,  98  to  grounde 
hit  havep  hini  ybroht. 

11)  Die  Endung  -ed  des  Part.  Perf.  und  Prät.  ist  verschleift: 
a)  vor  Vokalen  GL.  III,  22  hitel  loved  ant  lasse  ytolde;  GL.  I,  42 
ant  sore  ben  fered  on  folde;  b)  vor  Kons.:  GL.  III,  10  I)at  semly 
sawes  wes  woned  to  seyn;  GL.  XIV,  52  ase  hit  wes  woned  to  bene; 
WL.  XII,  8  ich  have  loved  I)e  jore. 

Auch  abgesehen  vom  flexivischen  e  finden  sich  zahlreiche  Fälle 
doppelter  Senkung.  Die  zwei  Silben,  die  in  der  Senkung  stehen,  lassen 
sich  aber  meist  leicht  verschmelzen.  Besonders  häufig  ist  die  Ver- 
schleifung  der  tonlosen  Silben  el,  er,  en  (auch  le  oder  re  geschrieben) 
vor  folgendem  Vokal:  1)  el:  WL.  IV,  67  in  uch  an  hyrd  J)yn  apel  ys 
hyht;  WL.  V,  61  hire  gurdel  of  bete  gold  is  al;  WL.  XI,  29  wel 
muchel  y  couI)e  of  lore;  GL.  III,  46  such  is  evel  ant  elde,  etc.  2)  er: 
WL.  IV,  54  ant  ever  in  hyrd  wip  hem  ich  holde;  WL.  XI,  18  wij) 
fader  ant  al  ray  kynne ;  GL.  IV,  40  J)i  moder  hit  seh,  [lat  pe  by  stod; 
3)  en:  WL.  VIII,  1  lenten  is  come  wip  love  to  toune;  GL.  XIV,  7 
I)is  maiden  is  suete  ant  fre  of  blöd;  WL.  III,  39  hevene  y  tolde  al  his. 

Weit  schwerer  ist  die  Verschleifung  der  Silben  el,  er,  en  vor 
Konsonanten:  WL.  V,  5  pat  ever  wes  niad  of  blöd  ant  bon;  WL. 
XII,  7  rae  nis  love  never  pe  ner ;  GL.  VIII,  38  pat  ever  mi  Jjoht  upon 
pe  be;  GL.  XII,  3  in  somer,  pat  suete  tyde;  WL.  XI,  3  in  somer 
when  hit  is  grene;  v.  31  under  pe  wode  göre;  ebenso  GL.  I,  71,  II,  28, 
XII,  39,  IV,  47. 


der  mittelenglischen  lyrisclien  Lieiler  tles  Ms.  Harl.  22 J3.  371 

Häufig  ist  die  Verkürzung  durch  Synkope  in  Wörtern  wie  comely 
WL,  IV,  65,  VII,  27;  stevening  TVL.  IX,  33;  mildenesse  (zweisilbig) 
GL.  VIII,  133.  Wir  finden  lord  neben  der  volleren  Form  loverd,  ledy 
neben  levedy,  hed  neben  heved  zuweilen  unmittelbar  nebeneinander,  so 
lord  (einsilbig)  GL.  IV,  36,  XVI,  24,  aber  loverd  (zweisilbig)  GL. 
IV,  37,  XVI,  26. 

Es  kommen  auch  verschiedene  Fälle  doppelter  Senkung  vor,  in 
denen  es  sich  um  schwerere  Verschleifung  als  die  des  tonlosen  e  han- 
delt. Manchmal  mögen  sie  indessen  durch  die  Nachlässigkeit  der 
Schreiber  verschuldet  sein: 

Häufig  ist  bei  doppelter  Senkung  die  erste  Silbe  ein  tonloses  i  (y), 
welches  vor  der  zweiten  tonlosen  Silbe  gleichsam  konsonantiert  wird : 
a)  Vor  Vokalen:  GL.  I,  38  by  body  ant  soule  y  sugge  al  so;  GL. 
XII,  51  for  he  Jjat  dude  is  body  on  tre;  GL.  XVI,  3  ichabbe  be  losed 
mony  a  day;  ebenso  GL.  V,  9,  WL.  X,  54  ;  aufserdem  in  WL.  X,  48 
heo  is  rubie  of  ryhtfulnesse,  wo  aber  die  doppelte  Senkung  sich  als 
Folge  einer  Cäsur  nach  der  zweiten  Hebung  auffassen  läfst.  —  |3)  vor 
Konsonanten:  meist  im  viertaktigen  Verse  als  Folge  der  Cäsur,  so  GL. 
III,  87  bryng  \)\s  body,  I)at  is  so  bare;  GL.  VIII,  84  ant  make  nie 
worpi  I)at  y  so  be ;  ebenso  GL,  VIII,  19,  59,  XIV,  50;  aber  auch  an 
anderen  Stellen :  GL.  II,  56  a  peny  Jiat  wes  so  bref;  GL.  IX,  28  sone, 
y  se  \n  bodi  byswongen ;  GL.  XII,  39   wij)  oute  gold  o\)ev  eny  tresor. 

Wie  in  dem  eben  behandelten  Falle  findet  sich  auch  in  anderen  Fällen 
die  schwere  zweisilbige  Senkung  meist  im  viertaktigen  Verse  nach  der 
zw^eiten  Hebung,  so  zuweilen  als  zweisilbiger  Auftakt  nach  stumpfer 
Cäsur:  GL.  V,  10  I:>is  enderday  in  o  morewenyng;  GL.  XII,  11  from 
Petresbourh  in  o  morwenyng;  aber  gewöhnlich  bei  klingender  Cäsur, 
so  WL.  II,  11  from  alle  wymmen  mi  love  is  lent.  GL.  VIII,  25,  26 
Jesu,  mi  lemman,  I)ou  art  so  fre  J)at  I)ou  dejedest  for  love  of  me.  GL. 
VIII,  171,  172  when  \n  wille  is,  to  I)e  hire  bryng,  ]}0\\  art  suetest  of 
alle  I^yng;  ebenso  GL.  VIII,  56,  XIV,  17,  XVI,  36;  WL.  IV,  53,  68; 
GL.  XVIII,  16  etc.  In  GL.  IX,  49  moder,  may  y  no  lengore  dwelle 
ist  vielleicht  nach  der  Version  des  Ms.  Digby  (Anglia  II,  p.  255) 
y  vor  may  zu  stellen.  Auch  GL.  XVII,  122  lordes,  ledyes,  pat  havekes 
bere  ist  wohl  zu  emendieren,  denn  die  vier  anderen  Handschriften  lesen  : 
J)at  houndes  laddcn  ant  havekes  bere. 

Die  Präposition  to  vor  einem  Infinitiv  wird  nur  einmal  vor  einem 
Vokal  verschleiff:   GL.  I,  77  wyj)  ryhtwyse  men  to  arise;   ähnlich    ist 

21* 


372  Über  die  Spraclie  und  Metrik 

GL.  VIII,  78  pat  wher  y  be,  ant  what  so  y  do.  Der  Artikel  pe  vor  Vokalen 
wird  einmal  elidiert  GL.  XIV,  38  Jjat  men  clepe})  |)e  epypliany.  Die 
Neo-ation  ne  lehnt  sich  oft  an  das  folgende  Verb  an,  so  nolde  =  ne  wolde, 
nes  =  ne  wes,  nis  =  ne  is,  auch  GL.  VIII,  30  J)ou  ne  askest  nie  non 
o|jer  I)ing.  Ne  lehnt  sich  an  ein  vorhergehendes  Personalpronomen  an : 
WL.  XIV,  14  I)at  he  ne  may  ner  ywynne;  WL.  XIV,  21  Jjat  y  ne  may 
lyve  namore.  —  Anlehnung  eines  Personalpronomens  findet  sich  noch 
WL.  IV,  48  for  on  pat  us  warp  from  wo;  WL.  XIV,  31  my  gode  luef, 
y  I)e  greete;  GL.  VII,  34  so  duere  he  us  haj)  yboht.  Aufserdem  kommen 
wenige  andere  Fälle  doppelter  Senkung  vor:  WL.  IV,  38  such  tiding 
mei  tide,  y  nul  noutteme;  WL.  III,  14  have  resting  on  honde ;  in  letz- 
terem Verse  könnte  man  auch  an  schwebende  Betonung  denken.  Sehr 
hart  klingt  der  dreitaktige  Vers  GL.  II,  46  to  alle  pat  ever  hider  eode ; 
GL.  XVII,  50  pat  on  saip  „let",  pat  oper  sey])  „do";  hier  möchte  man 
nach  dem  Ms.  Digby  und  Ms.  Vernon  das  zweite  seyp  streichen,  doch 
stimmt  Ms.  Laud  zu  dem  unsrigen;  GL.  X,  17  what  he  sofFiede  so 
sore  ist  vielleicht  auch  verderbt  und  so  zu  streichen. 

Während  wir  so  viele  Fälle  doppelter  Senkung  zu  konstatieren 
hatten,  ist  das  Gegenteil,  Fehlen  der  Senkung,  im  Innern  des  Verses 
sehr  selten  und  kommt  in  vielen  Gedichten  gar  nicht  vor.  Wir  werden 
sämtliche  Fälle  anführen:  1)  Die  Senkung  fehlt  am  häufigsten  zwischen 
zwei  Hebungen,  die  verschiedenen  Wörtern  angehören  und  zwar  a)  im 
viertaktigen  Verse  nach  der  zweiten  Hebung:  WL.  VII,  5  hire  glad- 
shipe  nes  never  gon,  v.  19  hou  shal  pat  lefly  syng;  v.  39  herknej)  me, 
y  ou  teile;  ebenso  WL.  X,  10,  25;  GL.  IV,  47,  48;  GL.  V,  1,  20,  23; 
GL.  VI,  7  also  hit  ner  nere  yv^^is,  hier  könnte  man  auch  never  statt 
ner  lesen;  GL.  VIII,  79,  137,  XIV,  23,  41,  XVI,  15,  30,  31;  v.  31 
läfst  sich  aber  auch  anders  auffassen.  WL.  VIII,  19  wowes  pis  wilde 
drakes  möchte  man  vielleicht  emendieren,  indem  man  all  einschiebt, 
cfr.  WL.  IX,  5  al  pis  wylde  wyhtes  wowes.  Manchmal  mag  fehler- 
hafte Überlieferung  das  Fehlen  der  Senkung  verschulden,  wenigstens 
werden  in  GL.  XVII  und  IX  solche  Stellen  fiist  nie  durch  die  andere 
Hdschr.  bestätigt:  GL.  XVII,  5  hou  holy  writ  spekep  of  nion  steht 
allerdings  auch  in  den  anderen  Hdschr.;  aber  für  v.  29,  74,  146,  avo 
nach  Ms.  Harl.  ebenso  die  Senkung  fehlt,  haben  die  anderen  Mss. 
sämtlich  metrisch  korrekte  Lesungen:  v.  29  jet  alast  pou  shalt  de^e 
lautet  im  Ms.  Vernon:  wolton,  niltou,  |)0U  schalt  dygen;  im  Ms.  Digby 
und  Ms.   Laud :  nedes   costes  J)ou  most  deyen.    —    v.  74  ff.   \)e   ahc 


der  mittclenglischcn  lyrischen  Lieder  des  Ms.   IJarl.  2253.  373 

worst  is  Jiat  on,  |  here  nomes  y  shall  teile,  ist  sicher  verderbt;  M.^. 
Uigby  V.  79  lautet  here  nomes  con  ich  everichon,  |  nou  i  shall  teilen 
alle,  und  dazu  stimmt  Ms.  Land  und  Vernon.  —  Im  V.  146  {)ourli 
wycked  werk  oper  eggyng  haben  Ms.  Digby  und  Auchinleck  fals,  Ms. 
Laud  vuel  vor  eggyng  stehen.  —  In  GL.  IX  fehlt  die  Senkung  in 
V.  8,  9,  12,  30,  im  Ms.  Digby  sind  diese  Verse  korrekt:  v.  8  y  Jiole 
de|)  for  mon  kynde ;  Ms.  Digby  hat  monnes  kynde;  v.  9  for  my  gult 
J)ole  y  non ;  INIs.  Digby  liest  korrekt:  niine  gultes.  —  v.  12  |)at  mo 
byliet  Symeon  ;  Digby  hat  bihete;  v.  30  no  wonder  \ydh  nie  be  wo; 
Digby  liest:  hit  nis  no  wonder, 

ß)  Zuweilen  fehlt  die  Senkung  an  anderer  Stelle.  Dabei  ist  sie 
einigemal  durch  eine  Pause  ersetzt,  so  GL.  XI,  55  alas!  men  be]) 
wode;  WL.  IV,  48  for  on,  Jmt  us  warp  from  wo.  In  anderen  Fällen 
ist  keine  Pause:  GL.  XVII,  25  Jje  fleysh  stont  ajeyn  pe  gost  lautet 
in  den  anderen  Hdschr.  ebenso,  aber  hier  ist  das  Fehlen  der  Senkung 
durch  den  Zusammenstofs  der  schweren  Konsonanzen  sh  und  st  er- 
klärlich ;  in  anderen  Versen  desselben  Gedichtes,  v.  54,  106,  117,  128, 
scheint  das  Fehlen  der  Senkung  vom  Schreiber  verschuldet  zu  sein, 
v,  54  1)6  pris  forte  wlnne  lautet  in  Ms.  L. :  pe  maistrie  for  to  winne; 
in  D.:  pe  pris  hoe  hantfe  to  winnen;  in  Vern.  :  al  Jie  pris  für  to  wynne. 
v.  106  wi[>  foule  wille  ant  foul  J)oht  laufet  in  L.,  D.  und  V.  überein- 
stimmend ganz  anders.  — In  GL.  XVII,  117  holde  ne  dreje  ist  hinter 
ne  ein  wel  einzuschieben  nach  Als.  L.  und  D.  —  In  v.  128  huore 
lyf  al  wi|)  joie  ylad  ist  hinter  lyf  nach  den  vier  anderen  Ms.  was  ein- 
zuschieben. —  WL.  V,  2  wil  wymmen  forte  wale  ist  im  Ms.  korrekt, 
dessen  Lesung  beizubehalten  ist  (wilde  statt  wil).  —  GL.  X,  47  wi|) 
scourges  yswongen  ist  wohl  korrupt,  ebenso  WL.  V,  48  styjic  upon 
stede,  wo  vielleicht  vor  stede  der  Artikel  zu  setzen  ist.  Ferner  fehlt 
eine  Senkung:  GL.  VI,  14  ant  shild  us  from  helle;  WL.  VIII,  6  uch 
foul  song  singes.  GL.  XII,  47  wher  so  eny  sek  ys ;  WL.  XI,  36  to 
don  al  I)i  wille;  GL.  XIII,  15  I)at  art  so  god ;  GL.  XIII.  3  preyje 
Jesu,  {)y  sone,  ist  zu  emendieren,  indem  hinter  Jesu  nach  Ms.  Egcrton 
Christ  eingeschoben  wird. 

2)  Einigemal  fehlt  die  Senkung  zwischen  zwei  Hebungen,  die 
Silben  desselben  Wortes  sind:  WL.  IX,  35  to  late  comcl)  [)e  ^eyn-char; 
GL.  IV,  a2  for  me  I>ou  shcddest  I)i  blöd;  WL.  X,  24  ase  a  launtcrnö 
a  niht.  Das  Gedicht  WL.  X  nimmt  indessen  eine  besondere  Sti'lhiiig 
ein,  es  zeigt  stark  d».n  Einflufs  d<'r  allittcrierenden  Langzeile;    manclio 


374  Über  die  Sprache  und  Metrik 

Verse  lassen  sich  schwerlich  als  viertaktige  lesen,  oder  man  nuifstc  die 
Betonung  mäiden,  wörhlicho  etc.  zulassen,  der  aber  andere  Stellen 
durchaus  widersprechen  würden,  so  v.  7  menskful  raaiden  of  myht ; 
V.  9  In  al  |)is  worhliche  won;  ebenso  v.  14,  43;  auch  v.  45,  71,  73. 

E.  Die  Betonung  und  der  Rhythmus. 
Hebungsfähig  ist  die  höchstbetonte  Silbe  eines  Wortes  und  ferner 
eine  andere,  wenn  sie  von  der  höchstbetonten  durch  eine  Silbe  getrennt 
ist.  Doch  die  Flexionssilben  mit  tonlosem  e  sind  nicht  hebungsfähig; 
das  End-e  kommt  nur  einmal  so  vor  GL.  III,  107  ant  hevene  to  mede, 
doch  mag  die  Stelle  verderbt  sein,  vielleicht  auch  WL.  X,  45,  71. 
Der  Versrhythmus  stimmt  im  allgemeinen  mit  der  natürlichen  Wort- 
betonung  überein,  doch  findet  manchmal  Widerstreit  zwischen  Wort- 
und  Versaccent  statt,  indem  unter  dem  Erfordernis  der  regelrechten 
Zahl  und  Abwechselung  der  Hebungen  und  Senkungen  der  natürliche, 
durch  die  Wortbetonung  bedingte  Rhythmus  der  Verse  leidet.  Manchmal 
müssen  deshalb  Wörter  in  unnatürlicher  Weise  mit  schwebender  Be- 
tonung gelesen  werden,  wenn  der  Versaccent  es  verbietet,  auf  die 
Stammsilbe  den  Ton  zu  legen.  Dies  geschieht  meist  dem  Reim  zu- 
liebe, so 

1)  bei  Nominal- Kompositis:  GL.  XI,  14  midday  :  may;  GL. 
IX,  8  monkynde  :  wepinge,  ebenso  GL.  VHI,  54 ;  GL.  XVIII,  35 
monkunne  :  punne;  häufig  ist  man  der  zweite  Teil  der  Komposition: 
WL.  XI,  13  man  :  lemman;  GL.  XI,  47  lemmon  ;  gon  ;  ebenso  GL. 
XIV,  25,  49,  WL.XIV,  2  etc.  GL.  XVII,  58  keep  :  dungheep;  WL. 
I,  25  gale  :  Whyrhale. 

2)  bei  Ableitungssilben : 

a)  sehr  häufig  die  Silbe  ing  und  inde  :  GL.  V,  1  kyng  :  endyng; 
GL.'vni,  31  serving  :  mourning,  ebenso  GL.  VIII,  53,  29,  113,  169, 
181,  193,  XI,  37,  WL.  U,  2,  VII,  19  etc. 

ß)  die  Endung  esse:  GL.  XIV,  34  lyhtnesse  :  wytnesse,  ebenso 
WL.  X,  47  flf. 

f)  die  Endung  ere:  GL.  VIII,  5  suettere  :  blysfulere  :  lyke- 
rusere  ;  alumere. 

S)  die  Endung  y:  GL.  VHI,  129  unwor])i  :  alraihti  :  hardy  ;  GL. 
XIV,  37  levedy  :  epyphany  :  wery;  GL.  XIV,  55  levedy :  merci  :  holy. 
Dies  sind  sämtliche  Fälle;  andere  Ableitungssilben  kommen  nicht 
als  Reimsilben  vor,  so  dafs  schwebende  Betonung  notwendig  wäre. 


der  mittelfnglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Ilarl.  2253.  375 

Im  Inneren  und  im  Anfang  der  Verse  stimmt  ebenfalls  oft  die 
natürliche  Betonung  nicht  zu  dem  Versrhythmus,  und  es  ist  schwebende 
Betonung  resp.  Umstellung  des  Taktes  anzunehmen.  —  Häufig  ist 
Taktumstellung  im  Versanfang.  Dabei  widerstreitet  der  Versaccent 
entweder  dem  rhetorischen  Accent  wie  in  WL.  III,  30  whil  mi  lif  lestc 
may  (dreitaktig),  oder  dem  Wortton,  so  in  WL.  II,  32  wery  so  water 
in  wore;  WL.  III,  11  levedy  of  alle  londe;  GL.  I,  33  werryng  is  worst 
of  wyve,  etc. 

Es  findet  sich  aber  auch  freie  Betonung  im  Inneren  der  Verse, 
besonders  nach  einer  Casur :  WL.  X,  85  for  hire  love  raournvn'^  v 
make;  WL.  VII,  40  in  such  Avondryng  for  wo  y  welle.  Alan  beachte 
in  beiden  Beispielen  die  Allitteration.  Bei  manchen  Stellen  ist  man  ge- 
neigt, an  Korruption  des  Textes  zu  denken,  z.  B.  WL.  VIII,  17  Jie 
lilie  is  lossom  to  seo  (viertaktig),  wo  durch  Umstellung  zu  lossom  is 
leicht  ein  korrekter  Vers  herzustellen  wäre;  ähnlich  in  GL.  XII,  22 
of  synne  Jiat  y  have  my  fleish  fed.  —  In  einzelnen  Gedichten  tritt  die 
blofse  Silbenzählung  resp.  freie  Betonung  besonders  hervor,  so  in  GL. 
II,  1,  2,  12,  14,  26;  ebenso  in  GL.  VIII,  X,  XII,  XVIH,  WL.  XIV. 

Die  romanischen  Wörter  kommen  mit  verschiedener  Betonung 
vor.  Im  Reim  haben  sie  natürlich  romanische  Betonung  bewahrt, 
aber  im  Inneren  der  Verse  oft  sich  germanischer  Betonung  gefügt: 
WL.  II,  27  boünte,  IV,  61  resoun,  IV,  15  richesse,  V,  39  römaunj, 
V,  66  emeraudes,  etc.  Manchmal  zeigt  sich  sogar,  dafs  die  romanische 
Betonung  im  Reim  eben  nur  des  Reimes  wegen  geschieht,  denn  die 
Allitteration,  an  der  die  Stammsilben  teilnehmen,  spricht  für  germanische 
Betonung,  so  WL.  I,  14,  17,  40,  XIII,  28,  32,  II,  8  etc.  —  Ebenso 
finden  sich  genug  Verse,  in  denen  von  germanischen  Wörtern  die  Ab- 
leitungssilbe reimt,  aber  die  Stammsilbe  die  Allitteration  trägt,  ■/..  B.  WL. 
II,  5  ich  libbe  in  love  longynge ;  dies  beweist,  dafs  der  Wortaccent  nur 
des  Versaccents  Avegen  in  solchen  Fällen  schwebend  ist,  solche  un- 
germanische Betonung  aber  der  wirklich  gesprochenen  Sprache  unbe- 
kannt war. 

Die  romanisch  gebauten  Verse  unserer  Gedichte  sind  sehr  ver- 
schieden lang,  denn  es  kommen  solche  von  zwei  Takten  bis  zu  solchen 
von  sieben  Takten  vor.  Der  Rhythmus  ist  in  allen  der  Regel  nach 
ein  jambischer,  doch  mit  vielen  Ausnahmen. 

In  siebentaktigen  Versen  (Septenarpnj  sind  vorfafst: 
WL.  XI,  XII,  GL.  XIII.    In    diesen  Versen   ist   die  Cäsur  nach   der 


37(:  Über  die  Sprache  und  Metrik 

vierten  Hobung  und  der  Regel  nach  männh'ch,  doch  häufig  auch  weib- 
lich in  allen  drei  Gedichten.  Nicht  nur  steht  eine  tonlose  Flexions- 
silbe vor  der  Cäsur,  sondern  einmal  sogar  eine  volle  Bildungssilbe  WL. 
XI,  8  whet  helpejj  pe,  my  suete  lemmon,  niy  lyf  Jms  forte  gaste. 
Durch  die  weibliche  Cäsur  haben  die  Verse  daher  nach  der  vierten 
Hebung  oft  doppelte  Senkung,  die  aber  der  oben  behandelten  doppelten 
Senkung  nicht  gleichzustellen  ist.  Die  Cäsur  ist  verwischt  in  GL. 
Xni,  32  bring  us  to  Jje  ioie  I)at  no  tonge  may  of  teile.  —  Der  Vers- 
ausgang ist  der  Regel  nach  weiblich,  so  stets  in  WL.  XH;  auch  in 
WL.  XI,  aufser  in  der  Strophe  v.  13  — 16,  wo  männlicher  Reim  ist. 
In  GL.  XIII  sind  nicht  sämtliche  Verse  Septenare,  sondern  diese  sind 
mit  Alexandrinern  untermischt;  hier  ist  männlicher  Versausgang  häufiger, 
es  reimen  fünf  Strophen  klingend  und  vier  Strophen  stumpf.  —  Der 
Auftakt  fehlt  oft  im  ersten  oder  im  zweiten  Halbvers  oder  in  beiden, 
so  WL.  XI,  5.  Mehrsilbiger  Auffakt  kommt  nicht  vor.  Zuweilen 
findet  sich  Mittelreim  WL.  XI,  5,  6,  auch  Binnenreim  WL.  XI,  2,  4. 

Viele  Verse  zeigen  aufser  der  Cäsur  nach  der  vierten  Hebung  noch 
eine  Nebencäsur  nach  der  zweiten  Hebung,  die  besonders  hervortritt, 
wenn  Binnenreim  zwischen  der  zweiten  und  vierten  Hebung  stattfindet, 
so  WL.  XI,  2,  4.  Nach  dieser  Nebencäsur,  auch  wenn  sie  männlich 
ist,  fehlt  zuweilen  ebenso  wie  nach  der  Hauptcäsur  die  Senkung  resp. 
der  Auftakt,  z.  B.  WL.  XI,  4  jef  mi  poht  helpep  me  noht;  WL.  XH,  12 
a  suete  cos  of  py  mou|) ;  GL.  XIH,  4  so  my  wey  forte  gon.  Anderer- 
seits kommt  bei  weiblicher  Nebencäsur  auch  zweisilbige  Senkung  nach 
der  zweiten  Hebung  vor:  WL.  XI,  21  suete  lady,  I)ou  wend  |)i  mod ; 
WL.  XII,  9  suete  lemmon,  y  preye  J)e;  v.  17  bituene  Lyncolne  ant 
Lyndeseye,  etc. 

In  GL.  XIII  sind  die  Septenare  mit  Alexandrinern  gemischt; 
unter  36  Versen  von  GL.  XIII  sind  sieben,  die  nur  sechs  Hebungen 
haben:  v.  11,  16,  24,  29,  34,  35,  36.  Bei  anderen  Versen,  v.  13, 
21,  25,  kann  man  zweifelhaft  sein,  ob  sie  als  Septenare  oder  Alexan- 
driner zu  lesen  sind.  Diese  Alexandriner  sind  wie  die  Septenare  ver- 
schieden gebaut,  sie  zeigen  den  Versausgang  wie  die  Cäsur  klingend 
sowohl  als  stumpf,  auch  Fehlen  des  Auftaktes. 

Der  Septenar  kommt  ferner  in  der  ersten  Zeile  des  Refrains  von 
WL.  XIV  und  GL.  XVIII  vor:  WL.  XIV  ever  ant  oo  for  my  leof 
ich  am  in  grete  Jichte ;  GL.  XVIII  ever  ant  oo,  nyht  and  day,  he 
havej)  US  in  bis  f)ohte.     Diese   Septenare   haben   weiblichen    Reim  und 


der  mittelenglisdien  lyrisclion  Lieder  des  Ms.  Uarl.  2253.  377 

männliche  Cäsur,  auch  Nebencäsur  nach  der  zweiten  Hebung  und  dort 
Fehlen  der  Senkung. 

Der  Alexandriner  kommt  noch  als  letzte  Zeile  jeder  Strophe 
in  GL.  VI  vor.  Auch  hier  ist  sein  Reim  wie  die  Ccäsur  sowohl  klingend 
als  stumpf;  auch  zeigt  sich  Fehlen  des  Auftaktes;  also  wie  in  GL.  XIII. 

F  i\  n  f  t  a  k  t  i  g  e  Verse  kommen  nur  in  WL.  XIV  und  GL.  XVIII 
vor  als  fünfte  und  sechste  Strophenzeile  und  als  letzte  Zeile  des  Refrains. 
Sie  haben  stets  klingenden  Reim ;  die  Cäsur  ist  stets  nach  der  zweiten 
Hebung  und  ist  klingend  z.  B.  WL.  XIV,  5  oder  stumpf  z.  B.  WL. 
XIV,  6.  Im  Anfang  des  Verses  fehlt  der  Auftakt  in  WL.  XIV,  20, 
GL.  XVIII,  6.    Der  Auftakt  nach  der  Cäsur  fehlt  WL.  XIV,  27. 

Einige  Verse  in  WL.  XIV,  die  nach  dem  Strophenschema  fiinf- 
taktige  sein  müfsten,  wei'den  indessen  wohl  als  Alexandriner  zu  lesen 
sein;  v.  21,  34,  35.  v.  21  love  drechej)  me,  Jiat  y  ne  may  live  na- 
more;  v.  34  ase  sterres  bej)  in  welkne  and  grases  sour  and  suete; 
V.  35  whose  love|)  untrewe,  bis  herte  is  selde  seete.  —  Schipper  p.  442 
faftt  solche  Verse  allerdings  als  fiinftaktige  auf.  Jedoch  es  liegt  um 
so  weniger  Grund  vor  zu  bestreiten,  dafs  diese  Verse  Alexandriner 
sind,  als  statt  der  Fünffüfsler  sogar  Septenare  vorkommen,  nämlich 
WL.  XIV,  14  und  28  :  v.  14  wo  is  him  Jiat  lovej)  pe  love  Jiat  he  ne  may 
ner  ywynne;  v.  28  wo  is  him  J)at  lovep  J)e  love  I)at  ner  nul  be  trewe. 

So  sehen  wir  in  WL.  XIV  an  Stelle  der  fünftaktigen  auch  sechs- 
und  siebentaktige  Verse  treten.  Dies  geschieht  nicht  in  GL.  XVIII; 
dort  könnte  man  höchstens  v.  13  als  Alexandriner  auffassen:  |)at  wo 
han  y  don,  i  rede  we  reowen  sore. 

Der  zweitaktige  Vers  konimt  nur  in  WL.  VII  vor  als  vierte 
und  sechste  Strophenzeile.  Er  zeigt  stumpfen  oder  klingenden  Vers- 
ausgang: V.  4  in  toune  trewe;  v.  10  wij)  oute  strif.  Selten  fehlt  der 
Auftakt,  unter  zwanzig  Versen  zweimal  (v.  42  u.  53).  v.  28  in  nuiche 
murpe  he  were,  hat  drei  statt  zwei  Hebungen. 

Am  meisten  verwandt  wird  der  vier-  und  der  dreitaktige  Vers. 
Der  dreitaktige  in  WL.  III,  GL.  II,  VII,  XI,  XV,  der  vicrtaktige  in 
WL.  VII,  GL.  IV,  VIII,  IX,  XVL  Die  noch  übrigen  Godichtc  /.eigen 
in  ihrer  Strophenform  eine  Verbindung  von  vier-  und  dreitaktigen 
Versen. 

Wenn  der  dreitaktige  Vors  für  sich  steht,  nicht  verbunden 
mit  dem  viertaktigen,  so  mufs  er  als  halber  Alcxaiiüriner  angesehen 
werden,   und   es    müssen   ihm   dieselben   Freiheiten    gestattet    sein   wie 


378  Über  die  Sprache  und   Metrik 

jenem,  al.so  aucli  der  Gebrauch  männliclicr  und  wiiblicljer  Reime  ohne 
Unterschied.  Doch  in  einigen  Gedichten  werden  im  Strophenbau  männ- 
liche und  weibliciie  Dreifüfsler  getrennt.  In  GL.  XV,  wo  engh'sche 
Dreifiifsler  mit  französischen  Sechssilblern  abwechseln,  haben  die  fran- 
zösischen Verse  stets  männlichen  Reim,  die  englischen  weiblichen, 
aufser  in  der  zweiten  Strophe,  wo  auch  die  englischen  Verse  stumpf 
reimen.  In  GL.  VII  und  XI  ist  die  Reimfolge  ababccbddb.  Hier 
sind  die  Reime  b  stets  nicünnlich  (aufser  GL.  XI,  32,  34),  die  übrigen 
stets  weiblich.  In  WL.  III  und  GL.  II  findet  sich  nicht  ein  solcher 
regelmäfsiger  Wechsel  männlicher  und  weiblicher  Verse.  Der  Auftakt 
fehlt  ziemlich  seifen,  doch  kommen  in  allen  fünf  Gedichten  solche  Fälle 
vor.  Zweisilbiger  Auftakt  ist  nur  in  GL.  II,  1 1  so  I)e  furmest  hevede  ydon. 

Der  viertaktige  Vers  zeigt  natürlich  männlichen  Reim  so  gut 
als  weiblichen.  Der  Auftakt  fehlt  sehr  häufig,  seifen  ist  er  zweisilbig: 
GL.  XVI,  8  al  ungreipe  icham  to  Jie  to  gon  ;  GL.  VIII,  110  hit  bi- 
hoveji  nede  pat  ich  hit  have.  Oft  zeigt  sich  Cäsur  nach  der  zweiten 
Hebung  derart,  dafs  dort  infolgedessen  zweisilbige  Senkung  entsteht 
(cfr.  oben  p.  371).  —  WL.  VII,  37 — 38  sind  überflüssig  im  Strophen- 
bau;  WL.  VII,  7  when  heo  is  glad  hat  nur  zwei  statt  vier  Hebungen; 
GL.  VIII,  39 — 40  wij)  Jjine  suefe  ejen  loke  towart  me,  |  ant  mylde- 
liche  myne,  y  preie,  al  J)at  fou  se,  sind  wohl  korrupt,  denn  sie  haben 
sechs  statt  vier  Hebungen;  ebenso  GL.  VIfl,  106  ofte  ych  habbe  mis- 
don  ajeynes  pe,  wo  fünf  statt  vier  Hebungen  sich  vorfinden. 

In  sehr  vielen  Gedichten  zeigt  die  Strophenform  Vierfüfsler 
in  Verbindung  mit  D  r  e  i  f  ü  f  s  1  e  r  n ,  nämlich  in  WL.  II,  IV,  V, 
VIII,  IX,  X,  XIV,  GL.  I,  III,  V,  VI,  X,  XII,  XIV,  XVII,  XVIII. 

In  WL.  IV  bilden  acht  Vierfüfsler  den  Aufgesang,  vier  Drei- 
füfsler den  Abgesang.  Hier  sind  die  Dreifüfsler  als  halbe  Alexandrine 
zu  betrachten,  sie  zeigen  wie  die  Vierfüfsler  männlichen  sowohl  wie 
weiblichen  Reim.     Oft  fehlt  der  Auftakt. 

In  WL.  XIV  und  GL.  XVIII  ist  der  erste  Teil  der  Strophe 
abab,  wobei  a  viertaktig,  b  dreitaktig  ist.  Diese  Verse  sind  als  streng 
gebaute  Septenare  mit  Miffelreim  aufzufassen;  a  hat  stets  männlichen, 
b  stets  weiblichen  Reim.  Der  Auftakt  fehlt  zuweilen  in  beiden;  zwei- 
silbig ist  er  in  GL.  XVIII,  12:  he  nagulte  nout  per  fore. 

In  GL.  X  ist  die  Strophenform  ababccdeed,  in  GL.  XII 
aabaabcbcb.  Dabei  sind  b  und  d  Dreifüfsler,  die  übrigen  Verse 
Vieifüfsler.     Der   erste  Teil  der  Strophe  von  GL.  X  entspricht  genau 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  llarl.  2253.  379 

dem  zweiten  Teile  der  Strophe  von  GL.  XII,  der  zweite  Teil  der 
Strophe  von  GL.  X  dem  ersten  von  GL.  XII.  Die  Verse  des  ersten 
Teiles  der  Strophe  von  GL.  X  und  des  zweiten  von  GL.  XII  sind 
wieder  als  streng  gebaute  Septenare  mit  Mittelreim  aufzufassen;  wie 
in  WL.  XIV  und  GL.  XVIII  hat  der  viertaktige  Vers  stets  männ- 
lichen, der  dreitaktige  stets  weiblichen  Reim.  Der  Auftakt  fehlt  in 
beiden  öfters.  —  In  dem  zweiten  Teile  der  Strophe  von  GL.  X  und 
dem  ersten  von  GL.  XII  wechseln  zwei  viertaktige  mit  einem  drei- 
taktigen  Verse  ab.  Auch  in  diesem  Teile  haben  die  dreitaktigen  Verse 
ohne  Ausnahme  weiblichen  Reim ;  die  viertaktigen  haben  in  GL.  XII 
sämtlich  männlichen  Reim,  in  GL.  X  fast  sämtlich,  nur  v.  18  :  19, 
45  :  46  reimen  klingend. 

Der  letzte  Teil  der  Strophe  von  GL.  X  und  der  erste  von  GL. 
XII  hat  die  Form  der  Schweifreimstrophe,  und  diese  zeigt  wie  in  GL. 
X  und  XII  so  auch  in  anderen  Gedichten  ihre  Vorliebe  für  weibliche 
Dreifüfsler  und  männliche  VierfÖfsler.  In  WL.  V,  VIII,  IX,  GL.  III, 
V,  XVII  ist  die  Reimfolge  aabccb  etc.,  wobei  a  und  c  vierfaktig, 
b  dreitaktig  ist.  Die  viertaktigen  Verse  reimen  in  allen  sechs  Ge- 
dichten beliebig  stumpf  oder  klingend;  der  Auftakt  fehlt  manchmal  in 
ihnen.  Aber  die  dreitaktigen  Verse  haben  in  WL.  VIII,  IX  und  GL.  III 
stets  weiblichen  Reim;  in  WL.  V,  GL.  V  und  XVII  überwiegt  wenig- 
stens der  weibliche  Reim  bei  weitem.  Der  Rhythmus  der  Dreitakter 
ist  in  allen  sechs  Gedichten  jambisch,  der  Auftakt  fehlt  nicht  oft. 

In  GL.  III  ist  noch  eine  zweite  Strophenform  abaab,  die  mit  der 
ersten  abwechselt;  hier  ist  a  viertaktig,  b  dreitaktig.  b  hat  stets  weib- 
lichen Reim  und  ist  durchaus  jambisch,  der  Auftakt  fehlt  nur  einmal 
(v.  48).  a  ist  stets  männlich  aufser  in  der  Strophe  v.  64  fF.  und  zeigt 
sehr  oft  Fehlen  des  Auftaktes. 

In  WL.  X  ist  die  Strophenform  aaabcccb;  a  und  c  ist  vier- 
taktig, b  ist  dreitaktig.  Hier  haben  die  dreitaktigen  Verse  fast  ebenso 
oft  männlichen  als  weibliclien  Reim  ;  auch  fehlt  ihnen  ebenso  wie  den 
viertaktigen  sehr  oft  der  Auftakt. 

In  der  Strophenform  von  GL.  XIV  aaabab  ist  a  viertaktig, 
b  dreitaktig.  Hier  zeigt  sich  noch  einmal  die  Vorliebe  für  weibliche 
Dreifüfsler  und  männliche  Vierfüfsler,  denn  in  neun  Strophen  sind  die 
Dreifüfsler  weiblich  und  die  Vierfüfsler  männlich,  nur  in  einer  Strophe 
(v.  43  ff.)  ist  es  umgekehrt.  Dem  Dreifülsler  fehlt  aber  wie  den  Vier- 
füfslern  häufig  der  Auftakt. 


SSO  über  die  Sprache  und  Mitrik 

In  der  Strophenform  von  GL.  VI  aacabb  ist  a  vieilaktig  und 
stets  trochäisch  aufser  v.  8,  wo  der  Auftakt  vorhanden  ist.  Das  erste  b 
ist  dreitaktig.  Männliche  und  weibliche  Dreifüfsler  und  Vierfüfsler 
werden  in  dieser  Strophe  ohne  Unterschied  verwandt. 

In  GL.  I  bilden  acht  viertaktige  Verse  den  Aufgesang;  den  Ab- 
gesang  bilden  drei  Verse  in  der  Stellung  cbc,  von  denen  c  dreitaktige 
sind,  sämtlich  mit  weiblichem  Ausgang  und  stets  jambisch.  Die  vier- 
taktigen  Verse  in  der  Reimstelhing  ab  ab  etc.  sind  abwechselnd  stumpf 
und  klingend,  nur  in  der  letzten  Strophe  haben  sie  alle  weiblichen 
Reim;  in  ihnen  fehlt  der  Auftakt  sehr  oft. 

In  WL.  II  ist  das  Schema  ababbbbc;  dabei  ist  a  stets  vier- 
taktig;  b  ist  verschieden,  in  Strophe  II  und  III  hat  es  stets  vier 
Hebungen,  aber  in  Stroplie  I  und  IV  hat  es  drei  Hebungen  und  je 
einmal  vier  Hebungen,  nämlich  v.  6  (?)  und  v.  35.  Eine  gleichmäfsige 
Abwechselung  männlicher  und  weiblicher  Reime  findet  nicht  statt, 
Fehlen  des  Auftaktes  kommt  in  den  dreitaktigen  wie  in  den  viertaktigen 
Versen  vor. 

Wie  in  WL.  II  finden  wir  auch  in  anderen  Gedichten  dieser  letzten 
Gruppe,  in  denen  dreitaktige  mit  viertaktigen  Versen  kombiniert  sind, 
gelegentlich  einen  dreitaktigen  Vers,  wo  nach  dem  Strophenschema 
ein  viertaktiger  stehen  müfste,  und  umgekehrt  einen  viertaktigen,  wo 
ein  dreitaktiger  stehen  sollte.  In  WL.  II  mag  dieser  Wechsel  vom 
Dichter  beabsichtigt  sein,  aber  für  die  anderen  Stellen  müssen  wir  wohl 
Nachlässigkeit  des  Dichters  oder  Korruption  des  Textes  annehmen.  — 
Drei  statt  vier  Hebungen  finden  sich  in  WL.  VIII,  28  deawes  donke|) 
]>e  dounes;  GL.  I,  43  lest  he  to  harmes  helde;  ebenso  GL.  V,  7  u.  8. 
Vier  statt  drei  Hebungen  finden  sich:  WL.  IV,  59  soj)  is  pat  y  of  hem 
ha  wroht;  GL.  XII,  46  heried  be  hyr  joies  fyve ;  GL.  XIV,  12  Jesu 
Crist,  hevene  kynge;  der  letzte  Vers  wäre  durch  F^ortlassung  des 
Wortes  Crist  leicht  zu  emendieren,  im  Ms.  steht  die  Abkürzung,  für 
die  Wright  an  dieser  Stelle  nur  Jesu  (ohne  Crist)  schreibt. 

III.    Die  wörtlichen  Anklänge. 

Auffallend  sind  die  zahlreichen  wörtlichen  Anklänge,  die  sich 
zwischen  einzelnen  unserer  Gedichte  finden.  Böddeker  macht  darauf 
aufmerksam  und  identifiziert  die  Verfasser  mehrerer  Gedichte,  indem  er 
sich    hauptsächlich    auf    das    Vorliandenseiu    solcher    Anklänge    stützt. 


der  mittelenglisclien  lyrischen  Lieder  des  Ms.  llarl.  2253.  381 

Er  hebt,  zum  Teil  im  Anschliifs  an  ten  Brinks  Littgesch.  p.  383  ff., 
fünf  Dichter  hervor  als  Verfasser  von  1)  "WL.  I,  III,  V;  2)  \VL.  IV, 
GL.  I;  3)  WL.  VIII,  IX;  4)  WL.  XI,  XII;  5)  GL.  V,  XII,  XIV. 

Die  Anklänge  reichen  indessen  viel  weiter,  als  Böddeker  sie  an- 
giebt.  Es  sind  teils  individuelle  Ausdrücke,  teils  feststehende  formel- 
hafte Phrasen,  letztere  besonders  unter  den  allitterierenden  Redensarten. 
Beide  Arten  werden  sich  nicht  immer  sondern  lassen,  aber  das  so 
häufige  Vorkommen  gleicher  formelhafter  Phrasen,  wie  es  in  der  That 
in  einigen  Gedichten  sich  findet,  spricht  freilich  dafür,  dafs  solche  Ge- 
dichte von  demselben  Verfasser  herrühren,  wenn  auch  im  übrigen  die 
Metrik,  die  Sprache,  der  Ausdruck  etc.  in  auffallender  Weise  überein- 
stimmen. 

Wir  wollen  diese  Anklänge  aufzählen: 

A.    Allitterierende. 

1)  bende  browen : 

WL.  V,  25   heo  ha])  browes  bend  an  heb; 

WL.  VII,  26   hire  bende  browen,  pat  bringep  blisse; 

WL.  V,  18   ybend  wax  eyjjer  breje. 

2)  blisse  bringe: 

WL.  I,  19  pat  syht  upon  I)at  semly,  to  blis  he  is  broht; 
WL.  II,  7  he  may  me  blisse  bringe; 
WL.  VII,  26   hire  bende  browen,  I)at  bringej)  blisse; 
WL.  VIII,  3  pat  al  pis  blisse  bryngep. 

3)  blöd  ant  bon: 

WL.  V,  5  pat  ever  wes  mad  of  blöd  ant  bon ; 
WL.  X,  10  a  bürde  of  blöd  ant  of  bon. 

4)  bold  in  bour: 

WL.  V,  G  in  boure  best  wip  bolde; 

GL.  III,  19   in  uch  a  bour  among  pe  bolde; 

5)  briht  in  bour: 

WL.  I,  1   Ichot  a  bürde  in  a  bour  ase  beryl  so  briht; 
WL.  X,  5  ichot  a  bürde  in  boure  bryht ; 
WL.  IX,  8  ase  ledies  pat  bep  bryht  in  bour; 
GL.  XII,  5  ne  no  levedy  so  bryht  in  bour. 
G)  briddes  breme: 

WL.  IV,  40  our  blisse  heo  beyen,  pis  briddes  breme ; 
WL.  X,  17   pat  brid  so  breme  in  boure; 


382  Über  die  Sprache  und  Metrik 

WL.  VIII,  27   when  briddes  singej)  breme  (hier  hat  aber  brid  eine 
andere  Bedeutung), 

7)  brihtest  under  bis: 

WL.  I,  17   he  is  blosme  opon  bleo,  brihtest  under  bis; 
WL.  ni,  38  bryhtest  under  bys. 

8)  browe  broune : 

WL.  II,  14  hire  browe  broune,  hire  e^e  blake; 
WL.  IV,  39   of  brudes  briht  wij)  browes  broune. 

9)  bürde  briht: 

WL.  I,  1  ichot  a  bürde  in  a  bour  ase  beryl  so  bryht; 
WL.  X,  5   ichot  a  bürde  in  boure  bryht; 
WL.  VI,  6   J)is  bürde  bryht,  gef  hire  Avil  were; 
WL.  IV,  39  of  brudes  bryht  wiJ)  browes  broune. 

10)  casten  from  cares: 

WL.  IV.  52  I)at  ous  hap  cast  from  cares  colde; 
WL.  VI,  11   casten  y  wol  pe  from  cares  ant  kelde. 

11)  dawes  in  dounes: 

WL.  IX,  1 — 2  in  may  hit  murgej)  when  hit  dawes 

in  dounes  wiJ)  Jjis  dueres  plawes; 
WL.  VIII,  28 — 29   deawes  donkej)  pe  dounes, 

deores  wip  huere  derne  rounes; 

12)  derne  dedis: 

WL.  I,  36   when  derne  dedis  in  dayne  derne  are  done ; 
GL.  I,  8 — 9  pat  derne  doj)  J)is  derne  dede, 
pah  he  ben  derne  done; 

13)  dejj  er  my  day: 

WL.  in,  25—26  to  defe  pou  havest  nie  diht, 

y  deje  longe  er  my  day, 
WL.  VII,  21  —  22  heo  me  wol  to  depe  bryng 
longe  er  my  day; 

1 4)  fingres  to  folde : 

VV'L.  V,  55  fyngres  heo  haj)  feir  to  folde, 
WL.  X,  29  ant  fyngres  feyre  forte  folde, 
GL.  in,  21   nou  y  may  no  finger  folde, 
GL.  III,  40  ant  mey  no  finger  felde. 

15)  gomenos  gelde: 

GL.  I,  41   of  gomenes  he  mai  gon  al  gelde; 
GL.  III,  43  myn  gomenes  waxej)  gelde. 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Harl.  2253.  383 

16)  hap  yhent: 

WL.  II,  9   an  hendy  hap  ichabbe  yhent; 
WL.  IV,  69   hap  I)at  haljel  haj)  hent. 

17)  lemej)  wij)  lyht  (oder  lyt): 

WL.  I,  3  ase  jaspe  pe  gentil,  [)at  leniej)  \vi{)  lyht; 

WL.  X,  23   hire  lumes  liht; 

WL.  V,  8   in  uche  londe  heo  leome{)  liht; 

(WL.  V,  78   wiJ)  leofly  lyt  on  lere;) 

WL.  IV,  6  pat  lemeli  all  wiJ)  luefly  lyt. 

18)  leven  on  lore: 

WL.  VI,  25   why  is  pe  loj)  to  leven  on  my  lore; 
WL.  XIV,  19   lef  I)ou  no  false  lore. 

19)  lilye  lossum : 

WL.  I,  12  Avi})  lilye  white  leres  lossum  he  is; 
WL.  V,  10  J)e  lylie  lossum  is  ant  long; 
WL.  VIII,  17  ])e  lilie  is  lossom  to  seo. 

20)  lockes  lefly  ant  longe : 

WL.  V,  31   hire  lockes  lefly  aren  ant  longe; 
WL.  X,  14   wi|)  lokkes  lefliche  ant  longe. 

21)  pe  lossum  loh : 

WL.  V,  17   J)e  lossum,  when  heo  on  me  loh; 
WL.  II,  15  wi|)  lossum  chere  he  on  me  loh. 

22)  love  is  liht : 

WL.  II,  12  from  alle  wymmen  my  love  is  lent 

and  lyht  on  Alisoun ; 
WL.  III,  22   my  love  is  on  pe  liht; 
WL.  VI,  26  lengore  pen  my  love  were  on  pe  lyht. 

23)  mad  on  molde : 

WL.  III,  2  on  molde  y  wa,xe  mad ; 
AVL.  IV,  29   forjji  on  molde  y  vvaxe  mot. 

24)  maiden  moder  milde: 

GL.  XV,  1   maiden  moder  milde; 
GL.  VII,  28   mayden  and  moder  milde. 

25)  miht  of  |)e  mone: 

WL.  I,  31   mnge  he  is  ant  mondrake  I)ourli  miht  of  1)6  mone; 
WL.  V,  19   Jje  mone  wip  hire  muchele  mäht. 

26)  Jesu,  for  \n  muchele  myht,  GL.  V,  16  und  X,  1 

27)  mury  mou|) : 


384  Über  die  Sprache  luul  Metrik 

WL.  V,  37   heo  ha[)  a  mui-y  aioiiht  to  mele; 

WL.  X,  43   maiden  niurgest  of  inoul). 
28)  murpes  nionge: 

WL.  V,  32    ful  sone  he  milile  hire  niuij)es  monge; 

WL.  X,  16    wi})  murj)es  nionie  mote  heo  monge. 
20)  reden  ryht: 

WL.  I,  30    whose  ryht  rede|),  roiine  to  Johon ; 

WL.  VI,  28   I)at  nolde  J)e  noht  rede  so  ryht. 

30)  rode  ase  rose: 

WL.  I,  11    hire  rode  is  ase  rose  I)at  red  is  on  rys; 
WL.  III,  32  hire  rode  so  rose  on  rys; 
WL.  V,  35  —36    whit  ynoh  ant  rode  on  eke, 

ase  rose  Avhen  hit  redes ; 
WL.  V,  11    wip  riche  rose  and  rode  among; 
WL.  VIII,  13    Jje  rose  raylej)  hire  rode. 

31)  semly  on  syht: 

WL.  I,  2    ase  saphyr  in  selver  semly  on  syht; 
WL.  X,  6    I)at  ful  semly  is  on  syht. 

32)  sivve})  sore  (und  so) : 

GL.  I,  57  J)at  siwej)  me  so  fuUy  sore; 
GL.  in,  72  syker  hit  siwej)  me  ful  sore; 
WL.  X,  64   hou  sykyng  me  haj)  siwed  so; 
GL.  III,  29    hit  siwel)  me  so  faste. 

33)  swannes  swyre: 

WL.  II,  28   hire  swyre  is  whitlore  I)en  pe  svvon; 
WL.  V,  43   swannes  swyre  swype  wel  y  sette. 

34)  ytold  wil)  tonges: 

WL.  I,  32   trewe  triacle  ytold  wij)  tonges  in  trone; 

WL.  IV,  36    wij)  tonge  ase  y  her  tolde; 

GL.  XIII,  32    bring  us  to  pe  joie  pat  no  tonge  may  of  teile. 

35)  pryven  ant  pro: 

WL.  I,  23   he  is  prustle  pryven  ant  pro; 
WL.  VII,  16   pat  pryven  ant  pro. 

36)  war  ant  wys: 

WL.  III,  34   wymmon  war  ant  wys; 
WL.  XVII,  67   mon,  be  war  ant  eke  wis. 

37)  whyt  ase  whalles  bon : 

WL.  Vn,  1    a  wayle  whyt  ase  whalles  bon; 


der  mittelengllschen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Ilarl.  2253.  38j 

WL.  V,  40   hire  teht  aren  white  ase  bon  of  whal. 

38)  wod  ant  wilde : 

GL.  XV,  7    Ich  wes  wod  ant  wilde; 

GL.  XVII,  64   icholde  l)e  ful  wilde  ant  wod; 

GL.  XIII,  14   soffre  never  pat  y  be  so  wilde  ne  so  wod. 

39)  wommon  by  west : 

AAL.  III,  37    J)is  wommon  wonep  by  west; 
ML.  IX,  10    so  worly  wymmen  are  by  west. 

40)  wonges  wet: 

WL.  IV,  1    weping  have[)  myn  wonges  wet; 
GL.  III,  13    unwunne  have{»  myn  wonges  wet; 
WL.  IV,  26   pat  durste  for  werk  hire  wonges  wete. 

41)  wowes  J)is  wilde: 

WL.  VIII,  19    wowes  Ins  wilde  drakes; 
A\  L.  IX,  5   al  J)is  wylde  wyhtes  wowes. 

B.   Anklänge  ohne  AUitteration. 
Die  nicht  allitterierendcn  wörtlichen  Übereinstimmungen  sind  zum 
Teil,  selbst  wenn  sie  einen  ganzen  Vers  umfassen,  gewöhnliche,  häufig 
vorkommende  Redensarten,  z.  B. 

1)  nouper  day  ne  niht:  GL.  XVI,  54,  XVII,  27. 

2)  I)at  US  so  duere  bohte:  GL.  V,  18,  VII,  34,  VIII,  11,  44,  XI,  CO, 

XII,  80,  XVII,  63. 

3)  for  love  of  Inn  childe:  GL.  VII,  29,  XV,  5. 

4)  merci,  loverd!  y  nul  namore:  GL.  III,  70,  IV,  36. 

5)  y  J)e  preye  aniong:  GL.  V,  5,  VII,  44. 

6)  WL.  VII,  47  me  punchej)  min  herte  wol  breke  a  two; 
GL.  III,  49   me  JjunkeJ)  myn  herte  breke[)  a  tuo. 

7)  GL.  V,  17  pou  graunte  us  alle  hevene  lyht. 
GL.  VII,  30    ernde  us  hevene  lyht. 

Auffallender  ist  schon  : 

8)  WL.  XII,  5    ich  have  loved  al  I)is  jer,  pat  y  may  love  namore. 
WL.  XIV,  21  Love  drecche})  me  I)at  y  ne  may  lyve  namore. 

Zuweilen    werden    dieselben    Ausdrücke,    Bilder    und    Vergleiche 
zum  Preise  der  Geliebten  gebraucht: 
ö)  eyjen  gray : 

WL.  V,  6   hyre  eyjen  are  grete  ant  gray  ynoh; 
WL.  VII,  24   wip  ebenen  gray. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  25 


38G  Über  die  Sprache  und  Metrik  ' 

t 

10)  lilye  whit:  \ 
WL.  I,  12  wip  lilye  white  leres  lossuni  he  is;  * 
WL.  in,  31  lilie  whyt  hue  is;  \ 
WL.  V,  50   \)e  lylie  white  lef  in  lond.  j 

11)  middel  snial: 

WL.  II,  16    wij)  middel  smal  ant  wel  y  make;  , 

WL.  V,  62    umben  hire  middel  smal; 
WL.  V,  73    heo  haji  a  mete  myddel  smal; 
WL.  X,  31    middel  heo  haj)  menskful  smal. 

12)  tortle,  I^rustle,  laveroc  WL.  I,  22,  23,  24  :  WL.  VII,  3,  51,52.         I 

13)  coral,  rubie,  lilie,  parvenke,  selsecle  WL.  X,  54 — 57  :  WL.  I,  7,  ; 

4,  12,  13,  20.  I 

Noch  auffallender  sind  einige  andere  Anklänge:  j 

14)  Der  Schlufs  von  WL.  III  ist  sehr  ähnlich  dem  von  WL.  V.  i 
WL.  III,  39  —  40    hevene  y  tolde  al  his                                                       ! 

pat  o  nyht  were  hire  gest.  i 

WL.  V,  83 — 84  pat  myhte  nyhtes  neh  hire  leje,  j 

hevene  he  hevede  here.  ] 

15)  WL.  IV,  8  —  9   pat  is  unsemly  per  hit  syt;  i 

hit  syt  and  semep  noht.  ! 

GL.  III,  15  ne  semy  nout  per  v  am  set.  1 

16)  Auffallend  ist  die  Übereinstimmung  einer  ganzen  Strophe  in  GL.         ! 

V,  XII,  XIV.  i 

GL.  V,  10 — 15   pis  enderday  in  o  morewenyng, 

wip  dreri  herte  ant  gret  mournyng 

on  mi  folie  y  pohte ; 
one  pat  is  so  suete  a  ping 
pat  ber  iesse,  pe  hevene  kyng 
mercl  y  besohte. 
GL.  XII,  11  — 16    from  petres-bourh  in  o  morewenyng 
as  y  me  wende  omy  pleyjyng, 

on  mi  folie  y  pohte ; 
menen  y  gon  my  mournyng 
to  hire  pat  ber  pe  hevene  kyng, 
of  merci  hire  besohte. 
GL.  XIV,  1 — 4   Ase  y  me  rod  pis  enderday 
by  grene  wod  to  seche  play, 


der  mittelenglischen  lyrischen  Lieder  des  Ms.  Ilarl.  2253.  'iS7 

mid  herte  y  J)ohte  al  on  a  niay, 
suetest  of  alle  Innge. 

Für  die  erste  Gruppe  von  Gedichten,  WL.  I,  III,  V,  deren  Heimat 
die  wallische  Mark  ist  (cfr.  Archiv  Bd.  LXXI,  Heft  2,  p.  2),  weist 
Böddeker  auf  die  Übereinstimmung  hin,  die  wir  unter  A.  7,  30,  B.  10,  14 
notiert  haben  ;  er  hätte  noch  A.  17,  19,  25  anführen  können.  Der  ersten 
Gruppe  sind  wohl  sicherlich  WL.  VII  und  X  hinzuzufügen,  welche  zahl- 
reiche Anklänge  an  jene  drei  Gedichte  zeigen,  cfr.  für  WL.  VII:  A.  1,  2, 
13,  35,  37,  B.  9,  12;  für  W^L.  X:  A.  3,  5,  9,  14,  17,  20,  27,  28, 
31,  B.  11,  13.  Die  Sprache  in  diesen  fünf  Gedichten  zeigt  manche 
Übereinstimmung,  und  von  dieser  Seite  also  würde  kein  Hindernis  vor- 
liegen, sie  demselben  Verfasser  zuzuweisen.  Der  Versbau  ist  freilich 
in  ^^  L.  I  durchaus  verschieden  von  dem  der  übrigen  Gedichte,  inid 
dies  ki'innte  Bedenken  erregen.  In  WL.  I  sind  die  Verse  nach  germ. 
Princip  gebaute  allitteriercnde  Langzeilen  ;  in  den  übrigen  Gedichten 
finden  sich  nach  rom.  Mustern  gebaute,  gleichtaktige  Verse,  jedoch 
zeigt  sich  in  WL.  X  noch  stark  die  Einwirkung  des  germ.  Princips, 
und  dies  Gedicht  könnte  wohl  den  Übergang  des  Dichters  vom  einen 
zum  anderen  Princip  darstellen. 

Einem  zweiten  Dichter  schreibt  Böddeker  WL.  IV  und  GL.  I 
zu.  Diese  Lieder  haben  keine  wörtlichen  Anklänge  aneinander,  wohl 
aber  an  die  fünf  Gedichte  der  ersten  Gruppe,  cfr.  für  WL.  IV:  A.  6, 
9,  17,  23,  34;  für  GL.  I:  A.  12  (besonders  auffallend)  und  A.  32. 
Es  sind  daher  vielleicht  alle  diese  Gedichte  einem  Dichter  zuzu- 
schreiben. Diesem  würden  dann  auch  andere  Gedichte  zugehören, 
welche  viele,  zum  Teil  recht  auffällige  Anklänge  an  die  erste  und  auch 
an  die  zweite  Gruppe  zeigen,  so  GL.  III  an  Gruppe  I:  A.  4,  14,  32, 
B.  6;  an  Gruppe  II:  A.  15,  32,  40,  B.  15;  ebenso  WL.  II  an 
Gruppe  I:  A.  2,  21,  22,  33,  B.  11,  und  an  Gruppe  II:  A.  8,  IG; 
ferner  WL.  VI  an  Gruppe  I:  A.  9,  22,  29  ;  an  Gruppe  II:  A.  9,  10.  — 
Auch  Maximian  (Bödd.  p.  24  4  ff.)  zeigt  aufserordentlich  viele  An- 
klänge nicht  nur  an  GL.  III,  was  Böddeker  erwähnt,  sondern  auch 
an  andere  Gedichte  der  ersten  und  zweiten  Gruppe. 

Für  die  dritte  Gruppe,  WL.  VIII  und  IX,  führt  Böddeker  als  über- 
einstimmende Stellen  A.  41  und  A.  11  an.  Der  Dichter  scheint  in  der 
Gegend  von  Leicester  gelebt  zu  haben  (cfr.  Archiv  Bd.  LXXI,  Heft  2,  p.  2), 
doch  klingen  die  beiden  Lieder  auch  zuweilen  an  die  zwei  ersten  Gruppen 
an,  die  dem  westlichen  Mittellande  angehören,  cfr.  A.  2,  5,  6,  19,  30,  39. 

25* 


388  Über  die  Sprache  und  Metrik  etc. 

Die  Lieder  der  vierten  Gruppe,  WL.  XI  und  XII,  haben  unter- 
einander keine  gleiche  Redensarten;  auch  nicht  mit  anderen  Gedichten, 
höchstens  einmal  unter  B,  8. 

In  der  fünften  Gruppe,  GL.  V,  XII,  XIV  zeigt  sich  wörtliche 
Übereinstimmung  nur  unter  B.  16,  Anklang  an  andere  Gedichte  ist 
selten,  an  Gruppe  I  und  III  nur  unter  A.  5.  Es  klingt  GL.  V  an 
GL.  X  an:  A.  26;  GL.  Y  an  GL.  VII:  B.  5,  7 ;  GL.  VII  an 
GL.  XV:  A.  24,  B.  3. 

Auch  andere  Gedichte  zeigen  zuweilen  Anklänge  an  die  vor- 
stehenden Gruppen  oder  an  andere  Gedichte,  aber  da  dies  nur  ganz 
vereinzelt  vorkommt,  so  ist  kein  Gewicht  darauf  zu  legen. 

Liesnitz.  Schlüter. 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


Sitzung   vom   8.   Januar. 

Herr  Müller  gab  eine  praktische  Erläuterung  der  holländischen 
Laute,  indem  er  besonders  bei  den  vom  Deutschen  abweichenden  ver- 
weilte. 

Herr  Tobler  redete  über  die  Etymologie  der  Wörter  butor 
und   avertin  und  über  die  Bedeutung  von  recreue  im  Altfranzösischen. 

Herr  V  a  t  k  e  sprach  über  Recht  und  Gesetz  in  Shake- 
speares England. 

In  den  verderbten  Strömen  flieser  Welt 
Kann  die  vergoldete  Hand  der  Missetliat 
Das  Recht  wegstofsen,  und  ein  schnöder  Preis 
Erkauft  oft  das  Gesetz.  — 

In  the  corrupted  currents  of  this  world, 
Offence's  gilded  Hand  niay  shove  by  justice, 
And  oft  'tis  seen,  the  wicked  prize  itself 
Buys  out  the  law  — 

5-0  sagt  Hamlet  III,  3.  Welch  düsteres  Gemälde  der  damaligen 
Rechtszustände  in  England  enthalten  jene  Worte !  Und  wie  stimmt 
der  Inhalt  derselben  überein  mit  der  Darstellung  der  öffentlichen 
Rechtspflege  Grofsbritanniens,  die  Macaulay  in  seinem  so  geistvoll 
skizzierenden  Kapitel  State  of  England  in  1685  entworfen  hat!  Der 
Geschichtschreiber  hebt  hervor,  wie  käuilich  und  bestechlich  selbst 
die  höchsten  Beamten  damals  gewesen,  wie  unzuverlässig  einerseits 
und  wie  furchtbar  hart  auf  der  anderen  die  Justiz  war:  grausam  waren 
die  Strafen,  die  Gefängnisse  prisons  on  carth,  und  mit  dem  scheufslich 
gemarterten  Menschen  habe  man  kaum  das  Mitleiden  gehabt,  das  man 
heute  einem  galled  (wundgescheuerten)  horse  erweise.  Man  war  sich 
aber  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wenigstens  dieser  Zustände  bewufst. 
Im  Hick  Scorner,  einem  Interliide  aus  der  Zeit  Heinrichs  VIII.,  wird 
das  „Mitleiden"  in  die  Blöcke  gelegt  und  dann  von  der  „Be- 
harrlichkeif"    (Perseverance)     und     der     „Beschaulichkeit" 


390  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

(Contemplalioii)  befreit.*  Niiclistcnliebe  und  Barmherzigkeit  gab  es 
wenig  im  damaligen  England,  trotz  der  Statuen  derselben  vor  Aldgah; 
in  der  City  der  Hauptstadt.  (Yen  see,  gilders  will  not  work,  but 
inclosed  .  .  .  How  long  did  the  canvass  hang  afore  Aldgate?  Were 
the  people  suflered  to  see  the  city's  Love  and  Charity,  while 
they  were  rüde  stone,  before  they  were  painted  and  burnish'd?"  [Ben 
Jons.  Silont  Wom.  I,  1.]) 

Wann  aber  ist  dies  „in  die  Blöcke"  gelegte  Mitleiden  befreit 
worden  in  England?  F^rst  allmählich  im  Laufe  des  18.  Jahrhunderts. 
Die  Humanität  kam  nicht  durch  die  Kirche,  sondern  trotz  derselben, 
wie  Diderot  ausführt,  zum  Siege.  Die  Elizabethanischen  Dramatiker, 
die  sich  über  die  Einzelheiten  des  Kleiderluxus  ereifern,  haben  für  die 
Lage  des  Volkes,  die  Rechtlosigkeit  desselben  keine  wesentliche  Em- 
pfindung. Allmählich  erst  wurden  auch  die  Gefängnisse  menschlicher, 
und  Thomson  in  den  „Seasons"  setzt  den  Männern,  die  dies  in 
England  durchgeführt,  ein  Denkmal,  welches  düstere  Schatten  zurück- 
wirft in  die  jüngste  Vergangenheit. 

The  social  tear  would  rise,  the  social  sigh; 

And  into  dear  perfection,  gradual  bliss, 

Refining  still,  the  social  passions  work. 

And  here  can  I  forget  the  gen'rous  band, 

Who'  touch'd  with  human  woe,  redressive  search'd 

Into  the  horrors  of  the  glooniy  jail? 

Uupitied,  and  unheard,  where  mis'ry  moans; 

Where  sickness  pines;  where  thirst  and  hunger  burn, 

And  poor  misfortune  feels  the  lash  of  vice. 

While  in  the  land  of  liberty,  the  land 

Whose  ev'ry  street  and  public  meeting  glow 

With  open  freedom,  little  tyrants  raged ; 

Snatch'd  tbe  lean  morsel  from  the  starving  mouth; 

Tore  from  cold  wint'ry  limbs  the  tatter'd  weed; 

Even  robb'd  theni  of  the  last  of  coraforts,  sleep. 

(Winter  355—370.) 

Die  „gen'rous  band"  ist  die  jail  committe,  vom  Jahre  17  2  9. 
Solche  Töne  haben  die  Schriftsteller  des  16.  und  17.  Jahrhunderts 
nie  gefunden,**  wenigstens  niemals  derart,  dafs  dieselben  zu  einem 
herzbewegenden     Accord     zusammengeschmolzen     wären.      Ein    John 


*  Mitleid  hatte  man  nicht  mit  den  Irrsinnigen,  man  sperrte  sie  ins 
Gefängnis:  die  erste  Irrenanstalt  nach  neueren,  humanen  Begriffen  ist  St. 
Lukas'  Hospital,  London,  vom  J.  1751.  —  Kein  Mitleid  hatte  man  mit  den 
l'estkranken  :  ilire  Hauser  wurden  vermieden  und  mufsten  mit  der  Inschrift: 
Lord  have  mercy  on  us  bezeichnet  sein.  (Lovcs  L.  L.  V,  1.)  Wohhhätig- 
keitsaiistalten  im  heutigen  Sinne  gab  es  nicht,  aufser  einigen  Hospitals: 
mit  den  Hospitals  verbunden  aber  waren  oft  die  Schulen:  die  Gründung 
einer  solchen  Schule  und  Hospital  umfassenden  Anstalt  galt  für 
ein  aufserurdcntiiche.s  "^^'erk  der  Charity.  (Cf  The  Blue  Boys'  School;  cf. 
B.  J.,  Alchem.  11,  3.) 

*'*  Im  18.  Jahrh.  erst,  nachdem  die  Religionsstreitigkeiten  ihren  bestia- 
lischen Charakter  verloren,  bricht  die  Humanität  siegreich  hervor:  W.  Hogarth 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  39] 

Evelyn  schildert  die  Greuel  französiscljer  Exekutionen  mit  denselben 
Ruhe  und  Genauigkeit  wie  irgend  ein  Kunstwerk.  Und  John  Taylor 
(Werkes  1630)  sagt; 

I  think  a  gaol  a  school  of  virtue  is, 

A  house  of  study  and  of  contemplation: 

A  place  of  discipline  and  reformation. 

Es  ist  wohl  erkliirlich,  dafs  ein  S.  Pepys  von  Shakespeareschen 
Stücken  wie  „Taming  of  the  Shrew"  abgestofsen  wird:  man  prügelte 
eben  seinen  Schneider  nicht  mehr,  wie  dies  Stück  als  selbstverständ- 
lich ansieht. 

Marterwerkzeuge,  wie  die  Folter,  die  Blocks,  sind  einem 
Shakespeare  sehr  geläufig: 

You  speak  upon  the  rack, 

Where   nien  cnforced  do  speak  anything. 

(Merch.  of  Venice  III,  2.) 

Das  hat  Wilhelm  von  Oranien  auch  gesagt,  und  zwar  mit 
Bezug  auf  die  Daumschrauben,  zu  Rev.  Castairs,  seinem  Kaplan : 
Castairs  hatte  für  Wilhelm  in  England  Propaganda  gemacht,  als  dies 
noch  gefährlich  war:  man  legte  ihm  Daumschrauben  an,  damit 
er  seine  Genossen  angäbe.  Castairs  that  es  nicht;  später  schenkte 
ihm  die  Stadt  Edinburgh  die  Schrauben,  mit  welchen  er  gepeinif^t 
Avorden  war.  Der  König  hörte  davon :  Castairs  sollte  dieselben  am 
Könige  probieren.  Der  Kaplan  scheute  sich,  die  Sache  schmerzhaft 
zu  machen.  Er  drehte  die  Schraube  nicht  fest  an:  „Fester!"  befahl 
der  König,  bis  er  vom  Schmerz  gepeinigt,  aufhören  lief's.  „Bei  dieser 
Qual  würde  ich  alles  bekannt  haben,"  sagte  er,  und  —  die  Daum- 
schraube wurde  in  England  abgeschafft. 

Vergleichen  wir  hiermit  das  Verhalten  Jakob  L,  der  an  den 
scheufslichsten  Qualen  im  Gefängnisse  sich  weidete,  und  doch  z.  B. 
von  Ben  Jenson  als  ein  Hort  der  Gerechtigkeit  in  den  Himmel  er- 
hoben wurde.  (Über  die  deodand  unter  James  I.  cf.  Sil.  Woman 
s.  f.  Verlust   von  ?Iaus   und  Hof  wegen  gezückten  Degens  im  Hause.) 

Wie  leicht  aber  auch  ein  ehrlicher  Mann  in  Shakespeares  Zeit 
ins  Gefängnis  kommen  konnte,  ermifst  man,  wenn  man  nur  an  die 
Härte  der  Schuldgesetzgebung  denkt:  der  Schuldner  ist  ja  mit  Leib 
und  Leben  seinem  Gläubiger  verfallen,  wie  einst  im  alten  Rom:  er 
steht  in  seiner  Macht,  dominarium,  franz.  danger:  You  slaiid  within 
bis  danger  —  sagt  Portia  zum  Kaufmann  von  Venedig  (IV,  I.)  [etre 
cn  danger  de  l'enncnii  ist,  nach  Brochef,  au  moyen  ;ige  elre  au 
pouvoir  de  l'ennemi].  Wie  ein  pnsonor  in  his  twisted  gyves,  sagt 
Julia  (Romeo  I,  2).     Und   auch    der  Schuldgefangene   hat  diese  Fufs- 

malt  1751. vier  Blätter:  „The  stages  of  cruelly",  die  Grade  der  Grausamkeit 
gegen  die  Hunde.  An  der  Art  aber,  wie  der  Alenseh  sein  Vieh  l)eliaiidelt, 
erkennt  man  seine  Kultur,  wie  David  Straufs  im  „Alten  und  neuen  (ilauben" 
hervorhebt. 


302  Sitzungen  der  Berliner  Gesellscliaft 

schellen  zu  schleppen.  (Gyves  upon  liis  heels,  Thomas  Lord  Crom- 
well  II,  1.)  „I  hope  to  have  his  body  rot  in  prison,"  sagt  in  dem- 
selben Drama  der  harte  Gläubiger  von  seinem  Schuldner.  Und  mit 
diesen  Fufsschellen  beladen  schleppte  sich  der  Schuldgefangene  an  die 
eisernen  Fenstersläbe  in  seinem  Kerker  in  Fleetstreet  und  flehte  die 
Vorübergehenden  „um  Gotteswillen"  (for  the  Lord's  sake)  um  ein 
Almosen  an.  „At  that  time  that  thy  joys  were  in  fleeting,  and 
thus  crying  for  the  Lord's  sake  out  at  an  iron  window,  sagt 
Thomas  Nashe  in  der  Apologie  for  Pierce  Pennilesse,  einer  Stelle, 
welche  auch  Delius  herbeizieht,  um  die  Worte  Shakespeares  in  Measure 
Ibr  Measure  IV,  3  zu  erklären,  wo  eine  Reihe  von  Verschwendern 
aufgezählt  wird,  von  denen  es  heifst:  all  cry  (die  Lesart  are  ist 
sinnlos)  now  for  the  Lord's  sake.  Unter  den  Verschwendern 
zählt  übrigens  Shakespeare  dort  auch  den  master  shoe-tye,  den  great 
traveller  auf,  indem  er  damit  der  Reisewut  seiner  zeitgenössischen 
Landsleute  einen  Hieb  versetzt.  „Unsere  modernen  Ritter,  nämlich 
die  von  König  Jakob  für  Geld  zu  Rittern  geraachten,  w^agen  nicht, 
ihr  Haus  zu  verlassen ,  aus  Furcht  vor  dem  Schuldgefängnis  von 
Liidgate.  In  seinem  Hause  aber  ist  der  Schuldner  unverhaftbar :  for 
my  house  is  my  Castle."*     (Vgl.  lO^/^,  Zinsen  bis  auf  Jakob  I.) 

Ein  sehr  geläufiger  Anblick  war  einem  Shakespeare  eine  whipping- 
execution  am  St.  Paul's  Gross  (die  Stäupungen  fanden  ja  auch  bei  uns 
auf  dem  Marktplatz  statt):  „I  had  as  lief  to  be  whipped  at  the  high- 
cross  every  morning"  ('Tam.  Shrew  I,  1).  Lieber  alle  Tage  öffent- 
lich ausgepeitscht  werden,  als  ein  solches  Weib  haben,  besagt  jene 
Stelle,  zu  welcher  Delius  bemei'kt:  „Das  steinerne  Kreuz  auf  dem 
Marktplatz,  an  dem  die  öffentlichen  Züchtigungen  vollzogen  werden." 
I^iemals  aber  waren  dieselben  blutiger  als  unter  Cromwell:  „Chastis- 
ing  a  Quaker  at  Paul's  Gross,  Cheapside,  in  the  time  of  Cromwell" 
ist  ein  bekanntes  Bild.     (Über  Spione  in  prisons  cf.  B.  J.,  Spy,  Epigr.) 

Ein  nicht  minder  häufiges  Strafsenbild  Londoner  Lebens  war  es, 
den  halb-entkleideten,  an  den  cart  gebundenen  Verurteilten  zu  sehen, 
der  mit  dem  Buchstaben  R  (Rogue)  auf  seiner  Fessel  durch  die 
Strafsen  gepeitscht  wurde: 


*  Über  Bridewell  ist  zu  bemerken:  Die  City  Er  idewell,  London, 
was  originally  a  palace  and  was  chartered  to  the  oity  by  Edward  VI. 
as  a  place  of  penal  confinement  for  unruly  apprentices,  sturdy 
beggars,  and  other  disorderly  persons.  It  formerly  coiitained  a  portrait 
of  the  donor  with  tbese  lines. 

This  Edward  of  fair  memory  the   Sixt, 
In  whom  witli  greatness  güodness  was  commixt, 
Gave  this  Bridewell,  a  palace  in  olden  times, 
For  a  chastening  house  of  vagrant  crimes. 
The  gift  was  made  in   15  5 :' ,  at  the  reqiiest  of  Bishop  Ridley,  who  begged  it 
as   a   workhouse   for   the   poor,   an  a  liouse  of  correction  „for  the  strutnpet 
and   idle   person,    for   the   rioter   that   consumeth  all,    and  for  the  vagabond 
that  will  abide  in  no  place". 


für  dns  Studium  der  neueren  Sprachen,  393 

T  see  the,  Frotli,  alrcady  in  a  cart, 
For  a  close  bawd,  thine  eyes  even  pelted  out 
Wlth  dirt  and  rotten  eggs ;  and  niy  band  hissing, 
If  I  's  Cape  the  halt  er,  with  the  letter  R 
Printed  upon  it." 

(Massinger,  A  New  Way  to  pay  old  debts,  1G33,  IV,  2.) 
Da  lief  der  Pöbel  —  das  Volk  —  also  hinter  dem  Verurteilten  her 
und  warf  ihm  mit  Koth  und  faulen  Eiern  fast  die  Augen  aus  dem  Kopf: 
um  den  Lcärm  dabei  zu  verstärken,  stürzte  man  schnell  in  die  Barbier- 
läden, erbat  und  erhielt  die  metallenen  Becken  aus  denselben,  und  nun 
erst   war  der  Höllenlärm   vollständig:*   (Das  hieis  to  beat  the  bason,) 

And  send  her  home 
Divested  to  her  fannel  in  a  cart. 
Lat.     And  let  her  footuian  beat  the  bason  afore  her. 

(ß.  Jons.,  New  Inn  1\',  3.) 

Dies  scheint  eine  ergiebige  Erwerbsquelle  der  damaligen  Barbiere 
Londons  gewesen  zu  sein,  wie  Nares,  Glossary,  Barber's  Shop  er- 
wähnt: „It  seems  that  the  hire  of  their  basins  for  this  puiposc  was 
profitable  to  barbeis,  for  it  is  uttered  as  an  execration  against  Cut- 
beard :  Let  there  be  no  bawd  carted  that  year,  to  eniploy  a  bason 
of  his."  —  Ben  Jons.,  Silent  Wom.  III,  5. 

Nares  hatte  vorher  bemerkt:  ,.When  bawds  and  other  infamous 
persons  were  carted,  it  was  usual  for  a  mob  to  precede  them,  beating 
metal  basins,  pots,  and  other  sounding  vessels,  to  increase  the 
tnmult,  and  call  more  spectators  together. " 

Über  die  w  h  ippi  ng- p  os  ts  in  London  hören  wir:** 

In  London  and  within  a  niile,  I  weene, 
There  are  of  jayles  or  prisons  füll  eighteene. 
And  sixty  wh  ippi  ng-posts,  and  Stocks   and  cagcs, 
AVhere  sin  with  shame  and  sorrow  hath  due  wagcs. 

(Taylor's  Works,   1630.) 

.,Duc  Avages!"  Das  heifst:  Es  geschieht  ihnen  ganz  Recht  — 
ein  Bewui'stsein  der  Härte  dieses  Verfahrens  hat  John  'i'aylor  nicht,*** 


*  Ähnlich  ging  es  bei  den  Exekutionen  in  Tyburn  zu: 
Hard  by  the  place  toward  Tyburn 
Was  execution  ;  nnd  I  never  dreamt  this  morning  on't 
Till  I  heard  the  noise  ol'  the  people  and  the  horses." 

(B.  J.,  Devil  an  Ass  V,   3.) 
„To    hear   you   groan   out   of  a  cart"  (Barth.  F.)  „Meaning  the  asrent 
from  the  River  Fleet  to  Holborn  on  the  way  to  execution  at  Tyburn." 

**  Auch  auf  Jahrnuirktun  befanden  sich  die  wh  ipping-posts  wie  die 
Stocks  zur  Aufrechterlialtung  iler  Mar  k  t polize  i.  In  Barihol.  Fair 
(B.  J.)  heifst  es:  „stand  not  you  fix'd  here,  like  a  stake  in  Finsbury,  to 
be  shot  at,  or  the  wh  ipping-post  in  the  Fair."  —  Der  Polizist  ist  der 
Constable  (blue  coat),  mit  dem  auch  Frau  Hurtig  zu  thun  hat.  Vi-rgl. 
Middleton,  16  02,  Blurt,  Master  Constable:  Violetta  coines  to  seek  lier 
busband  at  tiie  house  of  a  courtesan. 

***  Ein  ömolett  dagegen  stellt  die  Greuel  von  Bridewcll  prison  ans  Licht. 


391  Sitzungen   der  Berliner  Gesellschaft 

der  ültrigens  in  seiner  „Reise  von  London  niicli  Deiitseljlnnd",  1618, 
die  dentschen  Gesetze  fnrchthar  hart  findet,  besonders  die  Jagdgesetze: 
Es  ist  hier,  bemerkt  er,  gefährlicher  einen  Hasen  zu  töten  als  anderswo 
einen  Menschen. 

Viel  genannt  ist  von  den  Strafinstrumenten  der  Block,*  der  in 
vornehmen  Häusern  (Lear)  für  die  Diener**  bereit  gehalten 
Avurde.  Auch  im  Hndibras  wird  derselbe  noch  erwähnt.  Im 
Bartholoniew  Fair  (1614)  des  Ben  Jenson  wird  der  Puritaner, 
Zeal-of-the-Land,  Rabbi  Busy,  wegen  Verstofse?  gegen  die  Markt- 
ordnung —  er  hat  nämlich  ein  Puppentheater  in  heiligem  Eifer  als 
heidnisches  Götzenbild  zertrümmert  —  in  den  Block  gesetzt.  Er  aber 
erträgt  es  freudig,  denn  er  duldet  um  des  Herrn  willen,  wie  später  tau- 
sende von  Quakers  ähnliche  Strafen  in  ähnlichem  Geiste  erduldet  haben. 

Der  Galgen  (the  gallows)  wird  zumal  für  Diebe  angewendet. 
Der  Kanzler  Heinrichs  VIII.,  Thomas  Morus  —  ein  geistiger  Vorläufer 
Rousseaus  —  sagt  in  der  Utopia :  „Man  unterzieht  die  Diebe  den 
schrecklichsten  Martern.  Hierin  gleicht  die  Justiz  Englands  und 
mancher  anderen  Länder  einem  schlechten  Lehrer,  der  seine  Schüler 
lieber  schlägt  als  unterrichtet."*** 

Die  Betrachtungen  über  die  Rechtspflege  Englands,  die  König 
Lear  anstellt,  sind  gewifs  um  so  richtiger,  je  trübsinniger  sie  aus- 
fallen: dieser  Trübsinn  weist  eben  allen  subjektiven  Trost  von  sich 
und  sieht  die  Dinge  in  ihrer  scheufslichen  Nacktheit.  Es  geht  in  der 
Welt  so  böse  her,  dafs  man  sogar  nicht  einmal  des  Auges  bedarf,  um 
das  zu  sehen.  Lear  sagt  (IV,  6):  „A  man  may  see  how  this  world 
goes,  with  no  eyes.  Look  with  thine  ears:  seo  hoAV  yond  justice 
rails  upon  yond  simple  thief.  —  Heark,  in  thine  ear:  change 
places ;  and,  handy-dandy,  which  is  the  justice,  which  is  the  thief?  — 
Thou  hast  seen  a  farmer's  dog  bark  at  a  beggar?  —  Glo.  Ay,  Sir.  — 
Lear.  And  the  creature  run  from  the  cur?  There  thou  mightest 
behold  the  great  image  of  authority:  a  dog's  obey'd  in  office.  —  Thou 
rascal  beadle,  hold  thy  bloody  band!  Why  dost  thou  lash  that 
whore?f     Strip   thine   own    back;   Thou    hotly  lust'st   to  use  her  in 


*   —   —  —  like  silly  beggars, 
Who,   sitting  in  the  Stocks,  refuge  their  shame, 
That  many  have  and  others  must  sit  there.         (Rieh.  II,  5,  5.) 

**  The  usual  place  of  chastiseraent  for  the  raeniais  and  humbler  re- 
tainers  of  great  families  was  the  porter's  lodge  (B.  J.,  Masque  of 
Augur.=;).     Cf.  Massingor  I,  294  ed.  Gifford. 

***  Humours  of  a  thief  g<jing  to  execution  finden  sich  in  The 
Triuniphant  Widow :    by  the  Duke  of  Nevvcastle,   1677   (Lamb's  Drani.  511). 

t  Vergl.  Ben  Jons.,  Barthol.  Fair  IV,  3: 

(Alice,  a  whore.)  Tbou  sow  of  Smith  fiel,  thou!  —  Urs.  Thou 
tripe  of  Turnbull.  —  K.  Cat-a-niountain  vapours,  ha!  —  Urs.  You  know 
whcre  you  were  taw'd  lately ;  both  1  a.«h'd  and  sla  sh'd  you  were  in  Bride- 
well.  —  AI.  Ay,  by  the  same  token  you  rid  that  week  and  broke  out 
the  bottom  of  the  eart,  night-tub. 


für  das  Stiidiuin  der  neueren  Sprachen.  305 

Ihat  kind  For  which  thou  whipp'st  her.  Tlic  usurer  hangs  tlio 
cozenor.  Through  tatter'd  clothes  small  vices  do  appear;  Rohes  and 
ftirr'd  gowns  hide  all.  Plate  sin  with  gold  And  ihe  strong  lance 
of  justice  hurtless  breaks ;  Arm  it  in  rags,  a  pigrny's  straw  does 
})ierce  it."  Shakespeare  spricht  hier  ein  allgemeines  Urteil  aus,  das, 
glücklicherweise,  aber  nur  für  seine  Zeit  pafst:  es  fehlte  einem 
Shakespeare  wie  allen  seinen  Zeitgenossen  eben  der  Sinn  der  ge- 
schichtlichen Ent Wickelung,  der  Ausblick  in  eine  bessere  Zukunft, 
den  er  freilich  in  dem  damaligen  England,  in  welchem  der  König 
eine  Gottheit  war,  nicht  erspähen  konnte.  Der  Hegeische  Satz: 
„Die  Weltgeschichte  ist  der  Fortschritt  im  Bewufstsein  der  Frei- 
heit", bildet  den  stärksten  Gegensatz  zu  jenem  Shakespeareschen 
Pessimismus. 

Dieser  Pessimismus  Shakespeares  prägt  sich  auch  aus  in  Hamlet 
(in,  1).  To  be  or  not  to  be:  Kein  Mensch  würde  die  Welt  wie  sie 
ist  (das  England  Shakespeares)  ertragen  ohne  die  Hoffnung  auf  eine 
bessere:  For  who  would  bear  the  whips  and  scorns  of  tinie,  The 
oppressor's  wrong  —  die  im  rechtlosen  England  von  seilen  des 
Mächtigeren  zugefügte  Unbill  —  tlie  proud  man's  contumely  (geht 
besonders  auf  den  courtier,  cf.  Rog.  Ascham)  —  the  law's  delay  — 
man  kann  lange  warten,  ehe  man  in  England  Recht  bekommt:  und 
man  mnfs  Geld  dazu  haben;  das  ist  schon  von  John  Lydgate  in 
seiner  Ballade  ergreifend  dargestellt  worden.  Der  arme  Bauers- 
mann aus  Kent,  der  upon  bis  knees  —  der  Sitte  gemäfs  — 
seine  Klage  vor  dem  Richter  anbringt,  erreicht  nichts:  But  lacking 
money  I  could  not  spede,  (The  London  Lackpenny,  about  A.  D.  1420 
cf.  Skeat.) 

Besonders  verhafst  sind  daher  die  laAvyers,  die  Advokaten: 
John  Taylor,  der  bei  seiner  Überfahrt  von  London  nach  Hamburg 
einen  solchen  als  Schiffspassagier  erblickt,  bekreuzigt  sich  drei- 
mal, möge  Gott  ihn  bewahren,  sagt  er,  vor  den  Praktiken  dieser 
Menschen.  ..Juristen  böse  Christen"  —  ist  die  leider  allgemeine  An- 
schauung des  älteren  Europas.  (Die  schärfste  Satire  auf  diese  bleibt 
Le  Pathelin.) 

„Help,  master,  helpl  here's  a  fish  hangs  in  the  net,  like  a 
poor  man's  right  in  the  law;  'twill  hardly  come  out.  (Shak., 
Pericles  II,  1.) 

Und  ganz  ähnlich  sagt  John  Webster,  Duchess  of  Malfi,  1(523, 1,  2: 

the  law  to  him 
Is  like  a  foul  blnck  cobwcb  to  a  spider, 
He  makes  it  Ins  dwelling,  and  a  prisoii 
To  entangle  those  tliat  feed  him. 

Auch  Ben  Jonson  stellt,  wie  oben  Taylor,  die  KniHe  des  Advo- 
katen und  des  Wucherers  auf  eine  Linie,  wenn  er  ,-agt  (Introduclion 
to   E  v  e  r  y    m  an    out    o  f  h  i  s    h  u  ni  o  u  r  ,  1  ö99) : 


396  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft. 

I  fear  —  No  broker's,  usurer's,  or  lawyer's  gripe, 
Were  I  disposed  to  say,  they're  all  corrupt. 

Es  scheint  übrigens,  als  ob  die  Verletzung  des  Staatsrechts  dem 
Engländer  fniher  schon  empfindlicher  gewesen  ist  als  diejenige  des 
Privatrechts :  wir  besitzen  ein  ergreifendes  „Lied  auf  den  Bruch  der 
Magna  Charta  durch  Edward  II.",  die  erschütternde  Klage  einer  tief- 
bewegten Brust:  das  Siegel  des  Rechts  —  aus  Wachs  gemacht  —  sei 
dem  Feuer  der  Gewalt  zu  nahe  gebracht  und  sei  —  molten  all  away: 

For  might  is  right, 
Liht  is  miht, 
And  fiht  is  lliht. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dafs  der  Verlust  der  rechten  Hand  keine 
ungewöhnliche  Strafe  in  Merry  Old  England  war.  Camden  hat  es 
mit  angesehen  und  erzahlt  in  den  Annales,  wie  dem  Puritaner  Stubb 
auf  Befehl  der  Königin  Elizabeth  die  rechte  Hand  abgehauen  wurde 
und  derselbe  mit  der  linken  den  Hut  schwenkt  und  die  Königin 
leben  läfst.     (Star-chamber,  riots,  B.  J.,  Magn.  L.  III,  3.) 

In  der  Masque,  Honour  of  Wales  p.  321,  des  Ben  Jonson  heifst 
es:  von  will  go  nere  to  hazard  a  t  h  u  m  b. 

GifFord  bemerkt  hierzu:  „the  penaUy  for  striking  in  court,  which 
was  the  loss  of  the  right  band." 

Die  „blut'gen  Köpfe"  „auf  Londons  Brücke  warnend  aufgesteckt" 
hat  auch  Jakob  Rathgeb  1592,  der  Sekretär  des  Herzogs  von  Wüitem- 
berg-Mömpelgard,  gesehen:  „Over  the  river  at  London  there  is  a 
beautiful  long  bridge,  with  quite  splendid,  handsome,  and  well-built 
houses,  which  are  occupied  by  merchants  of  consequence.  Upon  one 
of  the  towers,  nearly  in  the  middle  of  the  bridge,  are  stuck  about 
ihirty-four  heads  of  persons  of  distinction,  who  had  in  former 
times  been  condemned  and  beheadcd  for  creating  riots  and  from  other 
causes."  (Rye,  England  p.  9.)  Paul  Hentzner,  1598,  says  he  counted 
above  thirty  heads  on  London  Bridge.  He'  adds:  „Above  three 
hundred  are  said  to  be  hanged  annually  in  London  :  beheading  witli 
them  is  less  infamous  than  hangingl"  (One  that  hath  lost  his  ears  by 
a  just  sentence  of  the  Star-chamber,  B.  J.,  The  ]\Iagn.  L.  III,  1.) 

Sitzung  vom   22.    Januar. 

Herr  Hansknecht  bespricht  die  Sage  von  Floris  und  Blanche- 
flor,  die  um  1160  zuerst  auf  französischem  Boden  auftritt.  Sie  geht 
auf  byzantinische  Quellen  zurück,  ohne  dafs  jedoch  an  eine  direkte 
Übernahme  aus  einem  griechischen  Originale  zu  denken  ist.  Das 
französische  Gedicht  wurde  zuerst  nach  einem  i\Is.  von  Imm.  Bekker 
im  Jahre  1844  veröffentlicht,  dann  von  Du  Meril  1856  mit  Benutzung 
aller  Mss.    Eine  dieser  Hss.  bietet  eine  von  den  drei  anderen  zum  Teil 


für  das  Studium  der  neueren  Spraclien.  397 

lecbt  bedeutend  abweichende  Fassung.  «Du  Meril  unterscheidet  daher 
zwei  Gestallungen,  die  version  aristocratique  und  die  version  populaire, 
von  denen  die  erstere  der  ursprünglichen  Gestaltung  des  Gedichts  am 
nächsten  kommt.  Auch  in  lyrischen  französischen  Liedern  wird  die 
Sage  erwähnt.  Die  häufigen  Anspielungen  der  provent^aliscben  Tro- 
badors  auf  dieselbe  Erzählung  können  ebensogut  auf  einen  französischen 
als  auf  einen  proven^alischen  Roman  zurückgehen.  Die  deu Ischen, 
holländischen,  dänischen,  schwedischen,  norwegischen  Bearbi.'itnngen 
weisen  auf  das  Französische  zurück.  Von  diesen  weicht  die  ebenfalls 
aus  dem  Französischen  hervorgegangene  italisch-griechisch-spanische 
Gruppe  ab.  In  Italien  giebt  es  fünf  Bearbeitungen,  unter  anderen  das 
erste  Prosawerk  des  Boccaccio,  der  Filocolo,  der  ins  Französische, 
Englische  und  Deutsche  übersetzt  wurde.  Eine  ältere  Bearbeitung  ist 
das  Cantare,  das  vielleicht  auf  ein  franco-italisches  Gedicht  zurück- 
geht. Auf  dem  Cantare  beruhen  die  griechischen  und  die  spanischen 
Bearbeitungen.  Das  böhmische  Buch  stammt  aus  deutschen  Quellen. 
Sogar  eine  jüdisch-deutsche  Bearbeitung  findet  sich.  Das  englische 
Gedicht  ist  eine  freie  Übertragung  aus  dem  französischen,  die  sich 
jedoch  in  den  Hauptzügen  eng  an  das  Original  anschliefst.  Es  empfiehlt 
sich  durch  leichte  Sprache  und  frischen  Ton. 

Herr  Zupitza  empfiehlt  in  kurzen  Worten  das  neue  auf  den 
Sammlungen  der  Fhilological  Society  beruhende  englische  Wörterbuch 
von  Murray,  von  dem  soeben  die  erste  Lieferung  erschienen  ist. 

Herr  Förster  bespricht  Knapp,  Grammar  of  the  Modern 
Spanish  Language.  Das  Buch,  dem  eine  genaue  Kenntnis  des 
Spanischen  zu  Grunde  liegt,  zerfallt  in  vier  Teile:  Phonologie,  Formen- 
lehre, Syntax,  drill  book.  Die  Beispiele  sind  gut  und  reich,  die 
wissenschaftliche  Erklärung  ist  ausreichend.  Die  Analogie  aber,  die  in 
der  spanischen  Formenlehre  eine  sehr  ausgedehnte  Anwendung  findet, 
ist  nicht  genug  berücksichtigt. 

Sitzung  vom  12.  Februar. 

Herr  Risop  sprach  über  den  Dichter  des  Roman  de  Florimont, 
Aimont  de  Varennes.  Als  Geburtsjahr  desselben  nimmt  der  Vor- 
tragende 1188  an,  als  seine  Heimat  Lothringen  und  nicht  Griechen- 
land, das  derselbe  aber  durchreist  haben  mufs. 

Herr  Wüllenwebcr  setzte  die  Grundsätze  auseinander,  die  bei 
der  Bearbeitung  der  von  ihm  und  H.  Dickmann  besorgten  himdcrtsfen 
Ausgabe  des  französischen  Schulwörterbuchs  von  (Pseudo-)Thibaut 
mafsgebend  gewesen  sind.  Das  Lexikon  erschien  zuerst  1788  in  der 
Bearbeitung  von  Haas,  seit  1821  unter  Thibauts  Namen.  Seit  1871, 
wo  es  zum  zweitenmal  stereotypiert  wurde,  erschienen  die  60.  bis 
99.  Auflage.  Die  Reformen  in  der  franz.  und  deutschen  Orthographie 
veranlafsten  die  neue  Bearbeitung. 


3Ö8  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  Bourgeois  spracli,  von  den  Precleuses  Ridicules  aus- 
gehend,  über  das  Hotel  de  Rambouillet. 

Sitzung   vom   26,    Februar. 

Der  Vorsitzende  widmete  dem  Andenken  Büchmanns,  des  lang- 
jahrigen  Mitgliedes  und  Schriftführers  des  Vereins,  anerkennende  Worte. 
Die  Versammlung  erhob  sich  zu  Ehren  des  Verstorbenen  von  den 
Sitzen. 

Über  Georg  Buch  mann  möge  nachstehend  folgen  ein  Ge- 
denkblatt von  Immanuel  Schmidt,  einem  der  ältesten  Freunde  des 
Dahingeschiedenen. 

Georg  August  Buch  mann  wurde  am  -4.  Januar  1822  in 
Berlin  geboren,  wo  sein  Vater,  der  die  Feldznge  mitgemacht  hatte, 
eine  Stelle  als  Assistent  am  Montierungsdepot  bekleidete.  Er  war  ein 
alter  Degenknopf,  ernsten  Wesens  und  würdig  in  seiner  Erscheinung, 
dabei  aber  voll  Freude  an  dem  lustigen  Treiben  der  Jugend.  Er  halte 
von  seiner  früh  verstorbenen  Frau  aufser  Georg  noch  zwei  Söhne, 
Dieser  besuchte  das  Joachimsthalsche  Gymnasium,  dessen  Direktor 
August  Meineke  stets  bedeutende  Lehrer  zu  gewinnen  wufste, 
ihnen  aber  nicht  wie  so  manche  seiner  damaligen  Kollegen  das  Leben 
durch  kleinliche  Kontrolle  sauer  machte.  Seine  Primaner  wurden 
nicht  nur  in  den  alten  Sprachen  tüchtig  geschult,  sondern  fühlten 
sich  auch  angeregt  durch  Meinekes  geistvolle  Erklärung  des  Horaz 
und  der  griechischen  Tragiker,  zumal  da  er  auf  eine  elegante  Über- 
setzung viel  Gewicht  legte  und  mit  eigenem  Beispiel  darin  voran- 
ging; dabei  bewunderten  sie  den  männlichen  Charakter  des  Schul- 
monarchen. Zu  dem  Lehrerkollegium  gehörte  Ludwig  Wiese, 
der  nach  dem  Urteil  seiner  besten  Schüler  den  deutschen  Unter- 
richt in  unvergleichlicher  Weise  gab  und  sie  vor  allem  zu  eigenem 
Denken  anregte.  Buchmann  zählte  zu  seinen  unbedingten  Verehrern 
und  bekannte  oft,  dafs  er  von  ihm  am  meisten  gefördert  sei.  Wiese 
hat  auch  seinen  Schüler  richtig  gewürdigt,  indem  er  im  Abgangs- 
zeugnis die  Selbständigkeit  seines  Urteils  hervorhob  und  hinzufügte, 
dafs  seine  Sprache,  die  früher  an  einer  gewissen  schwerfälligen 
Unverständlichkeit  gelitten,  sich  zu  angemessener  Klarheit  ausge- 
bildet habe. 

Als  Büchmann  zu  Ostern  1841  in  Berlin  Theologie  zu  studieren 
begann,  von  der  er  sich  jedoch  bald  der  klassischen  Philologie  zu- 
wandte, war  eine  von  der  jetzigen  wesentlich  verschiedene  Richtung 
vorherrschend.  Es  ging  ein  idealer  Hauch  durch  die  akademische 
Jugend,  der  sie  allerdings  leicht  zu  Verflüchtigung  in  ihren  Studien 
führte.  In  der  Philosophie  gaben  die  Hegelianer  noch  den  Ton 
an,  obgleich  einerseits  schon  eine  Zersetzung  des  Systems  durch  die 
jüngere  Schule  vorbereitet  war  und  andererseits  der  reinen  Spekulation 


fiir  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  399 

durch  Trendeleii  burgs  vorwiegend  aristotelischen  Eklekticismus 
lind  dnrcli  seine  philologische  Beliandlung  der  Quellen  ein  Gegen- 
gewicht gegeben  wurde.  Als  Philologen  standen  einander  Böckh 
und  Lachmann  gegenüber;  nur  dafs  letzterer  ungeachtet  seiner  Hin- 
neigung zu  Gottfried  Hermann  seinen  Kollegen,  den  Hauptver- 
treter der  historisch-realistischen  Richtung,  nicht  anfeindete,  wie  es 
\on  Leipzig  au?  geschah. 

Biichmann  folgte  dem  allgemeinen  Zuge  in  die  Kollegien  der 
Philosophen,  kehrte  sich  aber  von  ihren  Studien  bald  wieder  ab; 
immerhin  war  es  ein  Gewinn  für  seine  geistige  Entwickelung,  dafs  er 
dieselben  eine  Zeit  lang  eifrig  betrieben  hatte.  Er  wurde  als  junger 
Student  von  Werders  glänzendem  Vortrag  bestochen,  wollte  aber 
später  weder  dessen  Logik,  noch  seine  Geschichte  der  Philosophie,  die 
er  beide  bei  ihm  gehört  hatte,  sondern  nur  seine  ästhetischen  Vor- 
lesungen gelten  lassen.  Ob  er  Hothos  regelmältsiger  Zuhörer  gewesen, 
weifs  ich  nicht  mehr,  und  das  Abgangszeugnis  von  der  Universität  ist 
verloren  gegangen ;  ich  erinnere  mich  aber,  dafs  er  sich  über  den 
Hegelscheu  Ästhetiker  sowohl  als  Üocenten  wie  als  Schriftsteller  stets 
sehr  anerkennend  ausgesprochen  hat.  Ebenso  entsinne  ich  mich  ihn 
in  Vatkes  religionsphilosophischen  Vorlesungen  gesehen  zu  haben. 
Dafs  wir  uns  nicht  an  Trendelenburg  angeschlossen,  haben  wir  beide 
später  lebhaft  bedauert.  Die  meisten  Kollegien,  die  Böckh  las,  hörten 
wir  zusammen  und  besprachen  den  Inhalt  regelmäfsig  in  unseren  täg- 
lichen Zusammenkünften.  Lachnianns  kritische  Richtung  zog  uns 
weniger  an,  zumal  da  wir  bei  ihm  Böckhs  liebenswürdige  Urbanität 
vermifsten.  Büchmann  ist  damals  auch  den  germanistischen  Studien, 
denen  sich  einige  seiner  Koätanen  von  Joachimsthal  eifrig  widmeten, 
fern  geblieben  und  hat  erst  später  durch  das  Englische  Veranlassung 
erhalten,  sich  einigermafsen  damit  bekannt  zu  machen.  Er  hospitierte 
jedoch  manchmal  bei  Jakob  Grimm  und  bewunderte  ihn  nicht  nur 
als  Forscher,  sondern  fühlte  sich  von  seiner  Persönlichkeit  ganz  be- 
sonders angezogen. 

Böckh  gab  in  seiner  Encyklopädie  der  Philologie,  die  Biichmann 
hörte,  keinen  bestimmten  Studienplan,  sondern  riet,  man  solle  sich 
irgend  einen  Lieblingsschriitsteller,  ein  einzelnes  Werk,  oder  einen  be- 
sonderen Gegenstand  wählen  und  zur  Operationsbasis  machen,  um  von 
dort  aus  vorzudringen,  alle  Studien  darauf  zu  beziehen  und  so  den 
Kreis  des  Wissens  allmählich  zu  erweitern.  Dies  würde  pädagogisch 
richtig  gewesen  sein,  wenn  er  lauter  Schüler  wie  Ottfried  Müller  ge- 
habt hätte.  Für  die  grofse  Masse  seiner  Zuhörer  war  es  zu  beklagen, 
dafs  er  ihnen  nicht  einen  eng  begrenzten  Kreis  des  notwendig  zu 
Lesenden  anwies.  Infolge  dessen  begnügte  sich  die  Mehrzahl  mit  den 
Böckhschen  Kollegien,  und  Meineke  sprach  sich  als  Examinator  olt 
dahin  aus,  die  von  Berlin  kommenden  Kandidaten  hätten  selbständig 
wenifr    celesen.  •   Auch    Büchmann    dehnte    auf   der   Universität    seine 


400  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

klassische  Lektüre  nicht  genug  aus,  obgleich  er  sich  eine  sehr  schätzens- 
■\vertc  allgemeine  philologische  Bildung  erwarb.  In  den  letzten 
iSomestern  beschäftigte  er  sich  vorzugsweise  mit  Archäologie,  hörte 
bei  Panofka,  wurde  dessen  Amanuensis  und  gewann  viel  durch 
täglichen  Verkehr  mit  ihm. 

Das  Museum  besuchte  Büchmann  als  Student  fast  täglich,  und 
Theatervorstellungen  waren  für  ihn  ein  besonderer  Genufs,  um  so  mehr 
da  er  als  Gymnasiast  einmal  ernstlich  daran  gedacht  hatte,  Schauspieler 
zu  werden,  und  auf  die  Kunst  des  Vorlesens  stets  viel  Aufmerksam- 
keit verwandte.  Für  ein  Studentenkränzchen  redigierte  er  die  Bier- 
zeitung mit  viel  Humor  und  lieferte  sowohl  Artikel  als  Gedichte,  vor- 
zugsweise komischen  Inhalts.  Seine  poetische  Hauptlektüre  bildete 
Goethe,  und  seine  Bewunderung  galt  vorzugsweise  der  Unmittelbarkeit 
der  Elmpfindung  und  der  Leichtigkeit  der  lyrischen  Form.  Daher  ge- 
hörte auch  Hoffmann  von  Fallersleben  und  später  besonders  Mörike 
zu  seinen  Lieblingsdichtern.  Als  Student  machte  er  auch  die  damals 
herrschende  Begeisterung  für  Herwegh  mit. 

Die  Berliner  Studentenbewegung  im  Winter  1843  — 1844,  die 
von  der  Bildung  eines  akademischen  Lesekabinets  ausgegangen  war, 
aber  auch  Einsetzung  von  Ehrengerichten  und  in  letzter  Instanz  Be- 
seitigung  der  akademischen  Gerichtsbarkeit  erstrebte,  verfolgte  Büch- 
mann mehr  als  Zuschauer,  als  dafs  er  sich  lebhaft  daran  beteiligte. 
Er  ahnte  wohl,  dafs  durch  die  damaligen  allgemeinen  Studentenver- 
sammlungen nichts  erreicht  werden  könne.  Den  zum  Teil  der  Bauer- 
schen  Richtung  angehörenden  Litteraten,  mit  denen  viele  der  Studenten 
verkehrten,  blieb  er  ganz  fern. 

Büchmanns  äufsere  Erscheinung  während  seiner  Studentenzeit 
hatte  etwas  Auffallendes.  Aus  einem  blühenden  Knaben  war  ein 
hagerer  Jüngling  mit  langem  Halse  und  blassem  Gesicht  geworden  ; 
in  den  tiefliegenden  Augen  konnte  man  fast  etwas  Dämonisches 
finden,  und  um  den  Mund  spielte  oft  ein  faunisches  Lächeln.  Mau 
wurde  leicht  auf  ihn  aufmerksam  und  staunte  dann,  wie  sein  von 
Natur  kritischer  Geist  sich  in  schlagfertigem  Witze  äufserte,  wie  aber 
zugleich  eine  grenzenlose  Lebenslust  in  ihm  aufschäumte  und  sich 
doch  wieder  mit  dem  Talent  der  heitersten  und  liebenswürdigsten  Ge- 
selligkeit paarte.  Dabei  war  er  ein  treuer  Freund,  aufopfernd  bis  zur 
Selbstvergessenheit,  und  in  seinem  ganzen  Wesen  so  grundehrlich,  dafs 
er  sich,  wenn  er  kein  Vertrauen  hegen  konnte,  zur  Unduldsamkeit 
fortreifsen  liefs. 

Zu  Ostern  1844  ging  ich  nach  Halle,  und  Büchmann  verliel's 
Berlin  ein  oder  zwei  Semester  später,  um  eine  Hauslehrerstelle  in  der 
Nähe  von  Warschau  anzutreten  ;  wir  korrespondierten  aber  noch  eine 
Zeit  lang  miteinander.  Er  liel's  es  sich  sehr  angelegen  sein,  das 
Polnische  zu  erlernen,  was  ihm  auch  gewifs  in  verhältnismäfsig  kurzer 
Zeit   gelang,   da    er   nicht  nur  eine  grofse  Leichtigkeit  der  Aneignung 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  401 

besafs,  sondern  auch  Sprachidiome  scharf  beobachtete  und  überall  tief 
eindrang.  Das  Ergebnis  seiner  damaligen  Studien  war  eine  Dissertation 
über  die  charakteristischen  Differenzen  zwischen  dem  slavischen  und 
deutschen  Sprachstamme,  durch  die  er  im  Oktober  1845  aus  Erlangen 
das  philosophische  Doktordiplom  erhielt.  Von  Polen  aus  ging  er  nach 
Paris ;  aber  ich  weifs  nicht  genau  anzugeben,  wann  er  dorthin  über- 
siedelte und  wie  lange  sein  Aufenthalt  gedauert  hat.  Als  Lehrer  an 
einem  Institut  fand  er  eine  günstige  Gelegenheit,  sich  mit  der  Sprache 
vertraut  zu  machen,  und  wie  glücklich  ihm  dies  gelungen  war,  hat  er 
später  hinlänglich  bekundet.  Es  ist  mir  wahrscheinlicli,  dafs  er  sich 
infoige  der  Zustände  nach  der  Februarrevolution  veranlafst  sah,  Frank- 
reich zu  verlassen;  vielleicht  erhielt  er  dadurch  nur  einen  unmittelbaren 
Anstofs  zur  Rückkehr  und  wünschte,  da  er  des  Französischen  Herr 
geworden  war,  schon  längst  sich  in  seinem  Vaterlande  eine  dauernde 
Wirksamkeit  zu  begründen.  Im  September  des  Jahres  1848  bestand 
er  vor  der  Berliner  Prüfungskommission  das  Examen  pro  facultate 
docendi,  indem  das  Französische  sein  Hauptfach  bildete.  Es  wurde 
im  Zeugnis  seine  pädagogische  Begabung  und  seine  schon  geübte 
Lehrweise  rühmend  anerkannt.  Nachdem  er  sich  längere  Zeit  mit 
dem  Englischen  beschäftigt  hatte,  holte  er  sich  auch  in  dieser 
Sprache  eine  facultas  nach,  entschlossen,  sich  fortan  ganz  dem  Studium 
der  neueren  Sprachen  zu  widmen  und  das  des  klassischen  Altertums 
nur  aus  alter  Anhänglichkeit  zur  Erfrischung  in  Mufsestunden  zu 
betreiben. 

Büchmann  ging  bald  als  Lehrer  an  die  Saldernsche  Realschule 
in  Brandenburg  und  blieb  drei  Jahre  lang  an  derselben  thätig.  Er 
stand  auch  noch  in  späteren  Jahren  in  einem  Verhältnis  der 
Freundschaft  zu  dem  Direktor  Riebe  und  erkannte  stets  bereitwillig 
an,  dafs  er  von  diesem  eigentlich  pädagogisch  und  praktisch  ge- 
schult sei.  Von  Brandenburg  siedelte  er  dann  wieder  nach  Berlin 
über,  erhielt  eine  Lehrerstelle  an  der  Friedrich- Werderschen  Ge- 
werbeschule und  verliefs  diese  Anstalt  nicht  mehr,  bis  er  sich  1877 
pensionieren  liefs. 

Büchmanns  erstes  Auftreten  als  Schriftsteller  ist  von  H.  Pröhle, 
dessen  Nekrolog  sich  in  der  Vossischen  Zeitung  vom  20.  Februar 
findet,  nicht  ganz  richtig  dargestellt  worden.  Es  mag  seine  Richtigkeit 
haben,  dafs  er  eine  Zeit  lang  einem  „Verein  dichtender  Freunde"  an- 
gehörte, obgleich  es  immerhin  auffallend  erscheint,  dafs  die  Beziehungen 
zu  den  meisten  in  jenem  Artikel  aufgezählten  Mitgliedern  später  voll- 
ständig abgebrochen  waren;  jedenfalls  haben  seine  Märchen  ihren 
Ursprung  dem  erwähnten  Vereine  nicht  verdankt.  Vielmehr  verkehrte 
Büchmann  mit  seinem  etwas  jüngeren  Schulbekannten  Ludwig 
Pomtow  täglich  in  dem  Hause  des  Töchterschuldirigenten  Vogler, 
wozu  auch  der  bekannte  Jugend-  und  Volksschriftstclier  Ferdinand 
Schmidt   gehörte.     Diese   beiden   sind    von   den    in   Pröhlos   Artikel 

Archiv  f.  n.  Spraclion.  LXXI.  •"" 


402  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

aufgezählten  Musenjöngern  die  einzigen,  die  Büchmann  selbst  später 
erwähnt  hat,  während  von  den  Beziehungen  zu  den  übrigen  seiner 
näheren  Freunde  nichts  bekannt  geworden  ist.  Den  Kindern  Voglers 
erzählten  nun  Büchniann  und  Pomfow  des  Abends  selbsterfundene 
Märchen,  und  liefsen  sich  durch  den  Beifall,  den  dieselben  fanden,  zur 
Aufzeichnung  und  später  zur  Herausgabe  bestimmen.  Diese  Märchen 
sind  nun  sehr  verschiedener  Art,  und  wir  wissen,  dafs  die  komischen 
von  Büchmann,  die  sentimental  gehaltenen  von  Pomtow  herrühren. 
Obwohl  Büchmann  selbst,  als  er  später  durch  Vertiefung  seiner  litterar- 
historischen  Studien  eine  richtige  Erkenntnis  vom  Unterschied  zwischen 
Kunstepos  und  Volksepos  gewonnen  hatte  und  nicht  umhin  konnte, 
dieselbe  auf  Märchendichtung  und  Volksmärchen  anzuwenden,  auf 
diese  Jugendversuche  keinen  sehr  grofsen  Wert  mehr  legte,  so  wäre 
es  doch  zu  wünschen,  dafs  die  von  ihm  herstammenden,  von  denen 
manche  in  Sammlungen  übergegangen  sind,  noch  einmal  besonders 
abgedruckt  würden. 

Zu  Ostern  1858  schrieb  Büchmann  für  das  Programm  der 
Friedrich-Werderschen  Realschule  eine  Abhandlung  über  Longfellow. 
Dieser  nur  15  Seiten  füllende  Aufsatz,  in  welchem  sämtliche  bis  dahin 
erschienene  Werke  Longfellows,  besonders  aber  die  „ethnographischen 
Dichtungen"  besprochen  sind,  zeichnet  sich  ebenso  sehr  durch  Klar- 
heit der  Darstellung  und  Angemessenheit  der  Sprache  als  durch  ge- 
sunde Kritik  aus.  Der  Verfasser  ist  weit  entfernt  von  der  Krankheit, 
die  Macaulay  als  Ines  Boswelliana  bezeichnet,  d.  h,  von  der  Tendenz, 
seinen  Helden  zu  überschätzen  und  alles  an  ihm  göttlich  zu  finden;  im 
Gegenteil,  er  erkennt  dessen  Schwächen  ebenso  sehr  an  als  sein 
glückliches  Talent  und  hebt  neben  der  an  Beispielen  nachgewiesenen 
ansprechenden  Schilderung  lieblicher  Scenen  auch  ebenso  gut  den  her- 
kömmlichen didaktischen  oder  allgemein  reflektierenden  Schlufs  hervor, 
durch  den  die  Täuschung  der  Phantasie  wieder  aufgehoben  wird.  In- 
dem ein  Ausspruch  von  ^^mile  Monte  gut  zu  einer  allgemeinen  Charak- 
teristik des  amerikanischen  Dichters  erweitert  wird:  „il  charme  plus 
qu'il  n'etonne",  ergiebt  sich,  wie  er  vorzugsweise  zum  geeigneten 
Vermittler  zwischen  seiner  Heimat  und  der  Kultur  der  alten  Welt  be- 
rufen war.  Besonderen  Wert  hat  die  Arbeit  noch  dadurch,  dafs  der 
Verfasser  auch  das  1845  erschienene  umfangreiche  Werk  The  Poets 
and  Poetry  of  Europe,  welches  nur  wenige  Deutsche  zu  Gesicht  be- 
kommen haben,  herbeizieht  und  auf  dessen  Inhalt,  mitgeteilte  Über- 
setzungsproben von  Longfellow  selbst  wie  von  anderen,  in  aller 
Kürze  eingeht. 

Im  Sommer  1858  kehrte  ich  nach  einem  mehr  als  achtjährigen 
Aufenthalt  in  England  in  das  Vaterland  zurück  und  fand  Büchmann, 
mit  dem  ich  schon  zwei  Jahre  vorher  auf  einem  Besuch  in  Berlin  die 
alte  Freundschaft  erneuert  halte  und  täglich  zusammen  gewesen  war, 
als   jungen    Ehemann    wieder.      Als    ich    ein    Vierteljahr    später    eine 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  403 

Lehrerstelle  in  Berlin  antrat,  war  seine  Frau,  mit  der  er  ein  Jahr  lang 
verheiratet  gewesen,  gefährlich  erkrankt;  sie  starb  nach  wenigen  Tagen. 
Zu  Neujahr  1859  zog  ich  dann  zu  Büchmann  und  wohnte  drei 
Vierteljahre  lang  bei  ihm.  Wir  waren  wieder  Avie  in  alter  Zeit  durch 
Gemeinsamkeit  der  Studien  vereint  und  harmonierten,  obgleich  sich 
jeder  in  seiner  Weise  entwickelt  hatte  und  ein  ganz  anderer  geworden 
war,  doch  nicht  minder  als  vor  anderthalb  Decennien.  Es  war  ein 
heiteres  und  inniges  Zusammenleben,  von  dem  scherzhaft  bemerkt  wor- 
den ist,  es  habe  sich  schwer  sagen  lassen,  wer  das  männliche,  wer 
das  weibliche  Princip  dieser  Ehe  gewesen  sei.  Wöchentlich  einmal 
traf  sich  bei  uns  ein  Kreis  von  alten  und  neuen  Freunden,  zu  denen 
Büchmanns  noch  in  Berlin  lebender  Schulbekannter  Dr.  Ludwig 
Schwerin,  sein  damaliger  Kollege  der  Historiker  David  Müller, 
später  Professor  in  Karlsruhe,  Professor  de  Lagard e  in  Göttingen 
und  Dr.  Ludwig  ^Daffis  gehörten.  Bisweilen  kam  auch  Professor 
Herr  ig,  mit  dem  sich  Büchniann  oft  sah  und  dessen  Verein  für  das 
Studium  der  neueren  Sprachen  Büchmann  mit  ins  Leben  gerufen  hatte. 
Büchmann  war  1858  und  noch  lange  nachher  einer  der  beiden  Schrift- 
führer und  eins  der  eifrigsten  Mitglieder  sowohl  durch  Vorträge  als 
durch  Beteiligung  an  den  Debatten.  Er  lieferte  auch  für  das  Archiv 
wertvolle  Beiträge,  insbesondere  Ergänzungen  zu  den  englischen 
Wörterbüchern,  wie  dies  später  in  umfassender  Weise  von  Hoppe 
geschehen  ist.  Er  konzentrierte  seine  Studien  dann  allmählich  auf  das 
Altfranzösische  und  beschäftigte  sich  insbesondere  mit  dem  karolingi- 
schen  Cyklus. 

Als  Lehrer  war  Büchmann  im  höchsten  Grade  anregend,  dabei 
aber  auch  gründlich  und  genau  im  Einzelnen,  wie  er  in  der  Wissen- 
schaft allgemeine  Gesichtspunkte  mit  dem  Eingehen  auf  das  Detail 
vereinigte.  Er  gab  seinen  Schülern  stets  eine  volle  Anschauung,  sei 
es  nun  des  Ideenkreises  eines  Schriftstellers  und  der  Verhältnisse 
seiner  Zeit,  sei  es  des  jetzigen  Lebens  und  der  Sitten  des  fremden 
Volkes.  Dabei  unterstützte  ihn  Lebendigkeit  des  Vortrags,  der  durch 
pikanten  Ausdruck  und  durch  Formgewandtheit  die  Zuhörer  fesselte. 
Der  einzelnen  Schüler,  insbesondere  der  begabteren  und  strebsameren 
nahm  er  sich  mit  liebevollem  Wohlwollen  an,  dessen  sie  sich  noch 
immer  dankbar  erinnern.  Er  beklagte  nnr,  dafs  an  einer  lateinlosen 
Realschule  den  idealeren  Interessen  weniger  Raum  gewährt  war,  als 
er  wohl  gewünscht  hätte. 

Im  Herbst  des  Jahres  18G0  verheiratete  sich  Büchmann  wieder, 
und  zwar  mit  der  jüngsten  Schwester  seiner  verstoibenon  Frau.  Er 
hatte  wie  schon  in  seiner  ersten  Ehe  eine  sehr  glückliche  Wahl  ge- 
troffen; denn  beide  Frauen  verstanden  ihn  und  bereiteten  ihm  eine 
glückliche  Häuslichkeit. 

Als  der  Verein  für  das  Studium  der  modernen  Sprachen  im 
Winter  1861    eine  Reihe   von  Vorlesungen  im  Konzertsaal  des  Schau- 

26* 


404  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Spielhauses  veranstaltete,  um  Reisestipendien  für  junge  Philologen  zu 
stiften,  wurde  Biichmann  in  weiteren  Kreisen  bekannt  durch  eine  Vor- 
lesung: „Über  den  Berliner  Adrefs kaiende r."  Er  stellte 
darin  unsere  Familiennamen  gruppenweis  zusammen  und  gab  An- 
deutungen über  den  Ursprung  derselben.  Noch  mehr  Glück  hatte  ein 
zwei  Jahre  später  vor  derselben  Zuhörerschaft  gehaltener  Vortrag: 
„Geflügelte  Worte."  Büchmann  kannte  das  Werk  von  Fournier, 
das  den  Titel  führt  L'Esprit  des  Autres,  und  war  dadurch  zu  einer 
Arbeit  über  die  im  Deutschen  gäng  und  gäben  Citate  angeregt  worden, 
die  er  jedoch  von  vornherein  in  einer  wissenschaftlicheren  Weise  an- 
griff, als  es  von  dem  französischen  Schriftsteller  geschehen  war,  indem 
er  namentlich  allgemeine  Kriterien  zu  gewinnen  suchte  und  insbesondere 
auf  die  Entstellung  der  Dichterworte  im  Munde  des  Volkes  hinwies. 
Einen  gewissen  Anhalt  besafs  er  auch  an  einer  anonym  erschienenen, 
ohne  Zweifel  von  einer  Dame  herrührenden  Sammlung  Hancibook  of 
Familiär  Quotations  (a  new  edition  1853),  die  er  öfter  in  den  Händen 
gehabt  hatte.  Indem  er  nun  über  die  Ankündigung  seines  Vortrags 
nachsann,  fiel  ihm  auf  einem  Spaziergang  plötzlich  die  Bezeichnung 
als  geflügelte  Worte  ein.  Wie  es  so  oft  der  Fall  ist,  mochte  auch 
hierbei  eine  Reminiscenz  im  Spiel  sein;  denn  Büchmann  kannte  Home 
Tooke's  Epea  Pteroenta,  or  the  Diversions  of  Furley  aus  dem  Auszug 
von  Richardson,  on  the  Study  of  Language  etc.,  Lond.  1854.  Er  gab 
nun  dem  Homerischen  Ausdruck  eine  neue  Deutung,  die  seitdem  all- 
gemein üblich  geworden  ist.  Geflügeltes  Wort  als  Bezeichnung  des  in 
den  allgemeinen  Sprachschatz  übergegangenen  Citats  ist  selbst  schon 
längst  als  ein  geflügeltes  Wort  zu  bezeichnen. 

Die  Vorlesung  erschien  1864  zu  einem  Buche  erweitei't  im 
Haude-  und  Spenerschen  Verlag  und  machte  erstaunlich  viel  Aufsehen, 
so  dafs  der  Verfasser,  indem  fortwährend  neue  Auflagen  nötig  wurden, 
bald  ein  berühmter  Mann  war.  Es  ist  weit  über  ein  halbes  Hundert- 
tausend Exemplare  verkauft  worden,  und  die  Nachfrage  scheint  immer 
noch  zuzunehmen.  Da  der  Verfasser  unablässig  bemüht  war,  seine 
Sammlung  zu  vermehren,  zu  sichten  und  eingeschlichene  Irrtümer  zu 
verbessern,  da  er  von  den  verschiedensten  Seiten  und  aus  den  fernsten 
Ländern  Zuschickungen  mit  Beiträgen  erhielt,  so  war  die  Fortarbeit 
an  den  geflügelten  Worten  geradezu  zu  einer  Lebensaufgabe  ge- 
worden. Das  Register  der  Korrespondenten  ist  auf  906  Namen  an- 
gewachsen. 

Nachdem  Büchmann  1872  in  Anerkennung  seiner  Leistungen 
den  Professortitel  erhalten  hatte,  mufste  er  sich  infolge  eines  Rücken- 
markleidens  1877  pensionieren  lassen.  Er  widmete  seine  Mufse  aus- 
schliefslich  der  Durcharbeitung  seines  Hauptwerks,  bis  er  durch  zu- 
nehmende Körperschwäche  und  durch  die  endlich  eingetretene  Um- 
nachtung seines  Geistes  daran  verhindert  wurde.  Er  starb  am 
24.  Februar  1884. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  405 

Büchmann  war  ein  durchaus  mannhafter  Charakter,  ausgezeichnet 
durch  die  Grundtugenden  des  germanischen  Volksstamraes,  Treue, 
Ehrenhaftigkeit  und  unbedingte  Wahrheitsh'ebe.  Mit  Freude  an  seinem 
Schaifen  vereinte  er  die  anspruchsloseste  Bescheidenheit.  Streng  gegen 
sich  selbst,  war  er  liebevoll  gegen  andere,  anerkennend  und  voll 
AVohlwollen.  Nur  der  Lüge  und  hohlen  Phrase,  oder  der  Unduldsam- 
keit gegenüber  konnte  er  schroff  werden.  Seine  gelegentliche  Rück- 
sichtslosigkeit ging  aber  aus  der  Aufrichtigkeit  seines  Wesens 
hervor.  Seinen  religiösen  und  gemäfsigt  liberalen  politischen  An- 
sichten ist  er  bis  zum  Tode  treu  geblieben.  Sowohl  seiner  geistigen 
Kraft  als  seinem  sittlichen  Wesen  nach  war  er  ein  bedeutender 
Mensch.  — 

Herr  Michaelis  besprach  das  erste  Heft  der  neuen  Zeitschrift 
von  Techmer  und  empfahl  dasselbe  der  Beachtung.  Es  enthält  zwei 
Aufsätze  von  Techmer  selbst.  (Es  giebt  eine  unübersehbare,  kontinuier- 
liche Reihe  von  Vokalen.  Die  typischen  Laute  einer  Sprache  müssen 
so  w^eit  voneinander  abliegen,  dafs  sie  für  das  Ohr  auffafsbar  sind.) 
Techmer  giebt  zunächst  eine  akustische  Gruppierung  in  einem  System 
von  sieben  von  a  ausgehenden  Reihen,  von  denen  vier  nach  oben, 
drei  nach  unten  gerichtet  sind,  wodurch  indes  nach  Ansicht  des  Refe- 
renten das  System  der  Vokallaute  zerrissen  wird.  Techmer  giebt  dann 
auch  ein  physiologisch  genetisches  System  in  Kreuzstellung.  Da  aber 
die  akustischen  Eigenschaften  von  den  physiologischen  als  Vorbe- 
dingungen abhängen,  so  kommt  Techmer  schliefslich  wieder  auf  das 
Dreieck  zurück.  Vietor  giebt  in  seiner  Zeitschrift  für  Orthographie 
eine  neue  Anordnung,  indem  er  das  Dreieck  ungleichseitig  macht. 
Alan  kommt  nach  Meinung  des  Referenten  eben  immer  wieder  auf  das 
Dreieck  zurück. 

Herr  Wetz  el  sprach  über  Franke,  Die  praktische  Spracherlernung 
auf  Grund  der  Psychologie  und  der  Physiologie  der  Sprache.  Das 
Schriftchen  enthält  fruchtbare  und  anregende  Gedanken,  die  auf  die 
Schule  zu  übertragen,  nach  Meinung  des  Referenten  aber  weder  mög- 
lich noch  wünschenswert  sei,  da  die  Schule  vor  allem  für  die  Lektüre 
der  Schriftsteller  zu  befähigen  habe.  Dem  beistimmend,  bemerkte 
Herr  Zupitza,  dafs  das  Schriftchen  erträglicher  sei  als  die  dasselbe  in 
mafsloser  Weise  lobende  Recension  von  Schroer. 

Herr  Förster  empfahl  Passarge,  Reisebriefe  aus  dem  heutigen 
Spanien  und  Portugal.  Der  Verfasser  erweist  sicli  als  viel  gereister, 
vorurteilsfreier,  wahrheitsliebender,  mit  wissenschaftlichen  Kenntnissen 
mancherlei  Art  ausgerüsteter  Mann.  Besonders  interessant  ist 
CS,  zu  sehen ,  wie  ihm  allmählich  die  Augen  aufgehen  und  er 
frühere  irrige  Anschauungen  berichtigen  lernt.  Speciell  dankenswert 
sind  die  Mitteilungen  aus  Portugal,  über  das  es  wenig  Reiseberichte 
giebt. 


406  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  Vatke  sprach  über  die  Courtoisie.  Courtoisie,  Höf- 
lichkeit, bedeutet  höfisches  und  höfliches  Wesen.  Dies  zeigt  sich  nun 
;:iinächst  in  der  AVahl  der  Worte,  der  Sprache.  Die  Cento  Novelle 
antiche,  deren  Abfassung  vor  das  Jahr  1300  fällt,  haben  die  aus- 
gesprochene Absicht,  gegenüber  der  Vulgtärsprache  des  Volkes  eine 
feinere  Schriftsprache  geltend  zu  machen:  sie  nennen  dies  das  Curiale, 
die  höfische  Sprache.  Jak.  Burckhardt,  Geschichte  der  Renaissance 
in  Italien,  S.  298  führt  aus,  dafs  das  Curiale  im  13.  Jahrhundert  den 
Höfen  und  ihren  Dichtern  in  Italien  gemeinsam  war.  Der  Zweck  des 
Curiale  und  des  bei  parlare  ist  nach  ihm  der  einfach  klare,  geistig 
schöne  Ausdruck  in  kurzen  Reden.  Man  erkennt  das  Vorbild  des 
klassischen  Altertums.  Was  dort  bei  parlare  genannt  wird,  heifst  bei 
Chaucer  fayr  langage.  Der  Ritter  Chaucers  C.  T.  69  nevere  yit 
no  vileinye  ne  sayde,  in  seinem  Benehmen  (port)  ist  er  meke  as 
is  a  mayde.  Chaucers  Ritter  aber  ist  das  Ideal  eines  solchen  (a  verray 
perfight  gentil  knight).  Zum  Vermeiden  der  vileinye  gehört  aber 
auch  das  Vermeiden  des  Fluchens,  Von  der  Nonne,  der  Prioresse, 
die  sich  bemüht  die  Art  des  Hofes  (cheere  of  court)  nachzuahmen, 
heifst  es  (132):  „In  curtesie  was  set  ful  moche  hire  leste.  Alles 
Schwören  begrenzt  sie  auf  ein  Minimum:  Hir  gretteste  ooth  ne 
Avas  but  by  seynt  Loy."  Wie  beunruhigt  sich  doch  der  brave  Join- 
V  i  1 1  e  darüber,  dafs  man  in  Frankreich  so  viel  fluche,  dafs  das  Gott 
gar  sehr  mifsfallen  müsse.  —  B.  Jonson,  Ev.  m.  out  of  h.  h.  (IH,  1) 
hält  es  für  Pflicht  eines  Renommisten:  to  discharge  a  good  füll  oath. 
Dieser  Gegensatz  der  volkstümlichen  und  der  höfisch-höflichen  Rede- 
weise hat  sich  im  Munde  des  Volkes  hier  und  da  in  seiner  ursprüng- 
lichen Bedeutung  erhalten.  Wenn  nämlich  das  Volk  in  Thüringen 
unter  „höflich  schwätze"  versteht  „hochdeutsch  reden"  und  sein  eigenes 
Platt  das  der  „groben  Thüringer"  nennt,  so  hat  es  den  sprach- 
lichen Gegensatz  vollkommen  festgehalten.  Wie  sich  aber  im  Deut- 
schen die  Vorstellung  des  Höflichen  oder  Höfischen  mit  der  des  Ge- 
sitteten, Zierlichen  —  des  Gebildeten,  möchten  wir  sagen  —  ver- 
schmolzen, zeigt  die  Entwickelung  des  Wortes  in  Form  und  Bedeu- 
tung: denn  aus  hövesch  ward  hübsch,  ein  Wort,  das  z.  B.  im 
Nibelungenliede  (13.  Jahrhundert)  neben  dem  ersteren  gleichbedeutend 
vorkommt.  „Hübschen  mit  den  vrowen"  (Nib.  855,  4)  bedeutet, 
ihnen  den  Hof  machen.  Es  liegt  aber  nahe,  dafs  der  Begriff  des 
Freundlichen  in  den  des  Gütigen  überhaupt  übergeht.  Und  so 
verzeichnet  Grimm  (Wörterbuch):  „aus  Keisersberg,  eschengrüdel : 
o  herr  mein  gott,  schöpfer,  erlöser  und  mein  behalter,  aller  mech- 
tigster,  aller  weisester,  aller  bester,  ganz  hübsch,  süfs  und 
barmherzig." 

Man  wird  daher  verstehen,  dafs  Chaucer  von  our  courteous 
lord  Jesus  spricht.  Die  Courtoisie  is  eben  begrifflich  geschmolzen 
in  den  weiteren  Begriff  der  Güte.    So  sagt  Joinville  (261):    Ceste 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  407 

graut  courtoisie  fist  Diex  ä  moyet  k  mes  Chevaliers;  car  uous 
oussions  le  soir  guete  en  grant  peril. 

Die  Courtoisie  kennzeichnet  sich  nun  weiter,  nach  aufsen 
wie  nach  innen,  in  dem  Mafshalten.  Perceforest  III,  147  sagt 
geradezu:  Courtoisie  et  mesurc  est  une  mesme  chose.  Das  ent- 
spricht einem  bereits  damals  vielhundertjährigen  Bcwurstsein.  Denn 
schon  im  „Leben  der  Kaiserin  Adelheid"  (im  10.  Jahrli.)  wird  die 
„Mafse"  „die  Mutter  aller  Tugenden"  genannt.  Dieses  Einlialtcn  des 
Mafses  ist  von  der  courtoisie  unzertrennlich  und  erstreckt  sich  auch 
auf  den  Anzug.  So  rühmt  Chaucer  von  seiner  Virginia,  dafa  sie 
in  Kleidung  und  Benehmen  Mafs  gehalten  (With  mesure  eke  of  bering 
and  array).  Den  Gegensatz,  das  nicht  Mafs  halten,  bezeichnete  der 
Fjanzose  mit  oultragenx,  engl.;  outrageous.  Christine  de  Pisan  z.  B. 
cmptiehlt  ihrem  fürstlichen  Sohne;  Item,  ordonne  que  ilz  ne  portent 
habiz  oultrageux  ne  autres  que  leur  appartiennent.  Und  Chaucer 
tadelt  the  outrageous  array  of  women. 

Die  Courtoisie  war  zum  Inbegriff  aller  Tugenden  geworden. 
Auch  Gottfried  von  Strafsburg  nennt  bescheidenheit  und  hö feschen 
sin  zusammen,  als  zueinander  gehörig: 

Ir  kleider  waren  üf  geleit 

mit  vier  bände  richeheit, 

unt  was  der  vierte  ieghch 

in  ir  ambete  rieh : 

daz  eine,  daz  was  höher  muot ; 

daz  ander,  daz  was  volles  guot; 

daz  dritte  was  bescheidenheit, 

diu  disiu  zwei  zesammene  sneit; 

daz  vierte,  daz  was  höveicher  sin, 

der  näte  disen  allen  drin. 

Immer  wieder  wird  dies  höfesche  Wesen  dem  bäuerlichen  ent- 
gegengesetzt. Dies  hebt  Mätzner  in  seinen  Altfranzösischen  Liedern 
hervor;  „Das  ,hövesche'  hübsche  (courtois) ,  dem  ,dörperlichen' 
(vilain)  entgegengesetzt,  deutet  in  der  mittelalterlichen  Dichtung 
das  fein  gesittete  und  gebildete  Wesen  an  und  ist  ein  ehrendes 
Attribut." 

Im  allegorischen  Roman  de  la  Rose,  der  im  14.  und  15.  Jahrb. 
eine  so  grofse  Rolle  in  der  europäischen  Littcratur  spielte,  der  von 
Chaucer  übersetzt  ward,  dem  Petrarca  nur  antike  Dichtungen  an  die 
Seite  zu  stellen  wagte,  tritt  auch  die  Courtoisie  als  allegorische  Figur 
auf;  sie  heilst  (Vers  784)  Cortoise  la  vaillant  et  la  debonaire. 
Spenscr,  der  anachronistischerweise,  am  Schlufs  des  IG.  Jahrb.,  die 
Ritterpoesie  in  England  noch  einmal  zu  Ehren  bringen  wollte,  widmet 
den  ganzen  sechsten  (Schlufs-)Gesang  seiner  Fairy  Queen  der  Courtoisie : 

Dem  Hofe  nach  nennt  man  die  Höflichkeit . . . 
Die  allen  guten  Sitten  Grund  gegeben 
Und  art'ger  Unterhaltung  Wurzel  ist. 


408  Sitzungen  der  Berliner  Gesellscliaft 

Doch  wir  gehen  zum  14.  Jalirli.  zurück  und  lesen  im  Altfranzös.: 

Cortoise  et  sage  et  simple  sens  orgueil, 
Gente  de  cors  et  de  clere  facon. 

Die  Demut  also  tritt  uns  hier  als  Bestandteil  der  Courtoisie 
entgegen.  Damit  stimmt  Chaucer  (v.  1477),  der  von  dem  Mädchen 
sagt:  Curteis  she  was,  discrete  and  debonaire.*  Die  Basis  der 
Courtoisie  nämlich  wie  die  der  ganzen  Romantik  ist  eine  christlich- 
religiöse, mithin  eine  sittliche.  In  des  Pfaffen  Lamprechts  Alexander- 
sage (im  12.  Jahrh.)  Avill  der  Held,  nachdem  er  Indien  und  die  Welt 
erobert,  auch  das  Paradies  „mit  Gierigkeit"  erstreiten:  aber  er  mufs 
umkehren  an  den  Pforten  desselben,  weil  ihm  die  Demut  fehlt.**  So 
finden  wir  denn,  wo  das  Lob  des  „Höflichen"  erteilt  ist,  gewöhnlich 
den  erläuternden  Zusatz  von  der  Dienstfertigkeit  und  Demut  der  ge- 
rühmten Person.  In  seinem  unvergleichlichen  Prolog  zu  den  Canter- 
bury  Tales  sagt  daher  Chaucer  von  dem  Junker  (Vers  99):  curteis 
he   was,   lowly  and   servisable.     Und    von   seinem  Ritter  sagt 

Chaucer : 

he  loved  Chevalrie, 
Trouthe  and  honoür,  fr e dorn  and  cur te sie. 

Wie  nun  die  Courtoisie  das  Ideal  der  Menschheit  überhaupt,  so 
ist  es  auch  dasjenige  der  Erziehung  und  der  Schule  (der  Bildung). 
Wir  beziehen  uns  auf  Furnivall,  Education  in  Early  England 
(London  1867).    Da  heifst  es  (p.  5): 

The  child  was  taught  great  nurterye; 
a  Master  had  him  under  his  care, 
and  taught  him  curtesie. 

(Tryamore,  in  Bp.  Percys  Folio-Ms.  vol.  II,  ed.  1867.) 

Und  ferner: 

It  was  the  worthy  Lord  of  learen, 
he  was  a  Lord  of  hie  degree ; 
he  had  noe  more  children  but  one  soune, 
he  sett  bim  to  schoole  to  learne  curtesie. 
(Lord  of  Learne,  Bp.  Percys  Folio-Ms.  vol.  I,  p.  182,  ed.  1867.) 

Die  Courtoisie  also  ist  lehrbar,  wie  später  die  Tugend  (eine 
Frage,    über  die   Sokrates   und    Plato    lange   Dialoge   geredet   haben). 

Wie  im  14.  Jahrh.  das  Ziel  des  Unterrichts,  das  Abstrak- 
tum,  dem  nachgejagt  wurde,  die  Cour  toi  sie  war,  so  wurde  es  im 
18.  Jahrh.  die  Tugend;  so  geniefsen  in  Fieldings  Tom  Jones 
(III,  5)  die  Knaben  hinreichenden  Unterricht  zur  Tugend  und 
wahren    (d.    i.   mit    der  Vernunft   nicht    widerstreitenden)   Religion. 


*  V.  250  (von  Friar)  sagt  Chaucer:  Curteys  he  was,  and  lowly  of 
servyse.  Ther  nas  no  man  nowlier  so  vertu ous  (da  ist  die  Identität  der 
Courtoisie  mit  der  Tugend  einfach  ausgesprochen). 

•*  Ein  Tisch  des  King  Henry  VIII.  trug  das  Motto:  Humilitatem  sequitur 
gloria. 


für  das  Studium  der  neueren  Spraelien.  409 

Und  wenn  der  Ritter  Chaucer.s,  des  14.  Jahrh.,  honoür  and  curtesie 
liebte,  so  läfst  derjenige  des  sich  neigenden  17.  Jahrh.  auf  seinen 
Degen  eingravieren:  j'aime  l'honneur  qui  vient  par  la  vertu  (in  der 
BerHner  Kuhmeshalle).  Im  15.  Jahrh.  stellt  Caxton  das  Book  of 
Curtesie*  zusammen  —  eine  Reihe  meist  langweiliger  oder  sehr 
naiver  Anstandsvorschrifton.  Aber  der  Begritf  der  Courtoisic  stellt  und 
fällt  mit  dem  Rittertum,  das  ja  eigentlich  nur  vorhanden  ist,  um  die 
Kirche  Christi  zu  schützen:  the  swerd,  sagt  Chaucer,  de  septem 
peccatis  mortalibus,  that  men  yeven  first  to  a  knight  signifieth  that 
he  shal  defend  holy  Chirche. 

Wie  das  wuchtige  Schwert  des  Ritters,  der  für  Christum  ficht, 
sich  allmählich  verflüchtigt  in  den  zierlichen  Galanterie-Degen  des 
Hofmanns,  so  zergeht  die  tief  sittliche  inhaltsreiche  Vorstellung  der 
Courtoisie  in  die  rein  äufserliche  Höflichkeit. 

Als  aber  die  Sonne  der  Courtoisie,  im  13.  und  14.  Jahrh.,  in 
ihrem  Zenith  stand,  da  beherrschte  sie  vor  allem  auch  die  Welt  der 
Liebe  und  der  Ehre,  eine  Welt,  in  welcher  der  Feudale  sich  als 
den  einzig  Berechtigten  ansah :  das  Gefühl  eines  unberechtigten 
Hochmutes  und  des  Stolzes  aber  weifs  er  sehr  geschickt  in  sich  zu 
beschwichtigen,  indem  er  diese  Bevorzugung  auf  den  Willen  Gottes 
zurückführt:  der  Adelige,  der  höhere  Ehre  von  Gott  empfangen,  sei 
Gott  auch  zu  mehr  Dank  verpflichtet  und  mehr  als  der  Nichtadelige 
verbunden,  auf  Ehre  zu  halten.  Dies  findet  sich  mit  grofser  Deutlich- 
keit auseinandergesetzt  in  dem  Breviaire  des  Nobles  des  Alain 
Chartrier  (im  15.  Jahrh.): 

üieu  tout  puissant,  de  qui  noblesse  vient  . .  . 

pour  tenir  la  terra  en  union 

a  ordonne  chascun  en  son  office, 

ly  ung  seigneur,  l'autre  en  subjection, 

pour  foy  garder  et  pour  vivre  en  justice. 

Cil  qui  de  dieu  le  plus  de  honneur  obtient 

par  seigneurie  et  domination 

plus  est  tenu  et  plus  luy  appartient 

d'avoir  en  lui  entiere  aff'ection 

crainte  et  honneur,  bonne  devocion 

et  vergoigne  de  niefi'ait  et  de  vice. 

Dafs  aber  der  Nichtadelige  nach  der  Minne  nicht  zu  streben  hat, 
sagt  Wolfram  v.  Eschenbach  im  Parzival: 

vil  hohes  topeis  er  doch  spilt, 

der  an  riterschaft  nach  mumen  zilt. 

Ein  sehr  hohes  Spiel  (topeis,  franz.  doublet,  Würfelspiel)  spielt 
doch,  wer  ohne  Ritterschaft  nach  Minne  strebt.    Dafs  courtoisie  Wesen 


*  FA.  Furnivall  (London  1868): 

[13]  Aduise  yon  wel  whan  ye  take  your  disporte 
Honest  games  that  ye  haunte  and  use 
And  suche  as  beii  of  vylayns  reporte 
I  conceyl  yon  niy  cbyld  that  ye  refuse. 


410  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

des  Hofes  ist,  bedarf  keiner  Erläuterung:  wohl  aber  bedarf  es  einer 
Erläutcrunc;,  wie  dieses  höfische  Wesen  so  allgemein  als  Vorbild  und 
Muster  angesehen  werden  konnte.  Wer  in  der  Masse  —  auch  der 
höheren  Stände  —  weifs  denn  heutzutage  so  genau,  wie  es  bei  Hofe 
zugeht?  Das  war  früher  ganz  anders,  wie  auch  Macaulay  in  State  of 
England  in  1685  richtig  hervorhebt.  Der  Hof  trat  viel  mehr  in  die 
Erscheinung  als  in  unserer  Zeit  —  man  kannte  denselben  und  konnte 
also,  wie  Chaucers  Nonne  bereits,  die  Manieren  desselben  nachahmen. 
Ein  guter  Anzug  verschaffte  Zutritt  bei  Hofe :  an  he  had  good  clothes, 
l'd  carry  him  to  court  with  me  (Ev.  m.  out  II,  1).  (Vergl.  John 
Skelton,  Why  come  ye  nat  to  Courte?)  Für  die  Dramatiker  und 
Satiriker  des  16.  u.  17.  Jahrh.  in  Shakespeares  England  bildet  es  eine 
unerschöpfliche  Quelle  des  Hohnes,  dafs  der  Bürger  das  Wesen  des 
Hofes  nachahmt:  sich  bis  auf  den  Schnitt  seiner  Kleider  dem  Hofe 
gleichzustellen  sucht..  Die  silken  fellows  of  the  court  werden  genug- 
sam verlacht,  ohne  dafs  —  es  etwas  hilft.  Vergl.  O  a  fine  court ier! 
How  comly  he  bows  him  in  his  court'sy!  how  füll  he  hits  a 
woman  between  the  Ups  when  he  kisses!  how  upright  he  sits  at 
the  table!  (B,  Jons.,  E  v.  man  out  of  h.  h.  IV,  3);  the  perfum'd 
CO  Urtiers  keep  their  casting-bottles  (Cynthia,  Rev.  I,  1). 
„Great  men  in  court,  by  their  example,  make  or  marreall 
other  mens  manners.  And  in  meaner  matter,  if  three  or  four 
great  ones  in  Courte,  will  nedes  outrage  in  apparell,  in  huge 
hoses,  in  monstrous  hattes  ...  let  the  Prince  make  Laws  (Rog. 
Asham,  Scholem.  p.  68)  (A.  D.  1563 — 68).  —  R.  Asham  tadelt 
den  Hochmut  der  Jugend  „and  specialle  soch  as  do  liue  in  the 
Court".  —  what  court  news  is  there  ?  any  proclamations  Or 
edicts  to  come  forth?  (Ben  Jons.,  Staple  of  News  HI,  1).  —  You 
must  talk  forward,  'tis  most  court-like  and  well  (E  v.  man 
out  of  h.  h.  V,  1).  Der  Anzug,  den  die  Frau  des  Bürgers  in  London 
trug;  this  straight-bodied  city  attire  will  stir  a  courtier's  blood 
more  than  the  finest  loose  sacks  the  ladies  use  to  be  put  in  (Ben 
Jons.,  Poetaster  IV,  1).     (Cf.  The  New  Inn,  B.  J.  pure  language.) 

So  ahmte,  wie  die  Nonne  Chaucers  im  14.  Jahrb.,  die  Bürgers- 
frau Londons  im  17.  Jahrh.  den  Hof  in  allen  Aufserlichkeiten  nach: 
Frau  Hurtig  möchte  als  Falstaffs  Gattin  ebenso  gern  Madame  heifsen 
als  die  Frauen  in  Chaucers  Zeit  („it  is  füll  well  to  ben  yclept  m  adanie"). 

Den  Gegensatz  zu  curtesie  bildet  die  villanie.  „For  vilanie 
makelh  vileine"  (Rom.  of  the  Rose  2181).  Wer  courtoisie  be- 
sitzt, legt  V  e  1  o  n  n  i  e  und  Stolz  ab  :  Per  cortoisie  depuel  (depoiller,  ab- 
legen) velonnie  et  tout  orguel  (Li  Lais  dou  Chievrefuel,  Bartsch 
Altfr.  Chr.  p.  214).  Wie  die  Courtoisie  die  Tugend,  so  bedeutet 
die  „vilenie"  das  Laster,  „villainement"  ist  honteusement,  schimpf- 
lich. Wie  jene  die  Ehre,  so  ist  diese  die  Schande:  ensi  fönt  toutes 
dames  k'a  honor   beent   (baer  =  attendre)  et  totes  vilonies  heent 


für  das  Studium  der  neuevou  Spraclitn.  111 

(Robert  de  Blois,  Xllle  siecle,   Bartsch   278).    II  se  disoieiit  vilonie 
(Rustebuef),  schimpften  einander.* 


Sitzung   vom    11.   März. 

Herr  Blitz  teilte  mit,  dafs  sicli  im  Anschlufs  an  einen  von  ihm 
im  vorigen  Jahre  in  der  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag  eine  Kontro- 
verse entsponnen  habe.  Bei  Gelegenheit  der  Besprechung  der  ersten 
Hefte  von  Scherers  Litteraturgeschichte  hatte  Referent  das  Lutherlicd 
„Ein  feste  Burg"  nicht  in  das  Jahr  1527,  sondern  in  das  Ende  des 
Jahres  1528  oder  den  Anfang  von  1529  setzen  zu  müssen  geglaubt. 
Köstlin  erwähnt  den  in  der  Neuen  Preufsischen  Zeitung  abgedruckten 
Vortrag  von  Blitz,  schliefst  sich  aber  an  Scherer  und  dessen  Vor- 
gänger Schneider  an.  Direkt  gegen  Biltz  wenden  sich  die  „Blätter 
für  Hymnologie",  in  deren  siebentem  Hefte  Biltz  eine  Entgegnung 
veröffentlicht  hat.  Auch  Linke  tritt  in  einer  Monographie,  wo  er 
Übersetzungen  des  Liedes  abdruckt,  Biltz  entgegen,  giebt  aber  zu, 
dafs  es  1528  entstanden  sein  könne.  Dagegen  giebt  Achelis  im  Mar- 
burger Michaelisprogramm  von  1883  Biltz  recht,  wenn  er  die  Hypo- 
these, die  die  Entstehung  des  Liedes  in  das  Jahr  1527  setzt,  un- 
sicher findet. 

Herr  Bourgeois  gab  eine  Fortsetzung  seines  Vortrages  über 
das  Hotel  de  Rambouillet,  wobei  er  besonders  auf  Voiture,  Bossuet 
und  Vaugelas  einging. 


*  Über  die  Cour  toi  sie  handelt  Alwin  Schultz  (Leipzig  1879):  Das 
höfische  Leben,  Bd.  1.  Am  Hofe  der  Könige  war  die  fi-inste  Sitte 
zu  Hause  . .  .  Ein  Dörper  (villain)  zu  sein,  galt  für  den  höchsten  Schimpf  .  .  . 
Gegen  Ende  des  13.  Jahrh.  sprach  Adenes  li  Reis  in  seinem  Uomani" 
Cledmades  (135  ff.)  es  schon  otTen  aus,  dafs  nur  Leute  edler  Ceburt  ehren- 
haft, treu,  bereit  seien  für  ihren  Fürsten  das  Leben  einzusetzen,  die  niede- 
ren Volksklassen,  eben  jene  Vilhiins,  des  Ehrgefühls  bar,  den  Tod  fciji 
fürchten,  nur  auf  Gelderwerb  bedacht,  zum  Verkehr  für  einen  Fürsten  sich 
nicht  eigneten.  [Diese  Anschauung  rächte  sich  fürcliterlich,  als  vor  der 
Schlacht  von  Azincourt,  1415,  der  Adel  die  Unterstützung  der  Bürger  von 
Paris  ablehnte  :  die  schweriallifren  Ritter  wurden  von  den  engHsch-schottischen 
Bauern  und  Bogenschützen  jämmerlich  in  den  —  Kot  getrieben.  Th.  V.J 
—  Diese  höfische  Bildung  beruhte  zunächst  auf  einem  anständigen  Be- 
nehmen [Graf  Rudolf  p.  14:  Durch  niinen  willen  saltu  pflegen  Wisen  zu 
der  hovischeit  Und  leide  ime  die  d  orperichh  ei  t.  Titur  2908: 
Sprechen  und  gebaren  mit  hoefschen  siten  riebe.  —  Trist  p.  55,  1: 
Aller  hande  havespeil  Diu  tote  er  wol  und  künde  ir  vil"],  dann  auf  der 
Kenntnis  der  gewöhnlichen  Spiele,  der  Musik  und  der  Sprachen.  Schon 
im  12.  Jabrl).  war  es  in  Deutschland  Sitte,  Franzosen  zu  engagieren,  damit 
die  Kinder  von  früher  Jugend  dieses  schon  damals  als  Umgangssprache  so 
hochgeschätzte  Idiom  lernten.  [Li  rois  et  la  roigne  et  Berte  o  le  der  vis 
Sorent  prcs  d'aussi  bien  le  francj-ois  de  Paris  Com  se  il  fussent  n<5s  el 
bour  a  Saint  Denis.] 


412  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  V a t k  e  sprach  über  die  Frauen  in  Shakespeares 
England. 

He  capers  nimbly  inalady's   Chamber, 
To  the  lascivious  pleasing  of  a  lute. 

Shak.,  K.  Richard  III.  1,  1. 

AVer  ist  wohl  mehr  beschäftigt  als  die  Lady?  Sie  hat  so  viel  zu 
thun,  dafs  sie  sich  um  ihren  Haushalt  nicht  bekümmern  kann,  dazu 
hat  sie  ja  ihre  Leute;  England  ist  das  Paradies  der  verheirateten 
Frauen;*  die  Sorge  für  ihren  Haushalt,  welche  die  Ehre  der  deutschen 
Frau  bildet,  war  schon  zu  Shakespeares  Zeiten  den  Engländerinnen 
fremd.  Doch  sie  mögen  es  selber  sagen.  Hören  wir,  was  eine  reich 
gewordene  Dame  mit  ihrem  Gelde  zu  thun  denkt :  „  Aem.  For  the 
rest,  Ile  spend  it  upon  my  seife  in  bravery:  there  shall  be  not  a 
new  fashion,  but  Ile  have  it.  Ile  looke  after  nothing  eise;  your 
house  shall  shall  be  a  mart  for  all  trades.  Ile  keepe  twenty  continually 
at  worke  for  me;  astaylor,  perfumers,  painters,  apothe- 
carieSjCoach-makers,  s  empters,  and  tir  e- women.  Besides 
em  broyderers,  and  pensions  for  intellige  n  cers."  (Marmyon's 
Fine  Companion   16  3  3.) 

Der    „In  telli  gencer"    nämlich    ist    der   Mann,     welcher    die 


*  „Wives  in  England  are  entirely  in  the  power  of  their  husbands. 
They  go  to  market  to  buy  what  they  like  best  to  eat.  They  are  well- 
dressed,  fond  of  taking  it  easy,  and  commonly  1  eave  the  care  of 
house  hold  matters  and  drugery  to  their  neighbours.  They  sit  be- 
fore  their  doors,  decked  out  in  fine  clothes,  in  order  to  see  and  be 
seen  by  the  passers-by.  (Sy  sitten  verciert  voor  haer  Deuren,  om  de 
voorbygaenders  te  besien,  ofte  van  die  besien  te  worden.)  In  all  banquets 
and  feasts  they  are  shown  the  greatest  honour;  they  are  placed  at  the 
Upper  end  of  the  table,  where  they  are  first  served ;  at  the  lower  they  help 
the  men.  Ali  the  rest  of  their  time  they  employ  in  Walking  and  riding, 
in  playing  at  Cards  or  othervvise,  in  visiting  their  friends  and  keeping 
Company,  conversing  with  their  equals  (whom  they  term  gosseps)  and  their 
neighbours,  and  niaking  merry  with  them  at  child-births,  christening,  chur- 
chings  (kerck  ganghen),  and  funerals;  and  all  this  with  the  permission  and 
knowledge  of  their  husbands,  as  such  is  the  custom.  Although  the  hus- 
bands often  recommend  to  them  tbe  pains,  industry,  and  care  of  the 
German  or  Dutch  women,  who  do  what  the  men  ought  to  do  both 
in  the  house  and  in  the  shops,  for  which  Services  in  England  men  are  em- 
])loyed,  nevertheless  the  women  usually  persist  in  retaining  their  customs. 
This  is  why  England  is  called  the  Paradise  of  married  women.  The  girls 
who  are  not  yet  married  are  kept  much  more  rigorously  and  strictly  than 
in  the  Low  Countries.  The  women  are  beautiful,  fair,  well-dressed  and 
modest,  which  is  seen  there  more  than  elsewhere,  as  they  go  about  the 
streets  without  any  covering  either  of  huke  or  mantle  (huycke),  hood, 
veil  or  the  like.  Married  women  only  wear  a  hat  both  in  the  street  and 
in  the  house;  those  unmarried  go  without  a  hat,  although  ladies  of 
distinction  have  lately  learnt  to  Cover  theit  faces  with  silken 
masks  or  vizards,  and  feathers,  —  for  indeed  they  change  very  easily,  and 
that  every  year,  to  the  astonishment  of  many."  (Van  Meteren,  Nederl. 
Historie;  ed.  1614,  fo.  258.) 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  413 

Aufgabe  hat,  in  Ermangelung  der  heute  übh'chen  langspaltigen  Zei- 
tungen, die  Neugier  zu  befriedigen.  (Intelligencer  oiie  who  gives 
notice  of  private  or  distant  transactions,  Baco.)  Was  soll  er  denn 
■wissen  ?  Nun,  z.  B.  in  welcher  Maske  diese  oder  jene  hohe  Dame 
beim  letzten  Maskenfeste  am  Hofe  erschienen  ist. 

Wbere  is  my  fashioner,   my   feat  ber-man , 
My  linener,   perfumer,    barbar,  all 
That  tail  of  riot  follovv'd  me  tbis  morning? 

(Staple  of  News  V,  1.) 

Musik  wird  fleifsig  gepflegt  von  den  Damen  Englands :  She  now 
remains  in  London  —  to  learn  fashions,  practice  music,  the  voice 
between  her  lips,  and  the  viel  between  her  legs,  she'll  be  a 
fit  consort  very  speedily."  (Middleton,  Am.  Dr.  V.)  Diese  viola 
di  gamba  wird  auch  sonst  erwähnt :  he  plays  on  the  viol-de-Gambo, 
and  speaks  three  or  four  languages  (Tw.  Night  I,  3).  Die  Bafsgeige 
hing  auch  wohl  an  der  Wand:  a  bass  viol  shall  hang  o'  the  wall 
(B.  Jons.,  Ev.  man  out  of  h.  h.  IV,  6).  Dafs  den  Damen  kunstreiche 
Handarbeit  sehr  geläufig  ist,  darf  nicht  bezweifelt  werden  :  auch  Ophelia 
ist  auf  ihrem  Zimmer  mit  needlework  beschäftigt,  als  Hamlet  im  auf- 
geknöpften doublet  eintritt,  Königin  Elisabeth  hat  mit  eigener  Hand 
die  Einbanddecke  ihres  Gebetbuches  in  Perlen  gestickt. 

Dafs  ladies  and  gentlemen  sans  gene  auf  den  rushes  des  Zimmers 
lagen,  die  ersteren  oft  mit  dem  Kopf  auf  dem  Schofse  der  letzteren 
(to  lie  in  the  lap),  war  durchaus  nicht  anstöfsig. 

Wohl  aber  scheint  man  in  der  cadence  der  Tänze  für  ladies 
wählerisch  gewesen  zu  sein :  im  Garten  führt  man  gern  den  ge- 
messenen Tanz  auf  dem  Rasen  aus'^.  to  tread  a  measure  upon  the 
lawns.  Bei  Tische  sitzen  vornehme  Damen  oben  an  und  werden  von 
den  gentlemen  bedient;  die  geringeren  Damen  am  unteren  Ende  der 
Tafel  jedoch  müssen  sich  selbst  bedienen!    Welches  Tableau ! 

Zu  den  Beschäftigungen  der  Bürgersfrau  zählt  auch  das  Ale- 
Brauen:  Im  Gentleman  of  Verona  III,  1 : 

She  brews  good  ale 

And  thereof  coraes  the  proverb: 

Blessing  of  your  beart,  you  brew  good  ale. 

Das  ist  wohl  uralt.  —  Als  Bierbrauer  siegt  Odliin  in  der 
Edda  im  Wettstreit  über  seine  Gemahlin  Frey  ja. 

Auf  ein  bei  der  Jugend  des  17.  Jahrb.,  wie  scheint  nicht  unge- 
Avühnliches,  nach  heutiger  Anschauung  aber  ein  ganz  abscheuliches 
Vergnügen  spielt  Julia  an  (Romeo  and  J.  II,  2) : 

I  would  have  thee  gone: 

And  yet  no  further  than  a  wanton's   bird, 

Who   lets   it   bop  a  little   from    her   band, 

Like   a  poor   prisoner   in  bis  twisted  gyves, 

And   with   a  silk   thread  plucks  it  back   again, 

So  loving-jealous  of  bis  liberty. 


414  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Auf  dem  berühmten  Bilde,  auf  welchem  Rubens  seine  beiden 
Söhne  dargestellt  hat,  hält  der  jüngere  Knabe  in  der  von  Julia  an- 
gedeuteten Art  einen  Vogel  am  Faden  flattern.  Shakespeare 
selbst  hat  böse  Urteile  über  die  Ladies  seines  Englands  laut  Averden 
lassen.    So  sagt  Jago: 

Come  on,  come  on  ;  you  are  pictures*  out  of  doors, 
Beils  in  your  parlouis,  wild  cats  in  your  kitchens, 
Saints  in  your  injuries,  devils  being  off'ended, 
Players  in  your  housewifery,  and  housewives  in  your  beds. 

(Othello  II,  1.) 

Merkwürdig,  dafs  Hamlet  und  Jago  so  ganz  aus  einem  Atem 
sprechen !  Wenn  man  aber  nach  Skakespeare  und  B.  Jenson  das 
painting  —  Schminken  als  ziemlich  allgemein  auch  bei  anständigen 
Damen  anzusehen  befugt  ist,  so  spi'icht  dagegen  eine  Notiz  im  Diary 
des  John  Evelyn,  welcher  unter  dem  11.  Mai  1654  schreibt:  „I  now 
observed  how  the  women  began  to  paint  themselves,  for- 
merly  a  most  ignominious  thing  and  us'd  only  by  pro  sti  tu  te  s." 
Ebenso  sollte  man  nach  Shakespeare  und  vielen  Stellen  seiner  dra- 
matischen Zeitgenossen  annehmen,  dafs  das  falsche  Haar  ziemlich 
allgemein  bei  der  eleganten  Frauenwelt  in  England  war.  Dem  aber 
steht  entgegen  eine  Notiz  in  Samuel  Pepys  Diary,  wo  es, 
March  2  4^'!  16  62,  heifst:  „By  and  by  comes  La  Belle  Pierce  to 
see  my  wife,  and  to  bring  her  a  pair  of  peruques  of  hair,  as 
the  fashion  now  is,  for  ladies  to  wear,  which  are  pretty, 
and  are  of  my  wife 's  own  hair,  or  eise  I  should  not 
endure   them." 

Über  den  Kleiderluxus  der  damaligen  Engländerinnen  haben  wir 
früher  gesprochen.  Fügen  wir  ein  Wort  hinzu  über  das  Garderobe- 
z  i  m  ra  e  r. 

Ich  Ärmste  bin  unschmuck,  ein  Kleid  nicht  modisch. 
Und  weil  zu  reich  ich  bin,  im  Schränk  zu  hängen, 
Mufs  ich  zerschnitten  sein." 

(Cymb.  III,  4.) 


*„Hier  ist  pictures  der  Gegensatz  zu  dem  Folgenden:  stumm, 
vielleicht  auch  anmutig  wie  Gemälde  (Delius).«  Wir  meinen,  pictures 
geht  darauf,  dafs  das  Antlitz  der  Dame  aufser  dem  Hause  meist  ein  künst- 
liches war:  man  schminkte  sich,  und  Ben  Jonson  sagt,  ein  wenig  zu  starke 
Bewegung  der  Damen  reiche  hin,  ihre  erborgte  Gesichtsfarbe  zu  verraten. 
Und  wie  sagt  Hamlet  zu  Ophelia?  ,,I  have  heard  of  your  paint ings 
too,  well  enough:  God  hath  given  you  one  face,  and  you  make  yourselves 
another :  you  jig,  you  amble,  and  you  lisp,  and  nickname  God's  creatures, 
and  make  your  wantonness  your  ignorance.  Go  to ;  l'U  no  more  on't: 
it  hath  made  me  mad.  I  say,  we  will  have  no  more  marriages :  those  that 
are  married  already,  all  but  one,  shall  live;  the  rest  shall  keep  as  they 
are.     To  a  nunnery.  go." 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  415 

Poor  I  am  stale,  a  garment  out  of  fashion; 
And,  for  I  am  richer  than  to  bang  by  the  walls, 
1  must  be  ripp'd :  *  —  to  pieces  with  me !  — 

Königin  Elisabeth,  die  ihrem  Parlamente  erklärt  hat,  dafs  sie 
keinem  Menschen  auf  Erden  Rechenschaft  über  ihre  Handlungen 
schuldig  sei,  soll  dreitausend  Anzüge  hinterlassen  haben.  —  Zum 
Schlufs  setzen  wir  das  Urteil  unseres  Landsmannes,  des  Elsässers 
Jakob  Eathgeb,  über  die  Engliinderinnen  hierher.  Wie  bekannt,  war 
derselbe  1592  mit  dem  Grafen  Friedrich  von  Wirtenberg-Mömpelgart 
in  England.  „Die  anderen  Nationen,  sagt  die  Badenfahrt,  haben  das 
Sprichwort,  England  sei  das  Paradies  der  Weiber  [ebenso  spricht 
Meteren],  das  Gefängnis  der  Männer  und  die  Hölle  der  Pferde.  .  .  • 
Der  Weiber  Paradies  sagt  man,  weil  diese  grofse  Freiheit  haben,  viel 
mehr  als  an  anderen  Orten,  wissen  sich  deren  auch  wohl  zu  ge- 
brauchen, sind  gleichsam  Meister,  gehen  in  Kleidern  überaus  prächtig, 
dergestalt,  dafs  Avohl  eine  auf  der  Gassen  Samet,  der  bei  ihnen  ge- 
mein, tragen  darf  [Man  denke  an  die  Luxusgesetze  in  Deutschland], 
die  daheim  vielleicht  ihr  trocken  Brot  nicht  gehaben  mag.  Alle  eng- 
lischen Weiber  tragen  Hüte  auf  den  Köpfen  [cf.  die  French  hoods,  in 
Deutschland  Avar  ja  noch  die  „Kappe"  oder  das  Kopftuch  vor- 
wiegend] und  gehen  mit  ausgeschnittenen  Pocken  auf  die  alte  teusche 
Manier,  wie  dann  ihr  Abkunft  Sachsen  seindt.  Hexen  werden  viele 
gefunden,  die  oft  durch  Ungewitter  grofsen  Schaden  thun."  —  Herman 
Kurz  (Zu  Shakespeares  Schaffen,  München  1868,  S.  14)  iuhrt  ferner 
an:  Kiechel  schreibt  über  das  englische  Frauenzimmer:  „Ittera  es 
gübt  ein  holdsälig  und  von  natur  mechtig  schön  weibsbildt,  als  ich  in 
meinen  äugen  kaum  gesehen,  dann  süe  sich  nicht  kezern,  an- 
streichen oder  ferben,  als  wol  in  Italia  oder  andern  ortten;  allein 
das  süe  in  der  kleudung  was  plonips  gehn,  kleuden  sich  von  statt- 
lichen guten  lacken  oder  thucb,  do  dann  manche  3  röckh  von  thtich 
ob  ein  ander  soll  anhaben.  Ittera  es  sey  ein  frembder  oder  innwohner, 
wann  er  in  eines  burgers  haus  zu  thuen  hat  oder  zu  gast  gebeten 
würt,  und  er  nun  dahün  kompt,  der  herr  des  haus,  frau  oder  junckfrau 

*  „Kleider  wurden  vormals  nicht,  wie  jetzt,  aus  wertlosem  Stolf  ge- 
macht, und,  wenn  sie  abgetragen  oder  aus  der  Mode  gekommen  waren, 
nicht  weggeschenkt,  sondern  man  hängte  sie  an  hölzernen  Pflöcken  in  eigens 
dazu  bestimmten  Zimmern  auf;  die  aus  reicherem  Stoife  wurden  gchgent- 
lich  zu  häusbchem  Gebrauche  aufgetrennt  (zerschnitten,  ripped),  wahrend 
man  die  minder  kostbaren  an  den  Wänden  hängen  liels,  bis  Zeit  und 
Motten  verzehrt  hatten,  was  der  Stolz  Dienern  und  armen  ^'erwnndten  zu 
tragen  nicht  gönnte;  es  war  nicht  Sitte:  Comitem  horridulum  trila 
donare  laceina.  Königin  Elisabeth  hinterliefs  dreitausend  Anzüge ;  Steevtns 
sah  einmal  in  Sufiblk  eine  solche  Kleidersammlung  von  anderthalb  Jahr- 
hunderten. In  der  Garderobe  von  Covent-Garden  beündet  sich  noch  ein 
reicher  Kleidervorrat,  welcher  einst  Jakob  L  gehörte."  A.lc.\.  Schmidt, 
Sacherkl.     Anrii.  421.    (Wie  ganz  anders  Friedrich  der  Grolsel) 


416  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

enipfaliet  oder  wüllkom  heist  sein,  als  dann  ihr  sprach  mit  sich  bringt, 
liat  er  wol  macht,  süe  an  arm  nemnien  und  zu  küssen,  wölches  des 
landts  gebrauch;  und  do  es  einer  nicht  thut,  wärt  es  ihrae  für  ein  un- 
verstandt  und  grobheit  geachtet  und  zugemessen,  wüe  dann  solcher 
gebrauch  im  Nöderlandt  auch  ist."  (Kiechel  S.  31)  —  Johann 
Limbergs  „Denkwürdige  Reisebeschreibung"  etc.  (Leip- 
zig 1690)  sagt  S.  652  von  England:  „Das  Frauenzimmer  ist  schön, 
lebt  in  grofser  Freiheit  und  ist  in  den  Wollüsten  sehr  vertieffet." 
Dann   folgt  das  gleiche  Sprichwort  wie  oben  —  (Herrn.  Kurz,  p.  15). 

Sitzung   vom    25.   März. 

Herr  I.  Schmidt  bespricht  die  Zeit  vom  Tode  Ben  Jonsons 
bis  zum  ersten  Auftreten  Miltons  ausführlicher  und  geht  zunächst  auf 
die  von  Samuel  Johnson  so  genannten  metaphysischen  Dichter  ein. 
Der  Name  führt  irre,  denn  tiefe  Gedanken  und  ein  Idealisieren  findet 
man  bei  ihnen  nicht.  Sie  kultivieren  das  Derb-Natürliche  und  wollen 
wie  der  Euphuismus  aus  dem  Gewöhnlichen  Ungewöhnliches  machen, 
leiden  aber  im  Gegensatz  zu  demselben  an  Armut  der  Erfindung. 

Der  erste  ist  der  1618  gestorbene  Sylvester,  der  die  Semaine 
des  Du  Bartas  übersetzte  und  auch  eigene  Gedichte  schuf. 

John  Donne,  gestorben  1631,  gab  religiöse,  in  euphuistischem 
Stile  gehaltene  Gedichte  heraus.  Aus  seinem  Nachlasse  erschienen 
1635  weltliche  Gedichte,  die  viel  Gekünsteltes  und  Bedenkliches 
enthalten. 

Cowley  (1618 — ^1667),  der  begabteste  Jünger  Donnes,  ist  ein 
edler,  liebenswürdiger  Dichter,  der  die  ihm  beschiedene  ländliche  Mufse 
würdig  auszufüllen  wufste.  Aber  er  redet  nicht  die  Sprache  des 
Herzens,  und  Verstand  und  Witz  müssen  bei  ihm  wie  bei  Donne  die 
Phantasie  ersetzen.  Besondere  Verdienste  erwarb  sich  Cowley  um  die 
Prosa,  auch  ist  ein  Trinklied  von  ihm  populär  geworden. 

Herr  Vatke  und  Herr  1.  Schmidt  führten  darauf  mehreres 
an,  um  den  Begriff  des  wit  festzustellen. 

Herr  Kühne  spricht  über  den  Mentor  von  Erbe  und  Vernier, 
ein  lateinisch-französisches  Vokabularium,  das  dem  Schüler  das  Fran- 
zösische vermöge  des  Lateinischen  erleichtern  soll.  Nach  einer  kurzen 
historischen  Einleitung  giebt  das  Buch  eine  Wörtersammlung,  um  die 
Lehre  von  der  Wortbildung  zu  illustrieren,  Eedensarten  und  Sprich- 
wörter. Es  ist  nicht  klar,  welche  Klassen  die  Verfasser  im  Auge 
gehabt  haben ;  Referent  glaubt  vor  dem  Gebrauche  desselben  in  unteren 
Klassen  warnen  zu  müssen. 

Herr  Michaelis  spricht  über  die  neuesten  amtlichen  Ortho- 
graphien. Die  Hauptunterschiede  bestehen  in  der  Beschränkung  der 
Dehnungszeichen,  in  der  Bezeichnung  der  S-Laute  und  im  Gebrauche 
des    th.     Österreich   ging  im   Juli    1879    voran,    nahm   die   Heysesche 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  417 

Regel  an,  slrich  aber  kein  th.  Bayern  folgte;  es  ging  im  S-Laut  auf 
Gottsched  und  Adelung  zurück,  und  beseitigte  das  th  halb.  Preufsen 
schlol's  sich  nun  mit  möglichst  geringen  Abweichungen  an  Bayern  an. 
Auch  Sachsen,  Hessen,  Baden  regelten  die  Orthographie  amtlich, 
während  sich  die  kleineren  Staaten  an  Preufsen  anschlössen.  In 
Würtemberg  hat  man  für  §  im  lateinischen  Druck  ein  einheitliches 
Zeichen  eingeführt.  Die  Schweizer  Orthographie  ist  die  erste  in 
lateinischen  Lettern  gedruckte.  Sie  beseitigt  das  th  ganz,  macht  aber 
darin  einen  Rückschritt,  dafs  sie  das  ß  gar  nicht  kennt. 

Herr  Bischoff  bespricht  Sturmhöfel,  Neulatein  als  Welt- 
sprache. Dor  Verfasser  fordert  zur  Gründung  von  internationalen 
Gesellschaften  auf,  die  auch  die  unteren  Stände  und  die  Frauen  mit 
dem  Lateinischen  bekannt  machen  sollen.  Dadurch  soll  eine  Sprache 
für  den  internationalen  Verkehr  geschafFen  und  zugleich  der  ideale 
Sinn  gestärkt  werden. 

Sitzung  vom   22.  April   1884, 

Herr  Müller  gab  in  kurzen  Umrissen  ein  Bild  von  der  hollän- 
dischen Litteratur  bis  zum  Jahre  1600,  indem  er  auf  das  Tierepos,  auf 
Jakob  van  Maerlandt  und  auf  die  Bedeutung  der  Kammern  besonders 
einging. 

Herr  Tobler  sprach  von  den  Quellen  für  die  Sammlung  der 
echten  altfranzösischen  Sprichwörter,  den  verschiedenen  Sammlungen, 
die  vom  13.  Jahrhundert  ab  angelegt  worden  sind,  teilweise  so  einge- 
richtet, dafs  lateinische  Verse  den  Sinn  des  französischen  Spruchs  er- 
läutern ;  dann  von  alten  Gedichten,  die  je  eine  Strophe  mit  einem 
Sprichwort  schliefsen,  darunter  die  proverbes  du  vilain,  von  deren  zahl- 
reichen Versionen  jetzt  auch  Berlin  in  einer  Hamilton-Handschrift  eine 
sein  eigen  nennt.  Die  Hauptquelle  ist  die  schöne  Litteratur,  die  vom 
12.  bis  15.  Jahrhundert  in  immer  steigendem  Mafse  das  Sprichwort 
verwendet  und  meist  auch  durch  besondere  Zusätze  als  solches  be- 
zeichnet, dabei  aus  dem  Zusammenhang  den  Sinn  unzweifelhaft  er- 
kennen läfst. 

Herr  Hoppe  bespricht  die  Stelle  in  der  ersten  Scene  des  zweiten 
Aktes  des  Othello:  You  are  pictures  out  of  doors.  Herr  Vatke  hatte 
in  einem  Vortrage  pictures  mit  „geschminkt"  erklärt.  Herr  Hoppe 
beweist  durch  die  sonstige  Verwendung  von  picture  und  to  paint,  dafs 
es  nur  „stumm"  bedeuten  kann,  was  auch  aus  dem  Zusammenhange 
hervorgeht. 

Sitzung  vom    13.  Mai    1884. 

Herr   Rossi    bespricht    die    1544    von    Celio   Secundo   Curio   in 
einem  Bande  von  337  Seiten  veröffentlichten   pasquillorum  tomi   duo. 
Da  viele  Exemplare  wegen  der  beifsenden  Angriffe  auf  die  Päpste  ver- 
Archiv f.  n.  Sprachen.  LXXI.  27 


418  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  etc. 

brannt  wurden,  so  ist  das  Buch,  von  dem  die  hiesige  königl.  Bibliothek 
ein  sehr  schönes  Exemplar  besitzt,  sehr  selten  geworden.  Der  Redner 
beleuchtet  den  Ursprung  des  Buches,  das  eine  Sammlung  der  an  der 
nach  einem  witzigen  Schneider  Pasquino  genannten  Statue  angeklebten 
Epigramme  enthält.  Mehrere  davon  sind  germanischen  Ursprungs; 
eins  ist  in  deutscher  Sprache  abgedruckt.  Die  Sitte,  an  dem  Pasquino 
Epigramme  anzuheften,  hat  sich  bis  in  die  neueste  Zeit  erhalten,  wovon 
der  Redner  Beispiele  mitteilt. 

Herr  Zupitza  berichtet  über  das  300jährige  Jubiläum  der  Uni- 
versität Edinburg,  an  dem  er  als  Vertreter  der  hiesigen  Universität 
teilgenommen  hatte.  Die  Universität  besteht  vollständig  erst  seit  An- 
fang des  vorigen  Jahrhunderts,  während  1583  nur  ein  College  ge- 
gründet wurde.  Den  80  anfänglichen  Zöglingen  stehen  jetzt  3341 
gegenüber.  An  der  Spitze  steht  der  Chancellor,  der  von  allen  Gra- 
duierten auf  Lebenszeit  gewählt  wird,  während  die  Studenten  den 
Rektor  auf  drei  Jahre  wählen.  Unserem  Rektor  entspricht  am  meisten 
der  von  der  Krone  auf  Lebenszeit  ernannte  Principal.  Die  Hauptfeier 
fand  am  Donnerstag  statt  und  bestand  im  Empfange  der  Delegierten 
und  der  Verteilung  der  honorary  degrees.  Der  Redner  wohnte  auch 
einer  Sitzung  der  Scottish  Text  Society  bei,  auf  die  er  aufmerksam  macht. 

Herr  Förster  spricht  über  Apuntes  para  un  curso  de  Pedagogia 
von  Berra.  Der  als  hervorragender  Gelehrter  und  Schulmann  in  Uru- 
guay bekannte  Verfasser  trat  als  Lehrer  an  einem  Seminar  ein  und 
stellte  in  diesem  Buche  das  Material  für  seine  Vorträge  zusammen. 
Das  Buch  ist  etwas  rasch  geschrieben,  verrät  aber  den  talentvollen 
Kopf.  Dafs  er  fremde,  besonders  auch  deutsche  Werke,  wenn  auch 
nur  in  Übersetzungen,  studiert  hat,  verhindert  ihn  nicht,  selbständig 
zu  denken. 

Derselbe  berichtet  darauf  nach  einem  Reglamento  und  einem  Schul- 
programm über  ein  Asyl  für  auf  der  Strafse  aufgelesene  Knaben  in 
Montevideo.  400  Knaben  werden  darin  von  drei  Lehrern  in  vielen 
Fächern  unterrichtet.  Sie  können  dort  auch  sämtliche  Handwerke 
lernen,  deren  eins  sie  erwählen  müssen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Das  Genus  der  französischen  Substantiva.  Eine  neue  Anlei- 
tung, das  Genus  aller  französischen  Substantiva  (über  40000) 
durch  Begriff  und  Form  zu  bestimmen.  Für  Lehrer,  Schüler 
und  überhaupt  alle  Freunde  der  französischen  Sprache 
herausgegeben  von  J.  Spelthahn,  königl.  Reallehrer.  Amberg 
1Ö83.     Verlag  von  Eduard  Pohl.     Preis   1  Mark. 

Der  Verfasser  dieser  —  Einleitung  und  Anhang  abgerechnet  —  50  Seiten 
zählenden  Schrift  hat  den  französisch-deutschen  Teil  des  Encyklopädischen 
Wörterbuchs  von  Dr.  Karl  Sachs  mit  Rücksicht  auf  die  Hauptwörter  von 
A  bis  Z  durchgegangen  und  dieselben  in  Bezug  auf  ihr  Genus  zu  klassi- 
fizieren versucht.  Wenn  man  bedenkt,  dafs  das  genannte  Wörterbuch  über 
vierzigtausend  Substantiva  enthält,  so  wird  man  den  Unternehmungsgeist 
und  die  Geduld  des  Verfassers  bewundern  müssen.  Wir  vermuten,  dafs 
der  erste  Antrieb  zu  dieser  Untersuchung  aus  der  Erfahrung  hervorging, 
dafs  Schüler,  die  nicht  Latein  gelernt  haben,  bei  ihren  Übersetzungen  ins 
Französische  die  Substantiva  aufs  Geratewohl  und  ohne  sich  irgendwie 
Rechenschaft  abzulegen  bald  als  Maskulina,  bald  als  Feminina  behandeln, 
natürlich  meist  verkehrt.  Es  giebt  wohl  keinen  Lehrer  des  Französischen, 
der  nicht  seine  Schüler  auf  gewisse  Endungen  aufmerksam  gemacht  hätte, 
aus  denen  man  ziemlich  sicher  auf  das  Geschlecht  des  Hauptwortes  schliefsen 
kann.  Hat  der  Schüler  im  Falle  des  Zweifels  über  das  Genus  eines  Haupt- 
wortes gewisse  Anhaltspunkte,  so  wird  er  entweder  einen  Fehler  vermeiden, 
oder  wenn  das  betreffende  Wort  eine  leidige  Ausnahme  macht,  wird  er  doch 
wenigstens  nicht  gedankenlos  einen  Fehler  gemacht  haben.  \'om  Stand- 
punkte des  Lernenden  aus  erscheint  es  also  sehr  erwünscht,  einmal  eine 
zuverlässige  Richtschnur  für  diesen  speciellen  Fall  zu  erhalten.  Doch  auch 
für  den  Lehrer  und  den  Freund  des  Französischen  im  allgemeinen  ist  es 
interessant,  einen  systematischen  Einblick  in  diesen  Gegenstand  zu  gewinnen, 
wie  es  auf  der  anderen  Seite  bequem  ist,  ein  praktisch  angelegtes  kleines 
Schriftchen  zum  leichten  Nachschlagen  zu  besitzen. 

Diese  Klassifikation  der  Substantiva  beruht  ihrem  Ilanptteile  nach  auf 
der  Endung.  Es  braucht  ja  nicht  erst  bewiesen  zu  werden,  dafs  man 
a  priori  annehmen  kann,  dafs  Wörter  mit  derselben  Endung  wohl  auch  im 
allgemeinen  dasselbe  Genus  haben,  und  da  leider  keine  Kegel  ohne  Aus- 
nahme ist,  werden  wir  wohl  auch  annehmen  können,  dafs  es  fast  innerhalb 
jeder  besonderen  Klasse  von  Endungen  eine  Minderheit  von  Wörtern  geben 
wird,   deren  Genus   dem  der  Mehrheit  entgegengesetzt  ist.     Deshalb   ist  es 

27* 


420  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

interessant  zu  selien,  wie  sich  die  Geschlechter  auf  die  verschiedenen  Wort- 
ausgänge verteilen  und  welches  Genus  bei  dieser  oder  jener  Endung  vor- 
herrscht und  welches  die  Ausnahmen  sind.  Dafs  aber  das  Geschlecht  eines 
Substantivs  —  abgesehen  von  jenen  Benennungen  lebender  Wesen,  bei 
welchen  die  Sprache  für  Maskulinum  und  Femininum  eigene  Wörter  hat  — 
am  ehesten  aus  der  Endung  sich  ersehen  lassen,  mufs,  bedarf  für  jeden,  der 
die  Geschichte  der  französischen  Sprache  einigermafsen  kennt,  keines  Be- 
weises. Freilich  kann  im  streng  historischen  Sinne  nur  dann  von  einer  für 
das  Genus  mafsgebenden  Endung  gesprochen  werden,  wenn  dieselbe  eine 
charakteristische  Form  hat  und  als  Ableitungsendung  gefühlt  wird.  Solche 
Endungen  sind  z.  B.  die  auf  age,  oir  und  oire,  ande,  ende,  ment,  teur,  ion, 
ure,  aire,  ier,  ain,  ien,  iste,  ee,  ade,  erie,  isme  etc.  etc.  In  zahlreichen  Fallen 
jedoch  sind  die  ursprünglichen  Suffixe  entweder  abgeworfen  oder  tonlos  ge- 
worden, z.  B,  in  fat  von  fatuus,  ami  von  amicus,  <ios  von  dorsum,  glaive 
von  gladius,  neige  von  nivea,  gräce  von  gratia,  caille  von  quaquila  aus 
wahtala  u.  s.  w.  In  diesen  Fällen  wird  man  auf  die  historisch  erkennbare 
Endung  verzichten  und,  sich  mit  dem  AVortausgange  begnügend,  alle  Wörter 
mit  gleichklingender  Endsilbe  zueinander  stellen  müssen.  So  verschiedener 
Herkunft  auch  z.  B.  die  folgenden  Wörter  sind:  amalganie,  caucame,  dame, 
drame,  epithalame,  hippopotame,  lame,  ranie,  trame,  vidame,  so  machen  sie 
doch  wegen  des  Gleichklangs  ihrer  Ausgänge  den  Eindruck  der  Zusammen- 
gehörigkeit, und  man  wird  dieselben  aus  praktischen  Gründen  in  einem 
Verzeichnisse,  das  vorzüglich  bei  raschem  Nachschlagen  sicheren  Dienst 
leisten  soll,  nicht  trennen.  Vielleicht  wird  man  sogar  noch  äme  und  bläme 
den  obigen  ^\"örtern  anreihen.  Beiläufig  sei  bemerkt,  dafs  der  Wortausgang 
ame  zu  jenen  wenigen  gehört,  bei  denen  nicht  eine  grofse  Mehrheit  z.  B. 
männlicher  Wörter  einer  kleinen  Anzahl  weiblicher  Substantiva  gegenüber- 
steht, sondern  bei  denen  Maskulina  und  Feminina  —  hauptsächlich  wegen 
ihrer  verschiedenen  Abstammung  —  sich  so  ziemlich  an  Zahl  gleichkommen. 
Trotzdem  wird  man  bei  der  Bestimmung  des  Genus  im  allgemeinen  nicht 
die  Etymologie  zur  Führerin  nehmen  können,  weil  in  nicht  wenig  Fällen 
ein  Wort  auf  seiner  Wanderung  von  der  Originalsprache  in  die  französische 
sein  ursprüngliches  Geschlecht  mit  dem  entgegengesetzten  hat  vertauschen 
müssen,  während  wieder  andere  von  derselben  Abstammung  sich  dasselbe 
bewahrt  haben.  So  sind  gramme,  centigramnie,  chronogramme,  decagramme, 
decigramme,  diagramme,  hectogramme,  hexagramme,  kilogranmie,  mono- 
gramme,  myriagramme,  parallelogramme,  tautogramme,  telegramme  Masku- 
lina, während  anagramme  und  epigramme,  die  doch  ebenfalls  zu  y^ä(ji/ua 
gehören,  feminini  generis  sind. 

Um  nun  auf  den  Gegenstand  unserer  Erörterung  zurückzukommen, 
müssen  wir  zuerst  bemerken,  dafs  eine  Anleitung,  das  Genus  aller  Substan- 
tiva zu  bestimmen,  nach  unserer  Anschauung  absolut  vollständig*  sein  mufs, 
wenn  sie  neben  dem  Wörterbuche  sich  behaupten  und  auch  jenen,  die  die 
Sprache  kennen,  etwas  bieten  will.  Eine  Klassifikation  der  Substantiva 
nach  dem  Genus  ist  kein  Werk,  das  man  zum  Vergnügen  oder  auch  nur 
zur  allgemeinen  Belehrung  vom  Anfang  bis  zum  Ende  durchlesen  wird,  es 
wird  wohl  hauptsächlich  nur  für  einen  bestimmten  Fall,  für  ein  bestimmtes 
Wort  zu  Rate  gezogen  werden:  wenn  man  dann  Gefahr  läuft,  das  Gesuchte 
nicht  i-asch  oder  gar  nicht  zu  finden,  so  greift  man  lieber  gleich  zum  eigent- 
lichen Wörterbuche.  Aus  diesen  Gründen  wird  man  von  einer  solchen 
Arbeit  aufser  der  selbstverständlichen  Richtigkeit  der  Angaben  auch  noch 
Vollständigkeit  und  praktische  Anordnung  verlangen  müssen.  Unter  der 
letzteren  verstehen  wir  die  alphabetische  Reihenfolge  der  einzelnen  Endungen. 

*  D.  h.  es  sollen  nicht  alle  Substantiva  des  Wörterbuches  wieder  abgedruckt 
sein,  wohl  aber  .soll  für  jedes  Substantiv  des  Wörterbuches  das  Genus  mit  Hilfe  der 
Anleitung  bestimmbar  sein.     Wir  verlangen  nur  die  Ausnahmen  vollständig. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  42 1 

Nach  unserer  Anschauung  müssen  diese  Endungen  in  der  Regel  mit  einem 
Vokale  beginnen ;  man  wird  nicht  die  Wörter  auf  be,  ce,  de,  fe,  ge,  he  u.  s.  w. 
behandeln,  sondern  die  Wörter  auf  abe,  able,  abrc,  acp,  ache,  acle  acre 
u.  s.  w.  zusammenstellen  müssen,  weil  man  dadurch  zwar  mehr,  aber  schärfer 
voneinander  getrennte  Gruppen  erhält.  Innerhalb  der  einzelnen  Gruppen 
müssen  die  Wörter  allerdings  alphabetisch  nach  dem  Anfangsbuchstaben 
und  nach  dem  Genus  getrennt  vorgeführt  werden,  also  würden  sich  z.  H. 
die  Wörter  auf  abre  so  vorstellen :  candelabre,  cinahre,  sabre.  (Flierhcr 
gehörige  Feminina  auf  abre  giebt  es  nicht.) 

Etwas  anders  verhält  sich  die  Saclie,  wenn  man  nicht  eine  Anleitung  zur 
Bestimmung  des  Genus  von  „über  vierzigtausend  Substantiven"  geben  will,  son- 
dern wenn  man  nur  die  Absicht  hat,  dem  Schüler  für  seinen  Wissenskreis  einige 
Anhaltspunkte  zu  bieten.  Wie  wir  uns  die  Lösung  dieser  Aufgabe  vorstelleii 
werden  wir  am  Schlüsse  durch  einen  aus  eigenem  Antriebe  gemachten  Ver- 
such darzulegen  uns  erlauben. 

Gehen  wir  nun  zu  Herrn  Spelthahns  „Anleitung,  das  Genus  aller  fran- 
zösischen Substantiva  (über  40  000)  zu  bestimmen"  über.  Da  dieselbe  kein 
Inhaltsverzeichnis  enthält,  sehen  wir  uns  genötigt,  selbst  ein  solches  zu  ver- 
fertigen und  dasselbe  hierher  zu  setzen,  um  dem  Leser  eine  bessere  Ein- 
sicht in  genannte  Schrift  zu  ermöglichen.  Einleitung  und  Anhang  (7  Seiten) 
beschäftigen  uns  hier  nicht. 

Neutrale  Begriffe,  S.  7. 

Nichtneutrale  Begriffe,  S.  7—56. 

I.  Substantiva  auf  e,  S.  7  —  48. 

A.  Substantiva  auf  dumpfes  e,  S.  7 — 45. 

a)  Maskulina,  S.  7 — 17. 

1.  Komposita,  S.  7—12.  a)  Mit  Bindestrich,  S  8.  ß)  Ohne  Binde- 
strich, S.  9.  Endungen:  cide,  fice,  gene,  glyphe,  graphe,  scoi)e, 
fere.  S.  10  :  branches,  caudes,  cephales,  ccres,  coles,  conques,  corncs, 
dermes,  dontes,  feres,  formes,  geres,  glosses,  grades,  pedes,  pennes, 
podes,  pteres,  rostres,  sonies,  stomes,  vores.  S.  11:  phile,  phore, 
coles,  limaces,  morphes,  thuses,  valves,  teles,  are,  carpe,  compte, 
corde,  edre,  gastre,  gone,  gramme,  löge,  logue,  litre,  metre,  phone, 
phragme,  phjdle,  sperme,  stade,  stere,  type. 

2.  Einfache  Substantiva,  S.  12 — 17.  Endungen:  «)  age,  S.  12. 
ß)  Gge,  /)  eme,  ieme,  S)  ome,  s)  sme,  alle  auf  S.  13. 
S.  14:  <)  toire,  rj)  aire  (Bücher  und  Räumlichkeiten).  S.  15: 
d-)  ate  (chemische  Ausdrücke),  «)  ite  (chemische  Salze),  ä;)  idc 
(chemische  und  mineralogische  Ausdrücke).  S.  16:  /)  ique  (Heil- 
mittel), //)  are,  ide,  ure  (Tiernamen),  *-)  ure  (ehem.  Ausdr.). 

b)  Feminina.  S.  17—28. 

1.  auf  e  mit  vorhergehendem  Doppelkonsonanten,  S.  17. 

2.  die  übrigen  auf  dumpfes  e,  S.  19.  ce :  «)  ace,  ß)  ce  mit  vorher- 
gehendem Nasallaute,  de :  «)  ade,  ß)  ude,  y)  de  mit  vorherg. 
Kons,  ge:  «)  rge,  ß)  gue.  he:  che.  le:  «)  cele,' /;?)  ole,  ;■)  le 
mit  vorherg.  Diphthong,  ne:  «)  ane,  ß)  ene,  y)  ine,  S)  one,  f)  une, 
'O  ne  mit  vorherg.  Kons.  pe.  que:  ique.  re:  «)  iere  und  illcre. 
ß)  aire  (Pflanzen),  y]  oirc,  S)  ure.  se.  te:  «)  te  mit  vorherg. 
Nasal,  ß)  te  mit  vorherg.  Diphthong,  y]  ate,  S)  ete  u.  ete,  e)  ite 
(Krankheiten),  ^)  ote,  rj)  ute.  ve.  Liste  der  gebräuchlichsten  Sub- 
stantiva auf  e,  deren  Genus  sich  nur  etymologisch  bestimmen 
läfst,  S.  28—45. 

B.  Die  Substantiva  auf  stummes  e,  S.  46 — 48. 

II.  Substantiva   auf  „nicht   e",    S.   48 — 56.      eur,    on,    te,    S.    48 — 51.     Die 
übrigen  auf  „nicht  e",  S.  5:\     Die  Substantiva  auf  a,  S.  55  —  56. 

Die   geographischen   Ausdrücke   und   Namen   der   Buchstaben,   S.  59. 
Fünf  Genusregeln  für  Schüler,  S.  57  (in  12  Zeilen). 


422  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Machen  wir  nun  den  Versuch,  das  Genus  einiger  Substanliva  mit  Hilfe 
dieser  Anleitung  zu  bestimmen.  Nehmen  wir  z.  B.  die  gebräuchlichsten 
\Vörter  auf  ume:  amertumo,  bitume,  brume,  eostume,  coutume,  ecumc, 
enclume,  legume,  plume,  rhume,  volume. 

Die  Endung  ume  kommt  in  dem  Verzeichnis  gar  nicht  vor,  bei  den 
Maskulinen  unter  I.  A.a,  2/,  ^,  e  stehen  nur  die  Endungen:  hme,  ome,  sme; 
bei  den  Femininen  unter  i.A.  b,  2  steht  zwar  le  und  ne,  aber  me  ist  nicht 
zu  finden.  Nun  bleibt  noch  die  Liste  S.  28—45  übrig.  Wir  gehen  zuerst 
die  Reihe  der  Maskulina  S.  29 — 32  durch  und  finden  endlich  als  Maskulina: 
eostume,  legume,  rhume,  volume  auf  S.  32;  dann  gehen  wir  an  die  Liste 
der  Feminina  und  finden  als  solche  angeführt:  coutume,  eeume,  enclume  auf 
S.  39  und  plume  auf  S.  40.  Amertume,  bitume,  brume  haben  wir  jedoch 
nicht  gefunden. 

Von  den  Wörtern  auf  ice  finden  wir  folgende  nicht:  cilice,  dentifrice, 
exercice,  frontispice,  iudice,  injustice,  lice. 

Aufserdem  haben  wir  keine  Anleitung  zur  Bestimmung  des  Genus  fol- 
gender Substantiva  gefunden:  grable,  debäcle,  acre,  jade,  parafe,  bagne, 
Champagne,  anniversaire,  brumaire,  dromadaire,  exemplaire,  honoraire,  re- 
paire,  salaire,  paire,  suaire,  häle,  räle,  dedale,  calque,  asphalte,  basalte, 
dimanche,  cancre,  calandre,  lange,  melange,  vidange,  chambranle,  abaque, 
casaqiie,  claque,  fanfare,  tiare,  alarme.  vacarme,  remarque,  tintamarre,  arrhes, 
vase,  basque,  desastre,  pilastre,  emplätre,  daube,  chiquenaude,  jauge,  sauge, 
heaume,  paunie,  bejaune,  parallaxe. 

Diese  Wörter  gehören  alle  zu  jenen,  deren  Endungen  mit  .a,  ai  oder  au, 
einem  oder  mehreren  Konsonanten  und  einem  e  muet  gebildet  sind.  Wir 
wollen  nun  nicht  auch  noch  die  mit  e,  i,  o,  u  gebildeten  Endungen  in  der 
Anleitung  aufsuchen :  wir  begnügen  uns  damit,  gezeigt  zu  haben,  dafs  der 
Titel  unserer  Schrift  mehr  verspricht,  .als  der  Inhalt  derselben  leistet.  Mau 
kann  nicht  „das  Genus  aller  französischen  Substantiva"  mit  Hilfe  dieser  An- 
leitung bestimmen.  Wir  legen  jedoch  weniger  Gewicht  auf  diesen  Umstand: 
es  ist  ja  leicht  möglich,  dafs  beim  Excerpieren  von  über  40  000  Substantiven 
ein  paar  Dutzend  unter  den  Tisch  fallen.  Aber  darüber  beklagen  wir  uns, 
dafs  es  uns  ungemeine  Mühe  gemacht  li;it,  zu  konstatieren,  dafs  über  die 
oben  angeführten  Wörter  in  der  „Neuen  Anleitung"  kein  Aufschlufs  zu  er- 
halten ist.  \\'enn  man  sich  z.  ß.  über  das  Genus  eines  Wortes  auf  sogen, 
dumpfes  e  unterrichten  will,  so  ist  man  gezwungen,  zuerst  unter  den  Masku- 
linen zu  suchen,  findet  man  es  da  nicht,  so  bat  man  die  weiblichen  Endungen 
durchzugehen;  steht  das  Wort  auch  hier  nicht,  so  mufs  man  noch  unter  der 
Liste  jener  Substantiva  nachsehen,  deren  Genus  sich,  wie  der  Herr  Verf. 
sagt,  nur  etymologisch  bestimmen  läfst. *  Nun  ist  aber  auch  diese  Liste 
unglücklicherweise  nach  Maskulinum  und  Femininum  getrennt,  so  dafs  viel- 
leicht erst  nach  viermahgem  Suchen  sich  das  Gewünschte  findet.  Mit  Sicher- 
heit kann  man  aber  auch  darauf  nicht  rechnen.  Wir  gestehen,  dafs  wir 
unter  solchen  Umständen  lieber  gar  nicht  suchen.  Es  war  eine  höchst  un- 
glückliche Idee  des  Verfassers,  seine  Substantiva  —  wenigstens  im  gröfseren 
Teile  seiner  Schrift  (p.  7 — 45)  —  nach  Maskulinen  und  Femininen  zu  tren- 
nen. Seine  Aufgabe  bestand  nicht  darin,  zu  zeigen,  welche  Endungen  die 
männlichen  Substantiva  haben  können,  sondern  er  hätte  angeben  sollen,  ob 
eine  bestimmte  Endung  vorwiegend  Maskulinen  oder  Femininen  eigen  ist, 
und  dann  hätte  er  diejenigen  Substantiva  aufzählen  sollen,  welche  eine  Aus- 
nahme von  dem  für  diese  bestimmte  Endung  vorwiegenden  Genus   machen. 

Suchen  wir  uns  z.  B.  bei  Herrn  Spelthahn  Auskunft  über  die  Endung 
i{]ue  zu  verschaffen,  so  finden  wir  p.  16  die  Heilmittel  auf  ique  als  Masku- 


*  Merkwürdigerweise  finden  sich  in  dieser  Liste  mehr  als  dreifsig  Substantiva, 
die  gerade  das  entgegengesetzte  Genus  ihres  Stammwortes  haben. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  423 

lina,  p.  24  die  Namen  der  Kiinste  und  Wissenschaften  auf  i(jue  als  Feminina, 
p.  32  cantique,  lexique  als  Maskulina,  p.  33  portique  als  Rlaskuiinuni,  p.  40 
barrique,  basilique,  boutique,  brique,  dnplicjue  als  Feminina,  p.  41  fabrique, 
pique,  pratique,  relicjue,  replique,  republique,  rubrique,  supplique,  tunique 
als  Feminina. 

Abgesehen  davon,  dafs  wir,  was  zur  Endung  ique  gehört,  an  sechs  ver- 
schiedenen Orten  haben  suchen  müssen,  sind  wir  ganz  ratlos  über  folgende 
Wörter  gelassen:  chronique.  clique,  colique,  critique,  distique,  ecliptique, 
nique,  pique,  plique,  poiitique,  pratique,  silique,  tique,  tonique  (Grundton), 
topique,  trique,  troiiique,  veronique,   viatique  und  voniique. 

Es  wäre  nun  gewifs  viel  einfacher  für  Herrn  Spelthahn,  und  angenehmer 
für  den  Besitzer  seiner  Schrift  gewesen,  wenn  alle  die  zerstreuten  Anr^aben 
über  ique  etwa  folgendermafsen  zusaramengefafst  worden  wären : 

Ique.    Die  Substantiva  dieser  Endung  sind  meist  weiblich.    Männlich  sind : 

1.    Die  Namen  der  Heilmittel  auf  ique. 

•2.  Folgende  einzelne :  cantique,  distique,  emetique  (Brechweinstein), 
letique,  portique,  tropique,  viatique. 

Anmerkung.  Topique  ist  Maskulinum  in  den  Bedeutungen  a)  örtliches 
Heilmittel,  b)  unbestrittener  Rechtsgrundsatz.  Topique  ist  Femi- 
ninum im  Sinne  von  Topik  (in  der  Rhetorik). 

Fände  man  nun  bei  dem  Artikel  ique  vielleicht  noch  angegeben,  wie 
viele  Substantiva  ungefähr  auf  ique  endigen,  so  wäre  gewifs  allen  vernünf- 
tigen Anforderungen  Rechnung  getragen,  ohne  dafs  der  Verfasser  über  zu 
viele  Mühe  bei  seiner  Abf\issung  der  Schrift,  und  der  Leser  über  zu  viele 
Mühe  bei  Benützung  derselben  sich  zu  beklagen  hätte. 

Man  gestatte  uns  noch,  auf  einige  Versehen  aufmerksam  zu  machen. 
Pag.  21)  ist  prejudice  mit  „^'orurteil"  übersetzt;  p.  30  ist  louange  als  Masku- 
linum angeführt;  p.  31  steht  vehicle  statt  vehicule;  p.  34  steht  rozaire  statt 
rosaire;  p  43  steht  bei  nacre:  vom  span.  nakir,  statt:  vom  arab.  nakir; 
p.  45  steht  trapeze  bei  den  Femininen  aufgeführt.  Es  ist  aber  nach  Littre 
und  Academie  Maskulinum  (auch  bei  Sachs  steht  es  irrtümlich  als  Fem.). 

Indem  wir  nun  unsere  mühevolle  Besprechung  dieser  Arbeit  schliefsen, 
können  wir  nicht  umhin,  zugleich  mit  der  Bewunderung  des  Fleifses  und 
der  Ausdauer,  die  der  Herr  X'erfasser  an  den  Tag  gelegt,  auch  unser  Be- 
dauern darüber  auszusprechen,  dafs  er  einerseits  durch  ungeeignete  Dispo- 
sition die  Benutzung  seines  Werkchens  sehr  erschwert  hat,  und  dafs  er 
andererseits  sich  selbst  um  den  Preis  seiner  Muhe  gebracht  hat,  da  infolge 
mannigfacher  Unvollständigkeit  seiner  Schrift  man  die  Aufgabe,  die  er  sich 
gestellt,  durchaus  nicht  als  gelöst  betrachten  kann. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Besprechung  erlauben  wir  uns,  ein  Verzeichnis 
nach  dem  Genus  gruppierter  Substantiva  unseren  Herren  Fachgenossen  zu 
beliebiger  Verwertung  vorzulegen.  Dasselbe  enthält  nur  gewöhnlichere 
Wörter,  wie  sie  in  Schulbüchern  vorkommen,  und  zwar  auch  nur  diejenigen, 
welche  eine  Ausnahme  zu  einigen  in  einer  Übersicht  zusammengestellten 
Anhaltspunkten  für  die  Beurteilung  des  Genus  eines  Haujjtwortes  nach  seiner 
Endung  bilden.  Dieses  Verzeichnis  soll  nur  rein  praktischen  Zwecken 
dienen,  und  deshalb  benennen  wir  es: 

Genusregeln  für  Schüler. 

1.  Die  durch  Bindestrich  miteinander  verbundenen  Hauptwörter  sind  ge- 
wöhnlich Maskulina.  Ist  das  erste  derselben  ein  Fcniininuin,  so  wird 
das  ganze  auch  als  Femininum  betrachtet. 

2.  Bei  lebenden  Wesen  wird  das  Genus  des  Suhstinüivs  durch  das  natür- 
liche Geschlecht  bestimmt,  wenn  die  Sprache  zwischen  Maskulinum  und 
Femininum  unterscheidet.  Giebt  es  nur  ein  Wort  für  beide  Geschlechter, 
so  finden  die  folgenden  Kegeln. Anwendung. 


424  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

3.    Übersicht. 

1.   N'okalischc  Endungen. 

a)  Feminina:  te,  tie. 

b)  Maskulina:  Die  übrigen  V^okale.  (Auch  6,  wenn  kein  i  oder  t 
vorausgeht.) 

II.  Konsonantische  Endungen. 

a)  Feminina:  eur,  ion.     Vokal  -|-  son. 

b)  Maskulina:  Alle  übrigen. 
III.  Endungen  auf  stummes  e. 

a)  Maskulina:  «)  Vokal  +  ge.  ß)  Vokal  +  ,^^^  asme,  isme. 
y)  Konsonant  (jedoch  nicht  r)  -j-  re.     S)  ice,  cide,  side. 

b)  Feminina:  «)  Volyil  +  e.  ß)  Nasal -f- e.  Vokal  -f-  ne.  ;^')  Vokal 
-f-  se.  S)  Doppelkonsonant  -\-  e.  e)  ere,  ete,  ete,  eve,  eve. 
^)  ace,  ade,  ude.     ?;)  che,  gue,  que. 

c)  Regel  für  die  übrigen  Wörter  auf  e:  Sie  haben  dasselbe  Ge- 
schlecht, welches  ihre  Grundbedeutungen  im  Deutschen  haben, 
wobei  das  deutsche  Neutrum  im  Französ.  zum  Mask.  gestellt  wird. 

d)  Einzelbehandlung. 

1  .  Vokalische  Endungen. 

1.  Feminina:  te,  tie.  Ausnahmen:  Le  comite,  le  comte,  le 
cöte,  un  ete,  le  päte,  le  traite. 

2.  Maskulina:  Die  übrigen  Vokale.  Ausnahmen:  la  veranda, 
la  villa,  die  Namen  der  Tänze,  la  mi-niai,  une  eau,  la  peau, 
la  merci,  une  apres-midi,  la  fourmi,  la  foi,  la  loi,  la  paroi, 
la  glu,  la  tribu,  la  vertu. 

II.  Konsonantische  Endungen. 

1.  Feminina:  eur,  ion,  Vokal  -|-  son.  Ausnahmen:  le  labeur, 
bonheur,  malheur,  heur,  honneur,  deshonneur,  coeur,  choeur, 
equateur,  Instrumente  und  mathcm.  Ausdrücke,  le  Hon, 
gabion,  talion,  billion,  million,  trillion,  lanipion,  scorpion, 
bastion,  crayon,  rayon.    Le  blason,  diapason,  polson,  tison. 

2.  Maskulina:  Alle  übrigen  auf  einen  Konsonanten.  Aus- 
nahmen :  la  faim,  la  main,  la  chair,  la  paix,  faux,  chaux, 
clef,  nef,  dent,  gent,  cuiller,  mer,  foret,  tin',  vis,  brebis, 
souris,  chauve-sourls,  oasis,  moeurs,  fois,  soif,  croix,  noix, 
poix,  voix,  fa9on,  contrefacjon,  le9on,  ran9on,  chanson, 
boisson,  moisson,  mousson,  cuisson,  part,  mort,  dot,  cour 
(et  composes),  tour,  nuit,  perdrix,  toux. 

III.  Endungen  auf  stummes  e. 

1.  Maskulina:  n)  Vokal  -f-  ge.  ß)  Vokal  -|-  me,  asme  und 
isme.    y)  Konson.  -f-  re.     S)  ice,   cide,   side.     Ausnahmen: 

a)  la  cage,  nage,  page,  plage,  rage,  image,  la  tige,  une 
horloge,  löge,  toge  (aber:  un  eloge),  la  neige. 

b)  Une  iime,  lame,  reclame,  rame,  trame,  creme,  mi-careme 
(aber:  le  careme),  cscrime,  estime,  Iime,  maxime,  prime, 
rime,  victime,  amertume,_brume,  coutume,  ecume,  enclume, 
plume,  paume. 

c)  La  nacre,  escadre,  chambre,  ancre,  barre,  algebre,  encre, 
cendre,  lepre,  fenetre,  lettre,  couleuvre,  chevre,  fievre, 
Icvre,  fibre,  epitre,  huitre,  mitre,  vitre,  iivre  (Pfund), 
ceuvre,  ofTre,  ombre,  montre,  rencontre,  foudre,  poudre, 
poutre.  Seltener:  balafre,  calandre,  podagre,  sala- 
mandre,  amarre,  martre,  piastre,  gaufre,  vcpres,  tenebres, 
guetre,  ocre,  pourpre  (auch  Mask.),  loutre,  outre,  hydre, 
palestre. 

d)  Une  avarice,  cicatrice,  epice,  (in)justice,  malice,  matrice, 
milice,  notice,  police. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  425 

2.  Feminina :  «)  N'okal  -(-  e.  ß)  Nasal  +  e.  >')  Vokal  -j-  ne, 
Vokal  -f-  se.  S)  Doppelkonsonant  -|-  e.  f)  cre,  ete,  ete, 
eve,  eve.    t)  ace,  ade,  ude.    ?;)  cbe,  gue,  que.    Ausnahmen : 

a)  Le  colisee,  elysee,  musee,  rez-de-chaussde,  trophee.  Un 
incendie,  genie,  parapluie,  foie. 

b)  Le  silence,  dimanche,  manche  (Stiel),  change  (et  comp.), 
melange,  compte  (et  comp.),  monde,  conte. 

c)  Le  cräne,  organe,  chene,  frene,  chemische  Ausdrücke 
auf  gene,  le  platine,  aune  (Erle),  domaine,  jeüne,  cöne, 
tröne,  patrimoine. 

d)  Le  lierre,  tonnerre  et  para-,  parterre,  verre,  cimetcrre, 
le  colosse. 

e)  Le  cimetiere,  le  reve. 

f)  Un  espace,  un  grade,  un  prelude. 

g)  Un  dogue,  orgue  (im  S.),  die  Wörter  auf  loguc  (aber : 
une  eglogue),  un  cantique,  distique,  lexique,  portiquc, 
tropique,  masque,  risque,  catafalque,  die  Namen  der 
Arzneien  auf  ique  (während  die  Namen  der  Krankheiten 
auf  ique  generis  fem.  sind),  le  relächc,  fetiche,  hd- 
mistiche,  caniche,  reproche. 

3.  Regel  für  die  übrigen  Wörter  auf  e:  Man  gebe  ihnen  das- 
selbe Genus,  welches  ihre  Grundbedeutungen  im  Deutschen 
haben  (wobei  das  deutsche  Neutrum  zu  den  franz.  Masku- 
linen zu  stellen  ist).  [So  seltsam  diese  Anweisung  klingt, 
so  praktisch  ist  sie.  Ein  Versuch  hat  ergehen,  dafs  bei 
Beobachtung  derselben  35  Proz.  weniger  Ausnahmen  zu 
konstatieren  sind,  als  wenn  die  Regel  über  das  Genus  der 
Wörter  auf  unaccentuiertes  e  so  gefafst  wäre : 

a)  Maskulina:  Vokal -f-ge.    Vokal -f-me  etc.  wie  oben. 

b)  Feminina:  Alle  übrigen  auf  e.] 
Ausnahmen: 

1)  Deutsche  Grundbedeutung  männlich  oder  sächlich,  das  frz.  Wort 
weiblich:  La  table,  etable,  debäcle,  Cataracta,  eiimpagne,  niontagne, 
aile,  contrainte,  circulaire,  paire,  retraite,  cale,  valse,  halte,  jambe, 
epigramme,  estampe,  barbe,  gare,  niarge,  alarme,  carpe,  marque, 
vase  (Schlamm,  aber  le  vase.  (lefäfs),  date,  päte,  taupe,  faute, 
cave,  piece,  atteintc,  grele,  herbe,  luzerne,  averse,  controverso, 
perte,  gueule,  mcule,  preuve,  bride,  c^nigme,  vigne,  argile,  tuile, 
cire,  robe,  cicogne,  ctoile,  voile  (Segel),  armoire,  gloire,  victoire, 
geole,  tole,  camisole,  idole,  obole,  parole,  trompe,  amorce,  corde, 
corne,  pelote,  redingote,  pantoufle,  coupc,  croupe,  course,  banque- 
route,  mule,  virgule,  chutc. 

2)  Deutsche  Grundbedeutung  weiblich,  das  franz.  Wort  männlich : 
Le  calme,  troublo,  cigare,  hectare,  saule,  regne,  axe,  precepte, 
merle,  diocese,  geste,  episode,  röle,  controle,  moule,  groupe,  tube, 
crepuscule. 

Die  Zahl  derjenigen  gewöhnlichen  Wörter,  welche  hier  nicht  eigens 
aufgeführt  sind,  aber  deren  Genus  durch  die  aufgestellten  Regeln  bestimmbar 
ist,  dürfte  wohl  die  vierfache  Anzahl  der  hier  angegebenen  bilden.  Ob  das 
obige  Verzeichnis  oder  ein  ähnliches  für  die  Schule  (ohne  Latein;)  dienstbar 
gemacht  werden  kann,  ob  nicht  andere  Gruppierungen  vorteilhafter  sind, 
oder  ob  nicht  vielleicht  das  ganze  Kapitel  wie  bisher  der  blofsen  Routine 
zu  überlassen  ist,  wollen  wir  hier  nicht  entscheiden.  Es  genügt  uns,  auf 
diesen  Gegenstand  aufmerksam  gemacht  und  diese  mühevolle  Zusammen- 
stellung zu  Ende  gebracht  zu  haben. 

München.  Th.  AV oh  1  fahrt. 


426  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Thibaut,  Französisch-deutsches  und  deutsch-französisches  Wörter- 
buch. 100.  Aufhige.  Braunschweig  1883,  G.  Westermann. 
530  u.  464  S. 

^\'obl  kein  Wörterbuch  hat  sich  bisher  einer  so  allseitigen  Verbreitung 
zu  erfreuen  gehabt,  wie  der  uns  allen  aus  der  Jugendzeit  wohlbekannte 
Tliibaut.  Beinahe  eine  halbe  Million  Exenijjlare  sind  von  demselben  in  den 
\'erkehr  gekommen;  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  auch  in  Frankreich 
hat  er  sich  zahlreiche  Freunde  erworben.  Aber  der  Grundsatz  noblesse 
oblige  gilt  auch  hier.  Soll  ein  derartiges  Buch  lebens-  und  konkurrenz- 
fähig bleiben,  so  darf  es  nicht  hinter  den  Anforderungen  der  Gegenwart 
zurückbleiben. 

Eine  lebende  Sprache  steht  keinen  Augenblick  still;  jedes  politische 
Ereignis,  jede  neue  Erfindung,  ja  jeder  neue  Schriftsteller  verändert  und 
bereichert  den  AVortschatz  derselben.  Die  Notwendigkeit,  diesem  veränderten 
Besitzstande  beider  Sprachen  Rechnung  zu  tragen,  sowie  auch  die  Rück- 
sicht auf  die  vor  einigen  Jahren  fast  gleichzeitig  in  Deutschland  und  Frank- 
reich geschehene  Umgestaltung  der  Orthographie  machte  es  der  Verlags- 
buchhandlung zur  Pflicht,  wiederum  nach  zwölf  Jahren  eine  vollständige 
Neubearbeitung  des  Thibaut  veranstalten  zu  lassen.  Die  nunmehr  vorlie- 
gende 100.  Auflage  ist  vom  Professor  Dr.  AVüUenweher  im  Verein  mit  dem 
Oberlehrer  Dr.  O.  Dickmann  hergestellt  worden.  Unter  Benutzung  aller 
bei  einer  solchen  Arbeit  in  Betracht  kommenden  lexikalischen  Hilfsmittel 
und  auf  Grund  lan^rjähriger,  durch  Unterricht  und  Studium  gesammelter 
Erfahrungen  haben  dieselben  ein  Werk  geschaffen,  welches  in  der  That  in 
jeder  Hinsicht  als  ein  vollständig  neues  betrachtet  werden  mufs.  „Da  war 
kein  Stein,  der  ruhig  blieb,  man  warf  die  Erde  gar  durchs  Sieb;"  so  denkt 
man  unwillkürlich,  wenn  man  die  einzelnen  Artikel  der  neuen  Bearbeitung 
mit  denen  der  früheren  (von  1871)  vergleicht.  Schon  äufserllch  erkennt 
man  dies  an  der  vermehrten  Bogenzahl  und  dem  gröfseien  Formate,  wo- 
durch das  frühere  Volumen  um  ein  Zwölftel  gewachsen  ist.  Dafs  trotzdem 
der  Preis  des  Buches  derselbe  geblieben  ist,  verdient  hier  besondere  An- 
erkennung. Mit  Rücksicht  auf  die  Bestimmung  des  neuen  Prüfungsregle- 
ments für  Abiturienten  an  Realgymnasien  und  Oherrealschulen  (§  8,  4)  ist 
die  Einrichtung  getroffen  worden,  dafs  der  französisch-deutsche  Teil  für 
sich  allein  zu  beziehen  ist.  In  typographischer  Beziehung  ist  ebenfalls 
nichts  von  dem  versäumt,  was  die  moderne  Pädagogik  von  Schulbüchern  zu 
verlangen  berechtigt  ist. 

Was  nun  die  Bearbeitung  selbst  betrifft,  so  haben  die  Verfasser  nicht 
blofs  die  rein  lexikalischen  und  phraseologischen,  sondern  auch  die  gram- 
matischen und  synonymischen  Beziehungen  der  einzelnen  Wörter  in  gebüh- 
render Weise  berücksichtigt.  Die  Aussprache  ist  überall  da  angegeben,  wo 
für  den  Ausländer  erfahrungsmäfsig  irgend  eine  Schwierigkeit  vorliegt.  Für 
den  französischen  Teil  wurde  natürlich  in  erster  Linie  das  neue  Dictionnaire 
de  l'Academie  zu  Grunde  gelegt  und  nur  da,  wo  letzteres  keinen  Aufschlufs 
gab  (z.  B.  bei  vielen  Pluralbildungen  und  bei  der  Aussprache)  zu  dem 
älteren  Littre  gegriffen.  Dafs  für  beide  Teile  das  vortreffliche  Wörterbuch 
von  Saclis  und  für  einzelne  technische  Gebiete  Specialwörterbücher  (z.  B. 
Ribbentrop,  VVershoven  u.  a.)  benutzt  wurden,  erkennt  man  auf  jeder  Seite. 
Von  neuen  Wörtern,  die  wir  jetzt  zum  erstenmal  im  Thibaut  antreffen,  und 
die  zum  Teil  erst  neueren  Ursprungs  sind,  seien  hier  folgende  erwähnt: 
Bauernfänger,  Dienstwohnung,  Doppelwährung,  Dorfgeschichte,  Drahtseil- 
bahn, Drückebei-ger,  Einschub,  Engelmacherin,  Erdrutsch,  Fahrstuhl,  Farben- 
blindiieit,  Fliegenpapier,  Galgenhumor,  Gefühlsmensch,  Gelenkrheumatismus, 
Gründer,  kandidieren,  Kanonentieber,  Karbolsäure,  Kellerwechsel,  Krach, 
Kümmelblättchen,  Lampenfieber,  Leichenverbrennung,  Moorbad,  Nachwahl, 
Pantoffelheld,  Prefskohle,  Probiermamsell,  Puff,  Reblaus,  Ringbahn,  Riesel- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  427 

feld,  Rohrpost,  llollschuh,  Sauregurkenzeit,  Schlafwagen,  Schlagwort,  Schlufs- 
schein,  Schonzeit,  Solbad,  Spitalbrand,  Stadthahn,  Standesamt,  Stichwal)!, 
Stimmvieh.  Treppenwitz,  Trockenwohner,  Unfallversicherung,  Vegetarianer, 
Verstaatlichung,  Wahlkampf,  Weltpostverein,  AVeltschmerz,  Zuchtwahl  u.  s.  w. 
Die  verschiedenen  Bedeutungen  der  einzelnen  Wörter  sind  streng  logisch 
geordnet  und  durch  zahlreiche  Beispiele,  sowie  durch  kurze  synonymische 
Erklärungen  veranschaulicht.  Es  ist  eine  bekannte  Erfahrimg,  dafs  der 
Schüler  sehr  häufig  beim  Aufschlagen  eines  ^^'ortes  durch  die  grolse  Zahl 
der  möglichen  Übersetzungen  in  \  erlegenheit  gerät  und  meist  das  Falsche 
wählt.  Will  er  z.  B.  das  Wort  „Geschlecht"  übersetzen  und  findet  im 
Wörterbuch  weiter  nichts  als:  sexe,  genre,  race,  generation,  espece,  oder 
für  Ruhe:  tranquillite,  repos,  calme,  oder  für  Rede:  discours,  propos,  parole, 
langage,  bruit,  raison,  oder  für  heilig:  saint  und  sacre,  so  ist  er  nicht  klüger 
als  vorher.  In  allen  diesen  und  ähnlichen  Fällen  giebt  Thibaut  durch  kurze 
eingeklammerte  Erklärungen  und  durch  praktische  Beispiele  die  nötige  An- 
leitung, das  Richtige  zu  finden.  Die  Phraseologie  (Sprichwörter,  bililliche 
und  scherzhafte  Ausdrücke,  Gallicismen  und  üermanismen)  ist  in  der  neuen 
Auflage  bedeutend  mehr  berücksichtigt  worden  als  bisher.  Auch  die  gram- 
matischen Beziehungen  der  Wörter  (namentlich  die  Modus-,  Kasus-  und 
Infinitivlehre)  sind  in  genügender  Weise,  sei  es  durch  kurze  Angabe  der 
betrefi'enden  Regel,  sei  es  durch  entsprechende  Beispiele,  zur  Darstellung 
gekommen.  Hierher  gehören  ferner  die  vielen  stereotypen  Verbindungen 
von  Substantiven  und  Präpositionen,  welche  mit  besonderer  Sorgfalt  be- 
handelt worden  sind.  Es  genügt  nicht  zu  wissen,  wie  „Belohnung,  Dank, 
Erinnerung,  Furcht,  Mifstrauen,  Rücksicht,  Strafe,  Vertrauen  u.  s.  w."  heifst; 
man  mufs  auch  erfahren,  wie  zu  übersetzen  ist:  „zur  Belohnung  für,  zum 
Dank  für,  zur  Erinnerung  an,  aus  Furcht  vor,  aus  Mifstrauen  gegen,  mit 
Rücksicht  auf,  zur  Strafe  für,  im  Vertrauen  auf"  u.  s.  w.  Die  Zahl  der 
Eigennamen  ist  beträchtlich  vermehrt,  und  im  französisch-deutschen  Teile 
ist  aufser  der  Übersetzung  eine  kurze  Erklärung  derselben  in  Klammern  bei- 
gefügt worden,  z.  B.  Hebe,  f.  Hebe  (Göttin  der  Jugend).  Dasselbe  ist  bei 
den  zahlreichen  wissenschaftlichen  und  technischen  Fremdwörtern  geschehen, 
welche  ohne  eine  solche  Erklärung  dem  Schüler  und  auch  manchem  Laien 
unverständlich  bleiben  würden. 

Was  nun  endlich  die  Korrektheit  des  Drucks  betriflt,  so  stehen  wir 
nicht  an  zu  behaupten,  dafs  dieselbe  bis  auf  wenige  leicht  zu  beseitigende 
Ausnahmen  (z.  B.  p.  190  les  armes  statt  les  larmes ;  p.  318  Paleographe 
statt  paleographe)  in  vollem  Mafse  erreicht  worden  ist. 

Wir  glauben  daher,  diese  neue  Auflage  unseren  Fachgenossen  in  jeder 
Hinsicht  aufs  wärmste  empfehlen  zu  können,  und  wünschen  zum  Schlufs, 
dafs  das  Buch  in  seiner  neuen  Gestalt  sich  immer  zahlreichere  Freunde  er- 
werben möce. 


Ciala,  Französische  Schulgramrnatik.  Mittlere  Stufe.   2.  Auflage, 
umgearbeitet  von  H.  Bihler.     Leipzig,  Teubner. 

Vor  einigen  Jahren  wurde  an  vielen  hatlischen  Gymnasien  auf  Ver- 
anlassung des  Oberschulrates  zum  Ersatz  der  Plötzschen  Lehrbücher  die 
französische  Schulgrammatik  von  Ciala  eingeführt.  Es  mochte  dies  damals 
eine  etwas  gewagte  Neuerung  sein;  denn  wie  durch  eine  äufserst  eingehende 
Recension  in  dieser  Zeitschrift  (Bd.  LXVIH,  Heft  1)  ntichsewiesen,  fehlte 
es  besonders  bei  den  französischen  Beispielsätzen  nicht  an  unrichtigen  oder 
wenigstens  bedenklichen  Ausdrücken  und  Satzwendungen.  Die  günstige 
Beurteilung  des  Buches  in  der  „Zeitschr.  für  neufrz.  Sprache  und  Litt." 
(Bd.  I,  p.  i27)  mufste  also  in  der  That  eine  sehr  oberflächliche  Arbeit  sein, 


428  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

und  nicht  ganz  ohne  Grund  wurde  die  erste  Auflage  in  einer  Besprechung 
in  der  „Zeitung  für  das  höhere  Unterrichtswesen"  (1883,  Nr.  40)  als  ein 
gänzlich  verfehltes  Lehrmittel  bezeichnet.  Es  war  daher  ein  zeitgemäfser 
Schritt,  als  im  vorigen  Jahre  die  Lehrerkollegien  unserer  Gelehrtenschulen 
vom  Oberschulrat  zu  einer  Meinungsäufserung  veranlafst  wurden,  welche 
X'eränderungen  für  die  nötig  gewordene  zweite  Auflage  der  Mittel- 
stufe etwa  wünschenswert  sein  möchten.  Natürlich  gingen  die  Ansichten 
weit  auseinander,  dennoch  unternahm  es  Professor  Bihler  (am  Karlsruher 
Gymnasium),  durch  eine  neue  Bearbeitung  des  Buches  den  Wünschen  der 
Kollegen  möglichst  nachzukommen.  Inwieweit  ihm  dies  gelungen,  läfst  sich 
natürlich  nicht  bestimmt  sagen;  wohl  aber  kann  von  einem  höheren  päda- 
gogischen Standpunkte  aus  beurteilt  werden,  ob  das  Lehrmittel  in  seiner 
neuen  Gestalt  besser  und  brauchbarer  geworden  sei.  Es  wird  diese  Frage 
am  leichtesten  zu  beantworten  und  zu  entscheiden  sein,  wenn  wir  die  Haupt- 
veränderungen der  zweiten  Auflage  hier  in  Kürze  zusammenstellen  und 
besprechen. 

In  der  Formenlehre  des  Verbs  ist  vor  allem  die  für  die  Schule 
ganz  unpraktische  Einteilung  in  starke  und  schwache  Konjugation  be- 
seitigt und  dieser  ganze  erste  Abschnitt  wieder  mehr  in  Einklang  gebracht 
mit  der  althergebrachten  ßehandlungsweise.  Es  scheint  uns  dies  der  einzige 
vernünftige  Standpunkt  zu  sein ;  der  praktische  Schulmann  mufs  ganz  ent- 
schieden Front  machen  gegen  die  Verwirrung,  welche  gerade  für  dieses 
Kapitel  in  den  Köpfen  der  Schüler  angerichtet  wird  durch  die  sogenannte 
historische  oder  streng  sprachwissenschaftliche  Behandlung  des  Verbs.  Diese 
mag  ganz  am  Platze  sein  in  den  tlörsälen  der  Universität,  aber  gewifs  nicht 
an  der  Mittelschule.  Auch  sollte  man  in  einem  so  wichtigen  Punkte  so  viel 
als  möglich  im  Einklang  bleiben  mit  den  französischen  Grammatikern,  und 
vielmehr  diesen  es  überlassen,  so  weitgehende  Neuerungen  ein-  und  durch- 
zuführen.—  Für  die  Veränderungen  der  unregelmäfsigen  V^erben  (wozu 
auch  die  auf  oir  gezählt  sind)  werden  dann  in  §  1  elf  kurze  Gesetze  zu- 
sammengestellt; es  ist  dadurch  nicht  blofs  dem  Gedächtnisse  des  Schü- 
lers nachgeholfen,  sondern  es  ist  ihm  auch  ein  Einblick  in  die  historische 
Lautlehre  ermöglicht.  Für  das  Mafs  aber,  das  der  Verfasser  hierin  ge- 
halten, ist  ihm  allerdings  volle  Anerkennung  zu  zollen:  darin  stimmen  wir 
ganz  mit  dem  Recensenten  der  „Zeitung  für  das  höhere  Unterrichtswesen" 
überein. 

Aufser  in  dem  erwähnten  —  allerdings  sehr  wichtigen  —  Punkte  sind 
in  der  Formenlehre  keine  gröfseren  Abweichungen,  dafür  aber  manche  kleine 
Verbesserungen  zu  verzeichnen.  Dem  §  22:  „Gebrauch  der  Hilfsverben 
avoir  und  etre"  sind  die  Hauptregeln  über  das  Participe  passe  beigegeben. 
Es  ist  dies  nur  zu  billigen;  denn  dieselben  kommen  ja  so  häufig  zur  Ver- 
wendung, dafs  es  nicht  ratsam  ist,  dieselben  auf  den  dritten  Teil,  d.  h.  auf 
den  Schlufs  des  grammatischen  Unterrichts  aufzusparen.  Dagegen  könnte 
es  nichts  schaden,  auch  zu  den  gesperrt  gedruckten  Grundregeln  (Parti- 
cipe mit  etre  und  avoir)  einige  prägnante  Beispielssätze  beizufügen ;  denn 
Beispiele  ermöglichen  im  Sprachunterricht  dem  Schüler  die  Anschauung  und 
sollten  deshalb  bei  der  Regel  nie  fehlen.  —  Nicht  absolut  notwendig  und 
fast  etwas  störend  scheint  uns  die  in  §  1  festgesetzte  und  dann  in  der 
Grammatik  streng  durchgeführte  Anordnung  der  Redeteile.  Es  wäre 
gewifs  besser,  den  Artikel,  der  ja  eigentlich  dem  Schüler  längst  bekannt 
ist,  unmittelbar  vor  oder  nach  dem  Substantiv  vorzunehmen.  Warum  sollte 
denn  diese  Abänderung  von  der  durch  die  alte  lateinische  Schulgrammatik 
festgestellten  Anordnung  nicht  erlaubt  sein?  Aus  dem  gleichen  Grunde 
dürften  auch  die  einfachen,  leichten  Regeln  von  der  Bildung  des  Adverbs 
besser  gleich  nach  dem  Adjektiv  (also  vor  Zahlwort  und  Fürwort)  zur  Be- 
handlung kommen.  Es  wäre  das  eine  methodische  Rücksicht,  die  dem  System 
durchaus  keinen  Eintrag  thäte.  —  Bei  einzelnen  Regeln  sind  von  den  Aus- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  429 

nahmen  oft  nur  die  häufig  vorkommenden  ^Vörte^  angegeben.  AVIr  sind 
im  Grundsatz  ganz  mit  diesem  Verfahren  einverstanden ;  nur  dürfte  hier  und 
da  Meinungsverschiedenheit  darüber  entstehen,  was  mehr  und  was  weniger 
gebräuchlich  sei.  In  solchen  Fällen  würde  eine  Besprechung  mit  Fach- 
genossen am  leichtesten  die  Streitfrage  entscheiden ;  um  nur  ein  Beispiel 
anzuführen,  so  sollten,  scheint  uns,  in  §  40,  3  doch  die  Wörter  profonde- 
ment  und  commodement  mit  angeführt  sein  (eher  noch  als  etwa  ppi- 
niätrement). 

In  einem  zweiten  Teil,  p.  40 — 85,  folgen  nun  die  französischen  und 
deutschen  Übungsbeispiele,  meist  einzelne  Sätze  und  nur  zumSchlufs  einige 
zusammenhängende  Stücke.  Die  Anordnung  derselben  mufste  natürlich  den 
Abänderungen  im  grammatischen  Teile  entsprechend  einigermafsen  umge- 
staltet werden,  so  dafs  namentlich  aus  diesem  Grunde  die  beiden  Auflagen 
nicht  nebeneinander  gebraucht  werden  können.  Durch  Beigabe  dieser  Bei- 
spiele beweist  der  Verfasser,  dafs  er  der  grundverkehrten  und  widersinnigen 
Meinung,  wie  sie  z.  B.  von  einem  Kritiker  der  „Bad.  Schulzeitung"  ge- 
äufsert  worden,  nicht  bestimmt,  dafs  er  also  vielmehr  die  Notwendigkeit 
der  Übungsbücher  beim  Sprachunterricht  voll  und  ganz  anerkennt.  Es  ist 
ja  sonnenklar,  dafs  es  ein  ungeheurer  Zeitverlust  ist,  wenn  der  Lehrer  erst 
die  Übungssätze  vorsagen  oder  diktieren  mufs,  dafs  ferner  dem  Schüler  die 
Arbeit  aufserordentlich  erschwert  ist,  wenn  er  dieselben  nicht  gedruckt  vor 
sich  hat,  und  dafs  für  letzteren  endlich  beim  Mangel  eines  Übungsbuches 
irgend  welches  Privat  Studium  oder  häusliche  Nachhilfe  fast  ganz  unmöglich 
gemacht  wird.  Man  möchte  fast  sagen,  es  sei  ein  trauriges  Zeichen  der 
Zeit,  dafs  man  überhaupt  über  solche  einfache  Wahrheiten  in  Zweifel  sein 
und  streiten  kann.  —  In  diesen  Übungssätzen  handelte  es  sich  nun  beson- 
ders darum,  viele  Unrichtigkeiten  und  Verstöfse  gegen  den  guten  Sprach- 
gebrauch zu  verbessern.  Soweit  wir  dies  kontrolieren  konnten,  ist  das  red- 
lich geschehen  und  die  früher  gerügten  Sätze  sind  gröfsteuteils  abgeändert 
oder  weggelassen  worden,  insofern  sie  sich  nämlich  nicht  verteidigen  liefsen, 
was  immerhin  auch  einigemal  der  Fall  war.  Obgleich  wir  nicht  allzu  hohen 
AVert  darauf  legen,  dafs  die  Übungssätze  immer  durchaus  gehaltvoll 
und  geistreich  seien  —  den  Schülern  ist  das  ja  doch  mehr  oder  weniger 
gleichgültig  —  so  verdient  es  immerhin  Anerkennung,  dafs  sie  sonst  in 
dieser  Auflage,  wie  übrigens  auch  schon  in  der  ersten,  meistens  ziemlich 
sinnvoll,  vielseitig  und  mannigfaltig  sind,  besonders  auch  die  verschiedenen 
Bedeutungen  eines  Verbs  berücksichtigen  und  zur  Anwendung  bringen. 
Zusammenhängende  Übungsstücke  halten  wir  auf  dieser  Stufe  des 
Sprachunterrichts  auch  noch  nicht  für  ganz  zweckmäfsig;  denn  die  Einübung 
und  häutige  Anwendung  bestimmter  Regeln  kommt  dabei  leicht  zu  kurz. 
Es  kann  deshalb  dem  Verfasser  auch  kein  Vorwurf  gemacht  werden,  dafs 
er  deren  nur  eine  kleine  Zahl  bringt. 

Das  Vokabelverzeichnis  ist  gegenüber  der  ersten  Auflage  bedeu- 
tend verkürzt;  es  umfafst  statt  32  nur  noch  20  Seiten.  Während  früher 
eine  Menge  etymologisch  verwandter,  aber  oft  ganz  selten  vorkommender 
und  daher  unnötiger  Wörter  sich  hier  zut-amniengestellt  fanden,  sind  solche 
jetzt  weggelassen,  nach  dem  ganz  richtigen  Grundsatze,  dafs  es  nicht  rät- 
lich sei,  Wörter  memorieren  zu  lassen,  die  in  den  Übungsbeispielen  keine 
A  erwendung  finden.  Auch  lür  diese  Bescliränkung  darf  man  dem  Neu- 
bearbeiter zu  Dank  verpflichtet  sein.  Die  ca.  1(J00  Wörter,  die  auch  jetzt 
noch  dem  Schüler  zu  erlernen  bleiben,  dürften  für  ein  Jahr  ganz  genügend 
Material  zu  Gedächtnisübungen  bieten. 

Sehr  wertvoll  ist  ferner  die  Beigabe  einer  Anzahl  poetischer  und 
prosaischer  Lesestücke;  es  ist  dem  Schüler  damit  die  Anschafhing 
eines  besonderen  Lesebuches  erspart,  was  in  jeder  Beziehung  nur  vorteilhaft 
ist.  Mit  anderen  Recensenten  möchten  wir  die  gute  Auswald  der  einzelnen 
Lesestücke  lobend  anerkennen    und   betonen,  dafs  es   sehr   vernünftig  war, 


430  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

auf  dieser  Stufe  nicht  ein  gröfsercs,  zusammenhängendes  Werk  der  franzö- 
sischen Litteratur  dem  Schüler  vorzulegen.  Alan  hat  in  letzter  Zeit  unnötig 
für  den  Lesestoff'  genannter  Art  sich  ereifert  und  begeistert,  unter  der  An- 
nahme, dafs  das  Interesse  der  Schüler  dadurch  geweckt  werde.  Es  ist  das 
eine  reine  Phrase:  die  Lektüre  vollständiger  Werke  wird  allerdings 
für  den  herangereiften  Geist  eher  spannend  und  anziehend  sein.  Der  jugend- 
lichen Fassungskraft  und  Denkungsart  aber,  sind  kurze  Stücke  viel  ange- 
messener und  sie  bieten  auch  besser  Anlafs  zu  Sprechübungen,  als  lang- 
atmige Geschichten,  wo  oft  seitenweise  gar  kein  Fortgang  der  Handlung 
zu  verzeichnen  ist.  Durch  Absätze  auch  äufserlich  gut  gegliederte,  kleinere 
Lesestücke  in  möglichst  einfacher  Sprache  sind  für  Anfängerklassen 
weitaus  am  geeignetsten;  gröfsere,  zusammenliängende  Sachen,  die  ja  mei- 
stens nach  Form  und  Inhalt  viel  mehr  ScLwierigkeiten  bieten,  passen  erst 
für  obere  Klassen,  und  auch  dort  wird  daneben  eine  gute  Chrestomathie 
immer  nötig  und  nützlich  sein,  indem  ja  sonst  die  Kenntnis  der  Litteratur 
und  die  Sprachübung  eine  sehr  einseitige  wäi'e. 

Mit  dem  alphabetischen  Verzeichnis  der  in  den  Übungspara- 
graphen vorkommenden  Wörter  schliefst  das  Buch;  auch  diese  Erweiterung 
wird  der  praktische  Schulmann,  der  die  Vergefslichkeit  der  Schüler  kennen 
mufs,  mit  Freude  begrüfsen:  es  ist  auf  diese  Weise -Grammatik,  Übungs-, 
IjCse-  und  Wörterbuch  in  einem  Bande  von  mäfsigem  Umfang  vereinigt. — 
Das  Schlufsurteil  der  Kritik  wird  demnach  sein,  dafs  die  Mittelstufe 
durch  die  neue  Bearbeitung  des  Prof.  Bihler  ein  praktisches,  brauchbares 
Schulbuch  geworden  ist.  Der  Lehrer,  welcher  mitten  in  der  Berufsthätigkeit 
steht,  wird  diese  N'orzüge  zu  schätzen  wissen;  denn  er  allein  ist  im  stände 
zu  ermessen,  wie  unendlich  ihm  seine  Wirksamkeit  erschwert,  der  Erfolg 
des  Unterrichts  beeinträchtigt  wird  durch  verschiedene  der  in  neuer  Zeit 
Mode  gewordenen  Lehrmittel,  die  leider  zu  oft  das  Lob  der  theoretisch 
fachwisseiischaftlichen  Kreise  geerntet  haben,  für  die  Schule  aber  geradezu 
verderblich  sind.  In  dieser  neuen  Auflage  ist  der  klare  Blick,  die  richtig 
und  mit  Takt  sichtende  Hand  des  praktischen  Schulmannes  unverkennbar. 
Möge  der  Neubearbeiter  auf  dem  begonnenen  Wege  weiterschreiten  und 
durch  keinerlei  Nebenrücksichten  sich  von  der  nun  einmal  eingeschlagenen 
Bahn  ableiten  lassen !  Es  ist  sehr  zu  wünschen,  dafs  auch  für  Umgestaltung 
der  ersten  und  dritten  Stufe  immer  das  Princip  der  praktischen  Brauchbar- 
keit hochgehalten  werde;  dadurch  vor  allem  ist  der  Schule  gedient  und 
dadurch  allein  wird  auch  am  ehesten  eine  möglichst  ausgedehnte  \  erbreitung 
dieses  Lehrbuches  erzielt  werden. 

Karlsruhe.  J.  Gutersohn. 


Etudes  8ur  la  Conversation  fran9aise,  Manuel  de  Conversation 
et  de  Voyage  par  George  Storm,  au  Lycde  I  Hanovre. 
Hanovre,  Charles  Meyer  (Gustave  Prior),  1878.  VIII  und 
496  p.     3  Mk. 

Mit  1494  französischen,  alphabetisch  geordneten  Verben  sind  6736  Sätze 
gebildet,  in  denen  die  verschiedenartige  Verwendung  dieser  Verben  in  der 
Sprache  des  gebildeten  Umgangs  klargelegt  wird.  Zu  sämtlichen  Sätzen 
ist  die  deutsche  Übersetzung  gegeben.  Nur  selten  findet  sich  ein  Verb  an 
nur  einem  Satze  erläutert,  wie  elaborer  (Nr.  2901);  sind,  wie  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle,  mehrere  Sätze  mit  demselben  Verb  gebildet,  so  enthält  ge- 
wöhnlich der  erste  das  Verb  in  seiner  Grundbedeutung;  die  folgenden  dienen 
dazu,  die  hiervon  abweichenden,  mitunter  recht  mannigfachen  Verwendungen 
desselben  Verbs  einzuüben.  Einige  Verben,  wie  aller,  faire,  laisser,  passer, 
perdre,  prevenir,  tenir,  tendre,  venir  sind  mit  besonderer  Sorgfalt  behandelt 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  431 

und  bieten  auch  Gallicismen,  die  sonst  in  dem  Buche  weniger  häufi<;  zu 
finden  sind.  Dem  Ubelstande,  dafs  durch  die  Anordnung  des  ßuches'eine 
umfassende  Zusammenstellung  ganzer  Klassen  von  sinnverwandten  Substan- 
tiven ausgeschlossen  ist,  wird  dadurch  abgeholfen,  dafs  in  einzelnen  Nummern, 
wie  unter  voir  6690  und  6692,  wo  alle  möglichen  Gemüse,  Obstarten  und 
Früchte  überhaupt  genannt  werden,  derartige  Aufzählungen  dennoch  vor- 
genommen werden.  Das  nach  den  deutschen  Bedeutungen  angeordnete 
alphabetische  Wörterverzeichnis  am  Ende  des  Buches  gestattet,  "sätze,  in 
denen  ein  Wort  in  dieser  oder  jener  Verwendung  aufgetreten  ist,  mit 
Leichtigkeit  wieder  aufzufinden.  Das  Buch  kann  also  auf  der  einen  Seite 
als  eine  ziemlich  umfassende  Synonymik  des  französischen  Verbs  bezeichnet 
werden,  während  es  gleichzeitig  mittelst  der  darin  beobachteten  Methode, 
immer  in  gut  gebauten  Sätzen  zu  reden,  für  die  Bildung  des  Stils  und  die' 
Erweiterung  des  X'okabelschatzes  von  Bedeutung  ist.  D;ifs  es  zur  ei"-ent- 
lichen  Lektüre  infolge  der  bei  andauerndem  Lesen  zusammenhanwsToser 
Sätze  leicht  eintretenden  Ermüdung  nicht  geeignet  ist,  hat  das  Buch  mit 
anderen  derselben  Art  gemein.  Für  solche  aber,  die  sich  mit  der  Anferti- 
gung von  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  in  das  Französische,  oder  mit 
der  Abfassung  französischer  Aufsätze  zu  befassen  haben,  stellt  es  einereiche 
Fundgrube  übersichtlich  angeordneten  und  bequem  zu  verwendenden  Ma- 
terials dar. 

Gehen  wir  auf  Einzelheiten  ein. 

Zwei  Nummern  von  suftire  (6109  und  6116)  sind  unter  soudrir  (6031 
und  6032)  geraten.  803  steht  hagelneu  für  nagelneu;  6342  ä  brebis  tondu 
statt  tondue;  6347:  Les  effects  du  tonnerre,  statt  effets.  Das  Komma  ist 
zu  beseitigen  in  6151:  J'ai  suppose,  qu'il  ne  vous  montrerait  pas  cette 
lettre;  und  6429:  Je  me  fais  fort,  de  trancher  la  question  d'emblee  (das 
Beispiel  hätte  so  gewählt  werden  können,  dafs  daran  ersichtlich  wurde,  dafs 
auch  bei  weiblichem  Subjekt  das  Adjektiv  fort  nach  altfrz.  Art  unver- 
ändert bleibt). 

Bei  einigen  Artikeln  würde  man  gröfsere  Vollständigkeit  des  Gegebenen 
wünschen;  so  bei  trainer  6403 — 13  ein  Beispiel  von  trainer  =  „unordent- 
lich (auf  Stühlen  und  Tischen)  herumliegen";  bei  ternir  6294  eines  von  se 
ternir  =  „den  Glanz  verlieren"  (von  Stoffen);  von  tenir  dans  =  „Platz 
haben  in",  ist  kein  Beispiel  gegeben,  wozu  in  Nr.  6280:  Cette  salle  peut 
contenir  500  personnes,  Gelegenheit  geboten  gewesen  wäre  (f)00  personnes 
tiennent  dans  cette  salle);  bei  voir  6688 — 6703  vermifst  man  voyaiit  =  „in 
die  Augen  fallend"  (couleurs  voyantes,  un  chapeau  voyant). 

Die  Ausdrucksweise  ist  in  einzelnen  Sätzen  ungewöhnlich.  Besser  hie fse 
es  Nr.  6165:  Les  idees  que  j'en  avais  formees,  statt:  les  iddes  que  je  m'en 
etais  formees;  6107:  11  faut  me  faire  suer,  oder  il  faut  que  je  me  fasse 
suer,  statt:  il  nie  faut  me  faire  suer;  6140:  Les  marins  ecartes  par  la  tem- 
pcte,  statt:  les  marins  ecartes  de  la  tempete;  6141:  avec  une  grande  pa- 
tience,  statt:  avec  grande  patience ;  6160:  le  navire  surgit  au  bon  port, 
statt:  ä  bon  port.  6257:  tu  deviendras  bossu,  statt:  tu  dcviendrais  bossu, 
c'est  sür,  si  tu  ne  te  tiens  pas  mieux  que  ca.  6266:  Monsieur  F.  le  meillcur 
accompagnateur  de  tout  le  conservatoire,  statt:  M.  F.  meillcur  accomp. 
6267 :  Je  tiens  de  bonne  source  que  le  mariage  de  Mademoiselle  S.  aura 
lieu,  statt:  ait  lieu.  6271:  Nous  verrons  lequel  de  nous  est  plus  fort,  statt: 
qui  de  nous  est  le  plus  fort.  6365 :  pour  ce  qui  n'en  vaut  pas  la  pcine, 
statt:  p.  ce  qui  ne  vaut  p.  1.  p.  6379:  la  tete  lui  tourna  de  sorte  quelle 
cessa  de  valser,  statt:  de  la  sorte  que  etc.  6035:  eile  va  chez  sa  mere  lui 
souhaiter  une  bonne  fete,  statt:  lui  souhaiter  sa  fete.  6050:  Les  Romains 
soumiren*.,  ii  leur  domination  tous  les  pays  alors  connus,  statt:  soumirent 
tous  les  pays  alors  connus  a  leur  domination. 

Zweck  dieser.  Ausführungen  ist  indessen  nicht,  den  Wert  des  Buches 
herabzusetzen,  sondern  anzudeuten,    wu  bei  einer  neuen  Auflage  der  Hebel 


432  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

anzusetzen  ist,  um  diesen  unzweifelhaft  vorhandenen  Wert  noch  zu  erhöhen. 
Daher  begnügen  wir  uns  mit  dem  bisher  Gesagten  und  überlassen  es  dem 
iuifnierksanien  Leser,  etwaige  kleine  Versehen,  die  ihm  noch  hier  und  da 
aufstofsen  mögen,  nach  seinem  eigenen  Wissen  und  Können  zu  berichtigen. 

Die  französische  Volksdichtung  und  Sage.  Ein  Beitrag  zur 
Geistes-  und  Sittengeschichte  Frankreiche,  von  Dr.  Wilhelm 
Scheffler,  Privatdocent  für  französ.  Sprache  und  Litteratur 
am  königl.  Polytechnikum  zu  Dresden.  Leipzig,  Bernhard 
Schlicke,  1883. 

Das  Werk  erscheint  in  Lieferungen  ä  1  Mk.  80  Pf.;  im  ganzen  soll  es 
deren  fünf  umfassen.  Wenn  diese  auch  noch  nicht  sämtlich  erscliienen 
sind,  so  gestattet  doch  das  bis  jetzt  Vorliegende  bereits  ein  Urteil  über  die 
Art  und  Weise,  wie  der  Verf.  seiner  Aufgabe  gegenübersteht,  zu  bilden. 
Sein  Zweck  ist,  der  in  Deutschland  weit  verbreiteten  Ansicht  entgegen- 
zuti'eten,  als  hätten  die  Franzosen  keine  wahre  Volkspoesie,  als  fehlte  ihnen 
die  Tiefe  des  Gemüts,  welche  sich  in  den  deutschen  Volksliedern  ausspricht 
und  welche  allein  es  möglich  gemacht  hat,  dafs  in  allen  Gauen  unseres 
weiten  Vaterlandes  der  Quell  des  Volksliedes  so  reich  und  tief  fliefst.  Um 
diese  Meinung  zu  berichtigen,  hätte  es  genügt,  wenn  der  Verf.  aus  den 
reichhaltigen,  bereits  in  Frankreich  erschienenen  Sammlungen  von  Volks- 
liedern der  verschiedenen  Landesteile,  die  er  in  dem  zweiten  Abschnitte  der 
Einleitung,  in  dem  „Überblick  über  die  Geschichte  der  französischen  Volks- 
dichtung" in  grofser  Fülle  anführt,  seinerseits  eine  Blütenlese  zusammen- 
gestellt hätte. 

Sein  Zweck  ist  aber  noch  ein  anderer.  Was  von  französ.  Litteratur  in 
Deutschland  am  meisten  gekannt  wird  und  die  weiteste  \  erbreitung  findet, 
sind  Theaterslücke,  Operetten,  Komane  und  illustrierte  Witzblätter  von  tief- 
stehender moralischer  Tendenz.  Die  Folge  ist,  dafs  man  sich  bei  uns  daran 
gewöhnt  hat,  diese  Richtung  als  die  in  der  französ.  I.,itteratur  überwiegende 
anzusehen  und  „französisch"  und  „schlüpfrig"  in  litterarischen  Sachen  bei- 
nahe für  gleichbedeutend  zu  halten.  Dieses  Vorurteil  will  der  Verf.  be- 
seitigen; er  will  zeigen,  dafs  das  Volk  in  seinem  Singen  und  Sagen  von  der 
Verderbnis  der  Klassen,  für  welche  die  oben  angedeuteten  ßomane,  Ope- 
retten etc.  berechnet  sind,  unberührt  geblieben  ist ;  dafs  es  in  seinem 
Empfinden  und  in  dem  dichterischen  Ausdruck  desselben  ebenso  wahr  und 
einfach,  ebenso  unschuldig  und  kindlich-fröhlich  oder,  je  nach  den  Umstän- 
den, wehmütig,  ja  tieftraurig  ist,  wie  bei  uns  und  überall.  Und  diese  Wir- 
kung zu  erzielen,  scheint  für  den  Verf.  beinahe  die  Hauptsache  gewesen  zu 
sein.  Denn  während  die  Anzahl  der  von  ihm  mitgeteilten  Lieder  im  Ver- 
hältnis zu  dem  Umfange  des  bereits  Erschienenen  nicht  allzu  grofs  genannt 
werden  kann,  wird  er  nicht  müde,  uns  immer  von  neuem  wieder  aufmerksam 
zu  machen,  wie  schön,  wie  rein,  wie  natürlich  die  ausgeiirückten  Empfin- 
dungen sind.  Es  hätten  zu  den  von  ihm  behandelten  Kategorien  „Erwachen 
der  Liebe,  Liebeslust,  Liebesleid"  jedenfalls  mehr  Beispiele  beigebracht 
werden  können,  wenn  er  sich  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Lieder 
weniger  lange  aufhielte.  So  widmet  er  einem  einzigen  Liede ,  dem  von 
den  drei  Holzfällern,  von  p.  55  an,  welches  noch  dazu  kein  eigentliches 
Volkslied  ist,  da  es  nur  in  der  von  George  Sand  verfafsten  Bearbeitung 
vorliegt,  fünf  volle  Seiten,  und  bespricht  es  nach  Form  und  Inhalt  mit  sehr 
grofser  Ausführlichkeit. 

Es  entspricht  dem  Zwecke,  den  der  Verf.  im  Auge  hat,  dafs  er  fast 
nur  solche  Lieder  mitteilt,  die  in  Rücksicht  der  Moral  nichts  zu  wünschen 
übrig  lassen.  Auch  wo  er  in  dem  Abschnitt  „Liebesleid"  von  den  aus  den 
„Altfranzös.   Romanzen    und  Pastorellen"    sattsam   bekannten   Verführungs- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  433 

liedern  handeln  niufs,  wählt  er  mit  A'orliebe  solche,  in  denen  die  Tugend 
siegt,  in  denen  das  Mädchen  mit  Gewalt  (wie  in  einem  bezeichnenderweise 
aus  der  Gascügne  stammenden  Liede  p.  138),  oder  mit  List,  oder  durch  die 
Dazwischenkunft  himmlischer  Mächte  seine  Onschuld  wahrt. 

Es  braucht  wohl  nicht  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  dafs  chjrch 
diese  Ausscheidung  des  entschieden  ebenfalls  volkstiindichen  Elements  des 
Derbsinnlichen  diese  Darstellung  der  französ.  Volksdichtung  und  Sage  dem, 
was  der  Titel  als  ihren  eigenilithen  Zweck  bezeichnet,  nicht  ganz  genau 
entspricht.  Wir  bekommen  nicht,  wie  der  Verf.  verspricht,  ein  Bild  von 
allem,  was  der  Volksgeist  überhaupt  hervorgebracht  hat,  sondern  eine  Ten- 
denzschrift zu  gunsten  der  französ.  Sittlichkeit,  oder,  um  es  genauer  zu  be- 
zeichnen, eine  Abhandlung  zu  dem  Zwecke,  die  in  Deutschland  über  die 
Moralität  des  französ.  Volkes  herrschenden  Ansichten  zu  berichtigen  und  zu 
verbessern. 

Nach  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  sei  es  gestattet,  näher  auf  den 
Inhalt  des  Buches  einzugehen. 

In  dem  ersten  Teile  der  Einleitung,  einer  vergleichenden  Charakteristik 
französischer  und  deutscher  Volksdichtung,  spricht  der  Verf.  zunächst  von 
der  in  Deutschland  wie  in  Frankreich  herrschenden  Unbekanntschaft  mit 
der  französischen  Volksdichtung.  In  Deutschland  erklärt  sich  dieselbe  da- 
durch, dafs  zunächst  auf  der  Schule,  wo  der  Grund  zu  unserer  Kenntnis  der 
französischen  Sprache  und  Litteratur  gelegt  wird,  der  Mangel  an  Zeit  es 
verbietet,  andere  als  die  Meisterwerke  der  prosaischen  und  poetischen  Rhe- 
torik zu  behandeln.  Im  späteren  Leben  aber  hält  man  es  dann  auch  nicht 
mehr  für  der  Älühe  wert,  sich  nach  den  bescheidenen  Blümchen  umzusehen, 
die  im  Schatten  des  Waldes,  am  Rande  der  Quelle,  an  Zäunen  und  Hecken 
wachsen  und  gedeihen.  Für  den  gebildeten  Franzosen  aber  sind  diese 
Naturprodukte,  diese  Erzeugnisse  urwüchsiger  Phantasien,  die  keinen  Wert 
darauf  legen,  in  den  für  unerläfslich  angesehenen  Schnürstiefeln  der  über- 
konmienen  Kunstdichtung  einherzuschreiten,  ein  Greuel.  „Mais  cela  n'est  pas 
rime,"  damit  ist  das  Urteil  über  alles,  was  speciell  „populaire"  ist,  ge- 
sprochen. Es  ist  selbstverständlich,  dafs  es  bei  einer  solchen  Scheidung 
zwischen  Volk  im  engeren  Sinne  und  Gebildeten  zu  einer  gegenseitigen 
geistigen  Befruchtung,  zu  einem  gegenseitigen  Austausch  von  Gedanken 
und  Formen,  wie  er  in  Deutschland  stattgefunden  hiit,  in  Frankreich  nicht 
hat  kommen  können.  In  dem  Bewufstsein  nun,  dafs  auch  die  Volksdich- 
tung des  eigenen  Landes  Schätze  berge,  deren  Hebung  sich  der  Mühe  ver- 
lohne, ging  man  gegen  Ende  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  daran, 
zu  sammeln,  was  von  alten  Volksliedern  und  Sprüchen  noch  im  Munde  des 
Volkes,  und  namentlich  der  alten  Leute,  lebendig  war.  Und  es  war  hohe 
Zeit;  denn  mit  dem  Eindringen  städtischer  Gewohnheiten  in  alle  Schichten 
der  Bevölkerung,  mit  dem  Absterben  der  alten  Sitten  und  Gebräuche,  die 
teilweise  sogar  behördlich  unterdrückt  wurden,  verschwinden  auch  die  alten 
Lieder  mehr  und  mehr.  Klagt  doch  sogar  ein  Liebhaber  der  Volkspoesie, 
Theuriet,  in  einem  Jahrzehnt  werde  überhaupt  nichts  mehr  davon  vorhanden 
sein.  Die  er.'^te  bedeutende  Sammlung,  die  allen  folgenden  die  Bahn  nicht 
nur  öfliiete,  sondern  auch  vorzeichnete,  war  die  von  Villemarcpie  1840  unter 
dem  Titel  Barzas-Breiz  in  zwei  Bänden  veröllentlichte.  In  ihr,  die  in  fünf 
Jahren  vierzehn  Auflagen  erlebte,  findet  sich  ausschliefslich  die  Bretagne 
vertreten.  Es  folgten  Sammlungen  aus  der  Champagne,  Provence,  Dau- 
phinde,  Normandie,  Auvergne,  Gascogne,  Isle-de-France  u.  s.  w.,  kurz  aus 
allen  Landesteilen  Frankreichs.  Dabei  kommt  es  denn  nicht  selten  vor, 
dafs  dasselbe  Lied,  gewöhnlich  mit  einigen  Abänderungen,^  sich  in  zwei, 
drei,  bis  fünf  verschiedenen  Sammlungen  findet,  was  für  die  Feststellung  des 
ursprünglichen  Textes  mitunter  von  Wichtigkeit  ist. 

Nach  dieser  iahaltreichen  Einleitung  wendet  sich  der  Verf.  scmem 
eigentlichen  StotTe,  den  Liedern  selbst  zu. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  28 


434  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Ausgebontl  von  der  Beobachtung,  dafs  bei  allen  Völkern  Dichtung  und 
Gesang  zunächst  dazu  gedient  haben  und  noch  dienen,  Gefühle  der  Liebe 
auszusprechen,  beginnt  er  mit  denen,  welche  sich  auf  Liebeslust  und  Liebes- 
leid beziehen.  Von  dem  ersten  Erwachen  der  zarten  Kegungen  an,  welches 
nach  dem  Liede:  „Mon  pere,  nia  mere,  mariez-moi ;  Moi,  je  le  veux,  Je  le 
veux,  moi;  Rlon  pere,  ma  mere,  mariez-moi,  Moi,  je  le  venx  ce  soir,"  ziem- 
lich stürmisch  zu  sein  scheint,  gelangen  wir  zu  Werbeliedern,  darunter  be- 
sonders das  oben  erwähnte  von  den  drei  Holzfällern,  zu  Klageliedern  der' 
mehr  als  dreifsig  Jahre  alt  gewordenen  Jungfrauen,  die  in  ihrer  Jugend  zu 
wählerisch  gewesen  waren,  und  nun  trotz  feiner  Hüte  und  Schuhe,  trotz 
seidener  Kleider  und  etwas  Bargeld  keine  Freier  mehr  finden,  ferner  zu 
denen,  welche  die  Verherrlichung  treu  ausharrender  Liebe  zum  Gegenstande 
haben,  endlich  zu  Zank-  und  Streitliedern,  welche  wie  die  von  S.  101  an 
aufgeführten  ganz  den  Charakter  unserer  Schnadahüpfel  tragen.  Den  Ab- 
schlufs  bildet  ein  längeres  Lied  aus  Bourbonnais,  welches  das  neckische  Ent- 
eilen des  Mädchens  und  das  einigermafsen  tölpelhafte  Nachsetzen  des  jungen 
Burschen  besingt. 

In  dem  zweiten  Teile  dieses  Abschnittes,  „Liebesleid",  flnden  sich  die 
schönsten  und  empfindungsvollsten  der  in  dem  bis  jetzt  Erschienenen  mit- 
geteilten Lieder,  so  namentlich  eines  aus  deniEIsafs:  „Tu  m'aimais,  Je  sais 
cela;  Tu  ne  nvaimais  plus,  Je  sais  cela.  Mais  roubli,  l'oubli,  Je  ne  sais 
pas  encore  cela!"  welches  an  rührender  Einfachheit  die  berühmte,  vom  Verf 
aber  nicht  zur  Vergleichung  herangezogene  Strophe  Bertauts:  „Felicite 
passee,  Qui  ne  peux  revenir,  Tourment  de  ma  pensee,  Que  n'ai-je,  en  te 
perdant,  perdu  le  souvenir!"  noch  übertrifft.  Hier  finden  sich  denn  auch, 
wenn  gleich  in  geringer  Anzahl,  die  Verführungslieder,  von  denen  oben  be- 
reits die  Rede  war,  namentlich  aber  auch  solche,  in  denen  der  verlassene 
Liebhaber  seinen  festen  Entschlufs  ausspricht,  das  ihm  angethane  Herzeleid 
im  Trünke  zu  ertränken. 

Es  erübrigt,  von  dem  zu  sprechen,  was  sich  im  einzelnen  an  dem  Buche 
aussetzen  läfst.  Eigentümlichkeiten  der  Ausdrucksweise,  wie  das  dreimal 
wiederkehrende:  „Es  ist  eigen  zu  sehen,  wie"  u.  s.  w.,  „ungeheuer  viel", 
„ein  ungeheurer  Fortschritt",  „die  französische  Litteratur,  wie  der  franzö- 
sische Charakter  überhaupt,  zeigt  immer  etwas  mehr  Auftrag,  als  ihm  in 
Wirklichkeit  eigen  ist",  lassen  sich  wohl  auf  eine  gewisse  Hast  bei  der  Ab- 
fassung zurückführen,  die  sich  auch  sonst  wahrnehmen  läfst.  So  giebt  der 
Verf.  in  den  Fufsnoten  das  Wort  „caille"  auf  p.  lOG  und  p.  133,  also 
zweimal,  mit  „Schwalbe"  wieder,  an  Stellen,  wo  eine  Verwechselung  durch 
den  Text  selbst  ganz  ausgeschlossen  sein  sollte  (p.  106:  Alors  je  me  fais 
caille,  Courant  les  bles ;  p.  133:  J'ai  vu  la  caille  Parmi  la  paille;  J'ai  vu 
la  caille  Dans  le  ble).  P.  122  wird  „Jour  de  raa  vie  ne  lui  mesfis"  über- 
setzt mit:  „mein  Lebtag  mifs  traut'  ich  ihr  nicht."  „J'aure  mieux  Tautre 
annee"  auf  derselben  Seite  wird  mit:  „ich  wünschte,  wir  schrieben  erst 
nächstes  Jahr"  wiedergegeben,  während  der  Sinn  :  „Nächstes  Jahr  wird  mir's 
besser  gehen"  auf  der  Hand  liegt.  In  „Je  la  fus  veoir  l'aultre  sepmaine" 
wird  bemerkt:  „Je  la  fus  veoir  ich  sah  sie;  dem  Volke  sind  Umschreibungen 
eigentümlich,  vergl.  deutsch:  ich  thät  arbeiten."  „La  serpette"  wird,  wenn 
damit  eine  Rose  geschnitten  werden  soll,  nicht  ein  „^Vinzermesser",  sondern 
ein  Gartenmesser  bezeichnen.  Was  p.  50  mit  „lien  d'ozier"  gemeint  sei, 
bekennt  der  Verf.  durch  die  Note :  lien  d'ozier  —  Fragezeichen,  nicht  zu  wissen. 
Da  auf  den  Einwand  der  Mutter:  „Ma  fiUe,  nous  n'avons  pas  d'anneau" 
von  dem  heiratslustigen  Mädchen,  das  ä  tout  prix  noch  ce  soir  einen  Mann 
haben  will,  erwidert  wird  „Mon  Dieu,  nn  anneau;  Helas!  pauvre  anneau, 
Mariez-moi  avec  un  lien  d'ozier",  so  lag  die  Bedeutung  „Band  von  Weide" 
nahe  genug.  Eine  kleine  Änderung  im  Texte  hätte  ein  ähnliches  Frage- 
zeichen auf  p.  137  ersparen  können.  Es  heifst  da  in  der  Zurückweisung 
des    verführerischen   Ansinnens    eines    Chevalier:    Je    n'ai    pas    le    cueur    si 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  435 

volaige,  Quil  vous  semble,  par  mon  serment,  Car  j'ai  mon  pastoreau  lout 
quis  etc.  Man  lese:  Car  j'aim'  mon  pastoreau  tous  dis.  —  Der  Hirt  lockt 
mit  seinen  weitbin  ballenden  Tönen  die  verirrten  Lämmer  im  Gebirge  wie 
in  der  Ebene  nicbt  zur  „Erde"  (p.  135),  sondern  zur  Hürde  zurück,  und 
was  dergleicben  Kleinigkeiten  raebr  sind. 

Bedenklicher  als  diese  Flücbtigkeiten  scheint  das  ganze  System  von 
Fufsnoten,  die  der  Verf.  den  mitgeteilten  Liedern  beigefügt  hat.  Man  weifs 
nicht  recht,  für  wen  sie  bestimmt  sind.  Wenn  der  \'erf.  glaubt,  seinem 
Publikum  „je  ne  saurais"  mit  „ich  kann  nirbt",  „brauche"  mit  „Zweig", 
„rossignol"  mit  „Nachtigall"  etc.  verdeutschen  zu  müssen,  so  hätte  er  diese 
Armen  doch  nicht  durch  Übersetzungen,  Avie  p.  61 :  „Je  les  garde  ä  ma 
maitresse  Qui  file  en  m'attendant" :  „Mit  Verlaub,  hohe  Frau,  sie  blühen 
für  mein  Lieb,  das  seufzend  meiner  gedenkt"  irre  leiten  sollen.  Statt 
dafs  zu  aulne  die  ganz  beziehungslose  Anmerkung  gemacht  wurde,  p.  132: 
„aulne  Erle,  vergl.  Roi  des  Aunes",  konnte  bei  dem  Verse:  A  la  claire  fon- 
taine  Les  mains  me  suis  lave  (sie!).  A  la  feuille  du  ebene  Me  les  suis 
essuyees.  Sur  la  plus  haute  brauche  Le  rossignol  chantait  an  die  Chanson 
von  Marlbrougb  s'en  va-t-en  guerre   erinnert  werden. 

Fielen  diese  Anmerkungen  weg,  so  würde  das  Buch,  das  sich  doch  an 
einen  Kreis  von  gebildeten  Lesern  wendet  und  bei  seiner  Übersichtlichkeit, 
dem  angenehmen,  fliefsenden  Ton  der  Darstellung  und  der  höchst  anerken- 
nenswerten und  vortrefl'licb  durchgeführten  Tendenz,  das  deutsche  Publikum 
mit  einer  bisher  gänzlich  vernachlässigten  Seite  des  französischen  Volks- 
charakters bekannt  zu  machen,  einen  solchen  in  hohem  Grade  verdient,  ent- 
schieden nur  gewinnen. 

Deutsch-Französisches  Phraseologisches  Wörterbuch  von  Adolf 
Holtermann,  Dr.  phil.     Dortmund  1882.     VIIl  u.  336  p. 

Tn  der  französischen  wie  in  der  deutschen  Sprache  findet  .«sich,  nament- 
lich in  volkstümlicher  Ausdrucksweise,  die  stark  ausgesprochene  Neigung, 
Beziehungen  abstrakter  Natur  durch  konkrete  Bilder  auszudrücken,  die  auf 
der  Beobachtung  natürlicher  Vorgänge  oder  auf  der  Erfahrung  des  täglichen 
Lebens  beruhend  dem  einzelnen  \'olke  gerade  so  eigentümlich  und  für  das- 
selbe charakteristisch  sind  wie  seine  Sprichwörter,  ja  die  oft  geradezu  als 
Sprichwörter  angesehen  werden  können.  Die  Verschiedenheit  der  Betrach- 
tungsweise in  den  beiden  Sprachen  bringt  es  mit  sich,  dafs  vielfach  für  das 
in  der  einen  von  beiden  gültige  und  allgemein  verständliche  Bild  in  der 
anderen  ein  ganz  abweichendes  eingesetzt  wird,  sowie  dafs  die  eine  vielleicht 
gar  keinen  bildlichen  Ausdruck  für  eine  Vorstellung  kennt,  wo  der  anderen 
einer  oder  mehrere  solche  zu  Gebote  stehen.  In  dem  vorliegenden  Buche 
nun  findet  sich  eine  aufserordentlicbe  Menge  dieser  volkstümlichen  Ausdrücke 
zusammengestellt,  und  zwar  in  der  Weise  angeordnet,  dafs  das  in  der 
jeweiligen  deutschen  Redensart  den  Hauptbestandteil  bildende  Wort  als 
Kopf  an  der  Spitze  des  bezüglichen  Artikels  steht;  der  Artikel^  selbst  be- 
steht aus  französischen  Redewendungen,  die  den  mit  dem  als  Kopf  voran- 
gestellten Worte  gebildeten  deutschen  entsprechen.  Die  Kopfwörter,  inn 
sie  kurz  zu  bezeichnen,  sind  alphabetisch  geordnet.  In  den  meisten  Fällen 
läfst  der  Verf.  die  mitgeteilten  französischen  Redensarten  ohne  Ubersetzimg; 
wo  der  deutsche  Ausdruck  weiter  abliegt,  oder  nicht  als  allgemein  bekannt 
angenommen  werden  kann,  fügt  er  ihn  vollständig  oder  andeutungsweise  hei. 
Doch  verfährt  er  dabei,  wie  sich  das  auch  wohl  kaum  vermeiden  liefs,  nicht 
ganz  oleicbmäfsig.  Denn  während  er  zu  leicht  verständlichen  Ausdiiicken 
die  Übersetzung  giebt,  wie  zu  „appeler  un  chat  un  chat"  unter  „Namen" 
(die  Dinge  beim- rechten  N.  nennen);  zu  „mettre  a  la  purte"  unter  „Aus" 
(^zur  Thür  hinauswerfen) ;  zu  „lettre  de  döprdcation"  unter  „Abbitte"  (scbrift- 

28* 


436  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen 

liehe  Abbitte)  u.  s.  w.,  läfst  er  andere  unübersetzt,  deren  deutscher  Reprä- 
sentant weniger  leicht  zu  finden  ist,  wie  bei  „C'est  irrevocable"  nnter  „Ab- 
beilsen",  wo  wohl  nicht  jeder  ohne  weiteres  an  „Davon  beifst  die  Maus 
keinen  Faden  ab"  denkt,  ebenso  wenig  wie  bei  „Donner  un  ojuf  pour  avoir 
un  bceuf"  unter  „Wurst"  an  „Die  Wurst  nach  der  Speckseite  werfen".  Doch 
würde  es  zu  weit  führen,  wenn  alle  Redensarten  aufgeführt  werden  sollten, 
bei  denen  die  deutsche  Ausdrucksweise  fehlen  oder  hinzugefügt  sein  könnte. 
Auch  läfst  sich  in  dieser  Hinsicht  gar  keine  bestimmte  Grenze  ziehen,  da 
das  einem  jeden  von  deutschen  Redensarten  Bekannte  ein  ganz  schwanken- 
des und  je  nach  der  Provinz,  aus  der  er  stammt,  der  Erziehung  und  dem 
Umgange  wechselnder  Begriff  ist.  Bezüglich  der  französischen  Redensarten 
indessen,  so  zahlreich  sie  auch  sind,  wäre  immerhin  noch  gröfsere  Vollzäh- 
ligkeit zu  wünschen.  So  finden  wir  unter  „Hose"  nur:  „C'est  eile  qui  porte 
la  culotte"  und  „Son  courage  l'a  abandonne";  andere,  wie  „C'est  vert  chou 
et  chou  vert",  oder  „C'est  bonnet  blanc  et  blanc  bonnet"  fehlen;  ebenso 
unter  „AVind"  oder  „Mantel":  II  est  du  bois  dont  on  fait  les  flütes"  u.  s.  w. 
Andere  Redensarten  würden  leichter  verständlich  sein,  wenn  sie  unter  einem 
anderen  Kopfworte  stünden,  wie:  „C'est  un  homme  sans  pudeur",  hierunter 
„Abbeifsen",  gehörte  eher  zu  „Abbrühen",  das  nicht  vorhanden  ist;  „Pro- 
mettre  et  tenir  sont  deux"  steht  unter  „Ander,  anders,  ändern",  während 
unter  „Zweierlei"  das  entsprechende  „Dire  et  faire  sont  deux"  aufgeführt 
ist.  Manche  Wendungen  zeichnen  sich  durch  überraschende  Trivialität  aus, 
wie  „Aller  taire  un  tour  dans  l'autre  monde"  unter  „Abfahren",  oder  „Etre 
ä  sec"  unter  „Abbrennen".  Bei  anderen  liegen  Fel)ler  des  deutschen  oder 
des  französischen  Ausdrucks  vor,  wie  in  „Payer  q.  sans  deduction"  unter 
„Abbruch"  (es  würde  unter  „Abzug*^  gehören),  und  ebendaselbst  „Payer  q. 
sans  rabais,"  was  wohl  kaum  so  heifsen  kann,  da  rabais  =  Rabatt  der 
Nutzen  ist,  den  der  Verkäufer  dem  Käufer  gewährt. 

Bei  der  grofsen  Menge  der  angeführten  Redensarten  laufen  denn  auch 
hier  und  da  grammatische  Ungenauigkeiten  unter,  wie  bei  „Abängsten": 
„Etre  en  proie  de  l'anxiöte"  statt:  ii  l'anxiete ;  bei  „Abbitte,  abbitten": 
„Faire  ses  exeuses  ä  q.  pour  qch."  statt:  de  qch.  Druckfehler,  wie  „Romper 
un  pont"  statt:  rompre,  „Je  demettre  d'un  emploi"  statt:  Se  demettre;  „II 
est  en  löge  lä"  (davon  lufst  er  sich  nicht  abbringen)  statt:  11  en  est  löge 
lä,  lassen  sich  mit  Leichtigkeit  verbessern.  Bedenklicher,  wegen  des  bösen 
Beispiels,  ist  unter  „Abgabe"  die  Silbenteilung:  „Veu-illez  faire  remettre 
l'incluse  ä  son  adresse"  statt:  veuil-lez. 

Derartige  kleine  A'ersehen  können  indessen  dem  Werte  des  Buches 
selbst  keinen  Abbruch  thun,  der  darin  besteht,  dafs  es  gerade  die  volks- 
tümlichen Redensarten,  die  von  den  gewöhnlich  zur  Lektüre  dienenden 
Schriftstellern  entweder  gar  nicht  oder  höchst  selten  gebraucht  weiden,  in 
grofser  Menge  zusammenträgt  und  somit  auch  denen  vermittelt,  die  für  ihre 
Kenntnis  der  französischen  Phraseologie  auf  eben  jene  Schriftsteller  ange- 
wiesen sind.  Dr.  Fritz  Bischoff. 


Friedrich  Müller,  Grundrifs  der  Sprachwissenschaft ;  II.  Band : 
Die  Sprachen  der  schlichthaarigen  Rassen;  I.  Abteilung: 
Die  Sprachen  der  australischen,  der  hyperboreischen  und 
der  amerikanischen  Rasse.  Wien  1882.  X  und  440  S. 
Vergl.  dies  Archiv  LIX,   S.  457—459. 

Friedrich  Müllers  schönes  Werk,  was  der  Adelung-\'aterschc  Mithridates 
seiner  Zeit  bot,  jetzigen  vermehrten  und  erhöhten  Ansprüchen  genügend 
neu  hinzustellen,  rückt  kräftig  vor.     Dem  im  ersten  Bande  vorgelegten  und 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  437 

in  einem  Anfiinge  schon  ausgeführten  Plane  entsprechend  wird  von  den  auf 
niedrigster  Bildungsstufe  stehenden  Sprachen  zu  den  voHkommncren  hin  vor- 
geschritten, und  folgen  auf  die  Sprachen  der  wollhaarigen  Rassen,  welche 
des  ersten  Bandes  zweite  Abteilung  behandelte,  nun  jene  der  si.'hlichthaarigen 
Rassen.  Der  Inhalt  vorliegender  erster  Abteilung  des  zweiten  Bandes  zer- 
fällt, wie  schon  der  Titel  andeutet,  in  drei  Abschnitte.  Die  Sprachen  der 
australischen  Rasse,  auf  S.  l — 98,  werden  in  zehn  Kapiteln  —  die  Sprache 
von  Lake  Macquarie,  die  Wiradurei-,  die  Kaniilarol-,  die  Turrubul-,  die  Dippil- 
Sprache,  die  Sprache  von  Encounter-Bay,  von  Adelaide,  die  Parnkalla-Sprache. 
die  Sprache  von  West-Australien  und  die  von  Tasmanien  —  vorgeführt,  und 
stehen  am  Anfang  und  zum  Schlufs  noch  das  Ganze  überschauende  Be- 
trachtungen. Die  behandelten  (soeben  genannten)  Sprachen  gehören  nament- 
lich dem  südlichen  Teile  des  Kontinents  an  und  gehören  trotz  starker  Ab- 
weichungen im  Wortschatze  eng  untereinander  zusammen.  Hierzu  drängt  die 
Übereinstimmung  der  Fronominalelemente,  in  Zahlenausdrücken  und  in 
Wortbiidungselementen.  Der  Verf.  schliefst  hieraus  auf  eine  Grundsprache 
dieser  Familie,  „in  welcher  blofs  die  Keime  für  die  notdürftigsten  subjektiven 
Anschauungen  (der  Person,  des  Raumes,  der  Zeit,  der  Zahl  u.  s.  w.)  vor- 
handen waren".  Ursprünglich  also  lauter  Formwurzeln  (v/ie  ich  mir  die 
Entstehung  der  Sprachen  immer  nur  habe  vorstellen  können),  ganz  umge- 
kehrt als  das  Chinesische,  welches  sich  (vergl.  dies  Archiv  LIX,  S.  458) 
nur  mit  Stoffwurzeln  behilft,  das  Formale  (Subjektive)  durch  Wortstellung 
giebt.  Einen  Zusammenhang  dieser  Sprachen  mit  den  dravidischen  leugnet 
der  Verf.  mit  Entschiedenheit,  weil  die  Vergleichungen,  welche  man  ange- 
stellt hat,  auch  mit  noch  anderen  Sprachen  geltend  zu  machen  wären,  und 
weil  gerade  die  räumlich  den  dravidischen  Sprachen  näher  liegenden  austra- 
lischen sich  am  meisten  von  ihnen  entfernen,  und  die  östlichen  australischen 
Sprachen  das  an  die  Dravidasprachen  Mahnende  selbständig  erzeugt  haben, 
so  dafs  ein  tieferer  Zusammenhang  aller  australischen  Sprachen  mit  jenen 
nicht  anzunehmen  ist.  In  dem  zweiten  der  grofsen  Abschnitte  (S.  99 — ISO), 
von  den  hyperboreischen  Sprachen,  werden  in  sechs  Kapiteln  behandelt  die 
der  Jenissei-Ostjaken  und  der  Kotten,  die  der  Jukagiren,  die  der  Tschuk- 
tschen,  die  der  Ainu,  die  der  Aleuten  und  die  der  Innuit  oder  Eskimo.  Die 
Sprachen  der  Jenissei-Ostjaken  und  der  Kotten  sowie  auch  die  der  Aleuteu 
haben  manches  an  das  uralische  Sprachgeschlecht  Erinnernde,  doch  fehlt 
ihnen  allen  die  \'okalharmonie;  jene  ersteren  sind  wesentlich  nominal  an- 
gelegt, während  die  letztgenannte  sich  im  Verbum  „in  mancher  Hinsicht 
mit  dem  reich  entwickelten  Türkischen  messen  kann".  Die  Sprache  der 
Eskimo  geht  darin  noch  über  jene  ersteren  beiden  hinaus,  dafs  ihr  das 
Verbum  nichts  ist  als  „ein  mit  Possessivelementen  bekleideter  Nominalaus- 
druck". Sie  ist  auch  insofern  anziehend,  als  z.  B.  1000  Jahre  und  darüber 
von  den  Grönländern  getrennt  wohnende  Eskimo  in  Labrador  fast  noch  die- 
selbe Sprache  als  jene  haben.  Das  Grönländische  und  die  im  äufsersten 
Westen  Nordamerikas  heimische  Kadjak-Sprache  stehen  sich  ganz  nahe  und 
wenien  hier  häufig  in  Formen  nebeneinander  gestellt.  Den  grofsen  hiernach 
noch  übrig  bleibenden  Raum  des  Buches  nimmt  der  dritte  Abschnitt,  die 
Behandlung  der  amerikanischen  Sprachen,  ein.  In  36  Kapiteln  wird  eine 
grofse  Zahl  derselben  mehr  oder  weniger  ausführlich  beschrieben,  und  ein 
Anhang  bringt  noch  „Die  Zahlenausdrücke  in  den  Sprachen  von  neunund- 
zwanzig Stämmen  oder  Völkern,  die  in  der  vorhergehenden  Darstellung 
nicht  behandelt  worden  sind".  Die  Sprachen  der  „amerikanischen  Hasse" 
gehen  nun  freilich  sehr  auseinander,  so  dafs  sich  wenig  diese  ganze  Gruppe 
Betreffendes  sagen  liefs  und  der  Verfasser  seine  den  allgemeinen  Charakter 
dieser  Sprachen  betreffende  Einleitung  auf  drei  Seiten  beschränken  inufste 
und  einen  Rückblick  zu  thun  ganz  unterliefs.  Den  meisten  amerikanischen 
Sprachen  ist  Verbales  und  Nominales  so  sehr  einerlei,  dafs  z.  B.  in  den 
Algonkin-Sprachen  mit  dem  Suffi.x  ban  nicht  nur  ein  Imperfektum,   sondern 


438  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

auch  AuS'lrücke  wie  „mein  verstorbener  Vater"  hergestellt  werden.  Sub- 
jektiv- und  rossossivpronomina  sind  den  meisten  ein  und  dieselben.  Wenigstens 
die  meisten  amerikanischen  Sprachen  ferner  haben  die  Eigentümlichkeit,  das 
Ohjekt  in  den  N'erbalkörper  aufnehmen  zu  können  und  in  einem  einzigen 
Worte  einen  ganzen  Satz  zu  geben.  Die  Chiquitos  in  Südamerika  haben 
gar  keinen  Sinn  für  Zahlen  und  stehen  so  hinter  den  niedrigsten  Australiern 
und  den  Buschmännern.  Vigesimalsystem  ist  vornehmlich  in  Centralamerika, 
sonst  dekadische  Zählung  zu  finden.  An  Versuchungen  übrigens,  Zusammen- 
hang mit  diesen  ganz  fernen,  uns  näher  stehenden  Sprachen  zu  erkennen, 
fehlt  es  auch  hier  nicht.  Wie  nahe  liegt  es,  bei  jenem  Imperfektsuffix  bau 
der  Algonkin-Sprache  an  das  bam  der  lateinischen  Imperfekta  zu  denken. 
Wie  stark  ist  wiederum  die  Versuchung,  in  der  Deklination  der  Inkasprache 
an  die  magyarische  zu  denken:  Akkusativzeichen  im  Ketschua  ta  (im  Aimaza 
fehlt  es)  und  im  Ungarischen  t;  Zeichen  des  Genitivs  und  des  Dativs  im 
Ketschua  pa,  pak,  im  Aimara  na,  taki  und  im  Ungarischen  nak,  bezw. 
nek,  für  beides.  Das  Litterarische,  die  Sprachproben  zu  Ende  der  einzelnen 
Kapitel,  ist  in  diesem  ganzen  ersten  Teile  des  zweiten  Bandes  bedeutend 
spärlicher  vertreten  als  in  der  zweiten  Abteilung  des  ersten  Bandes. 

Fr.  Müller,  Grundrifs  der  Sprachwissenschaft;  II.  Band:  Die 
Sprachen  der  schlichthaarigen  Rassen;  IL  Abteilung:  Die 
Sprachen  der  malayischen  und  der  hochasiatischen  (mongo- 
lischen) Rasse.     Wien  1882.     X  und  416  S. 

Ohne  AVidmung  hat  Fr.  Müller  die  erste  Abteilung  des  ersten  Bandes 
verößentlicht ;  die  zweite  ist  Dr.  Reinhold  Rost  in  London,  die  erste  des 
zweiten  Bandes  dem  Andenken  Wilhelm  von  Humboldts,  diese  vorliegende 
zweite  Abteilung  des  zweiten  Bandes  dem  Andenken  M.  A.  Castrens  und 
H.  C.  von  der  Gabelentz'  gewidmet;  daneben  spricht  es  aber  die  Vorrede 
noch  aus,  dafs  der  Verfasser  unter  den  Lebenden  hier  viel  verdanke 
J.  Budenz  und  dessen  Magyar-Ugor  összch.asonlitd  szötär,  Budapest  1873 
bis  1881,  und  0.  Böhtlingk,  dessen  Werk:  Über  die  Sprache  der  Jakuten, 
St.  Petersburg  1851,  und  zwar  weitaus  das  meiste,  was  sich  auf  die  Ver- 
gleichung  der  uralischen  und  der  altaischen  Sprachen  bezieht.  Der  reiche, 
weite  Inhalt  ist  in  nur  zwei  grofse  Abschnitte  zerlegt.  Der  erstere:  „Die 
Sprachen  der  malayischen  Rasse",  zerfällt  in  die  drei  Kapitel:  Die  poly- 
nesischen,  die  melanesischen,  die  malayischen  Sprachen.  Der  zweite,  „Die 
Sprachen  der  hochasiatischen  (mongolischen)  Rasse",  in  zwei  Unterabteilun- 
gen; die  erstere,  „Die  polysyllabischen  Sprachen",  hat  die  fünf  Kapitel: 
die  Sprache  der  Samojeden,  die  Sprachen  der  uralischen  Völker,  die  Sprachen 
der  altaischen  Völker,  die  Spraclie  der  Japaner,  die  Sprache  der  Koreaner; 
die  zweite,  „Die  monosyllabischen  Sprachen",  hat  die  sechs  Kapitel:  die 
Sprache  der  Tübeten,  der  Barmanen,  der  Siamesen,  der  Khasia,  der  Anna- 
miten,  der  Chinesen.  Der  erstere  der  beiden  grofsen  Abschnitte,  sieht  man, 
liängt  geographisch  mehr  mit  dem  Anfange  der  ersten  Abteilung  dieses 
Bandes  zusammen  als  mit  dem  was  folgt.  Dementsprechend  erklärt  sich 
der  Verf  zum  Schlüsse  desselben  nach  seinen  Forschungen  folgendermafsen 
über  die  Stämme  des  fünften  Weltteils  und  der  Inseln  des  Indischen  Archi- 
pels. Erstens  Australneger  und  Tasmanier.  Zweitens  Papuas  (hierher  neben 
Neu-Guinea  der  Luisiaden-Archipel,  Neu-Caledonien,  Loyalitäts-Inseln  — 
diese  und  das  Vorhergehende  zog  v.  d.  Gabelentz  zu  den  melanesischen 
Sprachen  — ,  ferner  die  Negritos,  Andomanen,  Nicobaren),  welche  nicht 
monoglottisch  sind.  Die  Stellung  des  New-Britannia-Arcbipels  ist  noch  un- 
bekannt. Drittens  Malayo-Polynesier,  deren  erste  Abteilung  die  östlichste; 
die  Melanesier  sind   eine  Vermischung  mit  den  kraushaarigen  Papuas,   sind 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  439 

jiinger  als  die  citte  Abteilung.  Die  Malayen  im  Westen  der  Palaos-Inseln, 
die  von  Melanesiern,  und  Neu-Guineas,  das  von  Pa[)uas  bewohnt  ist,  müssen 
sich  im  ersten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  bis  nach  Mada^^askar  ver- 
breitet haben.  Es  bildet  also  der  nialayo-polyuesische  Sprachstaram  eine 
Stufenleiter  fortschreitender  Sprachentwickelung,  auf  deren  unterster  Stufe 
die  polvnesischen  Partikel  Sprachen  stehen,  deren  höchste  Entwickelun"  die 
auf  umfassender  Anwendung  der  Suffix-  und  Präfix- Bildung  beruhc^ideu 
malayischen  Sprachen  darstellen.  Die  Grundwörter  dieser  Sprachen  sind 
zweisilbig;  ausnahmsweise  vorkommende  einsilbige  scheinen  durch  Verkür- 
zung zu  erklären.  Aus  die.-en  Grundwörtern  bilden  sich  die  Formen  durch 
^Viederholung  und  Reduplikation,  durch  Zusammensetzung  und  durch  Prä- 
figierung  und  Suffigierung  „bestimmter  Elemente-'.  So  wird  z.  B.  das 
Passivum  in  den  polynesischen  Sprachen  durch  Anfügung  eines  fia  (man 
inufs  unwillkürlich  an  lateinisches  fieri  dabei  ilenken),  hia,  kia  und  ähnliches 
.gebildet:  sila  sehen,  Pass.  silaßa  im  Samoa;  hinaaro  lieben,  Pass.  hinaarohia. 
Durch  Vorsetzung  eines  faka,  faa,  haa  und  iihnl.  (man  mufs  unwillkürlich 
an  lat  facere,  ital.  fare  denken)  wird  das  Kausativ  gebildet:  ola  leben, 
faaola  leben  machen,  erretten,  heilen  im  Samoa;  kite  sehen,  wakakite  sehen 
lassen,  zeigen,  im  Maori;  mate  sterben,  tot  sein  (arabischer  Herkunft?), 
haamate  töten,  im  Tahiti.  An  Litteraturproben,  zum  Teil  ganz  originalen, 
ist  dieser  ganze  Abschnitt  reich. 

Die  erste  Hälfte  der  im  zweiten  Abschnitte  behandelten  Sprachen,  die 
polysyllabischen  Sprachen  der  hochasiatischen  oder  mongolischen  Rasse,  o-e- 
hören  sämtlich  zu  den  agglutinierenden  Suffix-Sprachen  und  haben  ei'-'en- 
tümlich  die  sogenannte  Vokalharmonie.  Der  niit  dem  Ungarischen  oder 
Türkischen  Bekannte  hat  hier  die  Freude,  eine  Übersicht  der  ganzen  grofsen 
Verwandtschaft  zu  bekommen.  Zu  der  Vokalharmonie,  der  Eigentümlich- 
keit, Suffixe  mit  den  Stammvokalen  entsprechenden  Vokalen  anzusetzen, 
habe  ich  schon  einmal  bemerkt,  dafs  sie  wenigstens  hin  und  wider  sich  auch 
in  indogermanischen  Sprachen  wahrnehmen  läfst :  rumänisch  pomu  oder  pom 
Apfel  mit  Artikel  pomulu  oder  pomul,  aber  verme  Wurm  mit  Artikel  ver- 
mele;  ist  dies  nicht  derselbe  Fall,  als  wenn  türkisch  djän  (spr.  wie  ital.  giä 
zu  Anfang),  Seele,  im  Plural  djänlar,  aber  er.  Mann,  im  Plural  erler  hat, 
als  wenn  magyarisch  värnak  sie  warten,  kernek  sie  bitten,  heifst?  Erinnert 
es  nicht  auch  sehr  an  dieselbe,  wenn  lateinische  Adjektiva  mit  einem  i  in 
der  vorletzten  Silbe  mit  grofser  Vorliebe  auf  is  (lis,  bis)  ausgehen?  Ein 
schönes  deutliches  Bild  wird  besonders  von  den  uralischen  Sprachen  (Fin- 
nisch, Mordwinisch,  Magyarisch)  entworfen.  Im  Magyarischen  hat  mir 
Vergnügen  gemacht  die  Benutzung  von  Remeles  Grammatik  und  mancher 
Versuch,  jede  Silbe  zu  erklären  (z.  B.  meg-kerdezni,  ausfragen,  meg-tudni, 
dazu-wissen,  doch  taläl-tatik,  sich  findet,  sollte  heifsen  finden  macht,  gefunden 
wird,  veszek  ist  nicht  kaufte,  sondern  kaufe  ich,  akarok  nicht  wollte  ich, 
sondern  will  ich).  Von  den  altaischen  Sprachen  stehen  Mandzu  und  Mon- 
golisch noch  auf  der  Stufe  der  Isolierung;  auf  der  zweiten  Stufe  aber,  näm- 
lich jener  der  Agglutination,  „die  in  ihrer  höchsten  Entwickelung  beinahe  der 
echten  Flexion  gleichkouiinl",  Tungusisch,  Burjatisch,  Jakutisch,  Türkisch. 
Die  japanische  Sprache  hat  keine  Vokalharmonie,  steht  übrigens  etwa  aid" 
einer  Stufe  mit  dem  Mandzu  und  di-m  Mongolischen.  Den  Plural  bildet 
man  durch  Wiederholung:  kuni,  Land,  kuni-guni,  Länder;  jedes  Zahlwort 
bekommt,  wenn  es  für  sich  stehen  soll,  die  Silbe  tsu  d.  i.  „Stück  Biunbus" 
angehängt  Das  Japanische  und  auch  das  Koreanische  hat  eine  zicndich 
reiche  Deklination,  aber  wenig  Konjugation.  Im  Tübetischen  ist  Noujcn 
und  Verbum  eins;  Subjekt  und  Objekt  weifs  man  nicht  zu  scheiden. 

Diese  ganze  zweite  Abteilung  des  zweiten  Bandes  ist  reich  an  Litteratur- 
proben, insbesondere  sind  die  chinesischen  Sprichwörter  (aus  v.  d.  Gabelcntz' 
Chinesischer  Grammatik)  zum  Schlüsse  derselben  recht  anziehend. 


440  BeiirLeilungeu  mul  kurzo  Anzeigen. 

Fr.  Müller,  Gruiulrifö  der  Sprachwisseuschaft;  III.  Baud:  Die 
Sprachen  der  lockenhaarigen  Rassen;  I.  Abteilung:  Die 
Sprachen  der  Nuba-  und  der  Dravida-Rasse.  Wien  1884. 
X  und  246  S. 

Mit  Freuden  begriifst  man  des  weltumfassenden  Müllerschcn  Sprach- 
werkes dritten  Band  in  seiner  ersten  Abteilung  und  glaubt  nun  in  die  Be- 
handlung der  eigentlichen  Kulturvölker  einzutreten.  Aber  weit  gefehlt:  „die 
Sprachen,  deren  Bearbeitung  ich  in  dem  vorliegenden  Bande  dem  gen.  Leser 
vorführe,"  sagt  die  Vorrede,  „wurden  erst  in  der  neuesten  Zeit  durch  die  Be- 
mühungen einiger  Missionäre  und  Sprachforscher  uns  zugänglich  gemacht; 
alles  das,  was  zu  Beginn  dieses  Jahrhunderts  die  Verfasser  des  Mithridates 
von  ihnen  wufsten,  ist  sehr  unbedeutend  und  kaum  der  Erwähnung  wert." 
Sie  ist  des  Verfassers  Hauptgläubiger  auf  diesem  Gebiete,  Robert  N.  Cust 
in  London  gewidmet,  diese  Abteilung.  Der  Inhalt  zerfällt  in  zwei  Ab- 
schnitte ;  der  erste  behandelt  die  Sprachen  der  Nuba-Rasse,  nämlich  die  der 
Frd-be,  der  Nuba,  der  Kunama,  der  Barea,  der  S-umale  (T-umale),  der 
Il-Oigob,  der  Sandeh  (Nyam-nyam);  der  zweite  die  Sprachen  der  Dravida- 
Rasse,  nämlich  die  der  Kolh-(Vindhya-)Stämme,  der  Sinhalesen  und  der 
Dravidavölker.  Eine  eigentümliche  Erscheinung  bietet  die  Sprache  der 
Ffd-be,  nämlich  den  Plural  beim  Nomen  und  beim  Verbum  in  gewissen 
Fällen  durch  Änderung  des  Anfangskonsonanten  zu  bilden.  So  kado,  Sklave, 
im  Plural  habe,  kordo,  Kebsweib,  im  PI.  horde,  gorko,  Mann,  im  PI.  worbe, 
wuddu,  Bauch,  im  PI.  guddi.  Dasselbe,  mag  der  Verf.  recht  haben,  mag 
sich  schwerlich  anderwärts  finden.  Aber  sehr  Ähnliches  weisen  denn  doch 
einige  Sprachen  der  wollhaarigen  Rassen  auf  Man  vergl.  des  Verfassers 
Werk  T,  2,  132,  138.  Im  Odschi  hat  man  kuku,  Topf,  im  Plural  inkuku, 
dua,  Baum,  im  PI.  n-nua,  also  eine  Nasalierung  des  Anfangskonsonanten. 
In  der  Efik-Sprache  ete,  Vater,  im  Plural  m-ete,  ofu,  Sklave,  im  PI.  n-fu. 
Wichtiger  und  mehr  noch  der  Hervorhebung  wert  wäre  freilich  in  der  Sprache 
der  Fül-be  und  ihr  wohl  ganz  eigentümlich,  dafs  die  Umbildung  des  An- 
fangskonsonanten recht  oft  auch  die  zweite  Silbe  des  Wortes  betrifft.  Man 
vergleiche  jenes  „Mann"  bedeutende  Wort  oder  auch  höru,  Knie,  im  PI.  köbi, 
yodo,  jemand,  im  PI.  wöfe:  doch  ist  dergleichen  (auch  in  dritter,  ja  selbst 
in  vierter  Silbe  hat  man  solche  Erscheinungen)  nicht  eine  wirkliche  Um- 
bildung des  blofsen  Konsonanten,  sondern  gewifs  ein  Sichaufdrängen  eines 
Pluralsnffixes,  einer  Pronominalpluralform,  da  die  Sprache  auch  solche 
Pluralbildungen  sehr  wohl  kennt,  als  hfiwo,  Arbeiter,  im  PI.  hfiwobe,  put.su, 
Pferd,  im  Pl.  put.sundi.  Die  Sprache  der  Nuba,  welche  in  drei  Dialekte 
zerfällt,  nämlich  den  Kenus-,  Mahas-  und  Dongola-Dialekt,  ist  wesentlich  vom 
Mahas-Dialekte  aus,  im  Anschlüsse  an  L.  Reinisch  und  R.  Lepsius,  be- 
leuchtet. Das  Nubische  hat  eigentümlich  gewisse,  die  Frage  bedeutende 
Suffixe,  nämlich  e,  ä,  i,  welche  der  Verf.  durch  „ob?"  übersetzt.  Ahnlich 
besitzt  die  Sprache  der  Kunama  ein  anzuhängendes  be  (auch  jbe  und  ebe), 
welches,  denk  ich,  doch  sonderbar  an  lateinisches  ne  und  auch  an  ungari- 
sches e  (z.  B.  ugy-e  d.  i.  so  denn?  nicht  wahr?)  erinnert.  Was  dieses  be 
sein  mag,  darüber  äufsert  der  Verf.  keine  Meinung.  Beachtenswert  ist,  dafs 
in  beiden  Sprachen,  im  Nubischen  und  im  Kunama,  diese  Suffixe  sich  nur 
an  X'erbalformen  fügen,  während  jene  von  mir  verglichenen  Formen  sich 
überall  anhängen  können.  Das  ungarische  dürfte  wohl  ein  „jenes?"  sein, 
das  lateinische  aber  wohl  trotz  der  Kürze  ein  „nicht?"  Vergleichbar  diesem 
letzteren  wäre  die  Art,  in  welcher  die  jetzige  persische  Sprache,  welche 
doch  nicht  einmal  ein  Fragezeichen  zwischen  die  Schrift  zu  setzen  besitzt, 
wenn  sie  es  für  nötig  hält,  die  Frage  anzudeuten :  man  fügt  nämlich  zum 
Schlüsse  ein  ja  näh,  „oder  nicht"  hinzu.  Wenn  die  Sprache  der  Barea  die 
Pluralsuffixe  ta,  ka,  a  hat  und  für  die  Auswahl   auf  die  Beschaffenheit   des 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  441 

Schlufslautes  der  zu  verlängernden  Form  achtet,  vergl.  bo,  Schildkröte, 
bota;  fe,  Maus,  feta;  haboi,  Affe,  haboita;  dzel,  Straus,  dzelka;  ten,  Koch- 
topf, tenka;  kafer,  Korb  (ist  doch  unserem  —  vergl.  Kober  —  und  dem 
lateinischen  Worte  sehr  ähnlich);  deregem,  Löwe,  deregemka;  ku,  Mensch, 
kua;  tarbi,  Wurzel,  terba  —  freilich  auch  ker.  Dorn,  kera:  so  ist  dies  Ver- 
fahren doch  auch  einigermafsen  mit  dem  Gesetze  der  uralisch-altaischen 
Vokalharmonie  verwandt,  indem  ja  in  beiden  Fällen  das  Nachfolgende  sich 
nach  dem  Vorhergehenden  richten  mufs.  Die  Sprache  der  Sumale  hat  als 
Pluralzeichen  die  Präfixe  s,  h  oder  y,  welche  nach  L.  Tutschek  ganz  gleich- 
bedeutend sind.  „So  lautet,"  sagt  unser  Verf..  „der  Name  des  Volkes  im 
Singular  Umale,  im  Plural  S-umale,  H-umale  oder  Y-umak"  —  von  T-umale 
verlautet  hier  nichts.  In  eben  dieser  Sprache  erinnert  recht  an  das  latei- 
nische Anhängepronomen  ce  (hice  illunc)  ein  ebenso  angehängtes  ki:  rc  ki, 
dieser  da,  ri  ki,  jener  dort.  Die  Sprache  der  II  Oigob  ist  mit  jener  der 
Bari,  wie  Lepsius  in  seiner  nubischen  Grammatik  bemerkt,  nicht  wenig  ver- 
wandt, und  geht  unser  Verf.  auch  hierauf  ein.  Er  löst  diese  wimderlichc 
Verwandtschaft  dieses  Volkes  mit  jenem  Negerstamm  (vergl.  seinen  Grund- 
rifs  I,  2)  so,  dafs  er  in  letzterem  ein  Mischvolk  aus  Dinkanegern  und  Oigob- 
volke  annimmt.  Im  zweiten  Abschnitte  des  zweiten,  „Die  Sprachen  der 
Dravida-Rasse"  betitelten  Hanptteiles  wird,  wie  oben  erwähnt,  das  Sinha- 
lesische  behandelt.  Doch  soll  trotzdem  dieses  nicht  zu  den  Dravidasprachen 
gehören,  sondern  für  sich  stehen,  wenn  auch  ethnographisch  dies  Volk  zur 
Dravida-Rasse  zu  stellen  sei :  eine  allerdings  nicht  ganz  leicht  fafsbare  Ansicht. 
Aufserst  anziehend  ist,  dafs  die  Dravida-Spracben  im  engeren  Sinne  eine 
nur  etwas  weniger  ausgedehnte  Vokalharmonie  als  die  uralischen,  altaischen 
und  samojedischen  Sprachen,  aber  in  umgekehrter  Wirkung  haben,  nämlich 
das  Suffix  wird  nicht  wie  in  jenen  beeinflufst,  sondern  dasselbe  wirkt  auf 
die  vorhergehenden  Silben :  vergl.  (Telugu)  katti,  Messer,  Plural  kattu-lu, 
puli,  Tiger,  PI.  pulu-lu,  manisi,  Mensch,  PI.  manusu-lu,  kalugu-du-nu,  ich 
bin  im  stände,  werde  im  stände  sein,  kaligi-t-ini,  ich  bin  im  stände  gewesen. 
VürtreHIich ;  nur  begreife  ich  nicht,  wie  der  Verf.  dies  einen  progressiven 
Assimilationsprocess,  jenen  (z.  B.  des  Magyarischen)  einen  retrograden 
nennen  kann  und  nicht  umgekehrt;  denn  wenn  (wie  im  Magyarischen)  eine 
Silbe  bewirkt,  dafs  die  in  der  Zeit  ihr  nachfolgende  sich  so  und  so  ein- 
richtet, dann  ist  das  doch  fortschreitend:  wenn  aber,  wie  hier,  das  Zukünf- 
tige auf  das  Gegenwärtige  oder  der  Gegenwart  näher  Liegende  wirkt,  so  ist 
das  doch  rückwirkend.  Übrigens  ist  dieses  Befolgen  des  Virgilischen  Omnia 
praBcepi  atque  auimo  mecum  ante  peregi  bekanntlich  in  den  romanischen 
Sprachen  nicht  selten:  denaro  danaro,  mirabilia,  meraviglia  maraviglia.  Ganz 
wunderbar  und  der  Erwähnung  wert  ist  die  Übereinstimmung  der  Deklination 
von  einer  dieser  Sprachen  mit  der  ungarischen.  Das  Brahui  hat  im  Nomi- 
nativ /al,  Stein,  im  Nom.  PI.  /aläk,  urä,  Haus,  Nom.  PI.  uräk,  Acc.  PI. 
;ijaläte,  uräte.     Reichtum  und  Ausbildung  des  Verbums  ist  hier  erstaunlich. 

Carlo  Melori,  Alphabetische  Separatzusammenstellung  sämtlicher 
imregelmäfsigen  Zeitwörter  der  italienischen  Sprache  mit 
Hindeutung  auf  die  unregelmäfsigen  Formen  nebst  den  von 
denselben  abgeleiteten  Haupt-  und  Beiwörtern.  Dazu  ein 
Anhang  etlicher  echt  lateinischen  (so),  in  die  italienische 
Sprache  übergegangenen,  doch  jetzt  meist  veralteten  Zeit- 
wörter.    München  1883.     VIII  und  128  S. 

Carlo  Melori,  Professor  der  italienischen  Sprache  in  München,  hat  sich 
die  Aufgabe  gestellt,  die  unregelmäfsigen  italienischen  Zeitwörter,  die  wich- 
tigen Formen  derselben,    die    Bedeutungen,    die   Komposita,    die    von   ihnen 


442  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

herkommenden  Nomina  und  Adverbia  in  einem  besonderen  Büehelcben  zu- 
sammengebracht zu  geben.  Die  Aufgabe  ist,  wie  man  sieht,  halb  gram- 
matischer, halb  lexikalischer  Art.  Ohne  Zweifel  kann  das  Schriftchen  den 
Lernenden  angenehm  anregen,  hier  und  da  auch  den  Verl'asser  eines  Wörter- 
buches fördern.  Nicht  freilich  den  einer  Grammatik,  denn  dieser  Teil  läfst 
viel  zu  wünschen.  Man  sehe  z.  B.  dare  (1  do,  dai,  3  diedi  desti,  11  dato) 
—  die  Ziffern  bedeuten  Präsens,  Perfektum,  Participium  prajsentis  —  so 
fehlt  uns  da,  Nebenform  des  Perfekts  detti,  Coni,  Impf,  dessi,  von  poetischen 
und  altertümlichen  Formen,  die  hier  überhaupt  nicht  berücksichtigt  werden, 
zu  schweigen.  Wir  können  deshalb  in  das  Exegi  nionumentum  asre  peren- 
nius,  welches  der  Verf.  im  Vorwort  anstimmt,  nicht  mit  einstimmen.  Es 
kann  nicht  fehlen,  dafs  oft  auch  eine  wichtige  Bedeutung  zu  einem  Worte 
nicht  angeführt  wird,  und  dafs  auch  das  Wörterbuch  durch  diese  Schrift 
keineswegs  unentbehrlich  wird.  So  fehlt  zu  scriva,  Schreiber,  Abschreiber, 
die  in  der  Bibel,  dem  Neuen  Testamente,  häufige  Verwendung  für  „Schrift- 
gelehrter". 

Germanischer  Bücherschatz,  herausgegeben  von  Alfred  Holder, 
Cornelii  Taciti  De  origine  et  situ  Germanorum  liber  edidit 
Alfred  Holder.  Freiburg  i.  B.  und  Tübingen  1882.  22  S. 
Germanischer  Bücherschatz,  hrsgb.  von  Alfred  Holder, 
Einhardi  Vita  Karoli  Imperatoris  edidit  Alfred  Holder. 
Freiburg  i.  B.  und  Tübingen  1882.  33  S.  Germanischer 
Bücherschatz,  hrsgb.  von  Alfred  Holder.  Jordanis  De  ori- 
gine actibusque  Getarum  edidit  Alfred  Holder.  Freiburg  i.  B. 
und  Tübingen  1882.     83  S. 

Der  Germanische  Bücherschatz  von  Holder  umfafst  auch  lateinische 
Schriftsteller  über  Germanien.  Wird  mit  der  Germania  des  Tacitus  die 
Reihe  eröffnet,  so  war  es  wohl  mehr  darauf  abgesehen,  einen  würdigen 
Anfang  zu  haben,  so  etwas  Bedeutendes  hier  nicht  zu  entbehren,  als  dafs 
ein  sonderliches  Bedürfnis  vorgelegen  hätte.  Eher  kann  man  dies  wohl  von 
Einhards  und  von  Jordanes  Büchern  sagen,  und  mancher  wird  mit  Ver- 
gnügen zu  den  hübschen,  leicht  erwerbbaren  Ausgaben  greifen.  Zumal  aber 
.solche  Schriften  wohl  wesentlich  für  mehr  oder  weniger  selbst  Denkende, 
Prüfende  und  Forschende  sind,  vermerkt  man  es  gewifs  allgemein  sehr  übel, 
dafs  hier  gar  nichts  von  Nachrichten  über  die  Art  geboten  wird,  wie  der 
Text  überliefert,  woher  der  vorliegende  genommen  ist,  wie  sich  der  Heraus- 
geber in  den  wichtigsten  Fällen  verhalten  und  entschieden  hat.  Sehr 
empfehlenswert  für  die  weiteren  ähnlichen  Bände  dieser  Sammlung  scheint 
es  uns  ferner,  dafs  von  dem  betreffenden  Autor  einige  litterarische  Nach- 
richten, wann  er  gelebt  u.  s.  w.,  und  namentlich  noch  nach  Art  der  alten 
Klassikerausgaben  eine  Sammlung  der  wichtigsten  alten  Anführungen,  Zeug- 
nisse und  Nachrichten  gegeben  werde.  Die  leichte  Benutzung  und  Schmack- 
haftigkeit  dieser  Ausgaben  würde  durch  solche  Mitgaben  aufserordentlich 
erhöht  werden.  Ein  Anfang  hierzu  ist  in  dem  Einhards  Vita  Karoli  Imp. 
enthaltenden  Bändchen  gemacht,  indem  zum  Schlüsse  des  Textes  GERVVAHDI 
VERSVS  und  VVALAFRIDI  PROLOGVS  (p.  8,  9)  abgedruckt  sind. 
Auch  hat  jedes  dieser  Bändchen  einen  Index  nominum,  zu  Tacitus'  Werk 
umfafst  derselbe  zwei,  zu  Einhards  fünf,  zu  Jordanes  elf  Seiten  und  findet 
sich  wenigstens  zuweilen  hier  auch  ein  dem  Lernenden  willkommener  Wink, 
z.  B.  zu  Einhard:  Centum  cella;  ciuitas  Etrurite  [Civitä  Vecchia]  17  (die 
Stelle  ist  immer  angegeben).  Bekanntlich  mufs  man  übrigens  hierbei  Civita 
schreiben  und  sprechen  und  nicht  Civitä.  H.  Buchholt z. 


Beiirleilungen  und  kurze  Anzeigen.  443 

Lord  Byrons  Eiiiflufs  uuf  die  europäischen  Littcraturcn  der 
Gegenwart.  Von  Dr.  F.  II.  Otto  Weddigen.  Hannover, 
Arnold  Weiclielt,  1884. 

Irren  wir  nicht,  so  wurde  aus  der  vorliegenden  Schrift  bereits  eine 
Probe  im  „Archiv"  mitgeteilt.  Diese  erregte  schon  damals  unser  Interesse, 
und  sahen  wir  dem  Ganzen  mit  Spannung  entgegen. 

üer  Verfasser  hat  sich  durch  eine  Reihe  wertvoller  litterarhistorischer 
Schriflen  bereits  einen  Namen  erworben ;  die  obige  Schrift  macht  ihm  wei- 
tere Ehre.  Verfasser  geht  von  dem  Grundsatze  aus,  dafs  die  vergleichende 
Litteraturwissenschaft  sich  in  Deutschland  noch  in  den  Kindersclmhen  be- 
findet; seine  Arbeit  will  hierzu  einen  neuen  Beitrag  liefern.  Wir  müssen 
gestehen,  dafs  die  Aufgabe,  wie  es  bei  dem  Verfasser  kaum  anders  zu  er- 
warten war,  recht  gut  gelöst  ist.  Die  Schrift  bildet  ein  Supplement  zu 
jeder  Byronbiographie,  sie  giebt  Aufschlüsse,  wie  weit  und  wie  tief  die 
Ideen  Byrons  sich  in  die  Litteraturen  der  übrigen  europäischen  \  ölker  ein- 
gesenkt haben. 

Wir  können  die  obige  Schrift  bestens  empfehlen.  R.  S. 


Spanische  Grammatik  mit  Berücksichtigung  des  gesellschaft- 
lichen und  geschäftlichen  Verkehrs  von  J.  Schilling.  Leip- 
zig, Glöckner,  1882. 

Die  Regeln  sind  im  allgemeinen  richtig  und  verständlich  gefafst;  und 
der  \'erf.  hat  auch  die  nötige  Erfahrung  in  der  heutigen  Umgangssprache, 
da  er  sich  15  Jahre  in  dem  Lande  selbst  aufgehalten  hat.  Die  Anordnung 
ist  nicht  überall  gut  getroffen.  So  gehört  z.  ß.  S.  130,  §  5d  cuäl  im  Aus- 
rufe nicht  unter  die  Relativa,  sondern  auf  S.  123  zu  den  Interrogativen. 
Und  das  Pronomen  se  ==  man  und  zur  Passivumschreihuntr  ist  an  einer  und 
derselben  Stelle  abzuhandeln.  Auch  die  Vollständigkeit  liifst  noch  zu  wün- 
schen übrig.  Das  über  die  Diphthonge  Gesagte  genügt  nicht,  und  die  Länge 
der  Vokale  war  genau  zu  bestimmen.  S.  207  fehlt  neben  der  Form  plegue 
die  andere  plega.  S.  241  ist  hinzuzufügen,  dafs  por  —  que  auch  mit 
Substantiven,  Participien,  Ailverbien  verbunden  wird.  Nach  S.  243  fehlen 
ganz  die  Regein  von  der  \'erbindung  zweier  Präpositionen.  Von  Fehlern 
notiere  ich  wenigstens  einiges.  S.  151  arrepicutate !  es  reue  dich,  bereue 
ea!  angeführt  als  span.  persönliches  Verbum ;  dann  müfste  es  arrepicutete 
heifsen.  Sehr  schlimm  ist  ilie  Verwirrung  in  der  Liste  der  Verbalailjektivc 
und  Participien  auf  S.  211  ff.  Da  stehen  nebeneinander  agudo  und  aguzado, 
alerto  und  alertade;  diferente  und  difercnciado,  caliente  u.  calentado ;  ja 
sogar  ciego  u.  cegado,  Crespo  u.  crespado,  desnudo  u.  desnudado,  falso  u. 
falseado,  ümpio  u.  limpiado,  manco  u.  mancado,  salvo  u.  salvado,  seco  u. 
secado,  vaci'o  u.  vaciado  u.  a.  dcrgl. !  S.  226  begegnet  uns  „abgeleitete 
Adverbien  (devribados)"  für  derivados!  Ein  Druckfehler??  Schlimm  ist 
auch  S.  256  die  Erklärung  un  hcte,  he  aciui  u.  s.  w.,  als  voti  haber  her- 
kommend. Das  franz.  voici,  voilä  wird  verglichen ;  vielleicht  leitet  der  Verf. 
auch  diese  Formen  von  avoir  ab.  In  beiden  Sprachen  gehen  die  Inter- 
jektionen auf  den  Imperativ  von  videre  zurück.  Dem  Verf.  fehlen  ofienbar 
sprachwissenschaftliche  Studien;  so  etwas  dürfte  ihm  nicht  passieit  sein. 
Unnütz  und  falsch  ist  auch  S.  262  die  Erklärung  der  absoluten  Participial- 
konstruktion  durch  die  .'Vnuidinie,  man  habe  habiendo,  siendo,  cstandu  zu 
ergänzen.  S.  302  wird  brindis  Toa.-t  als  eine  Zusammensetzimg  von  brindar 
und  ?  angegeben.  Es  fehlt  dann  auch  an  aller  wis\senschaftlichi:n  Begrün- 
dung in  der  Formenlehre  wie  in  der  Synta.v;   sie   würde  dem  Verf.  freilich, 


444  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

nach  den  oben  angeführten  Beispielen  zu  urteilen,  schwer  geworden  sein. 
Manches  erscheint  dann  allerdings  als  eigentümlich,  was  es  im  Grunde  gar 
nicht  ist.  Auch  die  grammatische  Terminologie  ist  nicht  gut  gewählt.  Da 
wird  für  Fronomina  der  Ausdruck  „adjetivos  determinatives"  eingeführt;  die 
relativen  heifsen  „beziehende  Fürwörter",  was  für  ein  Deutsch!  Die  Verba 
mit  irgendwelcher  gemeinschaftlicher  Unregelmafsigkeit  heifsen  „Klassen- 
verben", ein  Ausdruck,  bei  dem  man  sich  doch  nichts  denken  kann.  Die 
Bezeichnungen  endlich  „Konditional  des  Indikativ,  Imperfekt  des  Konjunktiv 
und  Konditional  des  Konjunktiv"  verdienen  durchaus  keine  Billigung,  mögen 
sie  auch  immer  von  der  Spanischen  Akademie,  Franceson,  Wiggers  ange- 
nommen sein,  was  übrigens  in  Bezug  auf  ^^'iggers  nicht  stimmt.  Nur  die 
mittlere  Bezeichnung  ist  beizubehalten:  Conjunctivus  Imperfecti  oder  Imper- 
fectum  Conjunctivi.  Bei  einem  „Konditional  des  Konjunktiv"  kann  mau  sich 
nichts  denken.  Bei  der  Aussprache  wird  spau.  c,  p,  t  mit  deutschem 
gg,  bb,  dd  bezeichnet.  Auch  dies  ist  zu  verwerfen.  Die  span.  Laute  ent- 
sprechen den  deutschen  k,  p,  t;  aber  allerdings  ändern  die  Konsonanten 
je  nach  ihrer  Stellung  zur  Tonsilbe  ihren  Lautwert  um  ein  weniges.  Aufser- 
dem  waren  Verbindungen  jener  mit  anderen  Konsonanten  in  Erwägung  zu 
ziehen.  Die  Beispiele  sind  zum  grofsen  Teile  langweilig  und  ermüdend. 
Besser  ist  es,  sie  an  die  Lesestücke  anzulehnen  und  zusammenhängende 
Stücke  zu  geben,  was  erst  zuletzt  geschieht.  Ich  könnte  leicht  noch  mehr 
anmerken,  doch  kann  das  Buch  trotz  seiner  Mängel  immerhin  als  brauch- 
bares Hilfsmittel  für  das  Spanische  bezeichnet  werden. 

Paul  Förster. 


P  r  o  g  r  a  m  m  e  n  s  e  h  a  u. 


Der  deutsche  Aufsatz  im  Gymnasium.  Von  Prof.  Ehemann. 
Programm  des  Gymnasiums  zu  Schwäbisch-Hall  1883. 
29  S.  4. 

Der  Grundzug  der  Abhandlung  ist  die  Beantwortung  der  Frape,  ob  der 
deutsche  Aufsatz  auch  von  anderen  Lehrern  als  den  Deutschlehrern  zu 
pflegen  sei ;  und  diese  Frage  wird  verneint,  weil  das  Wichtigste  beim  Auf- 
satz die  formale  Seite  sei,  diese  aber  bei  Zersplitterung  leicht  zu  wenig  be- 
rücksichtigt werde.  Über  den  grofsen  Umfang  bei  der  Wahl  der  Themata, 
über  die  Fehler,  welche  zu  vermeiden  sind,  bringt  der  Verfasser  angemessene 
Ansichten  vor,  ohne  jedoch  etwas  Neues  zu  bieten ;  dafs  gar  wunderliche 
Themata  in  verbreiteten  Themensammlungen  vorkommen,  ist  wahr,  aber 
das  wird  wohl  immer  so  bleiben.  Eine  etwas  starke  Vorliebe  für  die  Chrie 
zeigt  der  Verfasser.  Eigentümlich  ist,  dafs  derselbe  empfiehlt,  die  Aufsatze 
bis  Obertertia  in  der  Klasse  anfertigen  zu  lassen. 

Der  Trochäus  und  die  deutsche  Sprache.  Von  Dr.  Reinhold 
Beciier.  In  der  Festschrift  des  Gymnasiums  zu  Koblenz 
1882.     S.  17—21. 

Die  kurze  Abhandlung  bietet  interessante  Resultate.  Bedeutende  For- 
scher haben  gesagt,  der  Grundrhythmus  der  deutschen  Sprache  sei  der 
Trochäus;  sie  gehen  nämlich  davon  aus,  dafs  der  Hochton  auf  der  Stamm- 
silbe des  Wortes  ruht,  diese  aber  in  der  Kegel  die  erste  Silbe  des  Wortes 
ist.  Ist  das  auch  richtig,  so  ist  es  doch  nicht  minder  wahr,  dafs  anders 
als  in  der  Betonung  des  einzelnen  Wortes  die  Verhältnisse  im  Satze  liegen, 
dafs  bei  uns  der  Satz  gewöhnlich  mit  einem  unbetonten  Worte  anfängt. 
Daraus  folgt,  dafs  die  Sprache  zum  jambischen  Rhythmus  neigt,  ^^'ährend 
das  nun  im  Althochdeutschen  noch  wenig  hervortritt,  fängt  im  JMittellioch- 
deutschen  jener  an  zu  überwiegen.  Verse  ohne  Auftakt,  also  mit  trochüi- 
schem  Rhythmus,  empfinden  wir  als  eine  stärkere  Abweichung  von  der 
prosaischen  Rede  als  die  mit  Auftakt,  jene  machen  also  eiiun  gehobenen 
Eindruck.  Unsere  höfisclien  Lyriker  haben  den  Trochäus  von  den  Fran- 
zosen kennen  gelernt,  aber  schon  vorher  finden  wir  ihn  in  altdeutschen 
geistlichen  Gedichten,  da  hat  also  der  Rhythmus  der  lateinischen  Verse  ein- 
gewirkt; besonders  hat  lleinricli  von  Veldegge  den  Trochäus  geliebt,  über- 
haupt die  rheinischen  Dichter,  welche  also  sich  nach  den  Romanen  richteten. 
Seit  dem  Kreuzzuge  von  118!),  das  heifst  seit  der  Verbindung  der  (Ost- 
deutschen mit  deri  Westdeutschen  und  den  Franzosen,  ist  der  Trochäus  bei 
den   auf  die  Form   achtsamen  Dichtern  vorherrscliend,  sie   wollen  ihre  Ab- 


446  Programmenschau. 

Weichling  von  dem  Rhythmus  der  Umgangssprache  bezeichnen.  Und  da  ist 
es  merkwürdig,  dals  dieselben  Dichter,  wie  Walther,  welche  im  Liede  dem 
trochiiischen  Rhythmus  anhangen,  im  Spruch,  bei  dem  es  auf  den  Gedanken, 
nicht  auf  die  Form  ankommt,  den  jambischen  haben.  Ist  das  nun  auch  im 
Neuhochdeutschen  anders  geworden,  überwiegt  jetzt  auch  der  Jambus,  so 
wäre  die  Folgerung  daraus  falsch,  dafs  der  Trochäus  der  Rhythmus  der 
Prosa  sei.  Auch  durch  andere  Mittel,  besonders  durch  den  Reim,  kann  die 
Abweichung  der  dichterischen  Sprache  von  der  prosaischen  erreicht  werden. 
Wie  sehr  unsere  Sprache  jetzt  zum  jambischen  Rhythmus  hinneigt,  wie  wir 
unbewufst  auch  in  längerer  Rede  oft  jambisch  sprechen,  davon  giebt  der  Ver- 
fasser ein  höchst  ergötzliches  Beispiel;  nämlich  der  Anfang  von  Dümichens 
Geschichte  des  alten  Ägyptens  ist  lange  Zeihen  hindurch  ganz  jambisch.  Und 
hat  OS  denn  bei  Umwandlung  der  ersten  prosaischen  Bearbeitung  der 
Iphigenie  durch  Goethe  grofser  Änderungen  bedurft?  Wer  Viehofi's  \'or- 
schule  der  Dichtkunst  durch  Praxis  kennt,  weifs,  wie  leicht  sich  die  Schüler 
in  die  jambischen  Verse  hineinfinden.  Das  deutsche  Drama  hat  den  Jambus 
zu  seinem  Verse  gewählt,  weil  es  ein  Abbild  des  Lebens  sein  will;  charakte- 
ristisch ist,  dafs  in  der  Braut  von  Messina  in  den  meisten  lyrischen  Stellen 
Schiller  den  Jambus  mit  dem  Trochäus  vertauscht  hat. 

Die  Eose,  eines  der  drei  Wahrzeichen  deutscher  Dichtung. 
Von  R.  Finetervi'aller.  In  der  Festschrift  des  Gymnasiums 
zu  Koblenz  1882.     S.  51—73. 

Die  drei  Wahrzeichen  oder  Merkmale  deutscher  Dichtung  sind  die 
Linde,  Rose  und  Nachtigall,  sie  gehören  unzertrennlich  zusammen  und 
schallen  die  Welt  zu  einer  Welt  der  Poesie.  Über  die  Rose  sind  schon 
ganze  Bücher  geschrieben,  nicht  blofs  vom  naturwissenschaftlichen,  auch 
vom  ästhetischen  Standpunkt.  Sie  spielt  bei  allen  Völkern  eine  Rolle. 
Auf  die  griechische  Lyrik  nimmt  auch  der  Verfasser  mehrfach  Rücksicht, 
doch  vorzugsweise  ist  es  die  Rose  iu  der  deutschen  Dichtung,  die  fast  zahl- 
losen Bilder,  zu  denen  sie  Veranlassung  giebt,  besonders  ihre  Bedeutung 
als  Sinnbild  der  Schönheit,  Anmut,  Treue  bei  den  Dichtern  des  Mittelalters, 
womit  sich  die  Abhandlung  beschäftigt.  Niemals  ist  das  Lob  der  Rose 
ausgesungen,  auch  die  Dichtung  der  Neuzeit,  welche  hier  nur  sporadisch 
berührt  wird,  würde  dem  Verfasser  den  reichsten  Stoff  gegeben  haben.  Auf 
dem  zugemessenen  engen  Raum  hat  der  Verfasser  viel  zusammengedrängt, 
und  die  sinnige  Weise,  in  welcher  der  Stoff  behandelt  ist,  berechtigt  zu 
dem  Wunsche,  dals  er  sein  Thema  noch  ausführlicher  durchführen  möge. 

Historia  de  Sancto  Gregorio  Papa.  Eine  Prosaerzählung  nach 
dem  Gregorius  Hartmanns  von  Aue.  Nach  einer  Heidel- 
berger Hs.  des  15.  Jahrb.  herausg.  von  W.  Martens.  Pro- 
gramm des  Progymnasiums  zu  Tauberbischofsheim  1883. 
14  S.  4. 

Wir  erhalten  hier  zunächst  den  L  Teil,  den  Text;  das  Folgende  wird 
wahrscheinlich  Näheres  über  die  Handschrift,  vielleicht  Vermutungen  über 
den  Schreiber  u.  a.  bringen.  Der  gewählte  lateinische  Titel  ist  der  Hand- 
schrift entlehnt.  Die  Erzählung  beginnt:  „Es  was  ein  richer  edelmann  zu 
aquitania  in  dem  welschen  land  der  hat  zwey  kind  by  siner  frauwa  ein  son 
unnd  ein  tochter",  und  endigt,  nach  Erwähnung,  wie  Gregorius  seinem 
Vater  und  seiner  Mutter  von  Gott  das  ewige  Leben  erworben:  „Nun  sollen 
wir  auch  bitten  den  heiligen  babst  sanctum  gregorium  das  er  uns  umb  gott 
ervverb  recht  ruwe  gantz  luter  bicht  unnd  gnug  thun  hie  in  dieser  zitt  umb 


Programmenschau.  447 

unnszer  sunde  unnd  ein  besserung  unnd  fristung  unnszers  lebenn  hie  ulT  ert- 
rich  unnd  darnach  das  ewig  lebenn  das  verlihe  unnsz  gott  der  vater  unnd 
gott  der  son  unnd  gott  der  heilig  geist.  Die  heilige  Dreivaltigkeit  die  da 
ist  ein  warer  gott  unnd  die  werde  hochgelopt  junckfrauwc  niaria  amen.  Kx- 
plicit  Deo  gracias." 

Einiges  zu  den  Charakteren  der  Artussage  von  Joh.  Alton. 
Programm  des  Realgymnasiums  im  achten  Bezirke  Wiens. 
Wien  1883.     93  S.  gr.  8. 

In  der  Nationalbibliothek  zu  Paris  wird  der  Artusroraan  Claris  und 
Laris  aufbewahrt,  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  über  30  000 
achtsilbige  Verse.  Der  Verfasser  hat  denselben  kopiert  und  giebt  danach 
hier,  nach  der  Inhaltsangabe,  eine  Charakteristik  der  Personen,  welche  auch 
eine  Charakteristik  der  Personen  der  Artusromane  überhaupt  genannt  werden 
kann,  indem  er  zu  den  einzelnen  Sätzen  die  Citate  aus  unserem  Koman 
und  ähnlichen  in  Fülle  beibringt.  Es  hat  den  alten  Erzählungen  gegenüber 
schon  manche  Änderung  in  der  Auffassung  der  Persönlichkeiten  stattge- 
funden. Das  Resultat  ist  etwa  folgendes:  Zunächst  die  Artusritter  zeichnen 
sich  sämtlich  aus  durch  Freigebigkeit,  Höflichkeit,  Tapferkeit  gepaart  mit 
Besonnenheit,  tiefes  Gefühl  für  Gerechtigkeit;  der  tüchtigste  ist  Gauvain; 
Gastfreundschaft  ist  die  Folge  der  Freigebigkeit,  offenes  Auftreten  auch  dem 
listigen  Feinde  gegenüber  kennzeichnet  die  Artusritter,  nur  die  den  Frauen 
schuldige  Courtoisie  erhält  den  Vorzug,  wenn  sie  mit  der  üblichen  Milde 
gegen  den  besiegten  Gegner  in  Konflikt  kommt;  religiöse  Gesinnung,  d.  h. 
äufserliche  Beobachtung  der  kirchlichen  Ceremonien,  fleifsiger  Besuch  des 
moustier  ist  Rittergesetz.  Die  Gegner  der  Artusritter  zeichnen  sich  auch 
durch  Tapferkeit  aus,  aber  meist  für  die  schlechte  Sache,  manche  sind  dem 
tapferen  Ritter  gegenüber  auch  feige,  prahlerisch,  hochmütig,  verräterisch. 
Von  abstofsendem  Äufseren  erscheinen  die  Riesen  (jaiants)  und  Zwerge 
(nains),  dem  entspricht  meist  der  Charakter.  Zwischen  Artus  und  den 
Rittern  der  Tafelrunde  herrscht  die  innigste  Pietät,  sie  leben  für  ihn,  er 
für  sie;  sie  sind  untereinander  durch  Freundschaft  verbunden;  der  Artushof 
ist  der  Mittelpunkt  für  die  wahre  chevalerie  und  die  Zufluchtstätte  für  die 
Hilfsbedürftigen;  Artus  ist  der  oberste  König,  der  oberste  Richter,  auch  in 
Herzensangelegenheiten.  Die  Züge,  die  er  unternimmt,  sind  meist  kleinere 
Streifzüge,  bei  gröfseren  Kämpfen  zeigt  er  seine  taktischen  Kenntnisse.  Er 
ist  natürlich  persönlich  tapfer,  erscheint  aber  in  der  Regel  als  Zuschauer; 
alle  ritterlichen  Tugenden  im  höchsten  Grade  werden  ihm  beigelegt.  Der 
vorliegende  Roman  ist  der  \erherrlichung  der  jungen  Helden  Claris  und 
Laris  gewidmet;  mit  der  Charakteristik  derselben,  dann  des  ritterlichen 
Ideals  Gauvain,  des  endlosen  Prahlers  und  Spötters  Reu.\  beschäftigt  sich 
schlielslich  die  Abhandlung. 

Die  Nibelungensage  im  deutschen  Trauerspiel.  II.  Teil  nebst 
Anhang:  Richard  Wagners  Dichtung  „Der  Ring  des 
Nibelungen".  Von  Dr.  A.  Stein.  Programm  der  Gewerbe- 
schule zu  Mülhausen  i.  E.  1883.     44  S.  4. 

Der  zweite,  ebenfalls  umfangreiche  Teil  der  schon  erwähnten  Abhand- 
lung des  Verfassers  behandelt  eben  so  sorgfaltig  wie  der  erste  die  einschla- 
genden Dichtungen,  und  zwar  diejenigen,  welche  in  der  richtigen  Erkenntnis, 
dafs  die  ganze  Nibelungensage  sich  nicht  in  ein  einziges  Trauerspiel^  zwän- 
gen lasse,  zwei  Hauptfiguren  für  zwei  Tragödien  herauswäiilten.  Für  die 
Zeit  vor  Sieo;frieds   Tod   war   dies   für  die   früheren  Dichter  Siegfried,   für 


448  Programmenschau. 

die  späteren  Brunhild;  diese  Brunhilddramen  haben  mehr  psychologischen 
Gehalt.  Brunhild  aber  konnte  entweder  als  nordische  Walküre  oder  als 
Königin  von  Isenstein  gefafst  werden;  die  letztere  lebt  kräftiger  im  Be- 
wufstsein  der  Gegenwart.  Diejenigen,  welclie  (Jen  Brunhildstoff"  ausschliefs- 
lich  dem  Nibelungenlied  entnehmen,  sind  die  ältesten  und  schwächsten,  es 
fehlt  ihnen  der  dramatische  Konflikt.  Auch  wo,  wie  bei  Geibel,  Brunhild 
in  einen  seelischen  Konflikt  zwischen  Liebe  und  Rachedurst  gebracht  ist, 
erscheinen  Stoß'  und  Charakter  mangelhaft  im  Vergleich  mit  der  Edda. 
Der  Bi'unhildstofl",  wie  er  der  ältesten  Quelle  entfliefst,  ist  für  die  Dramati- 
sierung der  geeignetste ;  die  eddische  Überlieferung  ist  an  psychologischem 
Gehalt  die  reichste.  Uhlands  Skizze  „Siegfrieds  Tod"  schliefst  sich  rein 
episch  an  das  Nibelungenlied  an,  aber  vertieft  und  vermehrt  die  Motive;  es 
ist  zu  bedauern,  dafs  sie  nicht  ausgeführt  ist.  Die  nun  folgenden  Brunhild- 
dramen bespricht  hierauf  eingehend  der  Verfasser ;  es  genüge  die  Ergeb- 
nisse anzuführen.  Die  Nibelungentrilogie  von  F.  Rud.  Hermann  1819  hat 
eine  gute  Diktion;  der  zweite  Teil,  die  Brunhild,  schöpft  aus  dem  Nibe- 
lungenlied, aber  auch  aus  der  nordischen  Überlieferung,  bewegt  sich  in  rein 
epischem  Schritt,  ist  von  der  Romantik  nachteilig  beeinflufst.  Hinter  Her- 
mann steht  weit  zurück  Aug.  Zornack:  „Siegfrieds  Tod",  Trauerspiel  in 
vier  Aufzügen,  1826,  in  farbloser  Diktion  das  Nibelungenlied  wiedergebend. 
Raupachs  schlechter  Nibelungenhort  war  Veranlassung  zu  Fr.  Hebbels 
Nibelungen  in  drei  Abteilungen  1861,  d.  h.  in  dem  Vorspiel  „Der  gehörnte 
Siegfried"  und  zwei  Tragödien.  Die  Sprache  ist  poesievoll,  die  Charaktere 
scharf,  gezeichnet,  die  Dichtung  steht  trotz  der  Mängel,  die  der  Verfasser 
darlegt,  grofsartig  da.  Emanuel  Geibels  Brunhild  1857  gruppiert  zum 
erstenmal  um  eine  einzelne  Figur  den  ganzen  StofT,  die  Heldin  wird  dra- 
matisch, aber  das  Charakterbild  erscheint  getrübt,  weil  der  Dichter  die  eddische 
Quelle  nicht  in  ihrer  unverfälschten  Reinheit  benutzt  hat ;  trotz  der  vielen 
Vorzüge  hat  die  Handlung  dadurch,  dafs  absichtlich  alles  Sagenhafte  zurück- 
gedrängt ist,  an  Würde  verloren.  —  1863  erschien  die  Brunhild  von  Robert 
WaldmüUer.  Die  Dichtung  zeugt  von  scharfsinnigem  Nachdenken,  aber 
der  Grundirrtum  liegt  darin,  dafs  der  Dichter  von  Haus  aus  Siegfried  und 
Brunhild  eine  verschiedene  Natur  gegeben  und  so  das  innerste  Wesen  der 
Sage  vernichtet  hat;  der  Stoff  hat  überhaupt  eine  rücksichtslose  Umdichtung 
erfahren.  1875  erschien  Brynhilde  von  Reinhold  Sigismund,  an  die  Edda 
sich  anschliefsend,  aber  kein  Drama,  sondern  ein  dramatisiertes  Epos. 

Die  zweite  Klasse  der  Nibelungendramen  bilden  die  Kriemhilddramen. 
Der  Stoff  hat  hier  den  Vorzug  der  Klarheit,  sowie  der  Freiheit  von  allem 
Übernatürlichen,  aber  entbehrt  des  Konflikts  in  der  Seele  der  Hauptheldin; 
der  Dichter  hat  also  diesen  Kampf  erst  in  dem  Herzen  der  Heldin  zu 
schaffen,  nämlich  der  Gattentreue  (gegen  Siegfried)  gegen  die  Freundes- 
treue (aller  Angehörigen  aufser  Hagen),  und,  um  den  Charakter  Kriem- 
hildens  nicht  herabzusetzen,  aus  der  Sage  das  Motiv  der  heifsen  Sehnsucht 
nach  dem  Nibelungenschatz  zu  entfernen.  Uhlands  Skizze  „Chriemhildens 
Rache"  1817  hält  sich  an  das  Nibelungenlied,  einzelnes  mildernd.  F.  R. 
Hermanns  Trauerspiel  „Chriemhildens  Rache",  noch  mehr  „Chriemhild", 
Tragödie  in  fünf  Akten,  von  Aug.  Kopisch  1856  schliefsen  sich  ebenfalls 
eng  an  das  Nibelungenlied,  Kopisch  hat  Hagens  Charakter  nichts  Gutes 
gelassen.  Der  dritte  Teil  der  Hebbelschen  Trilogie  ist  schwächer  als  die 
ersten.  „Kriemhild",  Trauerspiel  in  fünf  Akten  von  Fr.  Arnd  1875,  schliefst 
sich  auch  zu  eng  an  das  alte  Lied,  die  Sprache  ist  edel.  Das  Trauerspiel 
von  J.  W.  Müller  „Chriemhilds  Rache"  1822,  in  drei  Abteilungen,  mit 
Chor  (aus  burgundischen  Jungfrauen),  weicht  stark  von  der  Sage  ab,  ist  zu 
reich  an  Betrachtungen,  öfters  in  holperiger  Diktion,  aber  mit  einem  neuen, 
nicht  ungeschickten  Motiv.  Wilh.  Hosäus' Trauerspiel  „Kriemhild"  1866  bringt 
in  die  Seele  der  Heldin  den  Kampf  zwischen  dem  Rachetrieb  und  den  Ge- 
boten  des  Christentums;   dies   letztere  Motiv   aber  pafst  nicht  in  jene  Zeit 


Progranimenschau.  *  449 

und  Hagens  Charakter  ist  widerwärtig  entstellt  und  widerspruchsvoll. 
Sigismunds  Krienihild,  an  die  Brynhild  sich  anscbliefsend,  bietet  gerade 
dadurch  für  den  deutschen  Leser  nianclies  Unverständliche,  die  Kriemhild 
erscheint  abstolsend,  Hagen  bemitleidenswert.  So  hat  bis  jetzt  noch  keine 
Kriemhildtragödie  dauernd  Fufs  gefalst,  bald  zeigt  sich  Unsicherheit 
in  der  Auffassung  des  dramatischen  Charakters  gegenüber  dem  epischen, 
bald  Vernachlässigung  des  dramatischen  Konfliktes.  —  Zum  Schlufs  be- 
spricht der  N'erfasser  noch  Rieh.  Wagners  „Ring  des  Nibelungen";  über 
die  Dichtung  haben  die  Preuls.  Jahrbücher  so  eingehend  sich  ausgelassen, 
dafs  wir  nicht  weiter  hier  dem  Verf  zu  folgen  haben.  Der  Bericht  wird 
aber  dargelegt  haben,  wie  sorgfältig  der  Verfasser  seine  Aufgabe  aufgefafst 
hat. 

Über  die  Quellen  zu  Rudolfs  von  Ems  „Alexander".  Von 
Prof.  Dr.  Adolf  Ausfeld.  Programm  des  Progymnasiums 
zu  Donaueschingen  1882.     24  8.  4. 

Die  aufserordentlich  sorgfältige,  von  ungewöhnlichem  Fleifse  zeugende 
Abhandlung  ist  als  Vorläufer  der  bald  erscheinenden  Ausgabe  des  „Alexander" 
zu  betrachten ;  sie  ist  reich  an  neuen  Resultaten.  In  Kürze  sei  über  den 
Inhalt  referiert.  —  Der  Alexander  ist  das  schwächste  Werk  des  überhaupt 
nicht  hochbegabten  Dichters ;  aber  er  ist  wichtig  wegen  der  vielen  Notizen 
über  gleichzeitige  Dichter  und  wegen  der  eigentümlichen  Behandlung  der 
Alexandersage.  Welches  waren  nun  seine  Quellen?  Er  spricht  sich  selbst 
darüber  aus;  seine  Angabe  ist  genauer  zu  untersuchen.  Die  wichtigste 
Quelle  ist  die  Historia  de  preliis,  d.  i.  die  Übersetzung  des  Phenelon 
Kallisthenes  durch  den  Arcbipresbyter  Leo,  aber  die  zahlreichen  Recensionen 
des  Leo  sind  untereinander  so  verschieden,  dafs  sie  kaum  von  demselben 
Verfasser  herzurühren  scheinen.  Der  Verfasser  nimmt  an,  dafs  die  Bam- 
berger Hs.  (11.  Jahrb.)  vom  ursprünglichen  Texte  Leos  nicht  bedeutend 
abweicht;  in  den  jüngsten  Gestaltungen  der  Historie  ist  aber  die  Grimd- 
form,  besonders  sprachlich,  völlig  umgewandelt.  So  schon  in  der  Münche- 
ner Hs.  (12.  Jahrb.).  Dann  begegnen  uns  immer  stärker  interpolierte 
Recensionen;  eine  gröfsere  Zahl  hat  der  Verfasser  untersucht  und  führt 
die  Abschnitte  aui,  für  welche  Leo  die  Grundlage  Rudolfs  bihlete,  indem 
er  die  verschiedenen  Recensionen  nach  Gruppen  sondert.  Es  stellt  sich  da 
heraus,  dafs  Rudolf  in  vielen  Stücken  mit  dem  Baseler  und  Münchener  Leo 
übereinstimmt,  aber  auch  in  vielen  mit  Recensionen,  welche  von  diesen  ab- 
weichen und  offenbar  andere,  meistens  nachweisbare  Quellen  hatten.  Der 
Text  des  Leo,  welcher  Rudolf  vorlag,  war  also  ein  ganz  besonderer;  er  hat 
aber  auch  an  diesem  Texte  geändert,  weil  er  auch  noch  andere  Autoren 
als  den  Leo  benutzte.  Aus  der  erweiterten  Form  des  Leo  hat  Rudolf  ein 
Drittel  seines  ganzes  Werkes,  etwa  700  Verse,  entnommen.  (Eben  jetzt 
[1884]  bringt  das  Programm  des  Gymnasiums  zum  Grauen  Kloster  in  Berlin 
von  R.  Kinzel :  Zwei  Kecensionen  der  vita  Alexandri  Magni  interprete  Leon 
archipresbytero  Neapolitano.  33  S.  4.)  Die  llauptquelle  Rudolfs  aber  ist 
Curtius,  er  folgt  ihm  von  Anfang  des  Curtius  an,  d.  h.  von  Alexanders 
Ankunft  in  Celänä,  bis  zur  Gefangennahme  des  Bessus,  der  sein  eigenes 
Werk  abbricht;  nur  weniges  hat  er  ausgelassen.  Es  ist  nachweisbar,  dafs 
Rudolfs  Handschrift  sich  keiner  der  angenommenen  Handschriften-Grui)])en 
ausschliefslich  zuweisen  läfst:  sie  war  eine  interpolierte.  Dafs  Curtius  Cur 
Rudolf  die  Hauptquelle  war,  ist  für  den  poetischen  Wert  seines  Gedichtes 
kein  Glück  gewesen.  Rudolf  aber  bedurfte  noch  anderer  (Quellen,  soleher 
nämlich,  die  seinen  Helden  mit  der  heiligen  Überlieferung  in  Zusammen- 
hang  brachten.  Daher  beruft  er  sich  auf  Josephus,  die  Bibel,  Hieronymus, 
die  Historia  Scholastica  und  Methodius.  Josephus  hat  ihm  aber  nicht  un- 
mittelbar vorgelegen,  sondern  die  Historia  Scholastica  des  Petrus  Coinestor; 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXI,  29 


450  Programmeuschau. 

wo  er  aber  von  Coraestor  abweicht,  hat  er  flen  Leo  in  der  ihm  vorliegen- 
den Fassung  vor  Augen  gehabt.  Auch  die  Bibel  hat  er  benutzt ;  aber 
wo  von  dieser  Comestor  abweicht,  schliefst  er  sich  an  diesen  an.  Den 
Prophezeiungen  des  Methodius  entlehnt  er  viel.  So  hat  er  sehr  redselig 
auf  diesem  geistlichen  Gebiete,  von  dem  heidnischen  Altertum  abweichend,  ein 
Repertorium  der  biblischen  Geschichte  geschmacklos  eingezwängt.  Den 
aus  den  verschiedensten  Quellen  ihm  zuströmenden  Stoff  zu  einer  Einheit 
zu  verbinden,  hat  ihm  nicht  gelingen  wollen;  Widersprüche,  Abschweifungen 
vom  Thema,  Mifsverständnisse  der  Vorlage,  nicht  selten  komischer  Art, 
willkürliche  Zusätze  charakterisieren  ihn,  die  Minne  und  Frömmigkeit  der 
Helden  durften  natürlich  auch  nicht  fehlen.  Er  giebt  aber  nicht  blofse 
Erzählung,  er  redet  gern  über  die  ihn  bewegenden  Gedanken,  als  Nach- 
ahmer Gottfrieds  berührt  er  auch  die  gleichzeitigen  Dichter.  Die  Massen- 
haftigkeit  des  Stoffes  hat  ihn  erdrückt,  sein  Gedicht  hat  seinerzeit  wenig 
Anklang  gefunden,  daher  ist  es  nur  in  einer  Handschrift  überliefert.  Er 
verlor  die  Gesamtwirkung  seiner  Darstellung  völlig  aus  den  Augen;  dies 
selbst  empfindend  legte  er  sein  Werk  unvollendet  beiseite. 

Über  die  dramatische  Dichtung  Deutschlands  im  MittelaUer. 
Von  Dr.  P.  Häling.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Bens- 
heim 1883.    22  S.  4. 

Die  Abhandlung  ist  ein  Auszug  aus  den  bekannten  Werken  von  Vilmar, 
Dcvrient,  Mone  u.  a.  und  scheint  für  die  Schüler  zur  Vervollständigung  des 
litteraturgeschichtlichen  Unterrichts  bestimmt  zu  sein. 

Über  die  Gedichte  des  sogenannten  Seifried  Helbling.  Von 
Prof.  Heintzeler.  Programm  der  Realanstalt  zu  Reutlingen 
1883.    29  S.  4. 

Die  zuerst  von  Karajan  1844  herausgegebenen  fünfzehn  didaktischen 
Gedichte,  welche  den  Namen  Seifried  Helblings  von  Karajan  erhalten  haben, 
.sind  von  Gervinus,  Koberstein  u.  a.  als  litterarisch  unbedeutend,  wenn  auch 
für  die  österreichische  Geschichte  wichtig  bezeichnet.  Dagegen  tritt  vor- 
liegende Abhandlung  auf.  Verf.  verwirft  mit  den  neueren  torschern  die 
Hypothese  Karajans,  dafs  der  Dichter  Helbling  heifse.  Wir  wissen  nur,  dafs 
der  Dichter  nach  1238  geboren  ist,  dem  Ritterstande  angehörte,  wohlhabend, 
ziemlich  gebildet  war,  nicht  in  Wien  lebte,  aber  dort  bekannt  war.  Die 
Mehrzahl  der  Gedichte  geht  darauf  aus,  die  Schäden  Österreichs  auf- 
zudecken, um  dadurch  zur  Besserung  zu  führen.  Diese  Klagen  über  den 
Zerfall  des  Landes  geben  uns  ein  interessantes,  deutliches  Bild  von  den 
Zeitverhältnissen.  Besonders  wird  der  überhandnehmende  fremdländische 
Einflufs  in  Tracht,  Lebensweise,  Politik  bekämpft;  an  allen  Ständen  wer- 
den Ausstellungen  gemacht,  interessante  Aufschlüsse  über  die  Verhältnisse 
am  Hofe  geboten.  Der  Dichter  ist  den  aufstrebenden  Bauern  abhold,  frei- 
mütig über  die  Gebrechen  des  Klerus,  doch  sonst  ein  guter  Sohn  der 
Kirche;  die  späteren  Gedichte  sind  religiös.  —  In  Bezug  auf  den  dichte- 
rischen Wert  hebt  der  Verfasser  die  meisterhafte  Anwendung  des  Dialogs 
hervor;  bisweilen  schweift  er  zu  weit  ab.  Die  Darstellung  ist  frisch,  leben- 
dig, realistisch,  phantasievoll,  die  Schilderungen  wahr,  origineller  als  die 
klassischen  Ritterdichtungen.  —  Zeichen  des  Verfalls  sind  die  mehrfachen 
unreinen  Reime,  allerlei  Reimkünste.  Das  älteste  Gedicht  setzt  der  Verf. 
in  1283;  über  1289  hinaus  fehlen  historische  Haltpunkte.  AustührHch  be- 
weist der  Verf.  die  Einheit  des  Verfassers  aller  fünfzelin  Gedichte  mit 
aus  dem  Inhalt  und  der  Form  entlehnten  Gründen.  Später  fand  Karajan 
noch    eine    zweite    Handschrift,    welche    Bruchstücke    aus    dem    fünfzehnten 


Programmenscbau.  45I 

Gedicht  und  zwei  kleinere  Gedichte  enthält;  diese  zwei  Gedichte  teilt  der 
Verfasser  hier  mit;  einzelnes  darin  erinnert  an  den  sogenannten  Flelbling, 
anderesist  so  abweichend,  dafs  der  Verf.  sich  für  einen  anderen  Verfasser 
entscheidet  als  den  Dichter  der  fünfzehn  österreichischen  Satiren. 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Sprachgebrauchs  Klopstocks. 
Von  Christof  Würfl.  Programm  des  zweiten  deutschen 
Obergymnasiums  zu  Briinn  1883.     24  S.    gr.  8. 

Klopstocks  Verdienste  um  die  deutsche  Sprache  sind  allgemein  aner- 
kannt. Über  die  Grundsätze,  welche  ihn  in  seiner  sprachbildenden  Thätig- 
keit  leiteten,  hat  er  sich  selbst  ausgesprochen.  Er  wählt  edle  AVörter,  er 
macht  die  AVortfolge  freier;  aber  er  beutet  auch  das  vorhandene  Sprach- 
material mehr  aus  als  seine  Vorgänger,  er  erweitert  den  Bedeutungsumfang 
der  Wörter,  er  vermehrt  den  \Vortreichtum,  dafs  er  fast  erstorbene  W'örtir 
neu  belebt,  er  bildet  durch  Zusammensetzung  neue  Wörter.  Die  vorliegende, 
mit  Sorgfalt  geschriebene  Abhandlung  stellt  in  alphabetischer  Folge,  und 
zwar  zunächst  für  die  Buchstaben  A  bis  F  die  Wörter  zusammen,  die  von 
Klopstock  neu  gebildet  oder  von  ihm  mit  neuer  Bedeutung  versehen  sind; 
bei  jedem  ist  die  Stelle  im  Grimmschen  Wörterbuch  aufgeführt,  wo  das 
Wort  citiert  ist;  ob  die  Klopstocksche  Stelle,  wo  das  seltene  Wort  oder 
die  ungewöhnliche  Bedeutung  vorkommt,  im  Deutschen  Wörterbuch  an- 
gegeben oder  nicht  angeführt  ist,  ist  genau  bemerkt.  Die  Abhandlung  ist 
somit  auch  als  Ergänzung  zu  Grimms  Wörterbuch  anzusehen.  Es  sind 
gröfstenteils  zusammengesetzte  Wörter,  die  hier  aufgeführt,  und  es  ist  be- 
kannt, dafs  im  \N'örterbuch  nicht  alle  Komposita  angegeben  sind;  es  ist 
aber  die  Frage,  ob  nicht  die  Schöpfungen  Klopstocks  eine  Bevorzugung 
verdient  hätten.  Es  fehlen  von  A  bis  F  folgende  von  Klopstock  gebrauchte 
Wörter:  Adlerrfüs,  Afterahmer,  Ahndungsblick,  ahndungsfrei,  Apolona 
(griechische  Poesie),  Auferwecker,  Aufgangshaufen,  banggerungen,  bangzer- 
rungen,  B.ardale  (Nachtigall),  bechervoll,  Befrager,  Begiefser,  Bejochungs- 
krieg,  Bepflanzer,  Blumenseil,  Blutbach,  Blutweissagung,  Brautlenzreise,  Braut- 
gesangestritt, brummisch,  Cheruskawald,  Cultiviererei,  daherthauen,  dahin- 
beben,  dahinzittern,  Danien  (Dänemark),  dankweinend,  die  Dispute,  P^hrever- 
geudung,  Ehreverschwendung,  elendbeseligt,  Elendstifter,  emporwiehernd, 
engumkreisend,  Erdulder,  erfindungsvoll,  erntesinnend,  Erobererschlacht, 
F^robererschlachtfeld,  feilbar,  fernherweinend,  Fesselgeklirr,  feuriggeflügelt, 
finsterverwachsen,  fluchbelastet,  fortbeben,  das  Freudausrulen,  Friedezweig, 
frühwegblühend,  fürchterlichlachend.  Bei  manchen  anderen  ist  der  eigen- 
tümliche Klopstocksche  Gebrauch  nicht  angegeben,  z.  B.  Anflug  =  Angrifl', 
ähnlichen  =  ähnlich  machen,  ändern  ^^  sich  ändern  u.  a.  Der  Verfasser 
hat  die  Fortsetzung  seiner  Arbeit  zugesagt.  Sie  ist  als  wertvoller  Zusatz 
zu  den  Aufsätzen  desselben  im  Archiv  LXIV,  271—340;  LX\',  '251— 3-20 
anzusehen. 

Über  Goethes  Iphigenie.  Von  Dir.  Dr.  Fr.  Th.  Nölting.  Pro- 
gramm der  Gi'ofsen  Stadtschule  zu  Wismar  1883.    22  S.  4. 

Es  ist  schwer  etwas  Neues  über  den  (iegcnstand  zu  sagen;  der  Verf. 
hat  das  auch  wohl  nicht  beabsichtigt.  Er  hat  offenbar  ein  gröfseres  Publi- 
kum als  den  Kreis  der  Fachgenossen  vor  Augen  gehabt,  und  es  ist  ihm 
wohl  gelungen,  den  tiefen  Unterschied  des  deutschen  Dramas  von  dem 
griechischen  Vorbilde  seinen  Lesern  auseinanderzusetzen,  die  Bewunderiuig, 
mit  welcher  ihn  Goethe  erfüllt  hat,  auch  den  Lesern  einzuflöfsen.  Bei  der 
Erörterung  der  vielbesprochenen  Heilung  des  Orestes  (S.  IG)  scheint  er  auf 
das  Bekenntnis  desselben  doch  zu  wenig  Gewicht  zu  legen;  der  Einwurf, 
dafs  Orest   den  Muttermord  ja  nicht  heindich  verübt   und  ihn  vor  der  \Velt 

29* 


452  Programnienschau. 

zu  verbergen  gesucht  habe,  die  Mitteilung  der  unglückseHgen  That  also  an 
sich  nicht  eine  erlösende  AVirkung  haben  könne,  trifft  nicht,  das 
ist  vielmehr  der  Hauptpunkt,  dafs  Orestes  jetzt  seiner  Schwester  die  That 
erzählen  mufs,  dafs  der  heftig  erregten  Seele  der  kleinste  Moment  der 
schrecklichen  Stunde  entgegentritt,  in  der  Erneuerung  der  Unglücksthat  dies 
Herz  sich  selbst  zerfleischt;  diese  Selbstpeinigung  ist  der  Beginn  der  Er- 
lösung. —  Der  Verfasser  gehört  auch  zu  denjenigen,  welche  jedes  Goethesche 
Gedicht  (ohne  Ausnahme?)  für  den  Ausdruck  des  eigenen  Gemütslebens 
des  Dichters  halten;  inwiefern,  fragt  er  daher,  war  unser  Dichter  selbst  ein 
Orest?  wer  war  die  erlösende  Schwester?  Die  Qualen  der  Erinnerung  an 
Friedrike  und  Lili,  antwortet  er,  drückten  seinen  Schaffensmut  danieder, 
tue  erlösende  Fee  war  Frau  v.  Stein.  Die  Antwort  wird  schwerlich  jeden 
Geschmack  befriedigen. 

Der  Pantheismus  in  der  poetischen  Litteratur  der  Deutschen 
im  18.  und  19.  Jahrh.  Von  Dr.  Hermann  Mensch.  Pro- 
gramm der  Realschule  zu  Giefsen  1883.     14  S.  4. 

Überschwengliche  Darstellung.  Der  Pantheismus,  sagt  der  Verfasser, 
setzt  ein  erhabenes  Gefühl  voraus;  er  steckt  an.  Lessing  war  Spinozist, 
seitdem  liegt  der  Pantheismus  in  der  Luft.  Schon  bei  dem  jungen  Goethe 
tritt  er  lebhaft  vor,  so  im  VVerther,  vollends  im  Faust.  Dann  bei  Hölderlin, 
den  Romantikern,  Tieck,  Novalis,  Rückert,  Schefer,  Kinkel,  G.  Keller, 
B.  Auerbach,  F.  Dahn  (Odhins  Trost). 

Herford.  Hölscher. 


Die  Form-  und  Begriffsveränderung-en  der  französischen  Fremd- 
Wörter  im  Deutschen.  Von  Dr.  Jos.  Moers,  Oberlehrer. 
Prooramm  der  höheren  Bürgerschule  zu  Bonn,    Ostern  1884. 

Vorstehendes  Programm  hat  vor  vielen  —  leider  nur  zu  vielen  —  an- 
deren den  Vorzug,  einen  Gegenstand  zu  behandeln,  welcher  die  Teilnahme 
weiterer  Kreise  in  Anspruch  nimmt,  ohne  des  wissenschaftlichen  Ernstes  zu 
ermangeln.  Verfasser  stellt  in  gefälliger  und  anspruchsloser  Weise  die 
Wandlungen  dar,  welche  die  französischen  Fremdwörter  durchgemacht  haben, 
bevor  sie  bei  uns  heimisch  wurden.  Er  hat  dabei  die  zahlreichen  ein- 
schlägigen Werke  sorgfältig  benutzt  und  häufig  selbständige,  zum  Teil  ge- 
lungene Erklärungen  versucht.  Bei  der  Besprechung  der  in  der  Wortform 
eingetretenen  Wandlungen  wird  auch  die  jüngst  in  den  Schulen  eingeführte 
Rechtschreibung  gestreift  und  auf  einzelne  Folgewidrigkeiten  derselben  hin- 
gewiesen. Ein  ansprechendes  Gebiet  behandelt  der  folgende  Abschnitt, 
welcher  auseinandersetzt,  wie  aus  den  einmal  aufgenommenen  Fremdwörtern 
neue  Formen  gebildet  oder  neue  Ausdrücke  geschaffen  werden,  welche  man 
ihrem  Klange  und  Gepräge  nach  leicht  geneigt  sein  könnte  für  französische 
zu  halten.  Für  die  so  zahlreichen  Änderungen  des  Geschlechts  hält  Ver- 
fasser die  Form  des  Wortes  und  insbesondere  seine  Endung  in  den  weitüus 
meisten  Fällen  für  mafsgebend.  Im  letzten  Abschnitt  stellt  er  die  wich- 
tigsten Fremdwörter  zusammen,  welche  wir  in  einer  vom  Französischen 
mehr  oder  weniger  abweichenden  Bedeutung  gebrauchen.  Der  Aufsatz 
schliefst  mit  den  Worten:  „Wie  wir  in  den  französischen  Fremdwörtern  die 
beschämenden  Zeugen  des  tiefen  Verfalls  unseres  Vaterlandes  erblicken,  so 
mufs  das  seit  der  glorreichen  Wiederherstellung  des  deutschen  Kaiserreichs 
sich  mächtig  entwickelnde  Selbstbewufstsein  ein  Bürge  dafür  sein,  dafs  diese 
kräftige  nationale  Strömung  auch  der  Hebung  und  Reinigung  unserer 
Sprache   zu  gute   kommt."     Utinam !    Aber  wenn   z.  B.  in  dem  Reichstage, 


Programmenscbau.  453 

der  ilocli  eine  Pflegestatte  und  ein  Hort  deutschen  Wesens  sein  sollte  und 
so  leicht  sein  könnte,  die  Peülionskommissinn  dem  l'lenwii  vorschlägt,  über 
die  Petition  des  Petenten  X.  zur  Tagesordnung  überzugehen,  der  Präsident 
ein  Amendement  zur  Debatte  stellt,  und  der  renommierte  oder  routinierte 
Parlamentarier  X.  ein  Separatcotitm  motiviert,  oder  wenn  d(!r  berühmte  Ge- 
schichtsforscher V.  Ranke,  der  doch  sonst  so  geschmackvoll  zu  schreiben 
versteht,  seine  Weltgeschichte  mit  Fremdwörtern  unnützester  Art  (die 
Siiccesse  [!]  Cäsars  in  Spanien)  förmlich  überladet,  so  kann  man  nicht 
umhin,  einen  bescheidenen  Zweifel  an  der  Erfüllung  dieses  gewifs  berech- 
tigten Wunsches  zu  hegen.  Gar  nicht  davon  zu  reden,  dafs  sogar  das  so 
vortreffliche  Generalstabswerk  über  den  letzten  Krieg  nach  so  schönen  An- 
fängen —  Iloclifliiche,  durchschnittenes  Gelände  u.  s.  w.  —  nur  zu  häufi" 
wieder  in  den  alten  Ton  verfällt;  denn  da  könnte  man  entgegnen:  das  sind 
Kunstausdrücke,  wozu  die  erst  übersetzen?  Und  doch!  was  würde  wohl 
ein  Franzose  sagen,  wenn  er  läse:  „l'ennemi  brach  hervor  du  Engpafs  et 
grifl'  an  le  Saum  de  la  füret  et  les  zu  Pferd  de  la  route  staflelförmig  auf- 
gestellten troupes"?  Es  bleibt  eben  noch  sehr  viel  zu  Ihun,  unser  be- 
rechtigter Stolz  auf  den  wahren  AVert  unseres  Volkes  ist  noch  steigerungs- 
fähig, und  ganz  besonders  von  denen,  die  berufen  sind,  die  deutsche  Sprache 
zu  lehren,  könnte  noch  sehr  vieles  gethan  werden,  um  dieselbe  fähiw  zu 
machen,  dem  niafslos  wuchernden  Fremdwörterbacillus  zu  widerstehen,  viel- 
leicht ihn  ganz  auszustofsen.  Schon  zweimal  fiel  die  Zeit  der  höchsten 
Macht  und  des  gröfsten  Glanzes  unseres  Vaterlandes  zusammen  mit  der 
schlimmsten  Verwelschung  seiner  Sprache. 

Auf  den  reichen  Inhalt  der  Abhandlung  näher  einzugehen,  verbietet 
leider  die  Beschränktheit  des  Raumes-  Ich  bemerke  nur  zu  Abteilung  \', 
Wechsel  der  Bedeutung,  a.  v. : 

civil.  Man  sagt  auch  en  civil;  civil  in  der  Soldatensprache  auch  = 
Civilist;  sonst  =:  Civilstand. 

Gardecorps.     Auch  les  gardes,  la  garde. 

Generalität,  generalite  —  wenn  auch  veraltet  —  =  Generalität 
(Sachs). 

Kadet.     Auch  cadet.     Kadettencorps  Corps  des  Cadets. 

Kultusminister  auch  ministre  (de  l'instruction  publique  et)  des  cultes. 

Militär,  militaire  =  simple  soldat  im  Gegensatz  zum  Offizier.  Mr.  X. 
logera  ...  1  officier  et  4  militaires  hiefs  es  z.  B.  oft  auf  den  Quartier- 
zetteln. 

Parade    abhalten    =    passer    en    revue    oder    —  la  revue   de 

Parade  auch  parade  (rieht  „fast  nur  revue"!)  sonst  inspection  d'honueur; 
revue  de  midi,     passer  la  revue  de  midi. 

Quartier,  quartier  =  Kaserne  bei  der  Kavallerie  (in  diesem  Falle 
nicht  caserne  I). 

Spalier  bilden  auch  =  faire  (\'erfasser  nur  border!)  la  haie. 

Püttuiann. 


M  i  s  c  e  1 1  e  n. 


Über  Goethes  Singspiel  „Lila". 

„Lila"  behandelt  in  seinen  beiden  Bearbeitungen  die  Heilung  eines 
gemütskranken  Menschen,  in  der  älteren  (1776—1777)  des  Barons  Sternthal, 
in  der  jüngeren  (1788)  aber  dessen  Gemahlin  Lila;  die  Befreiung  von  dem 
Seelenleiden  wird  durch  geschicktes  Eingehen  auf  die  Irrgedanken  des 
kranken  Gemütes  herbeigeführt.  So  heifst  es  in  der  jüngeren  Bearbeitung: 
„Lila  bat  ihrem  Kammermädchen,  der  Einzigen,  zu  der  ihr  Vertrauen  auch 
bei  ihrem  Wahnsinn  geblieben  ist,  unter  dem  SIgel  der  gröfsten  Verschwie- 
genheit versichert,  dafs  sie  wohl  wisse,  woran  sie  sei :  Es  sei  ihr  offenbaret 
worden,  ihr  Stcrnthal  [sei  nicht  tot,  sondern]  werde  [nur]  von  feindseligen 
Geistern  gefangen  gehalten,  die  auch  ihr  nach  der  Freiheit  strebten,  des- 
wegen sie  unerkannt  und  heimlich  herumwandern  müsse,  bis  sie  Gelegenheit 
und  Mittel  fände,  ihn  zu  befreien.  —  Sie  hat  Netten  noch  eine  weitläufige 
Geschichte  von  Zauberern,  Feeen,  Ogern  und  Dämonen  erzählt,  und  was  sie 
Alles  auszustehen  habe,  bis  sie  ihn  wider  erlangen  könne"  —  und  auf  dieser 
Grundlage  wird  das  Heilunternehmen  durch  N'orspiegelung  und  Vorspielung 
einer  Zauberwelt  aufgebaut,  um  „Phantasie  durch  Phantasie  zu  curiren". 
Ob  Goethe  dies  auf  solche  Weise  in  das  Stück  verflochtene  Märchenspiel 
aus  seiner  eigenen  Gedankenwelt  oder  sonst  woher  entnommen  hat,  ist 
meines  Wissens  bislang  noch  von  niemand  untersucht  worden.  Wenn  ich 
hier  in  Kürze  darauf  einzugehen  gedenke,  erlaube  ich  mir,  die  Aufmerksam- 
keit auf  eine  naheliegende  reichhaltige  Quelle  zu  lenken,  auf  unsere  Puppen- 
spiele, welchen  Goethe,  wie  bekannt,  stets  eine  bedeutende  Würdigung 
zuwandte.  In  der  vor  einigen  Jahren  erschienenen  Sammlung  der  zugäng- 
lich gewesenen  „Deutschen  Puppenkomödien",  herausgegeben  von  Karl 
Encel  (Oldenburg,  Schulzesche  Buchhandl.),  findet  sich  ein  Stück,  welches 
leichtlich  auf  die  Goethesche  Quelle  hinweisen  könnte:  ..Almanda,  die  wohl- 
thätiwe  Fee";  von  demselben  sagt  der  Herausgeber:  „Über  das  ergötzliche 
Zauberspiel  , Almanda,  die  wohlthätige  Fee'  liefs  sich  nichts  weiter  ermitteln, 
als  dafs  es  vorzeiten  auf  einer  stehenden  Marionettenbühne  zu  Augsburg, 
von  woher  auch  die  mir  überkommene  Abschrift  stammt,  ein  sehr  gern  ge- 
sehenes Repertoirstück  gewesen  sein  soll."  Der  Gedankengang  des  lieb- 
lichen Stückes  ist  folgender: 

Ein  böser  Zauberer  mit  dem  seltsamen  Namen  Zurpuzizuh  hat  sich  in 
Zaira,  die  Tochter  Ibrahims,  Beherrschers  einer  türkischen  Insel  (aber  dabei 
schnui-rigerweise  Pascha  von  Balsora  genannt),  verliebt  und  will  dieselbe 
ehelichen,  obwohl  sie  anstatt  Liebe  nur  den  heftigsten  Abscheu  gegen  ihn 
hat.    Um  trotzdem  seinen  Zweck  zu  erreichen,  läTst  der  Zauberer  den  Pascha 


Miscellen.  455 

seine  geheimnisvolle  Macht  fühlen,  so  dafs  derselbe  aus  Besorgnis  für  sich 
und  sein  Reich  die  Einwilligung  giebt.  Aber  das  Herz  der  schönen  Zaini 
bleibt  unerweichlich,  und  sie  ist  von  tiefer  Bekümmernis  ob  ihres  schreck- 
lichen Schicksals  erfüllt.  Da  fühlen  die  Götter  iNlitleid  mit  dem  armen 
Mägdlein  und  vertrauen  es  der  Obhut  der  gütigen  Fee  Almanda  an.  Diese 
sinnt  auf  Rettang :  Sie  zeigt  das  liebliche  Bild  der  Zaira  einem  deutschen 
Kreuzfahrer,  Namens  Alexis,  im  Schlafe  und  entzündet  dadurch  denselben 
so  zur  Leidenschaft,  dafs  er  das  Urbild  seines  Traumbildes  aufzusuchen 
trachtet;  ebenso  läfst  die  Fee  der  Jungfrau  das  Bild  des  Ritters  erscheinen 
und  bewirkt  bei  ihr  eine  gleich  heftige  Leidenschaft.  Die  gütige  Fee  ist 
dann  fernerhin  behilflich:  sie  führt  Ale.xis  an  den  Ort  der  Bestimmung, 
und  das  glückliche  Brautpaar  entflieht  zur  Nachtzeit.  Aber  die  Flucht  wird 
zu  frühzeitig  entdeckt.  Der  zornige  Zurpuzizuh  verstrickt  die  Fliehenden, 
da  sie  noch  nicht  über  die  Grenzen  seines  Gebietes  sind,  durch  seine  Kunst 
so  in  Irrwege,  dafs  Ibrahims  Reiterei  die  Flüchtlinge  zu  erhaschen  vermag; 
Zaira  wird  dem  Geliebten  entrissen,  und  Alexis  gefesselt  in  ein  Verliefs  ge- 
worfen. Doch  in  der  Stunde  der  höchsten  Not,  als  er  durch  des  Henkers 
Hand  sterben  soll,  wird  er  durch  Almanda  befreit  und  aus  dem  Kerker 
geleitet.  In  solcher  Weise  wirken  durch  das  ganze  Stück  hindurch  Almanda 
und  der  Zauberer  sich  entgegen,  bis  zuletzt  gelingt,  Zurpuzizuh  den  macht- 
verleihenden Talisman  zu  entreifsen;  da  ist  seine  ganze  Macht  im  Nu  ver- 
nichtet, und  auf  den  Befehl  der  Fee  Almanda  versinkt  er  in  die  Erde.  Das 
von  der  holden  Fee  wieder  zusammengeführte  Liebespaar  erhält  die  Zustim- 
mung des  Vaters  Ibrahim  zur  F^he  und  Heimfahrt  nach  Deutschland. 

Vergleichen  wir  diesen  Gedankengang  des  Puppenspieles  nun  mit  der 
Zauberspielerei  in  Goethes  „Lila",  so  finden  wir  wesentliche  Berührungen ; 
wir  können,  um  kurz  zu  sein,  folgende  Gleichheiten  aufsteilen:  Zaira  =  Lila, 
Alexis  r=  Sternthal,  Zurpuzizuh  =  der  Oger,  Almanda  ^=  Almaide  (wahr- 
scheinlich aus  Amanda,  die  Liebwerte,  Verehrungswürdige,  verderbt).  Vor 
allem  ist  es  die  Ähnlichkeit  oder  besser  Gleichheit  des  Feennamens,  welche 
den  Gedanken  uns  aufdrängt,  dafs  Goethe  das  beliebte  Volksschauspiel  ge- 
kannt und  benutzt  habe,  um  es  als  Mittel  zum  Zwecke,  in  seiner  Weise 
verarbeitet,  dem  Singspiele  „Lila"  einzufügen.  Vielleicht  hatte  Goethe  das 
Puppenspiel  in  einer  anderen,  noch  näher  liegenden  Form  kennen  gelernt. 
In  der  älteren  Bearbeitung  des  Goetheschen  Stückes  spielt  Lila  selber 
die  wohlthätige  Fee  und  bewirkt  ganz  vorzugsweise  die  Heilung  des  Gatten  ; 
in  der  jüngeren  Bearbeitung,  in  welcher  Lila  als  gemütskrank  vorgeführt 
wird,  mufs  dann  die  Schwägerin  dieser  die  Rolle  der  Almaide  übernehnien. 
Selbstverständlich  ist,  dafs  in  Goethes  Zauberspielerei  die  Wunderbarlich- 
keiten  des  Puppenspieles  einer  etwas  greifbareren  Welt  Raum  geben 
mufsten. 

Der  (Tedanke,  die  wirkliche  Welt  durch  Vorspiegelung  einer  Zauber- 
welt dem  Sinne  zu  entrücken,  bis  das  kranke  Gemüt  genügend  vorbereitet 
ist,  jene  wieder  zu  verstehen  und  zu  fühlen,  könnte  Goethe  durcli  ein  anderes 
Puppenspiel  vermittelt  sein,  welches  uns  gleichfalls  durch  Karl  Engel  über- 
mittelt ist.  Dasselbe  führt  die  Überschrift  „Das  Reicl»  der  Toten"  und 
zeigt  uns  in  äufserst  fader  Form,  wie  ein  Liebespaar  durch  Vorgaukelung 
einer  Scheinwelt,  des  Totenreiches,  die  Zustimmung  des  hartherzigen  N'aters 
zum  Eheschlusse  erhält;  es  hat  aber  aufser  diesem  ganz  äufserlichen  Ge- 
danken mit  dem  Goetheschen  Singspiele  nicht  die  mindeste  Berührung, 
weshalb  wir  nicht  näher  darauf  eingehen  wollen. 

Adalbert  Rudolf. 


456  Miscellen. 

Vortraj;    über    die   in    beigefügter  Tabelle   veranschaulichte    Zu- 
sammenstellung der  französischen  regehnäfsigen  Zeitwörter, 

gehalten   von    Guido  Weicbold,    Oberlehrer   an  der  Realschule  I.  O.  zu 

Zittau,    in   der   Sektion   für   neuere   Sprachen   bei   der   am  17.   Mai  1883   in 

Zittau    stattgehabten    Versammlung    der    sächsischen    Realschulmänner    zum 

Zweck  einer  Besprechung  dieser  Formen. 

Zur  Veranschaulichung  meiner  Behandlung  der  französischen,  zuvörderst 
regehnäfsigen  Zeitwörter  habe  ich  dieses  System  in  eine  Tabelle  gefafst, 
die  ich  zum  Zwecke  dieser  Besprechung  mir  Ihnen  vorzulegen  erlaube.  — 
Der  erste  Punkt,  worauf  ich  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken  wünsche,  ist  die 
in  dieser  Tabelle  ersichtliche  Unter.>cheidung  der  zwei  Arten  von  Modi, 
nämlich  unpersönliche  und  persönliche.  Diese  Unterscheidung  ist 
wohl  ofienbar  und  bedürfte  daher  keiner  Begründung;  jedoch  um  falschen 
Auffassungen  vorzubeugen,  kann  ich  nicht  umhin,  den  Mifsbrauch  des  Wortes 
„unpersönlich"  in  der  Bezeichnung  „unpersönliche  Zeitwörter,  verbes  imper- 
sonnels,  verba  impersonalia"  zu  erwähnen,  der  mit  der  Einteilung  der  Modi 
in  „unpersönliche  und  persönliche"  in  argen  Zusammenstofs  gerät.  Da  in 
dem  Wort  „unpersönlich"  der  Begriff"  liegt,  dafs  die  Form  des  Zeitwortes 
den  Begriff"  der  grammatischen  Person  gar  nicht  kennzeichnet,  aber  in 
den  sogenannten  unpersönlichen  Zeitwörtern  gerade  eine  Person,  un<l 
zwar  die  dritte,  durch  die  Form  des  Zeitwortes  gekennzeichnet  wird,  so 
liegt  auch  in  der  Bezeichnung  „unpersönliche  Zeitwörter"  Widerspruch.  Es 
ist  daher  diese  Bezeichnung  in  einigen  neueren  französischen  und  englischen 
Grammatiken,  deren  N'erfasser  den  in  derselben  liegenden  AViderspruch  auch 
erkannt  haben,  durch  die  treff"endere  Bezeichnung  „einpersönliche  Zeitwörter, 
verbes  unipersonnels,  verba  unipersonalia"  ersetzt  worden;  jedoch  herrscht 
in  dem  Sprachunterricht,  vornehndich  beim  Unterricht  im  Lateinischen  und 
Deutschen  in  den  Schulen  die  falsche  Bezeichnung  „unpersönliche  Zeit- 
wörter" noch  dermafsen  vor,  dafs  es  mir  unmöglich  gewesen  ist,  sie  bei 
meinem  Unterricht  auszurotten,  um  Begriff"sverwirrungen  bei  Einführung 
meiner  Einteilung  der  Aussageweisen  der  Zeitwörter  vorzubeugen.  Die  Vor- 
teile meiner  Einteilung  der  Alodi  in  unpersönliche  und  persönliche  treten 
besonders  in  der  Syntax  hervor,  auf  die  einzugehen  die  Zeit  nicht  erlaubt. 
Ich  will  nur  noch  beiläufig  erwähnen,  dafs  diese  Unterscheidung  auch  dazu 
dient,  dieBegriff'e,  die  man  bisher  blofs  mit  den  lateinischen  Namen  verbum 
finitum  und  im  Gegensatz  dazu  verbum  infinitum  bezeichnete,  und  wofür  es 
in  der  deutschen  und  französischen  Grammatik  keine  Kennzeichnung  gab, 
zu  kennzeichnen.  Ich  kann  indessen  nicht  umhin,  meiner  Verwunderung  hier 
Ausdruck  zu  geben  iiber  den  Mangel  an  Übereinstimmung  in  diesem  Punkt 
nicht  nur  in  den  Grammatiken  der  verschiedenen  Sprachen,  sondern  sogar 
in  den  von  verschiedenen  \'erfassern  herausgegebenen  Grammatiken  der- 
selben Sprache.  In  den  Grammatiken  der  lateinischen  und  griechischen 
Sprache  werden  Infinitiv  und  die  Participien  gar  nicht  als  Modi  des  Zeit- 
wortes angesehen,  wenigstens  sind  sie  nicht  mit  inbegriffen  in  dem  Verzeich- 
nis der  Modi  verbi,  sondern  machen  eine  eigene  Gattung  von  Verbalformen, 
die  sogenannten  Nominalformen,  aus.  Dafs  sie  Nominalformen  sind,  schliefst 
aber  nicht  aus,  dafs  sie  Modi  verbi  sind,  denn  sonst  könnten  sie  nicht  die 
Funktionen  eines  Zeitwortes  ausüben,  d.  h.  eine  Thätigkeit,  einen  Zustand 
oder  den  Übergang  eines  Subjektes  von  einem  Zustande  oder  Orte  zu  einem 
anderen  aussagen.  Diese  Formen  unterscheiden  sich  nur  insofern  von  den 
anderen  Aussageweisen,  als  sie  unabhängig  sind  von  der  Person  und  deren  Zahl. 

An  zweiter  Stelle  möchte  ich  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Zeiten 
dieser  unpersönlichen  Aussageweisen  lenken.  Hier  sehe  ich  mich  genötigt, 
um  meine  Zusammenstellung  zu  begründen  und  zu  rechtfertigen,  wieder  auf 
Unzuträglichkeiten  in  den  bisherigen  Bezeichnungen  hinzuweisen. 

Ich   habe  für   den  Infinitiv    und   die  Participien    die  Zeitbezeichnungen : 


Miscellen.  157 

Gegenwart,  Vergangenheit  und  Zukunft,  durch  Anwendung  einer  Klammer 
gemeinschaftlich  gesetzt  und  will  nun  zeigen,  dafs,  wenn  diese  Formen  ilic 
Funktion  des  Zeitwortes  haben,  sie  wirklich  auch  ohne  Unterschied  für 
gegenwärtige  Zeit  sowohl,  als  auch  für  vergangene  und  zukünftige  Zeit- 
begriffe stehen  und  folglich  die  bisherigen  Zeitbezeichnungen :  ]u'esent  de 
l'indicatif,  participe  present  und  partiripe  passe,  unvollkommen  und  unter 
Umständen  unrichtig  sind.  Um  dies  für  den  inlinitif  zu  beweisen,  braucht 
man  blofs  unter  Berücksichtigung  der  concordance  des  temps  solche  Neben- 
sätze, in  welchen  eine  Zusammenziehung  des  Subjektes  mit  dem  verbum 
linitum  in  den  Infinitiv  stattgefunden  hat,  in  diese  Bestandteile  aufzulösen; 
z.  B.  Je  suis  bien  aise  de  vous  voir,  je  fus  bien  aise  de  le  voir,  je  serai 
bien  aise  de  revoir  mes  parcnts.  In  dem  ersten  Satze  steht  de  vous  voir 
für  de  ce  que  je  vous  vois,  also  der  infinitif  mit  dem  ZeitbegrilV  der  Gegen- 
wart; im  zweiten  Satze  steht  de  le  voir  für  de  ce  que  je  le  vis,  also  der 
infinitif  mit  dem  Zeitbegriff"  der  Vergangenheit,  und  im  dritten  Satze  steht 
de  revoir  mes  parents  für  de  ce  que  je  reverrai  mes  parent«,  also  der  in- 
finitif mit  dem  Zeithegriff'  der  Zukunft.  Um  ferner  meinen  Satz  für  die 
Participien  zu  beweisen,  mufs  ich  vorausschicken,  dafs  ich  in  meiner  Zu- 
sammenstellung, um  arge  Zusammenstöfse  mit  meiner  Zeitbezeichnung  zu 
vermeiden,  dasjenige  Piirticipium,  welches  bisher  den  Namen  participe  present 
trug,  mit  Jei'  participe,  und  dasjenige,  welches  bisher  den  Namen  participe 
passe  trug,  mit  II<^  participe  bezeichnet  habe.  Der  Beweis  dafür,  dafs  dies 
sogenannte  participe  passe  nicht  notwendigerweise  den  Begriff"  vergangener 
Zeit,  den  der  Name  aufdrängt,  enthält,  liegt  schon  off'enbar  in  der  franzö- 
sischen Umschreibung  der  leidenden  Form  eines  thätigen  Zeitwortes:  les 
aspirants  sont  admis,  les  aspirants  furent  admis,  les  aspirants  seront  admis. 
Wenn  in  dem  sogenannten  participe  passe  wirklich  der  Begriff"  vergangener 
Zeit,  wie  ihn  der  Name  aufdrängt,  läge,  so  wäre  auch  Widerspruch  in  dieser 
Umschreibung  der  Gegenwart  und  Zukunft  des  Passivs.  Ist  nun  aber  diese 
Form  unabhängig  von  dem  Begriff"  einer  besonderen  Zeit,  so  mufs  offenbar 
dieser  Name  participe  passe  zu  Begriffsverwirrungen  führen.  Geeigneter 
schon  wäre  der  Name  participe  passif,  den  ich  in  einigen  (Grammatiken  ge- 
funden habe.  In  ganz  ähnlicher  Weise  lälst  sich  nachweisen,  dafs  auch  das 
sogenannte  participe  present  nicht  inmier  blofs  den  Begriff"  gegenwärtiger 
Zeit,  wie  ihn  der  Name  aufdrängt,  sondern  ebensowohl  den  vergangener 
und  zukünftiger  Zeit  bezeichnen  kann.  L'occasion  e'tant  favorahle,  nous  en 
profitons,  nous  en  profitämes,  nous  en  profiterons.  Im  ersten  Falle  steht 
l'occasion  etant  favorahle  für  puisque  l'occasion  est  favonible,  im^  zweiten 
Ausdruck  für  comrae  l'occasion  etait  ftivorable,  und  im  dritten  Salze  tur 
quand  l'occasion  sera  favorahle.  Aus  diesen  Beispielen  ersieht  man,  dals 
die  Participien,  wenn  sie  Verbalfunktion  haben,  gleiche  Form  haben  für  die 
verschiedenen  Zeiten.  Der  in  einigen  Grammatiken  gebrauchte  Name  parti- 
cipe actif  ist  jedenfalls  geeigneter  als  participe  present. 

Der  dritte  Punkt,  den  ich  zur  Besprechung  bringen  möchte,  ist  das 
Stief-  und  Schmerzenskind  der  französischen  Grammatik,  das  sogenannte 
„conditionnel,  modus  conditionalis,  bedingende  Aussageweise".  Die  Begriff.s- 
verwirrung,  welche  hier  herrscht,  geht  über  alle  Begriffe.  Schon  der  Name 
conditionnel  kennzeichnet  die  eigentliche  Beschaffenheit  dieser  Aussageweise 
zu  unvollkommen,  denn  conditionnel  heifst  bedingungsweise.  Nun  wu-d  aber 
in  bedingungsweisen  Aussagen  nicht  dieser  Modus,  sondern  der  Indikativ 
und  Konjunktiv  gebraucht,  z.  B.  Pourvu  fiue  vous  fassiez  votre  devoir.  vous 
gagnerez  l'estime  de  vos  concitoyens.  Je  vous  prete  ce  livrc  ä  condition 
que  vous  me  le  rendiez  demain  etc.  Es  wird  dieser  Modus  vielmehr  ge- 
braucht in  Sätzen,  die  aus  zwei  Teilen  bestehen,  wovon  der  eine,  ähnlich 
wie  bei  Lehrsätzen  in  der  Mathematik,  eine  Annahme,  eine  Voraussetzung 
aufstellt  und  der  andere  eine  Behauptung  darauf  gründet  oder  eine  bolgo 
davon  ableitet,   nur  mit  dem  Unterschiede,   dafs  diese  Annahme   oder  Vor- 


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3 


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458 


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Miscellen. 


Car.  de  mode 
Kz.d.  Aussgw. 

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1— 1 

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Car.  de  genre 
Kz.  d.  Gattung 

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Caract.  de  mode 

Kennzeichen  der 

Aussageweise 

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jues  de  genre 
1  d.  Gattung 

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1 

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1—1 

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Futur—  Zukunft 

Passd  —  Verg. 

Pres.  —  Gegenw. 

Partie  radicale 
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I   Kz.d. Zeit 


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Kz  d.Asw. 


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Kz.  d.  Zeit 


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Cd.  mode 
Kz  d  Asw. 


Cd  temps 
Kz.  d.  Zeit 


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s  'Sc 


w-i     A  meme  forme  avec  le 
_■  passe  descriptif. 

^Hat  gleiche  Form  mit  der 
2       beschreibenden  Ver- 
~  gangenheit. 


a     — 
3    — ; 


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'S   Kz.  d.Asw 


a>   C.d.temps 
^  Kz.d.  Zeit 


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Sing.  —  Einz.  Flur.  —  RJz. 


H 


Präsent  —  Gegenwart 


Miscellcn. 


■159 


SinguHer  —  Einzahl 


<M  CO 


Pluiiel  —  Mehrzahl 


N'existe  pas. 
Ist  nicht  vorhanden. 


N'existe  pas. 
Ist  nicht  vorhanden. 


N'existe  pas.  ~ 

Ist  nicht  vorhanden.  ri 


N'existe  pas. 
Ist  nicht  vorhanden. 

N'existe  pas. 
Ist  nicht  vorhanden. 

1 

S 

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^ 

I         -^ 

i 

>      .2 

- 

A  la  uieme  forme  que  le 

passe  descriptif  de  ce 

niode. 

Hat  dieselbe  Form  wie 
die  beschreibende  Ver- 
gangenheit dieser  Aus- 
sageweise. 

A  la  nieme  forme  quc  K 

« 

=c 

present  de  ce  modo. 

— <       '^ 

^r^ 

.^ 

Hat  gleiche  Form  mit  der 
Gegenwart  dieser  Aussage- 

"      c 

<s 

=0 

CO 

weise. 

'S 

■- 

>          •»                 -           .- 

£              "" 

1 

S          s                «           s 

> 

1 

1J 

1— 1 

^^                  '^                                  **                    '*** 

V 

05 

NH 

•» 

^          =               '«    '      ,s 

1 

-' 

^ 

Sing. —  E 

nz.  Plur. 

— 

Mz. 

Sing.  —  Einz.  Plur.  — Mz. 

n 

Sing.  —  Einz.  IMur.  —  Mz. 

—1          Cl 

r     t    i 
descriptif 

CO          •-!          IM          CO 

e        r    a     d     i 
—  beschreibend 

^       ri       CO       .-(       (N       CO 

c     a    1     e      —      S     t     a 
narratif  —  erzählend 

^         r»         n         ^         Ol          n 

m 

Passe  - 

-  Ver 

gangen  heit 

F  u  1 11  r  —  Z  u  k  u  n  f  t 

460 


Miscellen. 


aiissetznng,  folglich  auch  die  daraus  abgeleitete  Folgerung  nicht  der  Wirk- 
lichkeit zu  entsprechen  braucht,  in  welchem  Falle,  wie  dies  eben  bei  mathe- 
matischen Lehrsätzen  stattfindet,  der  Indikativ  anzuwenden  ist.  Beispiel: 
„Si  les  angles  opposes  d'un  quadrilatcre  etaient  supplementaires,  le  quadri- 
latere  serait  inscriptible  dans  un  cercle";  im  Gegensatze  zu:  „Si"  oder 
„toutes  les  fbis  que  les  angles  opposes  d'un  quadrilatcre  sont  supplemen- 
taires, le  quadrilatcre  scra  inscriptible  dans  un  cercle."  In  der  ersten  Form 
werden  die  Voraussetzung   und   die   darauf  gegründete  Folge   blofs   als    der 


Observations  relatives  aux 
terminaisons  per  s  o  nn  eil  es. 
lo-  La  terminaison  s  de  la  pre- 
miere  personne  du  singulier  est  sup- 
primee:  a)  au  present  de  l'indicatif 
des  verbes  du  Iß»'  genre;  h)  au  prä- 
sent et  au  passe  du  subjonctif  des 
verbes  de  tous  les  quatre  genres ; 
eile  se  confond  d'ailieurs  avec  la  ca- 
racteristique  a  en  ai  au  passe  narra- 
tif  de  l'indicatif  des  verbes  du  Ie>- 
genre  et  avec  la  caracteristique  ra 
en  rai  au  futur  de  Tindicatif  des 
verbes  de  tous  les  quatre  genres. 


II«-  La  terminaison  .<;  de  la  deu- 
xieme  personne  du  singulier  est  sup- 
primee  ä  l'impcratif  des  verbes  du 
jer  genre. 

IIIo.  La  terminaison  /  de  la  troi- 
sieme  personne  du  singulier  est  sup- 
primee :  o)  au  present  de  l'indicatif 
des  verbes  du  1er  genre  et  de  ceux 
du  IVi«""«*  genre  dont  la  partie  radi- 
oale  se  termine  par  d  ou  t;  b)  au 
present  et  passe  du  subjonctif  ainsi 
qu'au  futur  de  l'indicatif  des  verbes 
de  tous  les  quatre  genres ;  c)  au 
passe  narratif  de  Tindicatif  des  verbes 
du  ler  genre. 


IVo.  Les  terminaisons  ons  et  ez 
des  deux  premieres  personnes  du 
pluriel  sont  remplacees  par  7ncs  et 
tes  au  passe  narratif  des  verbes  de 
tous  les  quatre  genres. 


VtJ-  La  terminaison  ent  de  la  troi- 
sieme  personne  du  pluriel  est  rem- 
placee  par  ont  au  futur  de  l'indicatif 
des  verbes  de  tous  les  quatre  genres. 


Bemerkungen   zu   den   Per- 
sonal-Endungen. 

L  Die  Endung  s  der  ersten  Person 
der  Einzahl  fällt  aus :  a)  in  der 
Gegenwart  der  unabhängigen  Aus- 
sageweise der  Zeitwörter  der  ersten 
Gattung;  h)  in  der  Gegenwart  und 
der  Vergangenheit  der  abhängigen 
Aussageweise  der  Zeitwörter  aller 
vier  Gattungen;  sie  verscinnilzt  aufser- 
dem  mit  dem  Kennzeichen  a  in  ai 
in  der  erzählenden  Vergangenheit  der 
Zeitwörter  der  ersten  Gattung  und 
mit  dem  Kennzeichen  ra  in  rat  in 
der  Zukunft  der  unabhängigen  Aus- 
sageweise der  Zeitwörter  aller  vier 
Gattungen. 

IL  Die  Endung  s  der  zweiten  Per- 
son der  Einzahl  fällt  aus  in  der  be- 
fehlenden Aussageweise  der  Zeitwör- 
ter der  ersten  Gattung. 

III.  Die  Endung  t  der  dritten  Per- 
son der  Einzahl  fällt  aus :  a)  in  der 
Gegenwart  der  unabhängigen  Aus- 
sageweise der  Zeitwörter  der  ersten 
Gattung  und  derjenigen  der  vierten 
Gattung,  deren  Stamm  auf  d  oder  t 
ausgeht;  b)  in  der  Gegenwart  und 
der  Vergangenheit  der  abhängigen 
Aussageweise,  sowie  auch  in  der  Zu- 
kunft der  unabhängigen  Aussageweise 
der  Zeitwörter  aller  vier  Gattungen ; 
(•)  in  der  erzählenden  Vergangenheit 
der  unabhängigen  Aussageweise  der 
Zeitwörter  der  ersten  Gattung. 

IV^.  An  Stelle  der  Endungen  ons 
und  ez  der  ersten  und  zweiten  Per- 
son der  Mehrzahl  treten  die  Endungen 
7)ics  und  tes  in  der  erzählenden  Ver- 
gangenheit der  unabhängigen  Aus- 
sageweise der  Zeitwörter  aller  vier 
Gattungen. 

V.  An  Stelle  der  Endung  efit  der 
dritten  Person  der  Mehrzahl  tritt  die 
Endung  ont  in  der  Zukunft  der  un- 
abhängigen Aussageweise  der  Zeit- 
wörter aller  vier  Gattungen. 


Miscellen.  461 

Zusammenhang  von  Ursache  und  Wirkung  aufgefal'st,  abgesehen  davon,  üb 
diese  Ursache  jemals  ihre  Wirkung  ausübt.  In  der  zweiten  Form  hingegen 
betrachtet  man  die  Fälle,  wo  die  Ursache  ihre  Wirkung  ausübt.  Die  zwei 
Teile  dieser  Aussage  zerfallen  syntaktisch  in  Hauptsatz  und  Nebensatz ;  der 
Hauptsatz  heifst:  Un  quadrilatere  serait  inscripiible  dans  un  cerole;  der 
Nebensatz  ist:  si  ses  angles  opposees  etaient  supplementaires.  Jedoch 
logisch  aufgefafst,  ist  derjenige  Teil,  welcher  die  Annahme  aussagt,  der 
Hauptsatz,  und  der  andere  Teil,  welcher  die  Folge  dieser  Annahme  aussagt, 
der  Nebensatz.  Ich  würde  anstatt  „conditionnel"  viel  lieber  die  trellendere 
Bezeichnung  „raode  hypothetique"  angenommen  haben,  wenn  ich  nicht  ge- 
fürchtet hätte,  dem  bisherigen  Gebrauch  zu  sehr  Gewalt  anzuthun.  Die 
deutsche  Bezeichnung  „Voraussetzende  Aussageweise"  trägt  einigermafsen 
diesem  Sinne  Rechnung.  Es  hat  jedoch  dieser  Modus,  aufser  der  eben  er- 
wähnten, noch  eine  andere  Funktion;  er  wird  nämlich  in  Objektsätzen  an- 
gewendet, welche  von  Zeitwörtern  des  Sagens  und  Denkens  regiert  werden, 
wenn  das  regierende  Zeitwort  in  einer  vergangenen  Zeit  des  Indikativs  steht, 
sowohl  um  den  Begriff'  der  Nachzeitigkeit  der  Aussage  des  Objektsatzes 
in  Bezug  auf  die  des  regierenden  Zeitwortes,  als  auch  den  des  Überganges 
von  der  geraden  Rede  zur  ungeraden  auszudrücken;  z.  B.  11  esperait  qu'il 
reussirait  —  11  s'imaginait  que  ses  amis  le  tireraient  d'affaire.  Die  Zeit 
erlaubt  mir  nicht,  diesen  wichtigen  Punkt,  wie  ich  es  wünschte,  ausführ- 
licher zu  besprechen.  Ich  gehe  daher  gleich  über  zu  den  Zeiten  dieses 
Modi.«.  Hierin  besteht  die  gröfste  Begriffsverwirrung.  Die  Formen  z.  B. 
je  serais,  j'aurais  ete  sind  nach  den  Grammatiken  die  einzigen  Zeiten  dieses 
Modus,  und  zwar  gilt  die  erste  als  conditionnel  present  und  die  letzte  als 
conditionnel  passe.  Es  sind  dies  wohl  die  einzigen  von  den  Zeiten  anderer 
Aussageweisen  wesentlich  verschiedenen  Formen,  jedoch  schliefst  dies  die 
Möglichkeit  nicht  aus,  dafs  noch  andere  Zeiten  dieses  Modus  mit  denen 
anderer  Modi  zusammenfallen,  was  wirklich  der  Fall  ist,  und  wovon  nian 
sich  überzeugen  kann,  wenn  man  die  Sache  logisch  auffafst.  In  meinem 
Beispiel:  Si  les  angles  opposes  d'un  quadrilatere  etaient  supplementaires,  le 
quadrilatere  serait  inscriptible  dans  un  cercle,  ist  das  Zeitwort  des  hypo- 
thetischen Satzes  „etaient".  Wollte  man  dieses  Zeitwort  als  das  imi)arfait 
de  lindicatif  auffassen,  so  würde  das  zu  einer  logischen  Ungereimtheit  führen, 
insofern  als  das  imparfait  vergangene  Zeit  bezeichnet,  in  der  Hypothese  aber 
keineswegs  der  Begriff"  vergangener  Zeit,  sondern,  wenn  überhaupt  der  Be- 
griff" einer  besonderen  Zeit  zu  Grunde  liegt,  es  nur  der  der  gegenwärtigen 
sein  kann ;  wollte  man  in  dem  Folgesatze  hingegen  das  Zeitwort  seraient  als 
present  auffassen,  so  müfsten  Ursache  und  Wirkung  der  Zeit  nach  zusam- 
menfallen, während  doch  die  Wirkung  als  der  Ursache  nachzeitig  aufzufassen 
ist,  folglich  „seraient"  nicht  present  du  conditionnel,  sondern  hiernach  nur 
futur  du  conditionnel  sein  kann.  Wollte  man  ferner  in  der  hypothetischen 
Aussage  des  Satzes:  S'ils  m'avaient  compris,  its  auraient  agi  autrcment, 
„avaient  compris"  als  das  plusqueparftut  de  l'indicatif  ansehen,  so  mülste 
die  Aussage  der  Hypothese  etwas  vorzeitig  "Vergangenes  bezeichnen,  d.  h. 
etwas  weiter  zurück  in  der  Vergangenheit  Liegendes  als  ein  anderer  Zeit- 
punkt der  \'ergangenheit,  von  welchem  es  abhängt.  Da  das  in  „s'ils  m'a- 
vaient compris"  Ausgesagte  nur  im  Bezug  auf  die  Zeit  der  Aussage^  ver- 
gangen ist,  so  kann  es  nur  passe  absolu,  d.  h.  das  parfait  sein.  Ls  als 
plusqueparfait  anzusehen,  hiefse  soviel  wie  die  Ursache  abhänf;ig  maclien 
von  der  Wirkung;  denn  nur  wenn  „s'ils  m'avaient  compris"  abhangig  wäre 
von  „auraient  agi",  könnte  es  Vorvergangenheit  bezeichnen.  In  \\  ahrheit 
aber  ist  nur  die  Nachzeitigkeit  des  in  „ils  auraient  agi"  Ausgesagten  in 
Bezug  anf  „s'ils  m'avaient  compris"  vorhanden;  „ils  auraient  agi  autreinenl" 
ist  daher  auch  nicht  ein  i)asse  absolu,  sondern  ein  pisse  posterieur  oder 
futur  relatif.  Hiernach  hat  der  modus  conditionaiis  vier  Zeiten,  nämlich: 
1)  Ein  present,  welches  im  Französischen  gleiche  Form  mit  dem  sogen. 


462  Miscellen. 

imparfait  de  l'indicatif,    im  Deutschen   aber   gleiche  Form  mit  dem  Imper- 
fektum des  Konjunktivs  bat. 

2)  Ein  present  posterieur  oder  futur,  wofür  in  beiden  Sprachen  beson- 
dere Formen  vorhanden  sind. 

3)  Ein  passe,  welches  im  Französischen  gleiche  Form  mit  dem  plus- 
queparfait  de  l'indicatif  hat  und  als  Nebenform  mit  dem  plusqueparfait  du 
subjonctif;  während  es  im  Deutschen  gleiche  Form  mit  dem  Plusquamper- 
fektum des  Konjunktivs  hat. 

4)  Ein  passe  posterieur  oder  futur  relatif,  wofür  in  beiden  Sprachen 
besondere  Formen  vorhanden  sind,  im  Französischen  jedoch  oft  das  plusque- 
parfait du  subjonctif  und  im  Deutschen  das  Plusquamperfektum  des  Kon- 
junktivs steht. 

Die  in  der  49.  Lektion  der  Schulgrammatik  von  Plötz  gegebene  Er- 
klärung: „das  conditionnel  wird  von  vielen  Grammatikern  als  ein  eigener 
Mqdus  angesehen.  Das  conditionnel  present  ist  aber  nichts  anderes  als  das 
Imperfektum  des  Futurs,  das  conditionnel  passe  ist  das  Plusquamperfektum 
des  Futurs.  Beide  sind  also  Zeiten  des  indicatif"  erweist  sich  hiernach  ge- 
radezu als  Unsinn. 

Ich  komme  nun  nach  dieser  Begründung  der  von  mir  von  dem  bisherigen 
Gebrauch  abweichenden  Bezeichnungen  in  meiner  Zusammenstellung 
der  einfachen  Formen  der  regelmäfsigen  Zeitwörter  zu  dieser  Zusammen- 
stellung selbst. 

Hier  habe  ich,  um  womöglich  die  sogenannten  vier  regelmäfsigen  Kon- 
jugationen in  ein  System  zusammenzufassen,  eine  ganz  neue  Bezeichnung 
gebraucht,  nämlich  „caracteristique  =  Kennzeichen",  und  zwar  folgende 
drei  Arten  derselben :  1)  caracteristique  de  genre  :=  Kennzeichen  der  Gat- 
tung, 2)  caracteristique  de  temps  =  Kennzeichen  der  Zeit,  und  3)  carac- 
teristique de  mode  =  Kennzeichen  der  Aussageweise. 

Wie  die  Namen  schon  andeuten,  sind  diese  Kennzeichen  diejenigen  Teile 
des  Zeitwortes,  welche  die  Begriffe  der,  ursprünglich  der  Form  nach,  ver- 
schiedenen Gattungen  der  Zeitwörter,  der  Zeiten  und  Aussageweisen  kenn- 
zeichnen und  welche  zwischen  den  unveränderlichen  Teil  des  Zeitwortes, 
den  Stamm,  welcher  blofs  den  Grundbegrifl'  des  Zeitwortes,  unabhängig  von 
den  Begriffen  der  Zeit,  der  Aussageweise,  der  Person  und  der  Zahl  der 
Personen  kennzeichnet,  und  denjenigen  veränderlichen  Teil  treten,  wel- 
cher die  Begriffe  der  grammatischen  Person  und  der  Zahl  derselben  kenn- 
zeichnet.    Als  Beispiel  möge  dies  das  Zeitwort  „devoir"  veranschaulichen. 

Der  infinitif,  die  Grundform  „devoir"  besteht  aus  den  drei  Teilen: 
1)   Stamm  d,  2)  Kennzeichen  der  Gattung  eu-oi,  3)  Kennzeichen  des  Modus  r. 

Das  erste  Particip  „devant"  besteht  wieder  aus  den  drei  Teilen:  1)  dem 
Stamm  </,  2)  dem  Kennzeichen  der  Gattung  ev  und  demjenigen  des  Modus  ant. 

Das  zweite  participe  besteht  aus  dem  Stamm  d  und  aus  dem  vereinigten 
Kennzeichen  der  Gattung  und  des  Modus  ü. 

Das  present  de  l'indicatif  besteht:  1)  für  alle  Personen  beider  Zahl- 
formen aus  dem  .Stamm  f/,  2)  in  den  drei  Personen  der  Einzahl  aus  dem 
Kennzeichen  der  Gattung  oi,  in  den  zwei  ersten  Personen  der  Mehrzahl  aus 
dem  Kennzeichen  der  Gattung  ev  und  in  der  dritten  Person  der  Mehrzahl 
aus  dem  Kennzeichen  der  Gattung  oii\  3)  aus  den  Personal-Endungen  .f,  ä, 
t,  Otts,  ez,  ent.  Besondere  Kennzeichen  der  Zeit  und  des  Modus  giebt  es 
hier  nicht:  es  wird  also  diese  Zeit  und  dieser  Modus  durch  die  Abwesenheit 
besonderer  Kennzeichen  der  Zeit  und  des  Modus  gekennzeichnet. 

Das  passe  narratif  besteht  zuvörderst  wieder  1)  aus  dem  Stamm  d  für 
alle  Personen  beider  Zahlformen,  2)  aus  den  vereinigten  Kennzeichen  der 
Galtung  und  der  Zeit  u  für  die  drei  Personen  der  Einzahl,  für  die  beiden 
ersten  Personen  der  Mehrzahl  aber  ü  und  für  die  dritte  Person  der  Mehr- 
zahl ur,  3)  aus  den  Personal- Endungen  s,  s,  t  für  die  drei  Personen  der 
Einzahl,    für  die  zwei  ersten  Personen  der  Mehrzahl  aber  mes^   tes   und  für 


Miscellen.  463 

die  dritte  Person  der  Mehrzahl  ent.  Der  Modus  ist  durcli  Abwesenheit  eines 
besonderen  Kennzeichens  gekennzeichnet. 

Das  passe  descriptif  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d,  2)  aus  dem  Kenn- 
zeichen der  Gattung  et-,  3)  aus  den  Kennzeiciien  der  vergangenen  Ztit  al 
für  die  drei  Personen  der  Einzahl  und  die  dritte  Person  der  Mehrzahl,  für 
die  ersten  beiden  Personen  der  Mehrzahl  /,  4)  aus  den  Personal-Endungen 
.«,  .s,  /,  ons,  €z,  ent.  Ein  besonderes  Kennzeichen  des  Modus  giebt  es  auch 
hier  nicht. 

Das  fütur  de  l'indicatif  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d  für  alle  Personen 
beider  Zahlen,  2)  aus  dem  Kennzeichen  der  Gattung  ev  für  alle  Personen 
beider  Zahlformen,  3)  aus  den  Kennzeichen  der  zukünftigen  Zeit  ra  für  die 
drei  Personen  der  Einzahl  und  r  für  die  drei  Personen  der  Mehrzahl,  4)  aus 
den  Personal-Endungen  i,  s  für  die  zwei  ersten  Personen  der  Einzahl  und 
ons,  ez  und  ont  für  die  drei  Personen  der  Mehrzahl.  Der  Indikativ  hat 
überhaupt  kein  besonderes  Kennzeichen. 

Das  present  du  subjonctif  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d  für  alle  Per- 
sonen beider  Zahlformen,  2)  aus  den  Kennzeichen  der  Gattung  oiv  für 
die  drei  Personen  der  Einzahl  und  die  dritte  Person  der  Mehrzahl  und  ev 
für  die  ersten  beiden  Personen  der  Mehrzahl.  3)  aus  den  Kennzeichen  des 
Modus  e  für  die  drei  Personen  der  Einzahl  und  /  für  die  ersten  beiden  Per- 
sonen der  Mehrzahl,  —  die  dritte  Person  dieser  Zahlform  hat  kein  Kenn- 
zeichen des  Modus  — ,  4)  aus  den  Personal-Endungen  für  die  zweite  Person 
der  Einzahl  s  und  ons,  ez,  ent  für  die  drei  Personen  der  Mehrzahl.  Das 
present  hat  kein  Kennzeichen  der  Zeit,  wird  also  durch  die  Abwesenheit 
eines  solchen  gekennzeichnet. 

Das  passe  du  subjonctif  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d  für  alle  Personen 
beider  Zahlformen,  2)  aus  den  vereinigten  Kennzeichen  der  Gattung  und 
der  Zeit  hss,  3)  aus  den  Kennzeichen  des  Modus  e  für  die  drei  Personen 
der  Einzahl  und  i  für  die  zwei  ersten  Personen  der  Mehrzahl,  4)  aus  den 
Personal-Endungen  — ,  s,  — ,  ons,  ez,  ent. 

Das  futur  du  conditionnel  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d  für  alle  Per- 
sonen beider  Zahlformen,  2)  aus  dem  Kennzeichen  der  Gattung  ev,  3)  aus 
dem  Kennzeichen  der  zukünftigen  Zeit  7a  für  die  drei  Personen  der  Einzahl 
und  die  dritte  Person  der  Mehrzahl  und  r  für  die  ersten  beiden  Personen 
der  Mehrzahl,  4)  aus  dem  Kennzeichen  des  modus  conditionalis  /,  ö)  aus 
den  Personal-Endungen  s,  s,  t,  ons,  ez,  ent. 

Der  imperatif  besteht:  1)  aus  dem  Stamm  d,  2)  aus  den  Kennzeichen 
der  Gattung  oi  für  die  zweite  Person  der  Einzahl  und  ev  für  die  zwei  ersten 
Personen  der  Mehrzahl,  3)  aus  den  Personal-Endungen  — ,  s,  — ,  ons,  ez,  — . 
Zeit  und  Modus  sind  hier  nicht  besonders  gekennzeichnet. 

Aus  der  Einrichtung  meiner  Tabelle  ist  nun  ersichtlich:  1)  Dafs  die  so- 
genannten vier  regelmälsigen  Konjugationen  sich  im  wesentlichen  nur  durch 
die  Kennzeichen  der  Gattung  unterscheiden  und  dafs  sie  die  Kennz(>ichcn 
der  Modi  und  Zeiten,  sowie  auch  die  Personal-Endungen  gemeinsam  haben. 
2)  Dafs  die  Personal-Endungen  bis  auf  die  in  den  Bemerkungen  angeführten 
Fälle  nicht  nur  allen  vier  Konjugationen,  sondern  allen  Zeiten  d<'r  pt.'rsün- 
lichen  Modi  gemein  sind.  3)  Dafs  die  Kennzeichen  der  Modi  im  allgemeinen 
allen  Zeiten  desselben  Modus  gemein  sind.  4)  Dafs  die  Kennzeichen  der 
Zeit,  wenn  keine  Zusammenziehung  derselben  mit  denen  der  Gattung  statt- 
gefunden hat,  allen  Modis  gemein  sind. 

Es  bietet  diese  Zusammenstellung  aufser  dem  Vorteil,  dafs  die  früheren 
vier  Konjugationen  auf  ein  System  zurückgeführt  sind,  welches  .sich  mit 
melir  oder  minder  unbeträchtlichen  Abweichungen  auch  auf  die  unregel- 
mäfsigen  Zeitwörter  ausdehnen  lafst,  den  noch  wirbligeren  Vorteil,  dafs  iler 
Lernende  daraus  eine  klare  Anschauung  von  den  Funktionen  eines  jtnlen  der 
fiinf  Teile,  nämlich:  1)  Stamm,  2)  Kennzc-ichen  der  Gattung,  3)  Kennzeichen 
der  Zeit,  4)  Kennzeichen  des  Modus,  5)  Personal-Endungen,  bekommt,  i.  e. 


464  Miscellen. 

dafs  ihm  dadurch  zum  Bewufstsein  kommt,  dafs  der  Stamm  blofs  den  Grund- 
begrin  des  Zeitwortes,  den  Begriff  einer  Thätigkeit,  eines  Zustandes  oder 
des  Überganges  eines  Subjektes  von  einem  Zustande  oder  Orte  zu  einem 
anderen  bezeichnet,  unabhängig  von  dem  Begriff  der  verschiedenen  Gattungen 
von  Formen  zur  Bezeichnung  des  Grundbegriffes,  von  den  Begriffen  von 
Zeit,  Aussageweise  und  Personen  der  Aussage,  sowie  auch  der  Zahl  der- 
selben, dafs  das  Kennzeichen  der  besonderen  Gattung  hingegen  unabhängig 
ist  von  dem  Grundbegriff',  und  auch,  wofern  lieine  Zusammenziehung  statt- 
gefunden hat,  von  den  Begriffen  der  Zeit,  der  Aussageweise,  der  Personen 
und  der  Zahl  der  Personen ;  dafs  ferner  der  Teil,  welcher  den  Begriff  der 
Zeit  kennzeichnet,  im  allgemeinen,  d.  h.  wo  keine  Verschmelzung  dieses 
Teiles  mit  dem  Kennzeichen  der  Gattung  stattgefunden  hat,  unabhängig  ist 
von  den  übrigen  Teilen  etc. 


Deutschlands  Gröfse. 
Gedicht-Bruchstücke   und  Entwurfgedanken   von  Schiller. 

Fest  auf  seinem  Wellengotte 

Fuhrt  der  Britte  seine  Flotte 

Durch  die  Wtlten  siegb&Xawht, 

Und  den  Königen  zum  Hohne 

Mit  der  freien  Bürgerkrone  5 

Ziert  der  Franke  sich  das  Haupt! 
Deutschland  aber  bliihn   nicht  Siege 
Aus  dem  tränenvollen  Kriege  — 
Ach,   es  flucht  der  Zeit  erfirimmt. 

Wo  der  Franke,  wo  der  Britte  10 

Mit  dem  stolzen  Siegerschritte 
Herrscliend  sein  Geschick  bestimmt! 

Schweigend  in  der  Ferne  stehen 

Und  die  Erde  teilen  sehen, 

Sehn,  wie  Jeden  Augenblick  15 

Man  es  selber  neu  zerfleischet 

Und  den  Beute-Anteil  heischet, 

Bas  ist  Deutschlands  Hohngeschich! 
Lächelnd  naht  der  goldne  Friede 

üfid  die    IVqff'en  ruhen  müde   —  20 

Traurig  mit  gesenktem  Blick 
Steht  der  Deutsche:  Seinem  Sohne 
Bringt  er  keine  Freiheitskrom^ 
Keinen  Lorbeer  mit  zurück.   .  .  . 

Deutschlands  Majestät  und  Ehre  25 

Ruhet    —   harte,  bittre  Lehre!  — 

Auf  dem  Haupt  der  Fürsten  nicht: 

Wo  die  Meinung  Tugend  präget, 

Wo  der  Witz  die  Wahrheit  wäget, 

Blinkt  nicht  Deutschlands  Hqffnungslicht.  30 

Aiif  der  Macht  des  Bürgerstandes 
Fufst  das  Heil  des  Vaterlandes  — 
Hoffend  lajst  die  Fahnen  wehn ! 
Stürzte  auch  in  Kriegesflammen 

Deutschlands  Kaiserreich  zusammen,  35 

Deutschlands  Gröfse  bleibt  bestebii ! 

Finster  zwar  und  grau  von  Jahren, 

Aus  den  Zeiten  der  Barbaren 


Miscellen. 


465 


CO 


65 


Stammt  der  Deutschen  altes  Reich. 
Doch  lebendge  Blumen  grünen 
Über  gothischen  Ruinen 
Eivigschön  und  cwiggXeich. 
Zu  erobern  mit  den  Flotten 
Und  durch  trunkne  Krietjerrotten 

Obzusiegen  mit  dem  Schwert,  ' 

Das  ist  nicht  des  Deutschen  Gröfse, 
Ist  nur  eitles  Prunkgetöse, 
Mcht  des  Mühns  und  Ei/erns  wert. 
In  das  Geisterreich  zu  dringen 
Und  die  Hölle  zu  bezwingen 
Mit  dem  lichten  Geisiesschwert, 
Vorurteile  zu  besiegen, 
Männlich  mit  dem  Wahn  zu  kriegen, 
Das  ist  seines  Eifers  wert! 
Schwere  Ketten  drückten  alle 
Völker  auf  dem  Erdeballe, 
Als  der  Deutsche  sie  zerbrach, 
Fehde  bot  dem  Vaticane, 
Krieg  ankündigte  dem  Wahne, 
Der  die  ganze  Welt  bestach. 

Höhern  Sieg  hat  Der  errungen. 
Der  der  Wahrheit  Blitz  geschwungen, 
Der  die  Geister  selbst  befreit. 
Freiheit  der  Vernunft  erfechten, 
Heifst  für  alle  Völker  rechten. 
Gilt  für  alle  ewge  Zeit. 
Ewge  Schmach  dem  deutschen  Sohne, 
Der  die  angeborne  Krone 
Seines  Menschenadels  schmäht. 
Der  sich  beugt  vor  fremden  Götzen, 
Nach  des  Britten  todten  Schätzen, 
Fränkschem  Glänze  lüstern  späht! 
Jedes  Volk  hat  Licht  und  Schatten, 
Jugendfeu'r  und  Alt-ermaiten ; 
Jedem  Volk  der  Erde  glänzt 
Einst  sein  Tag  in  der  Geschichte, 
Wo  es  strahlt  im  höchsten  Lichte 
Und  mit  hohem  Ruhm  sich  kränzt. 
Doch  des  Deutschen  Tag  wird  scheinen, 
Wenn  die  Scharen  sich  vereinen 
In  der  Menschheit  schönes  Bild, 
Wird  in  ewgem  Lichte  glänzen 
Und  das  Ideal  ergänzen, 
Wenn  der  Zeiten  Kreis  sich  füllt! 

Die  mit  gewöhnlicher  Schrift  gedruckten  Worte  sind  von  Schiller;  das 
kursiv  Gedruckte  ist  ein  kühnes  Ergänzungswagnis  des  Unterzeichneten, 
welches  durchaus  nicht  den  Anspruch  erhebt,  annähernd  an  die  gohUnen' 
Worte  des  unsterblichen  Meisters  zu  reichen.  Schiller  bietet  zn  obigen» 
Gedichte  folgende  Abweichungen  und  Bruchstückworte: 

Vers  2:  Steht  der  Britte, 

Vers  3:  Der  die  Stirne  sich  belaubt. 

Vers  6:  Schmückt  der  Franke  etc.j 

Vers  12:  Über  seinen  Nacken  tritt! 

Vers  22  —  24:  Keine  freie  BUrgerkrone 
Archiv  f.  n.  Sprachen.  LXXI.  <jq 


80 


4(36  Miscellen. 

Bringt  er  nach  Haus, 

Wie  der  Franke  seinem  Sohne 

Keinen  Lorbeer  etc. 

Ohne  Lorbeer,  ohne 

Und  mit  lorbeerleerem  Haupt! 
.   Vers  26,  27:    Ruhet  nicht  auf  dem  Haupt  seiner  Fürsten 

Wohnt  nicht  auf  dem  Haupt  der  etc. 
Vers  31,  32:    Wohnt  auf  seiner  Bürger  Haupt. 
Vers  35,   36:    Deutsche 

Nicht,  wo  Deutschland 
Vers  68:  Der  die  hohe  Krone 

Vers  70 — 72 :  Kniet  vor  einem  fremden  Götzen, 

Der  des  Britten  todten  Schätzen 

Huldigt  und  des  Franken  Glanz. 
In  Vers  77  sollte  man  erwarten: 

Wo  es  strahlt  im  schönsten  Lichte, 
weil  das  Eigenschaftswort  „hoch"  im  nächsten  Verse  wiederkehrt. 

Dafs  das  mit  „Deutschlands  Gröfse"  zu  bezeichnende  Gedicht  viel  um- 
fangreicher beabsichtigt  war,  geht  aus  dem  bedeutenden  Prosa -Entwürfe 
hervor;  er  sei  hier  mit  geringen  Formänderungen,  bezüglich  der  Satzfolge, 
wiedergegeben : 

„Darf  der  Deutsche  in  diesem  Augenblicke,  wo  er  ruhmlos  aus  seinem 
thränenvollen  Kriege  geht,  wo  zwei  übermütige  Völker  ihren  Fufs  auf  seinen 
Nacken  setzen,  und  der  Sieger  sein  Geschick  bestimmt,  —  darf  er  sich 
fühlen?  darf  er  sein  Haupt  erheben  und  mit  Selbstgefühl  auftreten  in  der 
Völker  Reihe?  Ja,  er  darf's!  Er  geht  unglücklich  aus  dem  Kampf;  aber 
Das,  was  seinen  Wert  ausmacht,  hat  er  nicht  verloren.  Deutsches  Reich 
und  Deutsche  Nation  sind  zweierlei  Dinge.  Die  Majestät  des  Deutschen 
ruhte  nie  auf  dem  Haupt  seiner  Fürsten.  Abgesondert  von  dem  Politischen 
hat  der  Deutsche  sich  einen  eignen  Wert  gegründet;  und  wenn  auch  das 
Imperium  untergegangen,  so  bliebe  die  deutsche  Würde  unangefochten.  Sie 
ist  eine  sittliche  Gröfse;  sie  wohnt  in  der  Cultur  und  im  Character  der 
Nation,  die  von  ihren  politischen  Schicksalen  unabhängig  ist.  —  Dieses  Reich 
blüht  in  Deutschland,  es  ist  in  vollem  Wachsen,  und  mitten  unter  den  gothi- 
schen  Ruinen  einer  alten  barbarischen  Verfassung  bildet  sich  das  Lebendige 
aus,  und  indem  das  politische  Reich  wankt,  hat  sich  das  geistige  immer 
fester  und  vollkommener  gebildet.  —  Der  Deutsche  wohnt  in  einem  alten 
sturzdrohenden  Haus;  aber  er  selbst  ist  ein  edler  Bewohner.  Er  hat  sich 
längst  (über)  seinen  politischen  Zustand  emporgehoben,  und  ein  strebendes 
Geschlecht  wohnt  in  dem  alten  Gebäude.  Ihm  ist  das  Höchste  bestimmt, 
die  Menschheit,  die  allgemeine  in  sich  zu  vollenden  und  das  Schönste,  was 
bei  allen  Völkern  blüht,  in  einem  Kranz  zu  vereinen,  und  so  wie  er  in  der 
Mitte  von  Europens  Völkern  sich  befindet,  so  ist  er  der  Kern  der  Mensch- 
heit (die  Frucht!  A.  H.)\  jene  sind  die  Blüte  und  das  Blatt.  —  Er  verkehrt 
mit  dem  Geist  der  Welten.  Er  ist  erwählt  vor  {von?  A.R.)  dem  Weltgeist, 
nicht  im  Augenblicke  zu  glänzen  und  seine  Rolle  zu  spielen,  sondern  den 
grofsen  Procefs  der  Zeit  zu  gewinnen,  während  des  Zeitkampfs  an  dem 
evvgen  Bau  der  Menschenbildung  zu  arbeiten,  zu  bewahren,  was  die  Zeit 
bringt.  Daher  hat  er  bisher  Fremdes  sich  angeeignet  und  es  in  sich  be- 
wahrt. Alles,  was  Schätzbares  bei  anderen  Zeiten  und  Völkern  aufkam, 
mit  der  Zeit  entstand  und  schwand  —  die  Schätze  von  Jahrhunderten  — 
hat  er  aufbewahrt;  es  ist  ihm  unverloren.  —  Nach  dem  Höchsten  soll  er 
streben  (Die  Natur  und  das  Ideal).  Jedes  Volk  hat  seinen  Tag  in  der  Ge- 
schichte; doch  der  Tag  des  Deutschen  ist  die  Ernte  der  ganzen  Zeit  — 
wenn  der  Zeiten  Kreis  sich  füllt  ; 
und  des  Deutschen  Tag  wird  scheinen, 


Miscellen.  4g  7 

wenn  die  Scharen  sich  vereinen 
in  der  Menschheit  schönes  Bild. 

Dem,  der  den  Geist  bildet  (beherrscht),  mufs  zuletzt  die  Herrschaft  werden; 
deen  endlich,  an  dem  Ziele  der  Zeit,  —  wenn  anders  die  Welt  einen  Plan, 
wenn  des  Menschen  Leben  irgend  nur  Bedeutung  hat  —  endlich  mufs  die 
Sitte  und  die  Vernunft  siegen, 

die  rohe  Gewalt  der  Form  erliegen, 
und   das   langsamste   Volk   wird  alle  die   schnellen,   flüchtigen  (Völker)   ein- 
holen.    Die  anderen  Völker  waren  dann  die  Blume,   die  abfällt.     Wenn  die 
Blume  abgefallen,   bleibt  die  goldne  Frucht  übrig,   bildet  sich,   schwillt  (die 
Frucht)  der  Ernte  zu. 

Und  im  lochrigten  Gefäfse 

Kinnt 

Keine  Hauptstadt  und  kein  Hof  übte  eine  Tyrannei  über  den  deutschen 
Geschmack  aus  (Paris,  London).  So  viele  Länder  und  Ströme  und  Sitten, 
so  viele  eigene  Triebe  und  Arten  {?  So  viele  Länder  und  Ströme,  so  viele 
eigene  Triebe,  Arten  und  Sittenl?  A.  R.).  —  Nicht  aus  dem  Schofs  des 
Verderbens,  nicht  am  feilen  Hofe  der  Könige  schöpft  sich  der  Deutsche 
eine  trostlose  Philosophie  des  Eigennutzes,  einen  traurigen  Materialism, 
nicht  da, 

wo  die  Meinung  Tugend  präget, 

wo  der  Witz  die  Wahrheit  wäget. 

(Nicht  Redner  sind  seine  Weisen.)     Darum  blieb  ihm  das  Heilige  heilig. 

Die  Sprache  ist  der  Spiegel  einer  Nation.  Wenn  wir  in  diesen  Spiegel 
schauen,  so  kommt  uns  ein  grofses,  treff"liches  Bild  von  uns  selbst  daraus 
entgegen.  Das  köstliche  Gut  der  deutschen  Sprache,  die  Alles  ausdrückt, 
das  Tiefste  und  das  Flüchtigste,  den  Geist,  die  Seele,  die  voll  Sinn  ist.  Wir 
können  das  Jugendlich -Griechische  und  das  Modern- Ideelle  ausdrücken. 
Unsere  Sprache  wird  die  Welt  beherrschen."  — 

Aufser  diesem  Gedankenreichtum  bietet  Schiller  neben  den  obigen  Ge- 
dichtbruchstücken noch  einige  solche,  welche  den  Sinn  enthalten,  dafs  die 
Engländer  in  falscher  Eitelkeit  manches  Fremde  sich  aneignen,  ohne  dafs 
sie,  gleich  dem  Deutschen,  in  die  Tiefe  desselben  einzudringen  vermögen. 
Ich  setze  dieselben,  als  gesondertes  Gedicht,  gleichfalls  hierher  und  gebe 
diesem  die  Überschrift : 

Die  Antiken  zu  London. 

Mag  der  Britte  die  Gebeine 

Alter  Kunst,  die  edlen  Steine 

Und  ein  ganzes  Herculan  — 

Gierig  nach  dem  Kostbarn  greifen 

Und  auf  seiner  Insel  häufen,  5 

Was  ein  Schiff  nur  laden  kann  — 
Nimmer  werden  sie  zum  Leben 
Auferstehn  und  sich  erheben 
Vom   Gestelle:   Stein  hleibl  Stein! 

Ewig  werden  sie  Verbannte  10 

Bleiben  an  dem  fremden  Strande, 
Werden  nie  dort  heimisch  sein. 

Aiunt  nicht  nach  die    Thorheitacenen : 

Denn  der  Witz  hat  mit  dem  Schönen, 

Mit  dem  Hohen  nichts  gemein  !  15 

3iög  er  sich  auch  niiüun,  plagen ; 

Schicksal  wird  es  stets  versagen: 
Ewig  bleibt  der  Stein  dort  Stein! 

30* 


468  Miscellen. 

Der  erste  Entwurf  der  zweiten  Strophe  lautet:  „Nimmer  werden  sie 
leben,  immer  fremd  und  verbannt  bleiben;  sie  werden  nie  auferstehn,  nie 
helmisch  sein."     Vers  12  bietet  die  Abweichung: 

Nie  zum  Leben  auferstehn. 
Zu  Vers  14,  15   sagt  Schiller  entwurfartig:     „Der  Witz   hat   nichts   gemein 
mit  dem  Schönen,  mit  dem  Idealen." 

Dem  Gedichte  „Die  Antiken  zu  London"  schliefst  sich  das  „Die  An- 
tiken zu  Paris"  überschriebene  vollständig,  sowohl  dem  Gedankengange, 
als  dem  Versmafse  nach,  an;  die  beiden  zweiten  Strophen  stimmen  zum 
Teil  wörtlich  überein.  Demnach  ist  als  sieber  anzunehmen,  dafs  auch  das 
Gedicht  „Die  Antiken  zu  Paris"  ursprünglich  der  grofsen  Dichtung  „Deutsch- 
lands Gröfse"  angehören  sollte  und  erst  (1803  veröffentlicht)  als  selbständig 
ausgesondert  ward,  als  diese  unvollendet  beiseite  geschoben  worden  war. 
Dasselbe  mufs  man  von  dem  (auch  1803  veröffentlichten)  Gedichte  „Die 
deutsche  Muse"  behaupten;  es  ist  gleichfalls  genau  in  demselben  Vers- 
mafse geschrieben  und  spinnt  den  Gedanken  weiter:  „Die  Majestät  des 
Deutschen  ruhte  nie  auf  dem  Haupt  seiner  Fürsten";  so  hat  sich  denn  auch 
die  deutsche  Kunst  von  selber  entfaltet.  Man  sieht,  wie  umfänglich  die 
Dichtung  „Deutschlands  Gröfse"  zu  werden  versprach.  Aber  eben  daran 
wird  sie  gescheitert  sein :  unter  dem  Reichtum  der  Bilder  ward  die  Einheit 
des  Gedankens  getrübt.  Schiller,  die  Gefahr  einsehend  und  von  dem  Ge- 
fühle des  künstlerischen  ünbefriedigtseins  ergriffen,  nahm  nur  wenigen  be- 
nutzbaren Stoff"  heraus  und  liefs  das  Übrige  fernerhin  unbeachtet  liegen. 

Fragt  man  nach  der  Zeit  der  Entstehung  des  Entwurfes  und  Bruch- 
stückes „Deutschlands  Gröfse",  so  kann  man  aus  Schillers  Angabe,  dafs 
„Die  Antiken  zu  Paris"  dem  Jahre  1800  angehöre,  unzweifelhaft  schliefsen. 
Das  war  die  Zeit,  da  das  politische  Deutschland  in  der  That  ein  „altes, 
sturzdrohendes  Haus"  genannt  werden  mufste:  Napoleon  Bonaparte  war 
bereits  Herrscher  des  Geschickes  von  Frankreich,  die  österreichischen  Trup- 
pen unterlagen  auf  dem  blutgetränkten  Schlachtfelde  Marengos,  und  General 
Moreaus  Siege  öffneten  den  Franzosen  ganz  Süddeutschland.  Aussicht  auf 
Besserung  der  Verhältnisse  war  nicht  vorhanden ;  ein  schmachvoller  Friede 
warf  schon  seine  Schatten  voraus,  und  der  völlige  Zusammensturz  des 
römisch-deutschen  Reiches  stand  unvermeidlich  bevor.  Die  Zeit  läfst  sich 
sogar  noch  genauer  festlegen;  die  Gedichtworte  „Lächelnd  naht  der  goldne 
Friede"  sprechen  bestimmt  für  den  letzten  Monat  des  Jahres  1800,  als  nach 
der  Schlacht  bei  Hohenlinden  ein  Waffenstillstand  den  —  wenn  auch  als 
Friede  im  allgemeinen  „golden"  benannten  —  für  das  nationale  Deutschland 
äufserst  schimpflichen,  tief  demütigenden  Frieden  von  Luneville  die  Wege 
bahnte.  Man  vergleiche  das  Gedicht  „Der  Antritt  des  neuen  Jahr- 
hunderts", welches  der  Stimmung  nach  ganz  kurz  auf  „Deutschlands 
„Gröfse"  gefolgt  sein  mufs,  noch  dem  Jahre  1800  angehörend: 

Edler  Freund!    Wo  öffnet  sich  dem  Frieden, 

Wo  der  Freiheit  sich  ein  Zufluchtsort? 

Das  Jahrhundert  ist  im  Sturm  geschieden, 

Und  das  neue  öffnet  sich  mit  Mord. 
Und  das  Band  der  Länder  ist  gehoben, 
Und  die  alten  Formen  stürzen  ein  etc. 

Zwo  gewaltge  Nationen  ringen 

Um  der  Welt  alleinigen  Besitz  etc. 

Das  politische  Mifsbehagen,  welches  der  grofsen  Seele  Schillers  sich 
bemächtigt  hatte,  spricht  lebhaft  aus  dem  Gedichtbruchstücke  von  (Anfang  ?) 
1801,  in  welchem  er,  nach  Amerika  hinüberblickend,  die  Freiheit  sucht: 

Nach  dem  fernen  Westen  wollt  ich  steuern 
Auf  der  Strafse,  die  Columbus  fand, 


Miscellen.  469 

Die  Columb  mit  seinem  Wanderschiffe 

(Und  mit  seinen  Kähnen) 
An  die  alte  Erde band. 

Hier  liegt  offenbar  keine  fertige  Strophe  vor;  denn  Schiller  konnte  nicht 
meinen,  dafs  die  „Strafse"  an  die  alte  Erde  gebunden  ward.  Der  Gedanke 
scheint  vorgeschwebt  zu  haben: 

iVffc/j  dem  fernen  Westen  wollt  ich  steuern, 
Wo  Columbus  neue  Welten  {Länder)  fand, 
Welche  er  mit  seinem  Wanderschiffe 
An  die  alte  Erde  mächtig  band. 

Oder  ähnlich.     Allermindestens  müfste  geändert  werden : 

Den  (nämlich :  den  fernen  Westen)  Columb  mit  seinem  Wanderschiffe  etc. 

Eine  andere  Fassung  der  Strophe  ist  angedeutet: 

Liegt  sie  (d.  i.  die  Freiheil)  jenseits  dem  Atlantermeere,  (Atluiitenmeere?) 

fand, 

Die  Columb  mit  wandernder  Galeere 

An  die  alte  Erde band. 

Dort  vielleicht  ist  Freiheit 

Ach,  dort  ist  sie  nicht 

Flieh 

Dies  Bruchstück  mufs  ursprünglich  —  man  vergleiche  nur  das  \'ersmafs 
—  zu  dem  Gedichte  „Der  Antritt  des  neuen  Jahrhunderts"  bestimmt  ge- 
wesen sein ;  dieses  giebt  auch  die  Antwort,  wie  sie  dort  in  wenigen  Worten 
angedeutet  ist: 

Ach,  umsonst  auf  allen  Länderkarten 
Spähst  du  nach  dem  seligen  Gebiet, 
Wo  der  Freiheit  ewig  grüner  Garten, 
Wo  der  Menschheit  schöne  Jugend  blüht. 
In  des  Herzens  heilig  stille  Räume 
Mufst  du  fliehen  aus  des  Lebens  Drang! 
Freiheit  ist  nur  in  dem  Reich  der  Träume, 
Und  das  Schöne  blüht  nur  im  Gesang. 


Als  lose  Anfüge  folge  die  kurze  Betrachtung  eines  im  Jaiirc  1781  ohne 
Nennung  des  Verfassers  in  Stuttgart  erschienenen  Gedichtes  „Der  \'cnus- 
wagen",  welches  allgemein  Schiller  zuerkannt  wird: 

Klingklang!  Klingklang!  kommt  von  allen  Winden! 
Kommt  und  wimmelt  schaarenweis! 
Klingklang!  Klingklang!    Was  ich  will  verkünden. 
Höret  Kinder  Rrometheus'i 

Man  sieht,  dafs  das  V^ersmafs  dieses  jüngeren  Gedichtes  fast  genau  das 
von  „Der  Antritt  des  neuen  Jahrhunderts"  mit  dem  „Columbus-Bruchstück" 
ist;  die  Übereinstimmung  ist  in  den  allermeisten  Strophen  sogar  eine  völlige. 
Aber  das  allein  ist  nicht  der  Grund  unserer  Nachbetrachtung:  Nachdem 
das  Gedicht  sich  durch  fünf  Dutzend  Strophen  mit  zum  Teil  nicht  ganz 
würdiger  Dichtersprache  hindurchgearbeitet  hat,  erhebt  es  sich  zum  Schlüsse 
zu  einigen  echt  Schillerschon  Versen  höheren  Schwunges,  indem  nach  dem 
geheimnisvollen  Aufenthaltsorte  des  „Venusrichters",  also  wohl  Gottes  oder 
doch  eines  guttahnlichen  Wesens,  geforscht  wird ;  und  hier  finden  sich  so 
auffällige  Anklänge  an  Schillers  Suche  nach  der  Frcüicit,  dafs  der  (Jedankc 
nahe  liegt:  diese  Jugendverse  haben  dem  Dichter  1800  bei  Niederschreibung 
seiner  politischen  Gedanken  vorgelegen: 


470  Miscellen. 

Wo  noch  kein  Europersegel  brauste, 
Kein  Columb  noch  steuerte,  noch  kein 
Cortez  siegte,   kein  Pizarro  hauste, 
Wohnt  auf  einem  Eiland  —  Er  allein. 

Man  setze  einmal  versuchsweise  für  „Er"  „sie"  (die  Freiheit)  ein. 

Dichter  forschten  lange  nach  dem  Namen  — 

Vorgebirg  des  Wunsches  nannten  sie's ; 

Die  Gedanken,  die  bis  dahin  schwammen, 

Nannten's  —  das  verlorn^  Paradies. 
Einsam  schwimmt  sie  im  Atlantschen  Meere, 
Manches  Schiff  begrüfste  schon  das  Land; 
Aber,  ach!  —  die  scheiternde  Galeere 
Liefs  den  Schifler  tot  am  Strand. 

Ad  albert  Rudolf. 


Eine  antideutsche  Wacht  am  Rhein. 

Wie  Beckers  bekanntes  Rheinlied  seiner  Zeit  eine  scharfe  Erwiderung 
von  Alfred  de  Musset  erfuhr,  so  hat  die  in  neuester  Zeit  aufserordentlich 
gereizte  Stimmung  der  Franzosen  manche  poetische  Blüten  zu  Tage  geför- 
dert, die  das  Werk  der  Revanche  fördern  und  den  schlummernden  Groll  der 
jungen  Generation  wach  erhalten  sollen.  Wer  kennt  nicht  den  Präses  der 
Patriotenliga,  den  Schreier  Paul  Deroulede,  dessen  vaterländische  Lieder 
eine  Auflagenzahl  erlebten,  wie  sie  s-eit  Victor  Hugos  erstem  Auftreten  noch 
nie  dagewesen  ist?  Wem  ist  Th.  de  ßanville  mit  seinen  Idylles  prussiennes 
unbekannt?  Um  diese  beiden  Häupter  schart  sich  eine  Gruppe  wutschnau- 
bender, deutschfressender  Jünger  mit  poetischen  Erzeugnissen  zweifelhaften 
Geschmacks.  So  haben  sich  einige  selbst  zur  Parodie  der  deutschen  Aus- 
sprache verstiegen  und  ohne  zu  bedenken,  dafs  der  Spott  von  drüben 
hundertfach  heimgezahlt  werden  könnte,  in  Tagesblätteru  mit  Expektora- 
tionen folgender  Art  paradiert: 

Che  de  tisais  „che  d'aime"  et  ta  buche  gruelle 
N'a  bu  trufiFer  bour  moi  gue  le  rire  mogueur  ... 
Aux  douze  lois  d'amür  du  de  mondre  repeile, 
Brends  carte,  Ninetta,  Tieu  te  fit  planche  et  pelle, 
Envant,  sois  ponne  aussi;  —  lorsque  l'amür  t'abelle, 
Rebond,  z'est  bur  aimer  que  Tieu  nous  fit  ein  gueur. 

Oilenbar  durch  Mussets  Vorbild  angeregt,  hat  nun  ein  Anonymus  S.  P. 
folgende  Wacht  am  Rhein  erdacht  und  in  sinnige  Reimlein  gebracht: 

Veille  au  Rliin!   Veille  au  Khin!    O  France,  et  prends  bien  garde: 

Le  loup  germain,   au  fond  de  son  obscur  re'duit, 

Semble  s'etre  endormi;  mais  il  veille.  ...  Eegarde, 

Son  oeil  ardent  t'observe  et  dans  l'ombre  reluit  . . . 

Son  plan  est  tout  trac^ :   que  demain  l'heure  sonne, 

Pour  t'aider  contre  lui  qu'il  ne  reste  personne; 

Alors  il  s'en  viendra,  noir,  efflanque,  hideux, 

Sans  qu'ils  aient  eu  le  temps,  gräce  k  ta  negligence, 

Contre  son  brusque  assaut  de  se  mettre  en  defense, 

6gorger  tes  enfants,  surpris  un  contre  deux. 

Veille  au  Rhin!  Veille  au  Rhin!    Car  c'est  \h,  que  l'orage 
Pour  gronder  contre  toi  de  tout  temps  s'est  forme. 


Miscellen.  47 1 

Regarde  en  ton  histoire,  il  n'est  pas  une  page 
Oü  1  Allemand  ne  soit  en  eunemi  nomnid  ... 
La  paix  ne  fut  jamais  avee  lui  qu'une  trcve, 
II  reposait  son  bras,  il  aiguisait  son  glaive, 
Et  puis  il  revenait  t'assaillir  de  nouveau  . . . 
C'est  a  tes  preniiers  jours  qu\i  commencc  sa  haiue, 
Et  Clovis,   avec  lui  descendu  dans  l'arfene, 
Du  laurier  de  Tolbiac  couronua  ton  bcrceau. 

Veille  au  Rhin!  Veille  au  Rbin!    Sur  la  terre  africaiue, 

Si  ton  sang  chaque  jour  coule  dans  les  conibats; 

Contre  quelques  Bcdouins  si  ta  puissance  est  vaine 

S'il  te  taut  a  Tunis  prodiguer  tes  soldats, 

Pour  vaincre  ces  pillards.  dont  tu  punis  l'audace, 

Si  l'Europe  tout  bas  t'envie  ou  te  menace 

Et  si  le  Chinois  menie  ose  elever  la  voix, 

France,  ne  cherche  pas  la  cause  du  desordre ; 
Eegarde  vers  Berlin:  de  Ik  vient  le  mot  d'ordre, 
De  lä  sont  tous  partis  les  coups  que  tu  re^ois. 

Veille  au  Rhin!  Veille  au  Rbin!   quoique,  parfois,  Ton  ose 
Te  dire:   „Tout  va  bien,  TÄllemagne  est  pour  nous, 
Sur  tes  lauriers,  en  paix,   que  ton  front  se  repose, 
Bisniark  prend  ta  defense  envers  et  contre  tous!   ..." 
Bismark  ton  allie!    Prepare  ton  epee, 
0  France !  . . .   Dans  ton  sang  la  sienne  fut  trempee ; 
II  en  a  soif  encore,  et  s'il  te  tend  la  main, 

C'est  pour  mieux  te  trahir ! Veille  donc,  6  Patrie ! 

Veille,  car  les  revers  qui  jadis  t'ont  meurtrie, 
Si  tu  ne  les  previens,  vont  t'accabler  demain ! 

Diese  vier  Strophen,  auf  vier  Blättern  gedruckt,  wurden  diesen  Winter 
in  zahlreiclien  Exemplaren  auf  den  Strafsen  und  in  den  Kaffeehäusern  von 
Paris  für  zwei  Sous  verlcauft.  Der  grüne  Umschlag  stellt  eine  Frauengestalt 
in  Trauerkleidung  dar,  welche  einen  mit  schmerzverzerrtem  Antlitz  zu 
Hoden  liegenden  Soldaten  aufhebt.  Ihre  Züge  haben  eine  unverkennbare 
Ähnlichkeit  mit  der  Exkaiserin  Eugenie.  Wir  werden  also  hinter  dem  Ano- 
nymus S.  P.  irgend  einen  bonapartistischen  Schreihals  zu  suchen  haben. 

Baden-Baden.  Joseph  Sarrazin. 

Zu  Segurs  Histoire  de  Napoleon. 
2. 

Eine  etwas  auffällige  Stelle  findet  sich  1.  V,  eh.  2,  Abs.  5:  L'empereur 
demanda  a  son  ministre  sa  pensee  sur  cette  guerre:  „Qu"elle  n'est  point 
nationale,  repliqua  Daru;  que  l'introduction  de  quelques  denrdes  angfaises 
en  Russie,  que  meme  Terection  d'un  royaunie  de  Pologne,  ne  sont  pas  des 
raisons  süffisantes  pour  une  guerre  si  lointaine;  que  vos  tioupes,  cjue  nous- 
niemes,  nous  n'en  concevons  ni  la  necessitd,  et  que  du  moins  tuut  conseillc 
de  s'arreter  ici."  Scheinbar  sind  hier  direkte  und  indirekte  liedu  mit- 
einander vermengt.  Dieser  Ansicht  ist  denn  auch  Laiid)eck  in  seiner  Aus- 
gabe; er  gitbt  zu  vos  (roupes  die  Anmerkung:  „So  konstruiert,  als  wenn 
baru  sich  an  den  Kaiser  direkt  wandte,  während  bis  dahin  die  Rede 
indirekt  war.  Man  hat  sich  somit  vor  ,que  vos  troupes'  etwa  zu  er- 
gänzen: je  vous  dis."  Auch  llauschild  scheint  in  .sein':.-  Ausgabe  durch  den 
Druck  anzudeuten,  dafs  er  die  Stelle  in  ähnlicher  Weise  interpretiert 
wissen  wolle. 


472  Miscellen. 

Gepien  die  Auffassung  jedoch,  dafs  die  ersten  Worte  Darus  (bis  loin- 
tainej  indirekt  angeführt  seien,  spricht  dreierlei.  Erstens  die  präsentische 
Form  derselben  (est  —  sont).  Da  der  übergeordnete  Satz  repliqua  Daru 
präteritisclie  Form  zeigt,  und  da  der  untergeordnete  Satz  nicht  eine  allge- 
meine, oder  zum  mindesten  für  den  Berichterstatter  gültige  Aussage  ent- 
hält,* müfste  es  bei  hinzugefügtem  que  unbedingt  heifsen  :  „qu'elle  n'etait 
pas  nationale,  que  rinti-oduction  .  .  .  n'etaient  pas  etc."  So  sagt  Segur 
Abs.  12:  Daru  lui  repondit:  Que  la  guerre  4tait  un  jeu  qu'il  jouait  bien, 
oü  il  gagnait  toujours,  et  qu'on  pouvait  en  conclure  qu'il  la  faisait 
avec  plaisir  etc.  So  viele  andere  Stellen,  namentlich  im  zweiten  Buche, 
das  überreich  an  Beispielen  hierfür  ist. 

Sodann  erregt  Bedenken,  dafs  der  übergeordnete  Satz  repliqua  Daru 
als  Schaltsatz  in  die  mit  que  beginnende  indirekte  Rede  eingeschoben 
ist.  Entweder  mufs  der  Zwischensatz  entfernt  und  die  Worte  repliqua  Daru 
der  indirekten  Rede  vorangestellt  werden  (in  welchem  Falle  allein  die  Hin- 
zufügung von  que  berechtigt  ist),  oder  aber  es  mufs,  wenn  die  Worte  re- 
pliqua Daru  in  die  Rede  eingeschoben  werden,  que  wegfallen.  Für  die 
erstere  Ausdrucksweise  vergleiche  man  das  oben  angeführte  Beispiel  aus 
Abs.  12.  Für  die  letztere  finden  wir  Belege  u.  a.  in  1.  II,  3,  17:  L'empe- 
reur  russe  etait,  disait-il,  le  seul  souverain  qui  pesät  encore  sur  le  sommet 
de  cet  immense  edifice  etc.  Oder  IV,  5,  2:  II  apportait  ä  Napoleon  des 
paroles  d'Alexandre :  „II  etait,  disaient-elles  (besagten  sie),  encore  temps 
de  traiter"  etc. 

Dazu  kommt  schliefslich  als  drittes  Bedenken  die  ganz  unvermittelt 
auftretenden  direkten  AVorte  vos  troupes  und  nous-memes,  zu  deren  Er- 
klärung Lambeck  eine  Ellipse  zu  Hilfe  nimmt,  wie  je  vous  dis  oder  etwas 
Ahnliches.  Ich  gestehe,  diese  Erklärung  hat  für  mich  etwas  Gezwungenes. 
Hätte  Segur  wirklich  aus  der  indirekten  in  die  direkte  Rede  übergehen 
wollen,  so  hätte  er  sicher  einfach  gesagt:  vos  troupes  etc.,  ohne  que,  wie 
er  dies  so  häufig  thut,  z.  B.  Abs.  8,  wo  nach  einer  längeren  indirekten 
Rede  fortgefahren  wird :  Ainsi,  continua-t-il,  nous  ne  pouvons,  ni  vous  me 
faire  vivre  h  Vitepsk  etc.     (Weitere  Belege  z.  B.  IV,  5,  5.  6.) 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  dafs  wir  es  hier  nicht  mit  einer  in- 
direkten Rede  zu  thun  haben  können ;  die  ganze  Stelle  mufs  vielmehr 
durchaus  als  direkte  Rede  aufgefafst  werden.  Wie  ist  dann  aber  das  sechs- 
malige que  derselben  zu  erklären?  Nicht  durch  ein  zu  supponierendes  je 
vous  dis  oder  dergl,  sondern  durch  eine  aus  dem  Vorhergehenden  zu 
entnehmende  Ergänzung,  die  sich  wie  von  selbst  darbietet.  Unmittelbar 
zuvor  hat  der  Kaiser  seinen  Minister  nach  seinem  Gedanken  über  den 
Krieg  gefragt;  was  ist  da  natürlicher  und  ungezwungener  als  zu  Darus 
Worten  zu  supplieren:  Mein  Gedanke  ist,  dafs  der  Krieg  nicht  volks- 
tümlich ist  —  ma  pensee,  c'est  que  la  guerre  n'est  pas  nationale,  oder: 
que  la  guerre  n'est  pas  nationale  ...;  voilä  ma  pensee,  voilä  ce  que 
je  pense.  Die,  ich  möchte  fast  sagen,  etwas  polternde  Antwort  Darus 
stinmit  ja  auch  ganz  zu  der  Schilderung,  die  uns  Segur  kurz  zuvor  von 
seinem  Wesen  giebt:  Ce  ministre  est  droit  jusqu'ä  la  roideur,  et  ferme 
jusqu'ä  l'impassibilite. 

*  Für  ein  aus  diesem  Grunde  gerechtfertigtes  Präsens  bildet  weiter  unten  Abs.  10 
der  Satz:  qu'a  la  guerre,  la  fortune  est  de  moitie'  dans  tout  ein  instruktives  Bei- 
spiel, da  im  übrigen  Präterita  vorangehen  und  nachfolgen.  Dafs,  wenn  der  über- 
geordnete Satz  präsentische  Form  aufweist,  auch  im  abhängigen  gleiche  Form  auf- 
tritt, ist  selbstverständlich  (II,  3,  6 :  II  r^pond  au  ministre:  que  c'est  une  guerre 
toute  politique).  Ebenso  dafs  bei  fehlendem  que  Präsentia  angewendet  sein  können, 
selbst  wenn  aufserhalb  der  indirekten  Rede  Tempora  der  Vergangenheit  gebraucht 
sind,  da  ja  dann  nicht  das  strenge  Verhältnis  der  Über-  und  Unterordnung  statt 
hat  (z.  B.  V,  2,   13.   14). 


Miscellen.  173 

Natürlich  macht  diese  Erklärung  des  Passus   eine  weitere  Motivierung 
des  vos  und  nous  in:  que  vos  troupes,  que  nous-memes  etc.  unnötig. 
Zittau.  R.  Scherffig. 

Im  Anschlufs  an  den  in  Bd.  LXIX,  S.  47G  des  Archivs  enthaltenen 
französischen  Brief  möchte  ich  auf  eine  charakteristische  Äufserung  aufmerk- 
sam machen,  welche  Brunetiere  in  der  Revue  des  deux  mondes  (vom  1.  August 
1883)  gelegentlich  einer  Besprechung  der  „llistoire  de  la  litterature  anglaise" 
(von  Filon)  als  Schlufswort  zu  geben  sich  gemüfsigt  sah.    Es  heifst  daselbst: 

Ajoutons  un  dernier  mot:  c'est  un  lieu  commun  aux  etrangers  que  de 
nous  reprocher  de  vivre  dans  une  ignorance,  assiirement  fächeuse,  de  leur 
langue  et  de  leur  litterature.  Que  vous  ayons  jadis,  en  des  temps  anciens, 
quelque  peu  merite  le  reproche,  il  serait  difticile  d'en  disconvenir,  quoique, 
pour  prendre  un  exemple,  je  ne  vois  pas  l'interct  qu'eussent  eu  les  Fran^ais 
du  XVIIö  siecle  ä  se  soucier  d'Opitz,  et  voire  de  Grimmeishausen  ou  d'Hofi- 
niannswaldau.  Mais,  avant  de  nous  le  faire  aujourdliui,  c'est-ii-dire  depuis 
tantot  plus  de  quatre-vingts  ans,  Allemands  comme  Anglais  feraient  bicn  eux- 
memes  de  sonder  les  reins.  Si  la  chose  en  valait  vraiment  la  peine,  il 
serait  aise'  de  montrer  que  ni  les  uns  ni  les  autres  ne  connaissent  toujours 
notre  langue  aussi  sürement,  intimement,  et  profondement  qu'ils  le  croient. 
Et,  quant  ä  notre  litterature,  pour  beaucoup  de  raisons  que  Ton  pourrait 
deduire,  si  quelques-uns  la  connais.sent  et  la  savent,  bien  peu  la  sentent. 
Les  preuves  encore  en  abonderaient.  Mais,  sans  entreprendre  ce  proces, 
disons  seulement  qu'en  ce  qui  touche  TAUemagne,  et  surtout  TAngleterre, 
les  Fran^ais  y  mettraient  bien  de  la  mauvaise  volonte  s'ils  persistaient  encore 
dans  cette  legendaire  ignorance.  II  n'est  pas  un  de  leurs  grands  ecrivains 
sur  qui  nous  n'ayons  des  travaux  dont  plusieurs  sont  de  premier  ordre ;  il 
y  a  beaucoup  de  leurs  ecrivains  secondaires  qu'il  ne  depend  que  de  nous  de 
connaitre  aussi  bien  qu'ils  connaissent  les  nötres ;  j'ose  affirmer  qu'ils  n'ont 
pas  d'histoire  generale  de  la  litterature  fran9aise  qui  vaille  celle  de  la  litte- 
rature anglaise,  de  M.  Taine,  et  je  ne  crois  pas  enfin,  dans  des  proportions 
plus  modestes,  qu'ils  eu  aient  beaucoup  qui  se  puissent  comparer  ä  celle  de 
M.  Filon.  Georg  Stier. 

Etymologisches. 

Auf  Seite  447  des  69.  Bandes  Ihrer  geschätzten  Zeitschrift  bringt  K. 
Biltz  unter  seinen  sehr  verdienstlichen  Beiträgen  zum  deutschen 
^Vörterbuch  auch  einen  Artikel  über  das  Wort  spargalzen.  Die  sehr 
sorgfältige  Untersuchung  geht  meines  Erachtens  nur  darin  irre,  dafs  sie  zur 
flrkliirung  der  ersten  Silbe  das  deutsche  sperren,  frz.  barrer  heranzieht, 
während  doch  das  ahd.  sparon  =  schonen  viel  näher  liegt.  Nicht  nur 
erklärt  sich  so  die  Vokalisierung  von  spargaltzen,  sparapetto,  spartille  ohne 
alle  Schwierigkeit,  sondern  es  tritt  auch  in  der  Bedeutung  dieser  hybriden 
Wortbildungen:  Fersen  s  ch  oner,  Brustschoner,  Knöchel  schon  er 
der  Humor,  der  sie  augenscheinlich  becinllufste,  viel  deutlicher  hervor.  Ich  kann 
die  Reihe  der  Beispiele  noch  um  eines  vermehren.  Ratherius  v.  Verona 
verfafste  ad  usum  seines  Schülers  Röstagnus  einen  Auszug  aus  den  wich- 
tigsten Disciplinen,  die  er  ihm  beizubringen  hatte,  und  nannte  diese  Regel- 
sammlung mit  dem  scherzhaften  Namen  sparadorsum  =  Rücken  schöner , 
womit  er  andeuten  wollte,  dafs  der  Jüngling  durch  sichere  Einpriigung  der 
betr.  Regeln  seinen  Rücken  vor  Rutenstreichen  bewahren  köiuie  (cf.  Albrecht 
Vogel,  Ratherius  v.  Verona),  Dieser  Vorgang  deutet  zugleich  auf  das 
10.  und  11.  Jahrhundert  als  Entstehungszeit  sämtlicher  gleichartig  gebil- 
deter Worte.' 

Zittau.  Theodor  Vogel. 


474  Miscellen. 

Erklärung. 

Band  LXXI,  S.  122  dieser  Zeitschrift  behauptet  Herr  David  Asher, 
mir  eine  scharfe  Zurückweisung  auf  meine  in  der  Ztschr.  f.  nirz.  Spr.  u.  L. 
IV-,  2  lY.  enthaltene  Recension  seiner  Broschüre  „Über  den  Unterricht  in 
<len  neuereu  Sprachen"  erteilt  und  mich  herausgefordert  zu  haben,  seinen 
an  mich  gerichteten,  ebd.  S.  160  abgedruckten  Brief  an  mich  zu  veröffent- 
lichen. Ob  in  dem  fraglichen,  persönlich-injuriösen  Briefe  wirklich  eine 
„Zurückweisung"  meiner  sachlichen  Ausführungen  enthalten  ist,  überlasse 
ich  dem  Urteil  eines  jeden,  der  sich  die  Mühe  nehmen  will,  meine  Recension 
und  Herrn  Ashers  Brief  zu  lesen;  entschieden  bestreiten  mufs  ich  aber,  zu 
der  Publikation  des  letzteren  von  Herrn  A.  „herausgefordert"  worden  zu 
sein.  Ich  habe  den  Brief,  das  einzige  Schriftstück,  das  mir  von  Herrn  A. 
zuging,  nur  deshalb  abdrucken  lassen,  weil  er  mir  vorzüglich  geeignet  er- 
schien, seinen  Verfasser  vor  den  Fachgenossen  zu  charakterisieren,  und  weil 
mir  alle  meine  Kollegen,  denen  ich  ihn  vorlas,  auf  das  eindrinnlichste  vor- 
stellten, ich  dürfe  diesen  ungewöhnlichen  Herzensergufs  der  Öffentlichkeit 
nicht  vorenthalten. 

Es  freut  mich,  dafs  Herr  A.  nunmehr  anerkennt,  sein  Berichterstatter, 
der  ihm  von  Beschwerden  meiner  Zuhörer  in  Strafsburg  erzählt  hat,  werde 
sich  wohl  geirrt  haben.  Doch  liegt  kein  geringerer  Irrtum  vor,  wenn 
Herr  A.  jetzt  angiebt:  „Es  waren  nicht  seine  (Koschwitz')  Zuhörer  an  der 
Strafsburger  Universität,  die  sich  über  seine  Unterrichtsmethode  beschwerten, 
sondern  seine  Schüler  oder  Schülerinnen  (?)  an  einer  dortigen  Lehranstalt." 
Die  Schülerinnen  bitte  ich  Herrn  A.  vollständig  zu  streichen;  ich  habe  in 
Strafsburg  niemals  weiblichen  Personen  Unterricht  erteilt;  dagegen  räume 
ich  Herrn  A.  mit  Vergnügen  ein,  dafs  möglicherweise  ein  paar  meiner 
Strafsburger  Real-  oder  Gymnasialschüler,  die  bei  mir  keine  guten  Geschäfte 
gemacht  haben,  sich  hinter  meinem  Rücken  bei  ihren  lieben  Eltern  über  mich 
ob  meiner  Strenge  beklagt  haben.  Ich  habe  aber  auch  davon  nie  etwas  gehört, 
und  kann  mit  dem  besten  Willen,  Herrn  A.  Konzessionen  zu  machen,  immer 
nur  konstatieren,  dals  meine  damaligen  Kollegen  und  Direktoren  mit  mir 
durchaus  zufrieden  waren,  und  dafs  die  letzteren  mir  sogar  ihre  Zufrieden- 
heit schriftlich  und  mündlich  vor  versammeltem  Lehrer-  und  Schülerpersonal 
zu  erkennen  gegeben  haben.  Neue  Unterrichtsmethoden  habe  ich  schon 
gar  nicht  eingeführt,  sondern  flott,  wie  mir  befohlen,  nach  Plötz  und  Plate 
unterrichtet  und  mich,  um  mein  Gewissen  rein  zu  halten,  damit  begnügt, 
hier  und  da  berichtigend  einzuschreiten,  wenn  es  diese  Grammatiker  einmal 
gar  zu  schlimm  gemacht  hatten.  Herr  A,  ist  zu  seiner  neuen  Version  off"en- 
bar  durch  den  Realgymnasiallehrer  Danker  gekommen,  den  er  1.  c. 
in  der  Metamorphose  eines  Direktor  Dunker  citiert.  Dieser  Herr  be- 
richtet von  mir,  ich  habe  auf  einer  Strafsburger  Realschule  schlimme  Er- 
fahrungen machen  müssen,  und  beruft  sich,  wie  er  mir  schreibt,  „keinerlei 
Verantwortung  für  die  Wahrheit"  übernehmend,  auf  Herrn  H.  Löwe  in 
Bernburg,  der  schon  anno  1879  dieselbe  Behauptung  aufstellte.  Herr  Löwe 
beruft  sich  aber  wiederum  auf  einen  anderen,  von  ihm  nicht  genannten  Ge- 
währsmann, den  ehemaligen  Direktor  Ludwig  in  Strafsburg,  der  mich 
glücklicherweise  selbst  unterrichtet  hat,  wie  Herr  Löwe  zu  seiner  Behaup- 
tung gekommen  ist.  Bei  Gelegenheit  einer  Philologenversanimlung  wurde 
er  nämlich  von  Herrn  Löwe  ungefähr  mit  den  Worten  überfallen:  „Kennen 
Sie  Dr.  Koschwitz?  Der  Mann  hat  (in  seiner  Ztschr.)  Schlimmes  von  den 
Realschulen  gesagt.  Er  mufs  als  Lehrer  nichts  getaugt  haben."  Einige 
Worte  aus  der  Erwiderung  des  verblüfften  Ludwig  glaubte  alsdann  Herr 
Löwe  zu  gunsten  seiner  Schlufsfolgerung  interpretieren  zu  können,  und  so 
sind  meine  wiederholt  publizierten  Strafsburger  „schlimmen  Erfahrungen" 
entstanden,  deren  Eltern  einzig  und  allein  der  Wunsch  und  die  Phantasie 
der  Herrn  Dr.  H.  Löwe  in  ßernburg  sind. 


Miscellen.  475 

Herr  Danker  hat  in  seiner  Broschüre  „Die  Realgymnasien",  S.  54, 
einen  neuen  Mythus  über  mich  erfunden:  Er  läfst  sich  dort  versichern,  dafs 
ich  des  Engh'schen  nur  in  sehr  mangelhaftem  Grade  mächtig  bin.  Von  mir 
interpelliert,  wem  er  diese  Versicherungen  verdanke,  erölfnete  er  mir,  ich 
selber  hätte  bei  meiner  Berufung  nach  Greifswald  gegen  Strafsburger  Be- 
kannte geäufsert,  ich  werde  mich  hier  schon  mit  meinem  Englisch  durch- 
helfen. Das  ist  ebenso  unwahr  wie  unmöglich,  denn  zur  Zeit  meiner  Er- 
nennung befand  ich  mich  in  Kiel  und  nicht  in  Strafsburg,  und  da  ich  als 
Romanist  hierher  berufen  wurde,  hatte  ich  gar  keine  Gelegenheit,  über  mein 
englisches  Wissen  zu  sprechen.  Auch  diese  Versicherung  war  also  aus  der 
Luft  gegriffen. 

Wenn  also  die  Herren  Löwe,  Danker  und  Asher  mit  allen  ihren  Äufse- 
rungen  über  meine  Person  recht  hätten,  was  wäre  damit  gewonnen?  Es 
wird  immer  für  unpassend  gelten,  seinen  Gegner  mit  Persönlichkeiten  zu 
bekämpfen,  und  diese  Kampfesweise  wird  immer  nur  zum  Nachteile  derer 
ausschlagen,  die  sich  derselben  bedienen.  Ich  bitte  die  genannten  Herren 
wohl  zu  bedenken,  dafs  auch  sie  es  für  gewissenlos  halten  würden,  wenn 
sie  auf  Grund  von  unverbürgtem  Gerede  persönlich  angegriffen  würden,  und 
dafs  auch  sie  nicht  anerkennen  werden,  ihre  Sache  sei  schlecht,  weil  sie 
selber  nicht  ganz  vollkommen  sind. 

Greifswald,  2L  März  1884.    E.  Koschwitz. 

Emanuel  Geibel  ist  tot! 

Wer  würde  bei  dieser  Kunde  nicht  tief  bewegt,  dessen  Herz  für  deutsche 
Dichtung  schlägt?  Lange  schon  hatte  man  freilich  einer  solchen  Trauer- 
botschaft entgegengesehen.  Der  Dichter  kränkelte  seit  Jahren.  Immer 
wieder  hatte  sich  sein  kräftiges  Naturell  aufgeraflt,  doch  seit  ungefähr 
einem  Jahre  hatte  man  die  Hoffnung  auf  eine  dauernde  Genesung  auf- 
gegeben. So  ist  er  in  der  Nacht  vom  5.  zum  6.  April  in  seiner  Vaterstadt 
Lübeck,  69  Jahre  alt,  gestorben.  Deutschland  hat  damit  ohne  Zweifel 
seinen  besten  Lyriker  verloren,  den  letzten  Vertreter  eines  reinen  Idealis- 
mus und  vornehmer  Formschönheit.  Von  Geibel  konnte  man,  wie  von 
Schiller  sagen,  dafs 

Hinter  ihm  im  wesenlosen  Scheine 

Lag,  was  uns  alle  bändigt,  das  Gemeine. 

Am  Abend  seines  Lebens  hat  der  Dichter  noch  die  Freude  gehabt,  eine 
Sammlung  seiner  Werke  vollenden  zu  dürfen.  Man  mag  sie  vom  Anfang  bis  zum 
Ende  durchblättern,  vergebens  wird  man  nach  etwas  Niedrigem  darin  suchen. 
Ebenmafs  war  es,  was  seiner  Form  den  Stempel  aufdrückte,  Ebenmafs  be- 
wahrte er  sich  auch  in  seinem  Denken  und  Empfinden.  Er  stieg  nicht  in 
die  Abgründe  der  Philosophie  und  Leidenschaft  hinab,  er  weilte  gern  am 
sonnigen  Lichte,  und  wenn  ihm  vielleicht  die  letzten  Tiefen  doshalb  ver- 
schlossen blieben,  so  verlor  er  sich  auch  nie  wie  so  mancher  andere  an  die 
dämonischen  Gewalten  des  Abgrundes.  Und  deshalb  war  er  ein  Volks- 
dichter im  edelsten  Sinne  des  Wortes.  Er  war  populär,  ohne  sich  jemals 
populär  zu  machen,  weil  er  mit  seinem  Worte  das  aflelte,  was  das  Volk 
trotz  alledem  als  edelstes  Teil  seines  Inneren  erkennt  :  Liebe,  Patriotismus, 
Religion.  Die  Liebe  Geibels  war  von  jener  deutschen  Innigkeit  und  Keusch- 
heit, die  heutzutage  den  Dichtern  immer  mehr  abhanden  zu  konunen  scheint. 
Er  war  kein  Philosoph,  sondern  ein  gläubiger  Chri.st  und  hat  diese  Über- 
zeugung allen  Zweiflern  gegenüber  stets  unerschrocken  zum  Ausdruck  ge- 
bracht. Von  seiner  Vaterlandsliebe  endlich  le(,'t  eine  Fülle  der  herrlichsten 
Lieder  Zeugnis  ab.  „Heroldsrufe"  hat  er  eine  Sammlung  seiner  patriotischen 
Gedichte  genannt,  und  fürwahr,    er  war  der  Herold  unserer  nationalen  Eni- 


476  Miscellen. 

wickelunfij :  Alle  Schmerzen  und  Freuden  der  deutschen  Nation  hat  er  in 
seinen  Weisen  verklärt.  Und  was  nicht  das  Geringste :  von  Anfang  wufste 
er,  was  er  wollte:  das  Reich,  den  Kaiser.  Abseits  stand  er  daher,  als  die 
deutsche  Idee  im  Schmutze  der  Revolution  ihren  Glanz  zu  verlieren  schien, 
ein  Feind  der  Demagogen,  aber  doch  mit  keiner  Faser  ein  Reaktionär.  Seine 
Lieder  werden  auf  lange  Zeit  noch  ein  teures  Besitztum  unseres  Volkes 
bilden.  Möge  die  Jugend  immer  wieder  sich  an  ihnen  erwärmen,  vor  allem 
auch  die  weibliche,  denn  Deutschland  braucht  Frauengemüter,  in  denen 
(jeibels  Melodien  nachhallen,  und  nur  solche  Jungfrauen  können  den  rechten 
deutschen  JüngUng  mit  erziehen  helfen  und  lieben  lehren!  Wehe  dem, 
welchem  niemals  die  Welt  in  jenem  idealen  Schimmer  erstrahlte,  in  dem  sie 
diesem  Dichter  erschienen  ist ;  sein  Leben  wird  öde  und  nüchtern  zu  Ende 
cjehen.  Und  so  möge  denn  Geibels  Andenken  fortdauern,  der  Nation  zum 
Heil  und  zu  immer  neuer  Heilung  vom  Drange  des  Tages  und  vom  Fluche 
der  Gewöhnlichkeit!  H.  H. 


Der  Tod  des  am  11.  April  d.  J.  in  Wiesbaden  verstorbenen  Dr.  IL 
Schweitzer,  Redakteur  des  Moliere-Museum,  beraubt  die  schwache  Schar  der 
deutschen  Molieristen  ihres  einigenden  Mittelpunktes.  Mit  einer  geistigen 
Regsamkeit  und  idealen  Hingabe,  die  bei  einem  mehr  als  70jährigen  Greise, 
der  bisher  nur  im  praktischen  Leben  gestanden,  selten  sind,  hat  der  Ver- 
blichene mit  grofsen  Opfern  sein  „Museum"  vier  Jahre  lang  geleitet  und 
wenigstens  sechs  Hefte  ins  Leben  gerufen.  Sein  Ideal,  das  ihn  noch  kurz 
vor  seinem  Tode  begeisterte,  war  die  Gründung  eines  Moliere-Vereins,  der 
die  Fortführung  des  „Museum"  in  die  Hand  nehmen  sollte.  Die  Teilnahm- 
losigkeit  des  gröfseren  Pubhkums  hat  leider  die  Existenz  eines  Moliere- 
Vereins  unmöglich  gemacht  und  das  Fortleben  des  Museums  in  Frage  ge- 
stellt. —  1808  im  Juh  zu  Breslau  geboren,  war  Schweitzer  über  30  Jahre 
lang  in  Paris  als  praktischer  Arzt  thätijr,  bis  er  im  Jahre  1873  sich  in  Wies- 
baden als  Schriftsteller  niederliefs.  Von  seiner  Begeisterung  für  Moliere 
legt  schon  eine  Festschrift  zu  des  Dichters  200jährigem  Todestage  Zeugnis 
ab,  welche  zugleich  eine  sehr  vorurteilsfreie  Auffassung  des  ärztlichen  Be- 
rufes kundgiebt.  (Moliere  und  die  Ärzte,  Wiesbaden  1873.)  Wenngleich 
der  wissenschaftliche  Wert  seiner  Aufsätze  im  „Moliere-Museum"  kein  allzu 
hoher  genannt  werden  darf,  so  ist  er  doch  mit  seinem  feinfühligen  Ver- 
ständnis für  Moliere  und  seiner  selbstlosen,  aufopfernden  Hingebung  für 
dessen  Kultus  das  Herz  der  deutschen  Moliere-Forschung  jahrelang  ge- 
wesen.    H.  p.  a.  ^^^^^^  R.  Mahrenholtz. 

Bekanntmachung. 

Mit  Höchster  Genehmigung  wird  die  37.  Versammlung  Deutscher 
Philologen   und   Schulmänner   vom   1.  bis  4.  Oktober  d.  J.    zu  Dessau 

stattfinden. 

Indem  wir  unter  Vorbehalt  weiterer  Mitteilungen  uns  beehren,  zu  der- 
selben hiermit  ganz  ergebenst  einzuladen,    bitten   wir   um  baldige  vorläufige 
Anzeige  der  von  einzelnen  Teilnehmern  beabsichtigten  Vorträge. 
Dessau  und  Zerbst,  den  1.  Mai  1884. 

Das  Präsidium. 
Dr.  Krüser.     G.  Stier. 


Bibliographischer  Anzeiger. 


Allgemeines. 

L.  Wiese,  Pädagogische  Ideale  und  Proteste.  Ein  Votum.  (Berlin,  Wie- 
gandt  &  Grieben.)  2  Mk. 

Klaus,  Das  psychologische  Moment  in  der  Sprache.  Ein  Vortrag.  (Tü- 
bingen, Fues.)  50  Pf. 

H.  Teweles,  Der  Kampf  um  die  Sprache.  Linguistische  Plaudereien. 
(Leipzig,  Reifsner.)  2  Mk. 

B.  Delbrück,  Einleitung  in  das  Sprachstudium.  2.  Auflage.  (Leipzig, 
Breitkopf  &  Härtel.)  3  Mk. 

O.  Ulbrich,  Über  die  französische  Lektüre  an  Realgymnasien.  (Berlin, 
Gärtner.)  1  Mk. 

Afsfahl,  Der  Unterricht  im  Englischen  in  der  Realschule.  (Tübingen, 
Fues.)  40  Pf. 

Wie  studiert  man  neuere  Philologie  und  Germanistik?  Von  einem  älteren 
Fachgenossen.     (Leipzig,  Rofsberg.)  60  Pf. 

Lexikographie. 

J.  und  W.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch.  G.  Bd.,  12  Lfrg.,  bearbeitet 
von  M.  Heyne.     (Leipzig,  Hirzel.)  2  Mk. 

A.  Fels,  Das  W^örterbuch  der  franz.  Akademie.  Die  erste  Ausgabe.  (Ham- 
burg, Nolte.)  1  Mk.  50  Pf 

F.  Leiffholdt,  Etymologische  Figuren  im  Romanischen,  nebst  einem  An- 
hang: Wiederholungen  betr.  Steigerung  und  Erweiterung  eines  Begrills. 
(Erlangen,  Deichert.)  1  Mk.  80  Pf. 

H.  Lehmann,  Der  Bedeutungswandel  im  Französischen.  (Erlangen,  Deichert.) 

V.  Mach,  Technisches  Wörterbuch  für  Telegraphie  und  Post.  Deutsch- 
franz, und  franz. -deutsch.     (Berlin,  Springer.)  3  Mk. 

Grammatik. 

Th.  Haas,  Die  Plurale  der  Abstrakta  im  Französischen.     Ein  Beitran;  zur 

histor.  Syntax.  (P>langen,  Deichert.)  1   Mk.  SO  Pf. 

K.  Knösel,  Das  altfranzös.  Zahlwort.  (Erlangen,  Deichert.)    1  Mk.  50  Pf. 
Th.  Loos,    Die   Nominalflexien    im    Provencalischen.      (Marburg,    Elwert.) 

1  Mk.  20  Pf. 
K.  Meyer,  Die  proven9alische  Gestaltung  der  mit  dem  Perfoktstanuiie  ge- 


478  Bibliographischer  Anzeiger. 

bildeten  Tempora  des  Lateinischen.  Nach  den  Reimen  der  Trobadors. 
(Marburg,  Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

O.  Reifs  er t,  Die  syntaktische  Behandlung  des  zehnsilbigen  Ver.ses  im 
Alexius-  und  Rolandsliede.     (Marburg,  Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

M.  Banner,  Über  den  regelmäfsigen  Wechsel  männlicher  und  weiblicher 
Reime  in  der  altfranzösischen  Dichtung.  (Marburg,  Elwert.)  1   Mk.  20  Pf. 

Carstens,  Dr.  Broder,  Zur  Dialektbestimmung  des  mittelengllschen  Sir 
Firumbras.  Eine  Lautuntersuchung.  (Kiel,  Lipsius  &  Fischer.)  iMk.  20Pf. 

H.  Zi  mmer,  Keltische  Studien.  2.  Heft:  Über  altirische  Betonung  und  Vers- 
kunst.    (Berlin,  Weidmann.)  6  Mk. 

Litteratur. 

iEventyri,   islendzk.     Isländische   Legenden,  Novellen   und  Märchen,  hrsgb. 

von   H.   Gering.     2.  Bd.,   Anmerkungen   und    Glossar.      (Halle,    Waisen- 
haus.) 7  Mk.  60  Pf. 
J.  L.  Runeberg.     Fänrik   Stäls  Sägner.     En   samling   sänger.     Aus   dem 

Schwedischen  im  Versmafse  übersetzt,   mit  Einleitung   und  Anmerkungen 

versehen  von  Dr.  Emil  Peters.     (Berlin,  Gärtner.)  1   Mk. 

A.  Bieling,  Die  Reineke-Fuchs-Glosse,  in  ihrer  Entstehung  und  Entwicke- 

lung  dargestellt.     (Berlin,  Gärtner.)  1  Mk. 

Goethe- Jahrbuch.     Hrsgb.   von  Ludw.  Geiger.     5  Bde.     (Frankfurt,  Litt. 

Anstalt.)  12  Mk. 

Goethes  Werke.     Hrsgb.  von  L.  Geiger.     Illustrierte   Ausgabe.     10    Bde. 

(Berlin,  Grote.)  30  Mk. 

Christian  v.  Troyes'  sämtliche  Werke.    Nach  allen  bekannten  Handschriften 

hrsgb.   von   Wendelin   Förster.     I.  Bd.:    Cliges.     (Halle,   Niemeyer.) 

10  Mk. 
L.  Kraack,    Über    die    Entstehung    und   die   Dichter    der   Chanson    de    la 

croisade  contre  les  Albigeois.     (Marburg,  Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

H.  Schellenberg,    Der  altfranz.  Roman  Galien  Rethore   in    seinem  \'er- 

hältnis   zu   den   verschiedenen    Fassungen    der   Rolands-   und    Roncevaux- 

Sage.     (Marburg,  Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

J.  Spiefs,  Untersuchungen  über  A.  Schelers  Ti-ouveres  beiges.    (Marburg, 

Elwert.)  1  Mk.  20  Pf. 

Le  roman  de  Raoul  de  Cambrai  p.p.  P.  Meyer  et  A.  Longnon.    (Paris, 

Didot.)  5  fr. 

A.  Tob  1er,  Die  Erzählung  von  dem  echten  Ringe;   französische  Dichtung 

des  13.  Jahrh.  aus  einer  Pariser  Handschrift  zum  erstenmal  herausgegeben. 

2.  Auflage.     (Leipzig,  Hirzel.)  1  Mk.  60  Pf. 

L'Heptameron  des  nouvelles  de  la  reine  de  Navarre,  ed.  reimprimee  d'apres 

Celle  de  Claude  Gruget.    Notice  par  B.  Pifteau.    3  vols.    (Paris,  Delarue.) 

3  fr. 
O.  Richter,   Die   französische  Litteratur   am  Hofe   der  Herzöge  vpn  Bur- 

gund.     (Halle,  Diss.) 
L.  Desprez,  L'evolution  naturaliste  (G.  Flaubert,  Les  Goncourt,  A.  Daudet, 

E.  Zola,  Les  poetes,  Les  theatres).     (Paris,  Tresse.)  3  fr.  50  c. 

E.  Faguet,   Essai   sur   la  tragedie   fran^aise  au  XV I"  siecle  (1550 — IGOO). 

(These  de  doctorat.     Paris.) 
G.  Merlet,   Tableau  de  la   litterature  fran^.  1800—1815.     2  vols.     (Paris, 

Hachette.)  15  fr. 

Cb.  Joret,    Des    rapports    intellectuels    et    litteraires    de  la   France   avec 

l'Allemagne  avant  1789.     (Paris,  Hachette.)  2  fr.  50  c. 

R.  Frage,  Mohere  et  les  Limousins.     (Limoges,  Ducourtieux.) 
Bossuet,  Oraisons  funebres.    Avec  introd.  et  notes  p.  p.  A.  Gast^.    (Paris, 

Bibliophiles.)  3  fr. 

Bossuet,  Oraisons  funebres  p.  p.  A,  Cahen.    (Paris,  Dupont.)    2  fr.  50  c. 


Bibliographischer  Anzeiger.  479 

Moliere  und  seine  Bühne.     Hrsgb.   von   H.  Schweitzer.     5.  und  6.  Heft. 

(Leipzig.  Thomas  )  ä  3  Mk. 

O.  Weddigen,  Lord  Byrons  Einflufs  auf  die  europäischen  Litteraturen  der 

Neuzeit.     (Hannover,  Weichelt.)  2  Mk. 

Shakespeares   Werke   in   englisch-deutscher   Parallel-Ausgabe.     Bevorwortet 

und  eingeleitet  von  K.  Sachs.  (Leipzig,  Schäfer.)  8  Hefte  ä  CO  Pf. 
A.  V.  Weilen,  Shakespeares  Vorspiel  zu  „Der  Widerspenstigen  Zähmung". 

Ein   Beitrag   zur   vergl.   Litteraturgeschichte.     (Frankfurt  a.  M.,  Litterar. 

Anstalt.)  2  Mk. 

Carlo   Goldoni,   Meraorie  per  l'historia   della  sua  vita  e  del  .suo  teatro. 

(Leipzig,  Siegismund  &  Volkening.)  1  Mk. 

Baudouin    de    Courtenay,    Übersicht    der   slavischen   Sprachenwelt   im 

Zusammenhange     mit     den     anderen     ari-europäischen     indogermanischen 

Sprachen.     (Leipzig,  Weigel.)  60  Pf. 

J.  Turgenjews   vier  letzte   Dichtungen.     Übers,  von  C.  Jürgens.     (Mitau, 

Felsko.)  3  Mk. 

Hilfs  buche  r. 

K.  Melz,  Orthographische  Übungen   in  drei  Stufen.     (Schwerin,  Schmale.) 

1  Mk.  40  Pf. 

K.  Duden,  Orthographisches  Wörterbuch  f.  d.  Schule.  2.  umgearb.  Ausg. 
(Leipzig,  Bibliogr.  Institut.)  1  Mk.  i>0  Pf. 

M,  Laue,  Diktierstoff' für  Bürgerschulen.    (Langensalza,  Schulbuchhandlung.) 

60  Pf. 

A.  Krüger,  Deutsches  Lesebuch  für  Bürgerschulen.  2  Teile.  (Königs- 
berg, Bon.)  1  Mk.  80  Pf. 

Hästers  Deutsches  Lesebuch  für  Mittelklassen.  Ausgabe  für  israelitische 
Schulen  besorgt  von  Blumenfeld.    (Essen,  Büdeker.)  74   Pf. 

H.  St  ahn,  Lehrbuch  der  deutschen  Poetik.  (Leipzig,  Teubner.)  iMk.  60Pf. 

C.  Tumlirz,  Deutsche  Grammatik  für  Gymnasien.  Mit  einem  Anhange, 
enthaltend  Hauptpunkte  der  Stilistik.    (Prag,  Dominicus.)     1  Mk.  68  Pf. 

C.  Seydel,  Stoffe  zu  deutschen  Aufsätzen.  Für  höhere  Bürgerschulen. 
(Langensalza,  Schulbuchhdlg.)  1  Mk.  SO  Pf. 

O.  Stein  brück,  Der  erste  Unterricht  im  deutschen  Aufsatz.  Ausgeführte 
Aufgaben.     (Langensalza,  Beyer.)  25  Pf. 

E.  Gude,  Erläuterungen  deutscher  Dichtungen.  Nebst  Themen  zu  schrift- 
lichen Aufsätzen  u.  s.  w.    (Leipzig,  Brandstetter.)  3  Mk.  r)0  Pf. 

H.  Glöde,  Deutsche  Grammatik.  Nebst  Aufgaben  zur  Übung.  (Hamburg, 
Meifsner.)  2  Mk. 

F.  Schmidt,  An  elementary  german  grammar  and  reading  hook.  (Wies- 
baden, Bergmann)  2  Mk.  70  Pf. 

Moliere,  Le  bourgeois  gentilhonime.  Avec  introduction  et  notes  p.  A.  Gastd. 
(Paris,  Belin.) 

Lanfrey,  Campagne  de  1806 — 1807.  Erklärt  von  J.  Sarrazin.  (Leipzig, 
Renger.)  1   Mk.  50  Pf. 

Moeurs  et  coutumes  des  croisades  p.  Michaud.  Erklärt  von  F.  Hummel. 
(Leipzig,  Renger.)  1    Mk.  25  Pf. 

Quatre-vingt  Fables  de  La  Fontaine.  Für  Mittelklassen  ausgcwiihlt  und  er- 
läutert von  H.  A.  Werner.    (Berlin,  Springer.)  1   Mk.  20  Pf. 

Guizot,  Washington.  Etüde  historique.  Erklärt  von  y\.  Haase.  (Berlin, 
Weidmann.)  ^  90  Pf. 

V.  Hugo,  Eine  chronologisch  geordnete  Auswahl  seiner  (iedichtc  mit  Ein- 
leitung und  Anmerkungen  von  A.  M.  Hartniann.  1.  Heft.  (Leipzig, 
Teubner.)  ..  1  Mk.  2()  Pf. 

A.  Wieman.n,  Materialien  zum  Übersetzen  ins  Französische.  2  Pündciicn. 
Geschichte  Frankreichs.    (Gotha,  Schiöfsmann.)  h  60  Pf. 


480  Bibliographischer  Anzeiger. 

A.  Krefsner,  Aufsätze  technischen  und  historischen  Inhalts  zum  Über- 
setzen aus  dem  Deutschen  ins  Französische.  (Baden-Baden,  O.  Sommer- 
meyer.) 1  Mk.  20  Pf. 

A.  Baumgartner,  Lehrbuch  der  englischen  Sprache.  1.  Teil.  (Zürich, 
Orell  &  Füfsli.)  •  1  Mk.  80  Pf. 

Ch.  Dickens,  The  cricket  on  the  hearth.  Hrsgb.  von  A.  Hoppe.  5.  Auflage. 
(Berlin,  Langenscheidt.)  1  Mk.  50  Pf. 

O'Clarus  Hiebslac,  Englische  Sprachschnitzer.  Gebrauch  lächerlicher 
u.  s.  w.  Worte  und  Redensarten  von  selten  englisch  sprechender  Deutscher. 
(Strafsburg,  Trübner.)  2  Mk. 

E.  G.  Ravenstein,  Englischer  Sprachführer.    (Leipzig,  Bibliogr.  Institut.) 

2  Mk.  .^0  Pf. 

R.  Kleinpaul,  Italienischer  Sprachführer.  2.  verb.  Aufl.  (Leipzig,  Bibl. 
Institut.)  2  Mk.  50  Pf. 

Biblioteca  italiana.  Zum  Schul-  und  Hausgebrauch  hrsgb.  von  A.  Güth. 
9.  Heft  enth.:  Novelle  di  Enrico  Castelnuovo.    (Berlin,  Simion.)    50  Pf. 

Scherf,  Der  kleine  Pole.    (Berlin,  Friedberg  &  Mode.)       1  Mk.  50  Pf. 


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Bd. 71 


Archiv  für  das  Studium 
der  neueren  Sprachen 


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